1900 / 62 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 10 Mar 1900 18:00:01 GMT) scan diff

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Dentschland genügend Fleisch vroduneren wird, um an die fremde Fleischeinfuhr im Interesse der Bolkegesundheit die völlig gleichen sanitätgpolijeilichen Anforderungen stellen zu können wie für die inländische Fleischnahrung, ob bei einzelnen Einfuhr⸗ waaren nach Art der Verpackung, nach Art der technischen Behand⸗ lung oder der Voruntersuchung im Auslande eine Gefahr der Ge⸗ sundheitsschädigung vorliegt, das kann, meines Erachtens, nicht eine Frage sein, die im Wege der Gesetzgebung entschieden wird, sondern die kann nur entschieden werden im Wege der Ver⸗ waltung. Deshalb kann ich Sie nur dringend bitten, gegenüber den schweren Bedenken, die gegen die Kommissions vorlage an den maßgebendsten Stellen vorliegen (hört, hört), in dieser Be⸗ ziehung wenigstens die Reglerungsvorlage wiederherzustellen. Ich habe vorhin davon gesprochen, daß man nicht mit diesem Nahrunggmittelgesetz denn der Entwurf ist nichts wie eine Er⸗ gänzung des Nahrungemittelgesetzes wirthschaftspolitische Er⸗ wägungen verbinden soll. Dazu, glaube ich, sollten auch die Herren, die auf dem Boden der Kommisstonsvorlage stehen, sich schon durch taktische Erwägungen leiten lassen. Ich habe oft gehört, daß man von der agrarischen Bewegung sagt, sie sei känstlich erzengt, sie sei ein Weik lediglich der Agitation. Ich halte diese Auffassung für eine solche, die die Dinge nur oberflächlich ansieht (sehr richtig! rechts; Heiterkeit linls) und nicht für staatsmännisch belonders tief. Gine Bewegung, die so große Dimenstonen angenommen bat im Often und im Westen, im Norden und im Süden, die doch bis zu einem gewissen Grade den Charakter einer elementaren Erscheinung trägt, die kann nicht nur das Werk der Agitation sein (sebr richtig! rechts), sondern man wird hier mit Recht sagen können: ‚Wo Rauch ist, ist auch Feuer!“ (Sehr gut! rechts), und wir werden, wenn wir unsere handelspolitischen Beziebungen neu regeln, deshalb recht ernst prüfen müässen: in wie weit sind die Beschwerden der Landwirthschaft gerechtfertigt und wie weit können wir sie ohne Schädigung der übrigen Erwerbsstände lindern? Meine Herren, ein französischer Minister war es glaube ich —, der einmal sagte: wenn man kelne Opposition hätte, müßte man sich eine Opposition schaffen! und so möchte auch ich sagen: wenn wir nicht die konservative Richtung hätten, die mit der Landwirth⸗ schaft untrennbar verbunden ist ich spreche nicht von der konser⸗ vativen Partei als solcher, sondern von der allgemein konservativen Richtung der Landwirthschaft als solcher so müßten wir uns diese Richtung schaffen! (Heiterkeit link; Bravo! rechts) Gewiß, meine Herren, in der jetzigen Zeit des Radikalismus (ah! links) ist diese konservative Richtung, die mit der Landwirthschaft zusammen⸗ hängt, auch für die liberalen Parteien ein werthvoller Anker. (Heiterkeit links) Hätten Sie diese konservative Richtung in der Landwirthschaft nicht, die den besten Damm gegen die Radikalen bildet, so, fürchte ich, würden auch die liberalen Parteien von den radikalen Parteien sebr bald verschlungen werden. (Sehr richtig! rechtsß. Oh! links. Zuruf links.) Erlauben Sie, ich werde Ihnen sofort sagen, wie diese Bemerkung mit dem Gesetz zusammen⸗ hängt. Wir werden also ernst prüfen müssen, ob wir bis zum Abschluß neuer Handelsverträge nicht unserer heimischen Landwirthschaft aus politischen und wirth— schaftspolitischen Gründen einen wesentlich verstärkten Schutz sckaffen müssen! (Bravo! rechts) Denn es ist eine geradezu gefährliche Erscheinung, das Abwandern der Bevölkerung vom platten Lande nach den Städten. (Sehr gut! rechts.) Daz Ab⸗ wandern der Bevölkerung von den polnischen Landestheilen, der deutschen Bevölkerung und auch der polnischen, von den östlichen Landestheilen nach den Industriejentren im Westen. Zum tbeil ift gerademn eine nationale Gefahr damit verbunden lsehr richtig! rechts), daß schon jetzt Theile preußischer Provinzen stellen⸗ weise angewiesen sind auf nichtdeutsche Arbeitskräfte, die über der Grenje ihre Heimath haben. Und für die Stärkung der Interessen der Landwirthschaft spricht auch, trotz aller statistischen Nachweisungen, daß der landwirthschaftliche Arbeiter, der von Jugend an an die Un⸗ bilden von Wind und Wetter gewöhnt ist, auf die Länge immer noch der ausdauerndste und schlagfertigst: Soldat sein wird. (Schr richtig! rechts) Soll aber die Lage der Landwitrthschaft in dieser Richtung verbessert werden, so muß sie in der Lage sein, auch in der Bezahlung ihrer Arbeiter den Wettbewerb der Industrie auszuhalten. Ich meine also: die Tendenz, die sich bei der Begründung der Kommi sionsvorlage geltend gemacht hat, muß man bis zu einem gewissen Grade als eine berechtigte anerkennen. Die verbündeten Regierungen haben aber ernste Bedenken gegen eine Verquickung solcher Gesichtspunkte mit der gegenwärtigen Vorlage. (Hört, hört! links.) Und da gestatten Sie mir noch, einen anderen Gesichtspunkt anzuführen. Meine Herren, wir stehen jttzt vor einer wichtigen Aufgabe, vor einer Aufgabe, die vor kurzem seitens eines hervorragenden Landwirths als die wichtigste des neuen Jahr- hunderts bejelchnet ist. Diese Aufgabe können Sie nicht lösen, können die landwirtbschaftlichen Kreise nicht lösen, wenn sie nicht die hilfebereite Uaterstützung der Industrie genießen, die einen weiten Krels von Verbrauchern vertritt.

