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Deutscher Reichstag. S0. Sitzung vom 12. Mai 1899, 1 Uhr.
Die zweite Berathung des Entwurfs eines Inva⸗ lidenversicherungsgesetzes wird bei dem S 3a fortgesetzt.
Nach dem Vorschlage der Regierung sollten die nur vor- übergehend im Lande sich aufhaltenden ausländischen Arbeiter von der Versicherungspflicht befreit sein. Die Kommission hat beschlossen, daß die Arbeitgeber für sie die Hälfte der Beiträge ahlen sollen. Die Sozialdemokraten beantragen, entweder . Vorschrift zu streichen oder den Arbeitgebern den vollen Beitrag aufzuerlegen. .
Abz. Nißler (8. kon) widerspricht der Art und Weise, in welcher die Sozialdemokraten bei dieser Gelegenbeit üher die Land wirthe und speziell über die Greßgrundbesitzer gesprochen hãtten, und zwar obne Kenntniß der Verhältnisse. Redner protestie rt entschieden dagegen, daß die Arbeitgeber mit den Arbeitern auf dem Lande nicht gut genug umgingen. In Sũddeutsch⸗ jand arbeiteten und äßen die Bauern mit, ihren Arbeitern zufammen. Dieses Verhältniß wollten die Sozialdemokraten nicht dulden, weil sie dabei keinen Vortheil hätten. Deshalb das Ver⸗ betzen der Arbeiter. (Präsident Graf von Ballęest rem macht den Redner darauf aufmerksam, daß der Ausdruck Verbetzen in Being auf Mitglieder des Haufes nicht zulässig sei) Die bäuerlichen Arbeiter feien taufendmal besser daran, als die städtischen Arbeiter, Die Lobnrerbältniffe auf dem Lande seien nur scheinbar niedrig, weil alle Lebensmittel auf dem Lande billiger seien als in der Stadt. Man möchte den Bauern die Arbeiter ablvenstig machen, um sie existenzlos u machen. Nach ausländischen Arbeitern müßten auch schon die großen Besitzungen in Bayern greifen; die Bauern könnten aber aus sändische Arbeiter nicht nebmen, weil es ihnen an Wohnungen für die zu siebenden Famillen feble. Durch die Sonalaesetzgebung sei der Bauernstand Überlaftet. Unter der Aera des Fürsten Bismarck kabe man die Landwirthschaft geschützt, nachber babe man durch die Gesetz. bung, namentiich durch die Handelererträge die Landwirthschaft — Die deutsche Scholle müsse auch in Zukunft bebaut werden.
Abg. von Kardorff (Ry): Ich würde die Debatte nicht ver⸗ längern, wenn richt Herr Stadtbagen den Grundbesitz Ostelbiens so hart angegriffen hätte. Herr Stadthagen bat wobl nicht zugehört, als mein Kollege Gamp über die billigen Lobnverbältnisse des Oftens sprach; die Lohne sind nur deshalb so niedrig, weil die Naturalien natürlich nach dem Ortepreise eingeschätzt werden. Die Kartoffeln, welche die Leute bekommen, dienen auch zum Schweine futter. Cin Schwein verkauft der Arbeiter gewöhnlich. Wenn er die Kartoffeln in der Stadt kaufen sellte, müßte er mindesters den dreifachen Preis bezahlen. Ebenso ist es mit der Milch, der Feuerung, der Wohnung u. s. w. Die ländlichen Arbeiter wohnen nickt immer ideal, aber ein selches Wohnungselend wie viel- fach in den Städten eristiert auf dem Lande nicht. Ausländische Arbeiter babe ich bie ber nicht gebraucht. Aber in meinem Kreise werden ausländische Arbeiter angenommen und es besteht eine große Erbitterung darüber in der bäuerlichen Bevölkerung, daß für diese nichtrentenberechtigten Arbeiter dieselben Beiträge gezahlt werden miffen. Unter der landwirthschaftlichen Kalamitãt baben gerade die kleinen Grundbesitzer gelitten, weil die verbündeten Re⸗ gierungen mit den Sozialdemokraten zu Gunsten der Industriearbeiter eine Gesetznebung gemacht baben zur Herunterdrückung des rlatten Landes. Erst macht man es durch die Gesetzgebung dem vlatten Lande unmöglich, mit den boben Löbnen der Industrie zu konkurrieren, und nachher macht man dem Lande aus diesen niedrigen Löobnen einen Vorwurf. Die landwirtbschaftlichen Arbeiter sollen zu Parias gemacht werden, um die Unzufriedenheit zu erregen. Bei dem Verbalten der verbündeten Regierun zen gegenüber den Sozialdemokraten halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß die Sozialdemokraten auf dem Lande noch gute Geschäfte machen. Wenn aber die Senaldemolraten die Mehrbeit haben, dann kommt eine Gewaltberrschaft. Für so dumm, daß wir unsere Arbeiter durch schlechte Bebandlung wegjagen, sollten Sie uns doch nicht balten. Wenn man bört, wie die Ungestellten der sozial⸗ demokratischen Konsumpereine klagen, dann komme ich zu der An⸗ schauung, daß die Herren ihre Arbeiter viel grausamer behandeln als wir die unsrigen
Abg. Graf von Klinckowstroem (d. kons.): Ich bedanere, daß Hert Haase es vorgejogen bat, nach Haufe zu reisen. Es gehört sonst nicht zu meinen Gepflogenbeiten, einen Abwesenden anzugreifen. Aber ich babe so selten das Glück, ibn bier zu seben, daß ich mich beute nicht daraa kebren kann. Eine größere Niederlage, als er vor⸗ gestern, hat noch niemals jemand erlitten. Herr Haase hat auf meine amtliche Stellung bingewiesen un diese Stellung benutzt, um Kenntniß von Schriftstücken zu nehmen. Da muß ich auf feine Stellung außerhalb des Hauses hinweisen; ich bedauere jeden Arbeiter, der sich bei ibm als Rechtsanwalt Raths er⸗
bolt; denn nach der Kenntniß des Verwaltungsrechts, welche er be=
wiesen, wird der Rath nicht zutreffend sein. Ich babe von den von mir vorgetragenen Dingen nicht amtlich Kenntniß erhalten. Derartige Dinge sind niemals gebeim. err Haase bat ja den Namen des Be⸗ theiligten genannt und
Jeder Arbeiter weiß
großes Licht über
ft dieser Genosse g worden? Hinausgewiesen wird rt. wem noch eiwas zu holen ift, der ird gehalten. Gerade die Parteigenossen des Herrn Haase die kleinen Grundstücke an und vergrößern ihre Besittzungen. e sie sind
. 25 0 92st ö v 10 (C 22 die Bourgerisie in des Wortes verwegenster Bedeutung. ie So ial⸗ 1
aß er allgemein bekannt ist. en Arbeitern ist damit ein
dem okraten baben 31 600 Sti 1” in sIrreußen gewonnen, die Konservativen bal men verloren, die Freisinnigen aber 37 000 Stimme ozialdemoktaten) baben aber, ich will nicht sagen Brudern en, aber in der Verwandtschaft ift es geblieben. Wirthschaften Sie nur so weiter, kommen Sie nut wieder; wir haben ur sere Arbeiter aufgeklärt. Unserz Arbeiter sind kluge als Sie glauben; sie sind lönigstreu und tief religiös.
