1899 / 66 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 17 Mar 1899 18:00:01 GMT) scan diff

Dentscher Reichstag. 57. Sitzung vom 16. März 1899, 1 Uhr.

Ueber den Anfang der Sitzung wurde in der gestrigen Nummer des Blattes berichtet.

Es folgt die dritte Berathung der ü betreffend die Friedenspräsenzstärke des deutschen . und betreffend Aenderungen des Reichs⸗Militär⸗ gesetz es.

Die Abgg. Dr. Lieber (Zentr) und Genossen be⸗

antragen.

„Die in der weiten Lesung abgelebnten Bestimmungen über die k und über die Zahl der Formationen nach den Beschlüffen der Kommission wiederherzustellen und eine Präsenz⸗ stärke von 496 500 (statt 562 506) Mann zu bewilligen; ferner be⸗ üglich der Formationen zu bestimmen, daß in den 482 Eskadrons . die Kavallerie diejenigen Formationen inbegriffen sein sollen, die zur Erhaltung und Weiterbildung der Spezialtruppe der Jäger zu Pferde (Meldereiter) erforderlich sind.“

Die Kommission hat ferner folgende Resolutionen

vorgeschlagen: .

.I. Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, eine Nachweisung

der von der Militärverwaltung für Zwecke der Zivilverwaltung ab- gegebenen Wachtmannschaften dem Reichstag zugehen zu lassen. II. Die berbündeten Regierungen um eine Mittheilung darüber zu ersuchen, I) in welchem Umfang gegenwärtig Mannschaften des aktiven Heeres zu Aufgaben, welche die militärische Ausbildung beschränken, verwendet werden müssen; 2. welche Ausgaben für die Beschaffung der etwa erferderlichen Ersatzmittel aufgebracht werden müßten. III. Den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, derselbe wolle in den Ctat Mittel einstellen, um solchen Infanteriemannschaften, die freiwillig das dritte Jahr oder die Hälfte desselben im aktiven Dienste verbleiben, eine Prämie beziehungsweise eine böhere Löhnung gewähren zu können.“ Abg. Dr. Lieber beantragt, der Resolution M folgende

Fassung zu geben:

III. Den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, derselbe wolle in den Etat Mittel einstellen, um 1) statt der Mannschaften des aktiven Heeres, die zur Zeit bei den Bekleidungsämtern gegen Prämien be schäftigt werden, bürgerliche Handwerker gegen Lohn zu beschäftigen; Y solchen Infanterie Mannschaften, die freiwillig das dritte Jabr oder die Hälfte desselben im aktiven Dienst verbleiben, eine Prämie beziehungsweise eine höhere Löhnung gewähren zu können“;

ferner folgende Resolution T anzunehmen:

IV. Die Bereitwilligkeit auszusprechen, wenn sich bei Aus—˖ führung des gegenwärtigen Gesetzes die nachweisliche Unmöglichkeit ergeben sollte, mit der Friedenspräsenzstärke von 4985 500 Gemeinen, Gefreiten und Obergefreiten die jweijährige Dienstzeit bei den Fuß⸗ truppen aufrecht zu erbalten, alsdann, noͤthigenfalls auch noch im Laufe der Geltungsdauer des §5 2, in erneute gesetzgeberische Er⸗ wägungen über Bemessung der Friedenspräsenzftärke mit den ver bündeten Regierungen einzutreten.“

Kriegs⸗Minister, Generalleutnant von Goßler:

Die Entscheidung über die Militärvorlage soll am beutigen Tage erfolgen, eine Entscheidung, die auf fünf Jahre die Organisation des deutschen Heeres festzulegen berufen ist. Man könnte meinen, es habe keinen Zweck mehr, darüber zu sprechen, eine Rede des Kriegs Ministers könne doch an der Stellungnahme der Parteien nichts mehr ändern. Das mag sein, aber weil es so ist, kann ich heute wenigstens die Vorlage ohne solche Räücksichten als Soldat bis zum Schlusse verfechten.

Was ist denn eigentlich eine Militärvorlage? Ist sie ein in einem Bureau ersonnener künstlicher Bau, oder eine doktrinäre Bekräftigung einer einseitigen Ansicht? Nein, sie ist der Niederschlag langjäbriger militärischer Erfahrungen, sie will auf Grund derselben den Erforder- nissen der Zukunft Rechnung tragen, und sie drückt den bestimmten Willen aus, soweit das die Organisation ermöglicht, den Sieg an die deutschen Fahnen zu fesseln.

Schon die Entstehung einer solchen Vorlage ist schwierig genug; auf allen Gebieten des weiten Militärressorts regt es sich, überall ent⸗ stehen neue Bedürfnisse, alles strebt nach Vervollkommnung. Schwer ist die Sichtung, aber allmählich krystallisiert die wogende Masse um gewisse Zentralpunkte, es bilden sich feste Kerne, und die Grundlage der Arbeit ist damit geschaffen. Aber dem frischen Entschluß folgt die mühselige Umsetzung desselben in trockene, endlose Zablen, die un⸗ vermeidliche Rücksicht auf politische und finanzielle Erwägungen.

Blicke ich auf den Weg zurück, den auch diese Vorlage gemacht hat, so muß man von dem Vertreter derselben vor allem eine Eigen⸗ schaft verlangen, die Beharrlichkeit, und darum werde ich bis zuletzt auf dem Boden der Vorlage verharren.

Ueberblicke ich das Resultat, welches aus den Kommissionberatbungen hervorgegangen ist, so darf ich frei der Ansicht Ausdruck geben, daß wichtige, vielleicht entscheidende Fortschritte der Armee gesichert sind. Ich will nicht auf die einzelnen Details bier eingeben, sondern mich darauf beschränken, die bei den einzelnen Waffen in Betracht kommenden Verhältnisse dem hohen Hause nochmals vorzuführen. Bei weitem im Vordergrund steht die neue Organisation der Feld Artillerie, eine Organisation von solcher Bedeutung, daß erst durch sie der Feld— Artillerie die volle Entwickelung ihrer Leistungsfäbigkeit auf dem Schlachtfelde garantiert ist. Sie wird in bisher unerreichtem Maße ein Hauptmittel der höheren Fübrung.

