1899 / 138 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 14 Jun 1899 18:00:01 GMT) scan diff

In der gestrigen Sitzung des Kolonialraths standen der Antrag der Herren Dr. Schöller und Genossen auf Verleihung einer Landkonzession im nördwestlichen Kamerun und der An— trag der Herren Deuß und Genossen auf Verleihung einer Konzession zur Errichtung einer Transport-, Plantagen⸗ und Handelsgesellschaft im Seengebiet von Deutsch⸗-Ostafrika auf der Tagesordnung. Der Direktor der Kolonial⸗-Abtheilung des Auswärtigen Amts, Wirkliche Geheime Legationsrath Dr. von Buchka stellte fest, daß eine Verpflichtung zur Vorlegung der vorgenannten Anträge an den Kolonialrath zur gutacht— lichen Aeußerung nicht bestehe; die Vorlegung erfolge aber bereitwilligst mit dem Bemerken, daß eine Stellungnahme der Kolonial- Abtheilung zu den Anträgen noch nicht statt⸗

efunden habe. Es wurde die Generaldebatte über den . des Dr. Schöller eröffnet. Die sehr lebhafte De⸗ batte wurde um 1 Uhr durch eine längere Pause unterbrochen und um A / Uhr fortgesetzt. Vor Eintritt der Pause wurde ein Telegramm Seiner Majestät des Kaisers an Seine Hoheit den Herzog⸗Regenten Johann Albrecht von Mecklenburg⸗ Schwerin als Antwort auf das am vorgestrigen Tage seitens des , abgesandte Huldigungs⸗ Telegramm ver⸗ lesen (s. u.). .

In 9. Nachmittags⸗Sitzung theilte der Kolonial⸗Direktor mit, daß Herr Dr. Schöller u. Gen. sich bereit erklärt haben, u. a. folgende Verpflichtungen zum Zweck des Erwerbs der Konzession zu übernehmen: Drei Viertel des Ver⸗ waltungsraths, der Vorsitzen de desselben, sämmtliche Mitglieder des Direktoriums müssen Deutsche sein; die Gesellschaft hat den Handel zu fördern, das Land durch Expeditionen und zweckmäßig erscheinende Verkehrsmittel zu erschließen, Plantagen und Faktoreien anzulegen; bei Gewinnung des Gummi ist auf einen Fortbestand des Gummibaumes Bedacht zu nehmen. Auch hieran knüpfte sich eine längere Debatte. Es wurde so⸗ dann einstimmig beschlossen:

„Der Kolonialrath empfiehlt, bei Ertheilung von Land— konzessionen diese neben der Aufbringung eines ausreichenden Kapitals von der Erfüllung bestimmter, durch die Konzessionäre zu übernehmender Verpflichtungen abhängig zu machen, welche die Erschließung des Konzessionsgebiets durch die Konzessionäre thatsächlich gewährleisten und es sichern, daß Dritte an der Erschließung durch die Konzessionäre nicht gehindert werden. Bestehende 633 Interessen dürfen seitens der Konzessionäre nicht beeinträchtigt werden. Bei Nichterfüllung dieser Ver⸗ pflichtung wird die Konzession nach bestimmter Frist hinfaͤllißg. Bei Verleihung von Befugnissen öffentlich— rechtlicher Natur sind für die Kolonialverwaltung die zur Wahrnehmung der öffentlichen Interessen erforderlichen Vor— behalte zu machen, insbesondere gilt dies für Konzessionen zu Wege⸗, Eisenbahn⸗, Kanal-⸗Anlagen und Dampsschiffsverbin⸗ dungen, für Handelsmonopole und ausschließliche Bergwerks— konzessionen.“

Von einer Spezialdebatte wurde Abstand genommen.

Hierauf vertagte sich der Kolonialrath um 5i/ Uhr Nach⸗ mittags bis heute Vormittag 10 Uhr.

Das in dem gestrigen Bericht erwähnte, von dem Kolonialrath an Seine Majestät den Kaiser ab⸗ gesandte Huldigungs-Telegramm hatte nachstehenden Wortlaut: 39.

„Eure Kaiserliche und Königliche Majestät wollen Allergnädigst geruhen, den Ausdruck freudigsten Dankes des heute zusammengetretenen Kolonialrathz für die diplomatisch in so bervorragender Weise durch- geführte Erwerbung der Inselgruppen der Karolinen, Palau und Marianen haäldvollst entgegenzunehmen. Der Kolonlalrath erblickt in dieser bedeutsame'n Vermehrung unseres überseeischen Besitzes einen hocherfreulichen Akt Eurer Majestät Weisheit und Aller— gnädigsten Fürsorge für die weitere Ausgestaltung unserer Kolonten in der Südsee, für die Entwickelung unseres dortigen Handels und für die Förderung und Kräftigung der Machtstellung des Deutschen Reichs.

Im Auftrage der Mitglieder des Kolonialraths

Johann Albrecht, Herzog zu Mecklenburg.“

Hierauf ist, wie, W. T. B.“ meldet, folgendes Antwort⸗ Telegramm Seiner Majestät des Kaisers eingegangen:

Neues Palais, den 12. Juni 18939. Indem Ich mit Befriedigung von der patriotischen Kundgebung der Mitglieder des Kolonialtaths aus Anlaß der Erwerbung der Karolinen⸗, Palau und Marianen Inseln seitens des Deutschen Reichs Kenntniß nehme, bitte Ich Eure Hoheit, dem Kolonialrath für dies erneute Zeichen seines Vertrauens in Meine auswärtige Politik Meinen Kaiserlichen Dant zu sagen. Wilhelm, J. R.“

Der Kaiserliche Botschafter in Konstantinopel, Staats— Minister Freiherr Marschall von Bieberstein hat einen ihm Allerhöchst bewilligten Urlaub angetreten. Während der Abwesenheit desselben fungiert der Erste Sekretär der Kaiser⸗ lichen Botschaft, Legationsrath von Schloezer als Geschäfts— trãger.

