1900 / 55 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 02 Mar 1900 18:00:01 GMT) scan diff

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Wir hatten unsere Betheiligung jugesagt, wenn und so lange alle übrigen Großmächte dabei wären. Zugleich hatten wir bei An nahme der Einladung ausdrück ich die Voraussetzung gemacht, daß eine Minorität der Konferenz nicht verpflichtet sein könne, sich einem Votum der Majorität zu unterwerfen. Die deutschen Delegirten waren ferner angewiesen, an den Berathungen über alle Fragen theiljunehmen, die wichtigen Anträge zunächst ad referendum zu nehmen. Schließlich batten die deutschen Delegirten die Weisung, nicht nur mit ihren oͤsterreichischen und italienischen Kollegen Füh⸗ lung zu halten, sondern auch dem russischen Delegirten, soweit immer angängig, Entgegenkommen zu zeigen. (Sehr gut! rechts.) Was unsere Stellung zu den einzelnen Punkten des Programms angeht, über welches die Konferenz verhandelt hat, so waren wir gern bereit, alle Anträge zu fördern, welche wirklich geeignet er⸗ schienen, der Humanität und dem Frieden zu dienen. Es gab deren aber auch solche, welche eher geeignet waren, ein Hineingleiten in den Krieg zu erleichtern. Auf dem Gebiete der Einschränkungen der Rüstungen konnte die Kaiserliche Regierung im Bewußtsein ihrer Berantwortung vor dem deutschen Volke keine Konzessionen machen, welche die Wehrhaftigkeit der Nation beeinträchtigt hätten. (Sehr gut! rechts) Das verstand sich für uns von selbst. Dieser Standpunkt ist von uns ungescheut zum Ausdiuck gebracht worden und hat auch ziemlich allgemeine Zustimmung gefunden. Dagegen haben sich die deutschen Delegirten allen außerhalb der eigentlichen Abrüstungsfrage in der ersten Kommission gemachten Vorischlägen rückhaltlos angeschlossen. Auch an den Arbeiten der zweiten Kom⸗ mission über die Ausdehnung der Genfer Konvention auf den See krieg und über die Inkraftsetzung und Revision der Brüsseler Deklaration, enthaltend Gesetze und Gebräuche des Landkrieges, haben sich die deutschen Delegirten in hervorragendem Maße und unter allgemeiner Anerkennung betheiligt. Ich möchte auch er wähnen, daß wir im Hinblick auf die Unzuträglichkeiten, die sich aus der anfänglich ungenauen und lückenhaften Veröffentlichung der Haager Konferenzverhandlungen ergaben, Veranlassung genommen haben, durch unseren ersten Delegirten den Antrag auf sofortige Veröffentlichung der Protokolle sowohl der Plenar⸗ wie der Kom— missiontsitzungen einzubringen.

Dieser Antrag ist von den anderen Mächten nicht angenommen worden. Das war nicht unsere Schuld, wir haben uns jedenfalls bemüht, dahin zu wirken, daß die Protokolle der Haager Friedens konferenz der Oeffentlichkeit nicht vorenthalten wurden.

In der Frage der Arbitrage und Mediation haben wir dem Vorschlage einer obligatorischen Arbitrage nicht zugestimmt. Nach unserer Ueberzeugung ist ein unabhängiger Staat für sich Selbst⸗ zweck, er kann auf politischem Gebiete keine höheren Ziele als die⸗ jenigen der Wahrung seiner eigenen Interessen und seiner Selbst— behauptung durch Erfüllung seines eingenen Daseinszweckes an erkennen. In ernsten politischen Fragen werden wir niemals eine andere Richtschnur anerkennen, als die Salus publica des deutschen Volkes. Deshalb konnten wir uns nicht a priori und allgemein einem Schiedsspruche in solchen Fragen unterwerfen, die unsere staatliche Existenz berühren, sondern höchstens in untergeordneten Fällen, und wir mußten uns allein die Entscheidung darüber vor⸗ behalten, ob in conereto das erstere oder das letztere der Fall ist. Darum war eine obligatorische Arbitrage für uns unannehmbar. Dagegen haben wir dem Vorschlag auf Errichtung eines permanenten internationalen Schiedsgerichts unter gewissen Bedingungen, nament- lich Beseitigung jeder obligatorischen Arbitrage und Erhöhung der Zahl der für das Schiedsgerichtsverfahren zur Auswahl gestellten Schiedsrichter, zugestimmt. Die obligatorische Arbitrage ist fallen gelassen worden. Die an ihre Stelle tretende Institution stellt de facto eine permanente Liste von Persönlichkeiten dar, aus denen im einzelnen Falle das Schiedsgericht zu bilden ist, sowie ein per⸗ manentes Bureau, welches die reinen Formalgeschäfte im Schieds⸗ gerichtsverfahren zu besorgen hat und der Aufsicht der im Haag akkreditierten Missionschess unterstellt wird. Zu der permanenten Schiedsrichterliste ernennt jeder Staat nicht, wie ursprünglich beab⸗ sichtigt war, zwei, sondern vier Mitglieder, und zwar auf die Zeit von sechs Jahren. Durch die Verdoppelung der Zahl der Schieds—⸗ richter in der Liste ist nicht nur die Möglichkeit größer geworden, innerhalb der Liste für jeden Spezialfall sachverständige Personen zu finden, sondern es wird damit auch jeder Versuch erschwert, die Gesammtheit der möglichen Schiedsrichter in unliebsamer Weise zu einem politischen Machtfaktor auszugestalten. Die Mitglieder der Lifte werden in ihrer Gesammtheit mit dem allgemeinen Ausdruck cour d'arbitrage“ bezeichnet, baben aber als Gesammtheit keinerlei Funktionen. Durch diese Modifikationen sind die ursprünglichen Vorschläge ihrer Gefährlichkeit entlleidet worden, vor allem ist der jetzt von der Konferenz angenommene Entwurf der Arbitrage—⸗ Konvention in allen seinen Bestimmungen durchaus fakultativ gehalten, sodaß derselbe unser Verhalten in künftigen Streitfällen nach keiner Richtung hin bindet, unserer politischen Aktionsfreibeit irgendwie füblbare Schranken nicht auferlegt und somit von dem selben eine Gefährdung vitaler deutscher Interessen nicht zu be⸗ sorgen ist. Unsere Gesammthaltung

