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Nachdem Abg. von St rombeck auf seine Bedenken nochmals zurückgekommen ist, bemerkt
Staatssekretär des Reichsschatzamts Dr. Freiherr von Thielmann:
Meine Herren! Ich wollte nur eine knrje thatsächliche Be⸗ merkung gegenüber dem Herrn Abg. von Strombeck machen. Die jw ngste Anleibebegebung in Höhe von 75 Millionen Mark hat statt- gefunden ziemlich genau 11 Monate, nachdem das betreffende Anleihe gesetz in dritter Lesung vom Reichstage angenommen worden war. Es geht in den meisten Fällen so, daß die erste Begebung aus einem Anleihegesetz erst nach Monaten, die letzte oft erst nach Jabren statt⸗ sindet. Ich möchte Ihnen anheimgeben, meine Herren, zu beurtheilen, ob mit Rucksicht auf diesen Umstand es nicht weiser ist, die Be—⸗ stimmung über den Zinsfuß der Anleihe einer Stelle ju überlassen, die im Augenblick der Ausgabe selber die Verhältnisse des Geld marktes nach allen Seiten hin prüfen kann. Der Reichstag ist eine Reihe von Monaten vorher bei dem schnellen Wechsel der Verhältnisse des Geldmarkts oft schwer dazu im stande.
Das ist nur eine nebensächliche Bemerkung. Ich kann die Sache näher ausführen, wenn es zur Kommissionsberathung kommen sollte. Sollte das nicht der Fall sein, werde ich es bei der zweiten Berathung im Hause thun. Heute will ich mich kurz fassen.
Die Vorlage wird darauf der Budgetkommission über⸗
wiesen.
ö Schluß 5 Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch, 1 Uhr. (Gesetzentwurf wegen des Reichs⸗Invalidenfonds und Fortsetzung der zweiten Lesung der Invalidenversicherungsnovelle.)
Preuszischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
70. Sitzung vom 6. Juni 1899.
Auf der Tagesordnung steht zunächst die eiste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Versetzung richter⸗ licher Beamten in den Ruhestand.
Justiz⸗Minister Schönstedt:
Meine Herren! Nachdem Sie in der Sitzung vom 6. März d. J., wie ich glaube einstimmig, den Beschlaß gefaßt hatten, an die König⸗ liche Staatsregierung die Aufforderung zu richten, noch in dieser Tagung einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen unter voller Wahrung der dienstlichen Interessen der älteren Richter aus Anlaß des Inkrafttretens des Bürgerlichen Gesetzbuches, seiner Nebengesetze und der Ausführungegesetze der Uebertritt in den Ruhestand erleichtert werde, hat die Königliche Staatsregierung es für ihre Pflicht ge⸗ halten, alsbald der Ausführung dieses Gedankens näher zu treten. Der Herr Finanz⸗Minister und ich, jwischen denen schon lange vorher Verhandlungen über eine Regelung dieser Frage gepflogen waren, haben uns zunächst über die Voraussetzungen verständigt, unter denen der Ausführung dieses Beschlusses näher getreten werden könnte. Alsdann hat die Justizvperwaltung, um einen Ueberblick über die Tragweite dieses Gesetzes zu erhalten, an sämmtliche Richter der Monarchie, bei welchen die in dem Gesetzentwurf jetzt niedergelegten Alters voraussetzungen vorhanden waren, die Anftage richten laffen, ob sie, falls ein Gesetz dieses Inhalts in Kraft treten werde, geneigt seien, unter dessen Bedingungen ihrer Versetzung in den einstweiligen Ruhestand zujustimmen. Meine Herren, ich wiederhole, diese An⸗ frage ist an sämmtliche Richter gerichtet, bei denen die Alters⸗ voraussetzungen vorliegen, und zwar aus einem doppelten Grunde: einmal damit für jeden einzelnen diese Anfrage vollständig das etwa Kränkende, das darin gefunden werden könnte, verlieren möchte, andererseits deshalb, um keinen der angefragten Richter in der Frei- beit seiner Entschließung irgend wie zu beengen. Denn, meine Herren, darüber ist im Schoße der Staatsregierung von vornberein kein Zweifel gewesen, daß es nicht angezeigt sein würde, Richter, die nicht vollkommen freiwillig geneigt seien, sich den Be= stimmungen eines solchen Gesetzes zu unterwerfen, dam durch irgend welchen direkten oder indirekten Druck ju veranlassen. Darüber ist auch bei Stellung der Anfrage den sämmtlichen Herren gar kein Zweifel gelassen worden. Das Ergebniß der Umfrage war, daß von den sämmtlichen angefragten Richtern jwei Drittel — arithmetisch genau — sich bereit erklärt baben, auf diese Bedingungen einzugehen. Auf Grund dieser Erklärungen ist demnächst der Gesetzentwurf so, wie er Ihnen vorliegt, ausgearbeitet worden, er hat die Zustimmung des Staats⸗Ministeriums und demnächst die Allerhöchste Zustimmung gefunden.
Meine Herren, für die Ausarbeitung des Gesetzentwuris war die Richtschnur durch die Verhandlungen, die in diesem bohen Hause statt gefunden haben, gegeben. Es waren damit von selbst die Schran⸗ ken gezogen, die bei der Ausführung des Gedankens, der der Resolution zu Grunde gelegen hat, innezuhalten sein würden. Es sellte und war
beabsichtigt durch Ihre Resolution, eine Erleichterung für ältere Richter und zwar, wie in den Verhandlungen von den Vertretern aller daß man den Herten, die diesem Akte der Gesetzgebung unterlagen,
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Parteien entweder ausdrücklich ausgesprochen oder doch stillschweiend anerkannt worden ift, für solche ältere Richter, bei denen angenom— men werden könnte, daß sie ohne Lie gam außerordentlichen An— forderungen, welche die umfassende, tief eingreifende, neue Gesetzgebung, die am 1. Januar in Kraft treten soll, an jeden Richter ftellen wird, daß sie ohne diese außerordentlichen Anforderungen ihren Aufgaben auch noch fernerhin gewachsen sein würden. Damit waren von vornherein einmal diejenigen Richter ausgeschlossen, die jrotz des zu bestimmenden Normalalters sich noch im vollen Besitze ihrer körperlichen und gei—⸗ stigen Kräfte befinden, und von denen deshalb angenommen werden kann, daß sie auch den erböhten Anforderungen zu genügen im stonde seien.
