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Auge hatte. Ich habe ihn so verstehen können, als ob die Auslegung des Eripressungsparagraphen bereits jetzt soweit in der Judikatur des Reichsgerichts reiche, daß ein neues Gesetz hier überflüssig sei. Wenn der Herr Abg. Heine mich in diesem Punkte überzeugen will, dann bitte ich ihn, mir diejenigen Vorschriften des Entwurfs zu bezeichnen, die durch die Bestimmung des Erpressungäparagraphen des Straf⸗ gesetzbuchs, wie ihn das Reichsgericht auslegt, unnöthig werden. Ich glaube, von keiner Bestimmung ist das in der That der Fall. Man kann nur sagen, daß in dem 52 Nr. 3 sich ein Thatbestand befindet, der unter Umständen — aber auch nur unter Umftänden — ju einer Idealkonkurrenz mit dem Strafgesetzbuch fübrt. Aber im übrigen findet sich in dem Entwurf nichts, von dem behauptet werden könnte, es fiele jetzt bereits unter das geltende Recht gegen Erpressung.
Man hat aber den Herrn Abgeordneten auch so verstehen können, als wenn er hätte darlegen wollen, daß die Rechtsprechung des Reichs⸗ gerichts diese Bestimmung in einer unzulässig weiten Art interpretierte; und ich bin fast geneigt das anzunehmen, da er auf die Gründe eines Reichsgerichtsurtheils sich des näheren eingelassen hat. Nun habe ich schon dem Herrn Abgeordneten Bassermann gegenüber neulich gesagt — und ich bedauere, daß ich einem zweiten ausgezeichneten Juristen des Hauses gegenüber das wiederholen muß — daß es un— möglich ist, hier in diesem Hause auf Grund eines Erkenntnisses des Gerichtshofes, ja, auf Grund — wie der Herr Abgeordnete Heine heute versucht hat — einzelner Ausführungen in den Gründen eines Urtheils zutreffend darzulegen, daß das Reichs⸗ gericht in einer bestimmten Richtung seiner Rechtssprechung zuweit gehe. Das ist nach meiner Meinung nicht berechtigt, will man das Haus von der Tragweite und der Bedeutung der Rechtsprechung des Reichsgerichts wirklich überzeugen. Es ist falsch, meine Herren, einzelne Wendungen aus der Begründung eines be— stimmten Urtheils herauszuziehen und auf diese Wendungen allgemeine Sätze gründen zu wollen. Es wäre auch unrichtig, wenn man an— nehmen wollte, wozu die Ausführungen des Herrn Vorredners fast Veranlassung gegeben haben, als wenn es sich hier um Präjudikate des Reichsgerichts handele, die für die Ausführung des Erpressungs— paragraphen maßgebend seien. Das ist nicht der Fall. Um Präju⸗ dikate handelt es sich hier überhaupt nicht, solche liegen nicht vor; und die Ausführungen aus den Gründen des Reichsgerichtsurtheils, die der Herr Vorredner erwähnt hat, beziehen sich nur auf einen be stimmten Fall, sie lassen sich im Zusammenhang mit diesem Falle sehr wobl rechtfertigen, bekommen aber einen ganz anderen und dann natürlich einen unberechtigten Sinn, wenn man sie, losgelöst von diesem speziellen Fall, außer Zusammenhang mit der übrigen Begründung hier dem Hause vorführt
Meine Herren, das Reichsgericht hat sich in wieder holten Fällen mit der Frage der Auslegung des Erpressungs⸗ paragraphen in Bezug auf die Arbeiterverhältnisse beschäftigt, und ich möchte, um durch die Ausführungen des Herrn Vorredners Ihre Meinung über die Berechtigung des Standpunkts des Reichs— gerichts nicht vorweg beirren zu lassen, doch um die Erlaubniß bitten, Ihnen kurz den Thatbeftand von drei Fällen vorzutragen, welcher in den Gründen der Reichsgerichts⸗Urtheile festgestellt wurde, damit Sie beurtheilen können, welcher Sachverhalt in den fraglichen Prozeßfällen richterlicherseits als Erpressung angesehen worden ist. Ich lege Ihnen diese Fälle um so lieber vor, weil sie auch für die Beurtheilung der Agitation und Bewegung Bedeutung haben, die bei diesem Gesetz überhaupt in Frage kommen und die Bestrebungen der Arbeiterwelt deutlich zu illustrieren geeignet sind.
Meine Herren, hier liegt zunächst ein Urtbeil vor, in welchem zwei Fälle behandelt werden, bezüglich deren das Reichsgericht dem Vorrichter Recht gegeben hat, welcher annahm, daß der Thatbestand der Erpressung vorliege.
Der eine Fall ist folgender. An einem Wabltage strikten in einer Fabrik die Arbeiter. Sie haben dem Arbeitgeber davon Mit- theilung gemacht, der seinerseits die Arbeit nicht ruhen lassen wollte, was ja sein Recht war. Diese Haltung beantworteten die Arbeiter mit dem Strike, wozu auch sie befugt waren, und soweit ist die Sache in Ordnung. Darauf erklärte ihnen der Arbeitgeber, nachdem die Arbeiter ibrerseits nun einen Feiertag gemacht haben, mache er von seiner Freiheit Gebrauch und mache seinerseits zwei Feiertage, die Arbeiter möchten den nächsten und übernächsten Tag nicht erscheinen, sondern erst am dritten Tage, so lange lasse er nicht arbeiten — gewiß auch sein Recht, gerade so wie das Recht der Arbeiter, zu feiern. Nun aber kommt das Entscheidende. Nachdem dieses geschehen, tritt bei dem Arbeitgeber eine Lohnkommission an und verlangt von ihm Zahlung des Lohns für die beiden Tage, an denen er die Arbeit hat ruhen lassen, also Zahlung von Lohn für Tage, an denen die Arbeiter nicht gearbeitet baben; wenn das nicht geschebe, sei die weitere Einstellung der Arbeit die Folge. Da hat das Reichsgericht anerkannt: es liege ein unberechtigter Zwang gegen den Arbeitgeber vor, um den Arbeitern einen Lohn zu verschaffen für Tage, auf deren Bezahlung sie keinen Anspruch hatten, und ich appelliere an das Urtheil des bohen Hauses, ob das dem Rechtsgefübl widerspricht.
