1900 / 61 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 09 Mar 1900 18:00:01 GMT) scan diff

soll. Solche Fleischbeschau bel den Haugschlachtungen ist weder ausführbar, noch nothwendig. Sie ist nicht ausführbar, denn fie würde die Schlachtung dergestalt aufbalten und vertheuern, daß ber den Arbeitern zugefügte Schaden größer wäre als der beabsichtigte Vortheil. Dies ift auch nicht nothwendig. Die Bauern sollen gegen ihren Willen mit dieser Schau aug hyglenischen Rücksichten beglückt werden; die Bauern werden sich schon in Acht nebmen und sind auf die Gesundheit ibrer Kinder und ihres Gesindes mindestens ebenso be⸗ dacht wie die Freunde der Uatersuchung des bausgeschlachteten Viehs. Wenn Fleisch gut gekocht ist, sind die Trankheitserreger, die Tuberkulose⸗ BPacillen, die Trichinen und andere Schädlinge, unschaͤdlich gemacht. Die Rntersuchung würde Üüberschläglich eine Last von etwa sechs Millionen Mark auf die ländliche Bevölkerung legen; sie würde wie eine Steuer wirken, die den gleichen Ertrag abwirft. Und das wollen Sie heute der Landwirthschaft bieten? Was die Einfuhr von Fleisch betrifft, so hatte eine schärfere Richtung in der Kommission dieselbe nach dem 31. Dejember 1963 unbedingt ausschließen wollen; zuletzt hat aber doch die Rücksischt auf die Industriearbeiter den Sieg davongetragen und so soll es auch nach diesem Z itvunkt gestattet sein, Schweine schmal, Speck, reine Oleem irgarine und Därme einzuführen. Biez sind die Artikel, welche die Arbeiter am meisten konsumieren. Ein weiteres Entgegenkommen gegen die Arbeiterbevölkerung bedeutet der Uebergangszufland, welchen wir bis Ende des Jahres 1903 ge⸗ schaffen haben; bis dahin wird es unzweifelhaft möglich sein, die deutsche Viebproduktion so zu heben, daß sie den Fleischbedarf des deutschen Volkes selbständig decken kann. Wer also die Doppelbeschau will, wer das Inland nicht schlechter stellen will als das Ausland, der kann

egen diese Vorschläge ablolut nichts einwenden. Man fürchtet Ge⸗ 9 für den Handel. Das Gesetz richter sich 3 nicht allein gegen Amer ka, sondern gegen das Ausland überhaupt, und wer sein Recht benutzt, beleidigt keinen. Der Handel hat seinerseits der Landwirth⸗ schaft noch nie auch nur das geringste Entgegenkommen bewiesen. Sehr gerne gestehe ich dem Amerikaner das Recht zu, sich vor ge—⸗ Panschtem Wein zu schützn; ebenso und erst recht haben wir die Verpflichtung, uns gegen die Gefahren zu schützen, welche uns von dem * amerttanischen Fleischimport drohen. Die Amerikaner werden sich schon fügen, wenn, das. , in Kraft ist; fürckteten fie das Gef'tz nicht, so würden sie ja nicht mit Repressalien drohen. Gerade die Viebzucht ist es, welche auch dem klieinsten Bauer etwas einbringt. Das Gesetz lommt gerade dem Mutelstande unter dem Bauernstande am meisten zu gute. Von fanatischer Lebensmittelvertheuerung, von agrarischer Begehrlichkeit kann diefem Gesetze gegenüber nicht mehr die Rede sein; die Vorlage enthielt im Gegentheil eine direkte Schädigung des Inlandes gegen. äber dem Ausland. Ich bitte das Haus, auch die Mitglisder der Linken, der Fassung der Kommission zuzustimmen, wie das Zentrum es thun wird.

Abg. Frese (fr. Vgg.): Herr Gerstenberger hat sich doch wohl in den Industriezentren nicht genügend umgesehen. Wenn er meint, es werde keine Preissteigerung eintreten, so kenne ich das Herz der Agrarier doch etwas besser. Es wird eine direkte Schädigung und Benachtbeillzung der Arbeiter eintreten durch Vertheuerung des