Der Regicrungs⸗-Assessor Koeppel zu Osterode ist der Königlichen Regierung zu Königsberg, der Regierungs⸗Assessor GBoede zu Koblenz der Königlichen Regierung zu Stettin, der Regierungs⸗Assessor Schlegelberger zu Wiesbaden der Königlichen Regierung zu Oppeln und der Regierungs⸗Assessor Dr. Krum macher zu Berlin der Königlichen Regierung zu Magdeburg zur weiteren dienstlichen Verwendung überwiesen worden.

Der Negierungs⸗Assessor Dr. Freiherr von der Goltz zu Kolberg ist bis auf weiteres dem Landrath des Kreises Niederbarnim im Regierungsbezirk Potsdam zur Hilfeleistung in den landrãthlichen Geschaften zugetheilt worden.

Laut telegrayphischer Mittheilung ist S. M. S. „Frithjof“, Rerrardart. Rorvetten⸗-Kapitän Kalan rom Hofe, am 2. i Kerzenhagen angekommen und beabsichtigt, am

Jani ieder in See zu gehen. S. M. S. „Beowulf“,

Karyitän zur See von Heeringen, ist am

. Ene Hardanger angekommen und beabsichtigt,

am 16 Jani wieder in Sce zu gehen.

. Bannern. F Seine Königliche Hoheit der Prinz Albrecht von Preußen, Regent des Herzogthums Braunschweig, ist, wie die „Allg. Ztg.“ berichtet, vorgestern Abend von Kissingen nach Blankenburg abgereist.

Hessen. Ueber das Befinden Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs ist gestern in Darmstadkt folgendes Bulletin ausgegeben worden: J Im weiteren Verlauf der Krankheit Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs ist keine Komplikation eingetreten. Die besorg⸗

nißerregenden Krankheitserscheinungen sind verschwunden. shettes ö Dr. Eigenbrodt. Dr. Riegel.

Sach sen⸗Altenburg.

Seine Hoheit der Herzog ist, nach beendeter Kur vor— gestern von Karlsbad wieder in Altenburg eingetroffen.

Sach sen⸗Coburg⸗Gotha. Seine Königliche Hoheit der Herzog ist gestern von London nach Coburg zurückgekehrt.

In dem gemeinschaftlichen Landtage der irn . thümer Coburg und Gotha ist, wie die „Goth. Ztg.“ be⸗ richtet, gestern von dem Abg. Dr, Heusinger der nach⸗ stehende dringliche Antrag eingebracht worden:

In Erwägung, daß der gemeinschaftliche Landtag sich mit der Erklarung des Herrn Staats- Ministers vom 9. Juni d. J nicht beruhigen kann, in der weiteren Erwägung, daß durch § 71 des Staatsgrundgesetzes das Verhältniß der vereinigten Heriogthümer zum Herjog gemeinsam ist, ersucht der gemeinschaftliche Landtag die Herzogliche Staattztegierung, ihm noch vor der dem Vernebmen nach unmittelbar beoorstehenden Vertagung des gemeinschaftlichen Landtages über die betreffs der Thronfoge getroffenen Vereinbarungen Kenntniß zu geben und nach der Vertagung den Landtagsausschuß über alle weiteren, auf die Thronfolge sich beziehenden Fragen auf dem Laufenden zu erhalten.

Reuß ä. L. Seine Durchlaucht der Fürst hat sich heute zu mehr⸗ wöchigem Aufenthalt nach Teplitz begeben.

Reuß j. L. Der Landtag ist gestern wieder zusammengetreten.

Elsaß Lothringen.

Der Landesausschuß verhandelte gestern über die Petition der Städte Straßburg, Hagenau, Metz und Bolchen, künftig für die Gemeinderathssitzungen der größeren Städte Elsaß⸗Lothringens die Oeffentlichkeit zuzulassen. Colmar, Gebweiler, Mülhausen und andere hatten sich gegen die Oeffent⸗ lichkeit ausgesprochen. Namens der Regierung erklärte, wie „W. T. B.“ berichtet, der Staatssekretär von Puttkamer, er stehe grundsätzlich auf dem Standpunkt, daß auf den Wunsch der erstgenannten Städte einzugehen sei, und mache nur einige Vorbehalte technischen Inhalts.

Desterreich⸗Ungarn.

Die beiden Fraktionen der Unabhängigkeits partei er⸗ klärten, wie dem „W. T. B.“ aus Budapest gemeldet wird, in der heutigen Parteikonferenz, sie nähmen das zwischen dem Minister⸗Präsidenten von Szell und dem Grafen Thun ab⸗ geschlossene Ausgleichskompromiß unter Wahrung ihres prinzipiellen Standpunktes an. Die klerikale Volkspartei nimmt das Kompromiß ohne Bedingung an.

Großbritannien und Irland.

Ein Blaubuch über die Petition der Uitlanders in Transvaal an die Königin ist, wie „W. T. B.“ meldet, gestern ausgegeben worden. In der am 10. Mai abgesandten Antwort auf die Petition erkennt der Staatssekretär für die Kolonien Chamberlain die Berechtigung der Beschwerden voll an und hebt jene, welche die persönlichen Rechte der Uitlanders berühren, besonders hervor, da sie gegen den Geist, wenn nicht sogar gegen den Buchstaben der Konvention verstießen. Großbritannien sei nicht geneigt, von seiner reservierten Haltung abzugehen; es könne aber nicht auf die Dauer die exceptionelle, willkürliche Behandlung der Uitlanders unbeachtet lassen, so wenig wie die Gleichgültigkeit der Südafrikanischen Republik gegenüber freundschaftlichen Vorstellungen, deren eifriges Bestreben darauf gerichtet sei, eine Intervention in ihre inneren Angelegenheiten zu verhindern. Chamberlain giebt zum Schlusse den Rath zu einer Jusammenkunft zwischen Sir Alfred Milner und Krüger. Das Blaubuch enthält ferner eine Depesche Sir Alfred Milner's an Chamberlain vom 4. Mai. In derselben wird darauf hingewiesen, daß die Lage immer kritischer werde, und gesagt, die Versuche, die Reformbewegung als eine künstliche darzustellen, seien eine willkürliche Verdrehung der Wahrheit. Die politischen Unruhen würden nicht eher enden, als bis die Uitlanders dauernd zur Theilnahme an der Regierung zugelassen würden. Die Politik, die Dinge gehen zu lassen, wie sie wollten, sei Jahre lang geübt worden mit dem Resultat, daß die Lage immer schlechter geworden sei. Das Schauspiel, daß die Unlanders sich vergebens an Großbritannien um Hilfe wenden müßten, untergrabe den Einfluß und das Ansehen Groß⸗ britanniens und mache die holländischen Kolonisten abspenstig. Nichts werde der verderblichen Propaganda Einhalt thun, als der bindende Beweis, daß die Regierung Ihrer Majestät ent⸗