Eine ganz neue Truppengattung, die Verkehrstruppen, sind unter einheitlicher Spitze geschaffen. Sie entsprechen den Bedürfnissen der modernen Zeit und ermöglichen die Leitung und Bewegung der Massen. Von der Kavallerie ist der Bann genommen, der seit fast 30 Jahren auf ihr ruhte. Ihrer Vermehrung durch Neuformationen einem dringenden Bedürfniß ist, wenn auch in bescheidenen Grenzen, genügt.

Die Fuß ⸗Artillerie, die Pioniere und der Train haben diejenige Verstärkung erhalten, die für sie erforderlich waren. Nur eine Waffe ist den anderen Waffen gegenüber zu kurz gekommen, und das ist gerade die Hauptwaffe: die Infanterie. Ohne eine gute Infanterie können wir die uns gestellten Aufgaben überbaupt nicht lösen, in ihr liegt die eigentliche lebendige Kraft der Nation und des ganzen Heeres, von ihrer Kriegsfertigkeit und Disziplin hängt das Schicksal der Feldzüge im wesentlichen ab. (Sehr richtig! rechts) Ich brauche auf die zersetzenden Einflüsse des Infanteriegefechts nicht näher einzugehen, sie sind oft genug beschrieben, und wer sie selbst kennt, weiß, welche Anforderungen an eine gute Infanterie gestellt werden müssen. Um diese zu erreichen, bedarf es der sorfältigsten Erziehung im Frieden. Hierbei darf man aber nicht vergessen, daß die Dauer der Dienstzeit in unmittelbarer Wechselwirkung mit der Stärke der Cadres steht. Eine Infanterie mit längerer Dienstzeit erhält verhãltnißmãßig schwache Rekrutenquoten; ihre Ausbildung ist entsprechend erleichtert. Eine Infanterie mit zweijähriger Dienstzeit bedarf eines

möͤglichst starken Jahrganges älterer Mannschaften, sonst sinkt ihr Niveau auf eine Rekrutenschule herab. (Sehr richtig! rechts.) Soll die deutsche Infanterie ihren altbewährten Ruf, den sie in allen Feldzügen bewiesen bat, behalten, so braucht sie starke Bataillone, und diese Lebensbedingungen ihr nach Möglichkeit zu schaffen, ist der Zweck der Vorlage der verbündeten Regierungen. Von der Stärke der Ba talllone hängt eben die Möglichkeit der Durchführung der zweijährigen Dienstzeit in erster Linie ab. Dieser Grundsatz dürfte daher für alle Theile eine dringende Veranlassung sein, den Etat der Bataillone, ibre Friedenspräsenjstärke so zu gestalten, daß die Durchführung der verkürzten Dienstzeit mit vollem Erfolge auch unbedingt gesichert wird.

In der Budgetkommission ist der Gedanke hervorgetreten, die Abkom⸗ mandierungen möglichst einzuschränken. Gewiß ist das richtig, und seitens der Heeresberwaltung wird diesem Gedanken auch nachgegangen werden; aber es müssen beide Maßnahmen Hand in Hand gehen, daher erst die Erhöhung der Präsenzstärke und dann die Verminderung der Ab- kommandierungen. Auch war man bezüglich der Ersatzmittel für Ab⸗ kommandierte nicht freigebig. Ich habe die laufenden Ausgaben hierfür auf rund 20 Millionen Mark jährlich berechnet. (Hört, bört! reckts) Demgegenüber steht hier eine Ausgabe von 23 Millionen. (Hört, hört! Bewilligen Sie diese für die Erhöhung der Präsenzstärke der Infanterie, damit wird dieser Waffe unendlich mehr genügt.

Was gefordert ist, ist in den engsten Grenzen gehalten, und diese Forderung muß immer wieder auftreten, wollen Sie der Hauptwaffe nicht die Grundlagen ihrer Existenz verkümmern. Ich gebe zu wie neulich der Herr Abg. Dr. Lieber angeführt hat —, daß, wenn man Unteroffiziere und Gemeine in der Gesammtbheit der Armee und der Marine zusammenfaßt, die Präsenzstärke 1 90 der Bevölkerung um etwas überschreiten wird. Die zu Grunde gelegte Bevölkerungs—⸗ ziffer entspricht aber der Volkszählung vom Jahre 1895, iniwischen haben sich die Zahlen erheblich verschoben. Zerreißen Sie, meine Herren, nicht das organische Gefüge der Militärvorlage, geben Sie jeder Waffe, was der Waffe gebührt, auch der braven deutschen Infanterie.

Allerdings sieht ja die Gesetzgebung die Mittel vor, um un— jureichende Cadres unter gegebenen Verhältnissen verwendungsfähig ju machen. Nach dem Gesetze vom 3. August 1893 können im Falle nothwendiger Verstärkungen auf Anordnung des Kaisers die sonst zu entlassenden Mannschaften im aktiven Dienst zurückbehalten werden; desgleichen können nach dem Gesetze vom 9. November 1867 durch Kaiserliche Anordnung Mannschaften der Reserve als nothwendige Verstätrkung zum Dienst einberufen werden. Das sind aber doch gesetzliche Mittel, auf welche man im Interesse der Mann⸗ schaften, die aus ihren kürgerlichen Verhältnissen herausgerissen werden oder länger bei der Fahne bleiben müssen, ungern jurückgreift. Das Richtige wird immer sein, die Präsenzstärke so festzusetzen, daß sie allen Eventualitäten entspricht.

Ich kann daher nur nochmals die dringende Bitte Ihnen ans Herz legen: nehmen Sie die Präsenzstärke, wie sie in der Heeres vorlage enthalten ist, an! Sie ist die richtige Grundlage für die weitere Entwickelung der Armee, im Besonderen der Infanterie. Wird diese Forderung heute nicht genehmigt, so wird sie unabweisbar wiederkommen. (Bravo!)

