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Poftenstehen. Dieses Postenstehen wird in der soꝛialdemokratischen und sonstigen radikalen Presse als etwas ganz Harmloses hingestellt: es ftehen so ein paar Leute an der Thür, die beobachten, Erkundi⸗ gungen einziehen und keinem Menschen etwas zu Leide thun, ruhige, friedliche Leute, die freundliche, vertrauliche Rücksprachen mit ihren Arbeitsgenossen halten. Thatsächlich, meine Herren, liegt die Sache so, daß, wenn ein großer Strike ausbricht, die organisierten Arbeiter eine Art Belagerungszustand nicht nur über die Arbeits ftätten, sondern auch über die Arbeitswilligen verhängen. (Sehr richtig! rechts) Derselbe englische Sozialpolitiker, den ich mir erlaubte vorhin zu zitieren, führt von einem englischen Strike aus, wo man auch das Postenstehen als harmlose Beschäftigung hinstellte, daß, wenn man nur die Posten hätte benutzen wollen, um Erkundi⸗ gungen einzuziehen, 500 Menschen genügt hätten, während 11000 Menschen damit beschäftigt wurden, und er fragt mit Recht, wozu die übrigen 10 500 Menschen dagewesen seien. Nein, meine Herren, das Postenstehen, wie es vielfach angewendet wird, trägt den unzweifel⸗ haften Charakter der Drohung und Einschüchterung an sich. (Sehr richtig! rechts; Widerspruch bei den Sozialdemokraten.) Es soll eine pfychische Wirkung ausgeübt werden, die die individuelle Freiheit des einzelnen Arbeiters und mit ihr insbesondere des arbeitswilligen Arbeiters beschränkt.
Um nachjuweisen, wie unberechtigt diese Forderung der Vorlage seitens der verbündeten Regierungen ist, hat man sich wiederum auf die englischen Verhäͤltnisse berufen, und hierbei in einer Berliner Zeitung die Aeußerung eines sehr bekannten englischen Gewerkführers angeführt, der gesazt haben soll:
Die home secretary beeilen sich, alle Uitheile, welche sich gegen friedliches Strikepostenstehen und gegen das Zureden zum Strike richten, aufjuheben. Sagen Sie nur in Deutschland, daß man eine Unwahrheit sagt, wenn man behauptet, der 57 des Ver⸗ schwörungsgesetzes wäre in England in Kraft; ein Blick in die Ur—⸗ theile des obersten Gerichtshofs beweist direkt das Gegentheil.“
Dieser 5]? sagt nämlich, das Postenstehen ist nur zulässig in der Form, daß man an den Häusern und Arbeitsstätten wartet, um Nach⸗ richten zu bringen oder zu empfangen. Soweit ich mich habe in⸗ formieren können, ist diese Behauptung, daß in England diese Ver⸗ bote der conspiration-bill gegen das Strikepostenstehen aufgehoben oder obsolet seien, vollkommen unrichtig. Die hier vorzugsweise inter⸗ essierende Ziffer 4 der Sektion 7, durch welche das Strikepostenstehen unter Strafe gestellt wird, ist vielmehr noch in jüngster Zeit von englischen Gerichtshösen als in Kraft stehend angesehen. Wie die Times“ in einem Artikel vom 21. Dezember 1893 meldet, hat der court of appeal in Sachen J. Lyons and Sons das Strikeposten⸗ stehen auf Grund der angeführten Gesetzesstelle für unerlaubt erklärt. Mit Rücksicht darauf, daß im Schlußsatze derselben das Warten am Hause oder an der Wohnung, an der Arbeits ˖ oder Geschäftsstätte eines Anderen ausdrücklich dann für straffrei erklärt ist, wenn es lediglich zu dem Zwecke geschieht, Nachrichten einzuziehen, hat der Be⸗ rufungtrichter ausgesprochen, daß ein Bewachen zum Zweck der Ueber⸗ redung eines Anderen (attending in order to persuade) nicht unter diese Ausnahme fällt und daher ungesetzlich ist. Die letzte Instam, die Entscheidung durch das House of Lords, steht noch aus. Ferner, meine Herren, ist noch in neuester Zeit nach einem Bericht der Times“ vom 19. April 1899 die Frage der Strafbar⸗ keit der Ausstellung von Strikeposten vor der Chancery Division des englischen High court of justics zur Erörterung gezogen und dabei wiederum die Vorschrift in Ziffer 4 der Sektion? des Ver⸗ schwörungsgesetzes zu grunde gelegt worden. Hier ist entschieden, daß das Verhalten von Gewerkvereinsmitgliedern, welche während eines Strikes in Halifax eine Dampferlandungsstelle überwachten, um Zujzug fern iu halten, durch Gewährung von Geld zur Weiterreise nach anderen Plätzen zu bestimmen, nicht lediglich den Zweck verfolgte Nachrichten einzuziehen oder zu geben — es heißt wörtlich im englischen Text: that their attendance was not in order merely to obtain or communicate information — und daß daber durch ein solches Verhalten gegen das Gesetz verstoßen sei.
Hieraus folgt, daß die Gesetzgebung, die Sie bei uns als ein Attentat auf die Koalitionsfreiheit der Arbeiter behandeln, in England in Kraft ist und daß die Commission of labour sich sogar darüber schlüssig geworden ist, die betreffenden Bestimmungen des Gesetzes von 1876 noch zu verschärfen.
