1900 / 49 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 23 Feb 1900 18:00:01 GMT) scan diff

die Anschuldigung ausspricht, auch die Güte hätte, sie zu verantworten.

Daß es im Ganzen sehr bequem ist, hier Anschuldigungen öffentlich

auszusprechen, ohne die betreffende Grundlage für sie zu geben,

das ist meine Anschauung, in der ich mit dem Herrn Abg. Bebel nicht übereinstimme. (Sehr richtig! rechts.)

Ich habe ohne weiteres zugegeben der Abg. Bebel muß mich nicht verstanden haben —, daß die älteren Mannschaften geneigt sind, die jüngeren in einer ungehörigen Weise zu behandeln, und daß man dieser Unsitte unbedingt entgegentreten muß. Die Behauptung, daß ich das geleugnet hätte, verstehe ich daher nicht, da ich gerade das— jenige ausgesprochen habe, was der Abg. Bebel selber wünscht.

Was den Herrn Roehl anbelangt, so bin ich bereit, wenn er sich an mich wendet, nach Prüfung des Sachverhalts die 96 M zu zahlen.

Aber daß dem Truppentheil irgend ein Vorwurf gemacht werden kann,

gebe ich nicht zu. Allein das Kriegs⸗Ministerium ist in der Lage,

eine derartige Summe zu ersetzen. Die Duellfrage ist von neuem vom Herrn Vorredner angeschnitten worden. Darauf muß ich ihm selbstoerständlich wiederum entgegnen:

Möge er die Reichsverfassung nachsehen, er wird darin finden, daß

die Verordnung über die Ehrengerichte einschließlich der ganzen Art

und Weise, wie der Zweikampf stattfinden soll, seiner Zeit, als die

Reichsverfassung angenommen wurde, von diesem hohen Hause gebilligt worden ist.

In Betreff der Ehe werden wir uns allerdings auch nie ganz einigen. Wenn er mir gerathen hat, sein Buch nachzusehen, so bin ich stets in der glücklichen Lage, aus seinen Schriften einige Auszüge mit mir zu nehmen, und habe dadurch die Möglichkeit, solchen Aus—⸗ sprüchen, wie er sie zuweilen thut, entgegenzutreten. Darf ich einfach einzelne Stellen anführen es ist die Jubiläums⸗‚Ausgabe des Buches

„Der Sozialismus und die Frau von August Bebel“; nach dem

Parlaments ⸗Almanach sind zehn Auflagen erschienen und es scheint, daß diese guten Lehren für das Volk auch noch weiter verbreitet werden sollen wenn ich Einiges verlesen darf, so heißt es z. B.:

Die Stellung der Frau, die Frau der Zukunft. Dieses Kapitel können wir sehr kurz fassen. In der Liebes wahl ist sie gleich dem Manne frei und ungehindert, und sie freit und läßt sich freien und schließt den Bund aus keiner anderen Röcksicht, als aus ihrer Neigung. Dieser Bund ist ein Vertrag ohne Dazwischentreten irgend eines Funktionärs.

Dann kommt auf der nächsten Selte:

Die Befriedigung des Geschlechtstriebes ist ebense jedes Ein— zelnen persönliche Sache, wie die Befriedigung jedes anderen Natur- triebeg. Niemand hat darüber einem Anderen Rechenschaft zu geben, und kein Unberufener hat sich einzumischen. Stellt sich zwischen zwei Menschen, die einen Bund geschlossen haben, Unverträglichkeit oder Abneigung heraus, so gebietet die Moral, die unmoralisch und unsittlich gewordene Verbindung zu lösen.

(Hört, hört! rechts. Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Auf der anderen Seite ist dann von George Sand ein bestimmter Passus angeführt, der auf die Ehe Bezug hat das Buch setzt sich zum großen Theil aus Zitaten zusammen —:

Was den Ehebruch konstatiert, ist nicht die Stunde, welche sie dem Geliebten gewährt, sondern die Nacht, die sie danach mit ihrem Manne zubringt.

Ich kann nur versichern, daß ich dieser Anschauung niemals beitreten werde, und daß die Meinungen über die Ehe zwischen mir und dem Abg. Bebel niemals übereinstimmen werden.

Abg. Freiherr von Hodenberg (b. k. F.

die fe; des gend he rr *. 56. k daß ein Geistlicher nicht die Meinung vertreten dürfe, daß Gottesdienst vor Herrendienst gehe. ;

Abg Werner (Reformp.) meint, daß, wie die Dinge einmal lägen, Duelle nicht zu vermeiden seien. Ferner verlangt Redner, die Kriegsverwaltung solle sich in Bezug auf die Armeelieferungen direkt an den Produzenten wenden und den Zwischenhandel vermeiden. Es sei auch nicht nöthig, daß sie sich immer an die großen Fabrikanten halte.

Abg. Stöcker (b. k. F) tritt der Ansicht des Abg. von Hodenberg bei. Ein Geistlicher, der nicht so verfahre, würde seine Pflicht verletzen.

Natürlich müsse das in der richtigen Form gescheben. Daß das Duell widerchristlich sei, wider Gottes Gebot gehe, darüber sei kein Streit und weite Kreise des Volkes nähmen daran Anstoß, weil sie darin einen Durchbruch der christlichen Lebenganschauungen erblickten und einen Widerspruch mit der bürgerlichen Anschauung. Mit Genug—= tbuung müsse es erfüllen, daß wenigstens durch die Verordnungen Seiner Majestät der Duellunfug eingeschränkt werde. Er (Redner)

würde sich freuen, wenn es gelänge, das Duell ganz und gar zu be— seitigen. Das wäre ein Sieg des Ehriüeniht n. r ö

Damit schließt die Debatte.

