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die Denkschrift gerichtet worden. Mein verehrter Kollege Herr Staatz ⸗
sekretär Dr. Nieberding hat Ihnen bereits ausgeführt, daß die Denk schrift nicht den Zweck hatte, jeden einzelnen Paragraphen dieses Ge⸗ setzes zu begründen, sondern daß sie nur ein Gesammtbild davon geben sollte, wie sich die Verhältnisse zur Zeit bei den Arbeiterkämpfen ent⸗ wickelt haben, und ich glaube, wir sind bei der Zusammenstellung der Denlschrift recht unparteiisch verfahren (Lachen bei den Sozialdemokraten) — recht unparteiisch verfahren, wiederhole ich —, indem wir sogar Aeußerungen aufgenommen haben, die vielleicht einer gewissen be⸗ rechtigten Kritik unterliegen könnten, die wir aber absichtlich nicht unterdrücken wollten (hört! hört! bei den Sozialdemokraten), weil wir das Material, das uns von den einzelnen Staatsregierungen über⸗ mittelt worden ist, dem Reichstage vollständig vorlegen wollten. Die einzelnen Staatsregierungen tragen mithin die Verantwortung für die Richtigkeit dieses Materials. Wenn uns vor⸗ geworfen wird, daß wir Polizeibehörden, Staatsanwälte, Verwaltungsbehörden gehört haben, so, glauben wir, war das im vor⸗ liegenden Falle der richtige Weg. Wir konnten nicht die Parteien hören, weder die Arbeitgeber noch die Arbeitnehmer, sondern nur die unpartelischen Organe der Staatsgewalt. (Lachen bei den Sozial⸗ demokraten) — Meine Herren, wenn Sie die Unparteilichkeit aller Staatsorgane angreifen wollen, so ist das für uns nach außen hin in der That nicht sehr schmeichelhaft; ich würde das als Abgeordneter nicht thun. (Sehr richtig! rechts.)
Man hat auch die in der Denkschrift enthaltene Statistik an⸗ gegriffen, und jwar in einer ziemlich gehässigen Weise, kann ich sagen, die Bestrafungen der Unternehmer wegen Vergehen gegen die Vorschriften der Gewerbeordnung und die Bestrafungen von Strikenden gegenübergeftellt. Ich habe hier im Reichstage selbst einmal erklärt, ich wünschte, daß die Vergehen gegen die Gewerbepolizeivorschriften, welche sich Unternehmer zu Schulden kommen lassen, mit der vollen Strenge des Gesetzes geahndet würden (Heiterkeit links), aber eine Gegenüberstellung der Zahl der Bestrafungen wegen Gewerbepolizei⸗ vergehen und der Vergehen der Strikenden ist nicht zutreffend aus dem sehr einfachen Grunde, weil die Gewerbepolizeivergehen von Amtswegen bestraft werden, eine Anzahl der Ausschreitungen, die bei Strikes vorkommen, aber Antrags vergehen sind, und wir haben ja bereits nachgewiesen, daß ein so ungeheurer Terrorismus bei Strikes vorherrscht, daß eine große Zahl von Vergehen dabei nicht zur Anzeige kommt. (Sehr richtig! rechts) Infolge dessen kann die Statistik über beide Arten von Vergehungen nicht verglichen werden. Außerdem aber kann die Strikestatistik hier kein vollständiges Bild geben, weil ja eine Masse von Ausschreitungen gegenwärtig gesetzlich überhaupt garnicht zu fassen, nicht strafbar sind, obgleich sie sich unzweifelhaft als unsittlich und widerrechtlich dar⸗ stellen; es ist ja der Zweck des Gesetzes, eine Anzahl derartiger wider⸗ rechtlicher Handlungen in Zukunft unter das Gesetz zu bringen und strafbar zu machen. Also die Angriffe gegen die Statistik sind meines Erachtens vollständig hinfällig.
Man hat sich auch darüber aufgehalten, daß derselbe Strike, wie der Herr Abg. Bebel ausführte, wie die Statisten in einem kleinen Theater immer wieder erscheine. Das ist aber hier bei der Vorlage eine ganz natürliche Erscheinung, weil eben bei einem großen Strike die vorgekommenen Vergehen und Uebertretungen unter verschiedene Bestimmungen dieser Vorlage fallen und deshalb auch Anlaß zu wieder⸗ holter Betrachtung boten. Wenn speziell darauf hingewiesen worden ist, daß nur die Handelskammern von Hamburg und den beiden benachbarten Städten sich geäußert haben, so erklärt sich das daraus, daß der Hamburger Strike der letzte große Strike gewesen ist, den wir gehabt haben, und weil dieser Strike in der That ganz außerordentlich interessante Beobachtungen über die Entwickelung der Strikes überhaupt unter den heutigen Berhältnissen zuließ.
Wie der Terrorismus angeblich wirkte, will ich an einem Schreiben erweisen, welches mir vorgestern von einer angesehenen Person unter Nennung ihres Namens aus einer norddeutschen Stadt zugegangen ist. Ich habe sofort Erhebungen über die Mittheilungen angestellt, habe aber bis jetzt leider noch keine telegrapbische Antwort erhalten, indeß der Herr ist in einer solchen Stellung, daß ich glaube, daß er fahr⸗ läͤssig eine solche Behauxtung nicht aufstellen wird. Dieser Mann schreibt mir, in der Stadt, in der er lebt, hätte der Terrorismus der Strikenden gegen die Arbeitewilligen so zugenommen, daß er sich auf die Schul⸗ kinder in der Schule überträge (Heiterkeit links), und daß die Schul⸗ kinder der Strikenden die Schulkinder der arbeitswilligen Arbeiter in einer solchen Weise maltraitierten und chikanierten (große Heiterkeit, Zurufe links), daß schließlich die Eltern veranlaßt würden, sich dem Strike anzuschließen, weil sie diese Behandlung ihrer Kinder nicht er⸗ tragen könnten. (Heiterkeit, Zurufe links.) Ich habe Erhebungen darüber angestellt und werde Gelegenheit haben, Ihnen später genauere Mittheilungen ju machen. (Lebhafte Zurufe links, Glocke des Prãsidenten
Der Herr Abg. Bebel hat auch erklärt, die verbündeten Re⸗ gierungen hätten Jahrzehnte hindurch behauptet, daß der 5 1653 der Gewerbeordnung auch auf Unternehmer Anwendung fände; jetzt hätte ich zugestanden, daß das nicht der Fall sei. Man sehe, was auf die Erklärungen der verbündeten Regierungen zu geben wäre. Herr Abg. Bebel, dieser Angriff gegen mich ist ungerecht. (Zuruf. ) Dann hat es einer Ihrer Freunde gesagt. (Lebbafte Zurufe und Unruhe bei den Soʒialdemolraten. — Glocke des Prãsidenten.)