Dann ist ferner gesagt worden, die Bestimmungen der Vorlage gingen ja viel zu weit; denn unter dieses Gesetz fiele schließlich jeder Zwang, jede Drohung, jede Ehrverletzung u. s. w. Das ist ein Irr- thum; denn unter dieses Gesetz fallen die strasbaren Handlungen nur inso weit, als sie vorgenommen werden, entweder um einen Zwang im Zusammenhang mit einer Koalition oder Arbeiteraus perrung zu üben, oder wenn es Rachebandlungen sind dafür, daß sich jemand solchen Be strebungen nicht angeschlossen hat. Deshalb, um den Terrorismus strikender Arbeiter einigermaßen zu bekämpfen, baben wir auch die Aufläufe unter Strafe gestellt, wenn sie zu jenem Zwecke der Androhung oder Einschüchterung unternommen werden. Denn das müssen Sie zugeftehen, meine Herren, es ist in der That in einem geordneten Staatswesen eigentlich ein unerhörter Zustand, daß man Arbeits⸗ willige auf Schiffen bergen, in Fabrikgebäuden sichern, daß man sie mit großen, starken Polizeikolonnen beschützen muß, wie zur Zeit eines Bürgerkrieges, damit die Leute an ihre Arkeitsstelle gelangen können. (Sehr richtig! rechts.) Und, meine Herren, wie voll⸗ ziehen sich denn bäufig diese Aufläufe? Sie sind in der Regel bestellt, es gehen Hunderte von Menschen vor die Fabrik⸗ gebaͤude, die die schwersten Drohungen für Ehre, Leib und Leben nicht nur des arbeite willigen Mannes selbst, sondern auch seiner Familie ausfloßen, und wenn dann die Untersuchung ein geleltet wird, ist es natürlich bei einer so großen Menge der Be⸗ theiligten sehr schwer, wenn nicht unmöglich, den Schuldigen heraus. zufinden. Deshalb, wenn diese scharfe Bedrohung, dieser Terrorismus, der in diesen Versammlungen bor den Arbeitsftätten Arbeitewilliger liegt, einigermaßen gebrochen werden soll, ist es unbedingt noth⸗ wendig, daß jeder unter Strafe gestellt wird, der an einer solchen Versammlung mit dem vollen Bewußtsein theilnimmt, ju welchem Zweck dieselbe unternommen ist, 2. b. jur Einschächterung arbeitswilliger Arbeiter.
Man hat ferner auch die Paragrapben angegriffen, welche von der gemeinen Gefahr sprechen, und hat besonders darauf hingewiesen, daß schließnlich j? der Strike, der in einem größeren Gtablissement aus breche, als eine gemeine Gefahr charakteristert werden werde. Auch das ist liarististisch vollkommen unzutreffend. Eine gemeine Gefahr
rechts.)
kann nur eintreten in Bezug auf Rechtsgüter und in Bezug auf eine invlduell nicht begrenzten Kreis von Personen. Also ein Strike, der einem bestimmten Industriellen einen Schaden bringen kann, würde nie unter den Begriff der gemeinen Gefahr subsumiert werden.
Meine Herren, wir haben schließlich eine Anzahl von Ver⸗ gehungen, die bisher Antragsvergehen sind, als solche qualifiniert, die von Amtswegen zu verfolgen sind, und zu dieser Forderung sind wir dadurch veranlaßt, daß in der That bei Strikeausschreitungen unter Umständen ein solcher Terrorismus geübt wird, daß sogar die Zeugen, nicht nur aus dem Stande der Arbeiter, sondern auch aus dem Stande der Arbeitgeber, versagen, weil sie nicht den Muth haben, aus Furcht vor Rache, öffentlich der Wahrheit die Ehre zu geben. (Sehr richtig!
Es sind auch vielfach die schwarzen Listen angegriffen; man bat gegenüber der Vorschrift der Vorlage eingewendet, daß die Aufrecht⸗ erhaltung der schwarzen Listen eine offenbare Disparität gegenüber den Arbeitern enthielte, daß sie ein Ausdruck des Klassengegensatzes wären, indem man das Strikepostenstehen verbiete und die schwar zen Listen nicht unter Strafe stelle. Ich will gern eingestehen, daß die schwarzen Listen im Arbeitskampf ein sehr odioses und manchmal sehr unglücklich gewähltes Mittel sind. Aber was sollen denn die schwarzen Listen bewirken? Die schwarzen Listen sollen bewirken, daß bestimmte Arbeiter, die ihren Vertrag gebrochen haben, die besonders agitatorisch thätig waren, namentlich die Führer bei solchen Bewegungen, in anderen verwandten Fabrikationszweigen nicht wieder angenommen werden. Aber, meine Herren, ganz daeselbe Recht haben nach der bestehenden Gesetzgebung die Arbeiter auch! Die Arbeiter haben das Recht, eine Arbeit, die ihnen angeboten wird, nicht anzunehmen; sie haben ferner das Recht, sich mit anderen Arbeitern darüber zu vereinen, bei be⸗ stimmten Arbeitgebern Arbeit nicht zu nehmen. Der ganze Begriff des Boykotts ist ja daraus entstanden, daß dem Kapitän Boycott sämmt⸗ liche Arbeiter versagten und niemand, bei Todetstrafe, in seiner Land⸗ wirthschaft arbeiten durfte. Also ganz dasselbe, was die Unternehmer thun, indem sie bestimmte Arbeiter ausschließen, von denen sie glauben, daß sie für ibre Betriebe schädlich sind, thun die Arbeiter, wenn sie vereinbaren, unter keinen Umständen bei bestimmten Arbeitgebern Ar— beit zu nehmen. Darüber habe ich, meine Herren, aus neuester Zeit ein ganz interessantes Zeugniß. Im Mai 1899 war ein Formerstrike in Gladlach, und da erklärte der Führer bei der Sache in einer öffentlichen Versammlung: Als ihm vor elniger Zeit —— (an⸗ dauernde Unruhe links) — seitens der Gladbacher Ver⸗ trauensmänner die dortigen Vorgänge geschildert seien, da habe er sofort an die Vertrauensmänner der einzelnen Zahlstellen in Rheinland und Westfalen entsprechende Mittheilung gemacht, und es sei als eine fe st stehende Thatsache aner⸗ kannt, daß die Gladbacher Firma Scheidt und Bachmann aus den genannten Provinzen Former nicht bekommen würde.“ Also, meine Herren, absolut dasselbe, was durch die schwarzen Listen erreicht wird. Hier stellt man schwarze Listen auf gegen eine einzelne Firma, und dort stellt man schwarze Listen auf gegen eine Anjahl Arbeiter. Die radikalen Gegner der Vorlage wünschen zwar die Aufrechterhaltung der absolutesten Koalitions⸗˖ freiheit gegenüber den Arbeitgebern und gegenüber den Organen der Staatsregierung. Sobald es sich aber darum handelt, auch dieselbe Freiheit den Arbeitern zu gewähren, die sich einer solchen Koalition nicht anschließen, dann betrachtet man sich sofort als legibus solutus. Ich meine, daß die Vorlage, das verständige Maß. um einerseits die Koalitionsfteiheit der Arbeiter ju sichern und andererseits die Rechtsordnung des Staats aufrecht zu erhalten, nicht überschritten hat. Den Sinn, den die Sozialdemokratie der Koalitionsfreiheit giebt, können wir nicht acceptieren, denn die Koalitionsfreibeit der Sozialdemokratie ist ein Januskopf mit zwei Gesichtern: das eine Gesicht gegenüber dem Staat und dem Arbeitgeber trägt die gesicherten Züge der Freiheit, das andere Gesicht zeigt aber die Züge absoluten, bedingungelosen Zwanges. Wir wollen durch dieses Gesetz herbei⸗ führen, daß auch das Zwangsgesicht gegenüber den Arbeitern die Gesichts züge gesicherter Freiheit erhält.