Das Gehalt des Kriegs-Ministers wird bewilligt und um 5 Uhr die weitere Berathung auf Freitag 1 3

Preuszischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

ö 30. Sitzung vom 22 Februar 1900, 11 Uhr.

uf der Tagesordnung steht zunächst die erste Be

. 96 . nn fh . . n ,, en adtkreisen arlottenbu ö

. h rg, Schöneberg

Minister des Innern Freiherr von Rheinbaben:

Meine Herren! Die Gründe für die Ihnen unterbreitete Vor- lage sind bei der vorjährigen Berathung in diesem hohen Hause und in der Kommission eingehend erörtert worden, sodaß für mich wohl kaum autzreichender Anlaß vorliegt, nochmals die ganze Sache in voller Breite vorzutragen.

In Kürze sind die Gründe die: daß das Ineinanderwachsen der Städte Berlin, Schöneberg und Rixdorf, die regen Wechselbeziehungen wischen diesen Kommunen es unerläßlich machen, auf einem Gebiete eine Einheitlichkeit herzustellen, auf dem sie in erster Linie erforderlich ift, das ist auf dem Gebiete der Polizei. Man hätte nun nicht in Aussicht nehmen können, die ortapolizeiliche Zuständigkeit des Polizei ⸗Praͤsidenten von Berlin auf die genannten Rach bargemeinden ju erstrecken. Denn der Polizei Praͤsident ist bereits derartig in Anspruch genommen, daß er unmöglich auch noch die Ortspolijei der benachbarten Gemeinden verwalten kann. Dagegen ist es möglich, eine Einheitlichkeit in der Weise herzustellen, daß die Ortspolizei den betreffenden Königlichen Polizeiverwaltungen verbleibt, dagegen die Aussicht über dieselben, sowie die Verwaltung der Landespolizei dem Polizei⸗Präsidenten von Berlin übertragen wird.

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die Zuständigkeit des Polizei ⸗Präsidenten und des Bezirks⸗Ausschusses von Berlin auf Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf aus— zudehnen. In der vorjährigen Vorlage war vorgesehen, daß diese Regelung nicht nur für Schöneberg und Rixdorf erfolgen, sondern daß der Staatsregierung die Ermächtigung gegeben werden sollte, sie allgemein auf die Vororte von Berlin auszudehnen, in denen sich künftig erst die Einrichtung einer Königlichen Polizeiverwaltung als nothwendig erweisen sollte. Die Kommission Ihres hohen Hauses trug Bedenken, diese so allgemeine Vollmacht der Staatsregierung zu ertheilen, und beschränkte die Ermächtigung auf Schöneberg und Rixdorf. Für Charlottenburg ist sie bereits eingeführt auf Grund einer Allerhöchsten Verordnung von 1846, und es bedurfte in Charlottenburg auch nur der Beseitigung einiger Inkongruenzen bei der gegenwärtigen Abgrenzung der Polizeigewalt. Für die Staatsregierung ergab sich nun die Frage, ob sie die Vorlage in der früheren Fassung wieder einbringen wollte, oder aber ob man sich mit dem begnügen solle, was die Kommission vorge— schlagen hatte, also mit einer Beschränkung auf Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf. Nach eingehender Prüfung sind wir zu der Ansicht gekommen, daß man für den Augenblick mit dem sich begnügen kann, was die Kommission vorgeschlagen hat. Die Bedenken, die in der Kommission gegen die erweiterte Fassung vorgebracht waren, können zwar als durchschlagend nicht anerkannt werden; denn sobald zur Errichtung einer weiteren Königlichen Poltzeiverwaltung in der Um—⸗ gegend von Berlin geschritten werden muß, wird es doch der Zustimmung des hohen Haäuses für die Bereitstellung der nothwendigen Mittel be—⸗ dürfen. Das Haus der Abgeordneten und das Herrenhaus wären also jedeßmal in der Lage gewesen, zu prüfen, ob eine solche Giweiterung nothwendig wäre oder nicht. Indeß die Kommission hat sich auf einen anderen Standpunkt gestellt, und die Staatsregierung hätte nur dann Ver anlassung gehabt, davon abzuweichen, wenn behauptet werden könnte, daß schon gegenwärtig die Beschränkung auf Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf unzureichend wäre. Ich habe zur Prüfung dieser Frage eine Konferenz der betheiligten Behörden einberufen, und diese haben erklärt, daß man zur Zeit mit der Beschränkung einverstanden sein könne. Möglicherweise wird in Zukunft eine Erweiterung auch auf die benachbarten Gemeinden an— gängig sein; dann sind wir genöthigt, einen neuen Gesetzentwurf vor— zulegen. Aber wie gesagt, es liegen für den Augenblick keine Dring⸗ lichkeitsmomente vor, auf den alten Entwurf zurückzugreifen und von dem abzuweichen, was die Kommission des hohen Hauses gewünscht hat. Der Entwurf entspricht also im wesentlichen den Beschlüssen der Kommission. Eine zweite Abänderung hat die Kommission hinsichtlich des Benirks⸗Ausschusses vorgenommen. In der Vorlage der Rezierung war vorgesehen, daß für die Angelegenheiten, die die Vororte be⸗ treffen, zwei aus diesen gewählte Mitglieder in den Bezirks. Ausschuß von Berlin eintreten sollten. Die Kommission hat den Vorschlag gemacht, bei dem Bezirks. Ausschusse zwei Abtheilungen zu errichten, und es ist anzuerkennen, daß dieser Vorschlag eine Verbesserung der Regierungsvorlage enthält. Es sind also die Wänsche, die die Kommission des Abgeordnetenhauses bei der vorjährigen Berathung ausgesprochen hat, verwirklicht worden, und es sind nur einzelne formelle Aenderungen vorgenommen, weil die Fassung, wie sie aus der Berathung der Kommission hervorging, nicht überall mit den Be— stimmungen des Landes verwaltungsgesetzes genau übereinstimmte. Ich unterbreite hiermit die Vorlage der Beschlußfassung des hohen Hauses und hoffe, daß das hohe Haus, wie im vorigen Jahre, auch in diesem Jahre den Grundgedanken der Vorlage gegenüber eine sympathische Stellung einnehmen wird. Nur wenn eine Einheitlichkeit der Polizeiverwaltung gesichert ist, wird die Polizei in der Reichs hauptstadt und in den drei benachbarten Gemeinden mit derjenigen Promptheit und Energie gehandhabt werden können, die unerläßlich ist zur sachgemäßen Lösung ihrer Aufgabe. Abg. von Blanckenburg (kons): Di ä . über den & fl a m nl fe s, e, k hire . hat eine weitere Aenderung der Organisation durch die Schaffung eineg Ober Präsidiums für Berlin in Aussicht gestellt. Daher ist es fraglich, ob es sich empfiehlt, mit einer stäckweisen Regelung, wie sie der Gesetzentwurf vorsieht, vorzugehen und ob man nicht biz zu der an,, a . . . soll, welche die ganze Materie . r bean ; von 14 K Minister des Innern Freiherr von Rheinbaben: Meine Herren! Ich würde es doch bedauern, wenn Sie die dringliche Regelung der poltzeilichen Zuständigkeiten aufschieben wollten bis zu der Regelung der kommunalen Zuständigkeiten. Denn auf dem polizeilichen Gebiete liegen schwere Mißstände vor, die eine baldige Beseitigung erheischen, und ich glaube, es wäre nicht zweckmäßig, die eine Sache mit der anderen zu verquicken. Die Regelung der poltzeilichen Zuständigkeiten kann selbständig für sich erfolgen und die kommunale ebenfalls. Ich hoffe ja, daß für Berlin und die Vororte ein besonderer Ober-Präsident bestellt werden wird, allein dazu bedarf es einer anderweitigen Regelung der ganzen Behördenorganisation, namentlich in den mittleren Instanzen; es muß geprüft werden, wie die steuerlichen Verhaͤltnisse, wie die Verhältnisse der höheren, der mittleren Schulen, wie die Militär⸗ verhältnisse geordnet werden sollen kurjum, es muß der ganze Instanzenjug von unten bis oben aufgebaut und abgeändert werden, und dazu bedarf es naturgemäß auch eines gesetzlichen Eingriffs; denn es würde eine Abänderung des Landesverwaltungsgesetzes in Frage kommen. Das sind schwierige Fragen, deren Lösung längere Zeit be—= ansprucht. Ich möchte also dringend bitten, die beiden Sachen nicht zu kombinieren. Ich glaube auch, die vorliegende Sache ist so weit spruchreif, daß es einer Kommissionsberathung nicht mehr bedürfen würde; wenn die Herren aber eine Kommissisnsberathung wünschen, . ich meinerseits natürlich auch keine Einwendungen dagegen zu erheben. Abg. Traeger (fr. Volksp., a . versti lich be ge fein? a n n nn. en verwaltung Berlins. Das Gesetz über die Landesverwaltun sebe für Berlin einen besonderen Bezirksausschuß vor; wenn nun zwe