Der jweite Fall ist folgender. Ein Arbeitgeber entläßt mebrere seiner Arbeiter wegen Ungeborsams, er hat sich mit ihnen nicht ver⸗ tragen können. Wer Schuld hat, bleibt dahingeftellt, das ist auch in dem Urtheil nicht feftgestellt, darauf kommt es nicht an. Der Arbeitgeber bat das Recht, die Arbeiter zu entlassen, wenn er die gesetzliche Kündigungsfrist wahrt; von diesem Recht hat er Gebrauch gemacht. Nun, meine Herren, die Arbeiter scheiden aus, es tritt wieder eine fre mde Lohnkommission in Attion, diese Lohn⸗ kommission erscheint vor dem Arbeitgeber mit folgenden Forderungen: Erstens, er habe die entlassenen Arbeiter sofort wieder einzustellen; zweitens, er habe gewissermaßen zur Strafe an die Lohnkommission den Betrag eines Lohn⸗ tages für die entlassenen Arbeiter ju bezahlen. Wenn das nicht geschehe: dann Strike und Sperre! Also, meine Herren, der Arbeit- geber hat etwas gethan, was in seinem Recht liegt; dafür soll er gegen seinen Willen in seiner Fabrik gewisse Arbeiter einstellen und außerdem Strafe in Form eines gar nicht verdienten Lohnes zahlen. Da bat das Reiche gericht anerkannt: bier liegt der Fall der Er⸗ vreffung vor. ;
Drittens, meine Herren. Erst lürzlich hat in einer Stadt eine LZobhnkommission ohne Mitwirkung der Arbeitgeber einen neuen Lohn tarif aufgeftellt, von dem sie wünscht, daß er allgemein in dem be⸗ treffenden Gewerbe angenommen werde. Diese Lohnkommission — nicht die Arbeiter der einzelnen Werlstätte für fich —
sondern eine anderweite Lobnkommission richtet an den Arbeitgeber die Forderung: Du hast den Lobn tarif anzunebmen; wenn Du den Lohbntarif nicht annimmst, nicht etwa: dann striken wir, wozu sie das Recht haben, nein: dann striken wir und sperren Dich gleichzeitig aus, dann sorgen wir dafür, daß Du hinfüro Arbeiter nicht mehr bekommst. Diese Drohung ist Gegenstand der strafrecht⸗ lichen Verfolgung geworden, und da hat das Reichsgericht anerkannt, daß in dieser Art des Zwanges gegen einen Arbeitgeber, um ihm die Zahlung eines höheren Lohnes aufjudrängen, ein Zwang, der seine Fabrik völlig zum Stillstand bringen kann, allerdings eine widerrechtliche Bedrohung liege, der den Thatbestand der Erpreffung berzuftellen geeignet ist. Ich führe Ihnen den Sach verhalt vor, so wie er in den Gründen der Reichsgerichtsentscheidung festgestellt ist, und appelliere an Ihr Rechtsgefühl, ob hierin wirklich eine unnatürliche Ausdehnung des Begriffes der Erpressung liegt. Diese Fälle sind belehrend für die Verhältnisse, die bier vorliegen, und auch für das, was die Vorlage verhindern will, sie lehren auch, wie gefährlich es ist, aus einzelnen Urtheilen gewisse Stellen heraus—⸗ zuziehen und damit dem bohen Hause, ohne daß es den Thatbestand, der den Urtheilen zu Grunde gelegen hat, kennt, eine bestimmte Meinung über die Berechtigung der Judikatur beizubringen.
Nun hat der Herr Abgeordnete auch den Rechtsfall berührt, der sich hier in den letzten Tagen in Berlin abgespielt hat, worin unter Zugrundelegung einer Anzahl Urtheile Königlich sächsischer Ge—⸗ richte eine Freisprechung erfolgt ist. Meine Herren, ich stehe auf dem Standpunkt — ich habe das wiederholt bier im Hause aus—⸗ zuführen Gelegenheit gehabt — daß das Haus berechtigt ist, richterliche Urtheile, wenn sie geeignet sind, die ganze Rechtslage und das Bedürfniß einer Veränderung unserer Gesetzgebung zu erläutern, hier einer Kritik zu unterwerfen, — daß das unter Umständen sogar geboten sein kann. Ich halte aber auch daran fest, meine Herren, daß man richterliche Urtheile vor die hohe Instanz dieses Hauses nicht bringen soll, bevor das Haus in der Lage ist, authentische Kenntniß zu nebmen von dem Sachverhalt, der dem Urtheil zu Grunde liegt, und von der Begründung, die die Richter ihm gegeben haben. Keines von beiden ist jetzt der Fall. Der Herr Vorredner ist allerdings in der Lage gewesen, von dem Prozeß intime Kenntniß zu nehmen, weil er, wie er uns vorber erklärt hat, Vertheidiger in der Sache gewesen ist. Ich frage ihn als Juristen, ob nicht der Umstand gerade, daß er Vertheidiger, also Partei war, ihn hätte verhindern müssen, heute hier das Haus aufzurufen, um ein Urtheil zu fällen, während wir unsererseits in Vertretung der Judikatur nicht in der Lage sind, die Sache zu kennen und darzulegen. Ich, meine Herren, kenne den Richterspruch noch nicht und enthalte mich unter diesen Umständen einer Würdigung desselben. Der preußisch⸗ Herr Justiz⸗Minister hat ihn gestern wenigstens auch noch nicht gekannt. Wir sind deshalb nach meiner Meinung noch nicht in der Lage, den Inhalt dieses Spruches zu diskutieren, und ich muß ablehnen den Versuch des Herrn Abgeordneten Heine, mich hier in eine Er— örterung dieses Urtheils hineinzuziehen. Ich glaube, der billige Sinn des hohen Hauses wird mir darin beitreten, daß, wenn der Reichstag eine Stellung nehmen soll, er es nur kann, wenn ihm das Material authentisch und vollständig vorgelegt ist. (Sehr richtig!)
Der Herr Vorredner ist dann eingegangen auf eine Auslegung, die ich gegenüber den Ausführungen des Herrn Abg. Bassermann in der vorletzten Sitzung gemacht babe, bezüglich der Tragweite der Worte „wer es unternimmt“ in dem § 1 der Vorlage. Der Herr Vorredner hat gesagt, daß meine juristischen Darlegungen in dieser Beziehung unrichtig seien, daß das Urtheil, auf das ich mich bezogen habe, nur ein einzelnes Recteverhältniß betreffe und daß für die Auslegung des unternehmen“ hier namentlich in Betracht komme der § 82 des Strafgesetz⸗ buchs, bei dem eine ganz andere Auffassung von dem Begriffe zur Geltung gekommen sei, daß überhaupt die Judikatur und die Wissen⸗ schaft die Auslegung, die ich dem Begriff gegeben habe, nicht aner— kenne, und hat gemeint, daß, wenn die Regierung so unglücklich bei der Fassung des 51 gewesen sei, sie gewiß bei den weiteren Ver— handlungen im Plenum des Hauses Veranlassung nehmen werde, ihrer⸗ seits dem Paragraphen eine bessere Fassung zu geben.