Meine Herren, Ibr Prophet Marx — ich bin im Reichstage schon einmal darauf zu sprechen gekommen — hat gesagt, es wäre lächerlich, diesen alten, fest begründeten, durch Tradition gesicherten Staat auf einmal zur Explosion bringen zu wollen;. man müsse all⸗ mählich einen neuen Staat in dem alten Staat gründen und, wenn dieser Staat fertig wäre, die alte morsche Schale sprengen; der neue Staat wäre dann sofort da, und der Zukunftestaat könnte seine neuen Bahnen geben. (Zuruf bei den Sozialdemokraten) — Ich habe Herrn Marx sehr gut verstanden, Herr Abgeordneter Singer! —
Meine Herren, ich möchte das der bürgerlichen Gesellschaft zur rufen: nach diesem klugzen Rezept — klug im Sinne der So zial · demokratie — verfährt die soꝛialdemokratische Partei. Man kann in der That sagen: wie die solialdemokratische Partei organisiert ist, trägt sie den Charakter eines fast staatlichen Körpers innerhalb des Staates. (Sehr richtig! rechts) Sie hat eine sehr weit verbreitete Presse, mit der man öffentliche Meinung macht, und leider erfahren die Freunde der Sozialdemokratie nie etwas von dem, was in anderen Zeitungen steht. (Sehr richtig! rechts.) Deshalb ist es auch unmöglich, und wenn man mit Engelszungen redete, an die Schaar von Arbeitern heranzukommen, die lediglich die soꝛialdemokratische, sehr einseitig redigierte Presse liest. (Zuruf bei den Sozialdemokraten) Neben der Presse haben die Sozialdemo⸗ kraten eine sehr gut organisierte Polizei (lehr richtig! rechts), die ibre Fühlbörner recht weit streckt, die recht Vieles erfährt, und sogar in den Besitz geheimer Altenstücke gelangt, die auf dem Minister⸗ tische sich befinden. (Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Mit dem bekannten Grlaß habe ich ja selbst die Er⸗ fahrung gemacht. (Große Heiterkeit bei den Sozial⸗ demokraten.) Auf welchem Umwege Sie diesen Erlaß bekommen haben, will ich dahingestellt lassen. (Zwischenrufe; Glocke des Präsidenten) Die Herren baben ferner eine vollkommene Finanzverwaltung lsehr richtig! bei den Sozialdemokraten) und ein Steuersystem. (Sehr richtig! bei den Sojialdemokraten.) Was sind denn Ihre Strikekarten, wat sind denn Ihre Unterstützungskarten, die jeder Arbeiter haben muß, wenn er überhaupt in einer Arbeitestelle arbeiten will, anderes wie ein Steuersystem, und jwar ein Steuersystem mit Zwangs⸗ erbebung? (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Leugnen Sie es doch nicht! Wir haben es ja gesehen, wir haben es aktenmãßig fest gestellt! (Zwischenrufe bei den Sozialdemokraten) ( Glocke des Praͤsidenten) Ein Arbeiter, der seine Strikekarte nicht mit sich hat, der nicht die reine Wäsche hat, nach der er gefragt wird, wird einfach
liche Gesellschaft sich doch recht
sofort aus dem Bau hinausgeworfen, oder sammtliche organisierten Arbeiter legen die Arbeit nieder. Wir haben gesehen, daß Arbeitet die Liesen Affoliatlonen nicht beigetreten sind, vor allem die Mit glieder der christlichen Arbeitervereine, von Baustelle zu Baustell⸗ gejagt sind und keine Arbeit gefunden haben, weil sie sich Ihrem Steuerdespotizmus nicht fügen wollten. Das möchte die bürger.
diesem Gesetze Stellung nimmt. (Sehr richtig! rechte) Die Soialdemokratie hat eine weit verbreitete einflußreiche Presse, eine sehr gut organisierte Polizei, eine Steuererhebung, eine Finanzverwaltung (große Unruhe bei den Sonaldemokraten), und, meine Herren, sie will ihr Werk noch krönen, indem sie sich gegenüber den widerstrebenden Elementen innerhalb der Arbeiterbevölkerung auch noch das Staatshoheitsrecht der Exekutive anmaßt. Cachen bei den Sozialdemokraten) Weiter ist Ihr Koalitionszwang nichtz. (Widerspruch) Gewiß, meine Herren, das heißt das Staats. hoheitsrecht der Exekutive sich aneignen, wenn Sie jeden Arbeite. willigen, der arbeiten will, wenn die Parteileitung es verbietet, verfolgen, verfehmen und ächten, und wenn Sie ihm körperliche und sittliche Nachtheile zufügen. (Sehr richtig! rechts. Lachen bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, Sie lachen? Thun Sie das etwa nicht? Wimmelt es nicht von aktenmäßigen Beweisen dafür? Ver⸗ treten Sie doch das, was Sie selbst predigen; Sie haben ja, wie ich vorgelesen habe, in Ihren Blättern selbst ausgeführt: Ohne Drohung kann man keine Strikes ausführen. Und was heißt Drohung anders als einen Zwang ausüben durch eine Handlung, zu der niemand berechtigt ist als der Staat? „Nulla poena sine leger ist der erste Grundsatz des Strafrechts. Auch bei diesem Gesetze macht man ja freilich die Erfahrung: es giebt viele Leute, die in der Anonymitãt der Presse und auch an anderen verschwiegenen Orten außerordenilich muthig sind, denen kein Gesetz scharf genug sein kann; wenn es aber gilt, auf die Schanze zu steigen, da verschwindet mancher in des Waldes tiefstem Dunkel und schweigt. (Lachen bei den So zial⸗ demokraten. Bravo! rechts.)
