die gegen die Vorlage geltend gemacht find. Sie werden es ent⸗ schuldigen, wenn ich vielleicht auch einmal Gedanken streife, die schon von meinen beiden Herren Kollegen, dem Herrn Vije⸗Präsidenten des Staats⸗Ministeriums und dem Herrn Arbeits⸗Minister, eingebend besprochen worden sind. Ein Bedenken gipfelt in der Verschiebung der Verkehrsverhältnisse und in den Kompensationen. Am klarsten wird man über solche Ver⸗ hältnisse, wenn man an bekannte Oertlichkeiten und bekannte Ver⸗ hältnisse anschließt. Meine Herren, als vor wenigen Jahren — es mag 12 bis 15 Jahre her sein — die Reitschule in Hannover von dem westlichen Ende der Stadt nach dem östlichen an die Peripherie verlegt wurde, hat eine außerordentliche Schädigung vieler Haus—⸗ besitzer stattgefunden, die als Zimmervermiether, als In⸗ haber von Gasthäusern und Stallungen bis dahin von der Reitschule ein ausreichendes Einkommen gehabt hatten. Meine Herren, kein Mensch hat damals daran gedacht, obwobl Klagen hervor- getreten sind, daß auch nur ein Billigkeitsanspruch, geschweige denn ein Rechtsanspruch auf Schadloshaltung derjenigen, die durch diese Verschiebung empfindlich und zwar nachweislich geschädigt waren, an⸗ zuerkennen sei. ̃ Im Herbst dieses Jahres, wo in Hannover die Eröffnung der neuen Veterinäranstalt in Frage kommt, die ebenfalls von einem Ende der Stadt nach dem andern verschoben wird, werden dieselben Er⸗ scheinungen zu Tage treten, vielleicht wird das noch eingreifendere Folgen haben, weil die vielen Hunderte von Schülern, Lehrern u. s. w. alle aus dem bisberigen Stadttheil nach dem andern ziehen. Meine Herren, weder einen Rechts,, noch einen Billigkeitsanspruch der Geschädigten kann man zugestehen. Die Leute müssen das tragen. Meine Herren, jede neue Straße, jede neue Tertlär⸗ oder Sekundärbahn hat eine gewisse Verschiebung der wirthschaftlichen Verhältnisse zur Folge, desgleichen jede größere Tarif- änderung. Wollen Sie das Prinzip aufstellen, daß die, welche dadurch getroffen werden, nun einen Anspruch — das ist der Ausdruck, der hier von dem Herrn Abg. Gothein vielfach gebraucht worden ist, — auf eine Entschädigung haben? Wohin würde das führen, meine Herren! Das ist undurchführbar. In den Fällen, die ich erwähnt habe, hat man nicht einmal einen Billigkeitsanspruch gelten lassen. Gleichwohl, meine Herren, gehe ich in dem vorliegenden Fall weiter. Ich übersehe es nicht, dech balte ich es für denkbar, daß durch die Herstellung des Mittellandkanals vielleicht in Sachsen, aber wesentlich nur für die Braunkohlen, viel⸗ leicht auch in Schlesien, nach 15 Jahren — denn die Verschiebung wird vor Ablauf von 5. Jahren nach Vollendung des Kanals sich nicht vollziehen — eine benachtheiligende Berschiebung eintreten wird. Ich erkenne an, daß in solchem Falle ein Billigkeitsanspruch, nicht ein Rechtsanspruch geltend gemacht werden kann und daß dann ge— eignete Maßregeln zur Beseitigung der Nachtheile vom Staat er⸗ griffen werden müssen. Aber im gegenwärtigen Augenblick, wo noch nicht zu übersehen ist, ob die Behauptungen an sich richtig sind und in welchem Umfange die Verschiebung eintritt — kann eine For⸗ derung oder eine Bewilligung bestimmter Kompensationen noch nicht in Betracht kommen. Es ist doch zu beachten, daß unsere gegen⸗ wärtigen Produktions und Konsumtionsverhältnisse außerordentlich wandelbarer Natur sind. Ich könnte mir denken, daß möglicherweise durch Verschiebung der Grenze zufolge des Abschlusses eines Landelsvertrages oder jufolge Begründung eines Zollvereins mit Oesterreich oder Ungarn das Absatzgebiet Schlesiens innerhalb dieser fünfzehn Jahre gegen jetzt sich vollständig verschoben hat. Ich will ferner darauf hin⸗ weisen, daß vollständige Veränderungen in der Produktion eintreten könnea, daß vielleicht die Kohle garnicht mehr so gesucht wird, weil andere Surrozate dafür gefunden sind, — kurz, es liegen völlig un—⸗ übersichtliche Verhältnisse vor. Dennoch wollen Sie — und ich will es auf einen Billigkeitsanspruch beschränken — einen Billigkeits⸗ anspruch, der sofort liquidiert werden soll, geltend machen? Sie würden die Unterlagen dafür nicht schaffen können. Aber darüber können Sie sich trösten, und gerade die Herren aus dem Osten können sich darüber beruhigen: die gegenwärtige und jede spätere Staatg—⸗ regierung wird stets das größte Gewicht darauf legen müssen, daß die östlichen Landestheile, die der Staatshilfe viel mehr bedürfen als die westlichen, in ihren Erwerbs⸗ und sonstigen Verhältnissen nicht geschädigt werden. Das hat bisher die Staatsregierung gethan und wird das auch ferner thun.
Meine Herren, ich komme dann auf einen Punkt, den ich vorhin schon erwähnt habe, daß man bemüht sein müsse, die Produktionskosten zu mindern. Ich habe dabei auf den Schwerpunkt, der in der Güter bewegung liegt, aufmerksam gemacht und habe daraus den nach meiner Meinung unumstößlichen Satz hergeleitet, daß jede Verbilligung des Verkehrs den am Kanal Betheiligten außerordentlich zu gut- kommt.