Ist es nun taktisch richtig, jetzt ein solches Gesetz zu beschließen, welchet die ernstesten Besorgnisse in weiten Kreisea der Industrie und auch in ihren hervorragendsten Spitzen hervorgerufen hat (sehr richtig! links), ein Gesetz, welches die Industrie in so hohem Maße besorgt macht? Jetzt ist die Industrie nur besorgt; sollte aber dieses Ge— setz Folgeerscheinungen mit sich bringen, welche für die Industrie in der That positiv schädlich sind, so wird aus der Be—⸗ sorgniß der Industrie scharfe Gegnerschaft gegen die Landwirthschaft entstehen (sebr richtig! links), und damit wollen wir einmal seben, ob ez möglich sein wird, bei der Neu⸗ gestaltung unseres Zolltarifs und unserer handelspolitischen Verhält nisse die Forderungen zu erreichen, die Sie im Interesse der Land wirthschaft für unbedinzt nothwendig halten. (Zuruf rechts) Meine Herren, Sie sagen, Bangemachen gilt nicht! Ich dagegen kann Ihnen sagen, daß, wenn ich solche Aeußerung thue, das nicht ein taktischer Schachzug ist, sondern, daß ich dies auf Grund ernster Thatsachen äußere. Wenn dieses Fleischbeschaugesetz Gesetzeskraft erhalten sollte, so würde das voraussichtlich nicht vor dem 1. Juli des Jahres sein; innerhalb von 21 Jahren sind wir aber meines Erachtens gejwungen, unsere handelspolitischen Verhältnisse neu zu regeln, und ich würde es für durchaus unrichlig halten, bei den grohen Bedenken, die einer verartigen Gestaltung des Gesetzes entgegenstehen, wegen eines Zelt⸗ raums von 21 Jahren einen Vorgriff zu machen oder wenigsteng den

imraerhin sehr ernste Folgen haben kann. Ich bin der Ueber zeugung, wir werden, wenn wir daju kommen, unsere handels- polttischen Verhältnisse auf Grund eines neuen und besseren Zolltarifs zu regulieren, in der That keinen anderen Gesichtspunkt verfolgen können, wie den Schutz der heimischen Arbeit. Wir haben dann aber die Rücksichten nicht mehr zu nehmen, die jetzt viel- leicht klugerweise noch zu nehmen sind. Wir haben unsere Verträge bisher durchaus loyal gehalten, auch da, wo wir glauben, berechtigten Grund zu Reklamationen gegen die andere Seite zu haben. (Zurufe rechts) Wir werden aber nicht zögern, autonom und auch durch die späteren Handel averträge unserer heimischen Produktion dasjenige Maß von Schutz zu gewähren, daz andere Staaten bereits in wiederholten Gesetzen in neuerer Zeit und, namentlich sehr zum Schaden der deutschen Industrle, ihrer eigenen Produktion fast bis jur Prohibition gewährt haben. (Sehr richtig! rechts.)

Gegen den Zwischenruf, der mir hier von dieser Seite gemacht worden ist: nicht bange machen!“ möchte ich mir zum Schluß noch eine Erwiderung gestatten. Ich babe auch die Ueberzeugung, der Be⸗ schluß, den die Mehrheit dieses hohen Hausez jetzt fassen wird, ist von einer ganz außerordentlichen Tragweite (sehr richtig! und Härt, hört! links), vielleicht von einer Schwerkraft, viel weiter gehend, wie Sie im gegenwärtigen Augenblick denken. (Sehr gut! links.) Also, meine Herren, haben Sie Geduld, noch ein paar Jahre iu warten. (Lebhafter Widerspruch rechts, Heiterkeit links) Ich sebe leider, Sie haben keine Geduld. Ich kann Ihnen aber doch nur rathen, noch ein paar Jahre mit so einschneidenden Maßregeln ju warten, und jwar bis zur allgemeinen Neugestaltung unserer handels⸗ politischen Beziehungen. Ich glaube, Sie werden selbst einsehen, daß Sie dann auf die Länge den Interessen, die Sie ju vertreten wünschen, am besten dienen. Fabius cunetator war bekanntlich nicht der

schlechteste Taltiker! (Gravo! links.)

