1899 / 114 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 16 May 1899 18:00:01 GMT) scan diff

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Deutscher Reichstag. 82. Sitzung vom 15. Mai 1899, 1 Uhr.

Die zweite Berathung des Entwurfs eines Inva⸗ lidenversicherungsgesetzes wird fortgesetzt.

S8 betrifft die freiwillige Versicherung. Nach der Vor⸗ lage sollten nur diejenigen Personen, auf welche der Bundes⸗ rath die Versicherungspflicht ausdehnen kann (die Haus⸗

ewerbetreibenden) und diejenigen, welche gegen Gewährung eien Unterhalts beschäftigt oder zu vorübergehenden Dienst⸗ leistungen benutzt werden, sich freiwillig versichern können; diejenigen, welche aus einer versicherungepflichtigen Beschãf⸗ tigung ausscheiden, sollen die Versicherung freiwillig fort⸗ setzen können. 1

Die Kommission will die freiwillige Selbstversicherung auch folgenden Personen, sobald sie das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, gestattet wissen: 1) den Betriebs beamten, Werkmeistern, Technikern, Handlungsgehilfen und sonstigen Angestellten, Lehrern, Erziehern und Schiffsführern, die zwar mehr als 2000, aber nicht mehr als 30090 6 Gehalt haben; ferner 2) den Gewerbetreibenden und sonstigen Betriebsunter⸗ nehmern, welche nicht regelmäßig mehr als zwei versicherungs⸗ pflichtige Lohnarbeiter beschäftigen, sowie den Hausgewerbe⸗ treibenden, soweit auf sie nicht vom Bundesrath die Ver⸗ sicherungspflicht erstreckt worden ist.

Abg. Richter (fr. Volksp.) beantragt, die Regierunge⸗ vorlage wiederherzustellen.

ie Sozialdemokraten beantragen, die Nr. 1 (Betriebsbeamten ꝛc.) zu streichen.

Außerdem liegt noch ein redaktioneller Antrag der Abgg. von Loebell (8. kons.) und Genossen vor.

Abg. Richter widerspricht zunächst dem Wunsche des Bericht⸗ erstatters, zugleich die s§5 16, 32 und 194 (Wartezeit, Erlöschen der Anwartschaft und Gültigkeitsdauer der Quittungskarten) zur Debatte zu stellen, und bezeichnet die Kommissioasänderung als eine fundamen⸗ tale Verschlechterung des ganzen Gesetzes, welche Millicnen von Personen umfasse. Es ift bedauerlich, fäbrt der Redner fort, daß eine so wichtige Frage, die mit der Verlage in gar keinem sachlichen Zusammenhang steht, vor einem so außerordent⸗ lich schwach besetzten Hause verhandelt wird. Es würden mebrere Hunderttausende in Betracht kommen, wenn man die Person mit 2000 bis 3000 ½ Einkommen in die Versicherung bineinzieht, und wenn man die selbständigen Gewerbeneibenden ebenfalls versichert, so würde es sich um Millionen bandeln. Die Kaiserliche Bot⸗ schaft spricht garnicht von den kleinen Unternehmern, sondern nur von den Arbeitern. Im Namen der Mittelstandspolitik hat man in der Kommisston diese Ausdebnung der Veisiche⸗ rung beschlossen. Die Mittelstande politik ist eine Sammlung von allerlei Rejepten. Hört denn der Mittelstand bei 3000 6 auf? Die Privatversicherung würde ja durch die Indalidenrersicherung außer Thätigkeit gesetzt werden. Der Begriff der Invalidität ist bei den Unternehmern nicht derselbe wie bei den Arbeitern. Wenn ein Betriebsunternehmer körperlich schwächer wird, braucht er für seinen Betrieb noch nicht Invalide zu sein, wenn er mithelfen kann. Wenn die kleinen Unternebmer Geld übrig haben, so sollten sie das Geld in ihrem Geschäft anlegen und nicht in den Invaliden ⸗Versicherungsanstalten sich ansammeln lassen. Die Betheiligten baben diesen Einschluß in die Invaliden⸗ versicherung garnicht verlangt. Die Versicherungsanstalten sind nicht in der Lage gewesen, sich, über diesen Kommissionsbeschluß gutachtlich zu äußern. Nach der Gesundheit der Versicherten, nach ibrem Alter ꝛc. wird nicht gefragt. Da ein Zwang zur Versicherung nicht vorliegt, so können sich schlechte und gute Risiken nicht ausgleichen, die ersteren werden sich daber vordrängen. Man hat nicht einmal eine Untersuchung darüber angestellt. Die Kommission hat deshalb vorgeschrieben, daß die Versicherung vor dem 40. Lebensjahre begonnen werden muß. Wie leicht kann der Arbeitgeber nachkleben, da er allein dafür verantwortlich ift, während beim Arbeiter doch zwei Personen betbeiligt sind. Früher waren wenigstens zur Deckung des Reichszuschusses Zusatz marken nothwendig. Je mehr man den Reichszuschuß ausdehnt, desto mehr erweckt man die Begehrlichkeit der Massen. Der Reichsuschuß gebt schoön über den Staatesozialismus hinaus. Schließlich kommt man daju, jedem, der 70 Jahre alt wird, eine Rente von Staats⸗ wegen zu geben. Der Reichs zuschuß wird im Beharrungszustand 68 Millionen betragen bei gleichbleibender Bevölkerung; da die Be⸗ völkerung sich vermehrt, wird der Reichs zuschuß 100 Millionen über⸗ steigen. Wo soll das berkommen?