Mitglieder desselben von Berliner Vororten zu wählen seten, so widerspreche dies dem Gesetz über die allgemeine

Um dies zu ermöglichen und damit einen einheitlichen Zustand für Berlin und die Nachbargemeinden zu schaffen, ist es nothwendig,

Dieser Wahlmodus müsse geändert werden. Bleibe die Fasfung des

Abg. Graf von Bern storff (fr. kons. ): Meine die Vorlage . Wu f en, lt len . nden 36 5 to vorjährigen Kommissionsbeschlüssen entspricht; da aber Lommisss . berathung gewünscht ist, stimmen wir für eine solche. In der 7 mission werden wohl auch die Bedenken des Abg. Traeger becher

werden können. Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch h kons): Mir die Schaffung

n, . 96. ier e gr, ö ö. * nicht au

eines Ober⸗Präsidiums für Berlin durch diese Vorl ,

sollte. Eine Beeinträchtigung der Selbstverwaltung we el wie

fürchte ich von, der vorgeschlagenen Zusammensetzung deg Bent?

. 1 33 ih. ih die Si nr len fel fe Gm. ne er⸗Präsidiums von Berlin noch e

der Kommission beseitigt werden können. J

bg. Flausener (Zentr.) spricht die Zustimmung seiner zu der Jorg aus; da aber einzelne 3 2. e en, er sich dem Vorschlag der Kommissionsberathung an.

Abg. Hobrecht (nl): Die Vorlage berührt nicht die Ab, grenzung der Kommunalverwaltung und beschränkt sich auch auf die Orte welche die Kommission im vorigen Jahre vorgeschlagen bat. Di ö könnte 2. 2 , . 53 wenn nicht Cin.

ungen gegen den erhoben wären. ir müssen da Bestimmungen in der Kommission eingehend prüfen. ĩ he dit

Die Vorlage wird einer Kommission von 14 Mitgliedern überwiesen.

Es folgt die erste Berathung des Gesetzentw = treffend die enn n n rn , . östlichen Provinzen.