Meine Herren, ich schließe meine Ausführungen, indem ich boffe, daß diese ernste Zeit auch ein starkes, muthiges Bürgerthum finden möge! (Stürmische Zurufe bei den Sozialdemokraten; lebhaftes Bravo! rechts.)
Abg. Bebel (Sor) führt aus, das ganze Gesetz sei ein Aus— nahmegesetz gegen die Sozialdemokratie. Ueberrascht worden sei seine Partei von diesem Gefetzentwurf nicht; er hänge seit zwei Jahren ls Wetterwolke am politischen Himmel. Sie bätten sich nur ge—⸗ wundert, daß er so lange auf sich habe warten lassen. Er habe aber fo lange auf sich warten laffen müfsen, weil eine Anzahl von Regierungen nicht bereit gewesen sei, dem Gesetzentwurf zuzu⸗ stimmen. Die Arbelsterwelt verlange eine Erweiterung des Koalitionsrechts, die Vorlage werde eine Beschränkung des- selben, ja geradezu eine Vernichtung des Organisationsrechts mit sich bringen. Alle Bestimmungen gegen Ausschreitungen auf dem Gebiete des Koalittonsrechts würden nur gegen die Arbeiter gerichtlich ver⸗ folgt, niemals habe der Staatsanwalt einen Arbeitgeber verfolgt, der mit Zwangs maßregeln, mit Verruf erklärungen u. J. w. gegen Arbeiter vor⸗· Jegangen sei. Die Zabl der Arbester wachse von Jahr zu Jahr, die Zabl der Unternehmer schwinde von Jahr zu Jahr zusammen. Als in den fechziger Jahren die preußische Regierung das Koalitions verbot für länd⸗ lich Arheiter habe aufheben wollen, ein Antrag, der heute auf der Rechten einen Sturm der Entrüstung bervorrusen würde, da babe sie gesagt, daß für die Arbeitgeber das Koalitiongverbot keine Bedeutung habe; benn! die Ärbeitg'ber bätten Hunderte von Arten, sich zu ver ständigen gegenüber den Arbeitern. Heute seien thatsächlich die Organ sationen der Arbeitgeber denen Jer Hgirbeiter wein überlegen, während bas Verbindunssberbot als Uusnahmegesetz gegen, die Arbeiter noch heute bestebe. Jeder stiebsame Arbeiter habe das In⸗ teresse, feine materielle Lage zu verbessern; er müsse sich daber mit feinen Arbeitagenossen vereinigen, um etwas zu erreichen. In die schwarzen Listen kämen nicht nur die Agitateren, die Arbeitgeber gingen sogar so weit, ibre Kollegen ju zwingen, ganz unbetheiligte Arbeiter außer Arbeit zu setzen. Jetzt gingen die Bauunternehmer sogar mit dem Gedanken um, fü ĩ PVeutschland eine,. Arbeitersperre eintreten zu lassen.
Vol lage die Koalitionsf eiheit schützen solle, fei nicht wahr. schreitungen würden zudem schon iet scharf bestraft auf. Grund der bestehenden straftechtlichen Vorschriflen. Was bedeute die Zunabme der Zahl der Bestrafungen jn den letzten Jahren gegenüber der großen Zahl der an Ausständen betheiligten Arbeiter? Außerdem seien die Ausstände nicht immer von den Arbeitern, sondern vielfach auch bon den Arbeitgebern preveziert worden, Was durch die Vorlage getroffen werden solle, sei schon jetzt von den Gerichten ost fehr scharf getroffen worden, namentlich von den sächsischen Gerichten. Rebner führt eine ganze Reihe von Beispielen an, in denen die Arbeiter von schweren Strafen getroffen worden sein sollen. Als Redner ein Gerichtsurtheil anführt, wird von soʒialdemokratischet Seite Pfui! gerufen. (Präsident Graf von Ballestrem: Der Ruf „Pfui!“ sei unparlamentarisch; das sei schon von einem seiner Vorgänger erklärt.) Veruttheilungen von Unternehmern seien du, gegen nur in wenigen Fällen vorgekommen, obwohl dieselben in ihten Arbeitgeberverbänden von den schwarzen Listen sehr fleißigen Gebrauch gemacht hätten, was Redner ebenfalls durch zablreiche Bejspiele zu Le legen sucht. Die Unternehmer hätten auch ihre Kollegen schwer bedroht, wenn sie nicht in die Unternehmerverbindungen eintreten wollten, j. B beim Kupfersy dikat, beim Kohlensyndikat, beim Draht svndikat c. Der Verein der Spirttusfabrikanten habe die ihm fernste benden Spicitusproduzenten mit den schwersten Bedrohungen bedacht, obne daß z. B. die . Deutsche Tageszeitung“ dagegen irgend etwat einn. wenden gehabt hätte. Redner erklärt nun, auf die Dentschrift kommen zu wollen, deren Inhalt ein aebässiger sei. (Präsident Graf M Ballestrem: Eine Vorlage der verbündeten Regierungen důrfe nie ü als gehãssig bezeichnet werden; das verstoße gegen die Ordnung!) In der Venkschrlfl sesen die einzelnen Strikes nicht weniger als zo mal aufgtjãblt. Redner weist darauf hin, daß in der Denkschrit selbst vielfach a. gehoben sei, daß die Drganisationen Ausschreitungen bei Strile verhindert hätten. Das wäre auch von anderer Seite festgestellt . Denkschrift freche ferner von den berüchtigten sosia lbemol rat ch Tgstatoren, die bezahlt würden,. Herr Schweinburg werde ja an . feine Leistungen von dem Zentralverband deutscher Indujt tie le 5) ahlt. Arbeiter, die auf die schwarz, Liste kämen, müßten schließ . Agitatoren werden, weil sie leine Arbeit mehr bekämen. Wenn * Arbetter mit monatelangem Gefängniß bestraft werden elta Andere 3 M6 Strafe bejahlten, so könne es etwas mehr zum Klassen s. zufreizendes kaum geben. Zwischen der heurigen erften Berathu) . der jweiten Berathung der Vorlage wärden mehrere Mondi. lien; diese Frift werde von den Gegnern des Gesetzes eifrigst augen werden.