Ich werde den Sachverhalt aus dem stenographischen Protokoll feststellen. Ich gestatte mir nur zu bemerken, daß die verbündeten Regierungen immer der Ansicht waren, daß der 5 153 der Gewerbe⸗ ordnung auch auf die Unternebmer Anwendung finde. Die Judikatur war aber verschieden, und wir baben, weil die Judikatur eine ver⸗ schiedene war, jetzt expressis verbis den damaligen Antrag Hirsch in die Vorlage aufgenommen, daß auch Unterrehmer strafbar seien,
wenn sie Zwang, Verruf, Drohung, Ehrverletzung als Mittel der.
Beeinflufsung gegenüber Arbeitern anwenden. Hat Herr Bebel seiner⸗ seits diese Ausführung nicht gemacht, so ist es von einem Andern gescheben; ich bitte ibn deswegen um Entschuldigung.
Meine Herren, ich bleibe auch dabei steben, daß im Jahre 1891 die sorialdemolratische Partei noch der Aansicht war, daß die Mittel, die wir jetzt wieder in dem Gesetz unter Strafe ge— stellt haben, analog der bestehenden Gewerbeordnung, wirklich straf fällig sind und bei einem Strike nicht Anwendung finden dürfen; denn damals hat die sojialdemokratische Partei in ihrem bekannten Antrag diese Mittel ausdrücklich unter Strafe gestellt, und ich glaube, die Herren werden auch nicht den Muth haben, zu behaupten, daß es ge⸗ rechlfertigt ist, solche Mittel anmjuwenden.
Es ist dann auch von den schwarjen Listen gesprochen worden. Die schwarzen Listen, welche die Unternehmer anwenden gegen die Arbeiter, sind vollkommen identisch mit dem Boykott, den die Arbeiter gegen Unternehmer oder ganze Gruppen von Unternehmern autsprechen. Aber, meine Herren, ich gestehe Ihnen eins zu, und deshalb halte ich die schwarzen Listen für ein sehr bedenkliches Mittel im Arbeits- kampf — daß da sehr leicht Unschuldige mit den Schuldigen getroffen werden können, Leute, die sich an dem Strike vielleicht gar nicht in dem Maße betheiligt haben, daß sie es verdienten, auf längere Zeit oder dauernd auf einseitige Angaben hin, die die Betreffenden selbst nicht kontrolieren können, ausgeschlossen zu werden. Dag sind meine Bedenken gegen die schwarzen Listen, die ich mit vielen Mit⸗ gliedern des Hauses theile. Aber auch da ist die Schuld auf beiden Seiten gleich; denn auch beim Boykott werden sehr viele Personen schwer geschädigt, die mit dem ganzen Arbeiterkampf absolut nichts zu
thun haben (sehr richtig! rechts, und wenn wir die schwarzen Listen
hätten ausschließen wollen, so hätten wir auch den Boykott bestrafen müssen, und zwar nicht nur den Boykott, den Unternehmer in der Weise, wie es gestern dargestellt ist, gegen einander ausüben, sondern auch den Boykott, den Arbeiter gegen Unternehmergruppen führen. Das wäre aber ein so tiefer Eingriff in die wirthschaftliche Seite des Kampfes gewesen, daß wir Bedenken trugen, diesen Eingriff ju wagen.
Im übrigen muß ich sagen, waren die Ausführungen, die in dieser Beziehung von einem Theil der Redner des hohen Hauses ge⸗ macht sind, eigentlich für die Vorlage. (Widerspruch links.) Gewiß, meine Herren, denn sie stellten dar, daß auch in Unternehmerkreisen, von Syndikaten gegen Unternehmer, die sich diesen Syndikaten und ihren Bedingungen nicht fügen wollen, sehr terroristische Mittel an⸗ gewendet werden; soweit indeß diese terroristischen Mittel identisch sind mit einem der Mittel, welche hier in der Vorlage unter Strafe gestellt sind, wird einem solchen unerlaubten Terrorismus von ein⸗ zelnen Unternehmern oder von Syndikaten auch auf Grund der Vorlage zu Leibe gegangen werden. (Zurufe bei den Sorꝛiial—⸗ demokraten.)
Einer der Herren Redner hat sich auch darüber beschwert, daß zwar die Arbeitswilligen geschützt würden gegen Beleidigungen, Ehr— verletzungen der Strikenden u. s. w., daß aber nicht die Strikenden geschützt würden gegen Ehrverletzungen und Zwang der Arbeitswilligen. Wenn sie das wünschen, sind wir mit Freude bereit, eine solche Be⸗ stimmung noch in das Gesetz aufjunehmen, falls Sie das für eine Lücke halten, aber bisher haben wir nur von dem Terrorismus der Strikenden gegen die Arbeitswilligen gehört, aber nie von dem Terrorismus der Arbeitswilligen gegen die Strikenden. Es war absolut kein Bedürfniß dafür vorhanden auf Grund der praktischen Erfahrungen, solche Bestimmungen aufzunehmen.
Wenn schließlich gesagt wurde — ich halte das freilich nur für einen Scherj. — (Zuruf links), — nein, ich komme zu einer neuen Frage, Herr Abg. Lenimann — daß, wenn dieses Gesetz schon in Kraft wäre, so würde sogar ein Mitglied der verbündeten Regie⸗ rungen, der Herr Staatesekretär von Podbielski, unter dasselbe fallen, so haben die Herren dabei vergessen, daß die Disziplinarbefugniß, die die vorgesetzten Behörden haben, selbstverständlich durch dieses Gesetz nicht berührt wird, und daß vor allen Dingen nicht berührt werden irgend welche Nachtheile, die Jemandem in berechtigter Weise unter gegebenen Voraussetzungen in Auctsicht gestellt werden.