Minister des Innern Freiherr von Rheinbaben:

Meine Herren! Die Bestimmungen über die Zusammensetzung der Kreistage, wie sie in den S5 85 ff. der Kreisordnung für die zt. lichen Provinzen enthalten sind, quadrieren nicht mehr mit den Ver— hältnissen, wie sie sich in der Nachbarschaft der großen Städte ent— wickelt haben. Das gilt insbesondere von der Nachbarschaft Berlin in den Kreisen Teltöow und Niederbarnim. Hier haben sich BVerhãlt. nisse herausgebildet, die dem Grundgedanken der Kreisordnung schlechterdings nicht mehr entsprechen und eine Kreisvertretung herbei⸗ zuführen geeignet sind, wie sie als nicht im Sinne der Kreis— ordnung liegend bezeichnet werden muß. Die abnorme Ent— wickelung in diesen Vorsrten der großen Städte, nament- lich der gedachten beiden Kreise bei Berlin, hat sich nach zwei Richtungen hin vollzogen.

Zunächst hat sich in diesen mehr und mehr städtischen Charakter annehmenden Vororten der großen Städte ein Ueberwiegen der Haus⸗ besitzer im Wahlverbande der Großgrundbesitzer gezeigt, das diesen Wahlverband der Großgrundbesitzer allmählich völlig der Herrschast der Hausbesitzer überliefert hat. Die rechtliche Lage ist bekanntlich die, daß nach 5 8s der Kreisordnung alle diejenigen berechtigt sind, im Wahlverbande der Großgrundbesitzer zu wählen, die 225 M Grund und Gebäudesteuer entrichten. Fraglich ist nun, wie dieses »Grund⸗ und Gebäudesteuer“ aufzufassen ist, ob konjunktiv derart, daß nur das Zusammentreffen der Gebäude und Grundsteuer zur Wahl im Wahlverbande der größeren Grundbesitzer berechtigt, oder diejunktiv derart, daß es genügt, wenn nur Grundsteuer oder nur Gebäudesteuer entrichtet wird. Das Ober ⸗Verwaltungsgericht hat in einem Erkenntniß vom Jahre 1880 sich der letzteren Anschauung zu⸗ geneigt, also ausgesprochen, daß auch schon die Entrichtung von 225 M an Gebäudesteuer zur Wahl im Wahlverbande der großeren Grundbesitzer berechtigt.

Wir sind damit zu einem Zustande gelangt für die östlichen Pro⸗ vinzen, der ganz abweicht vom Rechtszustande in den übrigen Theilen der Monarchie. Für alle anderen Provinzen besteht die Bestimmung, daß nur die Grundsteuer zur Wahl im Wahlverbande der Groß— grundbesitzer berechtigt. Wir haben in dieser Beziehung eine völlige Disparität der rechtlichen Verhältnisse im Lande. ;

Aus diesem Erkenntniß des Ober⸗Verwaltungsgerichts hat sich nun in den Kreisen Niederbarnim und Teltow ein Ueberwiegen der Hausbesitzer im Wahlverbande der Großgrundbesitzer ergeben, das, wie ich mir schon anzudeuten erlaubte, nicht mit den Absichten der Kreisordnung in Einklang gebracht werden kann. Nach den dem Gesetzentwurfe beigegebenen Materialien sind im Kreise Niederbarnim von 288 Wahlberechtigten 181 Haus— besitzet und nur 49 Gutsbesitzer und 58 Gewerbetreibende, und im Kreise Teltow sind von 700 Wahlberechtigten 573 Hausbesitzer und nur 53 Gutsbesitzer und 74 Gewerbetreibende. Die Hausbesitzer sind also die Ausschlaggebenden geworden in dem Wahlverbande der Groß⸗ grundbesitzer. Die Großgrundbesitzer und die Großgewerbetreibenden werden infolge dessen allmählich aus den Kreistagen dieser Kreise ver⸗ schwinden, durchaus entgegen den Intentionen der Kreizordnung.

Was die gedachten beiden Krese betrifft, so entfallen im Kreise Niederbarnim noch 45 0;0, im Kreise Teltow 40 0/0 des Areals auf den Großgrundbesitz. Trotz dieses bedeutenden Besitzes find also die eigentlichen ländlichen Großgrundbesitzer in den gedachten Kreispertretungen schon jetzt fast ganz aus den Kreistagen verdrängt und werden im Laufe der Zelt röllig ausgeschlossen werden. Das entspricht nicht der Bedeutung des Areals, das sie besitzen. Hinsichtlich der Vertretung auf den Kreistagen muß meines Erachtens auf das Areal ein wesentlicher Werth gelegt werden, nicht allein auf die Steuerleistung; denn die räumliche Ausdehnung des Kreises, alle die Interessen, die sich daran knüpfen im Wegewesen, in der Ent⸗ wickelung der Kleinbahnen, der Förderung der Meliorationen u. s. w. bedingen, daß auch das Areal noch einen gewissen Einfluß auf die Zusammensetzung der Kreistage übt, und daß alle diejenigen, die ein erhebliches Areal besitzen, auch im Kreistage nicht unvertreten bleiben. Die Thatsache, daß die Hausbesitzer jetzt die Alleinherrschenden im Wahlverbande der größeren ländlichen Grundbesitzer sind, entspricht aber auch nicht den Steuerleistungen. Denn, wie ebenfalls die Materialien zur Vorlage ergeben, ist das Steueraufkommen bet den Hausbesitzern keinetwegs ein ihrer Machtstellung im Wahlverbande der größeren ländlichen Grundbesitzer entsprechendegs. Die Herren finden auf Seite 7 der Vorlage die nöthigen Daten in dieser Be⸗ ziehung. Ich daif nur in Kürze noch daraus hervorheben, daß im Kreise Niederbarnim die 49 Gutzbesitzer und 58 Gewerbetreibenden ich gebe die Zahlen rund 175 000 M Kreisfteuern aufbringen und die 81 Hausbesitzer nur 36 000 M Obgleich also die Hausbesitzer nur I /s der Kreissteuer aufbringen, dominieren sie thatsächlich voll⸗ kommen im Wahlverbande der größeren ländlichen Grundbesitzer. Im Durchschnitt stellt sich im Kreise Niederbarnim das Aufkommen für die Guts besitzer und Gewerbetreibenden auf 1630 A, für die Hausßbesitzer aber nur auf 208 0

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

S 4bestehen, so müßten seine Freunde das Gesetz ablehnen.