Abg. von Loebell empfiehlt seinen redaktionellen Antrag, der auch die freiwillige Fortsetzung der Versicherung von der Bedingung abbängig machen wolle, das die Versicherten die Lebensgrenze von 40 Jahren noch nicht aberschritten haben. Die Festsetzung der Srenze von

3000 sei ein mißliches Verfahren; aber man habe eine Einkommens⸗ I 8

grenze schon bei der Versicherungsrflicht mit 2000 festsetzen müssen. Warum sollte iejenigen, welche wenig über 2000 ½ verdienten, von der Möglichkeit der freiwilligen Versicherung ausschließen? Wichtiger sei di g der Gewerbetreibenden. Der Bundes⸗ erbetteibenden und diejenigen, welche einen en, für versicherungsrflichtig erklären. Die hätten vielfach den Wunsch ausgesprochen, sich

n zu dürfen wie sie ibre Arbeiter versichern mußten. Die Lage zande sei recht schlecht; man könne es ibnen nicht ine Rente erwerben wollten. Im Interesse

Theile habe erfüllt werden können, werde seine (des Redners) Partei für den Antrag Kemmission stimmen; sie werde auch weiter dar⸗ nach ftreben, dies m durchjuführen. Die Feststellung der Grwerbsunfãhigkei uch bei den Arbeitgebern auf Grund des §5 4 sebr leicht. Man soll durch den Abg. Richter nicht irre machen in und soꝛi it'sche Pflicht erfüllen, den Mittelstand zu

o ie nicht entbehren könne.

3): Wenn die Konservativen für den Mittel⸗ lten, dann hätten sie die Zwangs versicherung 3 ; Voꝛschlag wendet den selbstaäͤndigen Existenzen nur etwa sten der noch ärmeren, die sterben, ehe sie in den Genu e kommen. Denn die Selb staändigen können die Rente nicht eigenen Beiträgen erwerben, weil diese viel geringer sind als eine Jahresrente.

Abg. von Salis as. ): Die Ausdebnung der freiwilligen Versichetung wird eine ahr in sich schließen; dagegen hat die Kemmission aber gewifse Vorsichtémaßregeln angewendet. Die

ersonen, welche sich auf Grund des 5 ?

ltergrenten überbaupt niemals err Invalidententen. Darin liegt eine ge triebtbeamte ift ein Einkommen übe werth, wie das Einkommen unter 2000 M für Arbeiter. Besser wäre es gewesen, für diese Betriebe beamten die Versicherungsprflicht anzu⸗

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esetzes hinaus gehe. Der

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it weniger als 29000 M Ge anfangen; sie würden

haben, sich freiwillig iter ju versichern. Aber

z bezüglich der Gewerbetreiben Die Zahl der Ge⸗

en mit einer Hilfskraft oder ohne jede Hilfekraft belaufe

J 09. Die Kommission wolle auch noch die Gewerbe⸗

treibenden sich sichern lassen, welche zwei Lobnarbeiter beschäftigten. Das könnte doch zu bedenklichen Konsequenzen führen.

Abg Dr. Hitze (3entr.): Besser wäre es, das Handwerk und die

Landwirthschaft von der Versicherung ausjuschließen; aber da dies

Spekulation ist dabei nicht möglich, weil die Wartezeit für die frei⸗ willige Versicherung auf 400 Wochen, also 8 Jahre, erhöht worden ist.

Abg. Pr. Oertel Sachsen (d. kons.): Die Anregung zu dieser Selbstversicherung ist aus den Kreisen des Mittel standes hervor⸗ gegangen. Als undurchführbar haben die verbündeten Regierungen den Beschluß der zweiten Lesung der Kommission nicht bezeichnet, wenngleich sich noch Bedenken dagegen geltend gemacht haben. Die beutige Debatte kommt mir vor wie eine Kanonade, ich will nicht sagen gegen Spatzen, denn das würde herabwürdigend sein, sondern gegen sozialpolitische Friedens tauben. Es sollen nur die Gewerbetreibenden neu zur Ver⸗ sicherung zugelassen werden, welche zufällig nicht vorher in versicherungẽ⸗ pflichtiger Beschäftigung gestaaden haben; haben sie in solcher Be⸗ schäftigung gestanden, o können sie sich schon jetzt frei illig ver— sichern. Wenn für die Selbstversicherung keine Neigung da ist, so wird die Konsequenz des Antrages eine sehr geringe sein.

Abg. Franken (nl) emfiehlt die Wiederherstellung der Regierungsporlage. . ö

Abg. Rich ker: Wenn man den Staatssekretär nicht hier sähe, so könn fe man meinen, daß die Regierung gegen diese Sache garnichts einzuwenden hätte, obgleich sie in der Koemmission dieselben Bedenken wie wir geltend gemacht hat. Nach Herrn Hitze würden wir zur allgemeinen Versicherung und zum vollstaͤndigen Sozialismus kommen. Wenn die Förster und Inspektoren mit mehr als 3000 4 Gehalt sich versichern sollen, nun so können sie das, da sie meist mit einem geringeren Gebalt als 2000 M anfangen. Wenn sie längere Zeit in einer Stellung sind, dann sollten ihre Arbeit⸗ geber, die Gutsbesitzer, ihnen eine Pension gewähren und si⸗ nicht auf die Invalidenversicherung verweisen. Sind Gehilfen und Familienangeboörige gleichbedeutend? Man spricht von der großen Mittelstandspolitik und zu gleicher Zeit davon, daß von der Ver⸗ sicherung kein erheblicher Gebrauch gemacht werden würde. Wir haben genug Versicherungs zwang, gegen dessen Ausdehnung auch das Zentrum srüber Bedenken baite. Da in der Kommission 5 8 mit 14 gegen 13 Stimmen angenommen ist, so möchten wir nicht, daß die Ab- stimmung durch ein schwach besetztes Haus erfolgt. Ich beantrage deshalb, die Abstimmung über 5 8 iu dertagen. Was Sie sonst thun wollen, muß ich Ihnen überlassen.

Staatesekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:

Meine Herren! Der Herr Abg. Richter bat seine Verwunderung darüber ausgesprochen, daß ich zu diesem Paragraphen zur Vertheidi⸗ gung der Regierungsrorlage nicht das Wort ergriffen habe. Ich gestatte mir, dem Herrn Abgeordneten zu erwidern, daß die Vertreter der verbündeten Regierungen selbstverständlich auf dem Standpunkt der Regierunge vorlage stehen, so lange nicht der Bundes⸗ rath anderweitige Beschlüsse gefaßt hat. Die Stellung der verbündeten Regierungen zu diesem Paragraphen ist auf Seite 233 und 234 des Berichts so eingehend dargelegt, daß ich es wicklich für eine unnöthige Verzögerung der wichtigen Debatten halten würde, wenn ich das, was in dem Kommissions— bericht zum theil auf Grund stenographischer Niederschrift niedergelegt ist, wiederholen wollte. Wir legen uns allerdings in diesen ganzen Verhandlungen ein großes Maß von Selbstbeschränkung auf, weil wir das dringende Interesse haben, daß dieses Gesetz so bald wie möglich zur Verabschiedung komme, weil wir innerlich davon überzeugt sind, daß in dem Gesetz ein großer sozialpolitischer Fortschritt zum Besten der deutschen Arbeiter liegt. (Sehr richtig h