Meine Herren, ich bin überhaupt überrascht über die Auffassung, die man der Vorlage zum theil — gerade von der linken Seite des Hauses — hat zu theil werden lassen. Wenn die Herren sich noch gütigst der politischen Kämpfe erinnern wollen, die in den verschiedenen deutschen Staaten um die Erlangung einer Verfassung geführt sind, so war sozusagen das Palladium der Verfassung die Frage, um die es sich hauptsächlich drehte, der Schutz der persönlichen, der bürger⸗ lichen Freiheit (sehr richtig! rechts, und jetzt bei dieser Erörterung über die Vorlage ist Ihnen die persönliche Frei⸗ heit der Arbeitswilligen so vollkommen gleichgültig, daß Sie sie preisgeben dem Votum einer kleinen Zahl von Agitatoren oder einer Minorität. (Sehr wahr! rechts, Zurufe links.) Die Herren Konservativen haben gestern von Strikes gesprochen, die so oft frivol angezettelt werden. Das sollten sich auch die Herren von der Sozial-⸗ demokratie überlegen. Sie haben gestern gefragt: Wer entscheidet denn darüber, ob ein Strike frivol ist? — Das ist ja eben das Schlimme bei der ganzen Sache. Wenn die Arbeitswilligen sich wirk⸗ lich nur einem Strike fügen müßten, der sittlich berechtigt ist, aus einer fehlerhaften oder engherzigen Handlung des Unternehmers beraus, aber ein Strike wird ja oft nur von wenigen Personen provcziert (Unruhe und Zurufe bei den Sozialdemolraten), von wenigen Personen, meine Herren, die zufällig das Heft in den Händen haben, und diese wenigen Personen sind leider meist Geschworene, Richter und auch Exekutoren der Sache. (Zurufe.) Darin liegt das Ungerechte, das Unerträgliche für die Arbeitswilligen, daß sie sich dem Desvotismus von so kleinen Minoritäten fügen müssen, und dabei noch solche widerrechtliche Mittel gegen sie geltend gemacht werden.
Ich erinnere umgekehrt daran, mit welcher ungeheuren Härte es gerade von Ihnen beurtheilt wird, wenn ein untergeordneter Polizei= beamter sich irgend einen Uebergriff zu Schulden kommen läßt, namentlich gegen die persanliche Freiheit eines Staatsbürgers — ein untergeordneter Polizeibeamter, der zum großen Theil doch aus denselben Gesellschafts⸗ schichten hervorgegangen ist, aus denen der größte Theil der Arbeiter stammt, mit dem Unterschiede nur, daß der Mann in der Regel bereits durch die Schule der Armee bindurchgegangen ist. Da ist man so außerordentlich empfindlich. Daß aber die persönliche Freiheit eines Arbeitswilligen von strikenden Genossen auf das schwerste gekränkt wird, läßt man ruhig hin⸗ gehen, das hält man für ein gut begründetes Recht kleiner Minoritäten. Man hat uns auch vorgeworfen, daß wir uns auf die ausländische Gesetzgebung bejogen haben, und der Hert Abg. Lenzmann hat mitgetheilt, das Erkenntniß des House of Lords, was mir noch nicht bekannt war, sei ergangen. Ich habe sofort nach London telegraphiert, um mir dieses Erkenntniß kommen zu lassen; ich habe es leider noch nicht erhalten. Dem sei aber, wie ihm wolle — ich schenke selbstverständlich den Mittheilungen des Herrn Abge⸗ ordneten vollkommen Glauben —, so halte ich den Vorwurf gegen die verbündeten Regierungen, daß wir uns hier auf die ausländische Ge⸗ setzgebung berufen haben, doch für ungerecht. In wie vielen Fällen, meine Herren, ist uns vorgehalten worden: wenn die verbündeten Regierungen irgend ein Gesetz vorlegten auf wirthschaftlichem oder politischem Gebiete, so müßte man gleichzeitig die Verhältnisse im
de studieren, man müßte diese Verhältnisse in der Begründi zur Darstellung bringen. Hier, wo wir es thun, wird uns dag zun Vorwurf gemacht. (Widerspruch links) Und es wird uns sogar zun Vorwurf gemacht, daß wir die Gesetzgebung zitieren von einem Lande wie England, das uns stets in allen Arbeiterfragen als Musterland vorgehalten wird. Meine Herren, mögen Sie über das Verbot dez Strikepostenstehens denken, wie Sie wollen, das ist doch unjweifelhaft, daß durch die englische Konjurationsbill eine Anzahl Vorgänge, die mit dem Strlkepostenstehen thatsächlich zusammenhängen, unter schwere Strafe gestellt sind. (Widerspruch und Zurufe links.)