Meine Herren, es ist bei den bisherigen Verhandlungen oft gesagt worden: wem nutzt ein solcher Kanal! Da haben nur die Adjazenten Vortheil, alles, was weiter liegt, nicht! Das ist nach meiner be⸗ scheidenen Auffassung eine durchaus falsche Voraussetzung. Jede große Verkehrgader — sowohl Eisenbahnen wie Kanäle — be⸗ dingen, daß, wenn sie ihre volle Wirkung ausüben sollen, durch Herstellung von Kleinbahnen und sonstigen Verbindungemitteln, wie Kunststraßen 2c, weitere Gebiete mit ihnen in Verbindung ge⸗ bracht werden. Nur dadurch, daß solche Verbindungen ausgeführt werden, bietet sich Aussicht, wirklich den vollen Nutzen der großen Verkehrsader dienstbar zu machen, und falsch ist nach meiner Meinung die Befürchtung, daß, wenn der Kanal gebaut würde, dadurch der Bau neuer Tertiär und Sekundärbahnen vermindert werden könnte. Im Gegentheil, ich glaube, daß Kleinbahnen erst recht vermehrt werden müssen, und zwar auch unter Mitwirkung der Staatsregierung, damit die große Verkehrsader des Rhein ⸗Elbe⸗Kanals wirklich nicht nur für die nächsten, sondern für weitere Kreise nutzbar gemacht wird. Meine Herren, sehen Sie sich doch mal das Zufuhrgebiet der Wasser⸗ straßen in und um Berlin an: ist denn da lediglich das Gebiet, das unmittelbar in der Nähe der Wasserstraße liegt, an ihrer Ausnutzung be⸗ theiligt? Auf den weitesten Entfernungen wird durch Kunstbahnen, Tertiär⸗ bahnen u. s. w. die Zufuhr nach den Wasserverkehrsadern hingebracht. Ich erinnere beispielsweise an die meiner Verwaltung unterftehende Schorfhalde, in welcher, wenn ich nicht irre, fast 60 km Gleise an gelegt worden sind, um ihre Produkte an die Wasserstraße zu bringen.
Also den Gedanken, daß die Anlage einer Wasserstraße nur der nächsten Umgebung zu gute kommen wird, halte ich nicht für richtig. Zahlreiche direkte Vortheile, nicht nur des Verkehrs, sind in der Be— gründung der Vorlage und auch hier von verschiedenen Rednern im
sie unter das Expropriationsgesetz und müssen im vollen Umfange ent⸗ schädigt werden. Die Vortheile aber liegen, wie ich schon berührt habe, nicht allein
u. s. w. fahren, Folgendes zu beachten: trotz der hohen Eisenbahn⸗ frachten erweist es sich jetzt schon als vortheilhaft, den gering— werthigen Einschlag aus den Staatsforsten und Privatforsten nach dem Westen zu bringen, um den Bedarf an Grubenhölzern zu decken; und wenn wir sehr hohe Holzfeuerungspreise gehabt haben, so ist das darauf zurückzuführen, daß die Nutzhsljausbeute in den Königlichen und auch in den Privatforsten eine größere ist, demgemäß die Aus⸗ beute an Brandholz sich verringert und dadurch die Preise steigen. Es liegen der landwirthschaftlichen Verwaltung aus den östlichen Landet⸗ theilen, namentlich aus Gumbinnen, sogar schon Klagen aus den Kreisen der Betheiligten vor über die viel zu hohen Brennholzpreise. Ich kann Ihnen bestimmt sagen: gelingt es, die außswärtige Produktion an geringwerthigen Hölzern und auch an besseren Nutzhölzern, die jetzt in großem Umfange nach dem Westen geht, durch unsere eigene Pro— duktion vom einheimischen Markte zu verdrängen und selbst den Be⸗ darf zu decken, so hat der Staatsfiskus direkt einen sehr großen finanziellen Nutzen von dem Rein ⸗Elbe⸗Kanal, ebenso auch die Privatforstbesitzer. In gleicher Weise verhält es sich mit dem direkten Nutzen der Land⸗ wirthschaft im Osten. Der Herr Vize⸗Präsident des Staats. Mini⸗ steriums hat ja schon eingehend darauf hingewiesen, wie viele Massen⸗ artikel, wie Kunstdünger u. s. w., die Landwirthschaft nothwendig hat, um zu intensivem Betrieb überzugehen. Zahlreiche Beschwerden werden erhoben darüber, daß trotz des billigen Kunstdüngertarifs die Transportkosten für Mineraldünger noch zu hoch sind. Ich habe z. B. in Trakehnen feststellen können, daß Kalk, Kainit und Thomasschlacke dort ungefähr noch einmal so theuer zu stehen kommen als bei mir zu Hause, in der Nähe der Produktionsstätten. Aber auch der Absatz von Massenprodukten kommt in Frage, nicht bloß von Holz, sondern auch von Getreide, Kartoffeln, Obst u. s. w., an denen die Landwirthe im Osten einen großen Ueberschuß haben, den sie nicht in eigenem Betriebe, Brennereien u. s. w. vortheilhaft verwenden können. Das sind Produkte, die durch die östlichen Kanäle ein günstiges Absatzgebiet im Westen finden; direkt wird die Landwirthschaft dadurch großen Nutzen erzielen.
Ich möchte noch auf einen Punkt hinweisen, der, wenn ich mich recht entsinne, auch seitens des Herrn Vize⸗Präsidenten des Staats- Ministeriums hervorgehoben ist. Meine Herren, wieviel schlummernde Schätze hat nicht der Grundbesitz an Kohlen, an Kalk, Mergel, Erz, an Steinen, an Zementmaterial, an Schlick u. s. w., dDiese Schätze sind als Massenartikel auf billigen Wassertransport angewiesen, wenn sie überall verwerthbar werden sollen. Meine Herren, diese unglaublich großen Schätze werden erst gehoben durch die Herstellung der Wasserstraßen. Was dem Grundbesitz zu gute kommt, kommt indirekt auch der Landwirthschaft zu gute.