Im übrigen gestatte ich mir doch, zu bemerken, daß, wenn die Vertreter der verbündeten Regierungen verpflichtet sein oder den Wunsch begen sollten, gegen jede Abänderung eines Paragraphen, die in der Kommission beliebt ist, das Wort zu ergreifen, die Debatten hier nie enden würden (sehr richtig): denn die allermeisten Paragraphen der Regierungsvorlage sind geändert. Wir werden, wenn die Vorlage aus der jweiten Lesung hervorgegangen ist, die Bilanz ziehen, welche Verbesserungen, welche Verschlechterungen die Vorlage enthält, und werden dann in der Lage sein, auf Grund dieser Bilanz uns schlüssig zu machen, ob wir die Vorlage annehmen können oder nicht. (Sehr richtig)

Aba. von Salisch tritt nochmals für die Beschlüsse der Kom missisn ein Abg. Richter: Es war angedeutet worden, daß gegen die Be= schlüsse der Kommission zweiter Lesung die anfänglichen Bedenken der Regierung nicht mehr beständen. ;

Die Abstimmung über 5 8 wird ausgesetz.

Nach 10 soll auch derjenige eine Invalidenrente erhalten, welcher während 26 Wochen (bis jetzt: „während eines Jahres“) ununterbrochen erwerbsunfähig gewesen ist.

Die Sozialdemokraten beantragen, statt 26 Wochen zu setzen 13 Wochen.

Die Kommission beantragt in Bezug auf diese Frage folgende Resolution: ö. die verbündeten Regierungen zu ersuchen, dem Reichstage eine Novelle zum Krankenpersicherungegesetz vorzulegen, durch welche in dessen 86 die Worte; (Krankenversicherung hört auf) mit dem Ab- lauf der dreizehnten Woche durch mit dem Ablauf der 26. Woche“ ersetzt und die entsprechenden Abänderungen der damit zusammen— hängenden Bestimmungen herbeigeführt werden.“

Aba. Freiberr von Richthofen Dam sd orf (. kons.) empfiehlt

die Resolution unter Hinweis auf die Kommissionsperhandlungen, in welchen die verbündeten Regierungen in Auesicht gestellt hätten, daß eine solche Aenderung der Kranken versicherung gemacht werden lönne in der Weise, daß vielleicht ein Theil der Krankenfürsorge während der jweiten dreizehn Wochen von den Versicherungsanstalten über⸗ nommen werde. Abg. Molkenbubr (Sor): Bei der Schaffung des Gesetzes ist es versäumt worden, einen Zusammenhang jwischen der Kranken⸗ und der Invaliden versicherung herzustellen. Das kann jetzt nachgeholt werden, und zwar ohne Schwierigkeiten bezüglich derjenigen 8 300000 Arbeiter, welche bereits gegen Krankheit versichert sind. Für die anderen drei Millionen, namentlich für die landwirthschaftlichen Arbeiter, muß allerdings anderweitig gesorgt werden.

Abz. Trimborn (Zentt) hält es für besser, daß nach der 13 Woche nicht di Invaliden versicherung eintrete, sondern die Kranken⸗ versichtrung die Sache weiterführe, nachdem sie einmal die ärztliche Behandlung begonnen babe. Manche Krankenkassen hätten ja schon die Fürsorge für 26 Wochen übernommen.

Abz. Stadthagen (Soz.) bedauert, daß man bei dieser wichtigen Angelegenheit wiederum mit einer Vertröftung auf eine Aenderung der Krankenversicherung komme. Wenn die Invaliden versicherung nach der 13. Woche einttäte, so würde das den Arbeitern mehr nützen.

Abg. Freiberr von Richthofen ⸗Damsdorf: Die Wünsche der Arbeiter sind insoweit berücksichtigt, als man von einem Jahr auf 25 Wochen berabgegangen ist, und der andere Wunsch soll durch die Resolution erfüllt werden.

Abg. Trim born: Es ist nicht ausgeschlossen, daß man später die Invaliden versicherungsanstalten zu Beiträgen von der 13. Woche ab heran ieht. .

Abg. Fisch beck (fr. Volkzy.) erklärt sich für den Komm issions⸗ antrag und für die Resolution.

Abg. Stadthagen weist darauf bin, daß die Württembergische Versicherungsanstalt sich für die Herabsetzung auf 13 Wochen aus- gesprochen habe, ebenso wie die Aerjte; auch der Tuberkulosen Kongreß

Sz 10 wird unverändert angenommen; über die Resolution wird bei dritter Lesung abgestimmt werden.

sz 12 betrifft die Uebernahme des Heilverfahrens seitens der Invalidenversicherungsanstalten. Das Heilverfahren kann von ihnen übernommen werden, wenn dadurch die Erwerbs⸗ unfähigkeit verhindert werden kann. Der Erkrankte kann in einer Heilanstalt untergebracht werden, aber wenn er ver⸗ heirathet ist, nur mit seiner Zustimmung und unter Ge⸗ währung eines Theils des Krankengeldes an seine Familie.

Die Sozialdemokraten beantragen, daß die Ein⸗ leitung des Heilverfahrens erfolgen muß, wenn die Kranken⸗ kasse es beantragt; der Familie soll im Fall der Unterbringung des Versicherten in einer Heilanstalt das ganze Krankengeld gewährt werden.

Abg. Molkenbuhr weist darauf bin, daß die Invaliden versicherungsanstalten nur zufällig von solchen sie interessierenden Fällen Kenntniß erbielten; die Krankenkassen, welche dem Versicherten näher ständen, könnten in einem früheren Stadium eingreifen und die Einleitung des Heilverfabrens beantragen. Die Bestimmung, daß demjenigen, der sich dem Heilverfahren entzogen habe, die Rente ab⸗ erkannt werden solle, entipteche nicht humanen Grundsätzen und müßte deshalb gestrichen werden.

