1899 / 92 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 19 Apr 1899 18:00:01 GMT) scan diff

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Dent scher Reichstag. 68. Sitzung vom 18. April 1899, 1 Uhr.

Die erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend

die Schlachtvieh⸗ und Fleischbeschau, wird fortgesetzt. Abg. Dr. Vielhaben (Reformp.): Die Rede des Herrn Lenz⸗ mann kann diejenigen nicht überraschen, welche wissen, ß ein ge⸗ wisser Herr Schwennbagen, der die „Fleischnoth‘ ⸗Artikel für die „Freisinnige Zeitung“ geliefert bat, der sich rühmt, im Solde der danischen 2. zu stehen, sich den amerikanischen Interessenkreisen gegenüber erboten baben soll, die freisinnige Partei für diese Interessen zu gewinnen. Herr Schwennhagen scheint seine Pappenheimer sogar besser zu kennen als Herr Lenzmann. (Präsident Graf van Ballestrem ersucht den Redner, auf Parteien im Hause solche Deduktionen nicht anzuwenden) Herr Lenjmann hält sich für den Berufenen zur Wahrung der allgemeinen Interessen und wirft einem Theil der anderen Redner Vertretung der eigenen Interessen vor. Obwohl der Viebstand in Nord-Amerika abgenommen bat, ift die Ausfuhr nach Europa rapide gestiegen, und die Preise sind rapide gefallen. So können sich die Verhältnisse nicht lange weiter ent⸗ wickeln; ist der Viehstand erst noch weiter gesunken, dann werden die Preise dort erheblich steigen. Lassen wir nun die freie Konkurrenz weiter zu, dann muß unfer Viebstand zu Grunde gehen, und wir werden gezwungen, un fern Bedarf dem Auslande zu stark erhöbten Preisen abjunebmen. Dahin dürfen wir es nicht kommen lassen. Daß die Untersuchung in Nord ⸗Amerika höchst unzureichend ist und der dentsche Kensument von dort nur scheinbar ein gutes, billiges Fleisch erbält, ftebt fest. Die dortigen Exporteure haben keine hohe Meinung von der Haltbarkeit und dem Nährwerth ihrer Fleisch⸗ waaren. Die Reinigung des Fleisches erfolgt nur höchst mangelhaft, allerlei Präservative zur Konservierurg schlechter, verdorbener, fauliger leischtheile werden angewendet, wie auch die Kölnische Zeitung“ bezeugt

n der Nahrungsmittelversälschungs⸗ Branche haben es die Amerilaner zur Meisterschaft gebracht. Sehr bedenklich erscheint hiernach, daß auch für Militär und Marine amerikanisches Büchsenfleisch zur Er nährung berangezogen wird; die Armeelieferanten in Mainz haben mit einem amerikanischen Exporteur einen Jabreskontratt über ganz erbebliche Quantitäten abgeschlossen. Herr Armour hat gegen die Vorwürfe, die sich an seine Adresse richteten, selbst öffentlich erklärt, daß er große Mengen an fremde Armeeverwaltungen, auch an die deutsche, geliefert habe. Das wird doch wobl richtig sein. Für uns erwächft aber daraus die Pflicht, dafür zu sorgen, daß dem Einhalt gethan werde. Die früber schon aufgestellte Behauptung, daß das Schiff des Prinzen Heinrich ausschließlich mit amerika— nischen Konserven ausgerüstet gewesen sei, ist bisber nicht auf Widerspruch gestoßen. Man bat zwar ein Fleischbeschaugesetz verlangt, aber die deutschen Interessenten sind nicht darüber befragt worden, wie sie es haben wollten. Die Amerikaner fe. die Vocloge sei eine in Paragraphen gekleidete Universitätsvorlesung über Fleisch⸗

beschau. Der Staatssekretär weist auf den Vortheil hin, daß die

Einfuhr ausländischen Fleisches jetzt viel schärfer kontroliert werde. Das ift aber gerade das Unzulängliche. Mit den Beftimmungen des Gesetzes kommt die inländische Produktion der ausländischen gegenüber in Nachtbeil. Dem Inland wird die doprelte Beschau vorgeschrieben, dem Ausland nicht. Um die 25 Millionen, die jährlich dem Inland durch die Untersuchung verloren geben, ift das Ausiand dem inländischen Gewerbebetrieb Überlegen. Dieselbe Benachtbeiligung ergiebt sich beim Schmalz. Das amerikanische Schmaljrezeptbuch von Winter giebt Anweisungen, wie man Schmalz mischen solle mit Baumwollsamensl und dergleichen, und wie man Schmalz obne irgend welches thierische Fett herstellen könne. Was die deutscken Interessenten erwartet batten, war eine Vorlage, die das ausländische Fleisch nach der schon erwähnten Erklärung des Reichskanzlers im vreußischen Abgeordnetenbause mindestens gleich⸗ werthigen bygienischen Vorsichtsmaßregeln unterwarf. Dem ent- spricht die Vorlage aber keineswegs. Die ausländische Konkurrenz ift eine unlautere, das von ihr eingeführte Produkt in den Augen der Konsumenten das minderwerthige und nachtheilige. Wenn die amerikanischen Fleichwaaren auch um ein Viertel billiger sind, so ift der Konsument schon infolge des größeren Feuchtig⸗ keitsgebalts derselben benachtbeiligt. Die Interessenten verlangen auch den Fortfall der Vollmachten für den Bundesrath zur eventuellen Erleichterung der Einfuhr ausländischer Produkte. Mindeftens müßte in das Gesetz eine Bestimmung des Inhalts hin⸗ eingeschrieben werden, daß die betreffenden bundesräthlichen Ver⸗ ordnungen dem Reichstage vorzulegen und außer Kraft zu setzen seien, soweit es der Reichstag derlangt. Ein ungeheurer Eingriff bis in die Familienderhältnisse binein würde auch durch die Ausdehnung des Schaujzwanges auf die Hausschlachtungen erfolgen. Der Bauer bat doch bisher allein darüber zu eatscheiden, was er zu sich nebmen will. Die ländliche Bevölkerung ist auch von stärkerer Konstitution als die ftädtische. An manchen Orten werden Füchse gegessen; Forftarbeiter in Schlesien haben sogar seit Jahren mit Snychnin vergiftete Fückse obne Schaden für ibre Gesundheit onsumiert. Jedenfalls müßte den Bauern das kranke Vieh voll er⸗ setzt werden, dann würden sie gegen diesen Schauzwang nichts baben. Ganz erhebliche Kämpfe wird urs dieses Gesetz mit Nord Amerika be⸗ scheren. Gerade auf Deutschland bat es Amerika abgeseben; nach amerikanischer Meinung kildet Deutschland in diesen Dingen für den übrigen Kontinent das Muster und Vorbild. Die Zusammenstellung der amerikanischen Stimmen aus den Fachjeitungen der Großschlächter über das deutsche Gejetz rührt von mir ber; die Revanche, welche die Juden dafür an mir auch wirthschaftlich genommen baben, un⸗ eingedenk des Sismarckschen Diktums, daß wirtbschaftliche und polttische Dinge nicht vermengt werden dürfen, babe ich als Antisemit deutlich empfunden. Auch das Staats departement in Wasbington hat sich dabin geanu ie Befürchtung, der amerikanische Export