Ich erinnere mich noch lebhaft eines Vorganges aus meiner früheren Thätigkeit in der Provinz Hannover. Im Jahre 1864 sollte eine Staatsbahn von Hannover nach Altenbeken gebaut werden. Sie durchquerte den Deister. Staatsregierung sowohl wie die Betheilig⸗ ten waren nicht darüber im Zweifel, daß der Bahnbau dem Kohlen betriebe des Deisters voraussichtlich sebr schaden werde, weil die Rubr⸗ kohle der schlechteren Deisterkohle das Absatzgebiet nehmen werde. Schließlich nahm man aber an, daß die Bahn schon ihrer sonstigen wirthschaftlichen Vortheile wegen zu bauen sei. Was ist eingetreten? Das Gegentheil jenes befürchteten Nachtheilg; denn das Absatzgebiet der Deisterkohle hat sich erheblich erweitert. Außerdem sind dort reiche Schätze des Grund und Bodens, die bisher nicht hebungsfäbig waren, im großen Umfange zur Hebung gelangt. Große Kalkindustrien, große Steinbruchindustrien sind ent ⸗ standen. Hier in Berlin wird zum großen Theil mit den Steinen gebaut, die dort durch die Erschließung gefördert werden. Falsch ist es daher auch, schon jetzt sagen zu wollen, wie die Verhältnisse nach 15 Jahren zufolge Herstellung des Rhein ⸗Elbe⸗Kanals sein werden. Dabei ist zu beachten, daß die Wirkung einer Eisenbahn sofort ein⸗ tritt, während die Einwirkung eines Kanals sowohl vortheilhafter wie nachtheiliger Art sich erst allmählich geltend zu machen pflegt.
Auf einen Gesichtspunkt möchte ich noch aufmerksam machen. Wir haben uns seit langen Jahren im wesentlichen darauf. beschrãnkt, den internationalen Verkehr durch den Ausbau der natürlichen Wasser⸗ straßen von Norden nach Süden zu begünstigen. Manche Klage ist darüber laut geworden, namentlich aus dem Gebiete der Landwirthschaft, daß diese Einbruchestellen im hehen Maße bedenklich seien. — Ich tadle nicht, daß man die natürlichen Wasserstraßen für den Verkehr ausbaute, im Gegentheil, es war das nothwendig, wenn Deutschland ein großes einheitliches wirihschaftliches Gebiet werden, wenn speziell Preußen auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sein und bleiben sollte, daß man die natürlichen Wasserstraßen ausbaute. Zugleich müssen aber die Ge⸗ fahren, die darin liegen, bekämpft werden. Dies kann nicht dadurch geschehen, daß man eine Kette vor diese Wasserstraßen zieht, sondern man muß suchen, die Benutzung der Wasserstraßen zu be⸗ herrschen, einmal durch Schutziölle und andererseits durch Tarife. Wenn aber das Privatkapital diese große Verkehrsader baut, dann be⸗ herrscht dieses im wesentlichen auch die Tariffrage auf der Wasser⸗ straße. Daher, wenn die Wasserstraße gebaut werden soll, dann muß sie vom Staat gebaut werden, damit dadurch die Gestaltung der Tariffragen aus der Schutzjollpolitik in einer Hand liegt.
Es handelt sich hier nicht um eine internationale, sondern um eine nationale Verkehrestraße, auf der der Staat die volle Ent⸗ wickelung nur ausbilden und erhalten wird, wenn sie als Staats« verkehrsstraße gebaut wird; er darf sie gerade im Interesse der Land⸗ wirthschaft und der gesammten Produktion nicht in andere Hände geben. Meine Herren, noch ein Gesichtwpunkt, der bisher in der Ver handlung klar noch nicht in den Vordergrund getreten ist. Vergegen⸗ wärtigen Sie sich, meine Herren, daß Industrie und Landwirthschaft darin übereinstimmen, daß beide inländische Produktion schützen wollen, soweit das nothwendig ist, sowohl durch die Tarifirung auf den Eisenbahnen und auf den Wasserstraßen, soweit dazu der Staat, ohne internatio⸗ nale Verträge zu verletzen, im stande ist, als auch direkt durch Schutz⸗ zölle. Meine Herren, ein solcher Schutz ist mit Erfolg für die innere wirthschastliche Entwickelung nur durchzjusetzen, wenn innerhalb dieses zu schützenden Gebietes eine vollständige Entfaltung der wirthschaftlichen Kräfte eintreten kann, damit die innere Produktion sowohl der Industrie,
weitesten Maße hervorgeheber. Soweit dir kte Nachtheile entstehen, fallen
bei der Landwirthschaft des Westeng, sondern jweifellos auch bei der Landwirihschaft des Ostens. In der Beziehung möchte ich die Herren mal bitten, die von hier nach dem Osten, nach Posen, Königsberg
fähigkeit sich entwickeln kaun. Daz ist der Zweck, aber auch die Vor⸗ aussetzung des Zollschutzel! Wollen Sie eine vernünftige und gemäßigte Schutzzollpolitik, und zwar im Interesse unserer heimischen Industrie und unserer heimischen Landwirtbschaft, dann ist das Surrogat dafür, daß man im inneren Verkehrsgebiet, im inneren wirthschaftlichen Gebiet die freie, vollständige Entfaltung der wirthschaftlichen Kräfte sowohl auf dem Gebiet der Verkehrspolitik wie der Produktion ermöglicht.
Herr Graf Kanitz setzte in seinen Darlegungen auseinander: ju neuen Handelsverträgen würden wir schwerlich kommen, denn Oefter⸗ reich, mit dem wir damals zuerst einen Vertrag abgeschlossen haben, habe nicht die Vortheile erlangt, die es erhofft habe; es werde keine Veranlassung haben, neue Handelt verträge zu wünschen. Meine Herren, angenommen, daß wir neue Handelsvperträge nicht bekommen, die Hauptschädigung, die in der Meistbegünstigung lag, mit den Handelsverträgen wegfällt, dann ergiebt sich die Folgerung, die freilich Herr Graf Kanitz nicht gezogen hat, daß wir autonome Tarife be⸗ stimmen und von Fall zu Fall mit dem Auslande darüber verhandeln, welche günstigen Bedingungen mit einzelnen Staaten von Fall zu Fall zu vereinbaren sind. Dabei können unter Umständen Zollkriege entstehen. Sollte diese Perspektive zutreffend sein — ich will sie nicht bestreiten; ich halte den Standpunkt, von dem der Herr Graf Kanitz ausgegangen ist, zum theil nicht für unbegründet —, dann ist es aber dringend nothwendig, daß die produktiven Stände im Innern Hand in Hand gehen, daß nicht im Innern künst⸗ liche Gegensätze zwischen den produktiven Ständen ausgebildet werden. Wenn wir uns in solchen Kämpfen dem Auslande gegenüber befinden und im Innern wirthschaftlich nicht einig sind, dann würde vielleicht das Wort zutreffen: divide et impera! Dann würden wir nach meiner persönlichen Auffassung sehr schlecht fahren.