Abg. Dr. Lieber: Meine politischen Freunde haben in Er⸗ wägung gezogen, ob es nicht möglich sei, eine Verständigung zwischen den verbündeten Regierungen und dem Reichstage anzubahnen. Das Ergebniß liegt Ihnen in unseren Anträgen vor. Wir würden die Anträge nicht eingebracht haben, wenn in Ter zweiten Lesung seitens der Vertreter des Bundesraths das Wort unannehm⸗ bar‘ gefallen sein würde, Das war nicht der Fall, und die Parteien haben sich auch ihre Entschließungen fur die dritte Lesung vorbehalten; die ger der Rechten, namentlich die Reichtpartei, baben ibre Hoffnungen auf eine Verständigung nicht auf⸗ gegeben. Redner bespricht dann im einjelnen die von seinen Freunden gemachten Vorschläge, die den Wũnschen, welche der Kriegs. Minister in der zweiten Lesung ausgesprochen habe, zum theil Rechnung trügen. Namentlich würde aber ein Wunsch des Reichstages, die Oekonomie bandwerker nach Möglichkeit zu beseitigen, endlich erfüllt werden, wenn auch ein = Stamm von Milttärarbeitern mit Rücksicht auf die Mobilmachung erhalten bleiben müßte. Die von dem Zentrum vorgeschlagene vierte Resolution solle nicht mehr und nicht weniger besagen, als ihr Wortlaut ergebe. Die jwei⸗ jährige Dienstzeit solle aufrecht erhalten und zu einer dauernden Ein⸗ richtung der Landesvertheidizung gemacht werden. Dafür sollten bohe Opfer gebracht werden, aber erst, wenn der Nachweis erbracht sein werde, daß mit dem jetzt Bewilligten die jweijährige Dien stzeit nicht aufrecht erbalten werden könne. Es solle mit den Kom. wifsionsbeschlässen erst einmal ein Versuch gemacht werden. Die iweijährige Dienstzeit sei eine verbältnißmäßig unge Ein⸗ richtung; die Probe sei noch nicht gründlich gemacht Wir müssen, fährt der Redner fort, erst an der Kriegstüchtigkeit unserer =. und Landrwehrmannschaften erproben, wie die mili- tãrische 2 in zwei Jahren gewirkt hat. Meine politischen Freunde haben alles bewilligt. was zur Durchführung der zweijãbrigen Dienstzeit nothwendig ist. Wir glauben aber auch, daß der Reichstag von den verbündeten Regierungen zu fordern berechtigt sei, daß die Probe gemacht wird, ob nicht mit den jeßigen Bewilligungen die zwei⸗ sährige Dienftzeit durchgeführt werden kann. Wir sind zu dieser For⸗ derung um so eher berechtigt, als die ganze Vorlage sich ja auf den Boden der stufenweisen Verstärkung der Heeresorganisation stellt, und erst nach jwei Jahren mehr nothwendig werden würde, als jetzt bewilligt werden soll. Es wäre besser, die Entwickelung abzu⸗ warten und dann in lovaler Weise jwischen den einielnen Faktoren der Gesetzgebung zu verhandeln. Ich möchte mich der Hoffnung bin⸗ geben, daß dieser unser Vorschlag seitens der verbündeten Regierungen und seitens der Parteien, die überhaupt eine Verständigung erzielen wollen, angenommen werden möchte. Es ist uns nicht allzu leicht geworden, die Ibnen unterbreiteten Vorschläge zu machen. Wir wissen ganz genau, was die Herren auf der linken Seite des Hauses daraus machen werden. Obgleich es auch Ihnen (links) ganz angenehm sein wird, wenn eine Verständigung erzielt wird. Wir wissen auch sebr wobl, daß die ganze Behandlung, die die Angelegenbeit bis jetzt gefunden hat, nicht sehr einladend war, mit einem solchen Vorschlage zu kommen. Ich kann also nar bitten, unsere Antrãge anzunehmen.

Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe⸗Schillingsfürst:

Meine Herren! Der Herr Kriegs⸗Minister hat heute nochmals den militärisch⸗technischen Nachweis geführt, daß die Ihrer Beschluß⸗ fassung unterbreitete Militärvorlage nur dann die im Interesse der Landegvertheidigung nothwendige Ausbildung unseres Heeres sichert, wenn sie in ihrem vollen Umfange zur Durchführung gelangt.

Im Hinblick jedoch auf die militärische Wichtigkeit, welche die von Ihrer Kommission in zweiter Lesung bewilligten Formationen besitzen, und in der Erwägung, daß deren Durchführung eine Ver⸗ zögerung nicht erleiden darf, haben sich die verbündeten Regierungen entschlossen, der Vorlage auch in der veränderten Form, wie sie aus dem heute eingebrachten Antrage sich ergiebt, zuzustim men.

Diefe Erklarung vermag ich indeß namens der verbündeten Re⸗ gierungen nur unter dem Vorbehalt abzugeben, daß dieselben ent⸗ schlossen sind, vor Beendigung der gesammten Organisation an das hobe Haus mit erneuten Anträgen heranzutreten (hört, hört! links), welche die Durchführung der gegenwärtigen Vorlage in ihrem vollen Umfange sicherstellen.

Aus der von Mitgliedern des hohen Hauses beantragten Resolu⸗ tion IV, welche die gleiche Eventualität in Aussicht nimmt und hoffentlich zur Annahme gelangen wird, und nach den eben gehörten Erklärungen des Herrn Dr. Lieber glauben die verbündeten Regierungen die feste Zuversicht schöpfen zu dürfen, daß ihre in der Vorlage ge⸗ stellten Forderungen, wenn auch nicht zur Zeit, so doch noch rechtzeitig für die vorgeschlagene Organisation die Genehmigung des hohen Hauset finden werden. (Bravo! rechts.)

Abg. Dr. von Levetzow (d. kons.): Die Vorlage erstreckt sich überhaupt auf mehrere Jahre. Das, was die Borlage will, kann auch durch die Kommissionsbeschlüsse erreicht werden. Unter diesen Umständen werden meine politischen Freunde für die Wiederherftellung der Kommissionsbeschlüsse stimmen, indem sie voraussetzen, daß die Resolution IV angenommen und künftig festgehalten werden wird. Auch mit den übrigen Vorschlägen sind wir einverstanden, namentlich schließen wir uns den i, , an, bei den Bekleidungsämtern bürgerliche Kräfte zu beschäftigen.

Abg. von Kardorff (5p): Nach den Erklärungen, die ich bei der zweiten Lesung abgegeben habe, und nach der Erklärung der ver- bündeten Regierungen konnen wir jetzt für die Kommissionsvorschläge stimmen und können dieg mit um so größerer Zuversicht tbun, a durch die Resolution 17 und durch die Erklärungen des Abg. Lieber in Äussicht gestellt ist, daß, wenn die Kriegsverwaltung die Ueber- zeugung gewinnt, daß mit der gegenwärtig bewilligten Präsen stärke die jweisäbrige Dienftzeit nicht durchzuführen ist, die Regierung innerhalb der Gesetzesdauer mit einer neuen Vorlage vor den Reichstag treten wird. Ich sehe als ganz bestimmt voraus, daß die Kriegsverwaltung dazu gezwungen sein wird, aber ich habe die Ueberjeugung, daß die Vorlage loval geprüft werden wird von allen denjenigen, welche überhaupt die zweijährige Dienstieit auftechterhalten und dem Vaterlande seine Wehrbaftigkeit erbalten wollen. Ich hoffe, daß die Annahme der Vorlage und die Beseitigung des Konflikts dem Vaterlande zum Segen gereichen wird.