in Mitleidenschaft gezogen werden, un⸗ begründet sei. Es ift die Meinung vielfach verbreitet, daß der Staatssekretãr ven Sülow die deutschen Interessen nicht so dem Aut lande gegenüber wahrrimmt, wie es zu erwarten wäre. (Präsident Graf von Ballestrem: Der Herr Abgeordnete ift nicht berechtigt, Mitgliedern des Bundestatbs solche In⸗ sinnationen an den Korf ju werfen; ich rufe ihn dafür zur Ordnung!) Gine amerikanische Fachjeitung zitiert mit Befriedigung, daß die Gin⸗ fubr von Schmal, das durch Sieden erzengt ist, bereitwilligft zu= gestanden wird, und erwähnt ebenfo höhnisch, daß die deutsche Regie⸗ tung in Erfabrung gebracht

auf kaltem Wege durch Yressen allgemeine amerikanische Poliutik ein, wird aber vom Präsidenten erfucht, zur Verlage jzurũckjukebren. Er fordert schließlich eine gründ⸗ liche Umgeftaltung der Vorlage im Sinne seiner Aus übrurgen.

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für das ausländische Fleisch nicht genügend. Hätte man fensegnent sein wellen, so mäßte auch die Trichinenschau cbligatorijch gemacht werden, diese fell aber fakultativ bleiben. Dbre Extschätigangerflicht des Staats ür das für krark erklärte Vieh würde das Geseß eine ungemeine Belaftung für den kleinen Marn auf dem Lande sein. Auch der Hegünfstigung des Aaslandes darf vickt stattgegeben werden; der Entwur bat die Nothwendigkeit der Berbeichaa mit viel zu brennenden Farben int Licht gesetzt, alt daß sie fer das ansländiiche Fleisch entbeorlich erscheinen löarte. Abg. Sraf von Sern ffor ff⸗Uelien (b. H. J.) weist gegenüber dem Abr. Lenjmann auf die starke Funebn des deut ichen Vieb⸗ beftandeg and anf die immer näher räckende Möglichkeit hin, daß die dentiche Bie jecht den deutichen Fleischbedarf ju decken im flande sein werde. Die Uaterstelleng der Haut schlachtungen unter die Zwang schan balte er aber far gercten, so ungern er die damit verduncenen Belẽstigas gen eintreren affe, denz weng wan die Haut schlachtun gen ren der Der relschaa art nebme, könne man dem Aut lande gegenüber diese Ferderrrg nicht vertreten. Mtt dieser GEinschtänkung spricht

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Redner sich für das Gesetz aus, dessen Berbesserung in der das Aus. land betreffenden Partie Sache der Kommission sein werde.

Abg. Hilpert (b. k. H Man bat früher die Privatbeschau gehabt, dann abgeschafft. raußen im Lande begreift man nicht, warum sie jetzt wieder eingeführt werden soll. Die Massenpetitionen aus den kr ff. des Fleischergewerbes und der Landwirthschaft sollten doch dem Staatssekretär zu denken geben; vielleicht zieht er dann die Vorlage zurück, die auch schon wegen der Vollmachten für den Bundesrath unannebmbar ist und das Gegentheil von dem bewirkt, was sie bewirken soll. .

bg. Herold (Zentr.): Im Großen und Ganzen hat sich eine in diesem Hause selten auftretende Uebereinstimmung des Urtheils über die Vorlage gezeigt. Allgemein wird eine Umgestaltung des bestehenden Zustandes gewünscht, aber gleichzeitig eine fundamentale Umgestaltung der Vorlage gefordert, wenn sie etwas nützen soll. Der wichtigfte Punkt sind die Hausschlachtungen. Die Berufung des Staatssekretärs auf den preußischen Landtag ist unzutreffend. Letzterer hat nur das gewerbsmäßig verkaufte Fleisch unter Kontrole stellen wollen. Das Fleisch, das im eigenen Hause und in der eigenen Wirthschaft verbraucht wird, braucht keiner Untersuchung unterworfen zu werden; diese Belastung ist über⸗ flüssig. So habe ich mich bei jener Gelegenheit im preußischen Ab⸗ geordnetenhause selbst geäußert. Die Bejugnahme auf die Verord⸗ nung in HessenNassau sollte nur eine allgemeine Direktive geben, nicht aber das Haus auf die Zwangsschau der Hausschlachtungen sest⸗ legen. Die Rücsichtnahme auf die Arbeiter und Dienstboten ist nicht nöthig; denn gerade diese sind die allerbesten Fleischbeschauer und werden sich am allerwenigsten gefallen lassen, daß ihnen verdorbenes Fleisch dargeboten wird. Die Hausschlachtungen sollten also ausgenommen werden. Nur die Abgg. Wurm und Graf Bernstorff wollen sie dem Schauzwange unterwerfen. Im Gegensatz zum Abg. Lenzmann bat der Abg. Wurm dieselbe scharse Behandlung

für das Ausland wie für das Inland verlangt, und Herr Lenzmann

setzt sich mit seinem Parteigenoffen Virchow in direkten Widerspruch, der im Abgeordnetenhause derselben Auffassung wie Herr Wurm Aus druck gegeben hat. Die Angriffe des Abg. Lenzmann auf die Agrarier, Angriffe, welche die schwierige Lage der Landwirthschaft gänzlich ignorieren, sind mir völlig unverständlich. .