Meine Herren, ich babe schon die Nothwendigkeit dargelegt, daß der Osten und der Westen, wie es schon seit 150 Jahren der Zweck und Wille der Staatsregierung und ihrer Führer gewesen ift, mit einander eng verbunden werden, daß keine Gegensätze zwischen den produktiven Ständen bestehen, und daß, soweit sie bestehen, diese Gegensätze ausgeglichen und beseitigt werden. Wenn jetzt die Landwirthschaft in der Meinung, den agraren Interessen nütze der Kanal nichts, er diene nur einseltigem Interesse, der Industrie im Westen, welcher die Eisenbahnverkehrslinien nicht mehr genügen, die Kanalvorlage ablehnt, dann einigen Sie nicht, melne Herren, dann führt das zu einem Gegensatz zwischen Osten und Westen. Wle im Norddeutschen Bunde eine Mainlinie bestand, die Nord und Süd trennte, so könnte möglicherweise durch die Ablehnung einer den wirthschaftlichen Bedürfnissen des Westens entsprechenden Forderung eine Verstimmung eintreten zwischen den Anschauungen des Ostens und des Westens. Das will die Vorlage der Staatsregierung verhüten. Meine Herren, der Westen ist potent genug, allenfalls selbst den Kanal zu bauen; er ist in seiner Entwickelung weit vorgeschritten sowohl kulturell, wie wirthschaftlich; er könnte vielleicht auf eigenen Füßen stehen. Aber der Osten bedarf nach den verschiedensten Richtungen der Staatshilfe. Und Staats⸗ hilfe, meine Herren, kann die Staatsregierung nur gewähren, wenn die produktiven Stände in dieser Frage einig sind und sich nicht durch unberechtigte Gegensätze gegenseitig den Wind aus den Segeln nehmen.
Meine Herren, diese allgemeine Darlegung giebt mir noch Vers anlassung, auf eine Aeußerung einzugehen, die Herr Gothein gemacht hat. Herr Gothein sagte, die schlesische Industrie leide jetzt schon unter dem Abzug der östlichen Arbeiter nach dem Westen, die Arbeiter⸗ bevölkerung des Ostens habe einen unglücklichen Zug nach dem Westen hin, die Landwirthschaft leide darunter, und wenn die Produktion des Westens gesteigert werde, werde der Osten noch mehr entvölkert. Die Thatsache ist richtig; aber sie ist beschränkt auf die flultuierende Bevölkerung, sie gilt nicht für die ansässige Bevölkerung. Die Staats⸗ regierung ist aber gerade bemüht, die ansässige Bevölkerung des Ostens zu vermehren durch die Ansiedelungsgesetzgebung, durch die Renten⸗ gůtergesetzßebung. Daß die fluktuierende Arbeiterbevölkerung hin und wieder von Osten nach Westen abgezogen wird, das hat nicht allein in dem Umfange der Produkiion seinen Grund, vielmehr in den Lohnverhältnissen, in den allgemeinen sozialen Verhältnissen, in der Entwickelung der Städte. Wie diese Strömung plötzlich aufgetreten ist, wird sie wahrscheinlich auch allmählich wieder abnehmen.
Vergegenwärtigen Sie sich doch die Geschichte des preußischen Staats und dasjenige, was die preußischen Könige und die preußische Staatsregierung seit Hunderten von Jahren gethan haben. Erst hat die preußische Monarchie den Osten durch den Orden erobert und mit ihrem Blut getränkt. Bei den Ordensrittern waren sowohl Vertreter des Westens, wie des Ostens; wer überhaupt damals kampffähig war, schaarte sich unter den Fahnen des Ordens und der preußischen Könige. Für die Kolonisationepolitit Friedrich's des Großen hat zum großen Theil der Westen die Menschen und das Kapital geliefert. Sie finden in Osspreußen noch heute alle Stämme des Westens in den von Friedrich dem Großen angelegten Kolonien angesessen. Es wird schon im Westen darüber viel geklagt, daß durch das Vorgehen der Staatsregierung auf dem Gebiet der Ansiedelungs⸗ und Renten⸗ gutsgesetzgebung dem Westen zu viele tüchtige und kapitalkräftige Arbeitskräfte entzogen und im Osten ansässig gemacht werden. Es ist zwischen der fluktuierenden und seßhaften Bevölkerung zu unterscheiden. Es beweisen aber auch diese Vorgänge, wie unentbehrlich sür den Osten das alte Kulturland des Westens ist, das von Natur günstiger behandelt ist als der Osten, das eine tausendjährige Kultur hinter sich hat und durch die Geschicklichkeit und Weisheit der preußischen Könige zu der großen Blüthe der Gegenwart gelangt ist. (Rufe: Lauter)
Meine Herren, jurückgreifend habe ich noch, bevor ich zum Schlusse gelange, auf einige autoritative Gutachten über die Zweck⸗ mäßigkeit einer Wasserstraße zwischen Rhein und Elbe auch für die Landwirtbschaft hinzuweisen. (Rufe: Lauter.)
Die Verhandlungen, die beim Landes Dekonomie⸗Kollegium darüber im Jahre 1898 geführt worden sind, darf ich als bekannt voraussetzen. Das Kollegium hat einstimmig erklärt, daß jedenfalls keine Be—= denken für die Landwirthschaft beständen, wenn durch ent sprechende Schutzzoll. und Tarifpolltik eine nachtbeilige Kon⸗ kurrenz ausländischer Produkte ausgeschlofsen würde. Meine Herren, die Staatsregierung will bei der Erneuerung der Handelsverträge eine dementsprechende Schutzpolitik verfolgen. Außerdem hat aber
mit demselben Unternehmen beschäftigt und damals auf Antrag er bekannten landwirthschaftlichen Autorität, des Rittergutsbesitzers , von
wie der Landwirthschaft bis zur Höhe ihrer vollständigen Leistungs⸗
Nathusius⸗Hundigburg, einstimmig dahin beschlossen, daß ein Rhein⸗
sei. Landwirthschaftliche Vertreter der Provinz Sachsen, die anfangs
das Landes ⸗ Oekonomie ⸗Kollegium sich schon im Jahre 1865 ein nal
Glbe⸗Kanal für die Landwirthschaft als wünschenswerth zu erachten
der 60er Jahre über die Frage iu berichten aufgefordert wurden, haben damals ausdrücklich erklärt, wesentlich im Interesse der Land⸗ wirthschaft sei nicht allein der Ausbau der Kanallinie vom Rhein bis jur Elbe, sondern auch der Ausbau der von Süden nach Norden gehenden natũrlichen Wasserstraßen nothwendig.