Abg. Bafsermann (ul.): Meine politischen Freunde bätten es

auf das tiefste bedauern müssen, wenn zwischen der Regierung und dem Parlament ein Konflikt entstanden wäre, einmal wegen des Cin= drucks auf das Ausland und dann auch er,. der Einwirkung auf die Verhältnisse im Innern. In dem Augenblick, wo die bürgerlichen arfeien mit der Regierung in Streitigkeiten gerathen, würden die ozialdemokraten die Früchte ernten. Es sind auch Bestrebungen vorbanden, welche auf eine Abänderung der Verfassung zielen, die, wenn sie siegen sollten, zu schweren inneren Wirren führen würden. Es kann unsere Auftzabe nicht sein, diese Bestrebungen durch einen Konflikt in Militärfragen zu fördern. Ein weiterer Gesicktspunkt ist, daß die Bewilligungen für die Artillerie diese auf eine neue Grundlage stellen. Diese Bewilligungen sollte man nicht durch einen Wablkampf aufs Spiel setzen. Wir werden für die An= träge Lieber ftimmen, nachdem die verbündeten Regierungen die Be—⸗ reitwilligkeit ausgesprochen haben, den Versuch mit der vorgeschla⸗ genen Bewilligung zu machen, und nachdem in Auesicht gestellt ist. daß eine Verbesserung der Vorlage später noch nachgebolt werden kann. Durch die Refolution IV wird uns die Annahme der Vorlage erleichtert. Wir sind der Meinung, daß die Annahme von vielen Vaterlandsfreunden mit Freuden begrüßt werden wird.

Abg. Rickert (fr. Vgg.) erklärt sich für die Annabme der Kommiffionsbefchlässe und fur die Resolution, die er aber nur nach ibrem Wortlaut interpretiert wissen wolle.

Abg. Richter (fr. Volksp.): Ich bin durchaus nicht geneigt, die Aufrechterhaltung des Abstrichs von 7000 Mann zu unterschäͤtzen. Denn dieser Abstrich hat eine erhöhte Bedeutung erlangt unter den politischen Umständen in den letzten Tagen. Der Kriegs⸗ Minister wollte die Vorlage bis zum letzten Augenblick aufrecht er. halten. Ein Niederschlag langsähriger Erfahrung ist doch wobl schließlich jede Regierungs vorlage; jede Vorlage soll der Zukunft Rechnung tragen. Wenn die anderen pelitischen Faktoren bei den Vorlagen konkurrieren, soll der Reichstag nicht auch bei den mili⸗ taͤrischen Vorlagen als politischer Faktor konkurrieren? Wenn der Reichstag sich einfach unterworfen hätte, so wäre das die Einführung des Milstärabsolutismus gewesen; dann hätte man den Glauben er⸗ weckt, daß man nur energisch zu fordern brauche, um etwas zu erreichen. Das würden auch andere Ressorts sich gemerkt haben. Die Resolution I7 ist nur das honneur für einen Feind, der aus einer unbaltbar gewordenen Position abmarschiert. Die Reso⸗ lution sagt eigentlich etwas Selbstverstãndliches; denn wenn mir jemand beffere Beweife bringt, bin ich von Gottes und Rechts wegen derpflichtet, mich diesen Beweisen ju fügen. Der Hinweis auf das Geseßz, das eine vorübergebende Verstärkung der Mannschaft zuläßt, ist nicht jufreffend. Denn diese Vorschrift setzt das Vorbandensein be⸗ droblicher Umstände voraus und soll nicht einfach zur Ergänzung der jweijährigen Dienftzeit die Handhabe bieten. Das wäre eine Ver⸗ letzung des Gesetzeg. Außerdem würde die Anwendung dieser Vor= schrift von der Geldbewilligung des Reichstages abhängen. Daß an die Stelle der Delon omiehandwerker Zivilarbeiter gesetzt werden, babe ich seit Jahren . Ich bin der Mei⸗ nung, daß die Zivilarbeiter sehr viel geschickter sein werden, daß eine Mehrausgabe, garnicht entftehen wird. Redner gebt dann auf die Einzelheiten ein, auf die Meldereiter⸗Schwadronen, auf die Mörser⸗ Batterien und auf die Verstärkung der Infanterie⸗ Bataillone. Der Standpunkt seiner Partei habe sich gegenüber der ersten Lesung nicht verändern können. In der Budget kommission sei man allseitig des Glaubens gewesen, daß mit diesen Beschlüssen die Militärvorlage abgeschlossen fein würde. Der Kriegs Minister hätte sich darauf eingerichtet, die Berechnung zur Durchführung der Verkũrzung zu liefern. Der wurttembergische Kriegs. Minister habe geglaubt, daß er angesichts der Abstriche auf 6 Batterie verzichten mũsse. Er (Redner) babe den Kriegs. Minister durchaus nicht perfönlich angreifen wollen. Wenn dieser nicht so geschickt verfahren wäre, so hätte er in der Kom⸗ mission nicht so viel erreicht. Seine Vorwürfe richteten sich mehr gegen die Zivil. Minister, die sich einer Versäumniß schuldig gemacht eilen. dcs, sonst lasse sich die plötzliche Wandlung nicht erklären. Es müsse also nicht alles so geordnet sein, wie es sein sollte, es fehle die einheitliche Führung.