Abg. Molkenbuhr: Graf Klinckowstroem bat die Niederlage unseres Freundes Haase so sebr betonen ju müssen geglaubt, r sonst niemand davon ett gemerkt bätte Graf Klincken st
aus der Partei entfernt w if die Gegenfrage: Warum
worden, als seine Thate ekannt wurden? Den unter allen Umständen abzulebnen, denn wi lle Beschãftigung ausländischer Arbeiter zum
geradezu eine Belohnung gesetzt wird.
Abg. EL ucke⸗Patershausen (b. k. F) syri darüber aus, daß man diese Bestimmung k Debatte einen weiten Rahmen zu geben.
Redner fort, die Entwickelung der Landwirthschaft in den leßten Jahr⸗ jebnten übersehen, das Eindriagen des Moschinenwesens in dieselbe, wodurch die ganje Wirtbschaft umaeändert wurde. Gleichzeitig be⸗ anspruchte die Industrie zahlreiche Arbeiter, und so kam die Land flucht ju ftande. Wenn die Sozialdemokraten für den böberen Arbeitsertragꝗ lämxrfen, so sollten sie es mit den anderen Parteien zusammenthun gegen das Karital. Der Grund und Boden hat heute keinen Werth mehr; den können Sie j⸗den Augenblick geschenkt erhalten; er ist zu sehr mit Sypothelen delastet; die Grundrente ist eskomptiert. Die Sozial⸗ demekraten verlangen hobe Löhne für die ländlichen Arbeiter, zugleich billiges Bret. Dieses Paradoxon ist nicht zu lösen.
Lödne haben für zie flädtischen Arbeiter keinen erheblichen Vortheil, denn sofort mit ibrer Erböhung steigen die Wohnungsmiethen in den Städten. Also richten Sie (die Sozialdemokraten) Ihren Wider⸗ ftand gegen das Grcskarital.
Abg. Bebel (So): Sie werden uns jederzeit an Ihrer Seite sehen, wenn es sich um den Kampf gegen das Großkapital handelt. Als die Getreideyreise stiegen, wurden die Naturallöhne durch Geldlöhne ersetzt, aber dabei wurden nicht angemessene Preise berechnet, sondern die
nich 2 ö ] — 57 der einheimischen
Arbeiter wurden betrogen. Daher ist es erklärlich, daß die Arbeiter namenflich bei der schlechten Bebandlung diese Zustände auf die Dauer nicht ausbalten. Redner weist auf die Unfersuchungen über die Lage der ländlichen Arbeiter seitens des Professors Weber hin. Die ländlichen Arbeiter wüßten auch aus den Verhandlungen des Abgeord⸗ netenbauses, was von den Konservativen für sie zu erwarten sei, die nur danach strebten, die Arbeiter an die Scholle zu fesseln. Wenn Graf Klinckkowstroem den Kampf mit den Sozialdemokraten wagen wolle, dann sollte er dafür sorgen, daß Wind und Sonne gleich mãßig vertheilt würden; dann würden sie es ruhig abwarten. Für Herrn Braun könnten sie ebensowenig verantwortlich gemacht werden, wie die Konservatiben für Herrn von Hammerstein. Keine Partei verfahre in diefer Beziekung so rigeroz wie die Sozialdemokraten.
Abg. Pr. Oertel Sachsen (d. kons.): Wenn die Sozialdemokraten erklären, daß sie Gegner der Monarchie und der Verfassung sind, dann baben sie es sich seltst zumnschreiben, wenn sie nicht als gleichberechtigt betrachlet werden. Im Kampf gegen die Großkapitaliften haben wir die Sozialdemokraten noch nicht , . Bei der Börsensteuer und beim Bankgesetz standen sie auf seiten des Groffapitals. ( Prãsident Graf von BSalkestrem: Ich möchte den Redner bitten, doch nicht ein neues Gebict in die Debatfe zu ziehen. Wir haben die Sache schon den zweiten Tag behandelt; wenn nun auch noch die Banken dazu kommen, dann werden wir gar nicht fertig; ich bitte, sich doch auf die agrarische Frage zu beschränken!) Ich werde der Mahnung des Präͤsidenten folgen und mich auf die ausländischen Arbeiter be⸗ schränken. Die Arbeiter haben Geldlöhnung statt Naturallõhnung erlangt, weil man ibnen vorredete, das Geld habe einen höheren Werth als die Naturalien. Professor Max Weber ist für ung keine Autorität; er gebört einer geradezu agrarierfeindlichen Schule an. Bildungsfeindlich sind die Agrarier nicht; sie haben sich nur da— gegen gesträubt, daß die Lebrer als Fleischbeschauer ausgebildet werden. Wenn licht etwas Durchgreifendes für die Landwirthschaft geschieht, muß die Tatifundienwirihschaft um sich greifen, und zwar werden die Latifundien fich in dem Besitz der Herren Rotbschild und seiner Tandsleute befinden. Die Arbeiternoth für die Landwirthschaft be— steht nicht bloß im Osten und beim Großgrundbesitz, sondern überall. Sogar die Industrie klagt über Arbeitermangel. Der anscheinend böbere Geldsohn in den Städten verleckt die Leste, obwohl die Er⸗ nãbrungeverbältnisse und Wohnungsverhältnisse auf dem Lande meist viel besser sind als in den großen Städten. Die auslãndischen Arbeiter werden nur aus Noth befchaͤftigt. Sie können aber niemals inen Rentenanspruch erwerben. Ist es denn so schlimm, daß wir im Gesetz bestimmen, daß die Arbeitgeber die Hälste der Beiträge be⸗ jahlen sollen? Wir wärden die ausländischen Arbeiter gern entbehren, ebenfo wie die anderen Ausländer, die nicht Arbeiter siad und eine Schmußklonthn renz. machen. Machen Sie die Landwirthschaft durch bessere Handelsverträge lohnender, dann wird auch die Lage der Arbeiter eine bessere werden. ö .