Abg. Fischbeck (fr. Vollzv): Der Stantssekretär Graf Posa—⸗ dowe ly lobpreist die konservative Richtung, unmittelbar nachdem er auf seine Frage. warum man nicht dem Bundesrath die Befugniß nach z 14 belassen will, aus den Relhen dieser selben Konservatiden die Antwort empfangen hat: „weil wir kein Vertrauen haben“. Die Grenzperre bedeutet einfach die Ausschaltung des. Welt⸗ markipreifes als Regulator für die heimischen Fleischpreise. Es wird im ner wieder behauptet, aber es kann nicht be- wiesen werden, daß in den drei bevorstehenden Jahren die deutsche Viehproduklion so gesteigert werden könnte, um den deutschen Bedarf völlig zu decken. Eine landwirthschaftliche Autorität hat sich dahin geäußert, daß es damit mindestens noch 10 bis 20 Jahre Zeit baben würde. Ez wird mit den Kommissiorsbeschlüssen nicht sowobl für gesundes als für tbeures Fleisch gesorgt. Damit wird aber der Konsument zur Enschränkung im Fleischgenuß gezwungen, und die Graährung des Volkes erleidet den größten Schaden. Weshalb hätte wohl sonst die Regierung im Jahre 18953 Fleischeinfuhrverbot aus Amerika wieder aufgehoben? Die Kommissionsmehrheit arbeitet mit dem Durch schnitis atz des Fleischlonsumts in Deutschland und sagt, was der deutschen Produktion an die em Durchschnittssatz noch fehle, werde schon in drei Jahren zu schaffen sein Aber dieser Durchschnittssatz it doch kein feststehendes Prisziw; es muß doch mit allen Kräften dahin ge⸗ strebt werden, den Fleischkonsum zu heben, um die Volkskraft zu stärken. Wenn Herr GHerstenberger auf die Einfuhr lebenden Viehes als Ersatz binweist, so hat er wohl vergessen, daß gerade in Bayern sich der kräftigste Widerstand gegen eine solche An— regung erhoben hat. Als Graf Kanitz sich bei früherer Gelegenheit über die amerikanische Fleischschkn aussprach, suchte er dem Reichs⸗ tage klar zu machen, daß die bloß auf dem Papier stände, daß alle kranken und gefallenen Thiere in die Schlachthäuser gebracht und namentlich zu Schmalz verarbeitet würden. So Graf Kanitz damals; jstzt aber wollen Sie das amerilanische Schmalz, welches mit diesem St gma behaft t ist, rubig weiter eingehen lassen, dieses schlechte Schmalz soll also für die ländlichen Arbeiter gut genug sein? Die Kom missiongbeschlüsse haben keinen anderen Zweck, als die Be⸗ seitigung einer unbeguemen Konkurrens; wir können bei einer derartigen Gesetzmacherei nicht mitthun. Mit diesem Be⸗ schluß wird dem Volke das erste Blatt jener Rechnungen vor⸗ gelegt, welche uns die Herren Agratier in den neuen Handels⸗ verträgen zu präsentieren gedenken. Wir leben in Deutschland nicht aaf einer Insel; wollen wir dem Auslande eiwas verkaufen, dann müssen wir die Wirihschaftspolitit so einrichten, daß das Ausland auch Lust behält, uns etwas abiukaufen. Gerade der Mittelstand müßte sich energisch gegen eine solche Gesetzgebung, die seine vitalsten Interessen bedroht, eiklären. Graf Klinckowstroem führt das National⸗ gefübl ins Gefecht. Warum war eg in der Presse ftill geblieben? Weil man fest annahm, aus dem Gesetz würde nichts, die Regierung würde fest bleiben. Die Sache lag fast ein Jahr lang still; erst seit wenigen Wochen ist sie wieder in die Hand genommen. Die Regierung muß sich treiben lassen; sie braucht die Stimmen der Agrarier, und diese treiben jetzt fast Gwyressung. Hat doch Herr Klapper deutlich erklärt: wenn wir etzt nicht höhere Schweineyreise ꝛc. bekommen, stimmen wir nicht für das große nationale Werk der größeren Flotte. Und hat Herr Graf Klinckowstroem dasselbe nicht ganz deutlich auch gestern gesagt? Selches Handelsgeschäft giebt nicht das Recht, über das Nationalgefühl anderer Parteien zu sprechen. Im Lande zieben die Flottenredner herum und tadeln die unvatriotischen Flottengegner; dieses Gesetz aber liefert uns das Material, gerade den Patriotismus des Bundes der Landwirthe zu kennzeichnen. In einer aus dem Fonds des großen Unbekannten“ bezahlten Broschüre Arbeiter und Flotte“! wird den Arbeitern klar e . daß si: verbun gern müssen, wenn sie nicht die 86 Flotte bewilligen; und darin ist wörtlich ausgeführt, daß die

erweigerung der größeren Flotte dem Arbeiter für 50 Millionen Fleisch entziehen würde, welchts jetzt billig aus dem Auslande eingefährt wird. So steht es da ju lesen; aber die Arbeiter werden auch Noth nehmen von den jetzigen Verhandlungen des Reichstages und werden erkennen, welches Doppelspiel hier gespielt wird. Was Graf Posadow ly vorhin erklärte, war auch vielleicht noch nicht das letzte Wort; denn agrarisch ist Trumpf. Ueber die Hamburger und Bremer Kreise könnten wir, weng wir boshaft wären, Schadenfreude empfinden, ihrer Flotten schwärmerei wird mit diesem Gesetz ein gründlicher Dämpfer aufgesetzt. Sie wollten den Handel ichützen, und er muß zurück= gehen. Den Hamburgern wurde das Wort zugerufen: Mehr Flotten, 2 Partel! Jetzt dürfte es bald heißen: Mehr Flotten, weniger

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Abg. Freiherr von Wangen heim-⸗Pyritz (d. kons.) wendet sich gegen die Ausführungen des Staatssekretärs Grafen von Posadowsky. Der deutsche Rindviebbestand und Schweinebestand, führt der Redner aas, hat in den letzen Jahren so bedeutend zugenommen, daß jede Be- fürchtung bezüglich ungenügender Fleischerjeugung für die Zeit nach 1963 unbegründet ist; in demselben Zeitraum, in welchem fich die Bevölkerung um 160,0 vermehrt hat, ist die Fleisch⸗ produktion um 45 5 gestiegen. Was nach den Kommissions—« beschlüssen ausgeschloffen werden soll, ist höchstens 3 0⸗/0 unserer ie. tion. Bei der nächsten Viehzählung wird sich außerdem heraus-=

ellen, daß die Vermehrung der ie de m , in noch rapiderem Maße als vorher vor sich gegangen ist. Die Gegnerschaft gegen die Commissionsbeschlüsse ist um so eigenthümlicher, als 6 eine erhebliche Abmilderung gegen ihren ursprünglichen Beschluß darstellen. Wir be⸗ absichtigen damit weder Preeistreibereien, noch Ausbeutung der Arbeiter. wir wollen nur, daß die Landwirthschaft Preise erbält, bei welchen sie bestehen kann. Daß eine blühende Jadasirie eine blühende 2

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und ernährt sie mit augländischem Fleisch und Korn. Die Zalaffun b beschlofsen, um den Gegnern auch den letzten Vorwand zu neh die behaupten, daß eg sich um Erschwerung der Volktzernäh handle. Redner polemisiert dann gegen die er en Aug führungen des 2 Wurm. Es gebe Loch nicht allein industriell ondern auch ländliche Arbeiter, die sich für das kranke 3. es Auslandes bedanken würden. Darauf i edne auf die Darlegungen des Abg. Pachnicke eln. Sandeln mit der Regierung äberlasse die Landwirthschaft andern Partelen. Das Gesetz werde nicht durchgepeitscht, denn es befinde sich seit einem Jahre im Reichstage. Dem Bundegrath habe man schon oft Vell. machten und Befugnisse gegeben, mit deren Handhabung nachher schlechte Erfahrungen gemacht worden seien Hier ziehe man es dez. balb vor, die Bestimmung über den Ausschluß der Einfuhr in daz Gesetz selbst aufzunehmen. Die Landwirthschaft erkläre heute einfach, wenn sie noch einmal über den Löffel barbiert werde, habe sie auch keine Lust mehr, der Industrie einen Schutz zu gewähren. Nicht nur der Reichskanzler. sondern auch der preußische Landwirtk⸗ schaftg. Minister habe jene Erklärung namens der verbündeten Re, gierungen abgegeben, daß die Untersuchungö bedingungen für das aug. ländische Fleisch mindestens dieselben sein sollten, wie für daz inländische. Redner fragt den Reichskanzler, ob er dieses Versprechen ebenso wie dae jenige der Aufhebung des Verbindungsverbots einzulösen gedenke, oden wolle er, daß gesagt werden könne, es sei dieses Ver. sprechen nicht erfüllt worden?