leisches und durch Verringerung des Arbeitsmarktes infolge des chließlich unvermeidlichen Zollkrieges mit der amerikanischen Union. Ein solcher Schlag, wie er mit 5 14 gegen Handel, Industrie und Schiffahrt gerichtet wird, ist noch nichw ausgefübrt worden. Die Bewegung gegen die Kommissionsbeschlüsse ist noch nicht in ganzer Stärke auf⸗ ekreten, denn man bat den Bericht erst verheilt, nachdem die letzte ommifsiongsitzung schon 14 Tage her ist, andererseits es aber mit der Aunberaumung der Plenarrerhandlung sehr eilig gewesen ist. Große Protestbewegungen werden sich in den nächsten Tagen melden. Aus dem Regierungtzentwurf und dessen Absicht ast eine Waffe geworden, mit der man jedes Vertragsverhältniß, mit Amerika nicht nur, sondern auch mit anderen Staaten, zu nichte machen kann, eine Waffe, die unfer Vaterland bedroht, indem sie uns konkurrenzunfäbig zu machen im stande ist. den Handel lahm legt und die Schiffahrt aufs ernftlichste gefährdet. Die Fassang ist wenig klar. Die Bedingungen des 142. für die Einfuhr bis 1805 kommen das muß auch der Blödeste einsehen einem Verbot gleich; wohin die Reise gebt, Jann ein blinder Mann mit dem Stock fühlen: Proklamierung des absoluten Verbofs der Fleischeinfuhr, Ausbeutung der arbeitenden Klafsen, Schädigung des Handels und der Schiffahrt! Steht denn der Vortheil fr die Landwirthschaft in irgend einem vernünftigen Verhältniß zu dem großen Schaden, der angerichtet wird? Sie (nach rechts) sagen: Gebt'z Fem Bauer gut, so geht es Allen gut; wir sagen mit größerem Recht: Geht es der Industrie gut, so geht es auch der Landwirthschaft gut. Was aug der Kommission hervorgegangen ist, bedeutet eine Higskreditierung der gesammten amerikanischen Waare, und dieses Ur⸗ fheil wird drüben sehr deutlich vernommen werden. Amerika hat sein Augenmerk neuerdings ganz beträchtlich auf die Förderung und Aut dehnung der Schiffahrt gerichtet; kommt dieses Fleischbeschaugesetz nach den Kommissiongbeschläsen zu stande, so würde Amerika in jenen Plänen ganz außerordentlich dadurch unterstützt, daß es plötzlich einen der beachtengwerthesten Konkurrenten los wird. S0 0so des gesammten Kapitals der beiden größten deutschen Schiffahrtsgesellschaften sind in Schiffen inveftiert, welche für den nordamerikanischen Dienst ge⸗ bau und anderwäͤrts nicht verwendbar sind; wollen Sie diese Krãfte leichten Heriens lahm legen? Amerika wird die Tonnengelder erhöhen und unsere Ausfuhr noch stärker als bisher differential belasten; und es würde nicht lange dauern, bis unserer Schiffahrt nach Nord. Amerika dag Rückgrat zerbrochen wäre. Baumwolle, Mai, Taback und Petroleum sind zudem Produkte, welche Deutschland nicht produ⸗ iert und nach wie vor vom Auslande bejiehen muß. Vie große Textilbranche wird durch die Abschneidung der Baumwollenzufuhr aufs ärgste geschädigt werden, und insbesondere werden die Arbeiter die Geschä digten sein. Wollen Sie die Quellen verstopfen, au denen der National- wohlstand fließt, so können Sie auch die Mittel nicht aufbringen für die größere Flotte. Unsere Wehrkraft stärken, ist wohl eine hohe patriofische That, aber mit derartigen Sondervortheilen verträgt sich der Patriotismus nicht. Ich würde es mit Freuden begrüßt haben, wenn das Auswärtige Amt sich schon heute über die Frage, die ihm doch sehr nahe gehen muß, auegelassen bätte. Bls jetzt haben wir ein leidliches Verhältniß zu Amerika innegehalfen; zu Ende geführt sind die Handelspertrags« verhäandlungen aber noch nicht und ich hätte gern über die Art ihrer Fortführung Näberes erfahren. Ich schließe mit dem Videant con- zules! und boffe, daß die Vertretung des Auswärtigen Amtes gegen die Beschlüsse der Kommission auch in der dritten Lesung fest« bleiben wird. x n n nnn, mn, renn, dr,,

Praͤsident BSraf von Ballestrem bemerkt, daß die ge— schäftsordnungs mäßigen Fristen für die Plenarberathung des Entwurf innegebalten worden sind, überdies auch der Seniorenkonvent vor längerer Zeit den heutigen Tag für diese Berathung festgesetzt bat.

Abg. Graf von Klinckowström (9. 1 3 bisherige Agitation gegen das Gesetz läßt sich in die Worte zusammenfassen: Angst vor Amerika. Und deshalb gänzliches Preis geben jeder nationalen Produktion! Auf diese Angstmeierei gebe ich nichts. Herr Frese verlangt Berücksichtigung des Handels, der Schiffahrt und der Industrie durch die Landwirthschaft, aber in demselben Moment empfiehlt er den Bezug landwirthschaftlicher Erzeugnisse aus dem Augtlande. (Lebhafte Zurufe links: Baumwolle l) Die ganze Agltation ist künstlich U, von der liberalen Börsen⸗ preffe, welche die öffentliche Melnung macht. Schon in der ersten Lesung stand fest, daß die re ,,, garnicht anders lauten konnten. als sie jetzt lauten. In der langen Zwischenzeit war es auch in der Pöesse ganz ruhig und still; kein Wort wurde über die Fleisch. beschau verloren Eist ist in den letzten Wochen, wo irgend ein Blatt ent dec te, da durch das Gesetz Geld verloren gehen könnte, war die Wöünschelruthe gefunden, und, man machte auf, der ganjen Linie mobil; selbst der „Vorwärts“, dieses „Arbeiterblatt“, trat für diese großkapitalistischen und Börseninteressen ein. Eg llegen in dem Geseßz rein agrarische Interessen nicht vor; alle Berufsftände und alle Länder sind in der Kommission vertreten ge⸗ wesen, und die Beschlüsse sind der Ausdruck des allgemeinen Inter esseg, welcheg die Frage einer gesunden Balkůrrꝰ benen erheischt;

selbft die Freisinnige Vereinigung bat für die Beschlusse gestimmt, welche fich auf einer mittleren Linie bewegen. Wenn anerkannt wird, daß auch die Landwirthschaft Berückfichtigung verdient, so nenne ich das nicht agrarisch, sondern patriotisch und gerecht. Ich hoffe, daß auch der Bundesrath sich diefen Beschlüssen anschließt; es wäre ein natlonales Unglück, wenn dieseg Gesetz an dem Widerstand des Bundes raths scheiterte. Das würde eine Verbitterung erzeugen in der Land⸗ wirthschaft, welche allen späteren nationalen Bethätigungen hindernd in den Weg treten würde. Eg ist doch beschimend, wenn man deutsche Blätter liest und glauben muß, amerlkanische zu lesen; ich hoffe, der Reichstag wird durch seine Haltung beweisen, daß diese Ait deutscher . bedeutungslos ist. Ez handelt sich um ein Gesetz, das im anitären Interesse ergehen soll. Wie stehen wir denn zu Amerika? Kann uns der ärgste Feind zum Vorwurf machen, daß wir bei den Verhandlungen, mit Amerika zu kampfeslustig vorgegangen sind?. Die Meistbegũnstigung besteht nach wie vor; über die differentielle Behandlung des Zuckers erwarten wir noch heute die Anrwort, Uasere Geduld ist erschöpft. Wenn sich die deutschen gesetzgeben den Faktoren über ein solches Gesetz einigen, dann bat sich das Ausland dem zu fügen. Redner geht hier⸗ nach auf die Kommisstonsbeschlüsse im einzelnen ein. Dem § 2 we de seine Partei geschlossen zustimmen. Die Sz 14a und 144 zeigten gerade, wie wenig das agrarische Interesse bei den Beschlüssen der Kommission dominiert habe. Den Ardeiterinteressen bezüglich der Ernährung sei in vollem Umfange Rechnung getragen. Der Bundesrath würde mit seiner Zustimmung zu diesem Gesetz die bestehende Mitzstimmung der Landwirthschaft gegen die Regierung mit einem Schlag beseitigen. Werde hier nicht geholfen, so fei auch von den künftigen Handelsver⸗ frägen nichts zu erwarten. Seine Partei hoffe, daß die Regierung das Gef z als Waffe gebrauchen werde, um friedliche, aber auch be⸗ friedigende Verhältnisse herzustellen.