bg. Stadthagen (Sor) weist darauf bin, daß der Minister für Landwirtbsckaft im Jahre 1897 im preußischen Abgeordneten bause die Woh nungsverhästnisse Ostpreußens richtig geschildert habe. Von Froßen Räumen sei damals keine Rede gewesen, sondern von Wohnungen, die, aus Stube und Kammer bestehend, für eine Familie mit 3 bis 5 Kindern und noch einen Schar⸗ werker ausreichen müßten; diese Wohnungen habe der Minsster felbst als nicht menschenwürdig bezeichnet, aber an diese Wohnungen sei man von früher her in Ostpreußen gewöbnt gewesen. Die so geschilderten Wohnunzen hitten sich auf einem staatlichen Gesftũt befunden. Redner empfieblt ebenfalls die Ablebnung des § 3a, weil fonst eine Prämie auf die Annahme ausländischer Arbenler gesetzt würde; das wäre eine schwere Schädigung des deutschen Arbeiters, ein Scklag gegen das nationale Bewußtsein. In der ersten Lesung der Kommission sei aus nationalem Interesse diese Bestimmung ge— sttichen worden.
Abg. Richter (fr. Volksp): Eine Verwandtschaft meiner Partei mit der Sozialdemokratie besteht nicht. Die Angriffe der Konserpativen auf die Gleichberechtigung der Arbeiter bringen uns allerdings in der Abwehr mebrfach mit den Sozialdemokraten in die gleiche Front. In Oftpreußen ift niemals Sonne und Wind gleich vertheilt gewesen; ob die Konserpativen dort im Besitz der Mandate bleiben, hängt von der amtlichen Wahlbeeinflussung ab. Ueber die Leutencth und ähnliche Fragen haben wir uns im preußischen Abgeordnetenhause ausgesprochen. Es sst mir jweifelhaft, ob nicht der beftehende Zustand besser ist als die Beschüsse der Kommission. Es ist widerspruchsvoll, daß aus lãndische Arbeiter versicherungepflichtig gemacht werden sollen, die durch die Bebörden verbindert werden können, das Versicherungsberhältniß fort⸗ zufetzen. Die Beseitigung der Veisiberungepflicht wäre allerdings geradeju eine Prãmie. Aber die Zahlung der Hälfte des Beitrages, ohne daß ein Versicherungsverhältniß eingegangen wird, ist auch eine irrationele Losung, und jwar nur eine halbe. Es müßten die Arbener auch ibren Antheil am Beitrag bezahlen, und zwar an die Gemeinden zur Deckung der Unkoften, welche durch die Beschäftigung ausländischer Arbeiter entsteben. Ich beantrage daher, den 5 3a an die Koemmission zurũchkjuübe tweisen.
Abg. von Kardorff: Der Bananschlag für das Trak-hner Gestüt war ju hoch und wurde desbalb herabgesetztr, nicht um an Wohnungen zu sparen.
Abg. Dr. Hahn (b. k. F) weift darauf hin, daß es sich nur um vor⸗ übergebend beschftigte Arbeiter bandle. Die Freisinnigen und Sozial⸗ Temokraten erschienen als Verbündete; beide begünstisten die Bildung von Großbetrieben. Die Wobnungen auf dem Lande wrden besser und seien j denfalls meist besser als in den großen Städten. Die Beitrags hälfte betrage 1 3 pro Tag, das sei wobl keine erhebliche Prämie. Der preußische Landwirthscafts⸗Minister sei ein besonderer Kenner der landwirthschaftlichen Verhältniss⸗ des Ostens nicht. Die landwirthschaftlichen Arbeiter des Ostens würden sich andere Vertreter aus suchen als zwei jädische Rechtsanwälte der Sozialdemekratre.
Damit schließt die Debatte.
s Za wird unter Ablehnung der sozialdemokratischen An⸗ träge unverändert angenommen.
Nach z 4 sollen Beamte des Reichs, der Bundesstaaten, der Kommunalverbände ꝛc. der Versicherungspflicht nicht unterliegen, ebensowenig die Personen, die erwerbsunfähig sind, d. h. deren Erwerbsfähigkeit auf weniger als ein Drittel herabgesetzt ist. Dies ist dann anzunehmen, wenn sie nicht mehr im stande sind, durch eine ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechende Thätigkeit, die ihnen unter billiger Be⸗ rücksichtigung ihrer Ausbildung und ihres bisherigen Berufs zugemuthet werden kann, ein Drittel desjenigen zu erwerben, was körperlich und geistig gesunde Personen derselben Art mit ähnlicher Ausbildung in derselben Gegend durch Arbeit zu verdienen pflegen. ;
Nach 8 9 ist Gegenstand der Versicherung der Anspruch 29. . einer Rente für den Fall der Erwerbsunfähig⸗ eit (3 4.
Vie Sozialdemokraten beantragen, bei Herab⸗ setzung der Erwerbsfähigkeit auf die Hälfte die Rente zu ge— währen.
Abg. Freiberr von Stumm (Ry) beantragt, die Erwerbe unfäbigkeit (im Anschluß an das bestehende Gesetz dann anzunehmen, wenn der Versicherte zicht mehr im stande sei, ein Fünftel des Durchschnitts der Lohnsätze, nach welchen für ihn in den letzten fünf Jahren Beiträge entrichtet seien und ein Fünftel des dreibundertfachen Betrages des ortenblichen Tagelohnes seines letzten Beschäftigungsortes zu verdienen (das Gesetz schreibt dafür je ein Sechstel der bezeichneten Benäge vor) In einer besonderen Re selution beantragt Abg. Freiherr ven Stumm serner die Vorlegung einer Wittwen« nnd Waisenversich rung. Der Antragsteller sieht in der neuen Definition der Grwerbsunfähigkeit eine Schädigung der nierrig gelobnten Arbeiter zu Gunften der hochgelohnten Arbeiter, die Geld zurüdlegten und sich in den meisten Fällen ein eigenes Haus kauften. Die hochgelohnten Arbeiter ließen sich mit 45 Jahren invalidisieren
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und fangen ein Geschäft an. Die vorgeschlagene neue Definition sei für die Arbeiter nicht verftändlich; diejenigen, welche einen Renten. anfpruch erhöben, würden nicht nur alle an das Schiedsgericht, sondern auch an das Reichs. Versicherungs amt gehen. Redner erklärt, daß er die Verantwortlichkeit nicht übernehmen könne, für die Konfusion, die aus dem Beschlusse der Kommission entstehen werde. ;
Abg. Molten bubr weist darauf hin, daß man sich bei der ö. des Begriffes der Invalidität geirrt haoe; die Zahl der
nvalsldenansprüche sei geringer gewesen, als man erwartete, und das Absterben der Invaliden sei schneller erfolgt, als man angenommen hätte. Das sei ein Beweis dafür gewesen, daß der Begriff der Erwerbe⸗ unfählgkeit zu eng geiaßt worden fei, deshalb sollte man jetzt die Definition mehr den thatsächlichen Verhältnissen anpassen.