M 49.

Zweite Beilage zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-AUnzeiger.

Berlin, Freitag, den 23. Februar

1900.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Gan ähnlich liegt es im Kreise Teltow. Hier bringen die 177 Gutsbesitzer und Gewerbetreibenden 166 000 S6 Kreissteuern und die b?3 Hausbesitzer nur 106 000 4 Kreissteuern auf.

Meine Herren, ein solches Ueberwiegen des Hausbesitzes im Wahl- perbande der größeren ländlichen Grundbesitzer widerspricht, wie ich wieder⸗ holentlich gesagt habe, den Intentionen der Kreigordnung. Die Kreiz⸗ odnung hat gewollt, daß diejenigen im Kreistage vertreten sind, die nach jhrem Befitz, nach ihrer wirthschaftlichen und soztalen Bedeutung einen Anspruch darauf haben, und sie hat gewollt, daß diejenigen, die ihrer Virilstimmenberechtigung zum Kreistage verlustig gingen, nun einen entsprechenden Ausgleich durch ihr Wahlrecht im Wahlverbande der gröͤheren ländlichen Grundbesitzer erhalten sollen. Dieses Wahlrecht wird ihnen durch die thatsächlichen Verhältnisse, wie sie sich in den Vororten von Berlin und anderen großen StäLten gebildet haben, und wie ich fie mir in Kürze hier darzulegen erlaubt habe, völlig ge⸗ nommen, und es muß in dieser Beziehung Remedur geschaffen werden. Ez bandelt sich nicht wie ich das in einem freisinnigen Blatte ge⸗ lesen habe um einen Einbruch in die Kreisordnung, sondern im Gegentheil, es handelt sich darum, den ganz unzweifelhaften Willen der Kreisordnung wiederherzustellen.

Meine Herren, die zweite Abnormität in der Entwickelung der Verhältnifse in der Umgegend von Berlin liegt darin, daß die größeren Vorortsgemeinden ein zu geringes Wahlrecht haben. Die Kreigzordnung ist ja wesentlich auf rein ländliche Verhältnisse basiert und hat infolge dessen den einzelnen Landgemeinden in 5 91 nur ein geringes Stimmrecht eingeräumt. Dieses für ländliche Verhältnisse berechnete Wahlrecht kann nicht mehr als an gemessen bezeichnet werden für die großen Vorortsgemeinden in der Nähe von Berlin; sie sind von einem so bedeutenden wirthschaftlichen Cinfluß jetzt, daß es nicht mehr richtig ist, sie lediglich nach dem Maßstabe ländlicher Gemeinden zu behandeln, es vielmehr geboten erscheint, ihnen ein größeres Maß von Stiramberechtigung einzuräumen. In dieser Einräumung eines größeren Maßes von Stimmberechtigung an diese größeren Vorortgemeinden liegt ein ge—⸗ wisses Aequivalent dafür, daß die Hausbesitzer den Einfluß nicht mehr behalten sollen, den sie bisher in der Kreisvertretung gehabt baben.

Es besteht daher die Absicht, diesen größeren Vorortgemeinden

ein größeres Wahlrecht einzuräumen, als sie gegenwärtig besitzen. Diese größeren Vorortgemeinden mit mehr als 6000 Einwohnern haben im Tellower Kreistage nur 10 Vertreter und im Kreistage von Niederbarnim nur 11 Vertreter. Sie werden nach der Votlage erhalten im Kreise Teltow 18 und im Kreise Niederbarnim 22. Ich bemerke z. B., daß Lichtenberg jetzt zwei Vertreter hat, künftig sechs erhalten wird, daß Reinickendorf und Pankow bisher zwei hatten, künftig fünf erhalten werden, Steglitz jetzt zwei hat, künftig vier erhalten wird, daß Friedenau mit Schmargendorf und Grunewald nur zwei hatte und künftig drei erhalten wird. Wir glauben also, daß, wenn man einerseits dag Wahlrecht der Haus— besitzer einschränkt, wie es den Intentionen der Kreizordnung ent- spricht, andererselts den größeren Vorortsgemeinden eine ihrer Be⸗ deutung entsprechende stärkere Vertretung einräumt, ein richtiger Mittelweg gefunden wird, um die Verhältnisse auf einen Stand ju bringen, auf dem eine gedeihliche Entwickelung der Verhältnisse allein

möglich ist.

Die Einschränkung des Wahlrechts der Hausbesitzer beruht in keiner Weise auf irgend einem Mißtrauen gegen die Qualifikation dieser Elemente an sich, sondern resultiert allein aus der Thatsache, daß man von Leuten, die ihre ganzen Interessen in diesen Vorort⸗ gemeinden finden, die zum großen Theil nach Berlin gravitieren, in Berlin zum großen Theil wohnen und nur Hauebesitz im Vorort, um theil auf Spekulation, haben, unmöglich ein volles Verständniß und volles Eingehen auf die Interessen der Landkreise verlangen kann, mit denen sie in gar keiner wirthschaftlichen und sonstigen Füblung stehen. Nur wer mitten in den Interessen der Landkreise steht, mit ihnen in seinen ganzen wirthschaftlichen und sonstigen Beziehunzen verbunden ist, wird dieselben in ihren Interessen in der genügenden Weise zu vertreten in der Lage sein.