Abg. Dr. Hitze erklärt sich für den Kommissionsantrag.

3 12 wird unverändert angenommen, ebenso die auch auf das Heilversahren sich beziehenden 88 12a bis 124 und § 13, wonach die Renten zum theil in Naturalleistungen gegeben werden können.

558 14 (Rentenberechtigung der Ausländer) und 135 (Vor⸗

aussetzunz des Anspruchs) werden angenommen. Die Debatte . 16 (Wartezeit) wird ausgesetzt bis zur Erledigung es ; Nach 5§z 17 gelten als Beitragswochen die Zeit des mili⸗ tärischen Dienstes und bescheinigter Krankheit, ausgenommen, wenn die Krankheit die Folge einer Betheiligung an Schlä— gereien ꝛc. oder geschlechtlicher Ausschweifung ist.

Die Sozialdemokraten beantragen, die Worte „geschlechtlicher Ausschweifung“ zu streichen.

Aba. Stadthagen begründet dies damit, daß sonst leicht ge⸗ schlechtliche Krankheiten vernachlässigt und dadurch deren Weiter verbreitung gefördert werden könnte.

Die Abgg. Roesicke⸗Dessau (b. k. F.) und Dr. Kruse (ul.) treten diesem Antrage bei.

Abg. Bebel (Soz.) macht darauf aufmerksam, das im Beamten und Militärpensionsgesetz eine ähnliche Bestimmung nicht best-he.

S 17 bleibt unverändert.

ach 5 W sollen die Beiträge so bemessen werden, daß durch dieselben gedeckt werden die Kapitalwerthe der den Ver— sicherungsanstalten zur Last fallenden Beträge der Renten, die Beitragserstattungen und die sonstigen Aufwendungen der Versicherungsanstalten. Bis zur Festsetzung eines anderen Beitrages sind die wöchentlichen Beiträge zu messen in Lohn⸗ klassen J auf 14 8, H auf 201, NI auf 24, TV auf 30 und V auf 36 35. Eine Prüfung soll alle zehn Jahre er⸗ folgen und eine Aenderung des Beitrages von der Ge⸗ nehmigung des Reichstages abhängig sein.

Die Sozialdemokraten beantragen, die Beiträge in den ersten beiden Lohnklassen auf 6 und 10 8 föstzusetzen und für jeden Wochenbeitrag einen Reichszuschuß von je 10 * durch eine Reichs-Einkommensteuer von dem Einkommen über 3000 6 aufbringen zu lassen.

Abg. Richter beantragt, den 20 auf die Festsetzung der Beiträge auf 14, 20, 24, 30 und 36 3 zu beschränken.

Abg. Wurm empfiehlt den sozialdemokratischen Antrag und weist auf einen früheren Antrag des Abg. von Ploetz hin.

Abg. Freiberr von Richthofen ⸗Damsdorf: Dieser Antrag hat allerdings in der konservativen Partei noch manche Anhänger, aber die Partei kat ihn niemals zu dem ihrigen gemacht. Redner stellt und begründet einen Antrag, wonach eine Erhöbung der Beiträge erfolgen müßte, wenn durch Prüfung die Unzulänglichkeit der Beiträge nachgewiesen würde.

Staatssekretär des Innern, Staats⸗-Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:

Meine Herren! Ich kann ebenfalls daz bobe Hauz nur bitten, dem Antrage des Herrn Abg. Freiherrn von Richthofen zujustimmen. Der Gedanke des Gesetzes ist doch, daß die gesetzlichen Mindest—⸗ leistungen desselben erfült werden müssen, theils purch den Reichs⸗ zuschuß, theils durch die Beiträge. Daraus folgt aber gan von selbst, daß, wenn der Reichszuschuß und die hier an⸗ genommenen Beiträge erwiesenermaßen sich rechnungf mäßig als nicht ausreichend berausstellen, eine Erhöhung der Beiträge erfolgen muß, soweit nicht etwa auf Srund eines Voꝛischlages der verbündeten Regierungen der Reichstag eine Erhöhung des Reichszuschasses beschließen sollte. Wenn hiernach in dem Paragraphen, wie er jetzt in der Kommission gestaltet ist, die anderweitige Fest⸗ setzung der Beiträge von einer Zustimmung des Reichstages abhängig gemacht wird, so, glaube ich, kann es nur ju einer Klarlegung des rechtlichen Sachverbalts dienen, wenn der Antrag des Herrn Abg. Freiherrn von Richthofen angenommen würde, welcher bestimmt, daß die Genehmigung der Erböhung der Beiträge erfolgen muß, insoweit rechnungsmäßig nachgewiesen ist, daß die bisherigen Beiträge nicht ausreichen. Ich möchte, um für die Zukunft dieses Sachverhältniß, wie es in der Kommission ebenfalls nicht bestritten ist, auch gesetzlich festzulegen, dringend bitten, dem Antrage des Herrn Freiberrn von Richthofen Ihre Zustimmung zu ertheilen.

Abg Schmidt ⸗Elberfeld (fr. Volkep) hält es für nothwendig, den Kommissionsbeschluß anzunehmen, und jwar mit der Maßgabe, daß die Grundlagen für die Beitragsberechnungen gesetzlich festgelegt würden. Der Antrag der Sozialdemokraten würde nicht nur den Arbeitern der untersten Lohnklasse einen Vortheil verschaffen, sondern auch den Arbeitgebern, und zwar gerade denjenigen, welche die niedrig⸗ sten Löhne bejablten, namentlich dem Großbetriebe in der Landwirth⸗ schaft. Es würde sich der Reichszuschuß um 30 Millionen erhböben, und diejenigen, zu deren Gunsten diese Summe verwendet würde, die größeren Landwirtbe, wücden nicht in erster Linie dazu beitragen. Es würde eine Prämie auf die Herabdrückung der Löhne in die erste und zweite Lohnklasse gesetzt werden.