Abg. Wurm (Sor): Wenn ganz allgemein Schlachtthiere, also auch außgewachsene Rinder, in der Hausschlachtung ohne j⸗de Kontrole sollen geschlachten werden können, dann kann man die Rücksicht auf bie ländlichen Arbeiter nicht mehr ins Feld führen. Seit wann hat denn der Arbeiter auf dem Lande ausgewachsene Rinder? Nein, diefe Rinder werden auf den großen Güsern geschlachtet, die von der Unterfuchung frei bleiben wollen. Wag bisher ein Mißbrauch war, der die schlimmften Folgen haben konnte, wird von der agrariichen Unbe⸗ fangenheit zum Gebrauch, zu einer gesetzmäßigen Handlung ge—⸗ stempelt, womit die Interessen der allerzahlreichsten Volksklassen, der Arbeiter, einfach todtgeschlagen werden. Thiere, welche einer Seuche verdächtig sind., werden bekanntlich schleunigst geschlichtet, damit der Besitzer fich allen Welterungen entziehen kann; dieser für das Volk geradezu verderbliche Mißbrauch wird hier ohne weiteres sanktioniert und zum Ueberfluß bloß noch das gewerbsmäßige Verwenden derartigen Fleisches untersagt. Gerade die Haueschlachtungen sind es, welche im Interesse der Erhaltung der Volksgesundheit die Fleischbeschau zur absoluten Nothwendigkeit machen; und gerade diese wollen Sie (rechts) aus krasser Profitwuth von dem Gesftze ausgenommen wissen. Die Woblfabrt des Volles und das Staatsinteresse verlangen gleich. mäßig diese Untersuchung. Bei den heutigen Fleischpreisen lohnt es sich' nun angeblich nicht, große Ausgaben für Verbesserung und Ans— dehnung der Viehzucht zu machen. Also gebt uns . Preise, dann werden wir auch auf diesem Gebiete staatserhaltend wirken. Und so ist denn die Fleischvertheuerung die Aufgabe des Gesetzes. Die vorgeschlagenen Maßaahmen gegen die Einfuhr aus lãndischen Fleisches sind zur Sicherung der Gesundheit der Beypölkerung nicht erforderlich. Das amerikanische Fleisch soll, in unzer. bältniß mäßig hohem Prcozentsatz gesundheitsschädlich sein. Nun hat doch die Einfubr von dort erheblich zugenommen; dag beweist, wie groß das Bedürfniß dafür war Wenn man dem Bundes rath die Vollmacht giebt, alle Maßnahmen zu treffen, die eine gründ⸗ liche Untersuchung ermöglichen, so braucht man doch die Einfuhr selbst nicht nach 1-64 unmöglich zu machen Zanächst muß unser Inland geschützt werden gegen die Gefahren, die der Volksgesundheit drohen. Die außerordentliche Freundlichkeit, die darin liegen soll, daß Sie auch nach 1904 Speck, Schmalz, Därme und Margarine einlassen wollen, wird auf ihren wahren Werth zurückgeführt, wenn man be— denkt, daß Sie eben in diesen Artikeln nicht leistungsfähig sinz.

Abg. Sieg (nl): Der Großgrandb sitzer ir n doch nicht selbst. sondern läßt das Vieh durch Schlächier schlachten; ich möchte den Großgrundb sitzer sehen, der sich in dem Sinne, wie es der Vor⸗ redner ausgeführt hat, in die Hände seiner Schlächter lieferte. Außerdem trifft gerade der so angefochtene 82 ausgiebige Vorsorge gegen Machinationen der befürchteten Art. Wie kommt es denn, daß die Arbeiter trotz der billigeren Ernäbrung auf dem Lande nach den Städten rennen, wo es theurer ist? Auf diese Frage wird Herr Wurm die Antwort schuldig bleiben müssen. In der Hamburger Petition wird mit wunderbaren Mitteln gearbeitet, um vor dem Gesetz graulich zu machen; die lumpige Einfuhr des amerikanischen Fleisches soll den ganjen Segen der Sozalteform des ersten Deutschen Kalsers in Frage stellen. Es ist doch einfach selbstverständlich, daß die Viehzucht in größerem Maßstabe betrieben wird, wenn die Vieh⸗ preise sich heben. Auch der deutsche Landwirth aber nimmt die Interessen seines Arbeiterstandes. genau o wahr, wie alle übrigen Stände; es liegt bei diesem Gesetz durchaus nicht in der Absicht, die Volks. ernährung zu erschweren oder zu vertheuern. Redner geht dann auf die Rede des Abg. Frese ein, und bedauert, daß dieser die Flottenfrage in die Debatte hineingejogen habe, Den Vorwurf, daß die Freunde der Vorlage Ausbeutung der Arbeiterklasse treiben, könne er fich nur damit erklären, daß Herr Frese der soztaldemokra— tischen Bevölkerung der großen Seestädte eine Konzession habe machen wollen. Redner bespricht dann nach dem Vorgange des Grafen Klinckewstroem die Einzelheiten der Kommissionsbeschlüsse, die den vom Reichskanzler aufgestellten Grundsotz der vollen Gleichheit des n und des Auslandes erst zur vollen Durchführung brächten. Man dürfe außerordentlich gespannt darauf sein, was der hohe Bundesrath damit machen werde.