Darauf wird ein Vertagungsantrag angenommen.
Abg. Graf von Kanitz bittet, seinen Antrag wegen der Kerib⸗ zölle a ef, auf die Tagesordnung zu setzen. gt die jest Präsident Graf von Balle strem bemerkt, doß zunãchst di
jm Gange befindliche Berathung beendet werden müsse. un
Schluß 5a/ Uhr. Nächste Sitzung Dienstag 1 * (Fortfeßhung der ersten Bergthung der Vorlage wegen Schutzes des Arbeits verhãltnisses.
überlegen, wenn sie ju
Mn 143.
. Fünfte Beilage zun Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.
Berlin, Dienstag, den 20. Juni
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 77. Sitzung vom 19. Juni 1899.
2 den ersten Theil der Sitzung ist schon berichtet worden.
Das Haus geht zur ersten Berathung des Antrags der 1 Graf von Kanitz und Genossen auf Annahme eines Ge ezentwurfs über die Ergänzung des Gesetzes, betreffend die Beförderung der Errichtung von Rentengütern, vom 7. Juli 1891 über.
Die Antragsteller beantragen, diesem Gesetz den Zusatz zu geben: Die geltenden Bestimmungen über die in en un ag fahren neuer Ansiedelungen bleiben unberührt Dieser Antrag bezweckt eine Einschränkung der Zuständigkeit der General⸗Kommission und chr Unterordnung unter die, Irgane der Selbftverwaltung. Die Äntragsteller haben einen ähnlichen Antrag bereits bei der Berathung des Gefetzentwurfz, betreffend, die Vertheilung der öffentlichen Lasten be Grundstückstheilungen und die Gründung neuer Ansiedelungen oberhalb von Bergwerken, gestellt und ihn damals zurückgezogen, um ihn bei späterer Gelegenheit selbständig wieder einzubringen.
Abg. Graf vo n Kanitz (kons) verweist auf die kereits im Mei über diesen Gegenstand im Hause gepflogenen Verhandlungen. Es bandle ich namentlich um Fälle, in denen Wälder behufs Bildung von nsiedelungen abgeholt werden sollen, und um die Frage, ob die General · Kommission über Einsprüche der Nachbarn gegen die Bildung von Rentengätern entscheiden folle. Der bezügliche Ministerial. Frlaz von 1892 sei schon 1894 im Hause als mit dem Gesetz im Widerspruch stehend gekennzeichnet worden. Die Befürchtung, daß durch das Ein⸗ greifen der Verwaltungsorgane die Entscheidung verlangsamt werden würde, treffe nicht zu. Das Verfahren vor der General ⸗Kommission kznne das Verwaktungeftreit verfahren nicht ersetzen, zumal dieses letztere zffentlich sei. Sein Antrag entspreche einer richtigen Inter⸗ pretation des Kentengutzgesetzes von 1891. Fine Berathung des . in der Kom mifsion sei nicht erforderlich, da die Sache ganj ar liege.
fei Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer⸗ ein.
Meine Herren! Dle Angelegenheit, um die es sich im vorliegenden Falle handelt, ist schon einmal im Jahre 1895 Gegenstand einer eingehenden Behandlung hier im Hause gewesen. Es traten damals dieselben Wänsche hervor, die jetzt der Herr Graf Kanitz in seinem Antrag auf Erlaß eines Gesetzes niedergelegt hat. Die damaligen Ver handlungen endeten mit einer Resolution vom 23. April 1895, die im großen Ganzen einmüthige Annahme im Hause fand. Diese Resolution sst im vollsten Maße zur Ausführung gelangt. Damals beschränkte sich das hohe Haus darauf, den Wunsch auszusprechen, daß bei der Prüfung und Entscheidung der Frage, ob Rentenansiedelungen oder Kolonien zugelassen werden sollten, eine weitergehende Mitwirkung der Kreiskommunalbehörden eintreten soll, und daß auch sachverständige Leute, also Landwirthe u. s. w., gehört werden.
Diesen Wünschen ist in ausgiebiger Weise durch das Ausschreiben dom 25. Juli 1895 Rechnung getragen, dessen Ausführung sich, wie sberall anertannt wird = — gauch im Kreise der Betheiligten — im vollsten Umfange bewährt hat. ;
Meine Herren, im vorliegenden Falle handelt es sich um einen Initiativantrag auf Erlaß eines Gesetzes. Zu derartigen Anträgen pflegt die Staatsregierung erst Stellung zu nehmen, nachdem der Antrag in beiden Häusern des Landtages zum Beschluß erhoben worden ist. Das ist ja selbstoerständlich hier noch nicht der Fall. Also nach dem bisher besolgten Grundsatz muß es die Staatsregierung ablehnen, schon jetzt bestimmte Stellung zu dem Antrage zu nehmen.