Andererseits waren ausgeschlosfen solche Richter, von denen an— genommen werden mußte, daß sie, wenigstens bis zum 1. Januar nächsten Jahres, dem in Aussicht genommenen Termine für das In- krafttreten des Gesetzes, berhaupt dienftunfähig sein würden, für die es sich des halb, wenn das Gesetz auf sie Anwendung finden sollte, nickt mehr um Wahrung dierstlicker Interessen, sondern lediglich um Zuwendung einer Wohlthat handeln würde.
Meine Herren, danach ist das Gesetz ausgearbeitet worden. G3 ist schon seitens des Herrn Finanz⸗Ministereè bei der Besprechung der Resolution zum Ausdruck gebracht worden, daß bei der Beschrãnkung
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auf ältere Richter, die der Absicht dieseß hohen Hauses entspricht, es
unumgänglich sein würde, mechanische äußere Alteregrenzen zu ziehen Das ist in dem Gesetzentwarf gescheben. Es ist zunächst eine untere Altersgrenze gejogen und diese auf das vollendete 65. Lebengjah
stimmt worden. Meine Herren, das 66. Lebenssahr hat ja in dem Leben unserer Beamten eine gewisse Bedeutung. Seine Vollendung giebt jedem preußischen Beamten das Recht, seine Pensionierung nach⸗ zusuchen. Auf der anderen Seite muß jeder nichtrichterliche Beamte es sich gefallen lassen, auch gegen seinen Willen nach Vollendung dieses Alters in den Ruhestand mit Pension versetzt zu werden. Es ergab sich daher von selbst, daß an diese Altersgrenze nach unten an⸗ zuknüpfen war, auch schon deshalb, weil im allgemeinen angenommen werden kann, daß bis zu dem Alter von 65 Jahren die normale Arbeitsfähigkeit und Leistungsfäbigkeit noch nicht in einem Maße geschwächt ist, daß nicht auch erhöhten Anforderungen noch Genüge geleistet werden könnte.
Meine Herren, es ist in dem Gesetzentwurf eine weitere Alters- grenze nach oben gezogen worden, und jwar dahin, daß die Wohl⸗ thaten dieses Gesetzes nicht zugewendet werden können denjenigen Richtern, die bei seinem Inkrafttreten das 75. Lebensjahr bereits vollendet haben, and schlüssiger Weise auch den anderen Richtern, bei denen die Voraussetzungen des Gesetzes vorliegen, nicht über dieses Alter hinaus. Meine Herren, ich will hierbei gleich einem möglichen Mißverständniß entgegentreten, welches vielleicht aus einer nicht ganz glücklichen Fassung der Begründung entnommen werden könnte. Es hat der Staatsregieruug von vornherein ferngelegen, auf diejenigen Richter, die das 75. Lebensjahr zurückgelegt haben, lediglich dieses Alters wegen einen Druck dahin auszuüben, daß sie ihre Pensionie⸗ rung nachsuchen sollen. Daran ist garnicht gedacht worden; es wird vielmehr seitens der Staatsregierung von vornherein zugegeben, daß auch unter den Richtern, die das 76. Lebensjahr bereits hinter sich haben, sich noch eine Reihe hervorragend tüchtiger, geistig und körper- lich nach jeder Richtung hin leistungsfähiger Männer befindet, die auch den böheren Aufgaben, die das nächste Jahr bringen wird, sich gewachsen zeigen werden. Aber trotz alledem ist es der Königlichen Staatsregierung gerechtfertigt erschienen, diese Altersgrenze nach oben zu ziehen. Auch bei den Verhandlungen dieses hohen Hauses ist Überall davon ausgegangen worden, daß es sich darum handle, Härten zu vermeiden, die ein vielleicht vorzeitiger, durch Umstände, die außerhalb des Willens der Einzelnen liegen, herbeigeführter und in so weit unfreiwilliger Rücktritt aus dem Dienst zur Folge haben würde. Meine Herren, um solche Härten kann es sich bei denjenigen Beamten nicht wohl handeln, die das 75. Lebenjahr hinter sich haben. Als Norm kann wohl angenommen werden, daß es nur wenige, besonders begnadete Menschen sind, die auch in diesem Alter noch ihre volle Leistungsfähigkeit haben. Diese beneitenswerthen Männer wollen in den Sielen sterben und betrachten es als eine hohe Ehre, daß sie über die Grenze des sonst leistungs fähigen Alters hinaus noch länger mit ganjer Kraft und voll dem Staate dienen können. Diese Männer betrachten es nicht als eine Kränkung, als eine Zurücksetzung, wenn sie von den Wohlthaten eines solchen Gesetzes ausgeschlossen werden; es enthält für sie keine Härte; im Gegentheil, sie freuen sich des Vorzugk, der ihnen durch Gottes Gnade verliehen ist; sie werden beneidet von den Jüngeren, die sich gleicher Vorzüge nicht erfreuen, und sie sind stolz darauf, wenn sie noch länger in ihrer amtlichen Würde bleiben können. Aber, meine Herren, Ausnahmen bleiben diese Männer, und wenn diejenigen, bei denen die von mir bezeichneten Voraussetzungen nicht mehr zutreffen, im 75. Lebensjahre nunmehr auch unter dem Druck äußerer Verhält— nisse in den Ruhestand treten wollen, können sie sich sagen, sie haben das gewöhnliche Ziel menschlicher Leistungsfähigkeit voll erreicht; sie können mit Fag und Recht nunmehr in den Ruhestand unter denjenigen Bedingungen eintreten, die vorausgesetzt sind für normale Verhältnisse, d. h. in den Pensionsstand; eine Härte enthält das für diese Männer nicht; im Gegentheil, sie haben länger als andere die Vorzüge ge— nossen, sich im Vollbesitz nicht nur ihrer Geistesfähigkeit und körper lichen Kräfte, sondern auch dessen, was der Staat seinen Beamten gewährt, zu befinden; sie haben manche Jüngere vor sich in den Rahestand eintreten sehen und werden sich bei unbefangener Beur— theilung nicht dadurch keschwert fühlen können, wenn sie nunmehr in diesem Alter in die Reihe derjenigen eintreten, die als jüngere Männer längst vor ihnen in den Kreis der Pensionäre gerückt sind.