Meine Herren, diese Ausführungen sind unrichtig. Wenn der Herr Vorredner sich auf 5 82 des Strafgesetzbuchs berufen hat, sollte er als Jurist doch wissen, daß dieser Paragraph einen Begriff des Unternehmens behandelt, der ganz abseits liegt von den übrigen Fällen, in denen das Strafgesetzbuch den Begriff des Unter⸗ nebmens aufgenommen hat. Wir haben zwei verschiedene Auf- fafsungen von diesem Begriff in dem Strafgesetzbuche: die eine kommt im 5 82, wo es sich um Hochverrath handelt, die andere in den sonstigen Fällen zur Geltung. In diesen anderen Fällen ist die Auslegung zutreffend, die ich dem 51 der Vorlage zu Grunde gelegt habe: dahin, daß das Wort unternehmen“ nicht weiter zurück⸗ geht in dos Anfangestadium des strafbaren Handelns als das Wort versuchen!. Das, meine Herren, trifft nicht nur zu für den einen Fall, von dem der Herr Vorredner gesprochen hat, sondern überhaupt für die Auffassung des Reichs. gerichts, das stimmt überein mit der überwiegenden Auffassang der Rechtswissenschaft, und ich kann Ihnen einen hoch angesehenen Rechts—⸗ lehrer nennen — nebenbei einen Mann von ganz liberaler Auffassung — das ist der Professor Berner an der hiesigen Universität, der Nestor der deutschen Kriminalistit. Nun gebe ich zu, daß auch andere Auffassungen in Literatur und Praxis zur Erscheinung gekommen sind. Aber ich darf festhalten, was ich vorgestern schon bebauptet babe, das Reichsgericht steht auf dem Standpunkt, den ich Ihnen darlegte, und die Rechtewissenschaft in überwiegender Majorität ebenfalls. Daraus habe ich hergeleitet, daß es ungerecht ist, uns zu unterstellen, als ob wir den Versuch machten, bier wie auf heimlichem Wege die Grenze des strafrechtlichen Deliktes zu erweitern. Nein, meine Herren, so hinterlistig sind wie in der That bei der Sache nicht vorgegangen. Ich habe Ihnen neulich erklärt, daß nach Ansicht der verbündeten Regierungen, was übrigens schon in der Begründung der Vorlage zur Ausführung gekommen ist — ich bitte nur Seite 12 der Motive anjusehen —, der Begriff des Unternehmens hier nicht weiter reichen soll wie der Begriff des Versuchek. Wenn der Herr Abg. Bassermann die Begründung in diesem Punkte gelesen hätte, würde er uns seinen Vorwurf nicht gemacht haben. Ich wiederhole also: wenn die Herren hier im Hause den Paragraphen anders fassen wollen, um das klarer zu stellen: die verbündeten Regierungen werden nichts dagegen haben, haben aber
; . ö 6. ö ö ( ihrerseits keine Veranlassung, dazu die Initiative zu ergreifen; sie können eben nicht zugeben, was der Herr Abg. Heine behauptet hat daß sie in ihrer Formulierung unglücklich gewesen seien. ö
Im übrigen muß ich erwähnen, daß diese Frage schon im Jahre 1891 bei dem bekannten Gesetzentwurf der verbündeten Regierungen den der preußische Minister von Berlepsch vertheidigte, . führlich erörtert ist, daß sie in dem gedrucklen Kommissiong. bericht zur Sprache gebracht ist, daß die Regierung damals bereits die gleiche Ansicht entwickelt hat, und der Herr Abg. Schaedler ohne Widerspruch von einer Seite erklärt hat, man beruhige sich bei der Darlegung der Regierungsvertreter und babe keine Veranlassung, eine Aenderung der Fassung zu wünschen. Trotzdem versucht man jetzt, uns zu unterstellen, als wenn wir auf Umwegen den Strafbegriff dez Delikts erweitern wollen. Das ist unbillig, meine Herren, und Sie würden zu diesem Versuch nicht gekommen sein, wenn Sie die früheren Verhandlungen und die Begründung der gegenwärtigen Vorlage genau verfolgt hätten.
Meine Herren, der Abgeordnete ist dann noch auf das Strike— postensteben zu sprechen gekommen. Ich übergehe sonst von ihm be— rührte Einzelheiten in den anderen Paragraphen, muß aber diese Vorschrift erwähnen, weil auch bier die gehörten Ausführungen zu einer unrichtigen Auffassung der Vorlage leicht fübren könnten. Der Herr Redner hat also beim 5 4 das Strikepostenstehen so dar⸗ gestellt, als ob es in den meisten Fällen nicht mit Drohungen ver bunden, sondern ganz harmloser Natur sei. Wie weit das thatsäͤchlich zutrifft, will ich nicht beurtheilen. Vom juristischen Standpunkt kann ich nur sagen, daß auch die Vorlage keineswegs die Absicht hat, jedes Strikepostenstehen unter Strafe zu stellen, sondern, indem sie das Strikepestenstehen unter den Begriff der SF 1 und 2 bringt, nur aussprechen will, daß das Postenausstellen dann strafbar wird, wenn die Betheiligten dies Mittel benutzen wollen, auf die Arbeiter, die heranziehen, einen Zwang auszuüben und sie so ihrem Willen gefügig zu machen. Sobald im Einzelfalle die Sache dahin klargestellt wird, daß die Strikeposten nichts Anderes bezwecken, als den Leuten gütlich zuzureden, sobald sich ergiebt, daß es keinen anderen Zweck hat, als die Leute darüber zu unterrichten, daß ein Strike ausgebrochen sei — bis zu dieser Grenze, meine Herren, bleibt auch nach der Vorlage das Ausstellen von Strikeposten straflos; es wird erst dann strafbar, wenn es in den Bereich eines unberechtigten Zwanges gegen die jzu⸗ wandernden Arbeitslustigen übergreift. (Zuruf links.) Das geht auch aus der Begründung der Vorlage hervor, und es ist die jweifellose Absicht der verbündeten Regierungen. Ich bitte also, wenn weiterhin im Hause, oder wenn draußen im Lande gegen diese Paragraphen Einspruch erhoben wird, diejenige Auslegung zu Grunde zu legen, von der ich Ihnen hier im Namen der Regierung Kenntniß gegeben habe. (Zurufe links) Ja, meine Herren, wenn Sie das anders als die Vorlage ausdrücken wollen, ich gebe zu, daß Sie vielleicht glücklicher in der Fassung sein werden als wir; wir werden uns jeder Fassung, die nach dieser Richtung den Gedanken des Entwurfs klar ausspricht, gern fügen. Nun, meine Herren, ist der Herr Abg. Heine noch einmal gekommen auf die Denkschrift. Ich verüble ihm das, von seinem Standpunkt aus betrachtet, nicht; aber ich glaube, er hat keine Veranlassung, mich mit der Denkschrift noch einmal in eine Verbindung zu bringen, die durch die Bemerkung, die ich neulich machte, nicht gerechtfertigt ist.