schlossen sei, sich nicht aus ihrer Stellung in Suͤd⸗-Afrika drängen zu lassen.

Im Unterhause erklärte gestern der Staatssekretär für die Kolonien Chamberlain im Anschluß an die Mittheilung, daß das oben erwähnte Blaubuch erschienen sei: die Regierung warte noch auf Depeschen des Gouverneurs der Kapkolonie mit vollständigen Berichten über die Konferenz, bevor sie ihm weitere Weisungen sende. Im weiteren Verlauf der Verhandlung führte Chamberlain aus, er habe keine Nachricht darüber erhalten, daß die Regierung von Trang vaal kürzlich Waffen und Munition unter die Boeren in Natal habe vertheilen lassen und die

eigenen Unterthanen Großbritanniens gegen dasselbe bewaffnet habe. Labouchère stellte die Frage, ob Chamberlain die WVittheilung gesehen habe, daß der Gouverneur Sir Alfred Milner das Verlangen des Präsidenten Krüger nach einem

Schiedegericht über alle Streltpunkte und alle zukünftigen

Differenzen als billig anerkannt habe. Der Staatesekretär jür die Kolonien Chamberlain verlas hierauf eine Auf⸗ klärung Sir Alfred Milner's, in welcher es elßt die Erklärung

des Präsidenten Krüger sei eine Schlußfolgerung aus seinen

Sir A Milner 's) Aeußerungen. Er betrachte diese 24 f. gerung jedoch nicht als berechtigt und 6 dieselbe auch sofort richtiggestellt. Die Stellung, welche er einge⸗= nommen habe, sei in seinem Telegramm vom 8. Juni prä⸗ isiert. Es folgt nun ein Auszug aus dem bereits bekannten

elegramm Sir Alfred Milner's und die Bemerkung, daß er deutlich erklärt habe, ein Schiedsgericht über alle strittigen Fragen und Differenzen könne Großbritannien nicht zulassen, und ebenso deutlich, daß Großbritannien über keine Frage den Schieds— spruch einer fremden Macht gestatten könne. Was die Stel⸗ lung des Präsidenten Krüger zu dieser Frage betreffe, so habe derselbe nie erklärt, was er unter einem Schiedsgericht ver⸗ stehe, und habe auch keinen definitiven Vorschlag gemacht. Andererseits habe er (Sir Alfred Milner) aus einer Be⸗ merkung des Präsidenten geschlossen, daß , bereit sei, das Verlangen des Schiedsspruchs durch fremde Mächte aufzugeben. Chamberlain schloß seine Bemerkungen mit dem Hinweis darauf, daß Präsident Krüger nach der Konferenz einen neuen Antrag, betreffend das Schiedsgericht, gestellt habe, welcher dahin gehe, daß der Präsident dieses Gerichts ein Auslaͤnder sein solle. Auf eine Anfrage Hogan's, ob das jüngst mit der Regierung der Tonga⸗Inseln geschlossene Abkommen nicht thatsächlich ein britisches Protektorat über diese Inseln be⸗ deute, erklärte der Parlaments⸗ Sekretär des Aeußern Brodrick, daß dies nicht der Fall sei. In Beantwortung weiterer Anfragen bemerkte derselbe, es habe sich im britisch⸗ russischen Abkommen betreffs Chinas nicht um eine Ausdehnung der russischen Interessensphäre, sondern um eine Festsetzung der Grenzen gehandelt, innerhalb welcher die britische Regierung keine Konzessionen nach⸗ suchen oder russische Gesuche um solche beanstanden wolle. Die große Mauer Chinas hilde die natürliche Theilung und sei die Grenze der Mandschurei in der Provinz Mukden. Provand fragte an, ob es wahr sei, daß der Vize⸗König von Nanking dem britischen Konsul in Shanghai die Erlaub⸗ niß zur Verschiffung von Reis für die Garnison in Wei⸗Hai⸗ Wei mit der Begründung verboten habe, daß die Reisausfuhr untersagt sei, daß dagegen dem xussischen Konsul eine gleiche Erlaubniß für die Garnison in Port Arthur auf seine Forde⸗ rung gewährt und dann auch das britische Verlangen erfüllt worden sei. Der Parlaments⸗Sekretär des Aeußern Brodrick erwiderte, die Regierung habe keine Bestätigung dieser Gerüchte erhalten. Auf Wunsch einer britischen Firma, welche sich über die Unzuträglichkeiten beklagt die ihr durch das ohne hinreichende Anzeige erfolgte Aue fuhrverbot von Reis erwachsen seien, habe der britische Geschäftsträger der chinesischen Regierung Vorstellungen ge⸗ macht, worauf dem Vize⸗König von Nanking die Weisung zu⸗ gegangen sei, die Ausfuhr von solchem Reis zu gestatten, welcher vor dem Datum der Veröffentlichung des Verbots gekauft sei. Im weiteren Verlauf der Sitzung wurde die dritte Lesung der Londoner Lokalverwaltungsbill und der Finanzbill ohne Abstimmung genehmigt.

Frankreich.