Meine Herren, es ist nun in der Presse die Idee vertreten worden, daß, wenn man diesen größeren Vorortgemeinden ein größeres Maß von Vertretung einräumt, indem man sie den Städten gleich stellt, daß sich dann die Bestimmung des § 89 der Kreisordnung nicht mehr aufrecht erhalten ließe, wonach die Städte nur die Hälfte der Krelstags⸗ Abgeordneten beanspruchen dürften, die andere Hälfte auf die ländliche Vertretung zu entfallen babe. Ich glaube, daß diese Auffessung nicht zutreffend ist. Die Kreigordnung hat mit weisem Bedacht, meine ich, die Be⸗ stimmung aufgenommen, daß die Städte unter keinen Umständen mehr als die Hälfte der Vertreter in den Kreistag entsenden sollen. Auf diese Weise ist allein ein sachliches Zusammenarbelten gewährleistet; weder die Städte haben die Majorltät noch die anderen, und jeder Stand ist darauf angewlesen, durch sachliches Zusammenarbeiten, durch gegenseitiges Entgegenkommen die gemeinsamen Geschäfte zu fördern, nicht aber den anderen Theil zu majoristeren. Ich glaube also, daß es gut sein wird, an dieser Beslimmung der Kreisordnung auch fest⸗ juhalten.

Meine Herren, ich habe die Gründe mir darzulegen erlaubt, die für die Ihnen vorgeschlagene gesetzliche Regelung sprechen. Es ist keine Ihnen neue Materie; den Herren ist ja wohl bekannt aus den früheren Verhandlungen, namentlich aus dem Jahre 1894, daß das Für und Wider der Sache eingehend erwogen worden ist und schon damals die Mißstände zur Sprache gekommen sind, die für eine Veränderung des gesetzlichen Verfahrens sprechen. Diese Mißstände baben sich inzwischen noch verstärkt, und sie erheischen Ab⸗ hilfe, wenn anders eine den Intentionen der Kreisordnung entsprechende Verwaltung der Landkrelse in den großen Städten gewährleistet werden soll. Die Verhaͤltnisse sind, wie gesagt, am meisten zugespitzt in

Teltow und Niederbarnim; für diese Kreise ist das Bedärfaiß nach einer Aenderung am dringlichsten. Aber die Verhälinisse können und werden sich voraussichtlich auch in den Nachbargemeinden anderer großer Städte in ähnlicher Weise entwickeln, und um auch ihnen in gebührender Weise Rechnung tragen zu können, ist vorgesehen, daß die Bestimmungen des Gesetzes auf sie im Wege Königlicher Verordnung übertragen werden können. Wenn diese höchste und objcektibste Stelle in unserem Staatsleben eingesetzt wird als diejenige, von der die Uebertragung auf andere Kreise auszugehen hat, so, glauben wir, ist damit die Gewähr geboten, daß nur nach eingehender Prüfung und wenn dringende Umstände die Uebertragung erbeischen, von dieser

Uebertragung Gebrauch gemacht wird. Ich empfehle Ihnen also nochmals diese Vorlage. Sie hat sich

bemüht, eine Mittellinie zu finden, auf der eine weitere und gedeih⸗ liche Entwickelung der besonders gearteten Landkreise in der Umgebung

der großen Städte möglich ist.

Abg. von Sanden . Tilsit (ul) erklärt, daß seine Freunde dem Gesetzeniwurf sympathisch gegenüberstehen, und beaatragt die Ver⸗ weifung der Vorlage an eine besondere Kommission von 14 Mit— liedern.