Herr Abg. Heine hat sich vorher gegen die Ausführungen eines Vertreters der verbündeten Regierungen mit einiger Schärfe gewendet, um sich davor zu schützen, daß man nicht den Worten eines Redners im Hause eine unrichtige Auffassung gebe, um auf diese Weise besser ihn bekämpfen zu können. Ich glaube, dem Herrn Abgeordneten wird vielleicht das Gewissen etwas schlagen, wenn er diese Mahnung an die Vertreter der verbündeten Regierungen vergleicht mit dem, was er mit gegenüber versucht hat. Der Herr Abgeordnete hat gesagt, er habe angenommen, daß nach dem, was der Staatssekretär des Reichs Justizamts vorgestern bemerkt babe, die Denkschrift als erledigt gelten werde. Meine Herren, ich habe gegen den Inbalt der Denkschrift kein Wort gesagt. Ich habe hier kein Wort laut werden lassen, was dem Herrn Abgeordneten Grund zur Annahme hätte geben können, lals ob ich den Inhalt der Denkschrift verurtheilt oder preisgegeben hätte. Ich habe einfach aus— geführt, um einer mehrfach im Hause bervorgetretenen irrigen Außsfassung entgegenzuwirken, daß die Denkschrift nicht den Zweck habe, jur Begründung der Einzelbestimmungen der Vorlage zu dienen, was übrigens aus ihrer ganzen geschäftlichen Behandlung klar erhellt, was auch gestern der Herr Staatssekretär des Innern nochmals hervorgehoben bat; sie hat nur den Zweck, Ihnen ein allgemeines Bild der Lage bezüglich der in Frage kommenden Arbeiterverhältnisse zu geben. Deshalb können Sie aus Einzelheiten der Denkschrift nichts herleiten, was für die Tragweite der vorliegenden Vorschläge maßgebend wäre. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten) Meine Herren, das habe ich vorgestern erklärt und glaube, der Herr Abg. Heine bat keine Berechtigung zu sprechen, als ob durch meine früheren Ausfübrungen die Denkschrift als abgetan erscheine. Das ist nicht der Fall. Ich babe mich insbesondere, meine Herren, gegen die Ausführungen, die die Denkschrift betreffen, deshalb gewendet, weil es mir auffallend erschien, daß man hier zwar sehr ausführlich und faft leidenschaftlich selbst ganz untergeordnete Einzelheiten — der Herr Abg. Heine hat beute den sprechenden Beweis dafür gegeben — lsebr richtig! rechts der Denkschrift mit einer großen Breite behandelt, während man die maßgebenden Grundlagen unserer Vorlage in dieser ersten Lesung fast todtschweigt. (Sehr richtig! rechts. Lachen bei den Sozialdemokraten. Ich bin der Meinung, wenn die Debatte in der durch den Charakter einer ersten Lesung gewiesenen Richtung gegangen wäre, so bätte das hohe Haus sich die Frage vor⸗ gelegt: sind denn die tbatsächlichen Vorgänge, die insbesondere S§ 1 und 2 behandeln, wie sie gestern der Herr Handels⸗Minister von Preußen näher ausgeführt hat, sind die Vorgänge, die nach §§ 1 und 2 nun unter Strafe gestellt werden sollen, wirklich in solcher Art, in solchem Umfang vorgekommen, daß sie gemeingefährlich und straf⸗ fällig erscheinen müssen? Das hat man aber im Großen und Ganjen hier nicht gethan; man ist alsbald auf die folgenden Paragraphen übergegangen und hat Einzelfragen behandelt und Einzelvorschläͤge kritisiert, über die vielleicht sich streiten läßt, über deren Begründung man vielleicht nach der einen oder anderen Richtung diskutieren kann. Wir sind gewiß bereit, darüber in die Diskussion einzutreten, aber wir mäüssen doch heworbeben, daß die Grundlagen des Entwurft sachlich hier kaum bemängelt worden sind. Dagegen habe ich mich
der Denkschrift
neulich gewandt, indem ich die Denkschrift erwähnte, die ja einen sehr bequemen Vorwand gab, um hier die Debatte auf Dinge zu bringen, die bei Beurtbeilung der Vorlage für das hbobe Haus nicht ent— scheidend sein können. Meine Herren, ich bin der Meinung, daß bei der weiteren Prüfung der Vorlage dieser Gesichtspunkt mehr zur Geltung kommen muß, daß das hobe Haus auf Grund der that— sachlich bestehenden wirthschaftlichen Verhältnisse und Miß⸗ stãnde, Mißflãnde, die unbestreitbar vor uns liegen, prüfen sollte, ob die allgemeinen Grundsätze in den ersten Paragraphen unserer Vorlatze — Fassung ganz dahingestellt, Strafmaß vorbehalten, das sind ver⸗ hältnißmäßig untergeordnete Dinge — nicht doch berechtigt sind, und dann werden Sie — das hoffe ich wenigstens — zu einer anderen Beurtheilung der Vorlage kommen. Ich kann nur wiederholen: diese Grundsätze werden, wenn sie dieses Mal nicht durchdringen, später sich doch Geltung verschaffen, wieder vor Ihnen erscheinen, und die Gewalt der Thatsachen wird Ihnen die Zustimmung zu unseren Vor schlägen abiwingen. (Bravo! rechts, Widerspruch links.)