Der Präsident der Republik Loubet hatte, dem, W. T. B.“ zufolge, gestern Vormittag eine Besprechung mit den .

denten des Senats und der Deputirtenkammer, in welcher er den Wunsch äußerte, daß die Krisis eine schnelle Lösung finden möge. Nachmittags berief der 66 r den Deputirten Potlncars in das Elysse und konferierte mit diesem längere Zeit. Heute wird sich Poincars abermals in das Elysse begeben.

Die Anklagekammer hat in dem Prozeß gegen Picquart erkannt, daß kein Grund zur Verfolgung desselben vorliege, da, wie in den Urtheilsgründen erklart werde, das Urtheil des Kassationshofes und die in der Sache eingeleitete Untersuchung dargethan hätten, daß die gegen Picquart erhobenen Anklagen in offenbarem Widerspruch mit dem Ergebniß dieser Unter⸗ suchung und dem Urtheil des Kassationshofes ständen.

Das Zuchtpolizeigericht verurtheilte gestern den Baron Christiani, welcher in Auteuil den Präsidenten Loubet thätlich angegriffen hatte, zu vier Jahren Gefängniß.

Rußland.

Wie „W. T. B. aus Helsingfors berichtet, melden die dortigen Blätter, der Kailser habe aus einem Vortrage über die Abrechnung des finländischen Senats vom Jahre 1896 ersehen, daß 34 Proz. der finländischen Bauern (sogenannte Torpar) ohne Grundbesitz seien. In Anbetracht dieser traurigen Lage der Bauern habe der Kaiser befohlen, jährlich aus den Resten der Budgetsummen mit zwei Millionen Mark einen Fonds zu bilden und besondere Regeln auszuarbeiten, um all⸗ mählich für diese Bauern Grundbesitz anzukaufen. Der Senat sei beauftragt worden, eigens hierzu eine Kommission zu bilden.

Italien.

Die „Agenzia Stefani“ meldet: Der General Giletta di San Giuseppe, Kommandant der Brigade von Cremona und in Piacenza in Garnison, habe sich mit regelrechtem Ur⸗ laub nach der Grafschaft Nizza begeben, von wo er gebürtig 6. und wo er Besitzungen habe. Während eines Ausfluges ei der General von französischen Gendarmen unter dem ** dacht der Spionage verhaftet worden.

Vor Beginn der gestrigen Sitzung der Deputirten⸗ kammer wurde dem neugewählten radikalen Abgeordneten von Mailand Musi von der äußersten Linken eine Ovation bereitet. Der Präsident Chinaglia forderte nach der Er⸗ öffnung der Sitzung die Linke auf, die Obstruktion aufzu⸗ geben, und fügte hinzu, er glaube mit dieser Aufforderung eine Pflicht zu erfüllen. Wenn man seiner Bitte kein Gehör schenke, werde das Land darüber urtheilen, wer die Verant⸗ wortlichkeit zu tragen habe. (Lärm und Widerspruch auf der äußerften Linken, lebhafter Beifall auf den übrigen Bänken.) Der Minister⸗Präsident Pelloux bedauerte, daß nach so vielen Sitzungstagen noch nicht ein Artikel der Vorlage über die politischen Maßnahmen angenommen worden sei, und daß die große Anzahl der eingebrachten Unteranträge und die Erklärungen mehrerer Redner deutlich die Absicht zeigten, in die Arbeit der Kammer störend ein⸗ hege fey Die Kammer und die Regierung hätten das

echt, dieser unerträglichen Sachlage gegenüber Abhilfe zu schaffen. Er wolle für den Augenblick keinen Vorschlag machen, aber die Kammer warnen, damit sich jeder der Ver⸗ antwortlichkeit für die etwa eintretenden 6 e bewußt sei. Beifall rechts und im Zentrum, Zwischenrufe auf der äußersten inken. Der Minister-Präsident verlangte schließlich, daß der Entwurf, betreffend das provisorische Budget, auf die heutige Tagesordnung gesetzt werde. Nachdem die äußerste Linke Ein⸗ spruch erhoben und namentliche Abstimmung über den Antrag

habe,

des Minister⸗Präsidenten verlangt hatte, wurde dieser Antrag mit A2 gegen 52 Stimmen angenommen. , einer längeren Rede des radikalen Deputirten Sichel über die Vor⸗ lage, betreffend die politischen Maßnahmen, beschloß die Kammer, daß künftig die Sitzungen spätestens um 8 Uhr Abends geschlossen werden sollen. Die Sitzung wurde sodann aufgehoben. Spanien.

Nach einer dem ‚W. T. B.“ zugegangenen Meldung aus Madrid wurde gestern im Senat der Bericht der Kom⸗ mission über die Abtretung der Karolinen⸗, Marignen⸗- und Palau⸗Inseln verlesen und die Dringlichkeit der Berathung erklärt. Der deutsche Botschafter von Radowitz wohnte der Verlesung des Berichts bei.

Niederlande.

Wie das „Reuter'sche Bureau“ aus dem Haag meldet, hielt die Unterkommission, welche sich mit der Frage der Ausdehnung der Genfer Kon vention auf den Seekrieg beschäftigt, gestern unter dem Vorsitz des niederländischen Delegirten, Professors Dr. Asser eine Sitzung ab. Professor Renault (Frankreich) legte den Entwurf des Redaktionscomités vor. Derselbe enthält 10 Artikel, welche zum größten Theil an⸗ genommen wurden. Der Entwurf bestimmt, daß i fe. welche als Militärhospitale dienen oder augenscheinlich dazu be⸗ stimmt sind, Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen Hilfe zu bringen, ebenso wie solche Fahrzeuge, welche auf Kosten von Privatleuten oder öffentlich anerkannten Rettungsgesellschaften zur Hilfeleistung ausgerüstet sind, von der Beschlagnahme ausgenommen sein sollen. Zu Artikel 6 wird der amerika⸗ nische Delegirte Mahan einen Abänderungsantrag einbringen, welcher dahin geht, über die rechtliche Stellung von Schiff⸗ brüchigen und Verwundeten, welche zufällig auf dem Schiff einer neutralen Macht Zuflucht gefunden haben, Bestimmungen zu treffen. Es wurde ferner angeregt, die hh des Rothen Kreuzes durch ein Abzeichen ohne religiöse Bedeutung zu ersetzen. Hierzu gaben die Vertreter der Türkei und von Siam Erklärungen ab.