Abg. Dr. Lehr ful.) beantragt, daß eine durch einen Unfall herbeigeführte Erwerbsunfähigkeit den Anspruch auf Invalidenrente nur infoweit begründen solle, als die zu gewährende Invalidenrente die Unfallrente üͤbersteige. .
Abg. Hilbck 6 tritt für den Antrag des Abg. Freiherrn von Stumm ein, unter der Voraussetzung, daß der Durchschnitt der letzten zwei Jahre genommen werde, weil sonst die höher gelohnten Arbeiter schlechter gestellt würden. ö
Abg. Roe s icke. Dessau (b. k. F.) erklärt sich gegen den Antrag des Abg. Freiherrn von Stumm und für den Kommissionsbeschluß. Ein hoch⸗ gelobnter Arbeiter müsse als Invalide erklärt werden können, auch wenn er noch mehr rerdiene als ein niedrig gelobnter Ar— beiter; denn daju habe er ja seine höheren Beiträge be—⸗ zablt und sich ein Recht auf eine höhere Rente erworben. Bei der Unfallversicherung werde sogar jeder einzelne Arbeiter nach feinen persönlichen Lobnverhältnissen behandelt. Was die verbündeten Regierungen jetzt vorschlügen, bilde bereits den Inhalt der bisherigen Rechtsprechung des Reichs⸗Versicherungsamts, Welches sich dabei nicht ganz an den Buchstaben des Gesetzes gebalten habe. Der Antrag der Sozialdemokraten sei sehr menschenfreundlich, aber nach diesem Antrage würde die 8 der Invaliden sich ver⸗ doppeln, und die Beiträge müßten zur Deckung der Renten erheblich erhöht werden.
Abg. Freiherr von Stumm erklärt sich damit einverstanden, daß in seinem Antrag die Worte während der letzten 5 Jahre“ gestrichen werden.
Rbg. Sach fe (Soz.) tritt für den sozialdemokratischen Antrag ein, welcher dem Verfahren der Knappschaftskassen entspreche.
Abg. Dr. Hitze (Zentr.) erkennt an, daß der Antrag des Abg. Freiherrn von Stumm gewissermaßen feste Zahlen zur Beurtheilung der Erwerbzunfähigkeit gebe; aber dabei fei überseben, daß die Arbeiter sich nach der Vorlage jetzt höher versichern könnten und dadurch in der Lage wären, die vorgeschriebenen Grenzen zu verschieben.
Abg. Freiherr von Stumm: Nicht alle Knappschaften haben die
Beschränkung der Erwerbsfäbigkeit auf die Hälfte als Invalidität an⸗
gefehen. Mein Antrag mit Ermäßigung auf 40 0ͤ nähert sich den Bestimmungen der Knapyvschaftskassen.
Darauf werden die 8 4 und 9 mit dem Antrage des Abg. Dr. Lehr unter Ablehnung der Anträge der Sozial⸗ demokraten und des Abg. Freiherrn von Stumm angenommen.
Gegen 6 Uhr wird die weitere Berathung bis Sonn⸗ abend 1 Uhr vertagt.
Preußischer Landtag. Herrenhaus. . 11. Sitzung vom 12. Mai 1899.
Auf der Tagesordnung steht die Interpellation der Herren von Rheden und Struckmann:
Welche Schritte gedenkt die Königliche Staatsregierung ju thun, um der bei der Zunahme der Industrie und insbesondere der Kali⸗Industrie den Gewässern drohenden übermäßigen Verunreinigung und Jer davon zu befürchtenden Schädigung wichtiger öffentlicher und Lrivater Interessen in Stadt und Land wirksam entgegen⸗ zutreten.
Nachdem der Minister für Handel und Gewerbe Brefeld sich zur fofortigen Beantwortung bereit erklärt hat, begründet
Herr von Rheden die Interpellation. Er macht geltend, daß die Bedeutung der Kali⸗Industrie von den Intemellanten keineswegs verkannt oder unterschäßt werde, daß aber die unangenehmen Begleiterscheinungen dieser Induftrie zahlreichen anderen Betrieben und zumal der Landwirtbschaft schwere Nachtheile jufügten. Was bisher zur Eantschädigung der Benachtheiligten geschehen, sei absolut ungenügend. Schwer zu leiden babe insbesondere die Zuckerrübenindustrie, da der Zucker⸗ gehalt der Rüben durch die Einwirkung der Kalilauge sehr vermindert werde. Dese leichen würden die Dampfkessel durch die Aetzlauge arg beschädigt. Das einzige ersvrießliche, wenn auch kostspielige Abhilfe⸗ mittel bestehe darin, die Fabriken zu jzwingen, ibre gesammte Pro- duktion zu verdampfen; bei den enormen Gewinnen und bei dem hohen Kursstande der Aktien der betreffenden Gesellschaften sei das kein un⸗= billiges Verlangen.
Minister für Handel und Gewerbe Brefeld:
Meine Herren, die Ausfübrungen des Herrn Vorredneis beziehen sich theils auf die allgemeine Frage, wie und in welcher Weise der nachtheiligen Einwirkung der Fabrikabwässer auf die öffentlichen Fluß⸗ läufe vorzubeugen sein wird, theils auf die besondere Frage, in welcher Weise die Abhilfe zu schaffen wäre für die Flußläufe, deren Wasser durch die Einführung der Fabrikabwässer in der Provinz Hannover betroffen wird. In dieser letzteren Beziehung hat der Herr Inteipellant die⸗ jenigen Entscheidunzen zum Gegenstande kritischer Erörterungen ge⸗ macht, die von mir in veischiedenen Beschwerdefällen ergangen sind. Ich will mir gestatten, zunächst die allgemeine Frage zu erörtern, auf die dech die Hecren Jnterpellanten und das hohe Haus vorzugeweise Gewicht legen werden, um dann im Rahmen der allgemeinen Ge sichtspunkte die von mir getroffenen Entscheidungen zu erläutern und zu erklãren.
