schaftlichen Interessen der Probinz widmen, er soll sich um die großen Meliorationgarbeiten, die an der Spree, Oder und Havel das allge⸗ meine Interesse in Anspruch nehmen, in besonderem Maße kümmern und soll zugleich jeden Tag nach Berlin kommen, um hier die schwierige Kom munalaufsichtsfunktion wahrzunehmen. Diese Zweiseelentheorie zu beseitigen und aus dem einen Ober ⸗Präsidenten deren jwei zu machen, von denen der eine sich der Provinz Brandenburg und der andere sich der Stadt Berlin und ihren Vororten widmen kann, ist, glaube ich, eine bessere und erganischere Lösung als die Theilung des Regierungsbejirks Potsdam. (Sehr rich ig! rechts.) Die Entwickelung von Berlin und seinen Vororten ist so rapide, daß nur derjenige dieser Bewegung ausreichend folgen und sie in die richtige Bahn lenken kann, der misten in dieser Bewegung steht und der täglich die Wellen dieser Bewegung an sein Ohr branden bort. Ich glaube, daß, wenn ein solcher Ober ⸗Praͤsident für Berlin und die Vororte geschaffen wird, er mehr in der Lage sein wird, sich um diese wichtige Frage der Entwickelung von Berlin und seinen Vor⸗ orten zu kümmern, als es gegenwärtig der Fall ist.
An diese in der Presse erörterte Idee der Errichtung eines besonderen Ober⸗Präsidiums in Berlin sind — ich kann nur sagen — die abenteuerlichsten Gerüchte geknüpft worden. Es hieß, man wolle der Stadt Berlin die Selbstverwaltung nehmen und man ginge damit um, die Stadt Berlin in verschiedene einzelne Gemeinden zu zerschlagen. Nun, meine Herren, wir sind ja gewohnt, aller möglichen Schlechtigkeiten in der Oeffent⸗ lichkeit bezichtigt zu werden, aber einen solchen Grad von Geschmack⸗ losigkeit hätte man uns doch nicht zutrauen sollen, daß man die Reichshauptstadt in eine Reihe von kleinen Kommunen zerschlagen wolle, denen man dann vielleicht den Namen Wedding, Hasenheide, Bullenwinkel und wie sonst die schönen Stadttheile von Berlin heißen, geben würde. Das Bedauerlichste bei der Sache ist aber, daß sich ernst⸗ hafte Preßorgane dazu hergegeben haben, derartige Dinge zu ver breiten. Ich glaube wir haben alle Veranlassung, die schon vorhandenen Differenzpunkte in unserem oͤfftntlichen Leben nicht noch zu vermehren, sondern zu vermindern, und es sollte jeder bemüht sein, nach dieser Richtung hin zu wirken. Ich kann es daher nur bedauern, wenn sich Preßorgane finden, die dergleichen die Oeffentlichkeit mit Recht auf⸗ regende Nachricht verbreiten.
Meine Herren, es hat dann der Abg. Freiherr von Zedlitz die Frage der Vorbildung der Verwaltungsbeamten eingehend behandelt. Ich kann mich im wesentlichen mit dem nur einverstanden erklären, was er ausgeführt hat; ich bin mit ihm der Ansicht, daß der jetzige Zustand ein unbefriedigender und nicht zweckmäßiger ist. Die zetzige Vorbildung der Verwaltungsbeamten nach dem Referendarexamen zer⸗ fällt in zwei gleichmäßige Theile, von denen die eine Hälfte, jwei Jahre, bei der Justiz zugebracht werden, die andere Hälfte, also eben⸗ falls zwei Jahre, bei der Verwaltung. Meine Herren, dle zwei Jahre bei der Justig genügen nicht, um sich eine abge— schlessene jurlstische Bildung ju verschaffen, und da ein Examen nicht an das Ende der Sache gesetzt ist, so haben wir gar keine Kontrole, ob die jungen Beamten auch diese zwel Jabre so nützen, wie wir es verlangen müssen. Es ist ja leider menschlich, daß, wo nicht ein Ansporn ist, auch der Durchschnittsmensch nicht in dem Maße seine Zeit ausnützt, wie es zu wünschen ist, und deshalb halte ich diese Zweitheilung schon in dieser Beziehung nicht für glücklich.
Ebensowenig glücklich ist sie nach einer anderen Richtung. Die zweijährige Thätigkeit bei den Verwaltungsbehörden ist verhältniß⸗ näßig noch kürzer als die bei der Justiz, um die jungen Beamten in ihre Thätigkeit einzuweihen. Wenn man bei der Regierung gesehen hat, wie die jungen Referendare alle drei Monate ihre Station wechseln, von jedem Referenten ein paar gleichgültige Dinge zu⸗ gewiesen bekommen, so muß man sich darüber klar sein, daß das keine genügende und sichere Ausbildung der jungen Beamten ist.
Es kommt dazu, daß entscheidender Werth darauf zu legen ist, die jungen Beamten bei den Bürgermeistern und vor allen Dingen den Landräthen so zu beschäftigen, daß sie den ganzen Geschäftsgang beherrschen, daß sie sich wirklich ein Bild machen können von der Thätigkeit eines Landraths, und dazu reichen die zwei Jahre, in die noch die Beschästigung bei der Regierung und den Veirwaltungs—⸗ gerichten fällt, in keiner Weise aus;,
Ich glaube, darüber wird kaum ein Zweifel sein, daß der jetzige Zustand nach der einen oder anderen Richtung bin der Aenderung bedarf. Nicht so leicht ist allerdings die Frage zu beantworten, in welcher Weise diese Aenderung geschehen soll. Herr von Zedlitz hat es ja auch als durchaus diskutabel hingestellt, nach welcher Rich— tung hin Remedur zu suchen sein möchte. Es haben kommissarische Berathungen darüber stattgefunden, als deren Ergebniß vorgeschlagen worden war, die Zeit der Beschäftigung bei der Justiz auf ein Jahr einzuschränken, dagegen die Beschäftigung bei der Verwaltungsbehörde auf drei Jahre auszudehnen. Das würde nach mancher Richtung hin die Mängel der gegenwärtigen Einrichtung allerdings — ich will nicht sagen, beseitigen, aber — mildern.