Türkei.

Aus Konstantinopel meldet das Wiener „Telegr.⸗ Korresp. Bureau“, infolge neuerer Vorgänge im Vilajet Bitlis und des Umstandes, daß die Nachrichten über dieselben heimlich angeschlagen worden seien, hätten wieder Verhaftungen und Repatriierungen in Konstantinopel lebender Armenier aus den Provinzen stattgefunden.

Rumänien.

Nach dem nunmehr vorliegenden endgültigen Ergebniß der Wahlen zur Deputirten kammer wurden, dem, W. T. B.“ zufolge, gewählt: 149 Konservative, 13 Junimisten und 7 Liberale verschiedener Schattierungen. 7 Stichwahlen sind erforderlich. 7 Konservative wurden mehrfach gewählt. Die Opposition dürfte nach Erledigung der Stichwahlen etwa 22 Sitze erlangen. Bei den gestrigen Senatswahlen im ersten Wahlkörper wurden 43 Konservative, 4 Junimisten und 6 Liberale verschiedener Schattierungen gewählt. 7 Stich⸗ wahlen sind erforderlich. Die Wahlen verliefen in voll⸗ ständiger Ruhe.

Bulgarien.

Nachdem die Sobranje am Montag vier Abgeordneten⸗ Mandate für gültig und zwei für ungültig erklärt hatte, begann, wie W T. B.“ berichtet, die Opposition nach 7izstündiger Dauer der Sitzung, mit Berufung auf die vor⸗ gerückte Abendstunde Lärm zu machen und Obstruktion zu treiben, um die Fortsetzung der Sitzung zu verhindern.

Asien.

Aus Bombay wird dem „Reuter'schen Bureau“ gemeldet, daß die in den Bezirken Madura und Tinevelly aus— gebrochenen Unruhen bedenklich an Ausdehnung gewönnen. Neun Sepoys seien am vergangenen Sonntag von 200 Auf⸗ ständischen angegriffen worden, die Sepoys hätten Feuer ge⸗ geben und sechs der Angreifer getödtet. Aus allen Orten würden Ruhestörungen und ein Anwachsen des e ,, ,. die Grenzstädte würden von Truppen bewacht. ie Auf⸗ ständischen steckten die Dörfer in Brand, zwei Dörfer seien bereits eingeäschert.

Nach einer Meldung desselben Bureaus aus Manila ist . die Mittheilung dorthin gelangt, daß der Höchst⸗ ommandierende der Aufständischen, General Luna und sein Adjutant, Leutnant Pasco Ramon am 8. Juni von Wach⸗ mannschaften Aguinaldo's in dessen Hauptquartier erstochen worden seien. General Luna habe sich dorthin begeben, um mit Aguinaldo zu berathen; er sei mit den Wachmannschaften in einen Wortwechsel gerathen und habe seinen Revolver gezogen, worauf die Leute ihn und seinen Adjutanten mit den Bajonetten nieder— gestochen hätten.

Polynesien.

Der Vorsitzende der Samoa⸗Kommission Tripp hat, wie das „Neuter'sche Bureau“ aus Washington meldet, dem Staatssekretär Hay mitgetheilt, das Werk der Kommission schreite langsam, aber in befriedigender Weise fort; die Arbeiten würden bald abgeschlossen sein.

Parlamentarische Nachrichten.

Der Bericht über die gestrige Sitzung des Reichs⸗ tages besindet sich in der Ersten Beilage.

In der heutigen ( 92.) Sitzung des Reichstag es, welcher

der Staatssekretär des Innern, Staais-Minister Pr. Graf von

osadows ky beiwohnte, wurde die dritte Berathung des

ntwurfs eines Invalidenversicherungsgesetzes mit der Spezialberathung fortgesetzt.

ö Es liegen im Ganzen 47 Anträge vor, von denen aber k meisten nur redaktioneller Art sind. Bis zum Schluß des lattes wurden die 35 1 = unveränderk und der 3 5 (He—

were Kasseneinrichtungen) mit einem Kompromißantrag der

niratz Dr. Hitze (Fentr) und Genossen, der dahin geht, daß

6 Kassenleistungen auch den Reichszuschuß mit Uumfassen ollen, angenommen.

Saupt versammlung des Vereins deutscher Ingenieure vom 12. bis 14. Juni in Nürnberg.

Montag, den 12. Juni.

Die heutige er ste , . wurde von dem Vorsitzenden des Vereins, Baurath Bifsinger Nürnberg, Morgens 91 Ubr im Saale des Museums, eröffnet. Ber Vorsitzende begrüßte zunächst die Ehren⸗ gäste: den Regierungs⸗Präsidenten Dr. von Schelling als Vertreter der baverischen Staatsregierung, den Regierungsrath von Saint, George als Vertreter der Mittelfränkischen Kreisregierung, den Ersten Bürger— meister der Stadt Nürnberg Dr. von Schuh, den Divisions - Kom— mandeur, Generalleutnant hon Haag, den Professor Dietz als Ver—⸗ treter ker Technischen Hochschule München, den Direktor des Germanischen Museums von Bezold, den Fabrikanten Seyler, als Vertreter der Handelskammer, den Hofrath Br. Caro als Vertreter des Vereins deutscher Chemiker, den Ingenieur Schrödter als Ver— treter des Vereins deutscher Eisenhüttenleute sowie andere Abgeordnete von Bebörden und technischen Unterrichtsanstalten. Dann schilderte er in seiner Eröffnungsrede die Entwickelung des nunmehr 43 Jahre alten Vereins seit dessen Bestehen Aus dem darauf vorgetragenen Geschäftsbericht des Vereins-Direktors für das abgelaufene Jahr ist hervorzuheben, daß die Mitgliederahl auf 13 600, die Auflage der Vereinszeitschrift auf die Ziffer 16000 angewachsen ist.