Ich will zum Schluß bei der Geschäftslage des Hauses mir nur eine Bemerkung noch gestatten. Der bekannte Sozialpolitiker Cree, dessen Gegner Sie auf jener Seite (links) wahrscheinlich sind, führt noch im Jahre 1890 in seinen literarischen Arbeiten aus, daß im Interesse der Arbeiter selbst gegenüber dem ungeheueren Despotismus der englischen Gewerkvereine es unbedingt geboten sei, einen erhöhten gesetzlichen Schutz den arbeitswilligen und den nicht organisierten Arbeitern zu gewähren. Jetzt im Jahre 1899 schreibt derselbe Herr eine Broschüre, in der er sagt, er halte sich für überzeugt, daß die Arbeiterbevölkerung in England bereits ein solch ungeheures Schwergewicht in den offentlichen Angelegenheiten hätte, daß garnicht mehr daran ju denken sei, in England ein Gesetz durchzubringen, was die himmelschreienden Ausschreitungen der Gewerkvereine gesetzlich beschränke, und er könnte deshalb nur den Rath geben, daß sich Publikum und Unternehmer selbst dahin verbinden und vereiaigen möchten, jeden Arbeiter, der sich an Ausständen betheiligte, rücksichtslos dauernd von der Arbeit auszuschließen. (Lebhafte Unruhe links) Meine Herren, wenn das wirklich bei uns eintrãte, wäre es die im Interesse unseres Volks bedauerlichste Erscheinung, die ich mir denken könnte, denn man würde damit die gesammten Theilnehmer unseres Gewerbslebens in zwei feindliche Gruppen spalten, es würden Monstreausstände und Monstre⸗ aussperrungen entstehen, und es würde nach solchem Kampf eine Er— bitterung in unserer Bevölkerung zurückbleiben, die unserem wirth⸗ schaftlichen, politischen und sozialen Leben die schwersten Wunden schlagen müßte. Deshalb, meine Herren, haben die verbündeten Re⸗ gierungen diese Vorlage eingebracht, um durch eine verständige Be— schränkung der Ausschreitungen der Koalitionsfreiheit Zustände, wie sie jener englische Sozialpolitiker in Aussicht stellt, zu verhindern, und ich glaube, Sie werden gut thun, wenn wir nach der Vertagung wieder zusammenkommen, nochmals in eine ruhige, objektive Prüfung dieser Vorlage einzutreten. (Bravo! rechts)
Abg. Roesicke⸗Dessau (b. k. F.) bestreitet, daß die liberale Presse Maßregeln gegen Ausschreitungen der Arbeiter verlange und daß man die Vorlage als eine milde angesehen habe; man habe über die Vorlage mit Ausnahme der konservativen Presse nur abfällige Urtheile gefällt. Befremdend findet es der Redner, daß die e , vom Bundesrath einstimmig angenommen sei. Das Koalitionstecht habe für die Arbeiter nur dann einen Werth wenn es unbehindert angewendet werden dürfe, ebenso wie die Unternehmer ihrerseits die Konjunkturen ausnützten, um bessere Preise für ihre Fabrikate zu erzielen. Redner bestreitet ferner, daß der Minister von Berlepsch im Jahre 1890 so ganz überzeugt gewesen sei von der Nothwendigkeit der damals vorgeschlagenen Straf— verschärfungen, die aber nech lange nicht an das heranreichten, was jetzt vorgeschlagen werde. Die Befürchtungen von 1899 seien nicht eingetroffen; nicht die Arbeiter, sondern die Arbeitgeber bätten seitdem von ihrem Koalitionsrecht einen übermäßigen Gebrauch gemacht. Ohne einen gewissen Terrorismus und Zwang könne ein Strike nicht durchgeführt werden, das sollte auch der Staatssekretär erkennen. Die Arbeitgeber kämen auch ohne einen gewissen Zwang nicht aus. Der Staatssekretär babe weiter davon gesprochen, daß der Terrorismus sogar in die Schulen eingedrungen sei. Dagegen könne doch das vorliegende Gesetz nichts machen. Ausschreitungen seien allerdings vorgekommen, aber sie seien auch bestraft worden, und jwar zum tbeil mit recht schweren Strafen. Redner weist auf die terroristische Haltung der Bauunternehmer gegenüber den Bauarbeitern bei der jetzigen Aussperrung hin und legt nachdrücklichen Prstest ein gegen das Bestreben der Bauunternehmer, die Arbeiteraus sperrung auf ganz Deutschland ausdebnen. Die Uebernahme des Arbeits- nachweises allein in die Hand der Arbeitgeber, wie 9 auf der Konferenz in Leipfig geplant worden sei, laufe, nur darauf binaus, daß ein Zwang gegen die Arbeiter ausgeübt werden solle, damit sie sich unter allen Umständen den Wünschen der Unternehmer unterwerfen. Redner weist bezüglich der Entstebung der Vorlage auf die Bielefelder Rede Seiner Majestät des Kaisers hin. (Präsident Graf von Ballestrem bittet den Redner, nicht un⸗ beglaubigte Aeußerungen Seiner Majestät des Kaisers in den Bereich der Debatte zu ziehen. Redner erklärt, die Bielefelder sowohl wie die Oeynhausener Rede Seiner Majestät des Kaisers seien im Reichs Anzeiger“ veröffentlicht worden. Hätten die Räthe der Krone damals leich die Arbeiter, nicht bloß die Arbeitgeber befragt, so wäre diese e ,. nicht eingebracht worden. Das Koalitionsrecht sei das Hauptrecht des Arbeiters, welches geschützt werden müsse. Diese Vor⸗ lage werde hoffentlich noch vor Ablauf des 19. Jahrhunderts ver- worfen werden.
Minister für Handel und Gewerbe Brefeld:
Von allen den Herren Vorrednern, mit alleiniger Ausnahme des letzten, ist es vermieden worden, die Person Seiner Majestät des Kaisers in die Debatte zu ziehen; der letzte Herr Vorredner bat das gleichwohl für angemessen gehalten. Ich möchte nun doch darauf aufmerksam machen, daß es sich bier um den Bruch eines Brauches handelt. der in der ganzen gesitteten Welt, überall da, wo Konstitutionen und monarchische Staaten bestehen, beachtet wird (ODho! linke), denn für die Handlungen der Reichsregierung steht der Reichskaniler ein; an ihn haben Sie sich zu wenden, wenn Sie Einwendungen und Vorwürfe zu erheben haben gegen das, was Ihnen die verbündeten Regierungen hier vorgelegt haben. (Sehr gut! rechts.)