Abg. Freiherr von Wangen heim-⸗Pyritz (. kons.): Der Abg. Lenzmann hat von der unersättlichen Habsucht der Agrarier gesprochen. Ob gerade ein Rechtsanwalt solche Vorwürfe zu erheben berechtigt ist, scheint doch jweifelhaft. Seit langen Jahren wird die obliga— torische Fleischbeschau gefordert. Nachdem eine Reihe deutscher Staaten selbständig damit vorgegangen ist, kommt das Reich mit einem einheitlichen Gesetz. In allen Provinzen ist die Klage laut geworden, daß die Fleischer und die Landwirtbe durch den Import amerika—⸗ nischer Fleischpräparate erdrückt werden. Der Fleischbeschauerderband hat festgestellt, daß eine zuverlässige Untersuchung der amerikanischen Wurstwaaren unthunlich sei, und bat gebeten, daß den Beschauern die Verantwortung für ihre Untersuchungen abgenommen werde. In Hamburg sind große Massen amerikanischer Fleischwaaren ohne jede Untersuchung als trichinenfrei abgestempelt worden und in den inneren Verkebr übergegangen. Auch ich muß den Nachdruck darauf legen, daß der Reichskanzler ein Gesetz in Aussicht geftellt bat, welches gleichwerthige wi . für das ausländische Fleisch vorschriebe. Gerade die Freisinnigen baben bei der Verhandlung im Abrgeordnetenhause betont, daß die Kontrole des ausländischen Fleisches womöglich noch schärfer sein müßte als die des inländischen; so haben Herr Virchow und Herr Langerbans übereinstimmend ausgeführt. Die Vornahme der Schau auf die Thierärzte zu beschränken, ift unausfübrbar; wir würden unendlich lange zu warten haben, bis ein genügendes Material an Thierärzten vorhanden wäre. Die Kosten müssen zweifellos auf die Allgemeinbeit übernommen werden, in welcher Form, darüber wird die Kommission sich schlüssig zu machen haben. Die großen Kom⸗ munen dütfen dann kein Geschäft mehr mit den Untersuchungen in ibren Schlachthäusern machen. Das Beste wäre, mit einer allge⸗ meinen Viehversicherung vorzugeben; der Weg der Privatversicherung, wie ibn die Vorlage vorschlägt, ist zu umständlich und zu theuer. Die Zollausschüsse darf man auch nicht von der Kontrole aus nehmen; denn es handelt sich bier um ein sanitäres Gesetz, nicht um ein Zollgesetz Nach den Erklärungen des Reichs kanzlers erscheinen die drei Paragraphen, welche die Koatrole für das Aucslandefleisch betreffen, wie ein Schlag, den man dem gesammten deutschen Erwerbsstande versetzt. Es handelt sich hier darum, der Regierung für den Kampf um die künftigen Handelsverträge eine scharfe Waffe in die Hand zu geben. Wird das hier versäumt, dann können wir schon jetzt auf die an die Handelsverträge geknüpften Erwartungen verzichten. Bei der Rege⸗ lung solcher Fragen baben wir nur nach den Interessen Deutschlands zu fragen, nicht nach denen des Auslandes, das auch nach uns nicht fragt. Wie es vorliegt, ist das Gesetz vollkommen unannebmbar.

Abg. Fitz (ul.) volemisiert gegen den Abg. Lenzmann und schließt sich der Forderung, die Hausschlachtungen von der Geltung des Ge⸗ setzes ausjunebmen, an.

Abg. Meier Jobst (fr. Volkep.) tritt den Forderungen der Agrarier entgegen, die auf ein Einfubrverbot binauzliefen, um den Preis für das inländische Vieh auf eine unmäßige Höbe ju treiben. Wenn man das inländische Fleisch so scharfem Untersuchungszwange unterwerfe, sei man allerdings berechtigt, auch vom Auslande eine gleich gründliche Untersuchung zu fordern.

Abg. Dr. Roe sicke ⸗Kaiserslautern (b. k. F.) gebt ausführlich auf die Verbältnisse des amerikanischen Viebbestandes und auf die Machi⸗ nationen der kapitalistischen Großschlachthaus. Unternehmungen in Chicago ꝛc. ein, um die großen Gefahren zu illustrieren, die dem deutschen Markt und den deutschen Konsumenten von dieser Seite drobten. Diese Unternebmungen hätten es erreicht, das Schlächter⸗ gewerbe zu vernichten und den landwirthschaftlichen Betrieb unren⸗ tabel ju machen, um mit den billigen Preisen im Ausland Unter⸗ bietungevolitik zu treiben. Das das über kurz oder lang anders werden müsse, babe schon der Abg. Vielbaben angedeutet. Redner sucht dann den Nachweis zu führen, daß das Büchsenfleisch fast durchweg aus minderwertbigem Material und unter Außerachtlassung der elemen⸗ tarften byzienischen Maßregeln hergeftellt werde. Den deutschen Konsumenten werde nech viel Schlimmeres als bisher geboten werden, wenn man auf dem Wege des Gesetzes der weiteren Ausübung und Vervollkommnung dieses verwerflichen Systems Vorschus leiste. Vor der Ginfubt guten Fleisches fürchte man sich nicht; aber man danke für das minderwertige Fleisch, womit Deutschland in Zakunft wo⸗ möglich in noch größerem Umfange beschickt werden solle als bisher. Deutschland sei nicht der Boden, auf dem die schädlichen Auswüchse der wirthschaftlichen Entwickelung Nord⸗Amerikas abgelagert werden dürften. Das Gesezz sei geeignet, sowobl sanitär als auch volkewirih⸗ schaftlich und national schädigend auf das deutsche Volk zu wirken.

Abg. Steinhauer (fr. Vgg. tritt dem Schaujwange der Haus⸗ schlachtangen entgegen. Nach F 5 sollen Schaubezirke gebildet und baurtsächlich Thierärjte zu Beschauern ernannt werden, erforderlichen⸗ falls andere Personen, die aber vor ihrer Anftellung einer Unter⸗ Teisung und Prüfung zu unterzieben seien. Wo sollten aber alle die Leute berkommen, die bei den Hausschlachtungen in dieser Eigenschaft zu fungieren hätten? Man habe davon gesprochen, daß als solche

ersonen die Dorfbarbiere ausgebildet werden sollten. Einen eillosen Wirrwarr würde dieser Zwang auf dem platten Lande hervortufen. Die Privatwersicherung sei auf dem Lande garnicht zu gebraucken; Abhilfe wärde nur die staatliche Zwangsver- sicherung bringen können. Die Absichkt des Entwurfes sei überhaupt nur ausführbar, wenn der Staat sämmtliche Kosten übernähme.

Abg. BSõrner (ul.) volenmistert gegen die obligatorische Fleisch⸗ schau, die ner mit dem Korrelat einer faatlichen Zange versicherung durchführbar sei. Dem Auslande den Natzen, dem In lande die Laften juzut heilen, das gebe nicht an.