Von anderer Seite ist dagegen vorgeschlagen worden, das jetzige System ganz aufzugeben und zu dem alten System, das unter dem Grafen Eulen⸗ burg J. galt, zurückjukehren, das heißt, die Verwaltungsbeamten wieder aus der Justiz hervorgehen zu lassen. Ich glaube, daß wir bei dem früheren System keine schlechten Geschäste gemacht haben; denn wir waren in der Lage, abgeschlossene Charaltere ju übernehmen, Leute mit abgeschlossener Bildung und abgeschlossener Ausbildung, während wir jetzt die Leute in einem so jugendlichen Stadium übernehmen müssen, daß wir garnicht wissen, ob sie sich für die besonderen Ge—⸗ schäfte der Verwaltung eignen oder nicht. Allerdings würden die Herren, die aus der Justiz hervorgehen, einstweilen unbekannt mit den Geschäften der Verwaltung sein; allein es hat sich doch im all—⸗ gemeinen gezeigt, daß, wer überhaupt ein Gebiet zu behandeln und ju beherrschen gelernt hat, sich auch sehr bald in einem verwandten Gebiet heimisch fühlt. Zu erwägen würde sein, ob man während einer Art Uebergangszeit die Assessoren, die einstweilen aus der Juftij über⸗ nommen sind, nun auch mit den theoretischen Kenntnissen auf dem Gebiet der Verwaltung ausstatten läßt, indem man etwa nach einer gewissen Reihe von Jahren feststellt, ob sie auch auf wissenschaftlichem Gebiet sich so weit ausgebildet haben, wie das gewünscht werden muß. Ich will nicht verkennen, daß jede Verlängerung unserer schon lange andauernden Examensnöthe auch ibre großen Bedenken hat, und daß es von diesem Gesichtspunkt aus nicht ganz zweifelsfrei ist, ob man esnen solchen Nachweis einer auch theoretischen Ausbildung auf dem Gebiet der Berwaltungewissenschaft noch fordern kann.
Meine Herren, das find alles Fragen von großer Tragweite, und wir werden an eine Abänderung des gegenwärtigen Zustandes nicht gehen, ehe wir uns die Sache nicht reiflich überlegt und klar gemacht haben, welcher Weg als der beste anzusehen ist. Die jenigen Instanzen, die als die sachgemäßeften und am meisten mit der Materie vertrauten aniusehen sind, die Regierungs ⸗Präsidenten, sind von dem Mintster zu einer eingehenden Aeußerung über die Angelegenheit auf⸗· gefordert worden, und erst nach Eingang dieser Berichte werden wir uns darüber schlüssig machen können, welchen Weg wir beschreiten und dem hohen Hause vorschlagen wollen.
In einem Punkte kann ich mit Herrn von Zedlitz vollständig überelnstimmen, das ist, wie er sich ausdrückte, die außerordentlichen Vorbildunge mittel in staͤrkerem Maße als bisher zur Anwendung zu bringen, derart, daß die jungen Beamten so recht in die praktische Thätigkeit einge führt werden, daß sie auf Domänen arbeiten, in der Industrie, auf Banken n. s. w. sich zeitweise beschäftigen, daß sie wissenschaftliche Reisen machen, nach England, Amerika u. s. w., um die dortigen Arbtiterverhältnisse zu studieren u. . m. Ich glaube, es giebt kein besseres Mittel, unsere jungen Beamten auszubilden, das Niveau ihrer Ausbildung, ihres Wissens und Könnens zu erweitern als diese Möglichkeit, sie so mitten in die Praxis einzuführen.
Meine Herren, sodann ist Herr von Zedlitz auf die Fragen der Behördenorganisation eingegangen. Ich muß es mir — und er hat es mir auch anheimgestellt — versagen, auf eine so schwerwiegende Frage heute eine Antwort zu geben; denn eine Ordnung, wie Herr von Zedlitz sie sich denkt, bedarf der eingehendsten Erwägung, und ich verhehle nicht, daß mir nach mannigfachen Richtungen hin erhebliche Bedenken seinem Vorschlage entgegenzustehen scheinen. Herr von Zedlitz hat vorgeschlagen, die Ober Präsidien dadurch reicher aus— zugestalten, daß verschiedene Geschäfte der Ministerialinstanz auf die Ober ⸗Praͤsidenten übergehen. In diesem Punkte würde ich ihm folgen können; ich bin der Ansicht, daß die Zentralisterung im Ministerium noch zu weit getrieben ist, und daß es wohl angängig sein würde, auf verschiedenen Gebieten die Ober⸗Praäsidenten, die doch in gewissem Sinne kleine Provinzial. Minister sind und sein sollen, mit Geschäften auszuflatten, die bisher der Zentralinstanz obliegen. Weiterhin ist es mit aber sehr fraglich, ob die zweite Anregung des Herrn von Zedlitz hinsichtlich der anderweiten Gestaltung der Regierung beziehentlich der Regierungs. Präsidenten zweckmäßig sei. Herr von Zedlitz ging davon aus, daß die Regierungs⸗Präsidenten nicht mehr in der Lage seien, die Verantwortlichkeit ro vera ju tragen, die sie nach dem Gesetz tragen sollen. Das ist doch nur in beschränktem Umfange der Fall. Bei den mittleren und kleineren Regierungen können die Regierungs⸗Präsidenten diese Verantwortung noch durchaus tragen, und ich glaube, sie können sie auch bei einer großen Regierung tragen, sofern sie nur die Geschäfte zweckmäßig einrichten, ihre Verantwortung auf die wiklich großen Dinge beschränken und im übrigen die Verantwortung ihrem Stellvertreter überlassen. Um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre ganze Zeit und Kraft auf die großen Dinge zu konzentrieren, ist Ihnen vorgeschlagen, kei den großen Regierungen dem Regierungk⸗ Präsidenten außer dem wichtigen ersten Stellvertreter noch einen zweiten Stellvertreter beizuordnen.