Es ist nicht zu verkennen, daß die ganze Frage, um die es sich bier bandelt, von sehr großer Bedeutung ist. Unsere Fabrikations- betriebe nehmen in ungeheurem Maße zu, und die Abfallwässer, die sich dort ergeben, werden jetzt im wesentlichen den Flußläufen ju⸗ gefäbrt; tbatsächlich werden aber die Flußläufe dadurch vielfältig be= nacht beiligt.
Es giebt nun verschiedene Wege, wie man die Schwierigkeiten, die sich hieraus ergeben, lösen kann. Die erste Lösung liegt auf technijchem Gebiete. Hier handelt es sich darum, Methoden zu finden, durch welche die Abfallwässer vor ihrer Einführung in die öffentlichen Gewässer geklärt oder doch unschädlich gemacht werden, oder solche, wodurch die Abfallwässer eingedampft werden, so, daß ihre Einführung in die eêffentlichen Gewässer überhaupt entfällt. In ersterer Beziehung hat die Technik bereits für manche Abfallwässer Metboden gefunden, durch die tbatsachlich diese Abfallwäfser in hohem Grade unsch idlich gemacht werden, sodaß ibre Einführung in die öffentlichen Flußläufe mit erheblichen Nachtbeilen nicht mehr verbunden ift. Ich erinnere in dleser Beziehung an das Proskoweßz'sche Verfahren, wo⸗ durch neuerdings die Abfallwässer der Zuckerfabriken einer solchen Reinigung unterzogen Ü werden, daß man angeblich die geklärten Wässer für den Betrieb sogar wieder verwendet. Es ist anzuneh wein, daß nach dieser Richtung hin noch weitere
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Fortschritte gemacht werden. Die weite Methode ist die des Gindampfenz. Dieses Gindampfen ist aber noch mit so außerordent⸗ lichen Kosten verbunden, namentlich bei den Kalifabriken, daß, wenn man es allgemein anordnen wollte, der Betrieb der Fabriken fast un⸗ möglich wird. Das ist das sachverständige Gutachten der Berg⸗ abtheilung des Ministeriums, auf das ich mich bei der Beurtheilung dieser Frage stũütze. Ich werde mir gestatten, den bezüglichen Passus des Gutachtens zu verlesen:
Die Beseitigung der Endlaugen aber in anderer Weise als durch Einleiten in die Flußlaufe ist bisher nicht gelungen. Das Ab⸗ dampfen der Laugen ist technisch wohl möglich, aber wegen der hoben Kosten, welche sich für eine Fabrik aus einer täglichen Ver— arbeitung von 4000 Ztr. Rohsalz überschläglich auf mindestens 150 000 M jährlich berechnen lassen, bei den bevorstehenden Kon⸗ kurrenzverhältnissen wirthschaftlich nicht durchführbar.
Nun ist es allerdings wohl möglich, daß auch dieses Verfahren der Abdampfung brauchbar wird, sobald der Rückstand, der sich dabei ergiebt, verwerthet werden kann. Das dabei ge— wonnene Chlormagnesium wird schon jetzt nach England verkauft und dort verwerthet; aber der Ertrag ist ein so geringer, und die Kosten der Eindampfung sind thatsächlich so groß, daß durch die allzemelne Einführung derselben die Errichtung und der Betrieb der Kalifabriken unmöglich gemacht werden würden. Nun, meine Herren, um die Forischritte, die für die technische Lösung der Frage in Auksicht stehen, für die Zakunft möglichst zu fördern und ausgiebig ju verwertben, habe ich in Aussicht genemmen, eine stãndige technische Kommission zu bilden aus den bewãhrfẽsten Sachverständigen, die die Aufgabe haben, alles was auf diesem Gebiet geschieht, alle Vorschläge, Einrichtungen, Er— findungen, ju verfolgen, zu prüfen, zu sammeln, um so jederzeit den Ueberblick zu haben über die ganze Bewegung auf diesem Gebiete. Eine solche Kommission würde in der Lage sein, alles, was in dieser Beziehung Neues erscheint, zu veröffentlichen, den betbeiligten Interessenten mitzutheilen, anzuregen und dahin zu wirken, daß durch die gesammte technische Entwickelung und die Förderung ihrer Fort⸗ schritte die Lösung diefer Frage schneller erreicht wird, als es sonst der Fall sein würde. Ich habe mich hierüber bereits mit dem Herrn Kultus. Minifter in Verbindung gesetzt, der das gleiche Interesse für die Abfallwässer in den Städten hat, wofür auch bereits eine Kommission eingesetzt ist. Wir haben in Aussicht genommen, nun eine gemeinsame Kommission für beide Kategorien der Abwäãsser zu bilzen.
Hierzu kommt noch die Möglichkeit einer anderen Lösung durch eine im Reichstage gegebene Anregung. Dort ift der Antrag gestellt worden, eine Reichskommission zu errichten, die die Aufgabe haben soll, innerbalb der Flaßgebiete der durch mehrere Bundesstaaten gebenden Wasserstraßen die Beaufsichtigung der Zuführung von Abfall wässern in die Flußläufe zu überwachen. Die Reichsregierung bat den Antrag, der vom Reichstage angenommen worden ist, der prenßischen Regierung mitgethellt und sie um ihre Meinung gebeten. Es ist nun in Aussicht genommen, gemeinsam mit der Reichsregierung zu erwãgen, ob es nicht jweckmäßig sei, eine sachverständige Kommission der von mir bezeichneten Art für das ganze Reich einzurichten. Es würde das deshalb von besonderem Vortheil sein, weil die meisten Flußlãufe sich nicht auf einzelne Landes gebiete beschrãn ken, sondern durch mehrere hindurchgehen. Es würde eine solche Kommission zugleich in ihren Gutachten eine technische Grundlage bieten für die Entscheidung in Beschwerdefällen und damit auch die Direktive für die beaufsichtigende Thätigkeit der Behörden, soweit sie von technischen Erwägungen abhängt. Das also, meine Herren, würde das sein, was bezüglich der technischen Lösung dieser Frage in Aussicht genommen werden kann.