Abg. Richter: Der sozialdemokratische Antrag ist früher von konservatioer Seite vertreten worden, ein Zeichen, daß der Staats sonialismus sehr verwandt ist mit dem wirkflichen Sozialismus. Daß ür die Festsetzung der Beiträge die Zustimmung des Reichstages notbwendig ist, ist selbfstoerständlich, da es sich um eine Zwangs⸗ steuer von über 1090 Millionen Mark jährlich bandelt. Früber sollte jede Versiherungsanstalt ihre Beiträge allein festsetzen. Jetzt soll die Sache einheitlich gemacht werden. Mein Antrag unterscheidet sich nur sormell von dem Kommissionsrorschlage; die Beitrage werden festgesetzt und wenn sie geändert werden sollten, fo wird dadurch ein Reichsgesetz⁊ erforderlich sein. Direktiven sind für den Gesetzgeber selbst erforderlich, während sie früher für die einzelnen Versicherungsanstalten und den Bundesrath nothwendig waren. . Abg. Dr. Hitze hält es ebenfalls für ausgeschloffen, daß durch eine Gesetzesvorschrift ein zukünftiger Reichstag gebunden werden

nicht gescheben ist, muß man den kleinen Unternehmern die Möglich- keit geben, sich selbft ebenso zu versichern, wie ihre Arbeiter. Gine

werde wohl denselben Beschluß sassen, man könnte den Beschluß vielleicht bis nach Abschluß dieses Kongresses aussetzen.

kännte. Der Antrag des Abg. Freiherrn von Richthofen würde seinen Zweck nicht erreichen.

Abg Freiherr von Richthofen⸗ Dam dorf bittet. Leinen An- trag borläufig anjunebmen vorbehaltlich einer besseren Fassung, und beffreitet nochmals, daß die Konservariven saͤmmtlich für den Antrag

bg. von Ploetz gewesen seien. ra . e,, ln eng, daß durch die Reis Cinkemmen.

steuer Personen, die sonst nicht zur Javalidenversicherung beitrugen,

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B tie Banquiers, herangezogen werden könnten. Man könnte die Irbeiter der ersten und zweiten Lohnklasse von jedem Beitrage be⸗ freien und die 6 bezw. 10 * den Arbeitgebern auferlegen.

Abg. Roesicke⸗ Dessau erklärt sich gegen den Antrag des Abg. Freiberrn von Richthofen, wenn derselbe für die dritte Lesung wieder eingebracht werden sollte. . 2

Abg. Stadthagen hält die Zustimmung des Reichstages für notbwendig, wenn der Bundesrath die Beiträge festsetze.

Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:

Meine Herren! Ich glaube, daß der Fall ziemlich klar liegt. Während bisher dem Reichs ⸗Versicherungsamt die Normierung der Beiträge zustand, wird sie in Zukunft, wenn diese Vorlage Gesetz wird, dem Bundesrath zustehen. Der Bundesrath würde also be⸗ stimmen können: von dem und dem Zeitpunkt ab werden die Beitrãge in der und der Höhe erhoben. Um aber diese Bestimmung aktion? säbig ju machen, muß selbstverständlich dem Reichstage eine Vorlage unterbreitet werden, in welcher der Nachweis zeführt wird, aus welchen Gründen eine Ermäßigung -der Erhöhung der Beiträge möglich, bezüglich nothwendig ist. Dabei wird allerdings vorausgesetzt, daß, wenn der rechnungè— mäßige Nachweis geführt ift, daß mit der Höhe der bisherigen Bei⸗ näge die Leistungen der Versicherungsanftalten nicht mehr aufrecht rbalten werden können, der Reichstag dann auch seinerseits die Ver⸗ pflichtung hat, wenn er diesen Nachweis als erbracht ansieht, die Ge⸗ nehmigung zur beantragten Erhöhung der Beiträge zu geben; denn wenn er diese Genehmigung nicht geben würde, würde ja die ganze Versicherungseinrichtung in der Luft schweben oder sozusagen suẽpendiert werden. Es wird also Sache der Regierung sein, in dieser Vorlage den Nachweis der Nothwendigkeit oder der Möglichkeit ihrer Antrãge ju erbringen, damit der Reichstag die nachgesuchte Genehmigung er⸗ theilen kann.

Abg. Richter: Sie sehen schon jetzt, wie viele staats rechtliche Unklarheiten bier vorkommen können. Bas Einfachste ist, die Bei⸗ träge gesetzlich festzusetzen und also auch ibre Aenderung lediglich im Reschtzefeß vorzunebmen. Deshalb sollte man die Beiträge nicht nur är 10 Jabre feftl'gen. Denn wenn eine Verftän digung einmal nicht zu stande käme, würden die Beiträge in der Luft schweben.

Staats sekretär des Innern, Staats-Minister Dr. Graf von Posadows ky⸗Wehner:

Ich glaubte, ich bätte die Bedenken, die gegen diese Fassung besteben könnten, vollkommen beseitigt; denn ich babe ausdrücklich er⸗ klärt: wenn eine anderweite Festsetzung der Beiträge vom Bundesrath gewünscht wird, muß er dem boben Hause eine Vorlage machen. In welcher Form das Haus diese Vorlage dann erörtern wird, das ist meines Erachtens seine Sache. Würde aber beispielsweise eine Er böhung der Beiträge nothwendig sein, und das Haus würde trotz des rechnungs mäßigen Nachweises des Bedürfnisses diese Erhẽ hung der Beiträge ablehnen, meine Herren, dann allerdings schwebte vor⸗ läufig die Ausführung des ganzen Gesetzes in der Luft. Das ist aber ebenso, als wenn man vorautsetzte, daß einmal das hohe Haus den verbündeten Regierungen die Matrikularbeiträge versagen würde. Ich glaube, auf solche unmöglichen Voraussetzungen braucht man die Kon⸗ struktion eines Gesetzes nicht zu basieren.

Abg. Schmidt ⸗Elberfeld bält es für zweckmäßig, über die Grundfaͤtze der Bilanzaufstellung der Versicherungsanstalten eine Vor- scrit ins Gesetz aufzunebmen. Den staatsrechtlichen Bedenken könne man dadurch begegnen, daß man voischreibe, daß die Beiträge durch Gesetz festgesetzt werden müßten. , ł

Abg. Richter meint, daß dan beim Nichtzustandekommen eines Gesetzes eine Lücke entsteben würde.