schließt der Zirkularerlaß

auf der Konferenz kann ich dahin zusammenfassen, daß wir mit dem aufrichtigen, ehrlichen und entschiedenen Vorsatz in die Kon⸗ ferenz eingetreten sind, zu thun, was an uns lag, damit die Er⸗ gebnisse der Konferenz der Größe der ihr gesteckten Ziele ent sprächen und der edlen Absicht des erleuchteten Monarchen, aus welcher sie hervorgegangen war. Diesem Vorsatz sind wir getren geblieben. Unter voller Wahrung der unveräußerlichen Souveränetäts⸗ rechte unseres Staatswesens wie der Lebensinteressen des deutschen Volks, eingedenk dessen, daß die Woblfahrt des deutschen Volks unser oberstes Gesetz ist und bleibt, haben wir doch unsere Haltung so eingerichtet, daß unsere Beziehungen zu den übrigen Mächten durch die Friedenskonferenz nicht nur nicht geschädigt, son⸗ dern gekräftigt wurden, und daß wir den Beweis dafür erbrachten, wie Deutschland niemals fehlt, wo es sich um Humanität und Frieden handelt.

Meine Herren, ich möchte noch eine kurze Bemerkung hinzu⸗ fügen.

Der Herr Vorredner hat auch die Auswahl unserer Delegirten zur Sprache gebracht. Ich möchte konstatieren, daß es keiner fremden Regierung beigekommen ist, uns in dieser Beziehung Vorschriften zu machen oder irgendwelche Kritik zu üben an den von uns getroffenen Wahlen. Der Umstand, daß der eine unserer Delegirten in einer

innerdeutschen Frage sich auf die Seite seiner Regierung gestellt batte, konnte ihm in den Augen der übrigen Regierungen durchaus nicht schaden. Uebrigens freut es mich, mittheilen zu können, daß der be⸗ treffende Delegirte sich auf der Haager Konferenz durch sein taktvolles und versöhnliches Auftreten die allgemeinen Sympathien erworben und durch seine Kenntnisse wie seine eifrige Mitarbeit um Gelingen der Konferenzarbeiten mit beigetragen hat. Die deutsche Stimme ist übrigens immer nur von unserem ersten Delegirten abgegeben worden, auf Grund der Instruktionen, die er von hier aus erhalten hat, und welche gehalten waren im Geiste dessen, was ich soeben die Ehre hatte hier auszuführen. (Bravo!)

Abg. Liebermann von Sonnenberg (Reformp.): Das ganze deutsche Volk ist einigermaßen gespannt und interessiert, zu erfahren, wie weit die Entschädigungsfrage für die auf Samoa ansässigen Deutschen gediehen ist, ferner, wie England seine Versprechungen in Bezug auf volle Entschädigung der durch die K nahme benachtheiligten Deutschen erfüllt hat, oder ob es diese , bis Beendigung des Burenkrieges hinziehen will, was

offentlich noch einige Zeit dauern wird Ferner wünsche ich Aufschluß darüber, ob der deutsche Konsul in Aden sich Versäumnisse in der Wahrnehmung der Interessen der Deutschen auf dem Dampfer „General⸗· hat ju Schulden kommen lassen. In einer . aus Chicago wird uns Mittheilung ge⸗ macht, daß die dortigen Deutschen durch das Verhalten des deutschen Konfuls in ibren berechtigten Protesten gegen unfreundliche Haltung der amerikanischen Regierung gegen Deutschland direkt gehindert worden sind. Ein Herr Halle, der sich bei diesen Maßregeln gegen die deutschen Meetings in Chicago hervorgethan hat, ist auf Vor⸗ schlag des Botschafters von Holleben mit dem Kronenorden zweiter Klasse dekoriert worden; der Mann soll eng mit der „Chicago⸗Tribüne“ liiert sein, welche sich in Maj stätsbeleidigungen besonders aus zeichnet. Wir brauchen doch gerade jetzt in Amerika schon wegen der Fleischschaufrage einen Vertreter, der auch richtig die Interessen Deutschlands nach jeder Richtung zu wahren im ftande ist. In dem Prozeß des Telegraphenbureauß Wolff gegen Hirsch ist zur Sprache gekommen, daß dag Haus Bleichtöder g'wisse Depeschen vor der Ver⸗ öffentlichung zur Einsicht erhält. Es ist doch ein eigenthümliches Verhältniß, wenn das Deutsche Reich als Kompagnon des Hauses Bleichröder erscheint. (Präsident Graf von Ballestrem vermißt den Zusammenhang dieser Bemerkung mit dem Auswärtigen Amt.) Das Bureau steht ja in einem Kontraktsverhältniß mit dem Aus⸗ wärtigen Amt behufs Veröffentlichung der Mittheilungen des letzteren. Mit einer an Hexerei grenzenden Geschwindigkeit werden uns die Urtheile des Auslandes und die Rede, die Graf Bülow hier hält, übermittelt, sodaß man wirklich wünschen muß, es möchte der Staatssekretär Graf Bülow nicht einmal im letzten Augenblick verhindert werden, eine Rede zu halten sonst geschiebt vielleicht, was einmal der Norddeutschen Allgemeinen“ passierte, daß sie über eine Theater⸗ vorstellung referierte, die ausgefallen war. Die Beziehungen des Aus wärtigen Amts zur Presse sind überhaupt interessant In der Kölnischen Zeitung“ bin ich für meine Acußerungen bei der Gelegenheit der Inter- pellation wegen der Dampferbeschlagnabme scharf angegriffen worden. Ich ertrage das mit Humor; es ist eine Ehre, von der „Kölnischen beleidigt zu werden. Gegen Herrn Bebel aber, der mich damals sehr unfreundlich angefaßt hat, muß ich wiederholen, daß das, was ich sagte, rie Meinung der großen Mehrheit des deutschen Volkes gewesen ist. Wollte Herr Bebel wirklich die Stimmung im deutschen Volke studieren, so hätte er jstzt die beste Gelegenheit dazu; vom Droschken⸗ kutscher bia zum Minister könnte er dieselbe Abneigung gegen die Engländer, dieselbe warme Sympathie für die Buren wahrnehmen. Darin, daß meine Rede uns nicht in einen Krieg mit England verwickeln wird, hat Herr Bebel Recht; auch die Tiraden der Abgꝗg. Bebel und Liebknecht gegen Rußland haben uns mit der russischen Regierung nicht ver feindet. Gerade Herrn Bebel's Auffassungen sind geeignet, uns in die Barbarei zurückzuführen. Herr Bebel mag noch so scharfe Fanfaren gegen mich blasen, er mag sich wie jenes antike Fabelwesen mit der Löwenhaut umhüllen, wenn die Löwenhaut fällt, kommt kein Löwe zum Vorschein! Jeder Krieg ist ein Unglück, und auch ein Krieg mit England wäre ein Unglück unter diesem Gesichtspunkt, aber ein viel größeres Unglück wäre es, wenn wir uns unsere nationale Ehre von den Engländern ungestraft beschimpfen lassen. Im übrigen beanstande ich das Gehalt des Staatssekretärs nicht.