Abg. Beckb⸗Coburg: Die angebliche volle Gleichheit bezüglich der sanstären Maßregeln kann doch unmöglich darin zum Ausdruck gelangen, daß man bei den Hausschlachtungen von der Fleischbeschau von vornherein Umgang nimmt. Thatsächlich würden wir in dieser Begrenzung für das Inland keine Fleischbeschau haben, während wir für das Äusland eine doppelte vorschreiben. Es ist auch eine sonderbare Gesetzmacherei, in einem Fleischbeschaugesetz die Ein. fuhr fremden Fleisches überbaupt zu verbieten; das Gesetz soll benutzt werden, um einen Druck auf ein bestimmtes Auslands- gebiet auszuüben. Die Flottenvorlage ist ganz mit Recht bereingejogen worden, denn die stärtere Flotte soll doch den deutschen Handel schützen, den Sie mit diesem Beschluß ganz beträchtlich schädigen. Durch die Agrarier sind wir doch nicht zum Wohlstand in Deutsch⸗ land gekommen. Denn nach ihrer Erklärung leidet ja die Landwirth⸗ schaft immer; dieser Wohlstand muß also andere Quellen haben. In Bayern haben wir bis in die jängfte Zeit die unbedingte Fleischbeschau gehabt; erst vor kurzem sind die Hausschlachtungen in der jetzt von dem Entwurf vorgeschlagenen Fassung freigegeben worden. Die Städte haben sich aber energisch gegen die Schädigungen gewehrt, die ihnen von dieser Maßregel drohen. Redner setzt dann im einzelnen aus. einander, daß man, wenn man es bei 5 2 belassen wolle, mindestens die Abänderungsanträge annehmen müsse, die er dazu gestellt habe.

Abg. Holtz (Rp): Agrarische Selbstsucht liegt uns bei diesem Gesetze fehr fern. Die Interessen des Abg. Frese dagegen gravitieren mehr nach der Seite der Schiffahrt und Amerikas. Er hätte seine Rede besser in Amerika halten sollen. Herr Wurm möchte am liebsten fämmtliche Grenzen öffnen und die deutsche Landwirthschaft todt machen. Die doppelte Fleischbeschau rechtfertigt sich aus hygienischen Gründen. Dasselbe mußte eigentlich auch für das ausländische Gebiet

elten. Wir sahen aber ein, daß das nicht gut durchführbar ist. Die n,, müßten aber eine gewisse Fristbestimmung enthalten, wenn wir nicht das Inland benachtbeiligen wollen. Bis 1964 wird die deutsche Landwirthschaft ihrer Aufgabe, die Fleischversorgung zu garantieren, vollauf genügen. Wir verlangen nur Preise, welche einigermaßen das Unternehmerrisiko aufbringen. Gin lleiner Vortheil für die Landwirthschaft kann die anderen Parteien

nicht veranlassen, gegen das Gesetz ju filmmen. Der Widerstan beinahe geeignet, den Humor des Auslandes hervorzurufen. r denke doch, wie das Fleischergewerbe und der Fleischhan del in Amerlin betrieben wird. Die Befür een daß die Arbeiter bei der Haug. schlachtung verdorbenes Fleisch bekommen würden, ist unbegründet Jeder Unternehmer hat ein Jateresse daran, daß eb n. ut ernährt werden. Auch die Bedenken des Herrn Bech . nicht gerechtfertigt Würden die Arbeiter an ungesundem Fleisch krank, so hätte der Unternebmer die srankenlast ju tragen und hätte keine Arbeiter. Welches Heer von Fleischbeschauern mi für die Hausschlachtung eingeführt werden! Bei der Auswahl dieser Beamten könnte dann nicht mit der erforderlichen n n ver. sahren werden, und diese Fleischbeschauer würden vielleicht die kleinen Leute chikanieren. Bel einer kraftvollen Ration müssen wirthschast. liche Fragen vom Standpunkt des eigenen Interess 8 behandest werden. Ich hoffe, daß der Reichstag und die verbündeten Regierungen die Veränderung der Vorlage als Verbesserung annehmen 3 zum Besten des deutschen Volks.

Abg. Hoffmann. Hall (d. Volksp.): Das Gese Kommisfion eine erhebliche Verschlechterung erfahren. Ihc habe meint Bedenken dort zum Ausdruck gebracht. Herr Gerstenberger ist gegen die Beaufsichtigung der Hautschlachtung, weil sie unbequem und kost, spielig sei. Ich sollte meinen. daß, wem die sanitären Interessen am Herjen liegen, auch die Unbeguemlichkeit und Kosten mit in den Kauf nebmen muß. Oder glaubt Herr Gerstenberger etwa, daß die Thierärzte nur aus materiellem Interesse für die Beaufssichtizung der ö eintreten? Dagegen müßte ich entschleden Verwahrung einlegen. Die Verhältnisse der Hautschlachtung im Norden sind viel günstiger als die im Süden. Gerade ein Süddeutscher war der Erste, der in einer Broschüre die Agitation gegen den § 2 eingeleitet bat. Wie man aber die Hausschlachtung von der Beaufsichticung be—= freien und die Grenzen gegen daz Ausland verschließen wi ist ein Widerspruch, den ich nicht verstehe. Redner bezieht si für die Nothwendigkeit der Beaufsichtigung der Haus schlachtung vor der Schlachtung auf verschiedene tbierärztliche Autoritäten. Heute würden die Thlere im Haushalt vielfach in geradezu ekelerregender Weise geschlachtet. Die Thierkrankheiten stiegen von Jahr zu Jahr gan; außerordentlich. Redner warnt vor der Gefahr, die mit der unkontrolierten Hausschlachtung verbunden sei. Welche Verantwortung übernähme der Eigenthümer, wenn Eckrankungen durch ungesundes Fleisch vorkämen? Die Belastung infolge der ,, . se überdies nicht groß. Das beste Nahrungsmittel für das Volk sel dat Fleisch; es müsse aber gesund sein.