Diese Gesichtspunkte sind maßgebend für die Königliche Staats« regierung gewesen, wenn sie die Altersgrenze nach oben, wie geschehen, gezogen hat.
Meine Herren, es ist schon seitens des Herrn Finanz Ministers bier zum Autdruck gebracht worden, daß an und für sich ein Gesetz, wie das vorliegende, etwas ganz Ungewöhnliches ist. Der vorliegende Fall läßt sich nicht, wie schen früber hier hervorgehoben ist, ver⸗ gleichen mit jenen außerordentlichen Fällen, wo infolge des Eintritts neuer Organisationen ganze Behörden aufgehoben worden
sind, wo ein großer Theil der Beamten überflässig wurde, wo jeder
Beamte es sich gefallen lassen mußte, aus der langjährigen Stätte seines Wirkens obne Berücksichtigung seiner Wahl und Wünsche in
einen andern Wirkungskreis, in eine fremde Welt versetzt zu werden. Die Fälle waren ganz anderer Art; da verstand es sich von selbst,
andere und gänstigere Bedingungen stellte als in dem vorliegenden Fall. Hier handelt es sich — ich glaube, der Ausdruck ist von einem ber Herren hier früher gebraucht worden — im wesentlichen um einen Kompromiß. Die Herren, die das Normalalter des Gesetz⸗ entwurss erreicht baben, mögen sich die Frage vorlegen, ob sie es vorziehen wollen, noch den Versuch zu machen, mit den ibnen gebliebenen Kräften in die neuen Verhältnisse einzutreten, oder ob sie die Wohlthaten, die Vortheile — will ich lieber sagen, ich möchte den Ausdruck . Woblthatenꝰ vermeiden — die Vortheile dieses Gesetzes annehmen und demnächst freiwillig in den Ruhestand treten wollen. Daß es im übrigen bei dem Gesetzentwurf nicht an aus— giebigem Wohlwollen für die davon betroffenen Beamten und ihre Hinterbliebenen gefehlt hat, das, meine Herren, ergiebt, glaube ich, die Prüfung seiner Einzelbestimmungen, auf die, wenn nöthig, bei der Detailberatbung einzugehen sein wird.
Meine Herren! Als die erste Anregung zu einer solchen Rege⸗ lung hier gegeben wurde, war, wie ich glaube, vom Staate Bremen abgesehen, noch in keinem einzigen anderen Staate der Gedanke ernst⸗ haft erwogen worden, solche erleichternde Uebergangbestimmungen zu treffen. Lediglich das Vorbild der preußischen Gesetzgebung hat den Erfolg gehabt, daß inzwischen eine Reihe von anderen Staaten den— selben Beden betreten haben und nunmehr Gesetze im wesentlichen Anschluß an den preußischen Entwurf eingebracht haben. Ein solches
Gesetz ist in Baden bereits verabschiedet; in Bayern hat es die Zu⸗ flimmung wenigftens des Unterhauses mit erheblicher Mehrheit an
Berechnung keine zuverlässige, keine maßgebende ist.
einem der letzten Tage gefunden; die hessische Regierung hat sich ähn⸗ liche Vollmachten im Verwaltungswege geben lassen; in Braunschweig ist ein Gesetzentwurf fast wörtlich gleichlautend mit dem unserigen eingebracht worden. Also dieses Gesetz ist vocbildlich gewesen für diejenigen Staaten, die überhaupt es für nothwendig gehalten haben, ähnliche Bestimmungen ju geben. Eine Reihe von anderen Staaten erkennt eine solche Nothwendigkeit überhaupt nicht an. Die Frist, für welche nach dem Vorschlage das volle Gehalt den zurück ⸗ tretenden Beamten weiter gewährt werden soll, ist auf drei Jahre fest⸗ gesetzt, und fie hält sich damit in der Mittellinie derjenigen Vor— schläge, die hier von den verschiedenen Parteien gemacht worden sind. Die Königliche Staatsregierung hat 'geglaubt, daß die Durchschnitts⸗ zahl von drei Jahren den praktischen Bedürfnissen entsprechend sein
. würde, und hat sich deshalb für diese Zahl entschieden.
Meine Herren, die Königliche Staatsregierung glaubt für sich das Zeugniß in Anspruch nehmen zu dürfen, daß sie bei diesem Gesetz nicht nur der ihr gegebenen Richtschnur gemäß die Wahrung der dienstlichen Interessen, sondern auch die Wahrung der persönlichen Inter ⸗ essen der davon betroffenen Richter sich hat angelegen sein lassen, — sie glaubt, daß das Gesetz von dem Geiste des Wohlwollens für die Beamten getragen ist, und glaubt deshalb auch, daß sie in ihren Vorschlägen bis an die äußerste Grenze dessen gegangen ist, was seitens der König⸗ lichen Staatsregierung konzediert werden kann. .