Ich habe nicht die Absicht, in nächster Zeit dem hohen Hause die Theilung der allzu großen Regierungesbenirke vorzuschlagen; ich meine, man muß an die Theilung der Regier ingsbezirke mit großer Vorsicht herantreten. Einmal ist es mißlich, Dinge, die historisch, ein Jahr hundert lang oder noch länger zusammengewachsen sind, wieder aus⸗ einanderzureißen. Es ist schwer, an deren Stelle zweckmäßige Neu⸗ schöpfungen zu setzen, und ich glaube, daß wir unter Umständen auch unseren Verwaltungen damit keinen Dienst thun, wenn wir die Be⸗ zirke allzu sehr verkleinern. Ich habe gefunden, daß, wer viel zu thun hat, auch gut arbeitet, und daß die größten Regierungen, die ihre Kraft an wirklich große Aufgaben setzen können, am ehesten diese Auf⸗ gabe in der richtigen Weise lösen.
Herr von Zedlitz kam schließlich auf die dritte Jnstanz — von oben nach unten gesprochen — auf die Landrathsämter, indem er den Vorschlag machte, eine Reihe von Geschäften des Regierungt— Präsidenten und namentlich der Regierungs. Abtheilung für Schule und Kirche, auf die Landrathsämter zu übertragen. Meine Herren, dieser Vorschlag scheint mir der allerbedenklichste; ich glaube, daß jetzt schon die Landräthe viel zu sehr mit Bureauarbeiten überlastet sind und daß sie nicht mehr in dem Maße, wie es erwünscht ist, im stande sind, sich im Kreise umzusehen und mit den Kreiseingesessenen lebhafte Füblung zu behalten. (Sehr richtig! rechts) Wenn Sie nun den Landräthen noch die Geschäͤfte des Regierungs- Präͤsidenten, namentlich auch der Regierung auf dem Gebiete der Kirche und Schule, geben, so werden sie einfach Präsidenten kleiner Regierungen und werden noch weniger im stande sein als bisher, diese von mir beregte per⸗ sönliche Fühlung mit ihren Kreiseingesessenen zu behalten. (Sehr richtig! rechts) Ich fürchte, wir würden vielleicht das Uebel der allzuvielen Schreiberelen, von dem Herr von Zedlitz mit Recht sprach, bei den Regierungen vermindern, wir würden es aber wahrscheinlich bei den Landrathsämtern vermehren; das würde mir da größere von den beiden Uebeln zu sein scheinen.
Der Herr Abg. von Zedlitz sogte, der Landrath solle der Ver⸗ trauensmann der Regierung und des Kreises sein. Ich bin damit durchaus inverstanden. Die Regierung muß verlangen, daß der Land⸗ rath ihr Vertrauensmann, daß er bereit ist, die Intentionen der Regierung zu vertreten. Wenn diese Voraussetzung nicht vorliegt, muß die Regierung sich entschließen, auf seine Dienfte zu verzichten. Ich möchte nicht mehr auf die hier eingehend erörterte Frage der Zurdispositionsstellung der Landräthe zurück— kommen, muß aber Einspruch einlegen gegen einen Ausspruch des Herrn Abg. von Zedlit, daß die Regierung ihr Recht in dieser Be⸗ ziehung gemißbraucht habe. Im übrigen bin ich mit ihm darin ein⸗ verstanden, daß der Landrath nicht nur Vertrauensmann der Re⸗ gierung, sondern im gleichen Maße Vertrauensmann des Kreises sein muß, und ich glaube, daß die Auffassung des Herrn Abgeordneten un⸗ zutreffend ift, daß bei der Regierung die Neigung obwalte, Personen mit Landralhsämtern zu betrauen, die diesen Erfordernissen nicht ent⸗ sprechen. Ich wenigstens habe mich in der kurzen Zeit meiner Amtsführung bemüht, soweit es irgend angängig war, den Kreisen die Herren zu geben, von denen ich von vornherein annehmen konnte, daß sie mit Freuden dort aufgenommen werden und dort das genügende Ver⸗ trauen finden würden.