Unter⸗Staatssekretär im Auswärtigen Amt Dr. Freiherr von Richt bofen: Behufs der Entschädigungsfeststellung auf Samoa wird der König von Schweden ersucht werden, den Schiedsspruch zu über— nehmen. Die drei betheiligten Regierungen haben sich darüber be⸗ reits geeinigt und es bedarf nur noch der Ratifikation. Was die Entschädigung für die Beschlagnahme der Dampfer betrifft, so hat die englische Regierung noch keine Kenntniß von der Höhe der Summe. Es müssen erst die Grund züge für die Entschädigungsaufstellung klargestellt werden. Darüber, daß der deutsche Konsul in Aden irgend eine Nachlässigkeit an den Tag gelegt hätte, haben wir keine Nachricht. Die Chicagoer Angelegen⸗ heit ist durchaus bekannt, das betreffende Blatt ist allen Betheiligten bis hinauf zu den Bundesfüisten unterbreitet worden. Wenn der Konsul gemeint hat, die Protestmeetings der Deutsch⸗Amerikaner seien nicht durchweg am Platze gewesen, so würde darin eine tadelnswerthe Handlung nicht zu finden sein. Der dekorierte Herr Halle ist einer der einfluß⸗ reichsten Deutschen in Amerika. In dem Prozeß Wolff gegen Hirsch hat der Direktor des Wolff'schen Bureaus erklärt, daß er es für einen

roßen Makel halten würde, wenn irgend ein Mißbrauch zu Börsen—⸗ pekalationen mit den Depeschen des Bureaus getrieben würde. Das Auswärtige Amt weiß von solchen Mißbräuchen nichts und würde nicht einen Augenblick anstehen, von allen seinen Beziehungen zu diesem Bureau zurücksutreten, wenn sich auch nur der Schein einer Berecht⸗ gung zu solchen Behauptungen ergäbe.

Abg. von Staudy (d. kons ): Die deutsche Post nach Transvaal hat zwei Monate in Kapstadt zugebracht und ist dann nach Deutsch⸗ land zurückgeschickt worden. Diese Behandlung der deutschen Post ist dem Staatssetretär ebenso wie dem ganjen dentschen Volke aufgefallen. Es können doch wohl nur politische Gründe gewesen sein, welche die deutsche Post dort so lange aufgehalten haben. Ich nehme an, daß auch das Auswärtige Amt diesen Vorgängen mit Aufmerksamkeit gefolgt ist, und bitte um Mittheilung der etwaigen Auskunft, die uns gegeben werden kann.

Unter Staatssekretär im Auzwärtigen Amt Dr. Freiherr von Richthofen: Die Briefbeutel wurden unter Zuziehung deutscher Konsularbeamten in Kapstadt geöffnet, die Post nach Trans vaal wurde ibnen entnommen und auf Wunsch des Reichs⸗Postamts zurückgeschickt. Die Verzögerung soll dadurch entstanden sein, daß der englischen Post⸗ verwaltung in Kapstadt 36 000 Anträge über die weitere Behandlung a deten vorgelegen hätten, die zunächst hätten erledigt werden müssen.

Abg. Dr. Böckel (b. . F): Das Verhalten der Engländer kann nachgerade niemand mehr Wunder nehmen. Die Engländer hätten auf der Konferenz in Haag etwas durchsetzen können, aber es ist ihnen mit dem Kongreß nicht ernst gewesen. In dem Burenkrieg

nd Metzeleien von Gefangenen und Verwundeten vorgekommen,

ffizjiere hat man ins Gefängniß * Ist das ein Verhalten einer zivilisierten Nation? Alle diese Behauptungen ist der Gesandte Dr; Leyds zu beweisen bereit. Warum wurde dieser Krieg nicht verbindert? Nen Griechen sind die . in den Arm gefallen; für Süd Afrika hatte man nichts übrig, wir sind neutral geblieben. Zu den Buren haben wir keinen Militärbevollmächtigten geschickt wohl aber zu den Engländern. Durch solche Vorkommnisse muß das Volk mißgestimmt werden und den Glauben an die Gerechtigkeit verlieren. Der Burenkrieg wird geführt, um ein Volk seines recht. mäßigen Besitzes zu berauben. Cecil Rhodes ist die Seele dieses Kriegeg. Man muß sich wundern, daß dieser Rhodes hier im Aus. wärtigen Amt empfangen werden konnte, derselbe, der dem aufständigen Hendrik Witboot die Gewehre geliefert hat. Unbedingte Klarheit verlange ich über diesen Punkt. In dem⸗

selben Moment, wo der Krieg entbrannt ist, erscheint außerdem noch ein Vertreter des Herrn des u

mik dem Augwärtigen Amt. Muß das Volk nicht glauben, daß wir an eine Börsenklique verkauft find, an diese Gesellen wie Cecil Rhodes, die sich der Gold. und Biamantgruben Trangvaals um jeden Preis bemächtigen wollen? Diese schmutzigen Börsenjobber werden dom deutschen Auswärtigen Amt empfangen, diese Imperialisten, die Afrika englisch machen wollen vom Kap bis Kairo; diesen Leuten sollte man den Stuhl vor die Thüre setzen. Die Buien sind für die deutschen Intereffen in Südwest. Afrika bon größter Wichtigkeit. Und mit ihnen verfeinden wir uns um des Herrn Cecil Rhodes und ähn- licher gewissenloser Spekulanten willen? Das begreife, wer kann! Bestehen irgend welche Beziehungen zu Cecil Rhodes?