Im übrigen habe ich es für zweckmäßig gehalten, auch meinerseits den Standpunkt zu der Vorlage, um die es sich hier handelt, kur darzulegen. Ich entnehme die besondere Berechtigung dazu aus der Thatsache, daß es sich ja hier um die Wiederaufnahme eines Gesetzvor⸗ schlages handelt, der seiner Zeit von meinem Amtsvorgänger im Reichstage vertreten ist. Schon damals, bei der Novelle zur Gewerbe⸗ ordnung im Jahre 1890,ũ91, als die Fassung des § 163 der Gewerbe⸗ ordnung, welche damals dem Reichstage unterbreitet war, in der zweiten Lesung abgelehnt wurde, hat der Minifter von Berleysch ausdrücklich erklärt, daß die verbündeten Regierungen nach wie vor an der NUeberzeugung festhalten, daß Strafbestimmungen gegen den Zwang jur Arbeitzeinstellung unerläßlich nothwendig sind, und daß, wenn der Reichttag bei dieser Gelegenheit die Vorschläge der verbündeten Regierungen in dieser Beiiehung nicht annehme, er später vor dieselbe Frage geftellt werden würde. Herr Vertreter der preußischen Staatsregierung hat damals an⸗ genommen, daß, wenn zu jener Zeit die Erfahrungen, die er auf dem Gebiet der Arbeitseinflellungen gemacht habe, noch nicht ausreichend
gewesen selen, um die Auggestaltung des 5 153 nach den Vorschlägen ber Reichsregierung zu erreichen, dann aller Voraussicht nach die Grfahrungen, die man in der Folge machen werde, dazu genügen würden, um eine bessere Handhabe zu gewinnen. Diese Voraus setzung ist zugetroffen. Es haben eine große Zabl von Arbeitseinstellungen stattgefunden seit jener Zeit, Arbeitseinstellungen von sehr großer Ausdehnung und Tragweite, Arbeitseinstellungen, bei denen die schwersten Ausschreibungen gegenüber den Arbeitswilligen vorgekommen sind. Man hat in dieser Beriehung gegen die Darlegungen in der Ihnen vorgelegten Denkschrift vielfach Ausstellungen erhoben; man hat gefragt: weshalb bat man hierüber nicht die Ge— werbeaufsichtsbeamten, die Gewerbe⸗Inspektoren und Bergrevier⸗ beamten gehört? Ja, es sind die Regierungen, die Ober ⸗Bergämter gehört worden; den Regierungen sind die Gewerbe⸗Inspektoren nach⸗ geordnet, in den Regierungen sitzen die Regierungs⸗Sewerberäthe, den Dber⸗Bergämtern sind die Bergrevierbeamten nachgeordnet. Ez ist Sache dieser Behörden, der Regierungen und der Ober ⸗Bergämter, die ihnen nachgeordneten Beamten zu hören, soweit sie es für noth—⸗ wendig erachten. (Lebhafte Zwischenrufe von den Sozialdemokraten.) Das ist auch geschehen. (Wiederholte stürmische Zwischenrufe von den Sozialdemokraten.) — Woher wissen Sie, daß das nicht geschehen ist? Es ist thatsächlich geschehen!
(Präsident: Ich bitte, die Zwischenrufe zu unterlassen und Privat- konversattonen hier nicht zu führen; sonst kommen wir nie zu Ende mit der Vorlage.) (Heiterkeit.)
Unter den Arbeiterausständen, bei denen Ausschreitungen schwerer Natur vorgekommen sind, spielen ja eine besondere Rolle die Aus⸗ stände der Bergarbeiter, insbesondere die großen Arbeiterausstände, die im Jahre 1892ñ'93 im Saar ⸗ und Ruhrgebiet stattgefunden haben. Giner der Herren Vorredner hat die Ausschreitungen, die dort vor⸗ gekommen sind, seinerseits als sehr untergeordnet bezeichnet; er hat sich dahin ausgesprochen, es begegne ihm in diesem Ausstande im Saar⸗ und Ruhrgebiet ein alter Bekannter, der ihm schon oft vorgekommen sei; was dort stattgefunden habe, und worüber man jetzt so großes Wesen mache, sei, wenn man es richtig ansehe, nichts Anderes als eine Summe verschiedener Ungezogenheiten desselben Kindes. Damit betrachtet also der Herr Abgeordnete die Ausschreitungen, die damals vorgekommen sind, als Kindereien. Nun halte ich mich doch für verpflichtet, Ihnen kurz darzulegen, in welchem Umfange damals diese Ausschreitungen stattgefunden haben, welche Bedeutung die Arbeitseinstellung jener Zeit gehabt hat, und welche schwere Gemeingefahr mit diesen Vorgängen verbunden ge— wesen ist. (3rruf links.) Es wurde damals in einer Versammlung der Bergleute beschlossen, im ganzen Saarrevier die Arbeit ein⸗ zustellen; es wurden besondere Boten in alle Theile des Reviers ge⸗ schickt unter Benutzung des Fahrrades, nach allen Gruben hin, um die Arbeiter aufzufordern, die Arbeit niederzulegen. Damals legten 24 000 Arbeiter an einem Tage ohne vorgängige Kündigung die Arbeit nieder, also mittels Kontraktbruchs. Man hätte doch eigentlich erst die Forderungen aufstellen müssen, wezwegen man die Arbeit niederlegte; solche sind aber erst im Laufe des Ausstandes nachträglich unter den Arbeitern vereinbart worden. Diese Niederlegung der Arbeit war also thatsächlich nichts Anderes als eine vollkommen frivole, zu der irgend ein genügender Anlaß nicht vorlag. (Große Unruhe und Zurufe links) Man hätte doch minde—⸗ stens seine Forderungen aufstellen und der Grubenverwaltung vor⸗ tragen müssen, bevor man zu solchen Maßnahmen schritt; das ist aber nicht geschehen. Nun ersehen Sie aus der Denkschrift, die Ihnen vorgelegt ist, in welchem Umfange damals Ausschreitungen statt⸗ gefunden haben; es wurden die Zechenhäuser beschädigt, zum theil demoliert, es wurden Angriffe unternommen auf die Maschinen—⸗ häuser, die Arbeitswilligen wurden umstellt durch Zusammenrottung großer Massen ausständiger Arbeiter, die sich in einer Nacht bis auf die Ziffer von 2000 beliefen. Man hat sie mit Steinwürfen verfolgt, gemißhandelt, durchgeprügelt, hat auf sie geschossen, ist in die Häuser eingedrungen, hat die Familienangehörigen bedroht, hat Dynamit⸗ anschläge gemacht gegen einzelne Arbeiter. (Große Unruhe und Zurufe links. Zuruf rechts.)
Sind das, meine Herren, alles Kindereien? Da muß ich doch sagen, es scheint der Herr Vorredner von Kindern und Kindereien wunderbare Vorstellungen zu haben. (Sehr gut! rechts. Zuruf links.)