Königlich sächsischer Ministerial⸗Direktor Dr. Fischer: Die breiten Ausfübrungen des Herrn Abg. Heine veranlassen mich nach jwel Richtungen zu ganz karzen Bemerkungen. Meine Herren, man brauchte kein Prophet zu sein, um vorauszusehen, daß die soꝛialdemokratische Partei es nicht übers Herm bringen würde, das bekannte Urtheil des Berliner Landgerichts nicht noch in letzter Stunde bier vorzubringen und möglichst zu fruktifizieren. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) — Auf den Zurus erlaube ich mir zu bemerken, daß der Herr Abg. noesscke sich nicht den Dank Ihrer Partei verdient baben wird dadurch, daß er Ihnen bereits gestern die größten und schönsten Ro- sinen aus den Stollen mit der Erwähnung dieses Urtheils weg genommen hat! Nun hat der Herr Abg. Heine meine in dieser Angelegenheit gestern abgegebene einfache kurze Erklärung als ein Fechterkunststück kennzeichnen ju sollen geglaubt. Meine Herren, Fechterkunststücke zu machen, ist nicht meines Amtes und würde auch mit meinem Beruf unvereinbar sein. Ich äüberlasse das anderen Leuten! Gewiß, meine Herren, ich mache also keine Fechterkunststücke, ich habe gestern keinesfalls eine gar nicht aufgestellte Behauptung widerlegt, sondern einfach erwähnt, daß in einem Journal zu lesen war, daß das biesige Land⸗
ericht thatsächlich festgestellt habe, unser OberLandesgericht habe das . gebeugt und die Sozialdemokraten parteiisch behandelt. Darauf habe ich eine ähnliche Erklärung abgegeben, wie Seine Excellen; der Herr Staatssekretär der Justiz sie heute hier abgegeben bat. Wenn es richtig ist, was der Herr Abg. Heine, der als Vertbeidiger den Sachverhalt genau kennen muß, über das fragliche Urtheil behauptet hat, so erkläre ich: Die Sache ist zwar nicht so schlimm, als man sie sich nach diesen Zeitungsnachrichten vorstellen sollte. Sie ist aber immer noch schlimm genug. Und nur meine Abneigung, richterliche Erkenntnisse, besonders bevor sie im Wortlaut vorliegen, zu kritisieren, hält mich ab, mein Urtheil hierüber gebührend zu kenn je chnen. Der Herr Abg. Heine hat in seiner beutigen Rede und auch in seiner Berufstbätigkeit sich als einen feinen Juristen gekennjeichnet — Zeugniß dafür: Seine Excellenz der Herr Staatssekretär der Justiz. Ich mache ihm diesen Ruhm nicht streitig; allein das muß ich sagen, daß er sich als einen miserabeln Kenner der sächsischen Verhältnisse beute dokumentiert bat, und daß ich lebhaft bedaure, daß er sich nicht an besser Unterrichtete gewandt hat, als er sich hierüber Raths hat holen wollen. Meine Herren, insbesondere über die Verhältnisse des Dresdner Journals ist er sich vollständig im Unklaren. Ich möchte nicht zu so später Stunde und mit Rücksiicht darauf, daß eine Sitzung mich nachher in Anspruch nimmt, auf diese Angelegenheiten näber eingehen. Ich erlaube mir nur, dem Herrn Abg. Heine hier dieses Exemplar des „Dresdner Journals“ zu überreichen und ersuche ibn, an der Hand desselben sich davon zu überzeugen, wer als Redakteur des „Dresdner Journals“ zeichnet. Der Abg. Heine bat bei Er⸗ wähnung des „Dresdner Journals“ u. a. einiger Artikel gedacht, die, wie er ganz loval ausgeführt hat, im 2 Theil des „Dresdner Journals“ veröffentlicht sind. Auch ich habe die Artikel gelesen; ich bin wenigstens überzeugt, daß wir uns in dem treffen, was er meinte: es sind die , , eines Unbefangenen“. Soviel ich weiß, rühren diese Artikel nicht von einem Redakteur des „Dresdner Journals“, sondern von einem Privatmann her. Sie enthalten zweifellos viele Wahr beiten, die selbst der Abg. Heine nicht wird bestreiten können und die nur in ziemlich drastischer Sprache vorgebracht sind. (Zuruf bei den Sozialdemokraten. — Das gebe ich zu: Sie enthalten auch einiges, worüber sich streiten läßt! Aber, meine Herren, das ist doch noch kein Grund, diese Artikel mit dem Prädikat unverschämt“ zu bezeichnen, wie es der Abg. Heine thun zu sollen geglaubt hat. Meine Herren, wenn ich alles das, was ich z. B. im Vorwärts“ ju lesen bekomme und was mit meiner Parteistellung nicht übereinstimmt, als unver⸗ schämt bezeichnen wollte, so haͤtte ich den ganzen Tag nichts weiter zu thun, als diesen Ausdruck zu brauchen!
Direktor im Reichs amt des Innern Dr. von Woedtke: Der Herr Abg. Heine bat in seinen Ausführungen, wie manche der Herren Vorredner in den vorigen Tagen, sich wiederholt mit der Denkschrift beschäftigt, welche dem boben Hause mit der ihn jetzt beschäftigenden Vorlage vorgelegt ist. Er hat sie nicht sehr freundlich bebandelt, und dieselbe unfreundliche Behandlung bat auch eine Anzahl anderer Redner der Denkschrift gegenüber hervortreten lassen. Daß Mit- glieder der sozialdemokratischen Partei mit der Denkschrift nicht ein- derstanden sind und sich bemühen, an derselben herumzumäkeln und berumzunörgeln (Lachen und Zurufe links) — selbstverständ⸗ lich bejiebe ich diesen Ausdruck nicht auf die anwesenden Herren — das ist mir nicht einen Augeyblic wunderbar, denn, meine Herren, in der Denkschrift ist ein Material zusammen getragen, welches, wie ich glaube, draußen im Lande vielen Leuten die Augen öffnen wird (3wischenrufe bei den Sozialdemokraten) über den kolossalen Unfug, der draußen im Lande — — lwiederbolte Zwischen⸗ rufe bei den Sollaldemokrafen. Glocke des Präsidenten). (Präsident: Ich bitte um Ruhe.) — über den kolossalen Unfug, der draußen im Lande getrieben wird bei Strikes und bei der Terrorisierung arbeits— williger Leute, solcher Leute, die nicht Lust baben zu striken, und ihre guten Gründe dazu haben, mit den Strikes nicht einverstanden zu ein. (Zurufe, bei den Sozialdemokraten. Glocke des Präsidenten.) Präsident: Herr Abg. Bebel, ich bitte Sie, nicht zu unterbrechen) Selbftverständlich, meine Herren, übernehmen die Verfasser der Denk schrift die volle Verantwortung dafür, daß auf Grund des ibnen bei⸗ Lebrachten Materials die Denkschrift richtig aufgestellt worden ist. Ob das Materlal in allen Beziebungen einwandfrei ist, dafür können die Verfasser des Entwurfs natürlich nicht einstehen. Ich nehme das aber an und muß es zweifellog bis auf weiteres annehmen; denn das Material, welches in der Denkschrift zusammengetragen ist, kommt von den Behörden, die die unvparteiischen Häter des Rechts sind Lachen bei den Sozialdemokraten), und bis uns der Beweis geführt ist, daß in dem einen oder anderen Punkte die Denkschrist nicht vollständig das Richtige trifft, so lange wird von uns an der Behauptung festgebalten werden, daß in der That dasjenige, was darin steht, auch richtig ist. Meine Herren, die Be— mängelungen der Denkschrift befassen sich, und das ist bereits vom Derin Staatssekretär Dr. Nieberding ausgeführt worden, jum großen
beil mit kleinen zurücktretenden Einzelheiten; noch mehr aber gehen
die Bemängelungen darauf aus, einzelne Sätze aus dem Zusammen—