Abg. Bebel (Soz.) erklärt, soweit es sich um die Sympathie für die Buren handle, theile er die Stimmung des Abg. von Lieber⸗ mann vollständig. Aber er sei kein Freund seiner Englandfresserei). Ob die Droschkenkutscher davon beseelt seien, wisse er nicht; die Mi⸗ nister des Deutschen Reichs seien es, wie er glaube, nicht. Die Kreuzzeitung“, die er auch zitiert habe, stehe gleich ihm (Redner) in voller Sympathie zu den Buren, aber sei gleich ihm der Ansicht, daß es falsch wäre, sich wegen der Buren mit England zu verfeinden. Der Abg. von Liebermann könnte von dieser seiner Behaaptung nicht überzeugt sein. (Vije⸗Präsident Dr. von Frege erklärt, daß man so etwas einem Abgeordneten nicht unterlegen dürfe) Wag die Haager Konferenz betreffe, so habe der zweite Staatsrechts. Professor, welchen Deutschland delegirt hätte, auf demselben friedens feindlichen Stand punkte wie Herr von Stengel gestanden. Es sei sehr auffällig, daß man keinen anderen unter den Staatsrechtslehrern habe finden können. Die deutschen Delegirten seien zudem offenbar mit ge⸗ bundener Marschroute hingekommen und hätten jeden Versuch vereiteln helfen, eine allgemeine Abrüstung herbeizuführen. Die Konferenz habe lediglich ganz nebensächliche Punkte berathen, und auch da sei nirgends 66 nur von der geringsten Bindung die Rede gewesen. Auch der Burenkrieg hätte gewiß vermieden werden können; aber nachdem noch nicht einmal die Tinte unter den Pro⸗ tokollen trocken geworden sei, habe ja schon wieder die Rüstung auf allen Seiten begonnen, und niemand hätte eine Intervention zu Gunsten der Buren erwarten können. Die geringfügige . Humani⸗ sierung! des Krieges hätte man auch ohne einen so grohartigen Apparat erreichen können. Die europäischen Regierungen hätten eben weder den Willen noch die Fähigkeit, die Militärlast zu erleichtern und den ewigen Anreiz zum Kriege zu vermindern. .

g. Liebermann von Sonnenberg: Die Ostafrika⸗ Dampferlinie bat also günstige Auskunft über den Konsul in Aden, ihren eigenen Agenten, gegeben. Sollte diese Auskunft nicht durch das Interesse der Gesellschaft etwas getrübt sein? Herr Halle hat nach der Chicagoer Freien Presse' keineswegs den großen Einflaß, von dem uns gesagt wird. Ün der Berliner Börse soll sich ein be sonderes Aktenstück über die Treibereien mit Wolff'schen Telegrammen befinden; auch wird eine bestimmte Firma genannt, welche mit Wolff⸗ schen Depeschen Geschäfte macht.

Abg. Kirsch (Zentr.) bringt zur Sprache, daß ein Staatsvertrag jwischen Preußen und Oesterreich wegen Regulierung der Grenze am Prjemsafluß abgeschlossen sei, der dem Reichstage noch nicht vorgelegt worden fei, obwohl dieser Vertrag auch der Genehmigung des Reichs⸗ tages bedürfe.

Unter⸗Staatssekretãr im Auswärtigen Amt Dr. Freiherr von Richt⸗ hofen: Die Zustimmung des Bandezrathes und Reichstages ist erforderlich und wird eingeholt werden. Besonderer Eile bedarf es nicht, weil auch in Oesterreich die parlamentarischen Körperschaften noch nicht damit befaßt sind. Aus den Beziehungen zu der „Chicagoer Tribüne“ kann Herrn Halle ein Vorwurf nicht gemacht werden.

Abg. Kunert (Soz.) kommt auf die Frage des handelspolitischen Verhältnisses Deutschlandz zur Nordamerikanischen Union ausführlich jurück Gegen den amerikanischen Inport werde von der konservativen agrarischen Partei ein hartnäckiger Kleinkrieg geführt. Bei früheren Gelegenheiten habe sich der Staatssekretär Graf Bülow immerhin in einem Sinne geäußert, der diese , . Aspirationen nicht allju sehr ermuthigte. Die Einzelheiten der Rede werden auf der Journalisten⸗ tribüne im Zusammenhang nicht verständlich; es scheint sich um Beschwerden darüber zu bandeln, daß durch einen Geheimerlaß des früheren Regierungs⸗Präsidenten zu , . Freiherrn von Rhein⸗ baben angeordnet worden sei, den amerikanischen Konsuln über gewisse Angelegenheiten, Nahrungsmittel verfälschungen, Thierseuchen ꝛc. unter keinen Umständen Auskunft zu geben.

Damit schließt die Diskussion. Das Gehalt für den Staatssekretär und die übrigen Besoldungen für das Aus⸗ wärtige Amt werden bewilligt.

Beim Ausgabekapitel „Gesandtschaften und Kon⸗ sulate“: „Botschaft in Konstantinopel“ geht der

Abg. Dr. Hafse (ul.) auf die Konzession für die kleinasiatischen Eisenbahnen näher ein. Man könne in diesem Falle von einer deutschen Konzession nicht sprechen, es sei auch französisches Kapital betheiligt. Daß die Finanzierung in die Hände der Ottomanbank ge⸗ legt sei, lasse die Besorgniß auftauchen, daß nicht allein französisches, sondern auch nech englisches Kapital sich hineismische. Man müsse recht⸗ zeitig Vorsorge treffen, daß nicht die angeblich deutsche Eisenbahn in Kleinasien in französische Hande übergehe und dann von Frankreich gegen Deutschland ausgespielt werde.

Für die Nordamerikanische Union wird im Etat ein zweiter „hand- und forstwirthschaftlicher Sach⸗ verständiger“ mit dem Amtssitz in New York vorgesehen; derselhe soll 17 000 6 Vergütung erhalten. Außerdem werden 20 000 SV zur zeitweisen Entsendung außerordentlicher Sachverständiger ins Ausland gefordert. Die Kom⸗ mission hat den Mehrforderungen zugestimmt.

Abg. Dr. Paasche (ul) regt bei dieser Gelegenheit die Schaffung einer Zentrale für die selbständige Behandlung derartiger landwirth⸗ schaftlicher Fragen im Reichsamt des Innern an. Was der zweite Sachverständige in New Pork eigentlich wirken solle, sei nicht er⸗ findlich, denn er sei dort von allen wirthschaftlichen Fragen abge⸗ schnitten. Zur Begutachtung des amerikanischen Obst⸗ und Maschinen⸗ baues u. s. w. sollien spezielle Sachoerständige auf ein halbes Jahr oder länger nach Amerika gesandt werden.