Meine Herren, ohne verletzen zu wollen, glaube ich, daß der Be⸗ schluß des sächsischen Provinzial LSandtaget, womit er im vorigen Jahre die Garantie ablehnte, doch im wesentlichen auf den Standpunkt der Braunkohlenproduktion sich gestellt hat. Mir haben Vertreter aus der Provinz Sachsen gesagt, daß eine Rücksicht auf die Braunkohlen⸗ industrle die Landwirtbschaft nicht nehmen dürfe; denn nirgends sei die hochintensiv entwickelte Landwirthschaft so wesentlich betheiligt an dem Preis der Kohlen, wie in Sachsen. Wenn wirklich nun — was noch zu beftreiten ist — die Braunkohle durch den Kanal verbilligt werden würde, so könnte die Landwirthschaft aus diesem Gesichig⸗ punkte doch ein Bedenken gegen die Kanalvorlage nicht ableiten.
Vielmehr müßten sie aus diesem Gesichtspunkte, statt die Vor⸗ lage zu bekämpfen, sie befürworten.
Auch ein großer Theil der Deduktionen, die gestern Herr Stengel hier vorgetragen hat — dem ich übrigens nur zum theil habe folgen können —, beschaͤftigte sich mit der Frage der Braunkohlenindustrie und ihrer wahrscheinlichen Beeinträchtigung. Ich möchte nochmals wiederbolen, daß weder für Schlesien, noch für Sachsen, noch für das Saargebiet die Frage, ob und in welchem Maße die dortige Kohlen⸗ und Eisenindustrie, wie auch die sonstige Produktion durch den Rhein⸗ Elbe⸗Kanal geschädigt werden wird, sich noch in keiner Weise heute übersehen läßt.
Meine Herren, ich habe mir die Frage vorgelegt: worin ist wohl der Grund zu sehen, daß noch bis vor wenigen Jahren die ge⸗ sammten Vertreter der Landwirthschaft aus allen betheiligten Pro⸗ pinzen so energisch für diese Kanalvorlage und für die Verbesserung der Wasserstraßen überhaupt eingetreten sind, während sie jetzt einen so ent⸗ schiedenen Widerstand leisten? Der Grund für diese Aenderung der An⸗ sichten wird nur in der großen Depression zu suchen sein, in der sich augen⸗ blicklich die Landwirthschaft befindet. Aber Sie wollen sich auch vergegen⸗ wärtigen, daß diese Depression wesentlich durch die bestehenden Handels⸗ verträge und die dadurch begünstigte Einfuhr ausländischer Produkte auf den beimischen Markt verursacht worden ist. Diese Handels⸗ verträge laufen aber im Jahre 1904 ab, während der Kanal erst im Jahre 1910 dem Betriebe übergeben werden soll. Bei dem festen Entschluß der Staatsregierung, bei den Verhandlungen wegen neuer Handelsverträge das Interesse der heimischen Landwirthschaft thunlichst zur Geltung zu bringen, kann daher die Ursache der bestehenden De⸗ pression nicht bei der Beurtheilung der gegenwärtigen Vorlage von Bedeutung sein. Vielmehr ist zu erwarten, daß, wenn Industrie und Landwirthschaft für diesen Kanal jetzt eintreten, beide großen Interessen⸗ gruppen auch im Reichstage bei der Beschlußfassung über etwaige neue Handelsverträge einhellig und im Einverständniß mit der Staats regierung für die Landwirthschast eintreten werden.
Meine Herren, wenn ich mich nun noch mit wenigen Worten mit der Geschichte Preußens befasse, so möchte ich darauf hinweisen, daß keine Regierung eines deutschen Staats mit so viel Tenazität, Geschick
und Folgerichtigkeit seine politischen, wirthschaftlichen und strategischen
Ziele verfolgt hat, wie der preußische Staat. Ich erinnere in dieser Beztehung an die Gründung des Zollvereins im Deutschen Reich, der wesentlich aus der Initiative der preußischen Staatsverwaltung bervorgegangen ist, der als Vorläufer und Eckstein diente für die Errichtung eines einigen Deutschlands, ich erinnere an die Erbauung des großen Kanalnetzes im Osten, an die Entwickelung der Industrie im Westen, an die geschickte Förde⸗ rung aller landwirthschaftlichen und industriellen Unternehmungen, an die Erbauung des Nord. Ostsee Kanals. Alle diese Erfolge sind da—⸗ durch erreicht, daß eine einmal als nothwendig erkannte Maßregel nicht fallen gelassen wurde. So sind große Projekte, die an sich gesund waren, die schon 100 Jahre alt und älter waren, immer wieder auf⸗ getaucht und schließlich in den Zeiten, in denen die Frucht reif war, aufgenommen und ausgeführt worden. Und so ist es auch mit dieser Vorlage gegangen. Die Staatsregierung hält den gegenwärtigen Moment für geeignet zur Ausführung. Sie will dasselbe Ziel, welches der ursprüngliche Plan verfolgte, sie will eine politisch und wirthschaftlich engere Verbindung zwischen dem Osten und dem Westen, zwischen den östlichen und den westlichen Wasserstraßen durch den Mittelland kanal weiterführen.
Die Gesammtinteressen des Staats kommen dabei in Frage, und darum dürfen nicht partikulare oder lokale Interessen es sein, aus denen der Kanal bekämpft wird. Die von Ibnen niedergesetzte Kom mission wird zu prüfen haben, ob es zweckmäßig und nothwendig ist, im gegenwärtigen Moment die Sache zur Ausführung zu bringen, ob das Ziel, das man dabei im Auge hat, jweckmäßig und der anzuwen— denden Arbeit, Mühe und Kosten werth ist.