ange herauszureißen und sie dann durch die Zähne zu ziehen, nach dem sie so ein ganz anderes Gesicht bekommen haben. Das ist wohl, wie ich glaube, ein etwas wohlfeiles Vergnügen. In einigen Punkten aber — auf alle kann ich nicht eingehen — muß ich doch auf Einzel⸗ beiten der Denkschrift zurückkommen, die heut und jwar von Herrn eine als unzutreffend bezeichnet worden sind. Ich werde mich dabei tbunlichst kurz fassen, um Ihre Zeit nicht alljulange in Anspruch zu nehmen. Der Herr Abg. Feine hat den auf Seite 77 behandelten Fall eines Weißgerbergesellen
in Osterwieck herausgegriffen und ist der Meinung, es stehe mit den Thatsachen nicht im Ei leidigungen sowie zu Thätlichkeiten, und der Betriebsinbaber sah sich auf das Verlangen der organisierten Arbeiter alsbald zur Entlassung des V. genöthigt. Nun, meine Herren, das, was über diesen Fall in der Schrift gesagt wird, ist fast wörtlich aus dem Bexicht, der dem Reichsamt des Innern zugegangen war, entnommen. Es ergiebt sich aus diesem Bericht, daß der Weißgerbergeselle, von dem bier die Rede ist, um deßwillen sich den Haß seiner Mitarbeiter zugezogen hatte, weil er nicht, wie diese, einer sozialdemokratische Ziele verfolzenden Organisation angehören wollte; er war aus dieser Organisatign ausgetreten, und das war die Veranlassung ju dem Haß, den seine Mitarbeiter gegen ihn begten, und zu den Mißbelligkeiten und Streitigkeiten, die jwischen ihm und seinen Mitarbeitern demnächst vorgekommen sind. Daß so etwas vorkommen kann, ist gar nicht verwunderlich; das kommt. sogar alle Tage vor. Diese Streitigkeiten und Mißhelligkeiten, die zu der Forderung seiner Mitarbeiter, ihn zu entlassen, führten. batten also ibren Anlaß in seiner Stellung zu der Organisation; sie baben dann weiter dazu gefübrt, daß ein Zufammenarbeiten dieses Mannes mit den anderen Kollegen nicht mehr möglich erschien, daß der Mann entlassen werden mußte, auch anderweit keine Arbeit mebr erbalten (konnte und so für längere Zeit außerordentlich in seiner Erwerbsthätigkeit beschränkt wurde. Jun wird bier gesagt, dieser Arbeiter sei ein zänkischer Mann gewesen und babe aus diesem Grunde keine, Arbeit bekommen. Das steht in direktem Widerspruch mit dem vorliegenden Bericht, worin er als ruhig und fleißig bezeichnet wird. Es wird aber unsere Aufgabe sein, um auch in dieser Beziebung, wie in dem ganzen Entwurfe, Licht und Schatten gleichmäßig zu vertheilen, noch einmal Umfrage im Lande zu halten, um festzustellen, wie die Dinge sich in dem vorliegenden Falle thatsächlich verhalten. Herr Heine bat sich dann darüber aufgebalten, daß die Denkschrift einen nach seinem Dafürhalten untergeordneten Fall zur Sprache gebracht hat; und er bat gemeint, es selt doch wirklich ein bischen viel, daß man gerade eine so geringfügige Sache berverhebe, um die Schrecken der Sozialdemokratie und die Schrecken des Terrorismus zegen andere Arbeiter damit zu illustrieren. Herr Heine bat sich dabei auf Seite 34 der Denkschrift bezogen, wo ein Vorgang aus Spandau berichtet wird. Er meint, in der Benkschrist stebe, es sei dort auf die Latrinenthür eines Baues eine abfällige Bemerkung über Streikbrecher geschrieben gewesen, und bieran tnüpfe die Denkschrift die Worte: „Hierdurch geängftigt, haben, wie der Regierungs- Präsident zu Potsdam berichtet, kbatsächlich einige arbeitswillige Gesellen die Arbeit niedergelegt und Spandau verlassen'. Herr Heine hat hier aber nicht vollständig zitiert. Zunächst war die Bemerkung nicht etwa,. wie dies allerdings auch bei Bemerkungen anderer Art zuweilen vorkommt, an die Thür der Latrine (etwa mit Kreide) geschrieben, sondern an der Latrinen⸗ thür war, wie es in der Denkschrift heißt, eine Tafel mit der In schrist befefligt: ‚Streikbrecher und Denunziant ist der größte Lump im ganzen Land?. Außerdem stebt in der Denkschrift unmittelbar vorher noch Folgendes über denselben Ausstand: „Während des Spandauer Maurerausstandes vom Herbste 1398 waren an einem Baue, auf dem weitergearbeitet wurde, Tafeln mit der Ausschrift an⸗ ebracht: .J. Gebot. Du sollst nicht streikbrechen! II. Gebot. 36 letzten Male laßt Euch warnen, sonst wird das Unglück Euch umarmen!“ An diese beiden Ereignisse knüpft dann die Denlschrift allerdings die Bemerkung, daß hierdurch geängstigt, einzelne Arbeite willige die Arbeit niedergelegt und Spandau verlassen hätten. Ich kann nun dem Herrn Abg. Heine nicht darin Recht geben, wenn er spottend meint, das Angstgefühl, welches diese Leute infolge dieser wiederholten, miteinander zusammentreffenden und an verschiedenen Orten angebrachten Warnungen empfunden haben, sei unmöglich der Grund für sie gewesen, die Arbeit einzuftellen. Ich meine im Gegen⸗ theil, daß es sich hier in der That um Einschüchterungen grober Art handelt, die um so verwerflicher sind, weil jeder, der davon betroffen wird, aus der Erfahrung seiner Genossen weiß, wie es ihm ergebt, wenn er sich diesen Einschüchterungen nicht fügt. Ferner bat der Herr Abg. Heine auf Seite 12 der Denkschrist verwiesen, wo Folgendes steht: Am 16. August 1897 wurde im Geschäftszimmer des Strikecomitéss zu Leipzig ein Arbeiter, der sich dort Reisegeld zur Rückkebr auszahlen lassen wollte, vor den Augen der Mitglieder dieses Comités von den Maurern, die ihn dorthin geleitet batten, erfaßt und mit vereinten Kräften ge⸗— schlagen, sodann ins Vorzimmer gezogen, dort zu Boden geworfen und mit Füßen getreten. Herr Heine war der Meinung, daß diese Erzählung thatsäͤchlich unrichtig sei, was aus dem gerichtlichen Urtheil berborgehe. Wie liegen denn bier die Dinge? Auch hier enispricht die Mittheilung vollständig dem uns zugegangenen Bericht. Inzwischen ist uns noch weiteres Material und jwar über die gericht lichen Verhandlungen zugegangen. Darüber, daß der be⸗ treffende Arbeiter recht tächtig durchgeschlagen und zerschlagen wurde, als er den Versuch machte, mit dem Strike comité zu verhandeln, besteht kein Zweifel; das beweisen die Flecke an seinem Körper, er ist braun und blau geschlagen. Ez fragt sich nun: wer ist der Thäter? Angeklagt war ein Mitglied des Strike comité z wegen Theilnahme oder Begünstigung dieser Mißhandlung; in zweiter Instanz wurde es allerdings freigesprochen. Aber weshalb? Nicht etwa, weil es an der Mißbandlung nicht betheiligt gewesen wäre, sondern, wie das mir vorliegende Urtheil lautet, weil der Angeklagte Lehmann der psychischen Beihilfe zwar verdächtig aber namentlich mit Rück⸗ sicht auf die in erbeblichen Punkten abgeblaßten neueren Daistellungen nicht voll überfübrt sei'. Also wie aus diesem Erkenntniß etwas ab- geleitet werden soll, was die Unrichtigkeit der von uns auf Seite 14 gegebenen Darstellung ergiebt, daz ist mir nicht verständlich. Sodann hat der Herr Abg. Heine weiter es für lächerlich gehalten — er erwähnte es nur andeutungsweise —, daß in der Denkschrift ein Fall vorgetragen ist, wo ein Mädchen auf dem Tanzboden auf das gröblichste beleidigt und bloßgestellt worden sei. Die Denkschrift sagt darüber auf Seite 34 Folgendes: Hier hatte sich zu einem öffentlichen Tanzvergnügen, welches hauptsächlich von Fabrskarbeitern besucht war, auch ein Mädchen eingefunden, das sich nicht an dem Strike be theiligte. Einer der Ausständigen tanzte mit ihr, ließ sie aber, während auf Verabredung alle Anderen zu tanzen aufbörten, mitten im Saale mit den Worten stehen: „Ein ehrlicher Arbeiter tanzt mit keiner Strikebrecherin. Pfai!