Abg. Freiherr von Wangenheim-Pyritz (d. kons.): Die Ent⸗ sendung von Sachverständigen in die mit uns konkurrierenden Länder ist in

roßer Zahl nothwendig, namentlich zur Beurtheilung der Viehzucht, ins-

5 in das Gebiet der anatolischen Bahnen. Die Berichte sind nur dann wertbvoll, wenn sie aus eigener Anschauung stammen und nicht mit der Scheere zusammengeschnitten werden. Die Berichte der landwirthschaftlichen Attachéz sind bisher für die Landwirthschaft nicht genügend verwerthet worden. Der Deutsche Landwirthschaftg⸗ rath wäre die geeignete Stelle, diese Berichte zu bearbeiten und sie durch die Zeitungen weiter zu verbreiten.

Unter⸗Staatssekretãr im Auswärtigen Amt Dr. Freiherr von Richt⸗ hofen: Unser Vorschlag beruht auf dem Gutachten unseres Bot⸗ schafters in Washington. So lange unsere Verhandlungen mit Amerika dauern, empfiehlt es sich, den landwirthschaftlichen Attachs bei der Botschaft in Washington zu belassen und einen zweiten Sach- verständlgen nach New York zu senden. Die Anregung des Vorredners wird erwogen werden. .

Die Forderungen werden bewilligt.

Unter den Ausgaben für die Konsulate werden für das Konsulat in Neapel 3000 M mehr als bis jetzt, nämlich 26 000 MM, verlangt.

Abg. Dr. Hasse bemängelt die Verkürzung des Reichszuschusses für das deutsche Krankenhaus in Neapel.

Die Forderung wird bewilligt.

Unter den allgemeinen Fonds findet sich auch eine Dota⸗ tion von 20 000 MS zur Förderung der römisch⸗germa⸗ nischen Alterthumsforschung in Deutschland.

hier Rhodes und verhandelt

. . . . .

Abg. Eickhoff (fr. Volksp.) fragt, in welcher Weise diese Mittel verwendet werden. Zu den Hauptaufgaben der i . der Limeg und die Unterbringung der Limegalterthümer in der Saalburg.

Unter Staatsselretär im Auswärtigen Amt Dr. Freiherr von Richthofen: Es sind Satzungen über die Verwendung der Summe ausgearbeitet und den betheillgten Regierungen jugesandt worden. Die Abänderungsvorschläge der Regierungen werden weiter berathen. Vorläufig ist eine Summe abgejwelgt und der Kommission zur Er forschung der Altertbümer um Mainz zur Verfügung gestellt worden.

Damit ist das Ordinarium erledigt; das Extraordinarium und die Einnahmen werden ohne Debatte angenommen.

Schluß 5isg Uhr. Nächste Sitzung Freitag 1 Uhr. Marine⸗ Etat.)

Prenßzischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

34. Sitzung vom 28. Februar 1900, 11 Uhr. Nachtrag.

Die Rede, welche der Vize⸗Präsident des Staats⸗ Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel bei Be⸗ rathung des Etats der Preußischen Zentral-Genossen—⸗ scha ö. nach den Ausführungen der Abgg. Dr. Arendt (fr. kons.), Geisler (Z3entr) und Dr. Crüger (fr. Volksp.) gehalten hat, hatte folgenden Wortlaut:

Meine Herren! Da der Herr Minister für Handel und Gewerbe nicht anwesend ist, so nehme ich Gelegenbeit, ihn gegen einen kleinen Vorwurf des Herrn Vortedners zu vertheidigen wegen einer Maß— regel, die derselbe bei Gelegenheit der Erhöhung des Zinesatzes der Zentral ˖ Genossenschaftskasse getroffen hat. Die Sache ist unendlich un⸗ bedeutend. Ich kann darüber urtheilen, weil ich selbst damals meine Zuftimmung gegeben, sogar einen dahin gehenden Wunsch ausgesprochen habe. Es handelt sich im Ganzen, glaube ich, wenn ich mich recht erinnere, um eine Unterstützung kleiner Handwerkergenossenschaften (hört, hört! rechts), die eben in der Bildung waren, und jwar ins gesammt mit 1700 M (Hört! hört! rechts) Wie man darin einen schweren prinzipiellen Fehler, einen Einbruch des einen Ressorts in die Kompetenz und die Aufgaben des anderen Ressorts störender Natur erblicken kann, das ist mir nicht recht verständlich. (Sehr richtig! rechts) Meine Herren, diese kleinen Handwerkergenossenschaften waren eben in der Bildung begriffen, hatten schon Ausgaben gemacht und kleine Kredite zugesichert, als plötzlich die Erhöhung des Zinsfußes eintrat; da sind nun diese Herren, die zum theil aus Berlin, zum theil, wenn ich nicht irre, aus Halle waren, selbst zu mir gekommen, und ich habe sie verwiesen an den Herrn Handels⸗Minister, welcher einen besonderen Fonds zur Erleichterung der Bildung solcher Ge⸗ nossenschaften hat; er blieb also ganz innerhalb der Bestimmungen dieses Fonds, wenn er diesen plötzlichen Uebergang, der diese kleinen Genossenschaften traf und sie vielleicht zur Auflösung gebracht hätte, durch einen solchen unbedeutenden Zuschuß erleichterte, und ich glaube, Herr Crüger wird in einem solchen vereinzelten Falle auch kein großes Unglück erblicken. (Sehr richtig! rechts.)

Im allgemeinen bin ich aber ganz seiner Ansicht, daß ein Grund⸗ satz, eine regelmäßige Gewohnheit, bei Veränderungen des Zinsfußes aus Staatsmitteln dies auszugleichen, in jeder Weise unzulässig sein würde. Also ich glaube, diese Frage ist damit erledigt.

Meine Herren, im allgemeinen sind ja die Zentral. Genossenschafts⸗

kasse, sind ihre Verwaltung, ihre Wirksamkeit und Folgen so günstig

. beurtbeilt worden, daß ich auf die Sache nicht weiter eingehen will. Herr Dr. Crüger hat eben erwähnt, daß er ursprünglich gegen

die Genossenschaftskasse gestimmt habe und jetzt nur wünschen könne,

daß fie nach korrekten Grundsätzen verfahre. Ich würde darauf nicht zurückgekommen sein, wenn nicht der Herr Vorredner selbst darauf

. die Aufmerksamkeit wieder gelenkt hätte welche Befürchtungen und Bedenken dagegen, die Zentral. Genossenschaftskasse als ein Staats⸗ institut einzusetzen, sind damals von jener Seite erhoben (sehr richtig!

rechts), und was davon ist nun wahr geworden? Das ist gerade ein lehrreiches Beispiel, wie die grundsätzliche Furcht vor jedem Eingreifen des Staates in die wirthschaftlichen Verhältnisse wirkt, zu welchen gngroßen Irrthümern, ju welchen Stockungen in dem gewerblichen Fort⸗

H schritt, zu welcher Begünstigung der an sich schon wohlhabenden Leute sie führt.