Staatssekretär des Innern, Staats-Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:

Ich kann nur dringend bitten, es bei der Kommissions vorlage ju belassen. Wenn wir die Genehmigung jur anderweitigen Festsetzung, namentlich jur Erböhnng der Beiträge nicht be⸗ kommen sollten, wären wir wenigstens in der Lage, die bis— berigen Beiträge fortzuerheben. (Sehr richtig! rechts) Damit

ist die Fortexistenz der ganzen Versicherungseinrichtung gesichert. Sehr richtig! rechts) Wenn aber ein Gesetz zur Festsetzung der Beiträge überhaupt und zu deren Erhebung nach 10 Jahren noth⸗ wendig wäre, und es käme ein solches Gesetz für eine erneute Fest—⸗ setzung der Beiträge nicht zu stande, so würden die Versicherungs⸗ anstalten ohne Einnahmen sein, und es könnten sich die Verhãältnisse so gestalten, daß im Falle des Nichtzustandekommens eines Gesetzes die ganze Invaliditätsversicherung in Frage stände. Ich glaube, eine solche Konstruktion des Gesetzes würde für die verbündeten Regierungen voll = kommen unannehmbar sein.

Abg. Büsing (al.) tritt ebenfalls für den Kommissions⸗ beschluß ein. .

3 20 wird darauf unverändert nach dem Beschluß der Kommission angenommen.

Präͤident Graf von Ba llestrem bittet die Anne enden, ihre beute abwesenden Freunde aufzufordern, morgen zu erscheinen, damit die zurückgestellten Abstimmungen vorgenommen werden könnten.

Nach 6 Uhr wird die weitere Berathung bis Dienstag 1 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 67. Sitzung vom 15. Mai 1899.

Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der Be⸗ tathung des Berichls der XIV. Kommission über den Antrag der Abgg. Gamp fr. kons.) und Genossen, betreffend Maß⸗ regeln gegen die in der Landwirthschaft herrschende Arbeite rnoth. . 3 ö .

Punkt 16 schlägt die planmäßige Ansiedelung von kleinen und mittleren Lanßwirthen sowie von landwirthschaftlichen Arbeitern durch Genossenschafts verbände unter Mitwirkung des Staates in dazu geeigneten Bezirken vor. .

Abg. Dr. Hir sch (fr. Volʒsp) beantragt folgende Fassung.

die Förderung der Ansiedelung von kleinen und mittleren Landwirthen und don landwirtbschaftlichen Arbeitern durch Private und Verbände, namentlich in Bezirken mit überwiegen dem Groß

Abg. Freiherr von Wangenheim (kons.) erklärt sich gegen diesen Antrag, ineẽbesondere gegen die Parzellierung von Domänen. Die Folge einer solchen Maßregel würde ein landwirthschaftliches Proletariat sein. Welche schlimmen Folgen die Parzellierungen hätten, könne man in Pommern seben. Wie man aber auch über die Parzellierung denke, die Hauptsache sei, die Arbeiter noth zu beseitigen, und diese sei dadurch mit bedingt, daß der kleine Besitzer seine Tagelöhner nicht mehr bezahlen könne. Dazu komme, daß die Arbeiter durch gewissenlose Agenten fortgelockt würden. Eine planlose Parzellierung sei ebenso von Uebel, wie eine übermäßige Latifundienbildung. Der Vorschlag, das Familienfideikommißrecht zu beseitigen, sei wobl nicht ernst ge— meint. Redner tritt für die planmäßige Ansiedelung von kleinen und mittleren Landwirthen nach dem Antrage der Kommission ein; die gesetzgeberische Ausgestaltung dieses Gedankens will er der Staats- regierung überlassen.

Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miauel:

Meine Herren! Das Staats Ministerium kann sich mit dem Antrag der Kommission zu Nr. 10 vollständig einverstanden erklãren; das Staats. Ministerium ist seit langer Zeit der Ansicht gewesen, daß die agrarischen und sozialen Verhältnisse in den verschiedenen Distrikten des Ostens dringend die Vermehrung von Mittel und Kleinbesitz er— fordern, daß dies gerade ein Mittel ist gegenüber der Leutenoth, welches zwar nicht unmittelbar in die Augen springen wird, aber für die Dauer die vielleicht wirksamste Hilfe ist.

Meine Herren, die große Kolonisationspolitik der vreußischen Könige im vorigen Jahrhundert ist Jabrzehnte hindurch in Vergessen⸗ heit gerathen gewesen und vollständig ins Stocken gekommen. In diesem Jahrhundert war bisher in der Beziehung so gut wie nichts geleistet, wenigftens nichts unter der Mitwirkung des Staates. (Abg. von Riepenhausen: Sehr richtig) Viele Gründe sind da Mr⸗ sammengekommen: die Noth der Finanzen nach den Freiheitskriegen und die Nothwendigkeit für den Staat, sich auf das unmittelbar Dringendste der Aufgaben ju beschränken; verkehrte, durch die fran zõsische Revolution hauptsächlich aufgekommene und allgemein verbreitete wirthschaftliche Anschauungen; endlich die Notbwendigkeit Preußens, sich mit anderen dringenden großen Fragen ich brauche nur an die Errichtung des Deutschen Reiches u. s. w. zu erinnern und die Mittel zu diesem Ziele zu befassen. Aus allen diesen und anderen Gründen war die große Aufgabe des Staates, die Kolonisation in den östlichen Provinzen, welche nicht vollendet war, wenn sie auch im großen Stil von den preußischen Königen in Angriff genommen, gegenwärtig unbedingt wieder aufzunehmen.

Meine Herren, es ist aber jetzt gegenüber der früheren Aufgahe noch ein dringendes Bedürfniß binzugekommen: die schlimme Lage der Landwirtbschaft, die vielfach am meisten drückt auf diesen Grund⸗ besitz, der, mit Schulden überlastet, nicht überall günst ig gelegen ist und sich auf die Dauer schwer wird halten können. Diesen Ueber—⸗ gang nun allmählich ohne Katastropbe zu gestalten und so auch die an und für sich vorhandene sozialpolitische Aufgabe zu erfüllen, die Bevölkerung, und namentlich die seßhafte Bevölkerung im Osten, wo ja Mangel an industrieller Thätigkeit vorhanden ist, zu vermehren, drängt um so stärker nach den gleichen Zielen.