Im übrigen ist vor wenigen Tagen — und das hat Herr Graf Kanitz auch in seinen Ausführungen des weiteren dargelegt — über den materiellen Inhalt des jetzt vorliegenden Antrags schon bier im Hause verhandelt worden; — bei der Gelegenheit habe ich schon die Ehre gehabt, meine xersönliche Stellung darjulegen, welche dahin geht, daß nach meiner Auffassung der Antrag abzulehnen ist. Das hehe Haus, alle Parteien desselben sind bis jetzt darin ftets einver⸗ standen gewesen, daß es in hohem Grade erwünscht sei, das Gesetz von 1891 über die Bildung der Rentengüter rasch und sachgemäß zur Ausführung zu bringen. Der Herr Antragsteller hat nicht, weder bei der früheren Verhandlung, noch, soweit ich ibm beute habe folgen können, bei der heutigen, darzulegen vermocht, daß aus dem bisherigen Ver⸗ fahren, besonders aus der Zuständigkeit der Landeskultarbehörden, in dieser Angelegenheit Mißstände irgendwelcher Art entstanden seien. Im Gegentheil, die Erfolge des Gesetzes von 1891, die auf Grund der Zuständigkeit und der Mitwirkung der Landeskulturbebörden er⸗ felt sind, zeigen einen äußerst erfreulichen und erfolgreichen Fort- schritt der Rentengutszansiedelung auf Grund des Gesetzes von 1891.
Ich habe schon bei den neulichen Verhandlungen aus⸗ geführt, daß nach den rückwärts liegenden Erfahrungen nach Ansicht der Staatsreglerung ein Anlaß, in den gegenwärtigen Zuständigkeits⸗ verhältnissen der Landeskulturbehörden und deren Mitwirkung bei Ausführung des Gesetzes von 1891 eine Aenderung eintreten zu lassen, nicht vorliegt; im Gegentheil, daß die Gefahr drohe, daß, wenn man in dieser Beziehung eine Aenderung eintreten lassen werde, bedenkliche Verschleppungen herbeigeführt werden können.
Meine Herren, bei den früheren und auch bei den heutigen Ver⸗ bandlungen hat der Herr Giaf Kanitz behauptet, der gegenwärtige Rechtgzustand sei ein vollständig unklarer. Ich muß das auf das entschiedenste in Abrede stellen; die gegenwärtigen Zustãndigkeits⸗ verhältnisse der Landetkulturbehörden, der General ⸗Kommission und des Landeskulturgerichti sind durch den Erlaß der dabei betheiligten RessortMinister von 1892 klar und bestimmt festgestellt und haben u irgendwelchen Zweifeln keinen Anlaß gegeben. Darüber läßt sich ja allerdings streiten, was zweckmäßig ist. Der Herr Graf Sanitz hat die Anschauung, daß es weckmäßiger sei, den Freigausschuß u. s. w. bei der Angelegenheit zu betheiligen, während die Staatsregierung, gestützt auf die rückliegenden Erfahrungen — wenigstens ich als Ressort Minifter hege diese neber⸗ zeugung, daß die bisherigen Erfahrungen nach jeder Richtung zu 2 der gegenwärtigen Ordnung der Zustãndigkeitsverhãltnisse
rechen.
1899.
Dann hat der Herr Graf Kanitz in seinen heutigen Ausführungen und auch in den Ausführungen zu seinem früheren Antrage die Be⸗ hauptung aufgestellt, daß der Erlaß der drei Ressort⸗Minister von 1892 unzulässig und ungerechtfertigt sei. Der Vertreter der Königlichen Staatsregierung, der Herr Geheime Rath Sachs, wird in dieser Beziehung in eingehendster Weise die Gründe, welche zu dem Erlaß geführt haben, darlegen, um dadurch das hohe Haus in die Lage zu versetzen, auch seinerseits zu prüfen, ob, wie von dem Herrn Grafen Kanitz behauptet ist, dieser Erlaß mit der Ver fassung nicht vereinbar, und ob die Behauptung gerechtfertigt, daß derselbe ungerechtfertigt erlassen sei. Ich bitte den Herrn Geheimen Rath Sachs, das Wort zu ergreifen.
Geheimer Ober Regierung rath Sachs führt aus, daß die beantragte Bestimmung dem Geiste des Rentengutsgesetzes wider⸗ sprechen würde. Die Zuständigkeit der General⸗Kommission dei Renten⸗ gutebildungen erhelle deutlich aus dem Wortlaut und den Motiven des Rentengutsgesetzes, wonach gerade eine Vielköpfigkeit der ent ⸗ scheidenden Behörden babe vermieden werden sollen. Auch aus praktischen Gründen empfehle sich allein die Zuständigkeit der General Rommifsion, welche die volle Verantwortung selbst tragen müsse. Der Ministerialerlaß von 1892 trage den bei der Berathung des Renten; gutsgesetzes 1891 vom Hause vorgebrachten Wünschen durchaus Rechnung.
Abg. Hobrecht Ink) erkennt an, daß die General · ᷣommission sich durch die Schaffung eines kräftigen Bauernstandes große Ver⸗ dienste erworben babe, hält aber die große Macht, welche sie durch daz Rentengutsgefetz erhalten habe, doch für nachtheilig. Die Freie auzschüffe emrfänden es als eine Verletzung ihrer Befugnisse, daß ihnen die Mitwirkung bei RKentengutsbildungen entogen sei. Ss sel eine gan unbegründete Annahme, daß sich die Kreisausschüsse der Bildung von Rentengütern feindlich gegenüberstellen würden. Redner schließt sich dem Antrag des Grafen Kanitz vollkommen an.
Vize⸗Präsident der Staats⸗-Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Meine Herren! Die erste Frage, die hier zu behandeln ist, ist die, ob das bisherige Verfahren, namentlich das Reskript der drei Minister — zu denen ich, wie ich von vornherein bemerke, nicht ge⸗ höre — dem Gesetz entspricht. Nun kann ich persönlich bezeugen, da ich bei der Berathung des Gesetzes von 1891 ununterbrochen thätig gewesen bin, namentlich in den Kommissionsberathungen mitgewirkt habe, daß ich mich wohl erinnere, was die Regierung mit diesem Gesetz wollte, daß nämlich unzweifelhaft die Absicht dahin gegangen ist, die hier nach dem Antrag Kanitz den Kreisausschüssen mit zu übertragenden Befugnisse allein in der Hand der General⸗ Kommission zu konzentrieren.