Also, meine Herren, wenn man den Wunsch hat, die Personen mit den Landrathsämtern zu betrauen, die von vornherein im Kreise gern aufgenommen sind, und die, wie Herr von Zedlitz mit Recht
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d . wünscht, auch die Absicht haben, im Kreise lange zu verbleiben, dann ist es mir sehr fraglich, ob man gut thut, diesen Landräthen noch ein größeres Maß von Arbelt, namentlich Bureauarbelt, mu. jumuthen, als dies gegenwärtig der Fall ist. Ich werde naturlich die Anregungen des Herrn von Zedlitz in eingehende Er wägung nehmen, elnstweilen scheinen mir aber seinen Voschlägen hin. sichtlich der Mehrbelastung der Landratbeämter wesentliche Bedenken entgegenzustehen. Ich möchte umgekehrt glauben, daß man gut thut, den Landräthen nicht mehr Geschäfte jujuweisen, sie aber von den Geschäften, die sie jetzt haben, in noch höherem Maße zu entlasten, indem man den Weg beschreitet, den auch Herr von Zedlitz andeutete, nämlich indem man ihnen noch mehr Assessoren zuweist, als es gegenwärtig geschiebt, sodaß sie wirklich wieder in der Lage sind, im Kreise herumzureisen und dort von Mund zu Mund und von Herz zu Herz die Geschäfte zu erledigen, und dann, indem man ihnen noch mehr Bureaukräfte zuweist als jetzt. (Sehr richtig! rechts) Ich habe mich schon in der Budgetkommission dahin ausgesprochen, daß es meines Eiachtentz nothwendig sein wird, das Institut der Bureauhilfszarbeiter noch mehr auszudehnen — ein
Institut, von dem gegenwärtig nur ein kleiner Theil der Landräthe
Nutzen hat, wäbrend jetzt ein großer Theil derselben mit derartigen Hilfskräften noch nicht ausgestattet ist. (Sehr richtig! rechts)
Ich glaube, ich habe in Kürze die Ausführungen des Freiherrn
von Zedlitz berührt. Die Frage der Theilung des Regierungsbezirk Potedam beziehentlich der Theilung des Ober-Präsidiums ist im Stadium der vollen Verhandlungen. Einige Schwierigkeiten bietet dabei die Frage, wie man die mittlere Instanz zu organisieren hat, wie die militärischen, wie die steuerlichen Verhältnisse behandelt werden sollen. Ich hoffe, wir werden auch in dieser Benehung zu einer Verständigung kommen und werden dann dem hohen Hause eine entsprechende Vorlage machen knnen. Die anderen Anregungen des Freiherrn von Zedlitz werde ich eingehend erwägen, und sollten wir zu einem Entschluß kommen, der seinen Anregungen entspricht, dann werden entsprechende Vorlagen gemacht werden. Einstweilen verhehle ich nicht, daß mir namentlich hinsichtlich des letzten Punktes, den ich erwähnte, doch wesentliche Bedenken zu bestehen scheinen. Dankbar würde ich sein, wenn das hehe Haus auch hier seine Geneigtheit erklärte, den vielbeschäftigten und so in Anspruch genommenen Landräthen, die die Säulen unserer Verwaltung sind, dadurch entgegenzukommen, daß sie mit mehr Assessoren und mit mehr Bureauhilfarbeitern ausgestattet und so in den Stand gesetzt werden, ihre doppelte Aufgabe: Ver⸗ trauensmann der Regierung und Vertrauensmann des Kreises zu sein, in vollem Maße zu erfüllen. (Lebhafter Beifall rechte.)
Abg. von Arnim (kons.): Ich will nur die Spezialfrage der Theilung des Ober⸗Präsidiums von Berlin und Brandenburg erörtern. Der OberPrästzent ist nicht in der Lage, seine umfangreichen Ge⸗ schäfte vollauf zu erfüllen. Der Redner bleibt bei der Erörterung der einjelnen Vorschläge zur Lösung dieser Frage auf der Tribüne unver ständlich, weil er nach rechts abgewendet spricht. Er giebt seiner Freude darüber Ausdruck, daß nach den Wünschen seiner Freunde in polizei⸗ licher Beiiehung die Städte Schöneberg, Charlottenburg und Rixdorf mit Berlin vereinigt seien. Der Reglerungs-Präsident in Potsdam
leide auch unter einer Ueberlast von Geschästen. Eine grundlegende Aenderung in dieser Beziehung sei absolut nothwendig.
Abg. Im Walle (ent.) bringt die Verfügung des Ministers zur Sprache, nach der Personen, welche von der Polizei vernommen werden, keine Gebühren mehr erhalten sollen. Wenn auch der Zeugnißpflicht nicht ein Recht auf Gebühren gegenüberstehe, so spreche doch die Billigkeit dafür, Gebühren zu gewähren, die ja oft nicht ein⸗ mal ein voller Ersatz der Auglagen seien. Im Interesse des kleinen Mannts liege es, die kärgliche Entschädigung zu gewähren. Der Redner bitiet um Aufhebung der Verfügung.
Minister des Innern Freiherr von Rheinbaben:
Meine Herren! Ich glaube, der Anregung des geehrten Herrin Vorredners, die gedachte Verfügung wieder aufzuheben, werde ich nicht entsprechen können, wenigstens für den Augenblick nicht, da Beschwerden in keiner Weise vorliegen.
Die Sache ist ja in der That jweifelbast. Der Herr Abg. Im Walle geht davon aus, daß, wie vor Gericht Gebühren an die Zeugen gezahlt werden, so auch Gebühren gejahlt werden müssen, wenn eine polizeiliche Vernehmung stattfindet. Nun hat sich berausgestellt, daß in dem größten Theil der Morarchie Gebühren nicht gezahlt wurden, daß das nur in einjelnen Verwaltungen geschehen ist. Wir haben geglaubt, diesen Zustand, wie er im größten Theil der Monarchie bestand, nun auf den verhältnißmäßig geringeren Theil, in dem bisher eine andere Regelung erfolgte, ausdehnen zu sollen.
Denn wir können uns, was die rechtliche Seite der Sache betrifft, nicht auf den Standpunkt des Herrn Abg. Im Walle stellen, daß eine Verpflichtung zur Zahlung von Zeugengebühren besteht. Es ist ein Einfluß des polizeilichen Hoheitsrechts, zu ver langen, daß der einjelne Staatsbürger einer polhzeilichen Vorladung folgt und seine Autsage abgiebt, und es ist eine Verpflichtung des einzelnen Staatsbürgers, dieser Aufforderung nachjukommen, selbst wenn dies mit gewissen materiellen Opfern für ihn verbunden ist. Wollte man diesen Rechtsstandpunkt bei Seite lassen und aus Billigkeitsgründen allgemein eine Entschädigung ge⸗ währen, so würde das zu einer außerordentlichen Belastung der Otte⸗ verwaltung führen, die durchaus nicht zu unterschätzen ist; denn die Ortẽ verwaltungen müßten die Kosten tragen.