Der Rest der ersten Sitzung war Vorträgen gewidmet. Als erfter Redner sprach Professor Doer fel ⸗Prag „über die Dampf überhitzung bei Corliß-⸗Maschinen“. Der Vortragende er— örterte die Ursachen der im Dampf maschinenbau bemerkbaren Rück⸗ kebr zu auslösenden Ventilsteuerungen, an welchem durch viele Jabre nur Sulzer und Augsburg festgehalten hatten, und die nun auch wieder zunehmende Anwendung bon Drehschiebern, insbesondere mit zwangsläufigem Antrieb. Mit diesen hat der Vortragende in Böhmen 1881 begonnen.! (Ausfübrungen von E. Skoda, Pilsen) und deren vorzügliche Eignung für Steuerung von Niederdruck⸗-Zylindern mit 2 oder 4 unten liegenden Dreh— schiebern nachgewiesen. Solche sind jetzt sehr allgemein in Gebrauch. Wenig später gelangten Maschinen (seit 1884) in Verbindung mit Flachreglern für Hochdruckzylinder zur Ausführung. Hiervon sind die Schnellläufer „Doerfel Pröll“ allgemein bekannt, es sind aber auch sehr zahlreiche große liegende und stehende Betriebsmaschinen (Compound⸗ und Dreizvlindermaschinen bis zu 1000 PS.) ausgeführt worden, welchen hohe Oekonomie und lautloser Gang nachgerühmt werden darf. Die Drehschieber erweisen sich für hohe Kolben—⸗ geschwindigkeit durch reichliche Querschnitte und bequeme Dampfwege bei kleinem schädlichen Raum als sebr geeignet; es scheint, daß sie in folge dessen insbesondere bei kleinen Füllungsgraden günstiger arbeiten als selbst auslösende Ventilmaschinen, wie aus Verbrauchszahlen hervorgeht. Der Drebschieber zeigte sich aber bisher etwas zu empfindlich gegen hohe Dampfdrücke und verlangt geeignete Zylinderöle. Der Vortragende suchte die Hauptursache der mitunter auftretenden Schwierigkeiten in einem grundsätzlichen Fehler in der Art und Weise der Schieberbewegung mit Hilfe der Blattspindel und zeigte dies an einem Modell. Eine neue, von ihm unter Mithilfe seines ehemaligen Assistenten O. Podleyschi, Werkstätteningenieur der Maschinenfabrik F. Ringhoffer in Prag, konstruierte Schieberfassung erweist sich als wesentlich günstiger. Bei sachgemäßer Ausführung, deren Grundlagen eingehend erörtert wurden, verbält sich der Drehschieber auch bei Ueberbitzung sehr befriedigend. Neuere Erfahrungen zeigen, daß auch bei Ueberhitzung die Vollkommenbeit der Maschine von größtem Werth ist, weil die Vortheile hoeher Expansion nicht in dem Maß durch Niederschlagverluste geschädigt werden wie bei nassem Dampf. Die Corliß⸗Maschine ermöglicht daher schon bei mäßigen Temperaturen sebr günstige Resultate und verspricht auch bei Hwischenüberhitzung vorzügliche Erfolge. Der Vortragende besprach schließlich hierauf be⸗ rr ö. Versuche und solche der Elsässer MaschinenbauAttien⸗ gesellschaft.

Es folgte ein Vortrag des Zivilingenieurs Kullmann-Nürn⸗ berg „über den Stand der Wasserversorgung in Bavern?“. Der Vortragende bemerkte, daß die Ausgestaltung der Wasserversorgung von Städten und Gemeinden in Bayern um die Mitte der 70er Jahre begonnen und sich seitdem zu einer hohen Vollkommenbeit entwickelt habe Heute entbehrt kein Ort mit über 5000 Einwohnern einer Wasserversorgung. Die Hauptstadt München hat 138 000 ebm Wasser pro Tag zur Verfügung und dürfte damit, Rom ausgenommen, die bestoersorgte Stadt des europäischen Kontinents sein. Verbraucht werden in München pro Tag 82 000 cbm oder 1951 pro Kopf und Tag. Weiter schilderte der Redner die Wasserversor⸗ gungen von Nürnberg, Würzburg und Fürth. Letztere ist besonders aus dem Grunde interessant, weil dort Cum ersten Mal in Bayern) Gasmaschinen zum Antriebe der Pumpen benußt worden sind. Einen Beweis, wie sehr auch kleinere Gemeinwesen eh ekt sind, ihre Wasser⸗ versorgungen in die Höhe zu bringen, liefern die Städte Kulmbach und Ansbach. Kulmbach, ein Städtchen mit 8000 Einwohnern, be⸗ zieht sein Wasser auf eine Entfernung von 16 Em aus dem Fichtel⸗ gebirge; die Leitung für Ansbach mit 16000 Einwohnern ist sogar 25 km lang und muß dabei einen Hügelrücken überschreiten, der eine Hebung des Wassers um 113 m bedingt. Kleine und länd—⸗ liche Gemeinwesen werden in der Beschaffung der Wasserversorgung durch ein seit 1878 bestehendes technisches Bureau unterstützt, welches dem Ministerium des Innern unterstellt ist. 262 Wasserleitungen sind bereits von diesem Bureau ausgeführt; im Durchschnitt sind dazu 260,0 Zuschuß geleistet worden. Ermöglicht wurde diese Begründung kleiner Werke durch die Entwickelung der Benzin und Petroleum motoren; zur weiteren Förderung dürfte besonders der Glektromotor berufen sein.