Meine Herren, auch ich bin in früheren Jahren lange mit mir darüber, über meine Stellung zu dem Mittellandkanal zu Rathe ge⸗ gangen. Ich bin skeptisch bis zum äußersten Grade an die Kanal⸗ frage herangetreten. Nach reiflicher und wiederholter Erwägung halte ich den Mittellandkanal für politisch und wirthschaftlich absolut noth⸗ wendig, wenn man dem Osten und Westen die erforderliche Ver⸗ bindung geben, wenn man den wirthschaftlichen Gesammtinteressen des preußischen Staatg vollauf genügen wlll.
Ich will noch dabei die Bedenken streifen, die aus dem Kanal Dortmund =Emshäfen bei der Debatte vielfach hergeleitet worden sind. Ich habe dieses Unternebmen persönlich immer nicht für gerecht fertigt gehalten und bedauert, daß es hergestellt worden ist. Ich habe auch jetzt noch die Befürchtung, daß dieser Kanal nicht das gewähren wird, was er gewähren soll, und zwar aus einer größeren Zahl von Gründen. Aber, meine Herren, daß man aus dem noch nicht einmal dem Betrieb übergebenen Kanal Dedultionen gegen die gegenwärtige Vorlage herleiten will, das halte ich für unrichtig. Dafür fehlt der nöthige Boden. Die beiden Verkehrs straßen sind ganz verschledener Natur. Die eine nach dem Ems hafen hin schiebt sich jwischen die Konkurrenz der großen Emporien in Holland und Bremen und Hamburg ein. Es sollen dort konkurrenzfaͤhige Handels häͤuser erst geschaffen werden, Häfen gebaut, kurzum alles erst neu geschaffen werden. Dabel ist keine Mündung so gefährlich für die Schiffe an⸗ zusegeln, wie die Emsmündung. Der Landwirthschaft lann diese
aeseben davon, daß die Kanalisation der westlichen Moore damit in Verbindung gebracht wird.
Meine Herren, ich schließe hiermit. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß bei der Prüfung in der Kommission mögllchst objektiv ver⸗ fahren wird; dann bin ich der Ueberzeugung, daß auch die jetzigen Gegner der Kanalvorlage sich schließlich dafür entscheiden werden, wie ich fest überzeugt bin, im Gesammtinteresse und zum großen Segen unsers Vaterlandes. (Bravo!
Abg. Graf von Strachwitz (Zentr): Ich bin in der un⸗
angenehmen Lage, drel Reden halten zu müssen; eine gegen die Vor ⸗·
lage, eine gegen die allgemeinen polltischen und wirtbschaft·
lichen Gründe, die der Vlje Präsident des Staats ¶ Ninisterium
vorgebracht hat, und eine gegen den komprimierten Geist der Kanal⸗
freunde, der aus dem Muade des Landwirthschafts Ministers sprach.
Nach Berlin führen allerdings zahlreiche Wasserstraßen, auf
denen aber namentlich ausländische Produkte gejahren werden.
Daß das Prinatkapital den Kanal bauen würde, davor sind wir
ganz sicher. Das zeigt uns das Beispiel Englands; dort sind
bie Kanäle als Verkehrsmittel so ziemlich beseitigt. Das Gesammt⸗
interesse des ganzen Landes muß kerücksichtigt werden; es fragt sich
nur, wie? Wenn eine Verschiebung, wirtbschaftliche⸗ Berhältuisse
eintreten soll, so darf das nur geschehen, falls eine Nothwennigkeit
dazu vorliegt; aber man darf niemals den Osten gegen den Westen
aus spielen. Den Verkehr zwischen diesen belden Theilen wollen wir
nicht unterbinden. Die Reden der Minister, namentlich die
jenige des Finanz ⸗Ministers, machen es den Abgeordneten schwer,
einen ablehnenden Standpunkt zu vertreten. er Dortmund⸗ Em Kanal sollte nur das Ruhrgebiet mit der Nordsee ver⸗ binden; man bat damals nicht davon gesprochen, daß dieser Kanal nur ein Torso fein würde. Der Mittelland Kanal wird nur bewilligt werden, wenn nachgewiesen wird, daß die Gegner Unrecht haben, oder wenn Kompensationen gewährt werden. Im Lande ist der Widerspruch gegen die Vorlage ein sehr großer, nicht seitens ein zelner Interessenten, sondern seitens großer wirthschaftlicher Faktoren, von denen allerdings einige, welche Vortheile haben, sich für den Kanal erklärt haben. Ob es Überhaupt möglich ist, den Kanal in der geplanten Weise und mit den veranschlagten. Mitteln zu bauen, ob die Einnahmen und die Rentabilität richtig berechnet sind, will ich nicht erörtern. dDdah die gesetzliche Festsetzung der Tarife, wie in den „Berl. Pol. Nachrichten“ behauptet wird, ein Uebergriff in die Rechte der Krone sein würde, muß ich bestreiten; folche Einwendungen, die schen mehrfach gemacht worden sind, sollte man unterlassen. Wenn man Verkehrgerleichterungen schaffen will, dann soll man sie nicht auf den Kanal beschränken, Wo ein 50 m breiter Kanal Platz hat, da haben zahlreiche Schienengeleise Platz. Bie amerikanischen Eisenbahnen befördern viel größere Transport. mengen als die preußischen. Die Erfahrungen in England und in Frankreich baben gezeigt, daß Kanäle gut eingerichteten Eisen⸗ bahnen segenüber nicht konkurrieren können, daß sie höchstens den Zweck haben, den Privatbahnen . . einen Druck auf die Tarife auszuüben. Wenn man den Verkehr verbessern will, dann sollte man die Eisenbabnen reorganisieren, den Güter und Personenverkehr von einander trennen. Gegen die Tarifermäßigungen auf den Eisen⸗ bahnen macht man die zu erwartenden Einnahmeausfälle geltend, während man zu Gunsten des Kanals 53 Millionen von den Ein⸗ nahmen opfern will und wabrscheinlich, wenn der Kanal wirklich gebaut würde, noch mehr opfern müßte. Die Erörterungen über den Kanal im schlesischen Provinzialausschuß und in der Oppelner Handelskammer haben ergeben, daß durch die Schädigung, welche der Mittelland Kanal der schlefischen Industrie zufügen würde, auch die schlesische Landwirth⸗ schaft leiden müßte. Schlesien hat nur die Oder an schiff baren Flüssen, der Westen hat die großen natürlichen Wasserstraßen und Kanale und fehr viel mehr Eisenbahnen auf der gleichen Fläche, nämlich dreimal so viel wie Schlesten. Daß die Provinzen nicht gegen einander aufrechnen sollen, darin stimme ich mit dem Finanz. Minister überein; ich hoffe aber, daß er die Konsequenzen dieses Standpunkts auch bezüglich des Mittelland; Kanals ziehen wird, Zum Schluß möchte ich an das Haus die Aufforderung richten, mit der Regierung zu erwägen, wie dem wirthschaftlichen Aufschwung neue Wege geebnet werden können. Ich bin der Meinung, daß der Verkehr billiger und schneller werden muß.
Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:
Meine Herren! Dem Appell, mit dem Herr Graf Strachwitz seine Rede geschlossen hat, wird die Staatsregierung sehr gern nach⸗ kommen und sich an den Arbeiten der Kommission, wie ich das meinerseits schon zugesagt habe, mit allem Fleiß und aller Gründlich⸗ keit betheiligen und zu derselben alles das Material liefern, das die Kommission in die Lage setzt, sich ein gründliches und zutreffendes Urtheil über die vorliegenden Fragen zu bilden.
Es war gewiß sehr patriotisch von Herrn Grafen Strachwitz daß er sich eventuell bereit erklärt, So0 Millionen für militärische und Marinezwecke zu bewilligen; aber die Grundlage, auf der diese Be⸗ wllligung ausgesprochen werden sollte, war meines Erachtens etwas wenig solide, nach meinem Dafürhalten sogar ein Phantasiegebilde. Denn die Kanäle, die in dem Gesetzentwurf enthalten sind, kosten nicht 8o0 Millionen, sondern sie kosten nur 26 Millionen. Daß dies rollständig ausreicht, jeder sachverständigen Kritik gegen— über, das, glaube ich, können wir Ihnen beweisen. (Zuruf des Abg. Grafen Strachwitz: Die Kompensatlonen eingerechnet h — Die Kompensationen habe ich meinerseits nicht auf 800 minus 261 Millionen geschätzt. Ich habe zwar gestern gesagt, daß das Bouquet, welches Schlesien uns in Bezug auf Kompensationen ent⸗ gegenbringt, sehr kostbare Blumen enthielte; aber so theuer sind sie doch nicht, Herr Graf Strachwitz! Der Kanal kostet nicht mehr als 261 Millionen. Ich gebe ja zu, daß die Zweifel, die erhoben worden sind, eine gewlsse Berechtigung haben nach den Erfahrungen, die mit zem Dortmund ⸗Eme⸗Kanal gemacht worden sind, ich erlaube mir, darauf später nochmals zurückzukommen. Hier sind sie meines Erachtens nicht zutreffend, weil die Staatsregierung gerade auf Grund dieser Er⸗ fahrungen den Kostenanschlag so sorgfältig — und ich füge hinzu, so reichlich — aufgestellt hat, daß wir eine Ueberschreitung desselben nicht besorgen.
Meine Herren, der Herr Graf von Strachwitz hat eine ganze Reihe von Gründen ausgeführt, die gegen die Begründung der Vor lage gerichtet sind. Ich werde mir gestatten, nur auf einige dieser Punkte einzugehen, da Herr Graf Strachwitz mit vollem Recht betont hat, daß die meisten Fragen, die überhaupt ziffernmäßig sich ausdrücken lassen, jweckmäßlger in der Kommission erörtert werden, als hier bei der ersten Lesung im Plenum. Aber einzelne Sachen lassen sich doch, glaube ich, ganz kurz hier berühren, und Zweifel, die der Herr Abg. Graf Strachwitz geäußert hat, karz beseitigen.
Es ist von ihm gesagt worden, daß der Verkehr auf den Wasser⸗ straßen in und um Berlin herum ja ein ganz außerordentlich großer sei; aber trotzdem er ein so großer sei, sei eine Rente für diese Wasser⸗ straßen nicht vorhanden. Meine Herren, das ist nicht richtig. Ein großer Theil der künstlichen Wasserftraßen um Berlin berum — die natürlichen können ja selbstverständlich keine Rente bringen, weil keine Abgaben erhoben werden — bringt sogar eine recht hohe Rente; auch der
eine Reineinnahme von 20s9 — kurze Zeit, nachdem er eröffnet worden ist.
Gerade diese Erfahrung könnte die Herren beruhigen, daß unter so außerordentlich günstigen Verhältaissen, wie sie für den Rhein⸗ Elbe Kanal vorliegen würden, jedenfalls eine Rente, ein wachsender Reinertrag in noch viel kürzerer Zeit eintreten wird.
Nicht nur von Herrn Grafen Strachwitz, sondern von verschiedenen anderen Rednern, die hier gegen die Vorlage gesprochen haben — zum Beweise dafür, daß die Aera der Kanäle vorbei sei und man sich nur auf die Eisenbahn als Verkehrsmittel verlassen könne, sind die Ver⸗ hältnisse in England, Amerika und Frankreich zum Vergleiche herbei⸗ gejogen worden — behauptet worden, daß zunächst in England die Kanäle nicht den Verkehrsansprüchen genügt hätten, eine Rente nur ganz vereinzelt noch vorhanden sei, von den meisten Kanälen, soweit sie überhaupt noch betrieben würden, eine Rente nicht ge⸗ liefert würde. Meine Herren, das ist zum großen Theil richtig, aber man muß sich doch die Gründe vergegenwärtigen, welche dazu geführt haben. England ist kein Land, welches überhaupt für Kanäle günstig situiert ist. Die Kanäle können in England, wie es auch thatsächlich der Fall gewesen ist, immer nur eine verhältnißmäßig kurze Länge haben; sie können also die Wirkung niemals ausüben, wie Kanäle von der Länge, wie sie bei uns pro— jektiert sind. Die englischen Kanäle sind, einzelne Anlagen abgerechnet, meistentheils nur wenige Kilometer lang; von den 47 in der Eger'schen Denkschrift aufgeführten englischen Kanälen sind 39 unter 100 Rm und von diesen 26 unter 50 km lang, die längeren Kanäle überwiegend Seekanäle, und sie sind von Anfang an bezüglich ihrer Ab— messungen in Anbetracht der augenblicklichen Verhältnisse vollständig verfehlt angelegt; sie können, ganz vereinzelte Ausnahmen abgerechnet, nur Schiffe von 30 bis 50 t Tragfähigkeit befördern. Die höchste Tragfähigkeit ist überhaupt nur 150 bis 250 t, und das letztere ist, soviel ich weiß, nur bei einem einzigen Kanal der Fall.