Direktor im Auswärtigen Amt Reichardt: Wenn ich mir ge⸗ ftatte, mit ganz wenigen Worten ju so vorgerückter Stunde dem ersten der bentigen Redner in einigen Beziehungen ju antworten, so bat es seinen Grund darin, daß ich mit der Möglichkeit gerechnet hatte, der Herr Staats sekretär des Auswärtigen Amts würde noch in der Lage

sein, im hohen Hause zu erscheinen. Nachdem mir worden fit, daß dringende dienftliche Geschäfte es ibm unmöglich machen, er. laube ich mir, in dem engen Rahmen, der mir durch die Natur der von dem Abg. Vielhaben gegn den n Staatz sekretãr v. Bülow 1 Angriffe gegeben ist, kur; Folgendes zu bemerken. Der 3. Vielbaben bat selbst anerkannt, daß er mit einer gewissen

Schärfe gegen Herrn von Bülow vorgegangen sei. Diese S* ift besonders in zwei Punkten hervorgetreten. Der erste Punkt ist in⸗ zwischen bereits von seiten des Herrn Präsidenten erledigt, und ich habe mich damit nicht weiter zu befassen. An jweiter Stelle hat er ausgefübrt, daß das Lob, welches Herr v. Bülow in der ausländischen, namentlich in der amerikanischen Presse gefunden habe, ihn an einen Ausspruch des ersten Reichskanzlers, des Fütsten Bismarck erinnert babe, der angeblich dahin gegangen ist: wenn die ausländische Presse mich lobt, dann werde ich an meinen Entschließungen irre. Das war der Sinn. Ich lasse es dabingestellt, ob der Fürst Bismarck diesen Ausspruch gethan hat; ich bezweifle es. Ich glaube, daß er ihn in diefer Allgemeinheit nicht gethan, jedenfalls nicht gemeint hat. Ich glaube mich sogar zu erinnern, daß er seinen Ausspruch gar nicht auf die ausländische Presse bezogen hat. Wenn aber die ausländische Presse Maßnahmen des Fürsten Bismarck in dem Sinne und in der Weise gelobt hat, wie solches Herrn v. Bülow zu theil geworden ist, dann würde weder der Fürst Bismarck das glaube ich auf Grund einer beinahe 40 jährigen Mitarbeit im Aus- wärtigen Amt wohl aussprechen zu dürfen an seinen Entschließungen irre geworden sein, noch glaube ich, daß der Herr Staatssekretär von Bülow durch das ihm gespendete Lob sich von dem von ibm für richtig erkannten Wege abbringen lassen wird. Der Abg. Blelhaben bat dann darauf hingewiesen, daß auf die Liebenswürdigkeiten, in denen Herr v. Bülow sich Amerika gegenüber überboten habe, Amerika mit wirthschaftlicken Schädigungen Deutschlands geantwertet habe. Da ist ihm ein chronslogisches Versehen passiert, denn die wirtbschaftlichen Schädigungen, über die wir uns zu beklagen haben, liegen zeitlich weit zurück hinter den Erklärungen, die zu dem nach Ansicht des Herrn Vielbaben als Lobpreisungen anzusehenden Kundgebungen der ameri⸗ kanischen Presse geführt haben. Jedenfalls wird Herr Vielhaben gut thun, abzuwarten, ob nicht die Regierung der Vereinigten Staaten auf Grund der Schritte, die Herr v. Bülow in diesem hoben Haufe versprochen und inzwischen eingeleitet bat, dazu übergehen wird, jenes Lob in die That zu übersetzen. (Bravo)

Nachdem noch der Abg. Gäbel (Reformp.) sich kurz zur Vorlage geäußert bat, repliziert

Abg. Dr. Bielbaben auf die Bemerkung des Direktors Reichardt, daß er sachlich behauptet habe, es sei der Liebengwürdigkeit des Staatssekretärs von Bülow nicht gelungen, Erfolge bei den Amerikanern zu erzielen. Nicht Liebenswürdigkeit imponiere aber den Amerikanern, sondern das Kick down!

Die Diskussion ist damit erschöpft, und die Vorlage wird an eine Kommission von 21 Mitgliedern verwiesen.

Schluß gegen 6 Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 1 Uhr (Gewerbeordnungsnovelle.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 58. Sitzung vom 18. April 1899.

Das Haus setzt die erste Berathung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend den Bau eines Schiffahrtz⸗ kanals vom Rhein bis zur Elbe, fort.

Ueber den Beginn der Debatte ist schon berichtet worden.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Gestatten Sie mir beute, am fünften Tage der ersten Berathung der Vorlage, einen kurzen Rückblick i werfen auf die Bedenken und ihre Begründung, die gegen den Kanal im Laufe der Berathung vorgebracht worden sind. Wer sich für die Berathung in diesem hohen Hause vorbereitete, hat gewiß auch die Kanaldebatten der früheren Jahre 1882/83, 1886, 1894 u. s. w. sich wieder vergegen wärtigt, und wenn er das gethan bat, muß er doch stutzig werden über die ganz verschiedene Auf⸗ fassung, die heute bei einem großen Theil der Mitglieder des hohen Hauses sich kundgiebt gegenüber denjenigen Aeußerungen, die damals von allen Seiten des Hauses gefallen sind. Charakteristisch ist in der Beziehung der Bericht der Kommission des Abgeordnetenhauses im Jahre 1886, der wörtlich hervorbebt:

Prinzivielle Gegner der Kanalbauten im allgemeinen traten in der Kommission nicht auf. (Hört, hört! Der Bericht fügt hinzu: Diese übereinstimmende Auffassung befindet sich auch im Ein⸗ klang mit der praktischen Bethätigung gleicher Anschauungen in Belgien, Frankreich (Programm Freyeinet) und mit den neuesten Bestrebungen in Desterreich. Mein verehrter Herr Amtsvorgänger konnte im Hause sagen, ein Kanalgegner sei ihm überhaupt noch nicht bekannt geworden. Meine Herren, das war im Jahre 1885. Und heute? Ich glaube, die heutige Auffassung eines großen Theils der Mitglieder, namentlich der rechten Seite des hohen Hauses, nicht besser charakterisieren zu können, als indem ich auf das Resumsé, welches der Herr Abg. Graf Kanitz dem Schluß seiner Rede hinzufügte, aufmerksam mache. Mit Er⸗ laubniß des Herrn Präsidenten möchte ich den betreffenden Passut hier derle en.

Ich darf meinen Standrunkt zu dieser Vorlage nochmals dahin zusammenfassen, daß ich durchaus keinen Stillftand in der Eantwicke⸗ lung unseres Verkehrswesens wünsche. Aber diese Entwickelung muß eine gleichmäßige sein; sie muß allen Landestheilen gleichmäßig zu gute kommen.