Es ist auf Grund der von den befragten Richtern abgegebenen Erklärungen veranschlagt worden, welcher finanzielle Aufwand aus der Durchführung des Gesetzes dem Staat erwachsen würde, und Sie werden aus der Begründung ersehen haben, daß dieser Aufwand auf zu Millionen Mark annähernd veranschlagt worden ist. Meine Herren, diese Summe stellt die Gesammtsumme derjenigen Gehälter dar, welche den Nachfolgern der zurücktretenden Richter für die Dauer der Wartezeit an Gehalt und Wohnungsgeldzuschuß zu zahlen sein würden. Es ist dabei von einer doppelten Voraussetzung ausgegangen worden: einmal von der Voraussetzung, daß ohne dieses Gesetz die sämmtlichen Richter, denen es zu gute kommen soll, im Amte bleiben würden, — zweitens von der Voraussetzung, daß sie alle die Warte⸗ zeit selbst in ihrer dienstlichen Stellung ausleben würden.
Nun, meine Herren, ist ohne weiteres zuzugeben, daß diese Es giebt aber keinen Maßstab, auf Grund dessen ziffermäßig irgend wie zuverlässig die Höhe der Belastung festgeftellt werden könnte, die für den Staat aus der Durchführung des Gesetzes sich ergiebt. Man könnte ja auch einen anderen Maßstab anlegen; man könnte von der umgekehrten Voraussetzung ausgehen, daß nämlich auch ohne dies Gesetz die sämmtlichen älteren Beamten, die sich nicht den höheren Aufgaben der Zukunft gewachsen glauben, freiwillig am 1. Januar 1900 in Pension gehen würden. Dann, meine Herren, würde die Ausgabe, die dem Staate erwächst, lediglich sich zusammen⸗ setzen aus dem Unterschiede zwischen der Pension und dem Gehalt, das die betreffenden Beamten bisher bezogen haben, — wiederum für die Dauer der Wartezeit. Es würde sich daraus eine niedrigere Summe ergeben, eine Summe von annähernd 1200 900. Die eine Veranschlagung ist, wie ich wiederhole, so unsicher und unzuverlässig wie die andere; man hat dabei mit einer Reihe unübersehbarer Faktoren zu rechnen. Vielleicht würde man der Wahrheit am nächsten kommen, wenn man den Durchschnitt dieser beiden Summen zöge, und dann würde es sich um ein finanzielles Opfer von etwa über 2340 000 S handeln. Meine Herren, feststellen läßt sich das nicht; es kommt auch darauf nicht an. Die finanzielle Seite ist keineswegs allein aus-˖ schlaggebend gewesen für das Gesetz, sondern es waren dafür zugleich höhere Gesichtspunkte maßgebend. Es hat sich nicht darum handeln sollen, Richtern eine Wohlthat zu erweisen, sondern einen Ausgleich zu finden zwischen den Opfern, die sie halb widerwillig bringen wollen, und den Interessen des Staates und der Recht suchenden Bevölkerung.
Das, meine Herren, sind die Grundgedanken dieses Gesetzes, und ich kann nur die Bitte aussprechen, daß Sie den Standpunkt, den die Königliche Staatsregierung dabei eingenommen hat, als einen berechtigten anerkennen und dem Gesetz Ihre Zustimmung ertheilen mögen.
Abg. Munckel (fr. Vollsp. ): Diese Vorlage ist geboten durch die Rücksicht auf jene Richter, welche den Aufgaben des neuen Bürger⸗ lichen Gesetzbuchs nicht gewachsen sind. Das entspricht auch dem Interesse des Publikumtz. Die Staatsregierung hat ihrem Wohlwollen für die Richter aber doch zu enge Grenzen gegeben. Vie untere und obere Grenze für die Pensionierung schemt mir nicht richtig gezogen zu sein. Es giebt Richter über 79 Jahte genug, welche noch gern Dienste ihun würden, wenn nicht die hohen Anforderungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs gestellt würden. Die Berechnung der Kosten stammt offenbar auz dem Finanz Ministerium. Ich habe den Eindruck, daß man nur so viel gebt, als man unbedingt geben muß. Die Differenz jwischen der Pension und dem vollen Gehalt ist doch keine sehr große, Auch die drei Jahre sind zu wenig. Eine Kommissionsberathung ist kaum nöthig.
Abg. Dr. Porsch (Zentr): Im Prinzip sind wir ja einig, die Einzelheiten bedürfen aber doch einer größeren Klarstellung, und darum bitte ich, den Gesetzentwurf einer n n von 14 Mitgliedern zu überweisen. Die Richter hätten ein größeres Entgegenkommen von der Regierung verdient. Ich bedauere namentlich, daß die Richter nicht 5, sondern nur 3 Jahre das volle Gehalt beziehen sollen. Aut⸗
nahmeweise sollte die Regierung auch solche Richter unter 65 Jahren berücksichtigen, die wegen Krankheit u. s. w. nicht mehr leistungs⸗ faͤhig sind, kein Vermögen besitzen und eine zahlreiche Familie zu ver⸗ sorgen haben. Den Richtern über 75 Jahre hätte die Regierung mehr entgegenkommen sollen. Eigentlich verdienen diese ohne weiteres das volle Gehalt. Soweit wollen wir aber nicht gehen, wir wollen nur die obere Grenze beseitigt wissen. Wir können zu den Richtern das Vertcauen haben, daß sie nicht leichtfertig in den Ruhestand treten. Ich möchte gern wissen, nach welchen Grundsätzen die Auswahl der zu Densionietenden Richter gescheben soll. Die Beschäftigung von Richtern in weniger schwierlgen Deierngten wünsche ich nicht; denn damit würden jwei Garnituren von Richtern geschaffen werden. Den im Amte bleibenden Richtern, denen es schwer wetden wird, dag ganze Material bit zum J. Januar 1900 sich anzueignen, sollte der Minister in den letzten Monaten diefes Jahres einige Erleichterungen verschaffen.