Dann sind diese Kanäle von vornherein der übermächtigen Kon— kurrenz und der übermächtigen Kapitalkraft der Eisen bahnen preis⸗ gegeben, die einen großen Theil dieser Kanäle erworben haben, in der ausgesprochenen Absicht, sie nicht weiter zu betreiben, sondern sich nur diesen lästigen klelneren Konkurrenten vom Halse zu schaffen.
Ebenso liegen die Verbältnifse in Amerika. Es ist richtig, daß in Amerika eine ganze Reihe von Kanälen überhaupt zu Grunde ge— gangen ist. Ich will Ihnen gern dafür die nöthigen Zahlen bringen. Von den 1825 bis 1840 gebauten 7152 Km Schiffahrts⸗ kanälen der Vereinigten Staaten wurden 1880 3125 Em aufgegeben, so daß der Rest von ungefähr 4000 im Betrieb geblieben ist. Es ergab sich hier genau dieselbe Ucsache wie in England: einmal die übermächtige Kapitalkraft der Eisenbahnen, zweitens Lie ungünstige ursprüngliche Tracierung und die ungünstigen Abmessungen, die man diesen Kanälen gegeben hat. Sie waren eben für einen großen Transport nicht mehr geeignet.
Bei der Gelegenheit möchte ich Ibnen auch das Kehrbild zeigen. In Amerika ist nicht bloß ein großer Theil von Kanälen heutzutage nicht mehr im Betrieb, sondern ein noch viel größerer Theil von Eisenbahnen ist heute nicht mehr im Betrieb. (Hört, hört! links.) Am 30. Juni 1895 befanden sich in den Vereinigten Staaten 169 Bahnen im Konkurs, von denen bei 48 i. J. 1895/9 das Konkurs verfahren beendigt wurde, während 30 Bahnen 1896 neu in Konkurs verfielen. Die Länge der in Kon kurs befindlichen Bahnen betrug im Jahre 1894 65 310 km, 1895 60 600 km und 1896 48760 km.
Diese Zahlen waren offenbar dem Herrn Grafen Strachwitz nicht zur Hand, als er uns darauf aufmerksam machte, wie herrlich die Eisenbahnverhältnisse in Amerika wären, wie wir dahin zu streben hätten, uns diesen Eisenbahnverhältnissen möglichst zu nähern. Dies ist eine Illustration, die, glaube ich, auch Herrn Grafen Strachwitz davon überzeugen wird, daß im Eisenbahnverkehr in den Vereinigten Staaten nicht alles so rosig aussieht, wie er glaubt.
Ueberdies liegen eine ganze Reihe von Dingen dort in Amerika so, daß, wie ich glaube, niemand von Ihnen wünschen wird, daß wir diese Verhältnisse auf uns übertragen. (Hört! hört! links) Es ist im Laufe des ersten oder des zwelten Tages der Debatte — ich erinnere mich nicht ganz genau — von einem der Herren aus gesprochen worden, der Eisenbahn⸗Minister möchte doch einmal Kommissare nach Amerlka schicken, damit sie dort lernen könnten, wie man die Eisenbahn betriebe.
Meine Herren, einmal haben pir einen ständigen Kommissar dort, einen Techniker, der unserer Botschaft attachiert ist, der ein sehr offenes Auge hat und im ganzen Lande herumkommt. Ferner haben wir wiederholt in den letzten Jahren Kommissare nach Amerika geschickt, die sich die Eisenbahnverhältnisse ganz genau angesehen haben. Bei Gelegenheit der Chicagoer Weltausstellung sind eine stattliche Zahl von unseren Technikern in Amerika gewesen. (Hört! börtt link.) Ich habe neuerdings nach einer anderen Richtung hin wieder Auftrag gegeben, sich mit dem amerikanischen Eisenbahnbetrieb ver⸗ traut zu machen, wo wir vielleicht etwas fär unsere Verhãͤltnisse Passendes von den Amerikanern lernen können: im Maschinenbau.
Was nun Frankreich anbetrifft, so ist Frankreich ein Staat, auf den die Kanalgegner füglich nicht replizieren sollten, sondern nur die Kanalsreunde. Frankreich hat in großem Stile ein Kanalprogramm aufgestellt und durchgeführt, welches sich ganz unbestrittnermaßen als eine Wohlthat für das gesammte Land erwiesen hat. Meine Herren, das verhindert natürlicherweise nicht, daß es in Frankreich auch ebensogut wie bekanntlich in Preußen und selbst in diesem Hause Kanalgegner giebt, daß also Leute auch mal gegen den Kanal schreiben, wie der Mr. Richard oder andere Leute. Einzelne Zeugnisse können aber unmsglich maßgebend sein für die gesammte Stimmung des Landes. Die gesammte Stimmung des Landes, wie sie sich in der Landesvertretung ausdrückt und in den verschiedenen Körperschaften, die die Handels und Verkehrs verhältnisse zu beurtheilen haben, lautet ganz anders. Frankreich ist durch sein programmatisch gestaltetes Kanalsystem wirthschaflich in eine erbeblich bessere Lage gekommen; dazu muß man auch sagen, daß Frankreich, um dieses Programm auszuführen, von der Natur viel weniger begünstigt war, als wir das ohne Zwelfel sind. Von keinem der Herren ist bier auch ein Zweifel dabin ausgesprochen worden, daß der Kanal Rhein — Elbe unter den günstigsten technischen Bedingungen aus— geführt werden würde, die überhaupt in der Welt existieren.
Herr Graf Strachwitz hat gemeint, daß man bei der Be⸗ willigung des Dortmund ⸗ Ems ⸗ Kanals wohl gewußt kat,
Oder⸗Spree⸗Kanal, wenn Sie den mit zu diesen künstlichen Wasser⸗
Kanallinie auch meiner Ueberzeugung nach nicht wesentlich nutzen, ab⸗
straßen in und um Berlin herum rechnen wollen, bringt hente schon
daß man nur einen Torso schaffe, und nicht daran ge⸗ dacht, diesen Torso demnächst auszuführen. Ich babe mir
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