Senator der Freien und Hansestadt Hamburg Dr. Burchard: Wir haben die Vorlage der Regierung mit besenderer Geru thuung begrißt, wesentlich auch mit Rüdsicht auf die bande levolitischen Beziehungen, welche darch die Fleischbeschau wesentlich bedingt siad. Nach der Stimmung bei der eisten Lefung im vorigen Jahre waren Schn ierigkeiten bei der Kom misstonsberathung zu befürchten, die verbündeten Regierungen hielten aber doch eine Verständigung mit den maßgebenden Parteien für wahrscheinlich. Dag Bedenfliche an den Kommisssons⸗ beschlssen aber ist nun die Bestimmung, daß gesetzlich fest⸗ gestellt wird, daß vom 31. Dejember 1893 ab gewisses Fleisch nicht mehr eingeführt werden soll. Das ist ein vollkommenes Novum auch in unserem bestehenden schutzsöll nerischen System. Mit den ftei⸗ händlerischen Iden auf dem Gebiete der Viehrinfubr bat man laͤngst aufgeräumt; wir geben ja in der Beschränkang der Einfuhr ungemein weit. Die Erklärung des Staats, Ministers, daß es sich bier um eine autonome Regelung handelt, habe ich mit Dank be— grüßt und unterschreibe sie in jedem Worte. Weiter gebt aber auch der Herr Staatssektetär nicht. Selbst bei, der Ver. bandlurg deg Antrags Kanitz über die Handelsbeziehun gen in Amerika ist der Ton ein friedfertigerer gewesen als heute. Ich möchte den Standpunkt der von mir vertretenen Re— gierung wesentlich dahin formulieren: es ist keineswegs, wie en gestern ausgesprochen wurde, die Angst vor Amerika oder irgend einem anderen fremden Staate, die uns an das hohe Haus die Bitte richten läßt, dem 5 14 in der vorliegenden Form die Zustimmung nicht iu ertbeilen. Wir wünschen nur der Anschauung entgegenzutreten, alt ob eg nach Sachlage erforderlich sei, eine Bestimmung zu erlassen, die unseres Erachtens den Charakter der Ausnabmebestimmung an der Stirn trägt, ganz besonders um deswillen, weil sie erft mit den I. Januar 1964 in Kraft treten soll, sodaß der sanitäre Charalter, der diesem Gesetze auch nach den Erklärungen, die auch von den Herren Vertretern der rechten Seite des hohen Hauses abgegeben sind zweifellos innewohnen soll, unseres Erachtens beeinträchtigt, wenn nicht aufgehoben wird. Nun, meine geehrten Herren, wollen Ste es mir als Hamburger zu gute balten, wenn ich ein Wort sage, das nur indirekt mit unserem Gegenstand jzusammenhängt., Es ist wiederholt gestern und heute in mehr oder weniger freundlicher Weise den Interessen⸗ vertretungen der Hansestädte, den Handelskammern der Hansestädt⸗ von Herrn Dr. Vielhaben in weniger freundlicher Weile, von Herrn Grafen Kanitz in verbindlichen Worten ein gewisser Vorwurf gemacht worden, daß sie fich mit der Ihnen bekannten Eingabe an dat hohe Haus gewandt und ihren Interessen in sehr warmen Worten vielleicht auch in etwas einseitig gebaltenen Ausführungen, Ausdrud gegeben haben. Meine geehrten Herren, Sie wollen gütigft nicht bergesfen, daß Handelskammern Interessendertretungen sind und daß Handelskammern ihrerseits das Recht haben und Sie werden es ihnen am allerwenigsten verargen —, an dieses hohe Haus ihre Wünsche zu richten. Sie werden auch darin mit mit übereinftimmen, daß, während andere Gruppen des Erwerbe. lebens vielleicht in ausgiebigerer Weise, in ausgezeichneter Weise hier u Worte kommen, der Handelsstand im Reichstage nicht immer so zu Worte kommen kann, wie vielleicht nach seiner ganzen Stellung im gesammten deutschen Eiwerbs⸗ und Wirthschaftsleben der Fall sein sollte. Herr Graf Kanitz hat die Güte g bakt, sein Interesse für den deutschen Handel der Seestädte in warmen Worten zu betonen; ich nebme gern davon Akt und möchte den Eindruck mit binwegnehmen dürfen, daß der ganze Reichstag dem Seehandel Interesse entgegenbringt. Ich darf aber daran anknüpfen, meine Herren, daß ich es gistern nicht sehr freundlich von Herrn Pr. Viel haben ge, funden habe, daß er unserer großen Rhedereien, welche den Seehandel nach Amerika wesentlich vermitteln, in der Weise gedacht bat, wie er es für richtig hielt. Ich weiß nicht, ob ich mich einer petitio Principii schuldig mache, aber ich möchte mit Ihnen darin einig sein, daß konstatlert wird, daß wir auf unsere großen Dampfergesellschaften mit Recht stol; sein dürfen, daß ganz Deutschland auf diese großen Gesell⸗ schaften, die in ihrer Art Großmächte in unserem Eiwerbsleben dar⸗ stellen, stolz ist, diese großen Gesellschaften, welche den Ruhm deutschen Erweibefleißes, deutscher 0 industrieller Blüthe, über die See führen. Sodann, meine Herren, möchte ich doch dem Herrn Abg. Freiherrn von Wangenheim das Eine sagen dürfen: gam gewiß ist der Seehandel für uns der Lebensnerv, wir haben das nie bestrltten, und wir sind stolj darauf; er ist unser Lebensnerv und wird es bleiben. Aber daß wir nicht das vollste Interesse auch der deutschen Industrie von der Landwirthschaft spreche ich in diesem Zusammen, hange nicht entgegenbringen sollten, muß ich doch als rrthůmlich bezeichnen. Womit wird denn der Seehandel alimentiert? Nur ron der Jaduslrie; wir müßssen der Jadustrle das leb kaft fte Interesse entgegenbringen, weil unsere vitalsten Intertssen mit der Induftrie aufs Allerengste zusammenbängen. Ez ist dann sich glaube, von dim Herrn Abg. Fischbeck east worden, unsere Handelskammer in Hamburg habe sich in gan