Abg. Arau se⸗Walden burg, (fr. kons. : Wir erkennen das Wohl. wollen der Staatsregierung für die älteren Richter an und glauben, daß die Vorlage so einfach ist, daß sie im Plenum erledigt werden kann, werden uns aber der Kommissionsberathung nicht widersetzen. Dem Wunsche der Beseitigung der Altersgrenze von 75 Jahren schließe ich mich an. Der Minister sollte von den Befugnissen, die ihm das Gesetz giebt, einen möglichst liberalen Gebrauch machen. Mit den drei Jahren werden wir uns begnügen müssen. . ?
Abg. Willebrand (Zentr) bedauert, daß die Regierung mit dieser Vorlage hinter anderen deutschen Staaten zurückgeblieben sei.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
zum Dentschen Reichs⸗A
n a2.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Justiz-⸗Minister Schönstedt:
Meine Herren! Es hat mich nicht überrascht, daß die Anfech⸗ tungen des Gesetzes sich wesentlich dahin richten, daß es nicht weit genug gehe. Ich bin keinen Augenblick darüber zweifelhaft gewesen, daß das Gesetz namentlich in den Kreisen der Betheiligten eine viel freundlichere Aufnahme finden würde, wenn es den Zeitraum, für den es das volle Gehalt gewähren will, weiter ziehen und wenn es ebenso die Altersgrenze wegfallen ließe. Wenn es also der König⸗ lichen Staatsregierung lediglich darauf angekommen wäre, ein recht populäres Gefetz einzubringen, so würde sie sich ganz gewiß auf den Standpunkt jener Herren hier stellen können, die von ihrem weniger verantwortlichen Standpunkt aus solche Ausdehnung des Gesetzes hier angeregt haben. Die Königliche Staatsregierung hat aber nach gewissenhafter Abwägung aller in Betracht kommenden Verhältnisse geglaubt, sich auf das beschränken zu müssen, was sie in dem Entwurf angeboten hat. Es ist ja richtig, daß die Ver⸗ hältnisse in anderen Staaten nicht überall ebenso liegen wie hler. Richtig ist es insbesondere, daß in Bayern Richter mit dem 70. Lebentjahr das Recht haben, unter Fortbezug ihres vollen Gebalts in den Ruhestand zu treten; sie verlieren aber in diesem Fall die sogenannte nichtpragmatische Zulage, die ihnen während des aktiven Dienstes gewährt wird, und sie haben daher auch ein pekuniäres Interesse daran, von der Befugniß des Rücktritts nach Vollendung des 70. Lebensjahres keinen Gebrauch zu machen.
Es ist auch richtig, was der Herr Abg. Wilbrandt gesagt hat, daß andere Gesetze in einzelnen Bestimmungen über dasjenige hinaus⸗ gehen, was in der preußischen Vorlage enthalten ist; insbesondere gilt das von dem eben mitgetheilten badischen Gesetze, das im Landtage einige Aenderungen gefunden hat Wie gering aber die finanzielle Tragweite des Gesetzes für Baden ist, ergiebt sich daraus, daß dort im Ganzen 14 Richter in Frage kommen, welche sich bereit erklärt haben, von dem Gesetze Gebrauch zu machen. Hier sind die Zahlen, deren Angabe vorher vermißt worden ist, doch ganz erheblich höher. Die Zahl derjenigen Richter, auf die die Altersvoraussetzungen des Entwurf zutreffen, beträgt 365. Davon haben 245 sich bereit erklärt, sich unter das Gesetz zu stellen, abgelebnt hat der Rest von 120 Richtern. Diese Ablehnung hat an und für sich nichts Auffallendes, und ich glaube sagen zu können, daß sie nur zu einem verschwindenden Theile darauf zurückijuführen ist, daß die gestellten Bedingungen den Richtern nicht günstig genug erschienen. Als die Justizverwaltung ihre Umfrage veranlaßte, ist sie nicht im Zwelfel gewesen, daß eine große Zahl von Richtern garnicht auf den Gedanken kommen werde, von dem Gesetz Gebrauch zu machen, weil sie sich vollkommen geistig und körperlich leistungsfähig füblten, und ich habe die Gründe vorher angegeben, weshalb trotzdem die Anfrage an alle Richter gestellt worden ist. Es haben nur drei oder vier Richter angedeutet, daß sie wohl bereit sein würden zurückzutreten, wenn die Bedingungen noch etwas günstiger gestaltet wären; ich glaube kaum, daß es mehr gewesen sind. Daraus glaube ich entnehmen zu können, daß das Gesetz im allgemeinen auch in den Kreisen, auf die es be⸗ rechnet war, wohl befriedigt.
Es ist gefragt worden, wieriel Richter sich in Preußen befinden, die am 1. Januar 1900 das 75. Lebensjahr bereits vollendet haben werden. Auch da kann ich die Zahl angeben; es sind 37. Welche finanzielle Tragweite es haben würde, wenn diese Richter mit ein—⸗ bezogen würden, was ja selbstverständlich dann auch die Beseitigung der Altersgrenze von 75 Jahren für diejenigen zur Folge haben würde, die schon auf Grund des Entwurfs, aber in einem Alter von mehr als 72 Jahren in den Ruhestand gelangen, darüber kann ich im Augen⸗ blick nicht Auskunft geben. Unerheblich ist die Sache aber nicht; es wird sich das in der Kommission, soweit Berechnungen möglich sind, aufklären lassen.