Abg. Bebel (Sor) fübrt aus; Daß die Herren vom Zentrum ibre Stellung ändern würden, habe Mr Abg. Lieber schon bei der jweiten Lesung deutlich ausgesprochen? die verbündeten Regierungen würden nicht verfehlen, der Aufforderung des Abg. Lieber Folge zu leisten und in ein oder jwei Jahren ihre Vorlage einzubringen. Bei den früberen Militärvorlagen babe man wenigstens den Vor⸗ behalt gemacht, daß die Deckung der Kosten nicht in Steuern gesucht werden dürfe, die die breiten Massen und den Mittelstand belasten. Aber diesmal habe man das versäumt, und bei den großen Koften sei es nicht ausgeschlossen, daß man zur Deckung auf die Cr= böbung von Steuern auf Lebensmittel werde zurückgreifen müssen. Steigerung der Militärlaften Deutschlands sei um so weniger noth= wendig, als eg hinter Frankreich nicht zurüdhbleihe und im französischen

lament offen erklärt worden sei, daß r, an der Gren einer Leistungsfäbigkeit angekommen sei. Rußland sei in keiner Weise reg zu Gunsten Frankreichs einen Krieg zu beginnen.

bg. Preiß (b. x. Le, namens einer Anzahl seiner politischen Freunde aus Glsaß Lothringen, daß (ie gegen die Reglerungs vor ünd gegen die beute eingebrachten Anträge stimmen würden. Sicherheit der Reichs grenen MMordere nicht die Vermehrung der Präͤfeniftãrke. Gine absolute Sicherung der Reichsgren e würde zu einer ungemessenen Vermehrung der Streitkräfte fahren, deren Kosten vom Volke nicht aufgebracht werden könnten.

ö

inister, Generalleutnant von Goßler:

würde keine Veranlassung gehabt haben, auf die Rede des letzten Serrn Abgeordneten zu antworten, denn ich glaube nicht, daß es sich lohnt, auf seine Ausführungen über Unvernuft, über die Noth lage in Elsaß Lothringen u. s. w. näber einzugeben; es ist ja leicht erklärlich, weshalb er eine derartige Rede gebalten hat. Ich hatte mich bereits vor ihm zum Wort gemeldet, habe ibm aber gern den Vorrang gestattet. (Sehr richtig) Auch die Rede des Herrn Abg. Bebel veranlaßt mich zu näheren Ausführungen nicht. Ich kann mich mit der Bemerkung begnügen, daß sein Heilmittel, die revolutionäre, internationale Sozialdemokratie im Sinne seiner Partei für diese wobl Annebmlichkeiten schaffen soll, im übrigen würde aber der Krieg im eigenen Lande und nicht außerhalb des selben beginnen, wenn die Ziele, die er verficht, zur Verwirklichung kommen sollen. (Sehr richtig! Bravo! rechts.)

Ich wende mich im wesentlichen nur gegen den Herrn Abg. Richter. Ich glaube, ich bin dazu genötbigt, nicht seiner sonftigen Ausfübrungen wegen, die meines Erachtens in die Kommission ge⸗ bören und dort aach eingehend erörtert worden sind, sondern mit Bezug auf eine Legende, welche sich allmäblig über die Sitzung der Budgetkommission vom 8. März dieses Jahres bildet. In dieser Sitzung batte der Herr Abg. Dr. Lieber den Antrag eingebracht, die Friedens prãsenzstãrke um 7006 Mann zu vermindern, und zugleich tine längere gedruckte Erklärung zu diesem Antrage überreicht. Er⸗ klärung wie Antrag batte ich vorher nicht geseben; mir war die Sache in dieser Form vollständig fremd. Ich konnte mithin auch nicht im Besitz einer Instruktion sein, wie ich mich diesem Antrage gegenüber verhalten sollte. Auch in der „National -Zeitung“ ist die merkwürdige Ansicht ausgesprochen worden, ich hätte die Stellung nabme des Bundesraths vor Einbringung dieses Antrages herbeiführen mũssen.

ö bat der Herr Abg. Richter in der vorigen Sitzung, wenn ich nicht irre, mein Verhalten als schwankend, heute als sehr geschickt bezeichnet. Ich lege keinen Werth darauf, wie er mein Verhalten beurtbeilt. Für mein Verhalten sind lediglich die Pflichten und Rechte maßgebend, die mir als Bevollmächtigten zum Bundesrathe zufallen. Dementsprechend habe ich, nachdem der Herr Abg. Dr. Lieber seinen Antrag begründet hatte, die Erklärung abgegeben, daß ich zu einem Komptomiß nicht ermächtigt wäre, an der Regierungẽ vorlage un⸗ bedingt fefthalten würde, und daß nur diese geeignet wäre, die Nach⸗ tbelle der zweijährigen Dienst;zeit auszugleichen.. Schließlich habe ich nochmals das Wort ergriffen und ausdrücklich betont, daß ich mit der Zabl der beantragten Mannschaften nicht einverstanden sei. (Hört, kört) Ich verweise dieserhalb auf das bejügliche Protokoll und kann dem Abg. Richter nur anbeimgeben, dasselbe einzuseben.

Der Antrag Lieber wurde mit 13 gegen 12 Stimmen angenommen; das Resultat der Abstimmung war zweifelhaft. Ich kann daher nicht begreifen, wie der Abg. Richter ein derartiges Verhalten angreifen kann. Denn ein Bevollmächtigter zum Bundesrath ist ohne In⸗ struktion gar nicht berechtigt, einen solchen Antrag als annebmbar oder unannehmbar zu bezeichnen, da er durch ein solches Verfahren die verbündeten Regierungen in unzulässiger Weise festlegen würde.

Wenn der Abg. Richter meine kurze Rücksprache mit dem württembergischen Herrn Kriegs. Minister so charakterisiert, wie ge⸗ schehen, so kann ich auch dieser Darstellung nicht beitreten. Der württembergische Herr Kriegs⸗Minister führte an, daß diese Absetzung eventuell die Aufstellung einer Batterie in Württemberg unmöglich machen würde. Darüber aber, daß weder der württembergische Herr Kriegs⸗Minister noch ich berechtigt sein könnten, in einer Vorlage der verbündeten Regierungen obne weiteres Zahlen zu ändern, bestand kein Zweifel. Es mußte daber die Zabl der Batterien vorlãufig un⸗ bedingt aufrecht erhalten bleiben.

Das Ergebniß der jweiten Lesung der Vorlage in der Budget- kommission wurde demnächst dem Bundesrath unterbreitet. Bei dem Stimmen verbältniß in der Kommission, bei der Wichtigkeit des Gegen⸗ standes und vor allem auch, weil die Mitglieder der Kommission er⸗ klärt batten, daß durch ihre Abstimmung in derselben ihre Parteien nicht gebunden würden, war für den Bundesrath noch keine Ver⸗ anlassung getzeben, einen Beschluß zu fassen. Es erschien vielmehr zweckmäßig, zunächst die zweite Lesung im Plenum abzuwarten. Der Vorwurf des Herrn Abg. Richter gegen den „Zwwil . Minister ich weiß nicht, wer damit gemeint sein soll ist daber völlig unberech⸗ tigt und weise ich denselben als unbegründet zurück.