esonderer Weise fuͤr das neue Flottengeseß intereffiert, und zugleich der Zweifel angeregt, ob, wenn wir etwa einmal weniger Seehande haben sollten, wir auch dann noch dem Flottengedanken unsere Trene bewahren würden. Ich möchte nur konstatieren und da habe i ᷣ— hinter mir —: wir sind begeisterte Anhänger des neuen

sottengesetzLsé. wir halten die Vergrößerung der Flotte ür ein? unbedingte Nothwendigkest, und es mag hier im Hause gegen den Handel beschlossen werden, was immer beschloffen werden kann Sie werden ja gegen den Hand

nichtig Ernsteg beschließen, meine Herren —, wir bleiben unbedingt Anbänger der Flotte. Meine Herten, ich darf der ef n Au⸗ druck geben, daß eine Verständigung über das Gesetz sich zwischen den verbündeten Regierungen und dem hohen Hause erreichen lassen wird, aber namens meiner Regierung gebe ich der Auffassung Ausdruck, dab, wenn Sie Ihre 1st. Enischeldung vom Standpunk! weitausschauender, voꝛrsichtiger 3 treffen, Sie dann dem Kom missioasbeschluß in der vorgelegten Fassung ihre Zustimmung versagen wollen.

Schluß in der Zweiten Beilage.

Aanschein iu erwecken, als ob man einen Vorgriff machte, der

chaft erzeugt, ist ein ganz falscher Satz, den Herr Frese aufgestellt e denn 1 blũhende Industrie entziebt 63 . die e .

zum Deutschen Reichs⸗A

Zweite Beilage nzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

Berlin, Sonnabend, den 10. März

10909.

Mn 62.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe⸗Schillings fürst:

Meine Herren! Der Herr Abg. Freiherr von Wangenheim hat mit einer gewissen Feierlichkeit mich an ein gegebenes Versprechen erianert und daran einen Vorwurf geknüpft. Ich sebe dazu nicht die gerinzste Veranlafsung. Mein Versprechen, wenn man es so nennen will, ist durch die Vorlage des Gesetzentwurfs vollftändig erfüllt. Daß man die ausländischen Fleischwaaren nicht ganz gleich mit den jnländischen Fleischwaaren in allen Fällen behandeln kann, hat die Kommisston selbst anerkannt, indem sie Speck und Schmal; von den von der Kommission beliebten Maßregeln ausgenommen hat. (Sehr richtig! linkz. Lachen rechts) Ich bin also vollkommen in der Lage, mich gegen die Kommissionsanträge zu erklären, ohne dadurch mit meiner Erklärung vom Jahre 1898 in Widerspruch zu gerathen. (Bewegung.)

Abg. Steinhauer (fr. Vag.) bleibt bei der andauernden großen Unrube, die den Saal nach den Reden des hamburgischen Bevoll= mächtigten und des Reichskanzlers beherrscht, auf der Journalisten⸗ tribäne fast unverständlich. Er hat für die Kommissionsverfassung gestimmt und begründet diesen, seinen Standpunkt.

Abg. Dr. Paasche (nl.) erklärt, daß der größte Theil seiner Freunde in zweiter Lesung für die Kommissionsanträge stimmen werde, sich aber die endgültige Entschließung für die dritte Lesung porbebalte und abwarten werde, was injwischen geschehe, wie die Re= gierung ihren Standpunkt wahre. Ein Theil der Nationalliberalen werde schon jetzt gegen diese Beschlüsse stimmen.

Hierauf wird ein Schlußantrag eingebracht.

Abg. Singer beantragt namentliche Abstimmung über den Schlußantrag. Beide Anträge werden genügend unter⸗ stützt. Der Schluß der Diskussion wird in namentlicher Ab⸗ stimmung mit 195 gegen 89 Stimmen beschlossen.

51, welcher die Schau vor und nach der Schlachtung vorschreibt, wird einstimmig angenommen. Zu 8 2 Freiheit der Hausschlachtung) werden die abschwächenden Anträge Beck) abgelehnt; 3 2 wird in namentlicher Abstimmung nach der Kommissionsfassung mit 209 gegen 75 Stimmen ange— nommen.

Sz 14a (Verbot der Fleischeinfuhr aus dem Auslande nach dem 31. Dezember 1905; Uebergangsbestimmungen für die Einfuhr bis zu diesem Termin) wird ebenfalls in namentlicher Abstimmung mit 168 gegen 99 Stimmen bei 2 Stimmen⸗ enthaltungen angenommen; desgleichen die 88 146 bis 144.

Nach 6if Uhr wird die Fortsetzung der Berathung auf Sonnabend 1 Uhr vertagt. (Außerdem Münzgesetz)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 42. Sitzung vom 9. März 1900, 11 Uhr.

Das Haus setzt die Berathung des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten fort.