Meine Herren, es ist insbesondere diese Altersgrenze von 75 Jahren angegriffen worden. Einer der Herren hat die Aeußerung gethan: ja, wenn einer bis zum 75. Jahre gedient habe, habe er auch einigen An- spruch auf volles Gehalt. Dieser Standpunkt läßt sich ja gewiß ver⸗ treten; aber er würde nicht nur für Richter, sondern für alle Beamte des ganzen Staats gelten müssen, und ich glaube, wenn für Richter eine solche Ausnabhmevergünstigung in dies Gesetz hineinkäme, dann würde das doch in anderen Verwaltungekreisen einen recht unangenehmen Eindruck machen.
Es ist auch angefochten worden das von der Königlichen Staatsregie⸗ rung in Anspruch genommene Recht, darüber zu bestimmen, ob ein Richter unter das Gesetz falle oder nicht. Meine Herren, ich glaube nicht, daß die Königliche Staatsregierung auf dieses Recht verzichten kann. Ist es ein vollkommen dienstfäbiger Richter, der aus Bequemlichkeit, um früher sich zur Ruhe setzen zu können, von dem Rechte Gebrauch machen will, dann würde es dem dienstlichen Interesse widersprechen, wenn der Staat auf die Kräfte eines solchen Beamten ohne weiteres verzichten wollte; ist es aber ein jetzt schon ganz dienstunfähiger Richter, dann wäre es ein Unrecht gegen die andern.
Ich glaube hier erwähnen zu dürfen, daß der Fall keineswegs vereinzelt dasteht, daß alte Richter schon seit Jahr und Tag ihre Geschäfte nicht mehr wahrnehmen, beurlaubt sind, vertreten werden, weil sie gänzlich dienstunfäbig sind, Richter, bei denen garnicht daran zju denken ist, daß sie die Dienstfäbigkeit wiedererlangen werden. Bei dem Wohlwollen, das in der Verwaltung derartigen Richtern ent—⸗ gegengebracht wird, wird nicht etwa nach kurzer Zeit schon ein Druck auf diese Richter geübt, daß sie nun ihre Pensionierung nachsuchen sollen; man läßt die Sache recht lange währen. Ost dauert es mehrere Jahre. Wenn dieses Wohlwollen aber dahin führen sollte, daß solchen Herren, die selbst vollkommen davon überzeugt sind, daß sie die Dienst⸗ fähigkeit niemals wieder erlangen werden, nun unter der Herrschaft dieses Gesetzes ihr volles Gehalt noch auf 3 Jahre mitgegeben würde, das würde doch in den weitesten Kreisen nicht verstanden werden und würde auch, nicht nur in den Kreisen der betheiligten Richter, sondern auch in anderen Kreisen lebhafte Mißbilligung hervorrufen. Der artigen Konsequenzen muß die Staatsregierung sich doch entziehen.
Zweite Beilage nzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗A1nzeiger.
Berlin, Mittwoch, den 7. Juni
Von dem Abg. Krause (Waldenburg) ist der Wunsch aus— gesprechen worden, es möge doch auf solche Richter ein etwas stärkerer Druck ausgeübt werden, daß sie ihren Abschied nebmen, wenn sie der Staatgregierung dienstunfähig erscheinen. Ich glaube, es ist dabei eine Bemerkung, die ich vorhin gemacht habe, nicht ganz richtig ver⸗ standen worden.
Ich habe erklärt, daß die Staatsregierung weit entfernt sei, auf Richter, die das 75. Lebensjahr hinter sich baben, bloß mit Rücksicht auf ihr hohes Alter einen Druck auszuüben, daß sie ihre Pensionierung nachsuchen möchten. Der Befugniß wird sich dagegen selbftverständlich die Staatsregierung nicht entschlagen, auf die Pensionierung solcher Richter, die in der That dienstunfähig erscheinen, mit den zulässigen Mitteln hinzuwirken.
Auf sonstige Einzelheiten, die heute zur Sprache gebracht sind, glaube ich jetzt nicht eingehen zu sollen, da Einverständniß vorhanden ist, daß das Gesetz in eine Kommission verwiesen werden soll; da können wir versuchen, uns über die noch bestehenden Meinungsver schiedenheiten zu verständigen.
Abg. Dr. Krause (nL): Der Schwerpunkt des Gesetzes liegt nicht in dem Wohlwollen für die Richter, sondern in dem Interesse des Publikums an einer sicheren und besseren Rechtspflege, und im Interesse dieser hätte noch etwas weiter een en werden können. Die übrigen Beamten würden sich schwerlich zurückgesetzt fühlen, wenn man die 75 jährigen Richter mehr berücksichtigte. Die 387 Richter fallen doch kaum ins Gewicht für den Kostenaufwand. Eine größere Verjüngung des Richterstandes ist durchaus wünschengwerth. Ich möchte die Regierung dringend bitten, den Richtern noch weiter ent⸗ gegenzukommen, namentlich auch in Bezug auf die Geltungsdauer des Benefizium.
Abg. Dietrich (kons): Die Verjüngung des Rich erstandes kommt bier nicht in Frage. Aelteren Richiern steht ein größeres Maß von Erfahrung ju Gebote als jüngeren. Die überwiegende Mehrzahl meiner Freunde ist der Meinung, daß der Gesetzentwurf, so wie er vorliegt, verabschledet werden kann. Wir werden uns aber einer weiteren Prüfung des . nicht widersetzen, wie wir über haupt an Wohlwollen für die Richter hinter keiner anderen Partei zurückstehen. Wir sind aber entschieden dagegen, daß das Gesetz auf fünf Jahre ausgedehnt und daß es in das freie Belieben der Richter gestellt werden soll, ob sie von den Wohlthaten des Gesetzes Gebrauch machen wollen. Entscheidend sind lediglich die Interessen des Dienstes. Die Vorlage wird einer Kommission von 14 Mitgliedern überwiesen.