(Abg. Dr. Hahn: Sehr richtig) Gerade die außer—⸗ ordentliche Entwickelung der ländlichen Genossenschaften hat bewiesen, daß die Befürchtung einer reinen Bureaukratisierung des Genossen⸗ schaftswesens, einer Legung in bureaukratische Ketten und Banden, einer Erlahmung der Selbsthilfe und Selbstverwaltung, sogar einer Stockung der weiteren Entwickelung der Genossenschaften, alle Be⸗ fürchtungen, die uns damals entgegengehalten wurden, in keiner Weise eingetreten sind. Die Zahl der Genossenschaften hat sich nicht bloß und war wesentlich durch das Einwirken der Zentral— Genossenschaftskasse ganz außerordentlich und in überraschender und erfreulicher Weise vermehrt, sondern die einzelne Genossenschaft selbst worauf ich weit mehr Gewicht lege ist bedeutend erstarkt in ihrer kigenen inneren Kraft, in ihrem Vermögen. (Sehr richtig! rechts.) Das ist mir noch wichtiger als die Zahl der Genossenschaften. Meine Herren, daraus geht hervor, daß das Einwirken des Staats- istituts, statt die Wirtbschaftlichkeit zu vermindern, die Leute zu ge— öbnen, nur auf die Hilfe des Staats zu sehen, umgekehrt die

Wirtbschaftlichteit der einzelnen Genossen erheblich gestärkt hat. Das ( geht auch aus der Statistik hervor, die Sie hier vor sich haben.

ö Meine Herren, ich will aber weiter auf die Sache nicht eingehen. Ich laube, wir haben mit dieser Zentralgenossenschaftskasse nicht bloß dem ittelstande, sondern auch namentlich den unter dem eigentlichen MNittelftande besonders auf dem Lande stehenden kleinbäuerlichen Be⸗ 1 3 einen ganz außerordentlichen Dienst geleistet. (Sehr richtig 8. Wir sind auch keineswegs damit ju Ende. Ich bin nicht der Meinung, wenn das die Meinung des Herrn Dr. Crüger ist, daß diese Zentralgenossenschastskasse sich bloß auf die Förderung der Kredit⸗ genossenschaften beschränken solle; die Produktivgenossenschaften, die sich jetzt mehr und mehr entwickeln, gehen gewissermaßen aug den Kreditgenossenschaften hervor und sind heute der Landwirthschaft, namentlich den bäuerlichen Besitzern, auf immer größerem Gebiete eine abselute Nothwendigkeit. (Sehr richtig! rechts.) Ich sehe auch garnicht ein, welche Gefahren dabei sind, wenn auf dieses Gebiet die Thätigkeit der Genossenschaftskasse erstreckt wird. Meine

Herren, auch an diesen Beispielen sieht man, daß ein verständiges Ein⸗

wirken des Staats daß der Staat sehr verkehrt einwirken kann, sst ja garnicht zu bejweifeln (Abg. Dr. Hahn: Stimmt! Heiter⸗ t rechts5 —, daß ein verständiges Einwirken des Staats sehr zur

Stärkung und Erhaltung der Mittelklassen beitragen kann. Die übrigen deutschen Staaten haben uns bereits diese Ginrichtung jum Theil nachgemacht; aber nicht bloß das, noch vor kurzem war ein Ab⸗ geordneter aus Belgien bei uns, der klagte, daß dort solche Ein⸗ richtungen nicht existieren, und der es für eine Nothwendigkeit erklärte, daß der Belgische Staat da nachfolge.

Meine Herren, ich habe hauptsächlich das Wort ergriffen, um mein Bedauern auszusprechen, daß, wenn die ländlichen Genossen⸗ schaften sich so außerordentlich günstig entwickelt haben, gewiß nicht allein mit Hilfe der Zentralgenossenschaftskasse, wir doch derartige Erfolge in den Städten, bei den Handwerkern und den kleinen Kauf- leuten nicht in gewünschter Weise sehen. (Sehr richtig! rechts.) Allerdings sind in einigen Städten, z. B. in Berlin, Halle, Hannover, Osnabrück, diese Genossenschaften der Handwerker in voller Entwickelung, fast immer dadurch, daß ein patriotischer Mann die Leitung in die Hand genommen hat und mit Rath und That dabei den Hand⸗ werkern zu Hilfe gesommen ist. Damit wird aber doch bewiesen, daß eine solche günstige Entwicklung, die dann auch sehr bald zum produktiven Zusammenschließen der Handwerker führt, Ein⸗ und Ver⸗ kauf, Benutzung gemeinsamer Werkstätten u. s. w, durchaus möglich ist, und daß an sich nur Indolenz und mangelnder guter Wille oder der Mangel an guter Leitung solche Verzögerung in die Sache hinein⸗ bringen. Es ist ja anzuerkennen, daß die Gleichheit der Interessen auf dem Lande bei den kleineren und größeren Besitzern viel größer ist als bei den Handwerkern und Kaufleuten (Abg. Dr. Hahn: Sehr richtig), die häufig Konkurrenten sind. Dennoch muß das durch den Gemeinsinn, der allmählich wieder erwachsen muß wie in den alten Zeiten, doch überwunden werden können, und ich kann nur dringend wünschen, daß alle Herren, die Gelegenheit haben, auf diese Ent⸗ wickelung einzuwirken, namentlich auch in den Städten, sich derselben annehmen, und daß dem Mittelstande, nicht bloß, wie wir gestern gehört haben, durch eine angemessene gleichmäßige Besteuerung, sondern auch durch eine sichere Grundlage für das Kreditwesen, seine wirth⸗ schaftliche Existenz mehr gesichert wird. Wir werden dann finden, wie das ja heute völlig unbestritten ist in der Landwirthschaft, daß auch der Mittelstand in den Städten sich jwar verändern können, daß einzelne Thätigkeitsrichtungen des Mittelstandes, des kleinen Hand⸗ werkers auf die große Fabrikindustrie übergehen kann, daß daraus aber nicht entfernt folgt, daß die Existenz und dauernde Blüthe des Mittelstandes nicht mehr gegeben sei. Der Mittelstand kann sich ver⸗ ändern in seinen Bestandtheilen; wie aber die Entw'ckelung fort geschrittener Länder, j. B. Englands, es zeigt, ist die Idee, der Mittel⸗ stand sei verloren, man brauche sich um ihn nicht mehr zu kümmern, grundfalsch, und wir sollen uns dessen freuen. Mögen also auch die angesehenen Herren, die hier im Landtage sind, sich bemühen, dies heilsame Werk auch in den Städten mit zu fördern (Bravol rechts); es wird das gute Früchte tragen nach allen Richtungen. Alle die⸗ jenigen, die den dringenden Wunsch haben, den Mittelstand in Stadt und Land zu erhalten, müssen hier zusammenwirken! (Lebhafter Beifall rechts.)