Daß sich für solche ernsten Fragen auch die Allerhöchste Stelle im höchsten Maße interessiert, daß von allen Seiten danach gestrebt wird, eine Verständigung zu erzielen, andererseits. aber auch bei der Wichtigkeit des Gegenstandes der Vorlage sehr eingehende Berashungen stattfinden müssen, und daß schließlich die Entschließung nicht, wie an⸗ genommen, plötzlich, sondern nach sehr reiflicher Ueberlegung erfolgen muß und erfolgt ist, das sollte einer besonderen Hervorhebung kaum bedürfen.

Ich wiederhole nochmals, die hierauf bezüglichen Ausführungen des Herrn Abg. Richter sind in jeder Hinsicht hinfällig, und ich be⸗ greife nicht, welche Zwecke er damit verfolgt, dieselben vorzubringen. Auf seine übrigen Ausführungen einzugehen, verzichte ich. (Bravo! rechts.)

Abg. Liebermann von , (Reformp.): Es ist keine angenehme Sache, für einen verlorenen Posten zu sprechen; trotzdem muß ich das thun, wie es der Kriegs⸗Minister für sich gethan batte. Da die Parteien sich die Entscheidung für die dritte Lesung ver— behalten hatten, so waren die heutigen Ereignisse zu erwarten. Hãtte man der Regierung den Rücken gestärkt und sich fest an die Vor— lage gebunden, so hätte das Zentrum nachgegeben. Sachlich ert freilich eine Niederlage des Jentrumg vor, denn es Kat in allen Punkten nachgegeben. Es giebt eigentlich nur Besiegte. Die Regieruns bat, wenn auch nicht heute, so doch fär die Zukunft alles erreicht. Ich bedauere, daß, das in dieser Form geschehen ist. Daß eine fo starke Partei wie das Zentrum Einfluß auf den Gang der Politik zu gewinnen sucht, ist selbstperstãndlich; ich kann mich nicht dagegen erklären, so lange die Politik bon großen Gesichtspunkten geleitet wird. Aber die jetzige Haltung des Zentrums wird schließlich Erbitterung im Volte erregen, und diefe Erbitterung wird sich schließlich einmal geltend machen. Welche Gründe das Zentrum zu dem Abstrich bewogen haben, wesß ich nicht. Vielleicht wollte man gewisse zentri. sugale Kräfte bannen. Ich wundere mich, nur, daß es mit dem Bigechen begnügt. Ich habe keinen politischen und warlamentarischen Ebrgeiß; hätte ich diesen, dann möchte wünschen, an der Spitze einer ren autschlaggebenden rtei zu stehen, um der Regierung die Vorlage zu bewilligen. dem Zentrum bei Bewllligung der Vorlage. Heeres

folge geleistet, wenn eine mittelstands freundliche estimmung über die Kostendeckung in dieselbe eingefügt worden wäre, wenn man für

Landwirth!

die Invaliden besser sorgen würde, wenn man sich darüber geeinigt s

hätte, daß fremde Fleischkonserven nicht für die Armer verwendet werden dürfen. Ueber die Wirkungen der zweijährigen Dienstzeit hat man noch kein Urtheil. Ein Freund der zweijährigen Dienstzeit bin ich nicht geworden, aber da sie besteht, müssen wir alles thun, um sie durchzuführen.

Abg. Freiherr von , , . (d. kons.) ist bei der eren, im starkbesetzten Hause herrschenden Unruhe nur schwer verständ⸗ ich; er erklärt sich im Gegensatze zu dem Abg. Lanzinger für die Vor—⸗ lage; Herr Lanzinger sei wohl der erste Bauer, der sich gegen jede Be⸗ willigung für das Heer erklärt habe; daß sei eine Folge der schlechten , ,. der Landwirthschaft. Die Regierung nm sich der

aft annehmen; sie sollt sich stark zeigen und die Führung des Volkes übernebmen, denn das Volk wolle gefübrt sem.

Abg, Freiberr 9on Stumm r Ich bin in der ersten Lesung mit aller Entschiedenheit für die Aufrechterhaltung der Regierungt⸗ vorlage eingetreten. Aber das kann mich nicht hindern, jetzt für die Beschlüsse der Kommission zu stimmen, zumal die vorgeschlagene Re⸗ solution von sehr großem Werthe ist. Es tönnte ja später die Regierungsvorlage abgelebnt werden, aber dann hätten wir doch Das gesichert, was jetzt bewilligt werden soll. Bei einer Auflösung des Reichstages wäte aber auch das Zustandekommen der Kommissions⸗ beschlusse gefährdet. Redner wendet sich schließlich gegen die Ausfüh⸗ rungen des Abg. Bebel. . .

Abg. Dr. Pichler (Sentr) tritt den Ausführungen des Abg.

Liebermann von Sonnenberg bezüglich der Resolution IV entgegen.

Abg. Dr. Sattler (ul.) spricht seine Befriedigung darüber aus, daß in den Kreisen des Zentrums die Meinung, daß militärische Dinge von milltärischen Sachverständigen beurtheilt werden müßten, so ge⸗ wachsen sei, daß die Resolution IV habe gestellt werden können. Er werde natürlich für dieselbe stimmen.

Damit schließt die Generaldiskussion.

In der Spezialdiskussion wird 8 1 der Vorlage ohne Debatte angenommen.

Bei 8 2, welcher die Feststellung der Präsenzstärke betrifft, wendet sich der

Abg. Richter gegen die letzten Auslassungen des Kriegs. Ministers; derselbe babe in der Kommission sofort die Tragweite des Antrags Lieber anerkannt und die Berechnüngen über dessen Durch- sührun; zugesagt. Redner bleibt dabei, daß sich eine plötzliche Wandlung vollzogen habe, deren Verlauf nicht zur Stärkung des An— sehens der Regierung gedient habe.