Es handelte sich hier, meine Herren, um einen Ausstand, der sich erstreckte über das ganze Saargebiet, und den Zweck und die Bedeutung haben sollte, in diesem ganzen Gebiet, welches auf die Saarkohle angewiesen ist, die Industrie zum Stillstand zu bringen. Ich habe hier eine gedruckte Aufforderung, die seinerzeit von den Führern der Bergleute an die sämmtlichen Bergleute ergangen ist, in der sie zu einer großen Ver⸗ sammlung für das ganze Saarrevier in dem bergmännischen Saale“
eingeladen wurden. Darin heißt es:
Erkenne Deine Macht, Du Bergmann! Wenn Dein starker Arm nicht will, Dann stehen alle Räder still!
(Sehr richtig! und Heiterkeit bei den Sozialdemokraten)
Im ganzen Saarrepier wird eingeladen zu der Versammlung, in der die Bergleute Mann für Mann, Schulter an Schulter er ⸗ scheinen sollen zur Entscheidung. ‚Betrachte Deine Gegner alle! So schließt die Aufforderung. (Zurufe links.) Kann man nach dieser Aufforderung einen Zweifel haben, daß man damals thatsächlich nichts Anderes gewollt hat, als die ganze gewerbliche Thätigkeit innerhalb des Gebietg, welches auf den Bezug der Saarkohle angewiesen ist, zum Stillstand zu bringen? (Sehr richtig! rechts. Zuruf links. Glocke.) Dieser Strike hat nur drei Wochen gedauert. Für diese Zeit hatten sich die Werke vorgesehen, weil sie geahnt hatten, daß die unter den Arbeitern vorhandene Gährung zu einem ähnlichen Austrag führen könnten, sodaß glücklicheiweise thatsächlich ein Kohlenmangel nicht entstand Nun denken Sie aber, es hätte dieser Aus stand länger gedauert, die Kohlenvorräthe wären aufgebraucht worden, es wären die Fabriken zum Stillstand gekommen. Der Strike setzte sich nun in dem folgenden Monat fort nach dem Ruhirevier. Die Uebertragung bezeichnet man als den sogenannten Sympathiestrike, weil thatsächlich die Strikenden im Ruhrrevier ebensowenig Veranlassung hatten zur Einstellung der Arbeit, wie die im Saarrevier. Auch dort sind Ausschreitungen der allerschwersten Art vorgekommen. Wenn nun zwei so große Reviere wie das Saar- und Ruhrrevier gleichzeitig dabin kommen, die Förderung ihrer Kohlen einstellen zu müssen, wenn infolgedessen die darauf angewiesenen Fabriken genöthigt sind, ihre Thätigkeit einzustellen, ihre Arbeiter ju entlassen, wenn es dazu kommt, daß auch die Gisenbahnverwaltung
die Kohlen, die sie nothwendig hat zr ihrem Betriebe, nicht mehr
erlangen kann, wenn es dazu kommt, daß große Städte, die der täglichen Zufuhr durch die Eisenbahn bedürfen, die Mittel zu ihrer Ernährung nicht mehr erhalten, wenn es dazu kommt, daß man die Straßen nicht mehr beleuchten kann (Zuruf links) (Glocke des Präsidenten),
(präsident: Herr Abgeordneter Singer, ich bitte nicht zu unterbrechen.) .
daß die Mittel, die für den Lebensunterhalt erforderlich sind, auch fehlen für die Krankenhäuser und Zuchthäuser, vergegenwärtigen Sie sich alles das und dann fragen Sie sich, sind das nicht Zustände, die mit einer großen Gemeingefahr verbunden sind? wir haben glück- licherweise ähnliche Fälle bei uns noch nicht erlebt. (Zuruf links, Heiterkeit) Ich wünsche nicht, daß ein solcher Fall eintritt, aber ich befürchte es. Wenn einmal ein solcher allgemeiner Strike der Gruben arbeiter eintritt, welche Zustände dann entstehen, das kann man aus den Vorgängen in den Vereinigten Staaten ersehen. Dort fand bekanntlich im Jahre 1894 ein allgemeiner Strike der Eisenbahnarbeiter statt, der über eine ganze Reihe von Staaten sich verbreitete, und welche Folgen hat dieser Strike gehabt? Wochenlang ist der gesammte Eisenbahn⸗ und Postverkehr unterbrochen worden, es haben Be— schädigungen von Vermögen und Eisenbahnmaterial in kolossalem Umfange stattgefunden, sodaß man den gesammten Schaden, der an— gerichtet ist, auf eine Viertel Milliarde berechnet. Es sind Hunderte von Menschenleben das Opfer dieses Aufstandes geworden, es sind die Aufständigen gegen die Bundeshauptstadt Washington gezogen, man war genöthigt, 14 000 Mann Bundestruppen aufzubieten, um den Aufstand niederjuwerfen. Das sind doch Zustände, die wir bei uns nicht eintreten lassen dürfen; und wenn nun die Staatsregierung gegenüber dem, was wir bereits erlebt haben, und was man für die Zukunft zu befürchten hat, von Ihnen Mittel erbittet, um im Wege des Gesetzes Gewaltthätigkeiten und Ausschreitungen entgegenzutreten, wollen Sie dann dem Staate diese Mittel verweizern? (Zuruf links) wollen Sie die Mittel verweigern, ohne in die Berathung der Vor schläge einzutreten, die Ihnen die Regierung gemacht hat?
Um welche Vorschläge handelt es sich? Zunächst um eine Aus— gestaltung des 5 153, in dem gleichen Sinne, wie er s. Zt. im Jahre 1891 Lon meinem Amtsvorgänger befürwortet ist. Unter den sämmt⸗ lichen Ordnungsparteien in diesem hohen Hause herrscht darüber Ein verständniß, daß diese Ausgestaltung des 5 153, wie sie in dem § 1 und 2 der Vorlage enthalten ist, thatsächlich eine vollkommen rationelle ist. Der 5 153 enthält das Strafverbot gegen den Mißbrauch der Koalttionsfreiheit, er bat den Zweck, daß die Koalitionsfreiheit gegen solche Ausschreitungen geschützt wird, aber den Schutz der freien Arbeit, der doch viel wichtiger ist als der Schutz der Koalitionsfreiheit, der eigentlich nur der Zweck des ganzen Schutzes der Koalitionsfreiheit ist, den haben wir nicht, der fehlt im 5 1653. Er soll jetzt nach unseren Vor- schlägen hineingesetzt werden, es sollen nicht bloß die Ausschreitungen getroffen werden, die hindern an einer Koalition, sondern auch die⸗ jenigen, die hindern an der Arbeit selbst; das ist eine durchaus noth— wendige Konsequenz des Grundgedankens, die Sie nicht wohl ab— lehnen können. (Sehr richtig! rechts.)