(Sehr richtig! rechts.) Sie muß namentlich mit der Produktion gleichen Schritt halten, mit ihr Hand in Hand geben, und zwar mit der einheimischen Produktion; sonft werden die Verkehrserleichterungen mehr dem Auslande als dem Inlande ju gute kommen. Wir gelangen dann ju keinem wirthschaftlichen Aufschwung, sondern nur zu Ver schiebungen. (Sehr richtig! rechte.) Die reichen Benrke werden noch reicher, die armen noch ärmer werden. Die sozialen Mißstände, an denen wir heute schon kranken werden nur noch weiter verschärft werden. (Sehr richtig! rechts.) Meine Herren, der lebhafte Beifall, welcher dieser Auffassung des Herrn Grafen Kanitz zu theil geworden ist und auch heute wieder ju theil wird von seinen Parteigenossen, muß mich ju der Annahme führen, daß auf diesem Standpunkt die gesammten Parteigenossen mit einigen Ausnahmen vielleicht stehen. Wenn dieser Standpunkt aber der maßgebende für unsere Zukunft sein soll, dann ist es überhaupt mit unserer Verkehrs entwickelung vorbei (sehr richtig! links; Lachen rechts); dann können wir weder eine Gisenbahn künftig bauen, noch einen Kanal, noch eine Kleinbahn, noch eine Chaussee. (Sebr richtig! linls; Widerspruch rechts) Denn dieser Maßstab, an jeden Vor⸗ schlag zu einer neuen Gisenbahn angelegt, muß ju seiner unbedingten

Verwerfung fübren. (Sehr richtig! links; Widerspruch rechts) Dem ganzen Lande kommen niemals eine Gisenbabn, eine Kleinbabn oder noch viel weniger eine Chaufsee ju gute, sondern immer nur ganz bestimmten Landestheilen. Glauben Sie denn, daß, wenn wir mit einer neuen Sekundärbahn. Vorlage kommen, darin das ganze Land bedacht ist? Nein, es werden nur diesenigen Landestheile Vortheile haben, die zunächst daran betheiligt sind. (Zuruf des Abg. Pappen⸗ heim Liebenau: Und das nächste Jahr die andern) Für das nächste Jahr die andern? Herr von Pappenheim, das ist eine Aussicht, die niemanden befriedigt. Das könnten Sie doch schon aus der langen Reihe von Jahren, in denen Sie den Debatten über die Sekundärbahn⸗Vorlage beigewohnt haben, wobl wissen, daß mit der Sekundãrbahn⸗Vorlage allgemeine, dem ganzen Lande zu gute kommende Verkehrserleichterungen nicht geschaffen werden können. Dann wird es allerdings dahin kommen, daß wir allmählich aus der Reihe der entwickelungsfähigen, der leistungs-⸗ und wettbewerbsfähigen Länder vollständig ausscheiden (sehr richtig! links; Widerspruch rechts); dann wird es allerdings dahin kommen, daß Sie nicht mehr wie es Gott sei Dank, bisher immer noch der Fall ist einen intensiven, Betrieb in der Landwirthschäft haben, sondern extensiv wirthschaften und die Schafe über ihre Brachen und Weiden werden gehen lassen oder den größten Theil ihres Ackers anschonen. (Ach nein! rechts.) Das wird die Folge dieser Politik nach dem Maßstabe des Resumés des Herrn Grafen Kanitz sein. (Widerspruch rechts.) Ganz unbedingt und unzweifelhaft!

Meine Herren, im allgemeinen kann ich nur sagen: auf mich haben die Ausführungen der Herren, welche Gegner des Kanals sind, den Eindruck gemacht, daß sie voll innerer unlösbarer Widersprüche sind. (Sehr wahr! links) Ein und derselbe Redner führt aus: die Kanäle werden einen derartigen Antheil des Verkehrs an sich zieben, daß die Eisenbahnen in Zukunft dem Staat überhaupt keine Rente bringen. Es sind da Ziffern aus— gerechnet, bei denen sich allerdings die letzten Haare sttäuben würden, wenn die Ergebnisse richtig wären. (Heiterkeit. Derselbe Redner sagt

aber kurz nachher, die Kanäle würden überhaupt keinen Reinertrag.

bringen; denn wer soll auf den Kanälen fahren? Die Eisenbabntarife sind doch schon so weit ermäßigt. Es wird herausgerechnet, daß man mit den Eisenbahnen billiger fahren könne als mit den Kanälen. Die Kanäle würden keine Rente bringen, weil ja die hauptsächlichste Be⸗ frachterin des Kanals, die Koblenindustrie, überhaupt garnicht in der Lage sein werde, sich so weit zu entwickeln, wie es nöthig ist, um großen Wasserverkehr den Kanälen neu zuzuführen. Auf der anderen Seite wird behauptet, das Rubrgebiet werde in seiner Koblenförderung so kolossal zunehmen, daß es der schlesischen Industrie auf allen bis herigen Absatzgebieten Konkurrenz machen, eine allmäbliche Entvölkerung der östlichen Landestheile herbeiführen und eine Reihe anderer Nach tbeile mit sich bringen werde. Das deckt sich doch nicht mit einander.

Der Abg. Gamp bat ausgefübrt, wie ich das schon vorhin er⸗ wähnte, die Tarife seien zum theil schon erheblich ermäßigt, es be—⸗ dürfe keiner Kanäle; man solle nur die Tarife etwas weiter ermäßigen, dann würde man mit den Eisenbahnen genau dasselbe herbeiführen. Auf der anderen Seite hat er aber behauptet, daß diese Tarifermäßi⸗ gungen gar nicht zum Vortheil der betr. Industrien seien und nicht einmal immer zum Vortheil der Landwirtbschaft dienen würden.

Kurzum, eine Menge unlösbarer Wideisprüche befinden sich in den Ausführungen der Herren, die gegen den Kanal gesprochen haben. Und, meine Herren, wo die Gründe nicht reichten, bat man einfach bezweifelt und bestritten. Man hat die Uaterlagen bezweifelt, die von der Staatsregierung in ihrer Begründung gegeben sind, man hat einfach bestritten, daß die Garantien realisiert werden würden u. s. w., ohne dafür irgend welchen Beweis beigebracht zu haben.