bg. Dr. Vielhaben (Reformp.): Die Kom missionsvorlaze entspricht dem großen nationalen Zuge, der durch das Volk geht, und der Aeußerung des Grafen Bülow, daß wir uns von teiner fremden Nation mit Füßen treten lassen wollen. Ich bedaure, daß der Staatssekretär nicht anwesend ist und uns nicht erklären kann, ob ek nur bei Worten bleiben soll oder ob den Worten Thaten folgen sollen. Will der Bundegrath die Rolle des bescheidenen Hauslehrers spielen? Wir sind von den Ameritanern heraut=, gefordert worden. Wie Resolutionen des amerikanischen Kon. greffes als Schreckschüsse wirken, haben wir an Herrn Ftese gesehen. Im dortigen Senat ist die Bemerkung unwidersprochen ge⸗ ßlieben, daß kein Land dem Konsumenten so wenig Schutz biete wie Amerika. Furcht vor Amerika haben nur die Importeure. Senator Mason hat als beste Repressiomaßregel die sorgfältigste Kontrole der Fleischmärkte empfoblen Zar Zeit gebört, das Fleisch zu den am meisten verfälschten Nahrungsmitteln in Amerika. Es giebt daft Reiepte in kostspieligen Werken. Im Jahre 1883 hatten wir bereckt einen Zollkrieg mit Amerika. Der Unterschied zwischen damals und jezt ist nur, daß auf dem Stuhl des Fürsen Bismarck jetzt Fürst Hohenlohe sißt. Wann begann die Agitation gegen das Gesetz? Als die Juden fürchteten, Geld zu verlieren; denn alle Händler, die an der Frage interesstert sind, sind Juden. Oppenheim in Chicago fabriziert Würste aus Pferdefleisch und schreibt an den Oppenheim in Berlin und Breslau, wenn er für seinen Geldbeutel fürchtet. Daß das Fleisch sich vertheuern wird, ist ab uwarten, vorläufig be⸗ zweffle ich eg. Bei den letzten Handelsverträgen hat nur die In⸗ dustrie den Vortheil gehabt; es schadet nichts, wenn jetzt die Landwirthschaft einen kleinen Vortheil hat So furchtbar hat die Landwirthschaft nie geschrien wie die Industrie. Das Erwachen det nationalen Selbstgefühls und der Selbständigkeit zeigt am besten der §z 2. Die Bauern sagen: Mein Haus ist meine Welt, und niemand dat etwas drein zu reden, wenn es sich um meinen eigenen Bedarf handelt. Das entspricht doch freihändlerischen Bestrebungen. An dem Termin von 1904 muß unbedigt festgehalten werden, damit die Land- wirthschaft sih darauf einrichten kann. Die Kommisstonsbeschlüse sind das Mindeste, was wir verlangen müssen. Dem Antrag Bech werde ich zustimmen.

Hierauf wird nach 55, Uhr die weitere Berathung auf Freitag 1 Uhr vertagt.

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Preußischer Landtag.

Haus der Abgeordneten. 41. Sitzung vom 8. März 1900, 11 Uhr.

Das Haus setzt die Berathung des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und ,,,. elegenheiten bei dem Ausgabetitel „Gehalt des ers“ fort.

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Meine Herren! Ich erkenne es mit Dank an, daß der Herr Abg. von Jazdiewskt sich in seinen ersten Ausführungen eines Tons der Mäßigung befleißigt hat, der wahrscheinlich nicht mich allein, sondern auch das hohe Haus angenehm berührt haben wird. Aber die Urtheile, die der verehrte Herr Abgeordnete im weiteren Verlaufe seiner Rede an die Haltung und die Maßnahmen der Regierung ge⸗ lnüpft bat, muß ich mit aller Entschiedenheit zurückweisen. Oiese Urtheile überschreiten weit die Grenze der Mäßigung, in der der Herr Abgeordnete zu sprechen begonnen hat. Wenn von einer Tyrannei der Regierung die Rede ist, so ist das ein Urtheil, wie es schärfer nicht gefällt werden kann. Da diese Reden weit über die Grenjen dieses Hauses, sogar über die unseres Vaterlandes hinaus bi ins Ausland schallen sie sind ja zum theil dazu bestimmt, ge⸗ wissermaßen zum Fenster hinaus gehalten, um die öffentliche Meinung zu beeinfl issen so habe ich um so mehr Veranlassung, auf das Allerentschiedenste dagegen Einspruch ju erheben, daß in dieser Art die wohlerwogenen Maßnahmen der Königlichen Staatsregierung kritisiert werden.

Wir werden uns mit den Herren von der polnischen Fraktion nie über die Ursachen verständigen, die die Königliche Staatsregierung dajn genöthigt haben, ihre Maßnahmen zu ergreifen. Der Herr Ab⸗ geordnete behauptet, daß durch das Vorgehen der Regierung erst die Haltung der Polen hervorgerufen worden sei. (Sehr richtig! bei den Polen) Die Geschichte lehrt es, daß gerade das Umgekehrte der Fall gewesen ist. (Sehr richtig) Die Haltung der polnischen nationalen Agitation, die mit jedem Jahre Schritt vor Schritt es läßt sich das gan genau ungefähr seit dem Jahre 1827 verfolgen eine deutschfeindlichere, nachdrücklichere und erfolgreichere geworden ist, hat die Regierung zu diesen Maßnahmen genöthigt. Daß nicht immer konsequent gehandelt worden ist, gebe ich ohne weiteres zu. Die Regierung hat sich zum theil vielleicht in ihren Mitteln geirrt, sie ist auf der einen Seite vielleicht hinter demjenigen, was praktisch und angemessen war, zurückgeblieben, auf der anderen Seite ist sie vielleicht auch in einzelnen Fällen über das Maß des Nothwendigen hinausgegangen. Aber ich muß für die Königliche Staatsregierung in Anspruch nehmen, daß jedesmal der beste Wille obgewaltet hat, Recht und Gerechtigkeit walten zu lassen. Es ist der Königlichen Staatsregierung nicht eingefallen, der polnischen Bevölkerung in ihren berechtigten Fo d rungen zu nahe ju treten. Ueber den Begriff der berechtigten Forderungen ist eine Verständigung mit der polnischen Fraktion freilich nicht möglich. Sie ist auch mit dem polnischen Volke nicht möglich, so lange bei diesem der maßgebende Einfluß der natlonalpolnischen Agitation bestehen bleibt, wie ich sie vorhin geschildert habe, und wie ich sie namentlich gestern zu shildern ge—⸗ nöthigt war.