Es folgt die Berathung des An tra gs der Abgg Kolisech und Kindler, die Staatsregierung aufzufordern, baldmöglichst einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen den Städten und Landgemeinden der Provinz Posen eine ihrer Einwohnerzahl und Steuerleistung entsprechende Vertretung auf den Kreistagen eingeräumt wird.
Abg. Kolisch (frs. Vgg) sucht zur Begründung seines Antrags unter Anführung einzelner Fälle nachzuweisen, daß die Städte auf den Kreistagen im Verhältniß zu ihrer Ginwohnerzab! und Steuerkraft ungünstiger vertreten seien als die Rittergüter und Landgemeinden.
Minister des Innern Freiherr von der Recke:
Meine Herren! Es trägt vielleicht zur Abkürzung der Diskussion bei, wenn ich meinen Standpunkt gegenüber dem Antrag Kolisch schon jetzt kurj präzisiere. Dabei muß ich allerdings vorausschlcken, daß der Antrag noch nicht Gegenstand der Berathung im Staat. Ministerium gewesen ist; ich glaube aber in der Annahme nicht fehl zu greifen, daß das Königliche Staats Ministerium meiner Auffassung voll—⸗ kommen beistimmen wird.
Ich kann nur widerrathen, dem Antrage Kolisch eine weitere Folge zu geben. Die Verhältnisse, wie sie lauf Grund der Kreis—⸗ ordnung von 1828 auf den Kreistagen der Provinz Posen bestehen, sind seitens des Herrn Abg. Kolisch ganz richtig zusammengestellt. Es handelt sich danach um eine ständische Verfassung mit drei Ständen: den Rittergutsbesitzern, den Städten und den Landgemeinden. Jedem Rittergutebesitzer steht eine Virilstimme zu, die Landgemeinden sind zusammen mit drei Stimmen und die Städte je mit einer Stimme auf den Kreistagen vertreten. In dem Stimmenverhältniß des zweiten und dritten Standes ist eine kleine Variation durch die Kreisordnung von 1860 beziehungsweise durch das Gesetz von 1853 in dem Sinne eingetreten, daß in einzelnen Kreisen die Zabl der Vertreter bis zu sechs erhöht ist.
Als es sich darum handelte, im Jahre 1889 die Selbstver⸗ waltungsgesetze, zum theil in der Provinz Posen, einzuführen, ist selbstverständlich auch die Frage nicht unerwogen geblieben, ob man die Kreisordnung von 1872 dort entweder ganz oder mit ge— wissen Modifikationen einzuführen in der Lage sein würde. Die Königliche Staatgregierung hat — darin befindet sich, glaube ich, Herr Abg. Kolisch im Irrthum — geglaubt, diese Einführung nicht empfehlen zu können; ich habe wenigstensg aus dem vorhandenen Material nicht entnehmen können, daß der damalige Herr Minister des Innern sich für eine Einführung der Kreigordnung von 1872 aus— gesprochen hätte. In den Motiven wird vielmehr ausdrücklich hervor⸗ geboben, daß die besonderen, aus den nationalen Gegensätzen der Be⸗ völkerung sich ergebenden Verhältnisse der Provinz Posen es zur Zeit nicht angängig erscheinen ließen, mit der Einführung einer dem Vor⸗ bild der Kreigzordnung von 1872 entsprechenden Kreisverfassung dort vorzugehen.
Die beiden Kommissionen dez Landtages, die sich mit der Vorlage beschäftigt haben, sind der Königlichen Staatsregierung beigetreten. In dem Bericht der X. Kommission des Herrenhauses ist ausdrücklich ausgeführt:
Die Entschließung der Königlichen Staatsregierung, die Ein⸗ führung einer neuen Kreis- und Provinzialordnung einer späteren Zelt vorbehalten zu wissen, erscheine angesichts der zur Zeit in der Provinz Posen obwaltenden Verhältnisse durchaus gerechtfertigt.
Ebenso findet sich in dem Bericht der Kommission des Abgeordneten⸗ hauses ein bezüglicher Passus. Es wird dort ausgeführt, es sei mehrfach das Bedauern darüber ausgesprochen, daß nicht die gesammte Kreis, und Provinzialordnung in der Provinz Posen, wenn auch mit gewissen Kautelen zur Einführung gelangen solle. Dem gegenüber sei bereits zutreffend erwidert, daß die nationalpolitischen Verhältnisse der Provinz zur Zeit die Bildung und Gestaltung einer Kreis⸗ bezw.
18g.
Provinzialvertretung nach den Grundsätzen der Kreis⸗ und Provinzial⸗ ordnung nicht gestatteten. In beiden Häusern ist man demnächst im Plenum der Auffassung der Königlichen Staateregierung bei⸗ getreten, nur ist allerding im Jahre 1889 dem Beschluß dieses hohen Hauses eine Resolution hinzugefügt worden, des Inhalts, die Königliche Staatsregierung aufzufordern, bald⸗ möglichst in Erwägungen darüber einzutreten, ob nickt den Städten und Landgemeinden der Provinz Posen eine ihrer Einwohner— zahl mehr entsprechende Vertretung auf den Kreistagen einzuräumen sei. Diese Erwägungen haben im weitgehenden Maße ftattgefunden, und es hat im Jabre 1893 auf eine bezügliche Anfrage der Minister⸗ Präsident Graf Eulenburg dem hohen Hause mitgetheilt, daß das Ergebniß dieser in Autsicht gestellten Erwägungen ein durchauz negatives gewesen sei. Es sei zu berücksichtigen, daß die Kreisver—⸗ fassung in der Provinz Posen auf dem Gesetz vom Jahre 1828 be— ruhe, welches ganz bestimmte Zahlenverhältnisse für die 3 Kategorien der Rittergutsbesitzer, der Städte und Landgemeinden, die auf den Kreis⸗ tagen vertreten sind, angiebt. Wenn man dazu übergehen wollte, in dieser Beziehung eine Aenderung zu Gunsten der Städte eintreten zu lassen, so liege auf der Hand, daß man das nicht thun könne, ohne das Gleiche für die Landgemeinden zu thun. Mit dem Augenblick, wo man anfange, in dieser Beziehung Experimente und Verschiebungen zu machen, zerstöte man das ganze System.