Meine Herren, es waren ja, als zuerst der Gedanke auftauchte, in dieser Beziehung die Mitwirkung des Staats anzurufen, von zwei Seiten starke Bedenken vorbanden. Einmal von derjenigen An— schauung aus, die da sagte: was braucht sich der Staat da einzumischen, das macht sich alles von selbst; macht nur die Grundbesiger frei, die Freiheit wird alles kurieren; zweitens aber von der anderen Seite, die füCürchtete, es würde ins Ungemessene hinein eine Zerstückelung des größeren Grundbesitzes damit eingeleitet werden. Ich glaube, beide Wider⸗ sacher sind heute durch die Erfahrung gebeilt. Die bloß kapital istische Anschauung, die namentlich auch in der Stein⸗Hardenberg'schen Gesetz⸗

nachjulesen vorberrschte, hat sich auf dem Gebiet einer zweck mäßigen Bodenauftheilung nicht als fruchtbar erwiesen. (Sehr richtig! rechts) Wir sind erst weiter gekommen, nachdem wir mit dem so viel angefochtenen Prinzip der Rentengutsbildung, welches allein dem Wesen der Landwirthschaft entspricht, vorgegangen sind und nicht mit Verkäufen bei baarer Zahlung und Hvpothekenbelastung. Von da an schreitet diese Bewegung ihren ruhigen, sicheren Gang vorwärts.

Wir baben schon durch die General⸗Kommissionen aufgetheilt 86 447 ha bis Schluß des Jahres 1898, durch die Ansiedlungs · Kommission bo 757 ha, also zusammen 146 600 ha. Sie wollen bedenken, wie langsam und schrittweise naturgemäß eine solche Umformung im Besitzstande vor sich geht und wie kurze Zeit erst verflossen ist, seitdem wir da ordentlich in Thätigkeit gekommen sind. Es bedurfte ja auch mancher Erfahrungen, ja sogar mancher Febhlgriffe, daß man mit dieser schwierigen Aufgabe wieder umgehen lernte, die unsere Behörden vollständig vergessen hatten. Außerdem sind bei der Ansiedelungs⸗

nd zur Herstellung von Gemeinbesitz, die ich bier nicht genau angeben möchte, verwandt worden.

Wir haben durch die General⸗Kommissionen bereits mittlere und kleinere Güter gebildet in der Zabl von 7824 und durch die Ansiedlungs⸗ Kommission von 2947. Man kann ja sagen, das ist ja nicht viel, und ich habe vielfach gelesen: was will das sagen gegenüber dieser kolossalen Leutenotb, das schlägt ja nicht ju Buche, da können wir lange weiter kolonisieren, ehe wir zu einem Ziele kommen. Wenn man aber diese Zahlen übersetzt in Dörfer, dann hat die Sache schon ein ganz anderes Gesicht, und wenn man erwägt, daß diese Zahlen Familien bedeuten, die sich in Kind und Kindeskindern weiter vermehren werden, wenn man erwägt, daß in diesem Jahre die Ansiedelungs-⸗Kommission allein wahrscheinlich 20 neue deutsche Dörfer bildet, und man multixp linert das mit 10, so ist das schon eine sehr bedeutende Summe. Man muß nicht glauben, daß man diese Dinge gewissermaßen aus dem Aermel schütteln kann, bloß durch Kapital und Einwirkung der Be⸗ hörden willkürlich zu beschleunigen im stande ist. Aber die Aussichten lassen sich in jeder Weise günstig an. Namentlich bei der An siedlungs · Kommission bewerben sich um diese neuen Rentenstellen immer mehr Leute, die schon ein erhebliches Kapital bilden; vor allem ist der Zuzug aus dem Süden und Westen, was ja gerade ganz besonders erwünscht ist, in der letzten Zeit sehr gewachsen, und wir dürfen wohl hoffen, daß die in dem deutschen Bauernstand Gott sei Dank! noch vorhandene Neigung, eine eigene Scholle und eigenen Besitz zu haben, auch trotz der großen industriellen Entwickelung und dag

gebung man braucht ja nur die Motivierung der damaligen Gesetze

Kommisston noch verschiedene Tausend Hektar zur Bildung von Wegen

Nun bat der Herr Vorredner, mit dessen Ausführungen ich mich

im allgemeinen ganz einverstanden erklären kann, darauf hingewiesen daß in der ganzen Summe der Maßregeln, welche der Staat zur För⸗ derung dieses großen agrarpolitischen und soꝛialwirthschaftlichen Unter · nehmens leisten kann, gegenwärtig sich eine Lücke befindet, die wir auszufüllen suchen müssen. Allerdings die General · ommissionen wirken für alle Provinzen; die Ansiedelunge⸗Kommission bat eine be⸗

sondere Natur und eine besondere Aufgabe, sie macht alles in Regie bis jur Ansiedeluns selbst; ibre Existen und Wirksamkeit und Form der Arbeit ist durch die nationalpolitische Aufgabe bedingt. In den übrigen Provinzen handelt es sich wesentlich um agrarpolitische Auf · gaben, da wirken, wie gesagt, die General ⸗Kommissionen allerdings; aber ibre Wirksamkeit ist sebr eingeschränkt und gehemmt durch folgende Thatsache:

Wir haben keineswegs unternommen, die Bildung von Klein— und Mittelbesitz für den Staat zu monopolisieren und alles in Regie zu machen, und wir können das auch nicht; es würde, nach meiner Meinung, dem Gang der Sache schaden, wenn sich der Staat eine solche Aufgabe beilegen wollte, wenn er die vrivate Bildung von Klein⸗ und Mittelgütern überhaupt zu verbieten unternehmen wollte. Abgesehen von der kolossalen finanziellen Belastung, die dadurch dem Staat erwachsen würde, abgesehen von den großen rechtlichen Zweifeln zegenüber dem neuen Bürgerlichen Gesetzbuch, die nach meiner Meinung überhaupt nicht zu überwinden sind abgesehen davon glaube ich auch, daß es die Sache nur verlangsamen und erschweren müßte, wenn der Staat sich in dieser Beziehung eine Art von Monopol beilegen wollte. Wir müßten also die Privattbätigkeit in dieser Beziehung freilassen. Wir können die nöthigen gesetzlichen Kautelen schaffen, wie ich glaube; 1. B. das Ansiedlungsgesetz muß wohl demnächst in einigen Punkten, wie das auch schon der volkswirthschaftliche Ausschuß der Pommerschen Landwirthschaftskammer vorgeschlagen bat, modifi iert werden. Aber das Geschäft selbst allein zu übernebmen, mit einem neuen Beamtenbeer das auszuführen, noch eine neue gewaltige, fast unausführbare Aufgabe auf den Staat zu übernebmen, davon müssen wir nach meiner Meinung abseben.