c Abg. Richter (fr. Volksp.): Da der Gesetzentwurf sich auch auf andere Kreise erstrecken kann, interessiert er das ganze Haus. Bis jetzt konnten solche einschneidenden Aenderungen nicht durch FRönigliche Verordnung vorgenommen werden. Dlese Verhältnisse sollten immer durch besondere Gesetze geregelt werden. So geschieht es ja auch bei dem Gesetz über die Polizei in den Vororten Berlins. Hier aber soll weitgehende Voll⸗ macht besüglich der Aenderungen des Zensus und der Behandlung der Landgemeinden mit über 600 Einwohnern gegeben werden. Um über diese Verhältnifse urtheilen zu können, müßten wir eine viel genauere Statiffik hinsichtlich der Einwohner, der Vertheilung des Groß- grundbesitzes, der Steuersummen ze. haben. Ich bedauere, daß dieser Gesetzentwurf schon 24 Stunden nach der , Berathung gelangt, sodaß es unmöglich ist, sich durch Ruͤck= fragen zu orientleren. Die Ausführungen des Minifters waren bier leider nur schwer zu verftehen. Die wirthschaftliche Entwickelung der Vororte Berlins ist so fortgeschritten, daß die öffent⸗ sich rechtlichen Beflimmungen nicht mehr genügen. Es entspinnt sich nun ein Kampf zwischen denen, die bisher die Macht gebabt haben, und denen, die auf Grund ihrer Steuerleistung Berücksichtigung ver langen. 1894 wurde noch geklagt über, die große Zahl ven Schöne⸗ berger und Rixdorfer Haugbesitzern. Diese kommen, da beide Städte aug dem Krerfe ausgeschieden sind, nicht mehr in Frage. Nun hat die Regierung dem Gedanken Ausdruck eren, den ich für richtig halte, daß man. Berlin mit Stadtkreisen umgeben müsse. Hierbei kommt zunächst Wilmersdorf in Frage, das bei der nächsten Volkszäblung 25 000 Einwohner haben wird, sodann Groß— Lichterfelde und Weißensee. Wenn Stadtkreise gebildet werden, so ist die Frage wesentlich vereinfacht. Dann kommt es darauf an, Orte, die räumlich und wirihschaftlich mit Stadtkreisen zusammenhängen, mit diefen zusammenzulegen. So wünscht schon jetzt Friedenau die Zusammenlegung mit Schöneberg. Orte über 26 C000. Ein⸗ obner haben das Recht, Stadtkreise zu werden. Aber die Ge= währung des Städterechts ist eine sehr schwierige Frage, besonders hinsichtlich der Regelung der Steuerverhältnisse. Das Natürliche wäre, zur Behebung der Schwierigkeiten die grohen Kreise zu tbeilen. Die Einwohnerzahl mancher Kreise reicht an die Bevölkerungs= ziffer eines Regierungsbezirks heran. Die Vertreter des Kreises müßten nach Maßgabe der Bevölkerung auf die Gemeinden vertheilt werden. Sonst werden die Hausbesitzer alljusebr berücksichtigt, z. B. bei den Kommunalwahlen, hier soll der Einfluß der Hausbesitzer zurückgedrängt werden. Es ist unrichtig, wenn die Vorlage Gewerbe⸗ reiben de und Geoßgrundbesitzer zusammenwirft. Denn der Steuer betrag der ersfleren üÜbersieigt den der letzteren. Der Begriff „Großgrundbesitz' fteht zudem durchaus nicht fest. Unter den Großgrundbesitzern findet man Terrainspekulanten, den Fiskus, Ausländer und alle möglichen anderen Elemente. Das sind aber nicht die Großgrundbesitzer, auf welche man in der Kreisordnung die Selbst⸗ verwaltung ftützen will. Die Vorlage fügt zu den Kommissionz⸗ beschlüssen von 1894 noch hinzu, daß die Landgemeinden mit über bö00 Ginwohnern als Städte betrachtet werden können, Ich selbst habe damals die Grenze auf 10000 Einwohner erhöhen wollen. Durch die Begrenzung auf 6000 Einwohner tbeilen sich nech mehr Släbte in die auf sie entfallende Hälfte der Kreisvertreter. Dieser Gesetzentwurf ist nur eine Flickarbeit, man kuriert auf Symptome los. Ich hoffe, daß die Vorlage nicht Gesetz wird.

Abg. Graf von Bernstorff: Wir müssen anerkennen, daß sich in Teltow und Niederbarnii Zustände entwickelt haben, die dem Sinne der Kreisordnung nicht mehr entsprechen. Wir könnten die Vorlage ohne Kommissionsberathung annehmen, wenn sie nicht auf andere Kreise rückwirken sollte. Ich beantrage die Ueberweisung an dieselbe Tommission, der wir den anderen G setz entwurf überwiesen baben. Mit Herrn Richter stimme ich darin überein, die Grenze der Städte auf 10 09900 Einwohner feftzusetzen. Die Bestimmung, daß die Städte die Hälste der Abgeordneten wählen sollen, wird nicht be⸗ rührt werden.

Abg. Dr. Irm er (kons.): Herr Richter unterzieht das ganze System der Kreisordnung einer Kritik. Wir halten dieses System fur gut und wollen möglichft wenig daran rütteln. Hier wird aber bas bevorrechtete Wahlrecht der Grundbesitzer von Elementen in Anspruch genommen, welche mit dem Grundͤbesitz garnichts zu thun haben. Um einen Kampf gegen die Hausbesitzer handelt es sich nicht. Gewiß ist die Vorlage in gewissem Sinne nur Flickwerk, wir kommen aber auf diesem Wege wenigstens zu erträglichen Zuständen. Eine Theilung des Kreises würde die Verhältnisse nicht ändern, oder man müßte aus den Vororten um Berlin einen Kreis bilden. Aber auch dies wäre kein glücklicher Ausweg. Die Versuche, eine Provinz Berlin aus Berlin und seinen Verorten zu bilden, werden immer an der Unmöglichkeit scheitern, eine geeignete Vertretung diefes Gesammtkörhers zu schaffen, denn die Vorgrte würden immer von Berlin majoristert werben Der Grundgedanke der Vorlage ist ein guter, namentlich da sie sich nicht weit vom System der Kreiso dnung entfernt. Gegen die Ausscheidung der Städte aus dem Wahlverband der Landgemeinden haben wir das Bedenken, daß sie der Absicht der Kreidorbnung;: Trennung von Stadt und Land, widerspricht, Die Esstreckung des Gesetzes auf andere, ähnliche Verbältnisse wollen wir zwar möglichst erleichtern; wenn dies aber durch Königliche Verordnung geschehen soll, so liegt die Entscheidung schließlich doch nur bei dem seweillgen Minister des Innern, und wenn die Kommission für 68

älle Lieber jedesmal ein Spezial gesetz wünscht, so werden wir die Vorlage daran nicht sceitern lafsen.