“ In das Pfui stimmte die gesammte übrige Gesellschaft ein.“ Wie man diesen Vorgang, dessen Richtigkeit nicht bestritten wird, als harmlos, al etwag ganz Unbedeutendes hinstellen kann, das garnicht geeignet sei, auf den Striketerrorismus ein grelles Licht zu werfen, das verstehe ich nicht. Nach meiner Auffassung giebt es kaum eine größere Beleidigung für ein ebrliches, anständiges . als auf diese Weise auf dem Tanzboden bloßgestellt zu werden, bloß um deswillen, weil sie ihre Beruftarbeit weiter verrichten will, während Andere dies aus eigennützigen Motiven zu verhindern suchen. Sodann bemängelte der Herr Abg. Heine verschiedene Ginzelheiten des Entwurfs, zu denen ich jetzt übergehen will. Er hat sich besonders an dem §z 7 gerieben, der denjenigen bestrafen will, der an einer öffentlichen Zusammenrottung theilnimmt, bei welcher eine r nnn der in 5 1 ff. bezeichneten Art vorgenommen ist. Der Herr Abgeordnete hat gemeint, dag grenze an chinesische Ver= bältnisse, w, wenn man nicht den Thäter fassen kann, irgend ein beliebiger Anderer bestraft werden könne. Ich werde dem Herrn Abg. Heine nach China nicht folgen; das brauche ich nicht; ich will ihn' nur darauf aufmerksam machen, daß schon ein Paragraph unseres deutschen Strafgesttzbuchs, den er — obwohl er gewiß ein tüchtiger Jurist ist — anscheinend nicht im Kopf gehabt hat, ganz ähnliche Bestimmungen enthält. Es ist der § 115 dez Strafgesetz buch, der vom Auflauf handelt; der macht es zum selbständigen Delikt, wenn semand an einer öffentlichen Zusammenrottung, bei welcher gewisse Handlungen begangen sind, beüheiligt war. Nichts Anderes wi auch der in . stehende 5 7, wenn er sagt: Wer an einer öffentlichen Zusammenrottung, bei der eine Handlung der in den 85 1 bis 6 be⸗ zeichneten Art mit vereinten Kräften begangen wird, theilnimmt, wirb mit Gefängniß bestraft. Dieser ist denn auch in seinen Voraussetzungen ganz ähnlich aufzufassen wie 115 des Strafgesetzbucht.
inklang, wenn es bier beißt: Es kam zu Be⸗
Nicht schon derjenige, der lediglich in einen Haufen bineingerätb, wo dergleichen Handlungen begangen sind, fällt ohne weiteres unter diese Bestimmung, sondern, wie die Motive sagen, diese Strafandrohung bezieht sich nur auf Fälle, wenn der Thäter vorsätzlich und mit Kenntniß von dem strafbaren Zwecke der Zusammenrottung der zu⸗ sammengerotteten Menge sich angeschlofsen bat oder doch nach erlangter Kenntniß in derselben vorsätzlich verblieben ist. In diesem Sinne ist, wie ich glaube, der 7 vollberechtigt; er enthält eine wünscheng⸗ werthe Ergänzung des § 115 des Strafgesetzbuchs. Am Schlusse seiner Darstellung hat der Herr Abg. Heine es für nöthig gehalten, eine Forderung aufjustellen, die noch niemals den verehrten Herren bestritten worden ist. Er bat gesagt: was wir fordern, ift das Recht, auf Andersdenkende mit allen zulässigen Mitteln der Ueber redung, auch des Appells an ihr Ehrgefübl, einzuwirken und sie zum Anschluß an einen Strike zu veranlassen. Ja, Herr Heine, das hat Ihnen kein Mensch bestritten, ins besondere bestreitet das die Vorlage der verbündeten Regierungen in keiner Weise. Sie bestreitet nicht das Recht, mit allen erlaubten Mitteln Ibre Meinung anderen Genossen beizubringen, andere Genossen zu überreden, Ihrer Meinung beizutreten. Nur darin befinden wir uns in Meinungs- verschiedenbeit: Sie verlangen, daß auch unerlaubte Mittel, Drohungen, zulässig sein sollen, wäbrend die verbündeten Regierungen solche Mittel hier wie auch sonst perborreszieren. Die Herren von der sozialdem okratischen Partei, das hat Herr Heine mit dürren Worten erklärt, verlangen, daß zur wirksamen Ausübung des Koalitionsrechts auch Drohungen erlaubt sein müssen. Da sind wir anderer Meinung; wir glauben, daß Drohungen, daß Versuche, mit unerlaubten Mitteln ein= zuwirken auf Andersdenkende, eins von den Mitteln sind, die nicht zugelassen werden sollen, um Sie in Ibrer Agitation ju stärken. Meine Herren, die Chbarakteristik, die Sie den Strikebrechern haben zu theil werden lassen, wird, wie ich glaube, ebenfalls dazu beitragen, in den Kreisen der Bevölkerung klarzulegen, was Sie eigentlich wollen, und zwar gerade dort, wo man das bisher etwa noch nicht wissen sollte Der Herr Abg. Heine hat beute mit dürren Worten das wiederholt, was in einer ganzen Reihe von Zeitungen, inebesondere im „Vorwärts“ und in ähnlich gerichteten Blättern mannigfach in der letzten Zeit behauptet worden ist, daß nämlich ein sogenannter Strike⸗ brecher unter allen Umständen unrecht handle und schlecht, ein Mann sei, dem böcstens unter ganz besonders gelagerten Verbältnissen eine gewisse Entschuldigung zur Seite stehe, der aber niemals wirklich gerecht⸗ fertigt erscheine, wenn er sich dem Strike nicht anschließe. Er hat gesagt, daß auch derjenige, der an dem Strike um deswillen sich nicht betbeilige, weil er für hungernde Angehörigen zu sorgen habe, wegen seines Fern- bleibens nicht zu entichuldigen sei. Herr Abgeordneter, darin sind wir anderer Meinung; wir sind im Gegentheil der Ueberzeugung, daß der⸗ jenige, der für sich und seine Familie durch Arbeit sorgt, sehr viel besser thut als ein anderer, der unter Hintansetzung der eigenen Interessen und derjenigen seiner hungernden Kinder, bloß um einzelnen wenigen anderen Leuten zu dem von diesen für sich erstrebten höheren Lobn oder größerer Macht zu verhelfen, sich an dem Strike betheiligt. Es handelt sich dabei — wie der Herr Abg. Heine hervorgehoben hat — nicht bloß um diejenigen Strikes, die einen böberen Lohn zu erringen suchen, sondern insbesondere auch um die Strikes, bei denen lediglich Macht⸗ fragen auf dem Spiel stehen. Was der Einzelne, der vielleicht der sozialdemokratischen Fahne folgt, im Interesse seiner Partei und deren Machtstellung für nötbig bält, das hält eine sehr große Anzabl anderer Arbeiter, die anderer Meinung sind, nicht für nöthig. Wir wollen nicht, daß diesen anderen Arbeitern, die nach unserem Dafür⸗ halten gerade, weil sie diesen Standpunkt einnehmen, vom Staat zu stützen und zu fördern find dieser Wille einzelner Weniger auf— gejwungen werde gegen ihren Willen. Die Freiheit des eigenen Ent- schlusses wollen wir sichern.