Auf die Ausführungen des Abg. Dr. Hahn (B. d. L.) erwiderte der Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz- Minister Dr. von Mi quel:

Meine Herren! Ich will hier in diesem hohen Hause auf die weitgehenden Anschauungen des Herrn Dr. Hahn nicht eingehen; wir würden dann wohl in eine ziemlich ungeordnete Debatte über alles Mögliche und sonst noch etwas gerathen. (Sehr richtig! und Heiter— keit links) Man muß doch die einzelnen Fragen als solche behandeln; dann wird man erst zu einem praktischen Resultat kommen. Ich glaube auch nicht, daß seine Anschauungen über die im Reichs. Schatz amt herrschenden Meinungen die richtigen sind; ich wenigstens habe in dieser Beziehung noch keine derartigen Erfahrungen gemacht.

Meine Herren, ich habe mich nur zum Wort gemeldet, um eine irrige Auffassung des Herrn Dr. Hahn in Bezug auf die Seehandlung und ihr Geschäftsgebahren zu berichtigen. Er meint, die Seehandlung diene dem Großkapital, den großen Banken, durch Hergabe von Geld⸗ darlehen zu Spekulationszwecken. Das ist nun gänzlich irrig. Die Seehandlung kann für die Staatskasse immer nur auf kurze Zeit Geld rentabel machen; alle Vierteljahre fast erschöpfen wir unsere Bestände. Die Seehandlung wird also nur Staatsgeld, welches doch nicht rentlos in der Kasse liegen bleiben kann, sondern rentabel gemacht werden muß, auf kurze Zeit an Banken verleihen; ein anderes Mittel der Rentbarmachung aber giebt es nicht. Als die Zentral⸗Genossenschaftekasse gegründet wurde im Anfang nur mit einem ganz kleinen Kapital —, zeigte sich bald, daß sie nicht immer mit diesem kleinen Kapital für die wachsende Nachfrage aus reiche, und ich habe sofort mit Freude die Möglichkeit ergriffen, durch die Zentral⸗Genossenschaftskasse diese zeitweilig zu belegenden Staats« gelder für die Beförderung des Genossenschaftswesens zu benutzen. (Bravol rechtg.) Das war eine der ersten Maßregeln, die ich ergriff.

Nun hat die Zentral Genossenschaftskasse aber gegenwärtig eigenes Kapital genug. Häufig kommen Zeiten, in denen sie, wie man sagt, im Gelde schwimmt, (hört, hört! links) weil die Genossen— schaften immer lebendiger, sowie die Mittel ihnen zur Dieposition stehen, zurückjahlen. Der Einlauf und der Rücklauf ist jetzt viel lebendiger als früher; daber ist die Steigerung des Grundkapitals gegenwärtig nicht nothwendig, und meine Herren, einem Institut Geld zuzuweisen, welches für seine Bedürfnisse nicht erforderlich ist, ist höchst gefährlich. (Sehr richtig! links.)

Gerade das ist erfreulich, was ich Ihnen sage; denn bieraus geht hervor, daß das, wofür wir die Zentral⸗Genossenschaftskasse in Wahrheit bestimmt haben, daß sie ein Ausgleich sein soll zwischen Ueberfluß und Mangel im Lande und bei den einzelnen Genossen⸗ schaftsverbänden, mehr und mehr zur Wahrheit wird. Man könnte ja schließlich, wenn man das gewissermaßen idealisierte, dahin kommen, daß das Grundkapital gar nicht einmal so hoch zu werden braucht.

Die Genossenschaftskasse wendet sich also nur in den seltensten Fällen an Mittel, die der Staat jur Disposition hat. Sie würde sie, glaube ich, in der Regel zurückweisen müssen, weil sie diese Gelder nicht brauchen kann. Nun habe ich aber die Gelder in der Hand. Beispielsweise, wenn wir im Februar eine Anleihe machen von 150 Millionen, so kann ich diese Anleihe eine Zeit lang, ein Jahr, vielleicht noch ins folgende Jahr hinein, selbst nicht verwenden. Da würde es doch ganz unzulässig sein, wenn wir die Gelder todt liegen lassen. Wir können sie meistens nicht auf lange Zeit ausleihen,

sondern nur auf kurje Perioden, weil wir selbst nicht übersehen

können, welche Beträge J. B. die Gisenbahn für ihre großartigen Bauten von ung fordert; wir müssen das Geld immer thunlichst flüssig haben. Da sind wir froh, wenn wir gegen sichere Kaution und Unterlage das Geld los werden und einigermaßen rentbar machen können. Sie können damit wenig spekulieren aus dem einfachen Grunde, weil die Rückzahlungsfristen zu kurz sind. Ich weiß keine andere Methode, das Geld rentbar zu machen. Will der Landtag aber einen Beschluß fassen nach dem Wunsch des Herrn Dr. Hahn, daß das Geld todt in der Kasse liegen bleiben soll (Heiterkeit), dann würde ich mich als Finanz⸗Minister da stark widersetzen. Ich glaube, die Meinung, daß es sich um gewaltige Summen handelt, ist auch nicht zutreffend. Meistens sind es im Verhältniß zu den Mitteln, die den großen Banken zur Disposition stehen, doch nur geringe Summen, und ich glaube nicht, daß man eine andere Methode finden kann. Der Reichsbank nahestehende Kreise haben sich wohl beschwert, daß wir durch die Ausleihung ihre Diskontpolitik durchkreuzen. Das ist ebenso unrichtig; denn ob wir das Geld auf andere Weise selbst nutzbar machen oder ob es die Banken nutzbar machen, das berührt die Reichsbank in keiner Weise, das ändert auch den Zinsfuß nicht, das erschwert auch die Diskontpolitik der Reichsbank nicht, das er⸗ leichtert vielmehr ihr vielleicht die Diskontierung, wo sie ihr unbequem ist. Im übrigen hat das Verfahren keine Beziebung zur Diskontpolitik. Wir nehmen natürlich bei der Seehandlung auch so hohe Zinsen, wie wir für die kurze Zeit der Ausleihung be⸗ kommen können. Darüber können Sie sich vollständig beruhigen.