Nun, der Schutz der Koalitionsfreiheit. Ja, der 5 163 trifft mit Strafen nur denjenigen, der zum Beitritt zwingt und denjenigen, der hindert am Rücktritt. Die Strafe trifft aber nicht den— jenigen, der umgekehrt hindert an dem Beitritt und den, der jwingt zum Röcktritt. Es müssen aber diese Fälle doch ebenso getroffen werden, wie die anderen, Das ist einfach eine logische Konsequenz des Grundgedankens. Die Fassung des § 153 ist also eine unvollständige, eine verkrüppelte, die erst gerade gestellt werden muß. Das ist der hauptsächliche Zweck der Vorlage und das können Sie doch nicht ablehnen. Aber auch der Schutz der Koalitionsfreibeit im 5 153 ist ein unvollständiger. Denn es sind nur diejenigen Koalitionen geschützt, die auf eine Verbesserung der Arbeits. und Lohnverhältnisse hinwirken wollen, nicht aber solche, die nur eine Aenderung der Arbeits. und Lohnverhältnisse bezwecken, die man als Verbesserung nicht anerkennen kann. Das muß doch auch geändert werden. Nun finden Sie in der Denkschrift den Nachweis, daß in so und so vielen Fällen an dem Mangel dieser formellen Voraussetzungen die Anwendung der Straf⸗ vorschriften gescheitert ist, da müssen Sie doch mit uns zusammen Sich bereit erklären, wir wollen die Vorschriften so ändern, daß sie praktisch gehandhabt werden können. Das ist eine wohlbegründete verständige Forderung, die Sie doch nicht ablehnen können. Darin aber liegt die Hauptbedeutung der Vorlage.
Der zweite Theil derselben besteht in einer weiteren Ausgestaltung der Strafvorschrift des § 163, die sich auf die bisherige Erfahrung und auf das dadurch begründete Bedürfniß stützt. Sind Sie mit den Forderungen, die hier gestellt sind, im einzelnen nicht einverstanden, so können Sie es doch nicht ablehnen, in einer Kommission die be— sonderen Gründe und Erwägungen zu prüfen, die wir für jede ein zelne Bestimmung haben, die wir im Rahmen dieser allgemeinen Erörterung hier im einzelnen nicht vortragen können. Das ist doch von unserer Seite ein durchaus billiges und verständiges Verlangen?
Nun hat man bei den einzelnen Bestimmungen des Gesetz⸗ entwurfs namentlich an dem § 8 Anstoß genommen. Ich möchte bezüglich dieses 5 8, damit kein Mißverständniß entsteht, hervorheben, daß der Grundgedanke desselben, wie ich glaube, bei ruhiger objektiver Ueberlegung von dem größten Theil dieses Hauses getheilt werden wird Wir strafen in den 55 1 und 2 die Ausschreitungen gegen die Koalitionsfreiheit. In dem 8§ 8 strafen wir dieselben Ausschreitungen, wenn sie in solchen Betrieben begangen werden, die des besonderen Schutzes bedürfen, weil ihre Unterbrechung mit dem öffentlichen Interesse nicht vereinbar ist, sondern eine gemeine Gefahr bedeutet. Ist denn das ein unverständiger Gedanke? Ich denke, das liegt doch auf der flachen Hand; wir haben in zahlreichen Fällen des gemeinen Strafrechts, gerade mit Rücksicht auf eine besondere Gefahr, auch eine Grhöhung der Strafen, sobald eine solche Gefahr vorliegt. Dasselbe Prinzip kommt hier auch zur Anwendung. Das ist doch nicht unverständig. Sie mögen ja verschiedener Meinung über die Graduierung der Straf⸗ handlungen, über die Abmessung der Strafen, über die Art der Strafen sein: da sind alles Dinge, über die man sich in der Kom⸗ mission unterhalten und verständigen kann. (Widerspruch links.) Dag wollen Sie nun aber unmöglich machen durch die Ablehnung der Vorlage. (Sehr richtig! rechts.)
Nun, meine Herren, möchte ich noch auf einige Ginwendungen eingehen, die von einigen der Herren Vorredner gegen die Vorlage
erhoben worden sind. Es wird unter anderem hier in diesem Gesetz und überhaupt im ganzen Verfahren der Regierung in dieser Frage die paritätische Behandlung der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer vermißt. Ja, meine Herren, in diesem Gesetze können Sie die pari⸗ tätische Behandlung unmöglich vermissen; die Grundidee der ganzen Vorlage ist die völlig gleichmäßige Behandlung sowohl der Arbeitgeber wie der Arbeitnehmer. (Sehr richtig! rechts. Widerspruch links.) — Wenn Sie glauben, daß in dieser Beziehung noch eine Lücke in dem Gesetz sei, so sagen Sie es doch, stellen Sie doch einen Antrag! (Zurufe links. — Glocke des Präsidenten.)
(Präsident: Meine Herren, ich bitte, die Unterbrechungen ju unterlassen. Das führt zu nichts. Sie sprechen ja dann wieder, wenn Sie an der Reihe sind.)
Nun, meine Herren, hat Ihnen bereits der Herr Staatssekretär des Reichs-Justizamts gesagt, daß in der praktischen Anwendung der Bestimmungen sich immer ein Unterschied ergeben wird, daß sie in größerem Maße die Arbeiter treffen werden, als die Arbeit- geber. (Hört! hört! links) Das liegt aber in den Ver— hältnissen. Der Grund ist einfach der, daß die Arbeiter sich in einer weniger günstigen Lebenslage befinden, auf einem niedrigeren Bildungtgrade stehen als die Arbeitgeber, und da ist es sehr natürlich, daß sie leichter zu solchen Ausschreitungen kommen. Deshalb müssen sie auch in einzelnen Fällen milder beurtheilt werden. (Zurufe links) Denken Sie nur an den Hergang eines solchen Strikes Das ist ja sehr erklärlich, wenn der Strike sehr lange gedauert hat, wenn die Strikekasse allmählich sich erschöpft, wenn die Unterstätzungen, die man den Arbeitern aus der Strikekasse giebt, ab⸗ nehmen, wenn sie allmählich die Hoffnung schwinden sehen, daß sie durch den Strike erreichen, was sie erreichen wollen, wenn sie sehen, daß immer mehr sich bereit erklären, die Arbeit aufzunehmen, daß sich dann die Verzweiflung ihrer bemächtigt und daß sie zu solchen Ausschreitungen kommen, die wir verhindern wollen. So erklärt es sich, daß gerade bei den Arbeitern diese Ausschreitungen so häufig zu beklagen sind, während sie bei den Arbeitgebern, die sich in günstigerer Vermögenslage befinden und die Sache abwarten können, mit deren Auffassung es nicht vereinbar ist, zu Rohheiten und Gewaltthätigkeiten überzugehen (Heiterkeit links), nicht oder nur selten vorkommen.