Bei dem Kapitel der evangelischen Konsistorien weist

Abg, von Kölichen (kons.) darauf hin, daß bisher in Schlesien an der Spitze der evangelischen Kirche ein General. Superintendent gestanden habe, der auf eine außerordentlich segensreiche Thätigkeit zurückblicken könne. Die Geschäfte seien aber so umfangreich, daß es für dessen Nachfolger schwer sein werde, sie zu übersehen. Deshalb bitte er, eine zweite General⸗ Suverintendentur für Schlesien zu schaffen. Die Vermehrung der Stellen der Geistlichen sei in Schlesien besonders stark gewesen, stärker Als in anderen Provinzen. In Schlesien müsse auch mit der Sprachen. schwierigkeit und ferner mit der Nothwendigkeit der Bekämpfung der Sozialdemokratie gerechnet werden. Er erfülle mit dieser Anregung zugleich einen ihm ertheilten Auftrag und hoffe, daß im nächsten Etat die Mittel für einen zweiten General⸗Superintendenten in Schlesien eingestellt werden.

Ministerial · Direktor D. Schwartzkopff: Die Initiatioe wegen

einer neuen General Superintendentur in Schlesien zu ergreifen, ist

zunächst nicht Sache der Regierung, sondern der kirchlichen Instanzen.

Bisber war ein Antrag von ihnen in dieser Sache nicht gestellt.

3. dies geschieht, wird die Regierung die Frage sorgjältigst en.

Abg. von Wrochem (kons. ); In der That ist die Arbeitslast des ein igen General⸗ Superintendenten von Schlesien eigentlich eine Ueberbürdung. Die Bewältigung derselben ist lediglich der phänome⸗ nalen Arbeitskraft des jetzigen General. Superintendenten zu verdanken. Die Schaffung einer neuen General. Superintendentur kann nur eine Frage der Zeit sein.

Abg, Br. Virchow (fr. Vollsp.):; Ich komme auf eine An— gelegenheit zurück, die von verschied'nen Seiten schon als abgeihan und erledigt angesehen wird, auf den vielbesprochenen Fall Weingart. Der

all erinnert in einigen Beziehungen an den Fall Arons insofern, als eine eigentliche Schädigung des Mannes nicht stattgefunden hat, sondern er eben nur von dem Platz entfernt wird, von wo aug er seine Kebre verbreiten kann. Es handelt sich auch in diesem Fall. um einen Angriff auf die Lehre. Wenn sich das weiter ausdehnt. wer⸗ den wir allmäblich zu e, . Rechte verhältnissen in Preußen kommen. Im Falle Weingart tritt wieder eine Dlfferen; wwischen Semeinde und Kirche hervor. Nirgends ist der Gegensatz jwischen Gemeinde und Kirche augenblicklich fo groß, wie in DVannoyer, und war desbalb, weil dort eine regelrechte Entwickelung in kirchlichen Dingen fehlte, die einelnen Gemeinden lauter membra disjecta waren und den einjelnen Gemeinden eine verhältnißmäßig r Freibeit blieb. So ist es namentlich auch in Osnabrück lbst gewesen, wo gegenwärtig sonderbarer Weise der Proheß gegen Weingart in demselben Saale durch die Absetzung Wein— gart's beendet wurde, wo einst der Friede zu Münster vorbereitet wurde, on welchem jenes Prinzip der Toleranz festgestellt warde, das wir 2 immer als das größte Palladium unserer eigenen Freiheit be . baben. Das Konsistorium hat sich auf den Standpunkt ge⸗

t die Gemeinde geht die Sache garnichts an, es handelt sich nur

e. die Kirche, und wenn diese gesprochen hat, dann ist es ebenso ie bei den Katholiken: Roma l0cuta est, dann ist alles zu e * dann kann die Gemeinde nichts weiter ihun. Ich kann nicht . sagen: Nach meiner Auffassung hat man uns eine känftliche . che in Hannover konstruiert fruher existierte eine staatlich an. me. hannoversche Kirche garnicht und mit dieser küänstlich kon. z erten Kirche ist man nun Weingart auf den Leib gerückt und hat . aus dem Amt entfernt, und jwar mit ungefähr derselben Argumenta⸗ 2 wie gegenüber Dr. Arong. Er hat garnichts Böses gethan, man 3m. ibm nichts vorwerfen, aber er stimmt nicht mit der kirchlichen ung überein, welche gegenwärtig durch die sogenannte hannobersche

Kirche vertreten wird. Dieser Gegensatz, der hier konstruiert ist zu zwei Gemeinden, die sich in vollem Konsens für den Mann erklären, ihn als den Mann ibres Vertrauens bezeichnen, die überzeugt sind, daß er äußerst wohlthätig gewirkt hat., die dringend bitten, ihnen den Mann zu belassen, dieser Gegensatz ist doch schwer zu beklagen. Die Gemeinden werden jurückgewiefen, weil die Kirche gegen sie ist. Ich will die Zusammensetzung dieser Kirche in dem Organ, daz schließlich entschieden hat, nicht kritisteren. Alle diese verschiedenen, noch aus der katholischen Zeit herübergenomm: nen Prälaten und sonstigen Räthe, die sich da zusammengesetzt haben, haben schließlich herausgebracht, daß die Rechtgläubigkeit des Pastors Weingart nicht vollkommen sicher ist, daß er über gewisse Dinge, namentlich in Bezug auf die Person Cbristi und in Bezug auf das Verhältniß zwischen Leib und Geist gewisse ketzerische Ansichten gehabt und nicht entdeckt