Meine Herren, es sind dann noch eine ganze Reibe von einzelnen Punkten hervorgehoben, die meines Erachtens einer kurzen Beantwortung durch mich bedürfen. Gleich am ersten Tage hat Herr Graf Kanitz und nach ihm noch eine Reihe von Mitgliedern des Hauses in der Be—⸗ gründung ibrer Ausführungen auf den Dortmund ⸗Ems . Kanal exempli⸗ füiert. Herr Graf Kanitz bat die Frage an mich gerichtet, wie es denn eigentlich mit dem Dortmund ⸗Ems. Kanal aussehe. Man höre von seiner Eröffnung noch immer nichts. Es müßten da also wohl Verbältnisse zweifelhafter Natur obwalten. Meine Herren, ich kann den Herrn Graf Kanitz vollständig beruhigen: der Dortmund Ems. Kanal ist im allgemeinen fertig. Das so vielfach ange— iweifelte Schiffshebewerk fungtert vortrefflich (hört, hört! links), bat auch nicht eine Stunde versagt, und wenn gegent heilige Behauptungen, namentlich in einjelnen Broschüren, die von schlesischer Seite kommen, von Herrn Mohs, behauptet ift, es hätten Beschädigungen stattgefunden, das Hebewerk sei nicht abgenommen worden, so ist das durchaus unrichtig und falsch. Das Hebewerk fungiert ganz normal und es hat seine Probezeit, die in dem Vertrag mit dem Unternehmer vorgesehen war, durchaus ordnungs mäßig bestanden.

Der Kanal wird heutzutage schon mit solchen Fahrjeugen be— fahren, die nicht auf den gesammten überhaupt beabsichtigten Tief- stand angewiesen sind. Die Schwierigkeit, den Kanal schon jetzt für die größeren Schiffe zu eröffnen, liegt darin, daͤkß an einzelnen Strecken wie das stets bei Kanälen der Fall ist, deren Wandungen aus losem Sandboden hergeflellt werden müssen noch Undichtig⸗ keiten auftreten, die erst im Laufe der Zeit dicht werden können. Das Verfahren ist ja den Herren bekannt: es wird Lehm eingerührt, und dieser zieht sich allmäblich in die kleinen Wasseradern hinein und macht sie dicht.

Nun war mein Standpunkt in der Sache der, den Kanal nicht eher eröffnen soll, ehe er nicht vollstandig leistungsfähig ist in dem Maße, wie es in dem Programm deg Kanals vorgesehen war. (Sehr richtig h Vir baben mit dem Dortmund ⸗Ems-⸗Kanal bereits viele Fährlich⸗ leten durchlaufen, und ich wollte nicht, daß nun hinterher noch gesagt würde: Da sieht man es, eröffnet haben sie den Kanal, aber sie mũssen lhn wieder sperren, oder sie haben ihn sperren müssen für Schiffe, die über 300 Tonnen u. s. w. hinausgeben. Das habe ich vermeiden wollen. Darum ist die Eröffnung des Kanals hinausgeschoben worden; se wird voraussichtlich Mitte August dieses Jahres stattfinden.

Dann ist seitens des Herrn Abg. Richter die Frage an mich gerichtet derden, wie es denn mit der Entnahme des Wassers aus der Ruhr

ande und wie die Staatsregierung die Bedenken der Anlieger der ihr, namentlich also der Städte Hagen, Witten, Mülheim, und wie alle heißen, und der Induftrie, die auf das Ruhrwasser angewiesen ift, n beseitigen gedächte. Meine Herren, die Staatsregierung ist in der age, in dieser Bejiehung die Interessenten vollständig ju beruhigen;

daß man

ich will aber hier jetzt nicht auf diese Details eingehen, sondern sie mir für die Kommissionsberathung vorbehalten.

Das Dritte, waz hier, namentlich von seiten des Herrn Abg. von Pappenheim, hervorgehoben worden ist, sind die Be⸗ denken, die er aus dem Staatsvertrage mit Bremen über die Kanali⸗ sierung der Weser hergeleitet bat. Der Herr Abg. von Pappenheim kennt zwar den Vertrag noch in keinem einzigen Paragraphen, aber er mißbilligt ihn (Hört, bört! Sehr gut! Heiterkeit), und jwar ernstlich. Meine Herren, ich bin der festen Ueberzeugung, selbst Herr von Pappenheim wird diesen Vertrag billigen, wenn er ibn erst gelesen hat. Denn dieser Bertrag giebt nicht allein der Industrle Vortheile, sondern er berücksichtigt die Interessen der Landwirthschaft in hohem Maße (Hört, hörth, und ijwar nicht nur das Interesse der Landwirthschaft in Bezug auf die Meliorationen, sondern auch die Interessen der Aalieger. (Bravo) Ja, es ist sogar beim Abschluß dieses Vertrages gelungen, den Anwohnern an der Mündungsstrecke der Weser unterhalb Bremen in Bezug auf die Ausgleichung von Nachtheilen, welche als Folgewirkung der bremischen Fahrwasserverbesserung angesehen werden, wesentlich günstigere Aussichten zu eröffnen. (Bravo.) Daß solche Zustände eintreten können, wie der Herr Abg. von Pappen⸗ beim vorhin erwähnt hat, daß ein armes Bäuerlein erst durch den Bärgermeister an den Landrath, von dem Landrath an die Regierung, von der Reglerung an den Minister des Innern, von da an den Auswärtigen Minister, von da nach Bremen, von da an den Arbeits. Minister geben sollte, um etwas Kies aus dem Weserbett holen zu dürfen, das ist allerdings ein Phantasiegebilde allereigenster Art. In Wirklichkeit gestaltet sich die Sache ganz außerordentlich einfach da⸗ durch, daß der preußische Staat keines seiner Hoheitsrechte in dem Vertrage preisgegeben, sondern sich die Verwaltung vollständig vor— behalten bat. (Bravo! links.)

Meine Herren, die Interessen der Landwirthschaft, namentlich in Bejug auf das sogenannte neue Einfallsthor, das dadurch geschaffen werden soll, hat der Herr Abg. Heye vorhin schon beleuchtet. Die Sache wird nicht schlechter durch die Kanalisierung, sondern sie wird voraussichtlich besser, weil der Kanal, wie Herr Abg. Heye schon bemerkt hat, mit Abgaben belegt ist, während die Weser zur Zeit nicht mit Abgaben belegt ist. So ist als charakteristisch für diese Auffassung anzuführen, daß einer der Hauptinteressenten, die zweit⸗ größte Mühle, die wir in Deutschland haben, die Meyer'sche Mühle in Hameln, garnicht von der Kanalisierung entzückt ist, weil Herr Meyer annimmt, er bekäme sein Getreide künftig theurer nach Hameln statt billiger. (Sehr richtig! links.) Meine Herren, der einzige Getreidekonsument von Bedeutung ist überhaupt die Hamelner Muhle.