Abg. Jacobskött er (8. kons.) : Es ist gesagt worden, daß das Unternehmerthum dieses Gesetz mit Jubel begrüßt hätte. Es ist von den Handwerkern mit Befriedigung aufgenommen, weil die Handwerksmeister dadurch eine Erlösung erhalten von dem Terro⸗ rismus, unter dem sie leiden durch die Anmaßung der Gewerkvereine. Die Arbeitgeberverbände sind in den Kreisen der kleineren Gewerbetreibenden nicht so stark und mächtig wie die Arbeitervereine. Ich habe es bedauert, daß die National- liberalen sich so gegen das Gesetz ausgesprochen haben. die rückbalilose Anerkennung durch Herrn Heine für Herrn Bassermann besonders erfreulich ist, weiß ich nicht. Die Nationalliberalen außer⸗ halb des Hauses sind mit dieser Haltung auch nicht einverstanden, wie die Kundgebung der Leipziger Nationalliberalen beweist. Ich hoffe, wenn die Herren nach der Vertagung wieder hierherkommen, daß sie der Vorlage freundlich gegenüberstehen werden. Die dem Minister von Berlepsch nahestehende „Soziale Praxis“ spricht sich gegen das Gesetz aus, obwohl der Minister von Berlepsch vor neun Jahren ein ähnliches, aber viel schärferes Gesetz vorgelegt hat. Es muß verbütet werden, daß das Koalitionsrecht in einen Koalitionszwang ausartet; daraus kann ein Gewisseng« zwang entstehen für einen Arbeiter, der durch seine christliche Ge—⸗ sinnung abgebalten worden ist, sich an einer sozialdemokratischen Gewerk- schaft zu betbeiligen. Auf den Bauten, in den Fabriken und grohen Werkstätten herrscht der Zwang zur Koalition, ohne daß etwas darüber an die Oeffentlichkeit kommt. Mit der „Zuchthausvorlage“ wird in allen Arbeitervereinen seit Monaten agitiert; das hat schließlich auch auf die christlichen Arbeitervereine ansteckend gewirkt. Wenn heute das Gesetz abgelehnt wird, so habe ich die feste Ueberjeugung, es kommt wieder, weil es nothwendig ist. Wenn man aber siebt, wie das Berliner Gewerbegericht gegen die Vorlage Stellung genommen und diese Kundgebung im „Vorwärts“ veröffentlicht hat, da bekommt man Zweifel an der Unparteilichkeit der Gewerbe— gerichte. Man wird auch bedenklich, ob es richtig ist, den Berufs vereinen die Rechtsfähigkeit zu verleihen. Wir sind für die Tendenz diefes Gesetzes; wir wollen die Vorlage einer Kommission überweisen, nicht um die Arbeiter in ihrer Freiheit zu beschränken, sondern zum Schutze der Arbeiter und ihrer persönlichen Freiheit. Ich möchte wünschen, daß es uns im Herbst vergönnt wäre, die sozialpolitische Gesetzgebung mit riesem Gesetz zu vervollständigen.
Abg. . von Hodenberg (b. k. F.: Namens meiner politischen Freunde beschraͤnke ich mich auf, die Erklärung, daß wir das Gesetz rechtlich und politisch für anfechtbar und moralisch für inopportun halten. ö
Abg. Dr. Pichler (Zentr schließt sich den Ausführungen des Abg. Dr. Lieber an, daß erst, wenn das Koalitionsrecht allseitig gesichert sei, man gegen Ausschreitungen Vorkehrungen treffen könne, und fährt dann fort: Die bayerischen Zentrums mitglieder hätten danach geschützt sein sollen gegen Angriffe von sozialdemokratischer Seite; die Herren haben allerdings vorgezogen, in den heimischen Bergen zu bleiben, statt hier für die Interessen der Arbeiter einzutreten. Die Arbeiter haben durchaus Recht, gegen die Vorlage Widerspruch zu erheben nach den Aus führungen, die hier von ,, ,, worden sind. Die Dar⸗ stellungen des preußischen Handels⸗Ministers klangen gerade so, als ob überhaupt allen Ausständen entgegengetreten werden müsse. Aus—⸗ stände sind zwar ein großes Uebel, aber sie sind bittere Nothwendig⸗ keiten, ebenso wie der Krieg. Frivol ist der Bergarbeiter Ausstand von 1889 nicht entstanden; über die in den Koblenrevieren bestebenden Justände, über die niedrigen Löhne z. wurde schen jahrelang vorher lebhaft Klage gefübrt. Der preußische Handels. Minister hat von der gleichmäßigen Behandlung der Arbester und Arbeitgeber gesprochen, aber zugegeben, daß die praktische Anwendung mehr die Arbeiter treffe. Darauf allein und nicht auf den Buchstaben des Gesetzes kommt es den Betbeiligten an. Die Arbeiter füblen auch, daß das Gesetz wesentlich die Agi tationen der Arbeiter trifft. Bezüglich der Ausbildung des Koalitione⸗ rechte bat der preußische Handels. Minister gesagt; das seien die schwierigsten Probleme, auf deren Lösung man nicht warten könne. Es ist allerdings leichter, ein Stra geseß zu machen als organische Gesce. Schwierig ist eine solche Arbeit allerdings; aber der Reichstag hat ur uh fiche Entwürfe schon vorbereitet. Die Auf- bebung des Verbindungzverbotg für Vereine wird anch keine Schwierigkeiten machen, wenn man nur anders verfährt, als in