Als letzter Redüer sprach Ingenieur Erbard über Nürnbergs Metallindustrie. Diese Industrie theilt sich, wie der Vor— tragende ausführte, in zwei Gruppen, nämlich einerseits den modernen Maschinenbau, die Elektrotechnik, den Fahrradbau und dergl. und andererselts die aus dem Mittelalter stammenden Industrien, wie die Blattmetall⸗ und Bronzefarbenerzeugung, die Fabrikation leonischer Drähte und daraus gefertigter Waaren, die Reißzeugfabrikation, die Metallspielwaarenerzeugung ꝛc. Da Nürnberg von den Fundstaͤtten des Erzes und der Koble weit entfernt liegt, die anderwärts das Aufblühen neuzeitlicher Industriezweige begünstigen, so ist der bohe Stand der Technik in Nürnberg fast ausschließlich der industriellen Begabung und dem Fleiße der Fabrikanten sowie den weitreichenden Handels beziehungen zu verdanken. Trotz der ungünstigen geographi—2 schen Verhältnisse besteht ein umfangreiches Walzwerk in Nürnberg, welches jedoch bezeichnender Weise lediglich Alteisen als Rohmaterial benutzt. Die größten Werke Nürnbergs sind die nunmehr mit der Augsburger Maschinenfabrik vereinigte Maschinenbau ⸗Aktiengesellschaft Nürnberg vorm. Klett u. Co. mit 3500 Arbeitern und einer Jahres produktion von 13 Millionen Mark und die Elektrizitäts⸗Aktiengesell⸗ schaft vorm. Schuckert u. Co., die bei einem Personalstande von 8000 Beamten und Arbeitern einen Jahresumsatz von 469 Millionen Mark erzielt. Ueberaus rasch hat sich der Fahrradbau entwickelt, dessen Jahresproduktion auf rund 16 bis 12 Millionen Mark veran— schlagt wird, sodaß Nürnberg heute infolge seiner zahlreichen Fahrrad⸗ werke das deutsche Coventry genannt werden kann. Durch die Fahrradfabrikation wurden viele kleinere Betriebe zur Erzeugung von Nebentheilen in Nürnberg ins Leben gerufen. Besonders lohnend war in dieser Hinsicht die Fabrikation der Stahlkugeln für die Lager, die jedoch durch eine wilde Spekulation schwere Einbuße erlitt. Jag ber⸗ vorragendem Maße ist in Nürnberg und Fürth auch die Fabrikation von Haushaltungsartikeln, Brauereimaschinen, Draht⸗ und Messing⸗ waaren und dergl. vertreten. Zu den historischen Industrien Nürn⸗ berg zählt namentlich die Blatt metallschlägerei. Die Herstellung der dünnen Blattchen, bei der man bisher vergebens Maschinenbetrieb versuchte, ist schwer und zeitraubend. Die Metallblätter werden hierbei in Formen aus Goldschlägerbäutchen geschlagen, die aus dem Blinddarm des Rindes hergestellt sind. Aus den Äbfaäͤllen der Metallschlägerei, dem sogenannten Schabin, wurden früher durch Zerreiben die Bronzefarben erzeugt, die heute direkt aus dem Rohstoff in Stampfmühlen gewonnen werden. Blattmetalle und Bronze farben bilden einen Hauptausfuhrartikel von Nürnberg und

Fürth. Die Industrie der leonischen Waaren wurde durch

Emigranten aus der Gegend von Lyon nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1683 nach Nord⸗Bayern verpflanzt. Unter leonischen Drähten versteht man im allgemeinen vergoldete, versilberte oder zementierte Kupferdtähte von höchster Feinheit, die theils unmittelbar, theils als Plätte oder Lametta, d. s. flach ge⸗ walzte Drähte, als Bouillons, d. s. über Nadeln gesponnene, raupen⸗ artig gekrauste Drabt⸗ und Plättgebilde; als Brokat, d. i geschnittene Plätte, und als Flittern, d. s. flachgeschlagene Drahtringelchen, in den Vandel kemmen. Im Zusammenhang mit der Erzeugung der leoni⸗ schen Drähte steht deren Verarbeitung zu Gold- und Silbergespinnsten, Tressen, Schnüren, Litzen, Fransen, Spitzen und dergl., welche haupt⸗ sächlich zur Herstellung von Kirchenparamenten, Stickereien, Militär—⸗ abzeichen u. s. w. dienen. Bedeutend ist auch die Reißreugfabrikation, welche ihren Ursprung in alte Zeit zurückführt. Schon Regtomontanus ließ sich im 15. Jahrhundert in Nürnberg wegen der daselbst ver⸗ fertigten Instrumente nieder. Heute zäblt die Reißzeugfabritation etwa 60 Betriebe, die sich den Weltmarkt erschlossen haben. All⸗ gemein bekannt sind die Nürnberger Spielwaaren. Die Zinnfiguren, die in gravierten Schieferformen gegossen werden, bilden oft kleine Kunstwerke. Blechspielwaaren, wie Kreisel, mechanische Figuren, Schwimmspielwaaren, Zauberlaternen und dergl. werden in großen Fabriken unter Anwendung neuzeitlicher Werkzengmaschinen in außerordentlichen Mengen erzeugt; Modellspielwaaren ahmen die Einrichtungen der Eisenbabnen und Damvsschiffe, der Dampf-, Gas“ und Elektromotoren nach, und Experimentierkäften dienen zur Finführung des Knabengeistes in die Grundlehren der Mechanik und Physik. Die Gesammtproduktion der Nürnberger Spielwaaren wird auf 10 bis 12 Millionen Mark geschätzt; den Vertrieb nach dem Aus— lande besorgen hauptsächlich große Exporthäuser. In allen Zweigen der Nürnberger Metallindustrie ist ein Zug nach Vervollkommnung der Fabrikate wahrzunehmen, und es steht zu hoffen, daß an Stelle des fast verächtlich klingenden Nürnberger Tandes“ das ursprüngliche alte Wahrwort „Nürnberger Hand geht durch alle Land“ wieder in Umlauf komme.