Kriegs⸗-Minister, Generalleutnant von Goßler:

Ich muß trotzdem dem Herrn Abg. Richter gegenüber aufrecht erhalten, daß meine Schilderung eine zutreffende war. Allerdings sind nach Einreichung des Antrages des Zentrums Berechnungen auf⸗ gestellt und Zahlen angegeben worden. Diese sofort an Ort und Stelle in der Eile berechneten Zahlen erwiesen sich jedoch später als nicht zutreffend und wurden dieselben daher von mir bier im Plenum richtig gestellt. Daß dem Herrn Abg. Richter der Verlauf der Sache nicht angenehm ist, kann ich ihm vollständig nach üblen. Seiner politischen Richtung würde es besser gepaßt haben, bätte ich die Anträge sofort für unanneb mbar erklärt. Unzweifelhaft wäre dann am nächsten Morgen in der Freisinnigen Zeitung“ dem Kriegs⸗Minister der Vorwurf gemacht worden, die Militärbehörde babe den Konflikt herbeigeführt, obwohl die Parteien sehr gern bereit gewesen sein würden, zu unter⸗ handeln, und man auf Konzessionen auf beiden Seiten wohl hätte rechnen können. Man weiß ja, wie solche Militãärkonflikte gemacht werden. Hierzu wollte ich die Hand nicht bieten. (Sebr richtig!) Wenn der Vorgang jetzt in dieser Weise ausgebeutet wird, so nehme ich meinerseits an, daß der Verlauf der Angelegenheit den Herrn Abg. Richter nicht befriedigt bat. (Bravo 7

Abg. Richter: Der Kriegs Minister hat sich widersprochen, Er sagte vorbin, daß er für seine Person an der Vorlage festgehalten batte; jetzt meint er, es wäre mir sehr angenehm gewesen, wenn er die Vorlage als unannehmbar erklärt hätte.

Kriegs-Minister, Generalleutnant von Goßler:

Es kommt im allgemeinen darauf hinaus, einzelne Worte zu er klären. Es ist ein großer Unterschied, ob ich ausdrücklich hervorhebe: für meine Person halte ich an der Vorlage fest' (sebr richtig! rechts), oder wenn ich erkläre: „dieser Antrag ist unannebmbar'. In diesem Falle muß ich die vorherige Zustim mung der verbündeten Regierungen haben. (Sehr richtig! rechts.) Hierin liegt der Unterschied. Mit einer solchen Erklärung würde ich das Votum der Reichsregierung gebunden haben, wozu ich obne besondere Legitimation garnicht berechtigt war. (Sehr wahr! rechts und in der Mitte) Wäre auf diese Weise ein Konflikt entstanden, so bätte man mir die Schuld beigemessen, und dieser Situation wollte ich mich nicht aussetzen (sebr gut! rechts und in der Mitte), im Gegentheil, ich wollte

grundsäͤtzlich eine Politik nicht ausschließen, die eventuell noch zu einer

Einigung führen konnte. (ebhafter Beifall. Abg. Richter bittet ums Wort. Große Bewegung.)

Damit schließt die Diskussion. Die Friedenspräsenzstärke von 500 Mann wird gegen die Stimmen der Sozial⸗ demokraten, der Deutschen und der Freisinnigen Volkspartei, der Deutschen Reformpartei, der Esässer und einiger Zentrums⸗ mitglieder angenommen. . .

Mit derselben Mehrheit wird § 2, der die Formationen betrifft, nach dem Antrage Lieber angenommen.

Zu Art. N liegt ein Antrag des Abg. Richter vor: die zweijährige Dienstzeit dauernd festzulegen.

Abg. Dr. Pachnicke (fr. Vgg.) erklärt sich gegen den Antrag, weil dadurch der Konflikt, der an anderer Stelle vermieden sei, hierbei sich einstellen warde. Der Antrag sei ja nach außen bin vielleicht angenehm; aber die parlamentarische Taktik müsse dahin gehen, daß man den Standpunkt, den man einnebme, auch balten könne, wenn er We Mebhrkeit finde. Die zweijährige Dienstzeit sei die Grundlage der Rtzigen Vorlage. .

Äbg. Richter: Ter Vorredner und seine Freunde wollen die Verstärkung der Präsenzstärke sogar in der Höhe der Vorlage, sie halten das Quinquennat für richtig, wäbrend wir für die einsãbrige Bewilligung find. Wir brauchen unsere Stellung zur zweija b rigen Dienftzest nicht der Stellungnabme jur Vorlage unter uerdnen Wir wollen die zweijährige Dienstzeit ebenfalls sichern; die Schwierigkeit ist durch diejenigen in. worden, welche die Halbbataillone zu Voll- batalllonen gemacht haben, wozu auch der Vorredner mit seinen Freunden gehörte.

Der Antrag Richter wird gegen die Stimmen der Sozial⸗ demokraten, der Deutschen und der Freisinnigen Volkspartei, der Elsässer und der Polen abgelehnt und die Vorlage im übrigen ohne Debatte angenommen. Die Resolutionen Lund II werden 232 Debatte angenommen. Von der Resolution III in der Fafsung des Anträges Lieber wird die Nr. 1 fast ein⸗ stimmig, die Nr. 2 gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, ber Deutschen und der Freisinnigen Volkspartei angenommen.

Die Schlußabstimmung über die Vorlage ergab die An⸗ nahme derselben mit 222 gegen 132 Stimmen. Für die Vor⸗ lage stimmten die Konservativen, die Reichspartei, die National⸗ liberalen, die Freisinnige Bereinigung, das Zentrum mit Ausnahme der Abgg. Ritter von Lama, Mayer (Lands⸗

hut, Moritz, Ranner, Werthmann, Witzlsperger, Wörle, Aigner und Baumann; die welfischen Hospitanten des Zentrums stimmten mit der Mehrheit des Zentrums für die Vorlage, während der Abg. , . von Schele⸗Wunstorf gegen dieselbe stimmte. Für die Vorlage stimmten außerdem die Abgg. Pauli (Potsdam), Dr. Böckel und Smalakys (b. k. F). Gegen die Vorlage stimmten die Sozialdemokraten, die Deutsche und die Freisinnige Volkspartei, die Elsässer, die Polen, die Deutsche Reformpartei, der Hospitant der Freisinnigen Vereinigun Riff und die Abgg. Eßlinger, Bachmeier und Sabin (b. k. F. und Köhler (Hosp. d. Reformp.).

Schluß Gi / Uhr. Nächste Sitzung Sonnabend 1 Uhr. (Rest des Etats; Etatsgesetz; Anleihegesetz 2c.)

Preusßzischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 45. Sitzung vom 16. März 1899.

Das Haus setzt die zweite Berathung des Stats des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten fort.