Ich komme nun zu dem anderen Punkte, was etwa zu geschehen hat bezüglich der Loösung der Frage im Verwaltungswege oder im Wege der Gesetz gebung. Unsere gegenwärtige Gesetzgebung läßt in mancher Beziehung ju wünschen übrig, insbesondere auch deswegen, weil zu der Zeit, als das Allgemeine Landrecht erlassen wurde, diese Frage der Ein⸗ leitung solcher Abfallwässer in die Flußläufe wohl nech nicht praktisch war. Gs findet sich deshalb unter den verschiedenen Benutzungsarten der öffentlichen Flüsse, die im Landrecht aufgeführt werden, die Einleitung der Abfallwässer überhaupt nicht vor. Erst im Jahre 1816 ist durch eine Kabinetsordte vorgeschrieben worden, daß die Einleitung von Abfallstoffen in die öffentlichen Flässe nicht stattfinden solle, wenn dadurch eine erhebliche Benachthelligung herbeigeführt wird, und daß eventuell die Polizeibehörde dagegen einzuschreiten hat. (Hört! hört Eine ähnliche Bestimmung findet sich im Gesetz von 1843 über die Benutzung der Privatflüsse und eine ähnliche Bestimmung ist auch in dem Fischereigesetz von 1874 vorgesehen, um die Fischzucht gegen die Einführung von Abfallstoffen zu schüätzen. Das sind also die Bestimmungen, welche die Möglichkeit bieten, einen polizeilichen Schutz in solchen Fällen anzurufen, wo thbatsächlich er⸗ hebliche Nachtheile durch die Einleitung solcher Abfallwässer in die Flässe herbeigeführt werden.
Nun baben wir aber noch zwei besondere Bestimmungen, die gerade bei denjenigen Fällen in Frage kommen, die vom Herrn Vor—⸗ redner erwähnt worden sind, das ist zunächst die Bestim— mung in dem § 186 des Berggesetzes, die sich darauf be— zieht, daß die Bergpolizei die Berechtigung bat, alle und jede gemeinschädliche Einwirkung des Bergbaues durch polizeiliche Verfügung zu verhüten. Damit ist sie auch in der Lage, die Ein⸗ leitung der Schachtwässer, die aus den Gruben stammen und in die Flüsse gefährt werden, zu verbieten, oder ihre Klärung vor der Ein führung anzuordnen. Bezüglich der Einleitung der Schachtwässer in die Flußläufe von Hannover, die Innerste, die Lamme und die Leine, ist aber irgend ein Antrag oder eine Beschwerde an mich nicht gelangt, sadaß ich mir hier in dieser Beziehung den Vorwurf eines Versehens schon aus diesem Grunde nicht würde gefallen lassen können; ich bin nur befaßt gewesen mit Entscheidungen bezüglich der Ein⸗ führung der Fabrikabfallwässer, die aus den Kalifabriken stammen. In dieser Bejiehung gilt aber die besondere Vorschrift des § 16 der Reichs. Gewerbeordnung, die bestimmt, daß die Genehmigung für konzessionpflichtige Betriebsanlagen nur ertheilt werden soll, wenn durch den Betrieb erbebliche Nachtheile, Gefahren oder Helästigungen für das Publikum nicht entstehen; und sofern sie bestehen, soll die Genehmigung nur unter solchen Kautelen ertheilt werden, die eben diese Gefahren, Nachtheile uud Belästigungen zu verhüten geeignet sind. Auf dieser Bestimmung beruht die Entscheidung, die ich meinerseits getroffen habe bezüglich der Einleitung der Abfallwässer der Kalifabrilen in die Innerste, Lamme und Leine; die Lamme und Innerste fließen ja in
die Leine. Es handelt sich hier also um die Frage, ob thatsächlich durch die Einleitung der Abfallwässer in die öffentlichen Flußläufe erhebliche Nachtheile, Gefahren und Belästigungen herbeigeführt werden. Das wurde von den Beschwerdeführern, den Interessenten behauptet, indem sie sagen, daß die Fischerei und die Landwirthschaft, namentlich die Wiesenkultur, wesentlich durch die Abfallwässer beeinträchtigt würden. Es wurde auch von den Zuckerfabriken behauptet, daß sie das Wasser für ibre Fabrik jwecke nicht mehr verwerthen könnten, und ebenso wurde behaupte daß es auch als Kesselwasser für den Kesselbetrieb nicht verwerthet werden könnte, kurz, alle diejenigen Schäden, die man von der Ein leitung der Abfallwässer in die Flußläufe befürchtet. Bei der Ent ⸗ scheidung dieser Frage habe ich mich natürlich zu stützen auf die sachver⸗ ständige Ansicht derjenigen, die mir hierbei zur Seite stehen: das ist die technische Deputation für Gewerbe, die aus den ersten technischen Autoritäten des Landes besteht, und welche die Aufgabe hat, alle solche Fragen, die zu meiner Entscheidung gelangen, zu begutachten. Ich babe also auch hier die Frage, die im Wege der Beschwerde an mich gelangt ist, der technischen Deputatien vorgelegt; die hat nun gesagt, es sind mit der Einleitung der Kaliabwässer unter den und den Bedingungen er hebliche Nachtheile nicht verbunden. Sie geht von der Ansicht aus, daß die Reinigung des Wassers für die Zwecke des Kesselbetriebes unschwer erfolgen kann; sie geöt fernet von der Ansicht aus, daß es für die zu befürchtende Schädigung der Zuckerfabriken vom Standpunkte des öffentlichen Interesses aus bei weitem nicht so schwer wie der Nachtheil wiegt, der entsteht für den Betrieb der Kalifabriken, wenn man ibnen die Ableitung ihrer Abwässer nicht gestattet; sie ging endlich von der Voraussetzung aus, daß auch für die Landwirtbschaft und Fischerei ein Härtegrad des Wassers von 30 Grad, das heißt von 30 Theilen auf 100 000 nicht nachtheilig sei; sie stützte sich dabei auf Gutachten an⸗ erkannttr landwirthschaftlicher Autoritäten, — ich erwäbne in dieser Beziehung die Professoren Mäicker in Halle und König in Münster —, und sprach sich dahin aus: es darf die Einleitung der Kaliwässer stattfinden unter folgenden Be— dingungen: erstens, daß die tägliche Verarbeitung sich beschränkt auf eine Ziffer von 125 t Carnallit; zweitens, daß die Einleitung nur über dem Mittelstande des Wassers stattfindet; drittens, daß die End⸗ laugen vor der Einführung mit der doppelten Menge Wasser vermischt werden müssen; endlich viertens, daß sie nicht an einer, sondern an verschiedenen Stellen in, den Fluß eingeführt werden. Dann soll also so lange die Einführunz zulässig sein, als nicht der Härtegrad von 30 Grad überschritten wird; sobald der überschritten wird, ist die Bebörde berechtigt, obne weiteres einzu⸗ schreiten. Damit, glaube ich, sindé doch genügende Kautelen ge— schaffen. Die Sache liegt ebenso, ob es sich um ein oder zwei oder drei oder mehrere Fabriken handelt. Denn es kommt immer nur darauf an, durch Analysen den Härtegrad des Wassers festzustellen. Sowie der Härtegrad von 30 überschritten ist, verfügt die Polizei ohne weiteres eine entsprechende Einschränkung der Betriebe der Kaliwerke bezüglich der Einleitung der AÄbwässer. Nun aber bin ich damit noch nicht zufrieden gewesen. Ich habe noch mehr verlangt. Ich habe mir gesagt: Ihr Sachverständigen könnt euch möglicher Weise doch irren. Die Sachverständigen sind ja sehr oft verschiedener Meinung. Da babe ich nun noch die weitere Kautele hinzugefügt: wenn alle diese Beschränkungen nicht aus— reichen, um einen Schaden, einen Nachtheil zu verhüten, sollen die Interessenten berechtigt sein, ohne weiteres die Beschluß— behörde anzugehen, und diese ist berechtigt, weitere Be⸗ schtänkungen anzuordnen, um einem Schaden vorzubeugen. Damit, meine Herren, glaube ich, meinerseits alles gethan zu haben, was die Vorsicht gebietet, und ich glaube daher annehmen zu können, daß die von mir getroffene Eantscheidung formell unanfechtbar ist. Ob die Meinungen der Sachverständigen nun von allen getheilt werden, weiß ich natürlich nicht. Ich muß mich stützen auf diejenigen, die mir zur Seite gestellt sind.