Da ich gerade ju dem Worte: „Einfluß“ gekommen bin, so habe ich noch den Wunsch auszusprechen, daß die sehr lovalen Auffassungen, die der Herr Abgeordnete vorhin binsichtlich der Aufgaben der preußlschen Unterrichts verwaltung und hinsichtlich der Nothwendigkeit, dem polnischen Volke ein gewisses Maß von deutscher Kultur bei—⸗ jubringen, geäußert hat, bei der polnischen Bevölkerung Einfluß ge⸗ winnen mögen. Leider sind sie z. Zt. lediglich seine persönlichen und werden im polnischen Volke nicht getheilt, vor allem nicht in den senigen Krelsen, die ich für die nationalpolnische Agitation ver antwortlich machen muß; die denken ganz anders. Abgesehen davon, daß sie die Zugehörigkeit jzum preußischen Staate toto die nnr alg ein nothwendiges Uebel bezeichnen, das möglichst rasch ab= geschüttelt werden muß, haben sie für die deutsche Kultur die aller- widerwärtigften Bejeichnungen, und ich kann sagen, daß einzelne Blätter, auch solche, die im urdeutschen Gebiete, in Westfalen er scheinen, weiter nichts als die Parole der tlefsten Verachtung gegen leden einzelnen Deutschen haben. (Sehr richtig! rechts Ich kann dag nachweisen. Ich will die Herren nicht damit belästigen; aber die Preßäußerungen liegen in ganzen Kubikmetern vor. (Zuruf.) Der Herr Abgeordnete bedauert das auf das Lebhafteste. Ich wünschte, daß sämmt · liche herren der polnischen Fraktion die Konsequenzen aus diesem Bedauern lögen und ihren sehr maßgebenden und tiefgehenden Einfluß auf das polnische Volk und die polnische Presse dahin üben wollten, daß endlich einmal dieser für uns unerhörte Zustand ein Ende nimmt. (Sehr richtig! rechts und links.)

Meine Herren, wollen Sie einen Beweis dafür haben, wie die dentsche Kultur von einem bekannten polnischen Hetzorgan in Westpreußen beurtheilt worden ist? Ich darf hervorheben, deß schon zur Zeit der Deutschordengritter der Weichselstrom reguliert und eingedämmt worden ist, daß in der Folge Millionen seltenz der preußischen Regierung für die Regulierung der Weichsel

ausgegeben worden sind. Daz ist allerdings ein Thema, dat eigentlich nicht ju meinem Ressort gehört; aber die Beurtheilung, welche unser opferwilliges und opfervolles Vorgehen auf diesem Gebiete seitens der polnischen Presse erfährt, ist charakteristisch.

Der Weichsel Klage“ heißt eine poetische Betrachtung, die, in deutscher Prosa wiedergegeben, folgendermaßen lautet:

Frei strömte ich bis nach Danzig hin, frei ergoß ich mich ins blaue Meer, heut aber fesselt mich der Tyrannen satanische Macht, bezahlte Schergen bewachen heut meine Ufer. Uralte Walder rauschten an meinem Ufer, so manches Dörflein lächelte mich unterwegs an, heut muß ich in diesem ein geengten Bett dahinfließen, und die jüdische Axt hat die Wälder gefällt. Kähne und Galeeren trug einst mein glatter Spiegel, polnisches Getreide trug ich in die weite Welt, heute stoße ich auf deutsche Schlagbäume und muß moskowitische Kähne auf meinem Rücken tragen. Der gewinnsuchende Kaufmann dringt mit scheußlicher Habgier sogar in mein verborgenstes Innere, und in meine jungfräͤulichen Tiefen stieg er brutal bis auf den Boden, um mit harter Schaufel den Boden meines Bettes zu verwunden. Daher schwellen meine Pulse vor Grauen und Zorn und das aufgeregte Wasser eilt zum Meere. Wartet! Es wird einst, schäumend und trübe meine Feinde in gräßlicher Ueberschwemmung er— säufen!‘ (Heiterkeit.)

Das ist die Quittung auf unsere Weichselregulierung!

Meine Herren, um zu der Unterrichtsverwaltung überzugehen, so werde ich dem Herrn Abgeordneten heute nicht ein unter allen Um⸗ ständen bindendes Versprechen abgeben; dazu bin ich nicht in der Lage, weil ich die Tragweite eines derartigen Versprechens mit Rücksicht auf die Kürze meiner Amtsthätigkeit als Kultus , Minister noch nicht übersehen kann. Ich kann nur das eine Versprechen abgeben, daß getreu den unverrückbaren Traditionen, die ich stets befolgt habe, nach

Recht und Gerechtigkeit die Verwaltung geübt werden wird, daß wir

von dem Boden des Rechts nicht einen Schritt breit abweichen werden, daß ich jede Willkür streng verurtheilen werde, und daß ich namentlich chikanöse Verfügungen und solche, die unnöthigerweise reijen können, hintanhalten und, wenn nöthig, Remedur eintreten lassen werde. In dem einen Falle, den der Herr Abgeordnete heute erwähnt hat, ift eine Remedur schon erfolgt. Der Herr Abgeordnete weiß es vielleicht nicht; sonst würde er es wohl hier erwähnt haben.