Ueber den ersten Theil der Debatte ist schon berichtet worden.

Bei den Ausgaben für die Königliche Bibliothek in Berlin empfieht

Abg. Dr Friedberg (al) einen Neubau für die Königliche Bibliotkek. Dat alte Gebäude der Bibliothek könne als Ein. und Ablieferungsstätte der Bücher erhalten bleiben. Die Bibliothek als städtische Bibliothek mitten in der Stadt zu erhalten, sei nicht möglich. Habe die Stadt Berlin das Bedürfniß, eine Volksbibliothet zu schaffen, so habe sie Geld genug, um sie gründen zu können. Die Gebäude am Molkenmarkt würden sich sehr dazu eignen.

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten D. Dr. Bosse:

Wenn die Antwort, die wir in der Budgetkommission gegeben baben, wie Herr Dr. Friedberg sagte, etwas allgemein ausgefallen ist, so liegt das an dem Stadium der Unentschiedenheit, in dem sich die Frage noch befindet.

Es handelt sich bei der Bibliotbeksfrage in Berlin darum, einen geeigneten Bauplaz ju finden. Nach dieser Richtung hin ist die Frage nun schon seit Jabren und seit Jahrzehnten in Fluß, und es ift allerdings Zeit, daß sie endlich einmal zu Ende kommt, denn die Noth auf diesem Gebiete wird immer größer.

Nun ist es richtig, daß seit langer Zeit ein Projekt bestanden hat, wonach das Akademieviertel als der künftige Bauplatz für die Bibliotbek bezeichnet wurde. Von dem Terrain zwischen den Linden und der Dorotheenstraße mit der westlichen Begrenzung durch die Charlottenstraße, auf welchen sich jetzt die beiden Akademien der Känste und der Wissenschaften sowie eine Reihe von Meister Ateliers befinden, sollte ein Drittel für die beiden Akademien einschließlich eines dringend nöthigen permanenten Kunstsalons und die andern zwei Drittel für die Bibliothek bestimmt werden. Gegen dieses Projekt sind nun sehr erhebliche Bedenken erhoben, und zwar namentlich nach der Richtung hin, daß die Bibliothek auf ein kolossal theures und werthvolles Terrain käme, und daß eine künftige Erweiterung absolut ausgeschlossen sei. (Sehr richtig) Das ist zudem zweifelloß, kommt die

Bibliothek auf dieses Terrain, so muß auch die Architektur eine der Lage dieses Gebäudes entsprechende sein, und so berechtigt ich die künstlerischen Anforderungen an die Architektur an und für sich halte, so kann man sich doch nicht dagegen verschließen: bei einem großen Bibliotbeksgebäude kommt in erster Linie in Betracht, daß man einen großen Magazinbau hinstellt, in dem man möglichst viel Bücher unterbringen kann (sehr richtig h, womöglich aber einen Bau, der entwickelungsfähig ist, einen Platz, auf dem man auch noch weitere Anbauten machen kann, wenn die Bibliothek sich ausdehnt. Das ist nun auf dem Alademieviertel ausgeschlossen. Steht da einmal die Bibliotbek, dann ist an eine weitere Ausdehnung nicht zu denken, denn da giebt es kein Terrain, auf dem man sich weiter aus⸗ debnen könnte. Das ist der Haupteinwand, den man gegen das Akademieviertel gemacht bat.

Nun bat man sich gefragt: wo soll die Bibliothek hin? und es ist dabei ein an sich überaus geeigneter Platz unmittelbar am Bahnhof Zoologischer Garten, der schon fiskalisch ist, in erster Linie in Frage gekommen. Darin muß ich dem Abg. Dr. Friedberg vollkommen bei⸗ pflichten, daß in vielen Richtungen die Bibliothek dort an der Peripherie es ist nicht einmal die äußerste Peripherie von Berlin sehr viel besser aufgeboben sein würde als im Zentrum der Stadt. Aber allerdings eine Voraussetzung muß erfüllt sein, wenn dieser Plan eder ein äbnlicher zur Ausführung kommen soll: wir können das Zentrum der Stadt Berlin nicht ganz von einer größeren Bibliotbek entblößen. Und da sind zwei Aushilfen ins Auge zu fassen. Leider baben wir jetzt, wie hier schon vorhin ausgeführt wurde, in Berlin keine wirklich große Stadtbibliothek, wie sie nament- lich wobl in das Zentrum gehören würde. (Sehr richtig) Ich lasse es dabingestellt, ob die Stadt Berlin geneigt sein wird, diesem Mangel aus ihren Mitteln abzuhelfen. Ich halte es nicht für aut— geschlossen, daß dafür Interesse in den städtischen Kreisen von Berlin zu wecken wäre.

Es giebt aber noch eine zweite Hilfe am besten wäre es, wenn beide Hilfen einträten —, das ist die, daß man unsere jetzige Uni⸗ versitäts. Bibliothek in das Lokal der jetzigen großen Königlichen Bibliothek, die sogenannte Kommode am Opernhausplatz, verlegte. Die Universitäts-Bibliothek ist in ihrem jetzigen Lokal ohnehin nicht weiter zu halten. Das Lokal ist völlig unzureichend. Wenn diese dorthin verlegt und angemessen ausgestaltet würde, dann hätten wir eine größere wissenschaftliche Bibliothek im Zentrum unmittelbar an der Universität an derselben Stelle, wo jetzt die Königliche Bibliothek ist. Ich glaube, daß da alle wissenschaftlichen Bedürfnisse befriedigt werden können, namentlich dann, wenn auch die Stadt Berlin sich entschlösse, eine große städtische Bibliothek ebenfalls im Zentrum der Stadt zu etablieren.

Ob man dann auch noch zu dem dritten Auskunftsmittel käme, das der Abg. Dr. Friedberg empfohlen hat, und das ich an und für sich garnicht ablehnen würde, das lasse ick dahingestellt sein. Ich glaube, wenn die Universitäts Bibliothek in dem Lokal der jetzigen Königlichen Bibliothek organisiert und auf den richtigen Stand ge— bracht ist, und wenn da alle Maßnahmen für eine dem Publikum bequeme Ausgabe und Rücklieferung und Benutzung der Bücher ge⸗ troffen werden, dann wird es einer besonderen dritten Ausgabestelle von Büchern nicht bedürfen.

Aber, melne Herren, das sind alles eurae posteriores. Es ist

er , ,,,