In ähnlichem Sinne ist sewohl im Jahre 1895 wie im Jahre 1897 auf gleichartige Anfragen aus dem hohen Hause von der Staats- regierung geantwortet worden. Die Königliche Staateregierung steht auch jetzt noch auf demselben Standpunkt. Sie ist der Meinung, daß die nationalpolitischen Verhältnisse in der Provinz Posen es zur Zeit noch nicht gestatten, die Kreisordnung von 1872 dort einzuführen, daß vielmehr daran feftgehalten werden muß, dort zunächst noch mit den Kreigtagen auf der Grundlage ständischer Verfassung zu operieren. Die Königliche Staatsregierung geht dabei von der Erfahrung aus, daß sie in den deutschen Rittergutsbesitzern die Haurxtstütze auf den Kreistagen findet, während sie der Meinung ist, daß sie eine gleiche Unterstützung in nationaler Beziehung von den Vertretern der Städte und der Landgemeinden nicht zu gewärtigen hat.
Meine Herren, solange man aber mit dem Virilstimmrecht der Rittergutsbesitzer an der ständischen Verfassung festhalten muß, ist es in der That nicht angezeigt, mit derartigen Experimenten, wie sie mehrfach schon vorgeschlagen sind, vorzugehen. Eine Abstufung des Stimmrechts der Landgemeinden und der Städte unter Berücksichtigung der Steuerverhältnisse und der Einwohnerzahl verträgt sich nach Aufsassung der Königlichen Staatsregierung nicht mit der ständischen Verfassung und würde unzweckmäßig sein. Wenn wir den Versuch machen wollten, eine neue Vertretung dieser beiden Stände unter Aufrechterhaltung der ständischen Verfassung des ersten Standes in der Provinz Posen ein— zuführen, würden wir, ganz abgesehen von politischen Bedenken, bei der praktischen Durchführung auf ganz unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen, namentlich auch in Hinblick auf den Umstand, daß die Ver⸗ hältnisse in den einzelnen Kreisen ganz außerordentlich verschieden sind. Wir haben beispielsweise damit zu rechnen, daß in dem einen Kreise der erste Stand nur mit 2 Vertretern versehen ist, in einem anderen Kreise mit 56. —
Ich gebe gern zu, daß die jetzige Kreisordnung keinen idealen Zustand schafft (bört, hört! bei den Polen und links), und die König— liche Staatsregierung würde gern ihre Hand dazu bieten, die Verhält⸗ nisse anders zu regeln, sofern nur die nationalpolitischen Verbältnisse ihr dies gestatteten.
Auf der anderen Seite muß man aber doch auch anerkennen, daß sich aus der gegenwärtigen Verfassung besondere Uebelstände bisher nicht ergeben haben. Ich möchte hier nur ausdrücklich konstatieren, daß seitens der Landgemeinden überhaupt noch nie ein Wunsch laut geworden ist (Widerspruch bei den Polen), eine andere Ver⸗ tretung auf den Kreistagen zu erlangen — wenigstens ist der Königlichen Staatsregierung bis jetzt ein der— artiger Wunsch nicht vorgetragen worden. Es ist ja auch schon darauf hingewiesen, daß gegen Fälle der Vergewaltigung durch Beschluß— fassung auf den Kreistagen die einzelnen Stände durch die sogenannte itio in partes gesichert sind. Soweit mir bekannt ist, ist allerdings noch nie von diesem Rechte Gebrauch gemacht worden, woraus man, wie ich glaube, mit Fug und Recht, schließen darf, daß derartige Ver⸗ gewaltigungen auf den Kreietagen nicht vorkommen, und daß man dort bestrebt ist, den Interessen auch der weniger stark vertretenen Stände stets gerecht zu werden.
Ich möchte Sie nach alledem bitten, meine Herren, dem Antrag Kolisch eine weitere Folge nicht zu geben. Sobald nach Auffassung der Staatsregierung der Moment gekommen ist, in der Provinz Posen eine andere Vertretung einzuführen — und dies kann nach meiner Auffassung dann nur die Kreizordnung von 1872 sein —, so wird die Staatsregierung aus cigener Initiative mit Anträgen an dieses hohe Haus herantreten.
Von einer Behandlung der Angelegenbeit in einer Kommission, der ich ja selbstverständlich nicht widerstreben kann, vermag ich mir freilich einen besonderen Erfolg nicht zu versprechen. Diese Ange— legenheit ist schon früher in auggiebiger Weise in den Kom— missionen erörtert worden, insbesondere auch im vorigen Jahre. Die Kommission ist damals unter Würdigung aller dort angeführten Verhältnisse zu der Auffassung gekommen, daß es angezeigt sei, dem hohen Hause einen Uebergang zur Tagegordnung zu empfehlen. Sollte das hohe Haug gleichwohl einer Behandlung des Antrags in einer Kommission jzuneigen, so werden wir an der Hand reichlichen Materials erneut nachweisen, daß es praktisch unausführbar ist, in dem Sinne, wie der Herr Antragsteller es will, eine anderweitige Regelung der Stimmverhältnisse der Städte und der Landgemeinden auf den Kreis tagen in Posen eintreten zu lassen. (Bravo! rechts.)
Abg. Dr. Lewald (kons): Wollten wir jetzt schon die Krelgordnung in Posen einführen, so würden wir bei den Wahlen zu den Kreistagen einen Nationalitätenkampf heraufbeschwören, der den Frieden stören
könnte. Wir sind aber der Meinung, daß einzelnen Städten und
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