Was der Herr Abg. von Pappenheim über die Getreidezufuhr nach Cassel auf dem Wasserwege gesagt hat, trifft nicht zu. Die Zufuhr ift zum Bedauern der Casselaner bis jetzt nur gering. Es sind zwar große Schuppen erbaut, aber was bisher an Getreide auf diesem Wege gekommen ist, ist verhältnißmäßig wenig.

Meine Herren, alle Zeit ist auch der Herr Abg. von Pappenheim nicht ein solcher Feind der Kanäle gewesen. Denn wenn ich mich recht erinnere ich habe leider die betreffenden Verhandlungen augen—⸗ blicklich nicht zur Hand —, so ist er einer der lebhaftesten Befür⸗ worter der Fuldakanalisierung und ihrer Fortsetzung (hört, hört! bei den Nationalliberalen) gewesen. (Hört, hört! bei den National liberalen.)

Die bisherigen Verhandlungen haben gezeigt, daß von wirklicher Schädigung der Landwirthschaft wohl kaum die Rede sein kann. Meines Erachtens war das auch aus den Ausführungen des Herrn Grafen Kanitz ziemlich deutlich zu ersehen. Es ist in erster Linie von den Herren nur bestritten worden, daß der Kanal der Landwirtbschaft die Vortbeile bringen würde, die in der Begründung als solche angeführt sind. Meine Herren, ich bin der festen Ueber—⸗ zeugung, daß diese Vortheile kommen werden. Aber im allgemeinen möchte ich doch darauf aufmerksam machen, daß gerade die Gegner der Kanäle sich nicht von dem Standpunkt von heute los machen können, daß sie kein Bild von den Verhältnissen, wie sie nach 1908 sich entwickeln werden, zu gewinnen vermögen. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Das bringt zu Wege, daß sie einmal die Ent lastung der Eisenbahn bestreiten, weil sie immer von den heutigen Verhältnissen ausgehen und sich nicht vergegenwärtigen können, was die Eisenbahnen nach 10 Jahren zu leisten haben würden. Das bringt aber auch weiter zu Wege, daß sie sich von den Reinerträgen des Kanals kein richtiges Bild machen und arch ferner sich keine

Vorstellung machen können von dem Vortbeile, die Landwirthschaft

und Industrie von diesem großen Werke der Landesmeltoration haben werden. Denn daß es sich hier um ein solches handelt, darüber wird, glaube ich, nach 10 Jabren im Lande keiner mehr im Zweifel sein. (Sebr richtig! links.) Man wird nur erstaunen darüber, daß es vor 10 Jahren noch Gegner des Kanals gegeben bat. (Lebhafter Beifall links.)

Abg. Sümmermann (b. k. P.): Die westfälische Landwirth⸗ schaftskammer hat sich gegen den Kanal ausgesprochen. Die Be— gründung sucht den Kanal dem Osten schmackhaft zu machen, indem sie ibm den Absatz seiner Produkte nach dem Weften in. Aussicht stellt. Ein solcher Absatz wäre dem Oflen zu gönnen. Aber er wird sich nicht einstellen. Westfalen hat ein Kornhaus gebaut, welches mit westfälischem Getreide angefüllt ist, das nicht ab= gesetzt werden kann. Was sollen die Herren aufs dem Dsten mit ihrem Getreide anfangen? Das Kornhaus liegt in Bort— mund am Kanal, weil dort auch eine Eisenhahn vorhanden ist. Der Ruhrzubringer schädigt nicht nur die Wasserwerke der an der Ruhr belegenen Städte, sondern auch die Landwirthschaft; denn gerade im Sommer, wenn die Ruhr so trocken ist, daß man trockenen Fußes siie durchschreiten kann, wird das meiste Wasser aus ihr entnommen werden. Die Berbindung des Dortmund. Emt⸗Kanals mit dem Rhein ist nothwendig; aber wir wollen die Lippe, Linie, nicht die Emscher ⸗Linie. Die Provinz Westfalen würde die Lippe gern langlisieren, wenn der Staat ihr die Erlaubniß dazu giebt. Nicht die einheimische Industrie hat einen Nutzen von dem Kanal, sondern vorzugsweise die ausländische Industrie, welche lhre Produkte nach Deutschland einführt. Die großen Mühlen werden das Land mit dem vermahlenen ausländischen Getreide überschwemmen. Die Kohlenhändler, welche einen festgeschlossenen Ring bilden, werden die billigen Kanalfrachten zu ihren Gunsten ausbeuten. Die öst— liche n er. . gegen den Kanal. Wenn es dem Ausland unmöglich gemacht wird, landwirthschaftliche Produkte einzu⸗ führen, dann wollen wir die Verbindungtstraße, welche der Kanal zwischen dem Osten und dem Westen berstellt, gern bewilligen. Voffentlich wird die Vorlage die Industrie und Landwirthschaft nicht von einander trennen, wie es Herr Richter zu wünschen scheint. Mit dem Dortmund. · Eme . Fanal haben wir schlechte Erfahrungen gemacht; man sollte nicht einen weiteren Sprung ins Dunkle machen, sondern

erst Erfahrungen sammeln. Wenn die Bedenken in finanzieller, technischer und landwirtbschaftlicher Beziehung nur zum vierten Theil berechtigt sind, so genügte das, um die Vorlage abzulehnen.

5 des Staats Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miguel:

Meine Herren! Ich glaube, im allgemeinen sind der Gründe für und gegen so viele angeführt, daß man die Debatte als erschöpft ansehen könnte. Ich würde mich auch nicht zum zweiten Male zum Wort gemeldet haben, wenn ich nicht wünschte, ein Mißverständniß, welches hier und da untergelaufen ist, meinerseits gerade vom Stand⸗ punkt der Finanzen zu berichtigen. Verschiedene der Herren scheinen zu fürchten, daß wir durch Bewilligung dieses Kanals in eine all— gemeine Aera des Kanalbaues zum Ruin unserer Eisenbahnen und unserer Einnahmen aus den Eisenbahnen gerathen würden. Namentlich auch der Herr Abg. Stengel hat darauf mit Besorgniß hingewiesen. Ich babe auch aus den Ausführungen des Herrn Abg. von Pappen heim entnommen dem ich übrigens bei dieser Gelegenheit dankbar bin, daß er ich kann nur sagen, die ziemlich inhaltslosen Witze des Herrn Abg. Richter beseitigt hat —, daß er unzweifelhaft in seinen Gedanken die Befürchtungen schwerer finanzieller Verluste für den Staat durch die Einführung eines neuen allgemeinen Verkehrs mittels hat. .