Es bandelt sich z. B. um die Frage, ob die Auferstehun Cbhristi eine substantielle war, oder ob es sich nur um n. Lichterscheinung, um eine vergeistigte Erscheinung handelte, die erst von den Jüngern aufgenommen und nachher wieder Gegenstand der Skrupel geworden ist. Dieser Punkt ist von besonderer Stärke in den Argumenten gewesen; und aus dem Umstand, daß Weingart aus dieser vergeistigten Gestalt Christi ein Moment der Erhebung gemacht hat, hat man ihm nachsagen wollen, daß er damit eine Er⸗ niedrigung der ganzen kirchlichen Auffassung herbeigeführt habe. Darüber wollen wir nicht streiten. Der Fall Weingart ist fehr geeignet, einmal zu zeigen, wohin es führt, daß man zwel Gemeinden, die einen vortrefflichen Prediger haben, mit dem sie ganz zu— frieden sind, für den sie sich in jeder Beziehung einlegen, diesen ab- nimmt, weil er die hohe Zustimmung der Kirche, wie man sagt, nicht hat. Nun bat eine feierliche Verhandlung stattgefunden. Etwas Gewaltsameres ist mir wirklich noch nicht vorgekommen, als diese Verhandlung, um nachjuweisen, daß der Mann schuldig ist. Wohin das führen soll, ist mir unklar. Daß es eine Staats weisheit giebt, die es sich zur Aufgabe ftellt, die Gemeinde von den Leuten zu trennen, die sie für vortrefflich hält, und die eine gute Wirk. samkeit entfalten, das ist doch in der That ein sonderbares Problem, und ich kann es mir nicht vorstellen, daß der gegenwärtige Minister dieses Problem auch anerkennen wird. Er ist ja in die unglückliche Lage versetzt worden, daß, als er in sein Amt trat, er schon eine res judicata dot sich fand; die Sache war also äußerlich zu Ende, und ich würde sie ja auch hier nicht wieder vorbringen, wenn ich nicht fände, daß es nothwendig ist, hier ju sagen: principiis obsta! Kommen wir in diesen Weg hinein, daß die Kirche“, d. b. also, wie Sie wissen, in der Mehrzahl der Fälle eine ohne wirksame Mitwirkung der Gemeinden entstandene Vertretung, sich anmaßt, die Gemeinde zu terrorisieren und unter ihr Joch zu stellen, dann hört in der That alles, was wir noch prolestantische Gemeindefreiheit nennen könnten, auf. Ich sage das hier nicht, um den Minister noch—⸗ mals zu bitten, den Prozeß Weingart wieder zu behinnen; das über lasse ich seiner Weisheit und Entscheidung. Aber ich wünsche dringend, darauf hinzuweisen, daß, wenn dieser Fall gewisser⸗ maßen der Anfang einer fortzusetzenden Methode wird, dann in der That unsere ganze kirchliche Entwickelung aufhört, den Gang zu ver folgen, den sie seit dem 30jährigen Kriege und schon vorher ein— geschlagen bat, und der., nebenbei gesagt, anch die Grundlage der ganzen christlichen Entwickelung bildet. Also es ist eine sehr schwer⸗ wiegende Angelegenheit. Der Fall Weingart ist ja nur ein äußer⸗ liches Element; aber die Sache selbst zwingt doch zum Nachdenken, und namentlich die Regierung sollte sich sehr überlegen, wie weit sie ein Interesse daran hat, solche. Konflikte herbei⸗ juführen, wo also die Gemeindefreiheit gleichsam zerstört und an ihre Stelle eine administrative, juristische Entscheidung gebracht wird von Einrichtungen, die ans der freien Entwickelung der Kirche garnicht hervorgegangen sind; denn das, was Sie hier Kirche nennen, ist ja nichts welter als ein Produkt einer sehr künstlichen Destillation. Auf die Einzelheiten des Falles selbst würde ich ja auch eingehen können, wenn Einspruch erfolgen sollte; ich habe mich aber eigentlich nur darauf vorbereitet, die prinzipielle Be⸗ deutung dieses Falls hier und vor dem Lande darzulegen, um davor zu warnen, daß Sie über derartige Freignisse gleich gültig hinwegsehen. Jeder sollte es sich klar machen, daß es sich um die ernstesten und schwierigsten Verhältnisse handelt. Wir baben kein Interesse daran, derartige Dinge noch länger zu dulden, und deshalb müssen wir Alle, die Staatsregierung und dieses Haus, zusammenstehen, um uns von diesen kirchlichen Dingen einigermaßen frei zu maten. Ich meine, wir als Politiker sollten uns darauf beschränken, das politische Gebiet zu wahren, wic sollten uns davor bewahren, daß man ung unter dem Vorwand der Religion mit solchen Sachen kommt, wie sie der Prozeß Weingart uns ge—⸗ zeigt hat. Wenn eine sogenannte Kirche, die nie eine Kirche war, die erst künstlich zu einer Kirche ernannt worden ist, sich anmaßen kann, eine Gemeinde oder jwei Gemeinden zu zwingen, auf ihre Geistlichen zu verzichten, dann ist doch das politische Element in den Vordergrund geschoben worden. Und weshalb soll das alles geschehen? Bloß dezhalb, weil man sich darauf beruft, daß die Reinheit der Orthodorle eine erste Voraussetzung des Gedeihens unseres Staats wesens sei. Aber die verschiedenartigen kirchlichen Konfessionen, denen wir angehören, haben keinen Grund, uns in eine spezifisch tbeologische Aera hineinzudrängen. Im Gegentheil haben wir uns zu bemühen, daß wir unser autes, altes protestantisches Recht wahren. Die Herren von der katholischen Partei wissen ja auch, daß ihr Recht auf einem äbnlichen Grunde beruht. Also diesen Vergewaltigungen von oben her wollen wir entgegentreten, und ich würde mich freuen, wenn mein: heutigen Ausführungen dazu beitragen vürden, unser Vaterland vor einem Rückfall in neue konfessionelle Streitigkeiten, die aus diesen Dingen herausgehen müßten, zu bewahren.

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Studt:

Meine Herren! In dem vielbesprochenen Falle Weingart handelt es sich um ein rechtskräftiges Erkenntniß einer kirchlichen Disziplinar⸗ behörde, die nach dem Gesetze von 1894 rollständig selbständig und das betone ich namentlich dem Herrn Vorredner gegenüber un⸗ abhängig von der Staatsregierung nach ihrem freien Ermessen zu urtheilen hat. Es liegt res judicata vor, und zwar in einer An— gelegenheit, in der es sich um Glaubenssätze handelt. Ich glaube nicht, daß eine politische Körperschaft, wie sie durch dieses hohe Haus repräsentiert wird, sich überhaupt mit der Sache beschäftigen kann. (Sehr richtig! rechts) Wenn die Herren ucch vor wenigen Tagen, und zwar von beiden Seiten, sowohl von evangelischer wie von katho⸗ lischer Seite, die Uebereinstimmung in der Auffassung gehört baben, daß es nicht wohlgethan sei, Glaubens sätze der Religion hier zum Gegen⸗ stand der Erörterung zu machen, so werden Sie mir auch darin zu⸗ stimmen, daß es nicht richtig ist, diese Sache vor das Forum des Abgeordnetenhauses zu ziehen. Vor allen Dingen glaube ich, daß es falsch war, es in der Weise zu thun, wie ez der geehrte Herr Vor⸗ redner gethan hat. Diese Verquickung von Religion und Politik, wie sie von den Herrn Vorredner be. iebt worden ist, muß ich sagen, hat

mich auf das äußerste unsympathisch berührt. (Sehr richtig! rechts.)

hat, daß er mit diesen ketzerischen Ansichten nicht besteben kann.