Abg. Richter: Der Zensus wird nicht nur durch die Grund⸗ steuer, sondern auch durch die Gewerbesteuer bedingt; der Gesetz⸗ entwurf kehrt sich also nicht nur gegen die Hausbesitzer, sondern auch gegen die größeren Gewerbeireibenden. Diese wohnen meistens in ben Orten mit mehr als o00 oder 10 009 Einwohnern, die also zu den Städten gehören, sie sind daher nicht wählbar. In den west⸗

lichen Provinzen spielt der Großgrundbesitz nicht entfernt die Rolle

wie hier im Osten, deshalb haben dort die Großgrundbesitzer vielfach garnscht die Hälfte der Stimmen, und die Gegensätze zwischen den einzelnen Klaffen sind dort nicht so scharf. Man sagt, daß die Ge⸗ meinden nur sehr ungern zur Annahme der Städteordnung schreiten wegen der damit verbundenen großen Lasten. Das könnten nur die

RKosten der Magistratsverfassung sein, aber man sollte eigentlich gar

nicht die kleineren Städte zur Annahme der Magistratsverfeffung nöthigen. Eine Verleibung des Städterechts für Orte mit größerer Entwickelung bietet große Vorthelle, besonders hinsichtlich des Bau⸗ kredits. Die Gemeinde‘ und Amtsvorsteher unter der Protektion des Landrathz wollen nicht den Ast absäͤgen, auf dem sie sitzen. Wenn die Regierung den Landräthen nicht sopiel Einfluß gestattete, würden wir viel eber zu einer Regelung der Verhältnisse kommen.

Abg. Kir sch (Zentr.): Wir sind damit einverstanden, daß hier auf gesetzaeberischem Wege eingeschritten wird, haben aber ein Haupt bedenken gegen die Königliche Verordnung, zumal wir ja nicht wissen, wie der Nachfolger des jetzigen Ministers aussehen wird. Es handest sich nicht um einen Kampf zwischen Grundbesitzer und Haußbesitzer, sondern viel eher um einen Kampf zwischen Land⸗ wirthschaft und Gewerbebetrieb. Wir wünschten eine Revision der Kreisordnung dahin, daß diejenigen nicht zum Grundbesitz gerechnet werden, welche eigentlich ein Gewerbe betreiben und nur nebenbei Grundbesitzer sind.

Damit schließt die Diskussion. Die Vorlage wird an die mit der Vorberathung des anderen Gesetzentwurfs betraute FKommission überwiesen.

Schluß 11/ Uhr. Nächste Sitzung Freitag, 11 Uhr. (Gesetzentwurf, betreffend die Bildung der Wählerabtheilungen bei den Gemeindewahlen.)

Statistik und Volkswirthschaft.

Ueber den Welthandel mit Fleisch und den Viebmarkt in Chicago

veröffentlicht das Relchtamt des Innern in den Nachrichten für

Handel und Industrie“, zum theil nach dem Russischen Finanzherold“,

ausführliche statiftische Mittheilungen, denen wir nachstebende Angaben

entnehmen:

Das Gesammtquantum an Fleisch auf allen Märkten der Welt betrug im Jahre 1898. 1162 Millionen Pud, wobei als Hanpt⸗ predujenten folgende Länder auftreten: .

Millionen

Vud Rubel Vereinigte Staaten von Amerika. 499 1800 Rußland 1 Deutschland Desterreich Ungarn Frantreich Großbritannien NUebriges Europa Australien Argentinien Canada

Zusammen .. 1151, 6163, 5

Aus der vorstehenden Tabelle ist gleichzeitig die verschiedene Be⸗ werthung des Fleisches in den einzelnen Landern zu ersehen. So ist die Menge des in Amerika produnierten Fleisches ungefähr fünfmal, der Werth dagegen nur dreieinhalbmal so groß wie derjenige der eng= lischen Produktion.

Hinsichtlich des pro Kopf der Bevölkerung jährlich produzterten Fleischquantums lassen sich die für die Produktion von Fleisch in erster Linie in Betracht kommenden Länder folgendermaßen rangieren:

Pfund pro Kopf Großbritannien . 63 Desterreich / Ungarn 62 ne,, enn, anten 699 , 6

Australien

Vereinigte Staaten .. Canada

Dänemark

Argentinien

Schweden und Norwegen 73 Deutschland .... 68 Belgien... 39 Frankreich Italtlen 30

Der Fleisch kon sum dagegen stellt sich auf den Kopf der Be⸗ völkerung, wie folgt: Pfund

Pfund . pro Kopf e, an

Vereinigte Staaten .. 147 Belgleͤn.. Großbritannien.... Desterreich⸗ Ungarn Norwegen Rußland.... Frankreich Portugal .... Spanien ehe Deutschland .... rland Schweden Italien Schweiz ĩ Was die Preise des Fleisches betrifft, so sind dieselben ia West⸗ Europa höher als in den transatlantischen Ländern und in Rußland. So werden beispielsweise in Großbritannien für die auf den Kopf der Bevoͤllerung entfallenden 117 Pfd. 11 50 Doll. bezablt, wäbrend in den Vereinigten Staaten von Amerika der 147 Pfd. auf den Kopf betragende Konsum nur 8 33 Doll. kostet. . Die Fleischproduktlon zerfällt im allgemeinen in drei Zweige: in die Produttion von Rind., Hammel und Schwelnefleisch. Luf die einzelnen Länder verthellen fich diese in folgender Weise:

J. Horn vieh und Rindfkleisch. Sihilice Kopfrahl 1

n Tonnen 53 100 000

ö ö Oos Vereinigte. Staaten 27 606 650

Guropäisches Rußland

Argentinien

Deutschland

Oesterreich · Ungarn

Australien.

roßbritannien

Italien

Spanien

Uebriges Europa

Canada.

1546000 22 900 000

17 600 0001) 285 9090 14200900 9d O00 325 000 84 000 661 000 280 000 112 000 78 (609 235 909

Zusammen TN Fd b o Vo G

) Nach neuerer Zählung gemäß der deutschen Statistik 18 500 000.

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