Meine Herren, ich wollte noch vielleicht bin ich in dieser Beziehung mißverstanden die ausdrückliche Anerkennung aussprechen, daß wir die Thätigkeit der alten selbständigen, mit der Zentral⸗ Genossenschaftskasse noch nicht in Verbindung stehenden Genossenschaften in keiner Weise herabsetzen wollten; sie wirken auch sehr nützlich, sie können auch nützlich neben und außerhalb der Thätigkeit der Zentral Genossenschaftskasse wirken. Sie bestehen auch größtentheils aus anderen Kreisen der Bevölkerung mit einer anderen Art von Kredit— bedürfniß wie bei den ländlichen und kleinen genossenschaftlichen Ver— bänden der Handwerker. Ich muß voilständig anerkennen, daß Herr Dr. Crüger gerade sich für den Kredit der Handwerker und der kleinen Gewerbtreibenden in den Städten sehr interessiert und nützlich wirkt, wie ich immer die großen Verdienste anerkenne, die der eigentliche Begründer des Genossenschaftswesens, Schulze ⸗Delitzsch, sich erworben hat, und wie ich immer anerkenne, daß wir nur eine Fortsetzung und Vollendung dieses Werkes, das aus der freien Initiative ursprünglich hervorgegangen ist, darstellen. Ich erkenne auch an, daß Herr Dr. Crüger in keiner Weise die Geschäftsgebahrung der Genossenschaftskasse unbillig kritisiert hat. Aber es lag mir doch daran, darauf hinjzuweisen, wie sehr alle die Befürch⸗ tungen, welche hier jahrelang und namentlich im Anfange mit großer Heftigkeit gegen die Einsetzung eines solchen Staats instituts geltend gemacht wurden, ju Boden gefallen sind. (Sehr richtig! rechts) Ich boffe, daß mit dieser ganzen volkswirthschaft⸗ lichen Anschauung, als wenn den Staat die wirthschaftlichen Ver—⸗ hältnisse garnichts angingen, als wenn sich alles von selbst entwickele, es gehen wird wie mit der Anschauung, die in der Zeit zu Anfang dieses Jahrhunderts ganz herrschend war, wo beispielsweise auf die Frage: wie es werden sollte, wenn die Bauern selbständig Schulden kontrahieren könnten, und wenn eine gleiche Erbtheilung der bäuer⸗ lichen Höfe stattfinden würde; dann würde man zweifellos dahin kommen, daß die Güter sehr bald in der zweiten und dritten Gene—⸗ ration gänzlich verschuldet wären einer der eifrigsten Mitarbeiter bei dieser im übrigen höchst nothwendigen und wohltbätigen Stein— Hardenbergischen Gesetzgebung antwortete: Ja, lieber Herr, das ver⸗ stehen Sie nicht; Schulden braucht der Bauer nicht zu machen, er kann sich bei jeder Erbtheilung einfach durch Abverkäufe helfen; er ist berechtigt, in Zukunft frei zu verkaufen. Wenn in unseren östlichen Verhältnissen, auf die doch diese Gesetzgebung ihre Hauptanwendung finden sollte, bei der Erbtheilung ein Bauer einfach abverkaufen soll, sodaß nachher vielleicht bloß die Gebäude stehen bleiben, dann sieht man, wohin solche Theorien führen. (Sehr richtig! rechts.)

Meine Herren, die Entwickelung, in der wir mehr und mehr uns befinden, bei der man freilich auch Maß halten muß, das Rebe ich durchaus zu; man kann viel zu weit gehen mit dem Eingreifen des Staats ist überhaupt keine theoretische Sache, sondern, wie ich gestern sagte, eine mehr kameralistische Frage, die Frage einer ver= ständigen Staate verwaltung. Wie weit man in einer einzenlen ge— gebenen Zeit, bei einer einzelnen Gelegenheit, für einen einjelnen Er— werbsjweig gehen darf und wie weit nicht, das ist keine national ökonomische Theorie, sondern praktische Staatskunst. (Sehr richtig! rechts) Darauf kommt es an, und bier, glaube ich, können wir sagen, hat sich diese praktische Staatskunft bewährt, und es freut mich außer ordentlich, daß Herr Dr. Crüger anscheinend das auch nicht mehr be⸗ streitet. (Bravo! rechte.)

35. Sitzung vom 1. März 1900, 11 Uhr.

Die zweite Berathung des Staatshaushalts-EStats für 1999 wird bei dem cn der m ,. in Verbindung mit den Verhandlungen des andeseisenbahn⸗ raths im Jahre 1899 und dem Bericht über die Ergebnifse des Betriebes der vereinigten preußischen und hessischen Staats— ,. 9. , r fortgesetzt.

eber die Einnahmen aus dem Personen⸗ und Gepäck⸗ verkehr, die auf 369 659 000 S6 (d. h. 24 340 000 * als im Vorjahre) veranschlagt sind, findet die übliche General—⸗ diskussion statt, von der jedoch auf Vorschlag des Bericht⸗ erstatters Abg. Noelle (nl) die Frage der Beamtengehãlter und die lokalen Angelegenheiten ausgefchieden werden; . e, . . 6. der e , e, über die

es extraordinären Dispositions

w,, werden. ,

on dem Dr. Wiem er (fr. ) i a . 9g (fr. Volksp.) ist der Ant rag die Königliche Staatsregierung bei genommenen Reform der n n. gd o eb, 2 einfachung des Tarisweseng, sondern auch eine Ermäßigung der

Tariffätze unter Ausschluß v r preise eintreten zu e ri on Erhöhungen bestehender Fahr

Minister der öffentlichen Arbeiten von Thielen: Meine Herren! Ich bitte mir zu gestatten, daß ich, der Ge— pflogenheit der früheren Jahre entsprechend, den Berathungen in

zweiter Lesung einige allgemeine Bemerkungen vorausschicke. Nach den eingehenden Erklärungen des Herrn Referenten und nach den Aus⸗