Nun, meine Herren, will ich ja zugeben, daß die gegenwärtig be—⸗ stehenden gesetzlichen Vorschriften, wenngleich sie einen Eingriff der Polizei überall da, wo erhebliche Nachtbeile entsteben, zulassen, immerhin ihre großen Mängel haben. Der Schutz der Reichs ⸗Gewerbe—⸗ ordnung beschränkt sich auf die konzessionepflichtigen Betriebe und versagt, soweit die Zulassung nicht an Bedingungen geknüpft ist. Das geltende Recht genügt wohl auch deshalb nicht, weil wir weiter keinerlei Unter⸗ scheidung kennen zwischen den einzelnen Benutzungsarten der aqua profluens unserer öffentlichen Flüsse. Es kann also jeder den Fluß be⸗ nutzen, sei es für landwirthschaftliche Zwecke, sei es für Reinigungszwecke, sei es für fabrlkatorische Zwecke, sei es für Fischerei oder Schiffahrt. Welcher von diesen geht nun vor? In dieser
Hinsicht haben wir keinerlei Bestimmungen. Es wäre gewiß sehr erwünscht, wenn das Wasserrecht neu geregelt würde.
Es fragt sich nur: wie soll die Regelung erfolgen? Die vollkommenste Regelung wäre jedenfalls die reichsgesetzliche, weil unsere Flüsse sich nicht auf unsere eigenen Landesgebiete keschränken, sondern sich auf andere Staaten erstrecken. Gerade der Oberlauf unserer Flüsse liegt meist im Landesgebiet anderer Staaten, von denen wir unter Umständen bereits das verdorbene Wasser bekommen. Nun ist bekanntlich die Zu—⸗ ständigkeit des Reichs in dieser Beziehung durch Art. 4 der Reichsver⸗ fassung beschränkt, und zwar beschränkt auf die Interessen der Schiffahrt und der Hygiene. Darüber binaus erstreckt sie sich nicht. Man würde aber auch, glaube ich, wenn man die reichsgesetzliche Regelung versuchen wollte, auf Schwierigkeiten bei den Bundes staaten stoßen. Bekanntlich hat ja das Bürgerliche Gesetzbuch das Wasser— recht bereits ausgeschieden und der Landesgesetzgebung überlassen, so daß wir nun vor der Frage stehen, ob wir nicht in Peaßen ein Wassergesetz erlassen sollen. Das ist auch schon seit längerer Zeit in Aussicht genommen. Es haben umfassende Vorberathungen stattgefunden. Ein Entwurf liegt vor und ist bereits im Staats Ministerium be⸗ rathen worden. Die Materie selbst ist aber überhaupt und insbesondere bejüglich der Ableitung der Abwässer eine überaus schwierige. Da ist man angesichts dieser Schwierigkeiten zu der Ansicht gekommen, daß man zunächst versuchen könne, die Abwässerfrage im Wege polizeilicher Verordnungen zu regeln. Das hat ja viel für sich, und zwar vor— zugsweise deswegen, weil die Ordnung dieser Frage erstens zrtlich verschieden ist nach den einzelnen Flußgebieten. Es sind die Wasserverhältnisse in den einzelnen Flußgebieten und die wirthschaftlichen Verhältnisse der Adjazenten überall verschieden. Alle diese Verschiedenheiten lassen sich nicht wohl in einem Gesetz berücksichtigen, wohl aber in polijeilichen Verordnungen, die für die
einzelnen Flußgebiete erlassen werden. Das ist der eine Punkt. Der zweite ist der, daß ja gerade die Beschränkungen der Benutzung der Flüsse in dieser Beziehung abhängig sind von den Fortschritten der Technik, und die Technik ist, wie ich bereits auseinandergesetzt habe, in sehr schneller Entwickelung begriffen.
Also, meine Herren, die zeitlichen und örtlichen Verschiedenheiten welsen darauf bin, nicht im Wege des Gesetzes, sondern im Wege der Polizeiverordnung vorzuzehen, und da hat es das Staats Ministerium für zweckmäßig erachtet, zunächst von dem Ober Präsidenten der in Frage kommenden Provinzen die Entwürfe von solchen Polizeiverordnungen, wedurch die Abwässerfrage für die einzelnen Flußgebiete geregelt wird, einzufordern. Diese sind zum theil bereits eingegangen und liegen jetzt den betbeiligten Ressorts zur Prüfung und weiteren Entschließung vor. Das ist also der Zu⸗ stand, in dem sich die ganze Angelegenheit befindet.
Ich gebe nun gewiß zu, daß ihre Regelung nach allem, was ich darzulegen mir gestattet habe, mit erheblichen Schwierigkeiten ver⸗ bunden ist; ich glaube aber doch, daß es wohl möglich sein wird, auf diese Weise in der Folge, und jwar in nicht zu ferner Zeit, Abhilfe zu schaffen. Ich meinerseits kann mich nur darauf beschränken, diese meine Hoffnung auszusprechen. (Beifall.)
Auf Antrag des Herrn von Bemberg⸗Flamersheim findet eine Besprechung der Interpellation statt.