Ja, ich erinnere mich persönlich noch ganz genau, daß, als das Gesetz in der Kommission durchberathen war, der Unter⸗Staatssekretãr des landwirthschaftlichen Ministeriums und ich einander unsere Freude ausdrückten, daß die Konzentration der Durchführung dieser ganz neuen Aufgabe der Rentengutsbildung durch die General⸗Kommission von der Kommission anerkannt sei. Es ist somit wohl unzweifelhaft, daß die Regierung also — und ich kann doch nicht anders glauben, in der Kommission kam ja meines Wissens die Frage auch zur Sprache —, daß deide Theile vollständig darin einig waren, diese ganz neue Aufgabe der inneren Kolonisation mittels der Bildung der Rentengüter solle allein der General Kommission übertragen werden mit allen Kompetenzen, die dazu gehören. Das war wenigstens — das kann ich in der bestimmtesten Weise sagen — die Auffassung der Staatsregierung.
Wenn es im Gesetze beißt: die General⸗Kommission begründet die Rentengüter, so kann doch kein Rentengut begründet werden, ohne daß die Frage der Ansiedlung zugleich mit entschieden wird; das ist doch nur ein Akt. An und für sich schon war in diesen Worten aus—⸗ gedrückt, was der Gesetzgeber wollte. Ich glaube also, der Vorwurf, den man den drei Miniftern macht, sie hätten sich außerhalb des Gesetzes gestellt, ist vollstãndig unbegründet.
Nun ist wobl anzuerkennen, daß bier der General⸗Kommission sebr weitgehende Befugnisse übertragen sind. Aber ich behaupte im Gegensatz zu dem Herrn Abg. Hobrecht, daß hier ãhnliche Gründe vorlagen, als die, welche er uns schildert bei der ersten Einrichtung der General · ommissionen. Dieselben Intetessen · gegensäße, wie sie damals durch eine obrigkeitliche Bebörde aus geglichen werden sollten, können auch bei der bier vorliegenden General Kommissionethätigkeit vorkommen. Meine Herten, warum — frage ich Herrn Abg. Hobrecht — hat man denn diese ersten Befugnisse, die bei Einrichtung der General. Fommissionen denselden übertragen wurden, warum bat man dieselben Befugnisse den General · ommissionen später, wo diese Gründe garnicht mehr vorlagen, 1 B. in Aut⸗ einandersetzungesachen, übertragen? Ganz aus demselben Grunde, weil man diese naturgemäß jusammenbängenden Dinge nicht auseinander⸗ reißen kann, weil das zu den größten Weiterungen führen würde, zu den größten Verzögerungen und Erschwerungen bei einer im Staatẽ⸗ interesse gebotenen Aufgabe.
Meine Herren, dagegen ist garnichts ju sagen, und ich freue mich, daß der Herr Landwirthschafts. Minister diesen Entschluß faßte: diejenigen Interessen, die gerade von den Kreisausschüssen vertreten werden, bier in Betracht iu ziehen, die Kreigausschüsse ju hören; aber die Entscheidung in die Hand der Rreisausschüsse zu legen, wie der Herr Kommissar des Landwirtbschaft?⸗Ministers nach meiner Meinung soeben unwiderleglich bewiesen bat, fübrt, statt daß die Behörden zu⸗ sammenwirken, in vielen Fällen zu einem Gegeneinanderwirken. Die General · Kommission macht alle Vorbereitungen, sie bearbeitet das Ganze, sie ist mit der Sache nahezu fertig; dann erst kann der Kreig⸗ ausschuß die Entscheidung über die Ansiedelung abgeben. Da kommen naturgemäß ganz unnũtze Arbeiten und Veriögerungen heraus; dann sollte man eher die ganze Ansiedelungsfrage in die Kreisausschũsse legen — das würde ich verstehen — um einen praktischen Gang der Sache durchzuführen.
Meine Herren, der Herr Abg. Hobrecht meint, daß die Kreig⸗ ausschüsse in ein feindseliges Verhältniß durch die jetzige Art der Kompetenwertheilung ju dem ganzen Ansiedelungswesen geriethen. Das kann ich unmöglich glauben; denn wenn die Kreisausschüsse voll durchdrungen sind von der großen sozialen und wirthschaftlichen Auf⸗
gabe, um die es sich hier handelt, wenn sie Gelegenheit haben, selbst mitzusprechen, gehört zu werden, ihre Bedenken vorzutragen, so ist garnicht abzusehen, wie sie durch ein solches Verfahren der Sache selbst feindselig werden könnten. Das kann ich den Kreisausschüssen un⸗ möglich imputieren, daß sie eine solche sonderbare Stellung einnehmen würden.
Ich sage aber auch offen: es ist garnicht so besonders erwüũnscht, so großes Vertrauen auch mit Recht die Bevölkerung und die Regierung ju den Kreisausschüssen haben, in diesem Falle die Entscheidung — ich will daraus gar keinen Vorwurf her leiten — in oft so nahe interessierte Kreise zu legen, wie das geschehen würde, wenn dem Antrag Kanitz stattgegeben würde. Meine Herren, die Meinungen über die ganze Ansiedelungsfrage, über die Bildung von kleinem und mittlerem ländlichen Grundbesitz gehen noch heute ähnlich auseinander, wie die Interessengegensätze, die der Herr Abg. Hobrecht uns schilderte aus dem Jahre 1820. Mir eint es richtiger, die Entscheidung in eine diesen Interessen⸗ gegensätzen gegenüber ganz objektiv dastehende Behörde zu legen. Ich mache daraus den Mitgliedern des Kreig⸗ ausschusseẽ keinen Vorwurf; ich denke garnicht daran, daß es bewußt geschähe. Aber wenn Großgrundbesitzer beispielsweise, denen es unbequem ist — und das ist ihnen ja auch nicht zu ver⸗ denken — Ansiedelungen in ibrer nächsten Nähe bei ihren Forsten und Daldungen zu haben, über die Frage allein entscheiden sollen, so kann das dech in manchen Fällen bedenklich sein. Die Erfahrung lehrt, wenn man große Dinge erreichen, eine neue große Aufgabe durchführen, möglichst prompt und rasch erledigen will, dann muß womöglich eine Kombinationen von verschiedenen entscheidenden Behörden vermieden werden. (Sehr richtig! rechts.)