Einzelne Fälle sind auch unrichtig geschildert worden. Zunãchst bedauere ich, daß eine Korrespondenz jwischen dem Ober ⸗Präsidenten der Provinz Posen und dem Eribischof von Posen Gnesen jetzt schon in die Hände des Herrn Abgeordneten gelangt ift, obgleich die Korrespondenz noch nicht abgeschlossen und eine Verständigung noch nicht herbeigeführt ist. Da der Herr Abgeordnete das Schreiben des Ober ⸗Praͤsidenten verlesen hat, brauche ich ja kein Bedenken zu tragen, auch meinerseits Gebrauch davon zu machen. Es heißt in diesem Anschreiben des Ober ⸗Präsidenten:

Die schweren Bedenken, zu welchen das Verhalten des Pfarrers Gryglewicz Anlaß giebt, liegen auf der Hand. An sich muß es als unstatthaft bezeichnet werden, daß ein Pfarrer sich der Hilfe von Schulkindern in der ausgesprochenen Absicht bedient, um dadurch Maßnahmen entgegen zu arbeiten, welche die Schulverwaltung nach Prüfung der in Betracht kommenden Verhältnisse innerhalb ihrer Zuständigkeit getroffen hat.“

Das hat nämlich der Herr Abgeordnete vergessen, Ihnen vor⸗ zutragen: der Vorwurf, den der Herr Ober ⸗Präsident gegen den Pfarrer Gryglewie; erhebt, richtet sich dagegen, daß dieser einen pol⸗ nischen Sprachunterricht organisiert hat in der Weise, daß er ältere Schulkinder beauftragt bat, jüngere Schulkinder in der polnischen Sprache zu unterrichten. Wenn die Sache in dieser Weise gehand⸗ habt wird, sind alle Maßnahmen der Regierung illusorisch. Dann ist es möglich, einen Theil der Schulkinder daju ju mißbrauchen, um andere im polnischen Sinne zu beeinflufsen. Denn wie wollen wir das kontrolieren, was in diesem polnischen Sprachunterrichte geschieht? Ich habe gestern darauf hingewiesen, daß selbst an staatlichen Anstalten mit staatlich besoldeten Lehrern ein Mißbrauch getrieben worden ist in der Ertheilung des Sprachunterrichts, daß sich die Lehrer ein Ver⸗ gnügen daraus gemacht haben, national polnische Schriften als Lehr⸗ material für die Schüler zu benutzen. Das ist ein Zuftand, der von uns unter keinen Umständen geduldet werden kann, um so weniger, als, wie ich hervorzuheben schon die Ehre hatte, jetzt der Beweis ge⸗ führt ist, daß die national polnische Agitation nicht davor zurũck⸗ schreckt, sich in die Schülerkreise hineinzudräͤngen und sogar Schüler- verbindungen zu stiften. Die Sache wird vielleicht später die öffent liche Meinung noch sehr beschäftigen.

Nun hat der Herr Abgeordnete einen Erlaß des Ministers von Bethmann Hollweg vom 4. Juni 1861, um den Beweis ju führen, daß die Frage des Befähigungsnachweises für die von den offentlichen Schulen ausgeschlossenen Disziplinen jetzt in anderer Weise gehandhabt werde. Der Herr Abgeordnete hat auch in diesem Fall einen wesent⸗ lichen Punkt Ihnen vorzutragen vergessen, nämlich den, daß dieses Reseript sich bezieht auf den Privatunterricht, der nur Erwachsenen ertheilt wird, aber nicht auf den Unterricht der Schulkinder. Der Erlaß hat also auf den vorliegenden Fall keinen Bezug.

Ich bin leider genöthigt, auf das Thema der Polonisierung der deutschen Katholiken zurückzukommen, weil der Herr Abg. von Jazdzewaki mir den Vorwurf gemacht hat, daß ihm meinerseits gestern unzutreffende Thatsachen vorgeführt worden seien. Wollen die Herren mir vielleicht gestatten und ich bitte den Herrn Prãäsidenten um die Erlaubniß aus der Rede meines Herrn Amts⸗ vorgängers von Goßler vom 14. März 1883 Ihnen die Schilderung der Leiden der deutschen Katholiken vorzutragen in den Jahren 1862 bis 1872, also zu einer Zeit, von der ich gestern noch bervorhob, daß sie in die Epoche der stolzesten Er⸗ sinnerungen des deutschen Volkes fällt. Der damalige Minister sagte Folgendes:

Es liegen mir Liften vor, welche auf Grund der speziellen Verhandlungen mit den Erjbischöfen Prjylugki und Ledochowgki auf gestellt sind, und die ungefähr erkennen lassen, wie infolge dieser Maßnahmen das deutsch katholische Element planmäßig und natur⸗ gemäß zurückgedrängt biw. in die polnische Nationaliiãt übergeführt worden ist. Im Jahre 1862 gab es beispielsweise in Lubosch (Kreis Birnbaum) 103 dentsche Katholiken, 6b polnische. Eine deutsche Predigt wurde nicht gehalten; esd wurde von der Regierung bei dem

Bejug genommen auf

der Düsseldorfer

d n. Da . bedauert, ist mir sehr erfreulich, aber ich bin weit entfernt,

Gribischof beantragt, für die deutschen Katholiken alle vier Wochen eine deutsche Predigt halten zu lassen; doch gewiß eine sehr bescheidene Forderung! Der Antrag wurde abgelehnt. (Hört, hört! rechts.) Im Jahre 1872 fanden sich es war 10 Jahre später in Lubosch bloß noch 6 deutsche Katholiken unter 695 Polen. In Opaleniea waren im Jahre 1862 554 deutsche neben 2243 polnischen Katholiken. Eine deutsche Predigt wurde nicht gehalten. Beantragt wurde von der Regierung eine 14 tägige deutsche Predigt; der Gry bischof lehnte dies ab. (Hört, hört! rechts.) Im Jahre 1872 gab es in Opalenica nur noch 25 dentsche Katholiken. Die ablehnende Erklärung wurde speztell motwiert damit, daß die Katholiken deutscher Abkunft schriftlich vor dem Pfarrer zu Protokoll erklärt hätten, daß sie einen deutschen Gottek⸗ dienst nicht haben wollten. ein höchst charalteristisches Zeichen, in welcher Weise eine Be⸗ einflussung da stattgefunden hat. In Brody mit 135 deutschen Katholiken wurde weder eine deutsche Predigt gehalten, noch eine deutsche Beichte entgegengenommen. Und nun kommt derjenige Kreis, den ich während einer Reihe von Jahren verwaltet habe: Im Kreise Obornik waren im Jahre 1862 in Mur⸗Goglin 686 deutsche Katholiken neben 1214 Polen. Die Deutschen erhielten keine deutsche Predigt. Es wurde beantragt, alle vier Wochen eine deutsche Predigt zu halten; das wurde abgelehnt. (Hört, hört! rechts.) 1872 waren nur noch sieben deutsche Katholiken dort vorhanden. (Hört, hört! rechts.) In Kirchen⸗Dombrowska waren 1862 bos deutsche Katholiken gegenüber 1426 polnischen vorhanden, ohne deutsche Predigt. Der Antrag auf vierwöchentlichen Gottesdienst in deutscher Sprache blieb seitens des Eribischofs unbeantwortet. 1872 war kein deutscher Ftatholik mehr dort vorhanden. (Hört, hört! rechts.)