Nun sind aber aus der privaten Thätigkeit unzweifelhaft erheb⸗ liche Mißstände, namentlich in der Provinz Pommern, hervorgerufen; wir haben, wie der Herr Vorredner sich ganz richtig ausdrückt, geradeju baarsträubende Verhältnisse in einzelnen Fällen leider be⸗ obachtet. Es wird daher die Aufgabe sein, zu erwägen, wie wir in dieser Beziehung eine bessere Aufsicht und Kontrole und bessere Garantien für eine solide, nicht wucherische Durchführung der Zer⸗ schlagung eines größeren Gutes und dessen Verwandlung in Kleinbesitz erreichen. Die Hauptschwierigkeit, die sich für Privatunternehmer herausgestellt hat, liegt in dem Mangel des sehr bedeutenden Be—⸗ triebekapitals, daz solide Privatunternehmer nothwendig brauchen. Wenn jemand als einzelner oder als Gesellschaft, als Genossenschaft ein Gut zu diesem Zweck ankauft, so bat er nicht bloß den überschießenden Kaufpreis zu bezahlen, sondern, wenn er Rentengũter bilden will, muß er auch die ganzen Hypotheken regulieren dazu gehört natürlich ein sehr bedeutendes Betriebskapital —, er muß die nöthigen Einrichtungen, Wege u. s. w. schaffen, alle die Anforderungen erfüllen, die an die Gemeinde in gemeinwirthschaftlicher und kommunal⸗ wirtbschaftlicher Beziebung zu stellen sisd, und die ihm als Be— dirgung für die Ansiedelung gestellt werden. Häufig hat er jwei Jahre vielleicht noch längere Jabre, wenn besondere Schwierig⸗ keiten, namentlich auch bei der Hypothekenregulierung entsteben zu warten, bis er den Lohn für seine Arbeiten und seine Auslagen be kommt, nämlich die Rentenbriefe.

So sind wir bei der Staatsregierung wie das auch von Pommern aus angeregt ist auf den Gedanken gekommen, ob der Staat in dieser Beziehung nicht helfen kann, und ich hoffe, daß Ihnen noch in dieser Session ein Gesetzentwurf zugeben kann, welcher nach der bejeichneten Richtung hin Abhilfe zu schaffen geeignet ift. Der Gedanke ist dieser. Wir wollen einen Theil des Reservefonds bei den Rentenbanken bis zu 10 Millionen der Seebandlung überweisen, zu dem Zweck, um vermittelnd bei diesen Güterauftheilungen das Betriebs⸗ kapital eines Einzelnen oder eines Unternehmens ju ergänzen. Wenn das geschähe und das kann ohne Risiko für den Staat gescheben, ich würde mich selbst auch nicht scheuen, wenn wirklich ein kleines Risiko dabei wäre, so werden diejenigen Gutsbesitzer, welche die Sache selbst ohne Hilfe eines dritten Unternehmers durchführen wollen, bei der Seehandlung den nöthigen Zwischenkredit bekommen können. Zugleich aber werden sich allmäblich solide, mit mäßigem Verdienst zufriedene sachkundige Unternehmer finden, welche, gut geprüft nach allen Richtungen seitens der Behörden, das Vertrauen verdienen, daß die Seehandlung mit ibnen in Beziebung tritt. Dirse Leute werden die unsachkundige und rein wucherische Gäüterschlächterei allmãblich bei Seite bringen; sie werden den Ruf haben: daß sie mit den Behörden in Verbindung sind, sie handeln unter Kontrole und mit Zustimmung der Behörden; sie werden so das allgemeine Vertrauen gewinnen. Aber mehr, meine Herren: man wird ihnen naturgemäß die Bedingung stellen, daß der Plan der Zertheilung, den sie vorlegen, von den General ⸗Kommissionen begutachtet und nur dann angenommen wird, wenn die General⸗Kommissionen das zustimmende Gutachten abgeben, daß j. B. der Plan an sich iweckmäßig, wirthschaftlich vernünftig und der Boden von einer Beschaffenbeit ist, daß auch die Ansiedler darauf weiter kommen können, daß die Ansiedler nicht übersetzt, ihnen nicht zu bohe Preise abgefordert werden; alle diese Dinge muß die General⸗ Kommission begutachten, und auf Grund eines solchen begutachteten Vorgehens erst wird die Seehandlung eingreifen. Das nenne ich ich glaube, auch der Herr Vorredner wohl ein planmäßiges Vorgehen, daß diese wilde Privatwirtbschaft allmählich, ohne daß man sie gerade verbietet, durch ein wirklich planmäßiges, die Garantie des dauernden Woblstandes der Ansiedler darbieten des Verfahren ersetzt wird. Meine Herren, ich glaube, es ift doch in Wahrheit eine der wichtigsten Aufgaben des preußischen Staates, hier einzugreifen. Wir haben endlich wieder begriffen, daß die Gesetze, die auf das mobile Kapital anwendbar sind, vielfach für den Grund und Boden nicht vassen lsehr richtig! rechts), und darnach handeln wir jetzt. Der Staat, der auf diesem Grund und Boden gewachsen ist, hat an der Art der Bodenvertheilung ein ganz anderes Interesse als an der Vertheilung des mobilen Besitzes, und wenn der Staat dieser Auffassung gemäß handelt, so glaube ich, sollte er die Zustimmung aller Parteien im Lande finden. Welche Bedenken sind damals erhoben, wie wir die Renten gutsbildung

sehen wir ja auch in diesem Jahre stärker ist als die Neigung,

grundbesiz, inbesondere auch durch Parzellierung von Staztẽ domaäͤnen sowie durch Beseitigung des Familien fideikommißrechte.

als Tagelöhner oder industrieller Arbeiter ju leben.

einleiteten, und welche Mißverständnisse walten in dieser Be⸗ ziehung noch beute, selbst bei hervorragenden Gelehrten, die be⸗

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