Nun gebe ich völlig zu, daß — ich weiß nicht, wodurch es ge kommen ist; es mag auch nicht ganz ohne Schuld in der Zusammen⸗ setzung der General⸗Kommissionen liegen — die Kreisausschüsse im Ganzen beliebtere, populäͤrere Bebörden sind als die General⸗ Kommissionen, und ich bin der Meinung, daß es erwünscht wäre, die Zusammensetzung der General ⸗Kommissionen in manchen Beziehungen zu ändern (hört, bört! rechts), daß weniger das rein juristische Element in den Vordergrund tritt, sondern mehr das agrarisch · praktische Element (sehr gut! rechts); ich habe auch meine Ansicht darüber nie verheblt. Man kann aber doch nicht sagen, daß die General-Kommissienen ihre Aufgaben nicht im Ganzen sehr gut geleistet hätten. In der kurzen Zeit haben die General- Kommissionen neben ihren anderen Geschäften Sooo Rentengũter begründet, und Klagen, daß wirklich schwere Nach⸗ theile durch die Art ihres Verfahrens entstanden seien, sind mir wenigstens nicht bekannt geworden. In einzelnen Fällen mögen hier und da Mißgriffe vorgekommen sein, aber das wird auch dann nicht vermieden werden, wenn die Sachen an eine andere Behörde gehen, auch nicht bei dem Kreisausschuß.
Nun ist gesagt: Ja, wenn die Kreisausschüsse in erster Instanz im Verwaltungsstreitverfahren entscheiden und verkehrt handeln würden, dann könne doch rekurriert werden bis ans Ober ⸗Verwaltungt⸗ gericht. Wenn die Sache alle diese Instanzen durchlaufen soll, und wenn man weiß, wie schnell die Entscheidungen des Ober Ver⸗ waltungsgerichts oft erfolgen — ich brauche nur an die Streitig⸗ keiten in Steuersachen zu erinnern, wie das Ober · Verwaltungsgericht belastet ist —, so können da Verzögerungen selbst von mehreren Jahren entstehen. Wir werden Ihnen einen Gesetzentwurf vorlegen, der den Zweck hat, die Wünsche, die das hohe Haus bei der Frage der Leutenoth ausdrücklich ausgesprochen, zu erfüllen und das Ver⸗ fahren zu erleichtern. (Heiterkeit.
Es würde leicht diese neue gesetzliche Kompetenzordnung das Gegentheil von dem bewirken, was das hohe Haus damals beabsichtigte. Ich kann ja natürlich ebensowenig wie der Herr Landwirtbschafts⸗ Minister die Stellung des Staats Ministeriums be⸗ zeichnen, wenn daz Haus den Antrag Kanitz annähme, pon dem der Herr Abg. Hobrecht übrigens selbst sagte, daß er so nicht Gesetzeskraft erlangen könne, sondern jedenfalls erst noch in einer Kommission zu berathen sein würde, — aber jeden⸗ falls wird natürlich von der Regierung die Zulässigkeit des Antrags mit demselben Ernst, derselben Objektivität und Gründlichkeit er⸗ wogen werden, wie das bei dem ersten Antrag, der nur dahin ging, die Kreisausschüsse über die Ansiedelungsfragen zu hören, geschehen ist. Ich kann also nicht sagen, wie sich definitiv das Staats Ministerium zur Sache stellen würde; ich habe mich aber für ver⸗ pflichtet gebalten, weil ich ja auch in Beziebung auf die Rentenbanken sehr bei der Frage interessiert bin, auch sonst ein großes Interesse an dem guten Fortgang der Bildung von kleineren und mittleren Gütern habe, bier meine Bedenken schon jetzt auszusprechen.
Abg. Leppelmann Gent.) beantragt die Ueberweisung des Antrags an eine Kommission.
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (fr. kons.) spricht sich im Sinne des Antrags aus und wünscht, daß die Angelegenheit noch in dieser Session erledigt werde. Der Wortlaut des 53 12 des Rentengutsgesetzez begründe nicht so weit reichende obrigkeitliche Befugnisse der General · Kommission, wie sie die Regierung ihr bei= lege. Eine Abweichung von der altbewährten Dezentralisation der Selbstverwaltung sei nicht empfehlengwerth. Die Kreitausschũsse, welche auch beim Ansiedelungegesetz mitzuwirken hätten, hätten niemaltz Hindernisse den Anstedelungen bereitet der das Berfahren verlangsamt. Allerdings passe der Antrag des Grafen Kanitz nicht ganz in den Rahmen des Rentengutegesetzes; die ganze Thätigkeit und die Befugnisse der General ⸗Kommission müßten geseßlich neu geregelt werden. Fieber wünscht, daß das angekündigte Gesetz über die Er⸗ leichterung der Ansiedelungen mit Hilfe des HReservefonds der Renten banken und auch die Sekundärbahnvorlaze baldigst dem Hause vor⸗ gelegt werden.
Abg. Graf von Kanitz folgert aus dem Wortlaut des § 12 des Rentengůtogesetzes das Gegentbeil von der Ansicht der Regierung; denn danach al bie Rentengutgbisbung „durch Permittelung der General Kommisston⸗ erfolgen, also nicht darch die General · Kommission diese erhalte durch das Gesetz keine enn, Befugniß. Der Streit
welches Verfahren zweckmäßiger sei, ei müßig; denn es komme darauf an, ob gesetzmäßig verfahren werde. Er könne das Verfahren der
General Kommission nicht für zweckmäßig halten.