Ich glaube auch, die Befürchtung ist nicht von der Hand ju weisey, daß unnütz Anzeigen eistattet werden, wenn die Betreffenden wissen, daß sie nachher als Zeugen vernommen werden und dafür ein gewisses materielles Entgelt erhalten.
Ich betone nochmals, eine rechtliche Verpflichtung liegt meines Erachtens nicht vor, der Rechtszustand ist in dem größten Theil der Monarchie derjenige, wie er in der Verfügung angegeben ist, und es sind Beschwerden bei der Zentralinstanz bisher nicht eingelaufen. Ich glaube, man kann wohl abwarten, ob solche Beschwerden sich ergeben. Wir haben versucht, etwaigen Beschwerden dadurch vorzubeugen, daß wir die Polizeibehörden angewiesen haben, auf die Verhältnisse der Betreffenden Rücksicht zu nehmen, sie nicht gerade in ihrer besten Arbeitszeit vorzuladen, wo sie Einbuße und Schaden an Lohn er⸗ leiden, sie nach der Arbeitszeit vorzuladen, oder vielleicht an einem Sonntag, kurz, die materiellen Verluste so weit einzuschräͤnken, als es irgend möglich ist.
(Schluß in der Zwelten Beilage.)
Zweite Beilage zum Deutschen Reichs⸗-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.
Mr 41.
Berlin, Mittwoch, den 14. Februar
1900.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Abg. Dr. von Jazdiewzki (Pole): Der frübere Ober. Präsident
n Posen, von Wilamowitz, hat den Vorwurf, daß er Versöhnungs⸗ politik getrieben habe, jurückgewiesen. Wir haben immer nur den Hindruck gehabt, daß es auf die Unterdrückung des Polenthumg abge⸗ seben ist. In jehn Jahren haben wir unter dem Kultus, Minister Besse nur die eine Konze sion erfahren, daß der private Religions mierricht in polnischer Sprache gestattet wurde. Das Vereings⸗ rect ist ungesetzlich gegen die Polen gehandhabt worden. Der chige Minister möge das Systen seines Vorgängers verlassen und ne größere Latitude gewähren. Dieselben Vereine, welche bel den Deutschen nicht überwacht werden, werden bei den Polen polizeilich zberwacht. Die Polen schließen fich nicht absichtlich von den Dentschen ab, sondern es geschiebt, weil sie eben kein Deutsch verstehen, Syhstematisch versetzt die. Regierung die polnischen Beamten aus ihrer Heimathprovinz. Die fortwährende Aenderung der historlschen polnischen Ortenamen, die gar keinen Sinn hat, empört die Be—⸗ pölkerung. Mit tleinlichen Maßregeln verfolgt man die polnische pPresse. Wenn man die politische Thätigkeit der Landräͤthe einschränken wolte, so wäre ich damit einverstanden, weil sie gegen die Polen agitieren. Im H. K. T-Verein ist der Vorschlag gemacht worden, des AÄnstedelungswerk dadurch zu fördern, daß der polnische Besitz im nationalen Interesse enteignet werde, Und in dem Verein, der solche Grundsätze vertritt, sind sehr viele Regierungsbeamte. Ich bitte den NMinister, uns nicht mit Ausnahmegesetzen und Ausnahmemaßregeln su behandeln, sondern die Gesetze gleichmäßig auch auf uns anzuwenden.
Minister des Innern Freiherr von Rheinbaben:
Meine Herren! Ich hätte nicht geglaubt, daß heute schon wieder eine Polendebatte insceniert würde.
Herr von Jajdzewski ist davon ausgegangen, ich hätte in meiner borigen Rede Beschuldigungen ausgesprochen, die er widerlegen müßte. So war der Sachverhalt doch nicht, sondern Herr von Jazdzewski hat schwere Beschuldigungen gegen die Staatsverwaltung ausgesprochen, die ich zu widerlegen verpflichtet und berechtigt war. Und so ist er auch heute wieder derjenige gewesen, der die Materie zur Diekussion gestellt hat, und der mich nöthigt, auf das, was er ausgeführt hat, ju antworten.
Herr von Jazdzewski berief sich zunächst auf eine Eiklärung des Dber⸗Präsidenten von Wilamowitz in der Kreuzzeitung, in der der Dber⸗Präsident gesagt haben soll, er habe selbst nie Versöhnungs⸗ politik getrieben, und daran knüpfte der Herr Abgeordnete die Folgerung, jetzt sei das Eingeständniß da, daß die Regierung leine Versöbnung wolle, und daher komme der scharfe und energische Standpunkt, den ich den Herren Polen gegenüber eingenommen habe. Meine Herren, diese Deutung hat meines Er— achtens die Erklärung des Herrn von Wilamowitz nicht. Er hat nicht in Abrede stellen wollen, daß er sich bemüht habe, die Elemente in Polen zu versöhnen, er hat es aber in Abrede gestellt, daß er eine solche Versöhnungspolitik getrieben babe, wie sie ihm ein Artikel der Kölnischen Zeitung“ imputiert hat. Die ‚Kölnische Zeitung“ hatte gesagt, er hätte durch schmäbliches Entgegenkommen die Polen zu gewinnen gesucht, und nur eine solche Politik nicht getrieben zu haben, bat er in seiner Eiklärung an die Kreuzzeitung behauptet. Daß wir eine solche Art der Versöhnungspolitik, wie die Kölnische Zeitung“ si⸗ bejeichnet bat, nicht mehr treiben werden, dafür baben Sie, Gott Lob, gesorgt, indem Sie uns die Binde von den Augen gerissen haben über die Ziele, die Sie verfolgen.