Ober ⸗Bürgermeister Struckm ann ⸗ Hildesheim: Das Quellgebiet der Innerste ist durch die Abwässer braunschweigischer Fabriten völlig verseucht; das Kaiserliche Gesundheitzamt bat schon vor 1897 dahin ein Gutachten abgegeben, daß die Endlauge der Langelsheimer Fabrik nicht weiter in die Innerste geleitet werden dürfe. Eine Kon⸗ feren; vom Mai 1887 hat auch in diesem Sinne entschieden. Seittem baben zablreiche andere preußische Werke, auch Bergwerke, ihre Abwässer in die Innerste geleitet; durch die erwähnte Verfügung des Ministers sind aber die Beschwerden der Hiloesheimer nicht beseitigt, sondern quasi als unberechtigt zurückgewiesen worden. In 17 Wochen bat allein die Zuckerraffinerie Hildesbeim einen Schaden von S9 000 S gebabt. Durch Untersuchungen allein läßt sich eine solche Schwierigkeit nicht überwinden. Der Härtegrad des Wassers ist durch die Versalzung und Verlaugung so gesteigert, daß die Hildes⸗ heimer Industrie es abfolut nicht mehr benutzen kann. Was soll man dazu sagen, wenn dee, . jetzt seinen Fabriken gestattet, was et den braunschweigischen ünterfagt wissen wollte? Der Minister soll jedenfalls, bevor er weitere Bescheide ergehen läßt, die Sachverständigen⸗ kommission, die er berufen will, befragen.
Minister für Handel und Gewerbe Brefeld:
Meine Herren! Der Herr Vorredner ist bei seinen Ausführungen in mehreren Punkten von Voraussetzungen ausgegangen, die ich als sachlich nicht zutreffend bezeichnen kann. Er hat zunächst die Meinung ausgesprochen, daß ich mich, indem ich mich auf das Gutachten der technischen Deputation gestützt habe, in Widerspruch gesetzt hätte mit der Auffassung des Kaiserlichen Gesundheitsamts; denn das Kaiserliche Gesundheitsamt hätte bei einer anderen Gelegenheit bei der Gewerkschaft Herevnia“ sich dahin ausgesprochen, die Einführung der Abfallwässer der ‚Hercynia“ in die Innerste sei nachtheilig und zu verbindern. Meine Herren, dieser Ausspruch des Kaiserlichen Gesundbeits⸗ amts bezieht sich auf die uneingeschränkte Einleitung der ganzen Ab— fallwässer der Herevnia“, die von einem Quantum von 5000 Zentnern gewonnen wurden. Gegen eine solche uneingeschränkte Einleitung in die Innerste hat sich das Kaiserliche Gesundheitsamt aus— gesprochen. Das Kaiserliche Gesundheitsamt war aber auch durch einen besonderen Kommissar in der technischen Deputation vertreten, die die Einleitung als zulässig innerhalb der von ihr bezeichneten Grenze erachtet hat. Es müßte also das Kaiserliche Gesundheitsamt mit sich selbst in Widerspruch gestanden haben, wenn hier ein Wider—⸗ spruch vorliegen sollte. Er liegt aber nicht vor; denn damals han— delte es sich um die uneingeschränkte Einführung, in diesem gegebenen Falle nur um die Einleitung der Abfallwässer innerhalb einer bestimmt vorgeschriebenen Grenze. Nun ist der Herr Vorredner weiter der Meinung gewesen, ich hätte mir eine Omission zu schul—⸗ den kommen lassen, insofern ich seiner Antegung im vorigen Jahre, es solle für eine bessere Bekanntmachung der Konzessionsgesuche Sorge getragen werden, nicht Folge gegeben hätte. (Widerspruch.)
Ja, meine Herren, ich habe seine Aeußerung im vorigen Jahre so verstanden, als lege er Werth darauf, daß nicht bloß durch die ge⸗ wöhnliche Bekanntmachung in den Amtsblättern, sondern auch in anderen geeigneten Blättern die Veröffentlichung der Konzessions gesuche erfolge, damit jeder rechtzeitig seinen Widerspruch erheben kznne. Dieser seiner Anregung habe ich thatsächlich Folge gegeben, indem sämmtliche Regierungen angewiesen sind, die Konzessionsgesuche auch durch andere geeignete Blätter zur Kenntniß des Publikums zu bringen, sodaß jeder in der Lage ist, sein gegenseitiges Interesse geltend zu machen. Bezüglich der Grubenwässer besteht eine solche gesetzliche Vorschrift der Bekanntmachung überhaupt nicht, und wenn also eine solche Anordnung getroffen werden sollte, so würde sie im Aufsichts⸗ wege zu treffen sein. Das ist aber nicht angängig und nicht nothwendig; denn die Einleitung der Grubenwässer steht unter der Bestimmung des 5 196 des Berggesetzes, wonach die Berg ⸗Polizeibehörde in umfassendster Weise jeden Augenblick ein⸗ zuschreiten und jede schädigende Einwirkung des Bergbaues zu ver— hindern in der Lage ist. Sie würde in jedem Augenblick auch die Einleitung der Grubenwässer einfach verbieten können. Das soll nun hinsichtlich der Hildesia — nach der Meinung des Herrn Votrednert mit Unrecht — nicht geschehen sein. Ich muß sagen, daß mir der Fall nicht bekannt ist. Wenn die Interessenten glaubten, daß ihnen eine unzulässige Zumuthung durch das unterbliebene Einschreiten der Berg ⸗ Polizeibehörde gemacht worden sei, so hätten sie Beschwerde erheben können. Das ist thatsächlich nicht geschehen. Nun, meine Herren, hat der Herr Vorredner darauf hingewiesen, daß ja die Kontrole der Einschränkung, die seitens der technischen Deputation empfohlen und von mir meiner Entscheidung zu Grunde gelegt ist, doch ungemein schwierig wäre. Ich babe schon hervor— gehoben, daß die Kontrole des Härtegrades thatsächlich garnicht schwierig ist. Es kann in jedem Augenblick das Wasser durch amt⸗ liche Organe und durch Polizeibeamte dem Fluß entnommen und untersucht werden, und stellt sich dann heraus, daß der Härtegrad überschritten ist, dann kann die entsprechende Einschränkung der Einleitung der Abwässer von der Polizeibehörde herbei⸗ geführt werden. Was ferner die Kontrole in den Kal fabriken selbst anbetrifft, so ist allerdings rlchtig: Es wird der Interessent selbst nicht in die Fabrik gehen können, sondern davon werden die Pollzeibehörden erforderlichen Falls Gebrauch machen. Ich bin aber der Meinung, daß die gewerbepolizeilichen Vor schriften, deren Uebertretung in der Reichs-Gewerbeordnung unter
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