Ich bin gewiß kein Kanalschwärmer, und ich stehe nicht auf dem Standpunkt jenes Bürgers von Goslar, welchen der schöne Blick vom Brecken herunter zu dem Ausruf veranlaßte: „O, wie ist die. Natur doch im allgemeinen so schön!“ (Heiterkeit; Ich sehe mir vielmehr jede Frage speziell an; ich denke nicht daran, den Kanä en besondere Voczüge vor den Eisenbahnen zu geben und gewissermaßen aus Luxus neben den Eisenbahnen Kanäle zu bauen. Ich babe oft genug ausgeführt, in welchem Maße wir von den Ueberschüssen der Eisenbahnen abhängig sind, und daß sie in ihrer jetzigen Höhe kaum durch irgend eine andere Einnahmequelle zu ersetzen sind. Daß ich also nicht leichtfertig an die Bewilligung eines Kanals gehen würde, wenn er solche Wirkungen hätte, das werden Sie mir schon zutrauen. (Sehr richtig) Ich habe mich auch mit den Beschlüssen des hohen Hauses dahin einverstanden erklärt, daß die Kanaltarife so zu gestalten sind, daß nicht bloß die Verwaltungs, und Betriebekosten gedeckt werden, sondern auch eine angemessene Rente zu erwarten ist.

Wie liegt nun die Sache, wenn ich auf diesem Stand punkt mit Ihnen stehe, bei dem bier vorliegenden Kanal, mal einseitig angesehen von dem Standpunkt der Finanzen? Der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten und der Herr Minister des Handels, welcher selbst ja einer der besten Kenner unseres Eisenbahn wesens aus seiner früheren dienstlichen Stellung ist, erklären beide: bei dem fortgehenden Steigen des Verkehrs in den bier fraglichen Bezirken kommen wir bald an eine Grenze, wo der Staat die nun einmal durch die Verstaatlichung übernommene Verantwortlichkeit für den geordneten Fortgang des Verkehrs nicht mehr leisten kann. Von meinem Standpunkt aus als Finanz⸗Minister, meine Herren, kann ich darüber garnicht weggehen; ich kann nicht sagen: wenn die Sache so liegt, so mag der Verkehr ins Stocken gerathen, dafür kann nichts bewilligt werden. Aber beide Herren, und namentlich der Herr Handels Minister, haben mir weiter gesagt: selbst wenn wir die Eisenbahnen so entwickeln durch Vermehrung der Geleise, Ver⸗ größerung der Bahnhöfe, durch neue Bahnlinien, Umgehungsbahnen u. s. w., so werden doch in diesem Falle die Ausgaben sich derartig steigern, daß an der Vermehrung der Einnahmen finanziell nichts liegen kann, ja daß diese Ausgaben die Ausgaben für diesen Kanal erheblich überschreiten werden.

Meine Herren, ich wäre vielleicht doch noch skeptisch bei diefen Ansichten meiner Herren Kollegen, wenn ich nicht in den letzten Jahren leider hätte erfahren müssen, daß dieser Zustand schon jetzt vorhanden ist (hört, hört! links); denn ich habe Ihnen ja auseinander gesetzt, wie die Mittel, welche der Eisenbahnverwaltung mebr in den letzten Jahren zur Disposition gestellt werden mußten, rund 174 000 000 betragen. Daraus leite ich her, daß die Steigerung der Netto⸗Ueber⸗ schüsse gerade mit dem Wachsen der Brutto- Einnahmen in keinem Verhältniß steht und daß sehr wobl zu befürchten ist, daß ohne die Ergänzung der Wasserstraßen dieser fortwährend steigende Verkehr nur bewältigt werden kann entweder überhaupt nicht durch die Eisenbahnen allein, oder mit solchen Aufwendungen, die die Einnahmen aufzehren. (Hört, hört! links.)

Nun jweitens, meine Herren, Sie haben gesagt: Kanäle sollen gebaut werden, wo die Tarife so sind, daß man eine Rente erwarten kann nach Maßgabe des zu erwartenden Verkehrs. Da behaupte ich: das liegt hier vor; in dieser Beziehung sind Ihre Wünsche mehr als erfüllt, wie ich gleich zeigen werde. Es ist gestern davon gesprochen, diese Kanäle den Privatunternehmern zu überlassen, und man hat sogar gemeint, aus der Aeußerung des Herrn landwirthschaftlichen Ministers, daß man eventuell, falls diese Vorlage abgelehnt würde, wohl dazu übergehen könne. Meine Herren, mir sind Offerten bereits gemacht von den potentesten und kapitalkräftigsten Elementen aus Rheinland und Westfalen (Zuruf rechts: Das ist ja wundervoll! Heiterkeit) ich werde gleich darauf kommen, dann werden Sie viel leicht nicht mehr sagen: wundervoll —, sie wollten die Strecke Dortmund nach dem Rhein auf eigenes Risiko bauen, weil sie fest überzeugt sind, daß sie dabei ein sehr gutes Geschäft machen werden. Für diese Strecke

ist die Sache nach meiner Meinung völlig zweifellos. Sollen wir

nun diese beste Strecke aus der Hand geben und die vielleicht weniger sicheren Strecken aus Staatsmitteln bauen? das wäre doch jedenfalls finanziell wenig rathsam.

Aber die Ueberlassung der Kanäle an die Privatunternehmungen ist auch an sich schwierig und hat in Konkurrenz mit den Staats. eisenbahnen viel größere Bedenken, alt wenn wir die Kanaͤle selbst bauen. Meine Herren, die Frage der Tarifbildung und der Tarif festsetzung wird hierbei immer große Schwierigkeit machen. Der Staat kann die Tariffestsetzung nach meiner Meinung nicht aus der Hand geben, wenn es sich um Kanäle handelt. Es könnte der Fall, von dem Herr Sümmermann vorher gesprochen hat, ganz gut eintreten, daß, wenn die Jadustrie von Rheinland und Westfalen diese Strecke auf eigene Kosten baute, sie ganz aufhörte, weil sie das selbst wieder gewinnt oder vielmehr erspart, überhaupt Abgaben auf diesem Kanal zu nehmen, und dann würde die Konkurrenz mit den Eisenbahnen allerdings eine außerordentlich ungleiche und gefäbrliche werden. Andererseits ist es aber für die Privatunternehmer schwierig, sich der freien Feststellung der Tarife durch den Staat ju unterwerfen; da könnte

dieser Kanal allerdings möglicherweise mal durch eine besondere Auf⸗ fassung in der Staatzzreglerung sehr gefährdet werden. Deshalb