Nachmittags folgte ein Festmahl im Hercules. Velodrom, an dem etwa 700 Personen theilnahmen. An der Tafel der Ehrengäste sah man zahlreiche Vertreter der staatlichen und städtischen Be⸗ börden. Aus der Reibe der Trinksprüche seien hervorgehoben der des Vereinsvorsitzenden, Bauraths Bissinger auf Seine Majestät den Kaiser und Seine Königliche Hoheit den Prinz⸗Regenten von Bavern, des Bauraths Rieppel⸗ Nürnberg auf die baperische Staats⸗ regierung, des Regierunga⸗Präsidenten Dr. von Schelling auf die deutsche Industrie, des Geheimen Regierungsraths Rietschel⸗Berlin auf die Stadt Nürnberg und des Bürgermeisters Dr. von Schuh auf den Verein deutscher Ingenieure.

Mit einer Festvorstellung im Apollo Theater fand der erste Tag seinen Abschluß.

Dienstag, den 13. Juni.

Aus den weiteren Verhandlungen ist ju erwähnen, daß für eine Reihe wichtiger technischer Versuche, wie über Wassergebalt im Kesseldampf, Vergleiche von Schmierölen, Festigkeit von Schrauben, Festigkeit von Bronze bei hoher Temperatur, Wirkung von Dampf⸗ maschinenregulatoren, Kraftverluste bei Riemen⸗ und Seiltrieb, Wir kung des Winddrucks, Verwendung überhitzten Dampfs in Dampf maschinen, Wärmedurchgang durch Heizflächen erhebliche Geldmittel bewilligt worden sind.

Für die Weltausstellung in Paris 1900 ist eine umfassende Be—⸗ richterstattung in der Zeitschrift des Vereins ins Auge gefaßt.

Eine langjährige Vereinsarbeit ist dadurch jum Abschluß ge⸗ kommen, daß das internationale metrische Gewindesystem für Be⸗ festigungsschrauben in der Form, wie es im vorigen Jahre von einem internationalen Kongreß in Zürich aufgestellt wurde, genehmigt worden ist.

6. Zum Ort der nächstjährigen Hauptversammlung wurde Köln estimmt.

Statistik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Aus M-Gladbach wird der „Köln. Ztg.“ vom gestrigen Tage gemeldet: Die Färberbewegung nimmt keinen größeren Umfang an. Mehrere Werke erzielten Einigungen, nur in einem Betrieb legten die Arbeiter nach voraufgegangener Kündigung die Arbeit nieder. (Vgl. Nr. 134 d. Bl.)

In Hildesheim endete einer Mittheilung desselben Blattes zufolge der Tischlerausstand mit einer Niederlage der Gesellen, deren Hauptforderung, die Verkürzung der Arbeitszeit, von den Meistern nicht bewilligt wurde.

Aus Hamburg wird der „Ostsee⸗Ztg.“ zur Lohnbewegung der Schiffszimmerleute in Hamburg und Umgegend geschrieben: Eine Mitgliederversammlung der Zahlstellen Hamburg, Reiherstieg und Veddel des Verbandes der Schiffszimmerer Deutschlands fand am letzten Sonntag statt. Die Tagesordnung lautete: Unsere Lohn⸗ forderung und Bericht der am 4. d. M. gewählten Unterhandlungs—⸗ kommission. Diese ließ mittheilen, daß den Werftbesitzern das Er⸗ suchen, den Stundenlohn, der bisher 46 8 betrug, auf 50 3 zu er⸗ böhen, unterbreitet worden sei; es hätten Unterhandlungen stattge⸗ funden, die Lohnaufbesserung wurde aber nicht bewilligt. Der Arbeit⸗ geberverband ,, wolle weder von einer Verkürzung der Arbeitszeit noch von einer Lohnerhöhung etwas wissen. Von einer Arbeitseinstellung müsse unter den obwaltenden Umständen Abstand genommen werden, da die Organisation der Schiffs zimmerer dies nicht jzulasse. Die Versammlung einigte sich schließlich dahin, die Arbeit am Montag zu den alten Lohnbedingungen (6 für die Stunde) vorläufig wieder aufzunehmen.

In Leipzig dauert der Ausstand der Stuckateurgehilfen, der vor zwei Wochen begonnen wurde, unverändert fort. Die Zahl der gegenwärtig noch im Ausstande befindlichen Gehilfen beträgt, der Lpz. Itg.“ zufolge, 93, darunter 67 Verheiratbete mit 166 Kindern. Es ist aber von der Leitung des Ausstandes 1 eine dringendern Be⸗ treibung der Abreise, insbesondere der ledigen Ausständigen, ins Auge gefaßt, wenn der Ausstand nunmehr nicht beigelegt werden sollte.

Aus Zeitz wird der ‚Mgdb. Ztg.“ zur Lohnbewegung der Bergarbeiter unter dem 12. Juni berichtet: Bis jetzt ist noch nichts über die Stellungnahme der Grubenverwaltungen zu der For derung einer zehnprozentigen Lohnaufbesserung für die Bergarbeiter im Zeitz Meuselwitz. Weißenfelser Braunkoblenrevier bekannt ge⸗ worden. Im benachbarten Groitsch haben bereits einige zwanzig Arbeiter die Arbeit niedergelegt. Wie die Lohnbewegung verlaufen wird, läßt sich heute noch nicht überblicken, da die Verwaltungen bis zum 15. Juni um eine Erklärung gebeten sind.

In Nürnberg sind, wie den „Münch. N. N.“ gemeldet wird, die Bäckergehilfen in eine Lohnbewegung eingetreten.

Hier in Berlin verhandelte eine Maurerversammlung am Montag über die Frage: „Wie stellen sich die Maurer Berlins und Umgegend zu der vom Arbeitgeberverband angedrohten Aussperrung?“ Wie die „Voss. Ztg.“ mittheilt, wurde folgender Antrag ange⸗ nommen: Die Versammlun erklart, dem Verlangen des Arbeit⸗ eberbundes, die jetzt zu Gunsten der Erringung des 63 Pfg. Stunden ohnes ruhenden Bauten wieder zu besetzen, nicht Folge zu geben, sie erklärt sich aber zu jeder Zeit bereit, mit dem Arbeitgeberverband zu unterhandeln, um die Lohn⸗ und Arbeitsbedingungen] gegenseitig