Herr von Jazdzewski hat wiederum die Behauptung auf— gestellt: die preußische Politik sei mit der größten Konsequenz bemüht, das Polenthum niederzubalten, und von der Verwaltung habe es nichts wie Mißgunst erfahren. Nun frage ich: die ganze Blüthe der Provinz Polen, wessen Verdienst ist sie denn in erster Linie? das der preußischen Regierung. Wer hat ihre Bauern befreit? die preußische Regierung. Wer hat ihren Mittelstand groß⸗ gejogen? die preußische Regierung, die überall im kleinen und großen die Bildungsmittel bereit stellte, von denen der polnische Mittelstand Gebrauch machte. Wo erfreut sich ihre Presse einer solchen Freiheit wie bei uns in Preußen? Die ganze wirthschaftliche Hebung der Provinz Posen, die zu Tage liegt, ist doch in erster Linie Verdienst der preußischen Regietung. Indem sie die Provinz aufschloß, indem sie überall Bahnen baute, indem sie Mittel in großem Stile bereit stellte jur Landesmelioration, hat sie daju beigetragen, daß die Probinz auf das hohe wirthschaftliche Niveau gelangt ist, auf dem sie sich jetzt befindet. Ich gönne eg der Provinz von Herzen, ich freue mich sogar darüber; aber ich muß Einspruch erheben gegen die Behauptung, daß die preußische Regierung mit der größten Konsequenz bemüht sei,. das Polenthum niederzuhalten. Das demagogische Polenthum, das sich gegen die Grundfesten des Staats richtet, werden wir niederhalten jetzt und allemal. (Bravo! Rechts. Abg. Motty: Keine Bange h
Nun hat Herr von Jazdzewski verschiedene Punkte, die meine Verwaltung berühren, hervorgehoben, und behauptet, daß nicht mit gleichem Maße gemessen wäre. Er hat behauptet, daß diese ungleiche Behandlung vorliege auf dem Gebiete der Verelnsversammlungen. Ich muß das durchaus bestreiten, und wie ich das vorige Mal erklärt zabe, man solle mir positive Fälle nennen — es ist unmöglich, auf olche allgemeinen Behauptungen einzugehen —, so bitte ich auch jetzt, mit Fälle vorzulegen, in denen angeblich nicht mit gleichen Maße Eemessen worden sei; dann bin ich in der Lage, darauf zu antworten. Ist seitens der Unterbehörden falsch verfahren, so werde ich Remedur mr lassen. Solche allgemeinen Behauptungen aber beweisen
16.
Der Herr Abg. Dr. von Jazdzewski hat gesagt, es läge ja den polnischen Vereinen durchaus fern, sich von den Deutschen abzusondern. Daz geschebe nur, weil sie in den polnischen Vereinen eben nur polnisch sptechen und deshalb mit den Deutschen garnicht jzusammenarbeiten könnten. Meine Herren, ich habe das vorige Mal schon darauf bingewiesen: einer der schwersten Vorwürfe, der gegen die Polen zu erheben ist, ist die spstematische Absonderung von den Deutschen, dieses Untergraben kder Zusammengehörigkeit mit den deutschen Elementen, mit denen
e nun einmal nach Gottes Willen in der Provinz zusammenzuleben 9 jusammenzuarbeiten bestimmt sind. Ich habe damals urkundliche eweise dafür erbracht. Ich werde jetzt auch solche vorlegen. Ich
veiß wohl, daß das den Herren unangenehm ist. Aber es ist
meine Pflicht dem Lande gegenüber, ihm die Augen darüber zu öffnen, in welcher Weise seitens der Polen verfahren wird, und wie die ganze Presse der Polen sich nicht in Uebereinstimmung befindet mit den friedlichen Erklärungen, die die Herren hier immer abgeben. Es wird in Posen den Kindern von Tindesbeinen an zur Pflicht ge— macht, sich von allem Deutschen fernzuhalten, in Haus, Kirche und Schule. Nur einige Beweise dafür! Ich theile Ihnen einen Vers mit aus dem Blatt „Praca“.
Die Polnische Sprache. O Velk! Vertheidige Dich tapfer und ehrlich, Dein Schutz liegt im polnischen Wort. Felsenfest hältst Du es mit dem Glauben, Wie eine Säule stehe auf seiten Deiner Sprache.
Polen! An Deinem häuslichen Herde Biete uns Schutz gegen den Feind, Stoße ihn fort mit dem polnischen Wort, Wie den Teufel mit dem Weihwasser.
Mütter! Mütter der künftigen Mütter,
Fördert die heilige Sache,
Schreibet ein in die Herzen der Kinder
Mit dem Feuer Pragas, mit dem Blute Warschaus: „Daß der, welcher Feinde in sein Haus einführt, Sich Schande macht, sein Volk verräth Und mit jedem fremden Worte Seine Vaterlandes Ruhm besudelt.“
Meine Herren, von den Kindern geht es welter zu den Erwachsenen überhaupt. Es wird mit Eifer seitens der Polen gegen jede Gemein samkeit mit den Deutschen gearbeitet, und zwar nicht nur etwa gegen die evangelischen Deutschen, sondern genau so richtet sich die Agitation gegen die katholischen Deutschen. Früher wurde noch die Konfession als ein gewisser Mantel umgehängt. Das glaubt man jetzt nicht mehr nöthig zu haben. Hler ist ein Artikel, der sich auf das schärfste gegen die Mischehen zwischen Polen und Deutschkatholiken richtet:
Solche Mischehen (geschlossen zwischen Polen und Deutsch⸗ lathollken) sind ein Unglück nicht nur für unsere Nationalität, sondern auch für unsern heiligen Glauben. Unser unter fremder Herrschaft stehendes Volt ist an Demüthigung gewöhnt. Es trägt mit Geduld die Lasten, die demselben aufgebürdet werden, es erträgt ohne Murren die Schimpfreden, mit denen man dazselbe bewirft, mit einem Worte, es beugt vor seinen Feinden die Kniee.