Meine Herren, ich will die Sache nicht weiter ausführen. Ich kann aus eigener Wahrnehmung erklären ich habe später noch den Kreis besucht, den ich eine Reihe von Jahren zu verwalten die Ghre hatte ich habe da in katholischen Dörfern, die vorher noch gan deutsch waren, gefunden, daß kein einziges deutsches Wort mehr ge⸗ sprochen wurde, und daß die Leute, die, als ich sie zum ersten Mal besuchte, mich durch ihren Schulzen freundlichft in ihrer deutschen Muttersprache begrüßten, jetzt es aufs entschiedenste ablehnten, noch Deutsche zu sein.

Meine Herren, haben wir nicht die heiligste Pflicht, endlich ein⸗ zugreifen? (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen) und zwar auf demjenigen Gebiet, auf dem wir es allein thun können, nämlich auf dem der Schule? Ich habe gestern schon hervorgehoben, wie noth⸗ wendig es ist, die deutschen Katholiken davor zu schützen, daß ihre Kinder auch hinsichtlich des polnischen Sprachunterrichts vollständig mit den polnischen Kindern in gleichem Sinne behandelt und so langsam, aber sicher polonisiert werden.

Eins muß ich leider heute, durch Herrn Dr. von Jajdziewski pro- vozlert, hier noch hervorheben: Den Kindern wird in der That bei⸗ gebracht: der polnische Katholizismus ist ein anderer, ein viel besserer als der deuische. (Hört! hört! rechts) Ich habe auch Zeitungsbeweise dafür.

Weiter will ich aber nicht darauf eingehen. Es ist ein peinliches Thema, das mich deswegen schmerzlich berührt, weil ich nur noth⸗ gedrungen die konfessionellen Unterschiede bier öffentlich zur Sprache bringe.

Meine Herren, ich kann schließen mit der Versicherung, mit der ich begonnen babe, daß nach Recht und Gerechtigkeit in meinem Ressort gehandelt wird. Ich muß auf das allerentschiedenste Einspruch gegen die Art und Weise erheben, wie der Herr Abg. Dr. von Jazdzewski sich gemüßigt gefunden hat, einen mir beigegebenen, nicht verantwortlichen Beamten anzugreifen. Meine Herren, ich bin der allein verantwortliche Ressortchef und habe das in meiner ersten Rede, die ich in diesem Hause zu halten die Ehre hatte, hervorgehoben. In welcher Weise der Herr Abgeordnete die Thätigkeit des betreffenden Herrn charakterisiert, ja als eine solche dargestellt bat, die gewissermaßen über den Kopf des Ressortchefs hinweg eine Nebenreglerung einführte, gegen diese Art muß ich mich auf das entschiedenste, auch namens meiner Herrn Amtsvor⸗ gänger, verwehren. Daß irgend einer der dem Ressortchef beigeordneten Herren überhaupt eine derartige Rolle spielen könnte und spielen kann, das würde den preußischen Traditionen durchaus nicht entsprechen. Tbatsächlich ist das nicht der Fall, und ich bitte auch vor allen Dingen, pon mir die Erklärung entgegennehmen zu wollen, daß die Motive, die der Herr Abgeordnete der Thätigkeit dieses Beamten untergeschoben bat. absolut unzutreffend sind. (Lebhafter Beifall rechts und bei den Nationalliberalen.)

Abg. Dr. Friedberg (n.): Manche Redewendungen des Abg. von Jardzewgti sind mir geradejn auf die Nerven gefallen. Die Behauptung, daß Herr Bosse als der unpopulärste Mann aus seinem Amte geschleden sei, ist unberechtigt. Wir sind ihm für manche Ge⸗ setze sogar sehr dankbar. Den Herren Polen mag er allerdings un · populär gewesen sein. Wir müssen ung auch dagegen verwahren, da in anderer Beamter als der Minister allein verantwortli gemacht werde. Das Verhalten der Polen ist aufreijend, und bag Verbot des polnischen Privatunterrichts liegt im Interesse des Staatz. Herr Porsch hat immer meine Bemunderung durch seine Ausnutzung der parlamentarischen Situation gehabt. Herr Beumer hat doch ganz auffaͤllige Fälle von katholischer Intoleranz vorgebracht. Wenn der don Herrn Porsch angeführte Fall des Superintendenten aus Schlesien so liegt, würde 1 ihn lebhaft bedauern. Die Regierung sollte ihn ö untersuchen. Der Fall des Lehrers aus dem Landkreis Gffen zeigt jedenfalls, daß die Düssel dorfer Regierang zu schwach ist und den ultramontanen Ginfluͤssen nicht widersteht. Meinem Freunde Beyschlag kann man keine Jatoleranz vorwerfen; Derr Porsch bat nur nach dem Bericht in der „Köln. Volksztg.“ über die Rede Beyschlag's sitiert. Die Universitaäͤten sollten kelnen konfessionellen Fharakter haben; aber wer, wie Herr Porsch, für fie einen konfesstonellen Charakter in Anspruch nimmt, kann sich nicht dagegen verwahren, daß ein evangelischer Theologe seine Ansicht an einer aug⸗ gesprochenen evangelischen Universität ausspricht. ; Abg. Dr. Porsch: Ich babe nicht nach der Köln. Vollsztg. zitiert, sondern nach der Pffiziellen Festschrift. Dieses Haus ist aber nicht zu Religionsgesprächen geeignet. Wenn der Fall in Essen von

eng näher untersucht wird, so habe ich nichts 5 Herr' Friedberg den Fall des schlesischen Superinten⸗

folche einzelne Fälle zu verallgemeinern, Theologe vor ausschließlich katholischen Zuhörern bei einem

Wenn ein katholischer Festakt