Nun wird von anderer Seite gesagt, man vermisse überhaupt die Parität in der Behandlung der Arbeitnehmer und Arbeitgeber seitens der Regierungen. Man sagt: weshalb schreitet die Regierung nicht ein gegen die großen Syndikate, gegen die Ringe, die doch auch dahin führen, daß sie schließlich die Bedarfskreise, die Konsumenten voll⸗ ständig abhängig machen und ihnen einfach die Preise diktieren, die sie annehmen müssen? Meine Herren, ich kann Ihnen sagen, diese Ver⸗ einigungen der Unternehmer haben bis jetzt nicht ungünstig ge⸗ wirkt. (Sehr richtig! rechts Sie haben den Erfolg ge— habt, daß die Preisentwickelung und die Lohnentwicke⸗ lung gleichmäßige gewesen sind; das plötzliche Hinauf— schnellen und das plötzliche Sinken der Preise und Löhne, welches letztere der Arbeiter garnicht vertragen kann, ist durch diese Ringe vermieden worden, und es ist eine ruhige Entwickelung in die ganze Preis und Lohnbewegung hineingekommen. (Sehr richtig! rechts.)
Nun muß ich aber anderseits sagen, ich verkenne durchaus nicht, daß mit der Thätigkeit dieser Syndikate eine große Gefahr verbunden ist, und daß die Zeit kommen kann, wo die Regierung sagen muß: nein, das geht mir zu weit ((hört! hört! links), wenn fortgesetzt die Preise in die Höhe getrieben werden, sodaß den Konsumenten, den Bedarfekreisen die wirthschaftliche Existenz un— möglich gemacht wird, dann muß man schließlich mit gesetzgeberischen Maßregeln einschreiten. Und, meine Herren, diese gleichen Erwägungen haben auch die Regierungen der übrigen Staaten bereits beschäftigt. In Oesterreich hat man bereits einen Gesetzentwurf ausgearbeitet, der uns auch mitgetheilt worden ist, aber, meine Herren, es ist ein Problem der allerschwierigsten Art. (Heiterkeit links.) Nachdem ich den österreichischen Entwurf eingesehen habe, habe ich bis jetzt nur einen brauchbaren Vorschlag erkennen können, daß man nämlich sich eine Unterlage verschafft für einen vollständigen statistischen Ueberblick aller ähnlichen Erscheinungen auf diesem Gebiet der Ver⸗ einigung von Produzenten, sodaß man genau ihre Art, ihren Um⸗ fang, ihre Gliederung, ihre Wirkung erkennt. Das kann man durch ein solches Gesetz erreichen; mehr zu erreichen, dafür bat man bis jetzt noch kein brauchbares Mittel gefunden. (Heiterkeit links.)
Ich habe mich für verpflichtet gehalten, diesen Standpunkt hier darzulegen, um Ihnen zu zeigen, daß die Regierung dieser Frage keineswegs ihre Beachtung versagt. (Sehr gut! rechts.)
Ich will dann noch einen anderen Punkt berühren. Der Herr Abg. Dr. Lieber hat auseinandergesetzt, grundsätzlich sei er und seine Partei nicht gegen eine Ausgestaltung des § 153 ein genommen, aber sie wären der Meinung, daß ebenso wie §z 163 auch § 162 der Ausgestaltung bedürfe, auch er gebe nur einen Ansatz zu einer gesetzlichen Regelung, aber nicht die gesetzliche Regelung selbst. Man kann ja dem Grundgedanken seine Berechtigung zugestehen, aber in welcher Weise will nun der Herr Abg. Dr. Lieber das, was er vermißt, erreichen? Er will eine ganze Reihe von gesetzlichen Regelungen herbeiführen, die zugleich mit diesem Gesetz jur Verabschiedung kommen sollen, — ob im Rahmen dieses Gesetzes oder in besonderen Gesetzes« vorlagen, habe ich aus seiner Rede nicht entnehmen können. Das aber steht doch fest, daß das, was er dabei im Sinne hat, die Rechtsfähigkeit der Berufsvereine, die Bildung von Arbeiterkammern, die gesetzliche Organisation des Arbeitsnachweises, und wie alle diese verschiedenen Probleme heißen, daß diese zu den schwierigsten Problemen der Gesetzgebung gehören, (Heiterkeit links), daß die An— sichten darüber weit auseinander gehen. Ist es nun möglich, bei dieser Vorlage alle diese Aufgaben zu lösen? Können wir davon die gesetzliche Regelung desjenigen abbängig machen, was noth— wendig ift, auf dessen Einführunz wir Gewicht legen müssen, um die schweren Schäden fern zu halten, die letzt aus der Entwickelung und Gestaltung der Arbeiterkämpfe erwachsen? Sollen wir diese nothwendige Regelung zurückstellen, bis wir jene weitaussehenden schwierigen Aufgaben erledigt haben? (Unrube links) Das, meine Herren, wäre doch nicht richtig. Ich möchte desbalb glauben, auf diesen Gedanken müssen wir verzichten. Ich weiß nicht, ob die wenigen Worte, die ich mir gestattet babe, an das hohe Haus zu richten, viel leicht geeignet siad, um die Verschiedenheit der Auffassungen einander näher zu bringen, ich würde aber wünschen, daß es der Fall wäre; denn ich bin wirklich der Meinung, wir dürfen diesen Erscheinungen