Schande daher der Polin, die ihre Hand einem Deutschen darbietet und ihr Herz, das für unser Vaterland schlagen sollte, einem Feinde verkauft!
Schande dem polnischen Jünglinge, der sich eine Deutsche zur Frau nimmt und dadurch ein gemeiner Diener unserer Feinde wird!
Und das sollen wir uns gefallen lassen? So weit sind wir noch nicht! (Lebhafter Beifall rechts und bei den Nationalliberalen.)
Dann ist der Herr Abg. Dr. von Jazdzewski eingegangen auf einen zweiten Beschwerdepunkt betreffs der Ortsnamen. Auch hier hat er irgend welche positiven Fälle nicht vorlegen können. Meine Herren, ich bin berelt, jeden einzelnen Fall, den er hier vorgetragen hat, zu untersuchen und eventuell Remedur eintreten zu lassen. Meines Wissens ist die Verwaltungspraxis die, daß die Aenderung der Ortsnamen nur erfolgt, wenn die Majorität der Ortseingesessenen einen diesbezüglichen Antrag stellt, und es ist mir kein einziger Fall einstweilen bekannt, wo von diesem Grundsatz abgewichen worden ist, der eine Majorisierung, wenn ich so sagen soll, der Mehrheit der Gemeinde ausschließt.
Schließlich ist der Herr Abg. Dr. von Jazdzewski auf die Presse wieder zu sprechen gekommen und hat von kleinlichen Maß— regelungen gegenüber der Presse gesprochen. Die polnische Preße sei allerdings etwas schäcfer“, als nothwendig wäre. Ich werde nachher nachwelsen, wie weit dieses etwas schärfer', von dem der Herr Abg. Dr. von Jazdzewski sprach, geht. Er hat ausgeführt, daß die Schärfe der Sprache in den polnischen Blättern wesentlich nur durch die Deutschen herborgerufen sei, namentlich durch den H K. T. Verein. Er hat Bezug genommen auf einen Artikel, in welchem die Expro— priation des polnischen Grundbesitzet empfohlen wird, und er hat daran die Folgerung geknüpft, daß ich meinen Beamten nicht gestatten könne, in einem derartigen Verein zu bleiben. Nun, meine Herren, ich halte den Artikel auch nicht für glücklich. Ich meine, eine derartige Idee einer Ex- propriation der Polen ist unausführbar. Aber ich frage: was geht das meine Beamten an, wenn ein einzelnes Mitglied des H. K. T. Vereins einen derartigen Artikel veröffentlicht. Was haben Sie für eine Veranlassang, meinen Beamten das Austreten aus dem Verein aufzuerlegen? (Widerspruch bei den Polen.) Und nun, meine Herren, wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es heraus. Meine Herren, ich bitte, mir Artilel der deutschen Presse vorzulegen, in denen derartige Verhetzungen enthalten sind, wie sie toto die in der polnischen Presse vorkommen. Auch hierüber werde ich mir er lauben, Ihnen und dem Urtheil des Hauses wieder einige urkund- liche Materialien vorzulegen. Der „Goniec Wielkopolski! hat einen Kalender für das Jahr 1909 herausgegeben unter dem Schutz der preußischen Regierung und unter dem Schutz des deutschen Preß—⸗ gesetzes, in dem sich folgende Ausführungen über den Krieg von 1870 befiaden:
Wiederum zeigte sich ein Irrstern ia Gestalt des preußisch⸗ franjösischen Krieges. Mein Gott, wie viele Hoffnungen hatten wir da nicht .. . Leider war das ein Traum eines Armen von Schätzen, die er nicht einmal sich ansehen darf. Wir glaubten, daß, wenn die „Gloire“ über Frankreich erstrahlte, auch bei uns, wenn nicht vollständige Freiheit, so doech wenigstens erträglicher Zastände eintreten würden. Diese Täaschang zerstob leider wie daz Meteor in dem Augenblick, als ungünstige Nachrichten vom Kriegsschauplatze eingingen. Die Nachricht von jeder ver⸗ lorenen Schlacht der Franzosen traf wie ein Ungewitter unsere Herzen, und die schwächliche Niederlage Napoleon's bei Sedan wurde
von uns wahrscheinlich schmerzlicher empfunden als in Frankreich selbst. (Hört! hört! rechts und bei den Nationalliberalen.)
Dann giebt dieser Kalender, der in deutschen Landen, auf preußi⸗ scher Erde verbreitet wird, von dem preußischen Adler, unserm Wappen⸗ vogel, folgende Beschreibung:
Er ist habgierig und verschmitzt; in grauer Vergangenbeit war er von unserem weißen Adler abhängig, er vertheidigte ihn und half ihm auch anscheinend, in Wirklichkeit aber verrieth er ihn stets und gelangte natürlich im Laufe der Jabihunderte ju einer immer größeren Macht. Nachdem er die kleineren Vögel besiegt und das Revier seiner Herrschaft erweitert hatte, schien es, daß er, in sozialer Beziehung zufriedengestellt, seine Macht unbeschadet der Nachbarn ausüben werde. Seinen stolzen Uebermuth trieb er so weit, daß er bereit war, jedem den Krieg zu erklären. Er besiegte so manchen mächtigen Nachbarn und demüthigte ihn; infolge seiner Macht ist seine Herrschaft deshalb immer umfangreicher und er kommt einem anderen entgegen. Selbst in kleinen Sitten und Gebräuchen drängt er seinen Willen auf; eigene Töne herrorzubringen verbietet er, lehrt dagegen seinen schrillen Lockruf. Es nützt ihm gegenüber nichts, an gegebene Verheißungen zu erinnern, denn bei diesem Adler geht Macht vor Recht. Fortwährend an die Erweiterung seines Machtgebietes denkend, entsendet er kleinere Adler an die Donau, um ihm dort die Wege zu Ansehn und Einfluß zu ebnen. Dieser Adler ist unstreitig einer der gefährlichsten, er ist nämlich in seiner Habgier unersättlich.
Meine Herren, das wird gesagt von dem Adler, dem Wappen⸗ schilde der preußischen Könige.
Ich habe noch einige andere erfreuliche Aeußerungen Ihnen mit- zutheilen. Im „Goniec Wielkopolskiés vom 31. Dezem ber findet sich folgender ansprechende Sylvesterartikel:
Das letzte Jahr des laufenden Jahrhunderts geht zu Ende, und mit ihm entschwindet das 19. Jahrhundert in den Abgrund der Vergangenheit. Es war dies ein Jahrhundert unzähliger großer Erfindungen, ein Jahrhundert des Dampfes und der Eleltrizität, ungeheurer gesellschaftlicher Umwälzungen, aber auch ein Jahrhundert der polnischen Leiden, vergeblicher Kraftanwendung zwecks Wieder- erlangung der Unabhängigkeit.
Meine Herren, derartige Artikel könnte ich Ihnen noch mehr vor legen; ich will aber davon absehen und nun noch mit einer Ode an die Gedenkfeier des Sieges von Johann III. bei Wien schließen:
Und wenn wir auch heute zuviel Schmerzen erdulden,
Wenn auch das Vaterland in Stücke zerrissen ist,
Wir Polen arbeiten und wachen
Und leisten Widerstand dem Drucke mit Titanenkcaft,
Glaubend, daß die Arbeit Wunder thue
Und ein neues Polen entstehen werde!
Meine Herren, nun wage ich die Behauptung, daß die vorher von dem Abg. von Jazdzewski gemachte Anführung, es schalle nur aus dem Walde heraus, wie es hineingeschallt sei, völlig unzutreffend ift. Nicht die Deutschen sind die Angreifenden gewesen, sondern die Angegriffenen. Sie wehren sich gegen derartjge schwere Anschuldigungen, und sie sind nicht diejenigen, die den Frieden gestört haben. Wir aber haben die Verpflichtung, bei derartigen Erscheinungen in der Presse die Augen offen zu halten und zu verlangen, dah die Polen je länger je mehr Preußen werden. Wenn der Augenblick gekommen ist, wird es mög- lich sein, eine Versöhnungspolitik zu treiben, aber nicht eher. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen)
Abg. Ring (kons.): Daß von einer Theilung dez Regierungs⸗ bezirks Potsdam abgesehen wird, hab: ich mit Freude gebört. Wie soll es aber bei der geplanten Aenderung mit den steuerlichen Ver⸗ bältnissen werden. Der Kreis Teltow ist jetzt ein sehr steuerkräftiger Kreis, es sind aber Bestrebungen im Gange, die auf das Ausscheiden von Ortschaften aus dem Kreise gerichtet sind. Eine vom Ober-⸗Präsidenten von Achenbach erlassene Verfügung betreff der Schankwirthschaften und der Veranstaltung von Lustbarkeiten wird in den Vororten Berlins vielfach von sozial⸗ demokrafischen Vereinen umgangen. Ohne polizeiliche Genehmigung werden Tanzvergnügen veranftaltet, die in der Weise zu stande kommen. daß einer im gefüllten Saale plötzlich auftritt und die Gesellschaft zur Feier seines Geburtstags einladet. Die Amtsvorsteher sind da—⸗ gegen völlig machtlos. Die Saalbesitzer selbst fühlen sich durch dieses Verfahren der Sozialdemokraten beschwert. Eine solche Untergrabung der Staatsautorität ist auf die Dauer nicht zu ertragen.
Minister des Innern Freiherr von Rheinbaben:
Meine Herren! Bloß einige Worte zu dem, was der Herr Vor⸗ redner sagte. Er hat zunächst eine beruhigende Erklärung baben wollen, daß bei der von mir angedeuteten Aenderung der Verwaltungs- behörden von Berlin und Umgebung die drei Vorortgemeinden Schöne⸗ beig, Charlottenburg und Rixdorf nicht aus dem Provinzialverbande ausscheiden, ihre Steuern also dem Provinzialverbande verbleiben werden. Ich kann ihn in dieser Beziehung beruhigen; es ist lediglich gedacht an eine Aenderung der Zuständigkeit, nicht aber an eine Aenderung der Provinzialinstanz.
Dann hat Herr Abg. Ring das Ausscheiden verschiedener Orte aus dem Kreisverbande des Kreises Teltow berübrt, eine Frage, die für den Kreis Teltow entschleden von großer Bedeutung ist. Hier ein für alle Mal die Erklärung abzugeben, daß ein solches Aus-
; scheiden zugelassen werden wird oder nicht, ist nicht möglich, wird auch von dem Herrn Abg. Ring nicht für alle Zeiten beansprucht werden.
Dagegen muß ich ihm darin Recht geben, daß für den Augenblick, nachdem die beiden Stadtgemeinden Schöneberg und Rixdorf erst aus dem Kreise ausgeschieden sind und damit das Steueraufkommen des Kreises in erheblichem Maße beeinträchtigt worden ist, eg für den Kreis Teltow sehr schmerzlich sein müßte, abermals Theile des Kreises ausscheiden zu sehen. Ich habe infolgedessen, weil ich ein dringendes Bedürfniß in öffentlichem Interesse nicht einsehen konnte, den Antrag Friedenaus, Schöneberg sich anzugliedern, abgelehnt und beabsichtige, bei weiteren Anträgen, die aus dem Kieise in dieser Be⸗ ziehung an mich herantreten werden, mit großer Vorsicht zu verfahren, damit der Kreis nicht ungebührlich geschädigt wird. Ob man auf die Dauer das Ausscheiden aus dem Kreise bei weiterer Zunahme der
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