Den Fall Arons hier mit dem Fall Weingart in Zusammenhang zu bringen ja, meine Herren, ich verstehe erstent den inneren Zu⸗ sammenhang nicht, zweitens verstehe ich nicht, wie man hochpolitische Dinge mit Glaubenssätzen in Verbindung bringen kann. Allerdings ist der Angelegenheit Weingart ein politisches Mäntelchen gegeben worden; aber von wem? wer bat den Strang an der großen Glocke gezogen? ich glaube, wahrhaftig hauptsächlich solche, die die evan= gelische Kirche sich nur von außen ansehen. (Sehr richtig! rechts. Lachen links.)

Meine Herren, ich muß es mir aus dem eben angegebenen Grunde, ganz abgesehen von meiner Stellung als positiver evangelischer Christ, versagen, auf die Sache selbst einzugehen. Ich habe nur zu erklären, daß, nachdem aus dem Kabinet Seiner Majestät des Kaisers und Königs die betreffenden Petitionen mir zur Ecledigung und Be— scheidung der Petenten überwiesen waren, ich nicht in der Lage war, einen Allerhöchsten Gnadenakt um einen solchen konnte es sich ja nur noch dem rechtskräftigen Erkenntnisse gegenüber handeln zu erbitten. Ich glaube, ich kann nach der Lage der Verhältnisse mit gutem Gewissen die kurze Entscheidung vertreten, die ich den Petenten gegeben habe.

Meine Herren, die Ausführungen des Herrn Vorredners richten sich im übrigen meiner Auffassung nach ganz von selbst. Zunächst hat Hannover schon eine Synodalverfassung seit dem Jahre 1864 ssehr richtig! rechts), eine wohlgeordnete Synodalverfassung. Wenn der Herr Abgeordnete ausgeführt hat, daß Prälaten dieses Erkenntniß gefällt hätten, meine Herren, so beweist das, daß der verehrte Herr Vorredner nicht allju tief in die hannoversche Kirchengesetzgebung eingedrungen sein kann; er würde sonst bei einem näheren Studium gefunden haben, daß nicht nur kirchliche Würdenträger oder wie er sie zu nennen beliebte, Prälaten an dem Erkenntniß betheiligt gewesen sind, sondern auch Laienvertreter der Synode. Ich denke, gerade dieses Moment müßte doch dem Herrn Vorredner Anlaß geben, etwas nachsichtiger in der Beurtheilung derartiger Er⸗ kenntnisse zu sein.

Was nun eine weitere Petition in der Sache betrifft, welche darauf hinausgegangen ist, daß die Osnabrücker Gemeinden aus dem Verbande der evangelisch⸗lutherischen Kirche der Provinz Hannover berausgenommen und der edvangelischen Landeskirche der alten preußischen Provinzen überwiesen werden mögen, so haben sich die Petenten nicht klar gemacht, daß nur auf dem Wege der Gesetzgebung ihrem Wunsche würde stattgegeben werden können. Die örtliche Zu—⸗ ständigkeit der Landes⸗Synode der Provinz Hannover beruht ebenso auf Gesetz wie die örtliche Zuständigkeit der General⸗Synode der alten preußischen Provinzen. Ich brauche, glaube ich, Ihnen nicht vor Augen zu führen, daß es einfach unmöglich ist, aus dem Umstande heraus, daß eine Gemeinde mit ihrem Kirchenregiment im einzelnen Falle nicht zufrieden ist, einen Akt der Gesetzgebung herzuleiten. (Bravo!

rechts.)

Abg. Dr. Stockmann lfr. kons. ); Ich bätte gewünscht, da Herr Virchow den Grundsatz befolgt hätte, daz e he 6 nicht für Religionsgespräche geeignet ist. Namens meiner

reunde erklãre ich, daß wir diesen Fall Weingart als eine ausschließlich innere Angelegenheit der hannoverschen Landes kirche betrachten und ez ablehnen, in eine Verhandlung darüber und in eine Prüfung einzutreten, eb der Fall Weingart in richtiger Weise erledigt ist. Die hanno⸗ versche Landeskirche ist nicht ein willkürliches Produkt!, wie Herr Virchow sagt. Sie findet ihren höchsten Ausdruck in der hannover. schen Landes ˖ Synode. Diese ist in erster Linie berufen, das, was inner⸗ balb der hannoverschen Landeskirche passiert, zu beurtheilen, und sie hat sich vor der Oeffentlichkeit mit diesem Fall beschäftigt. Ich wundere mich, daß Herr Virchow, der anscheinend bon den hannoverschen kirch⸗ lichen Verhältnissen sehr wenig kennt, es für sein Recht hält, diesen Fall zur Sprache zu bringen. Dieses willkürliche Produkt“ ist nicht etst bei der Vereinigung Hannovers mit Preußen zu stande gekommen, sondern in hannoverscher Zeit. Die Verfassung der bannoverschen Landeskirche datiert vom 9. Oktober 1861. Die Selbständigkeit der hannoverschen Landeskirche gegenüber dem Staat ist durch die Ver—⸗ einigung mit Preußen in keiner Weise vernichtet worden. Von diesem Gesichtspunkt aus lehnen wir es ab, eine innere kirchliche Angelegenheit in den Bereich unserer Diskussion zu ziehen.

Abg. Dr. Barth (fr. Vzgg.): Herr Stockmann hat sich die Ant⸗ wort sebr leicht gemacht, wenn er einfach sagt, es sei eine innere An— gelegenheit der Kirche, über welche wir zu schweigen hätten. Das könnte nur der Fall sein, wenn wir eine wirklich freie Kirche hätten. Ueberall bestehen aber Fäden zwischen der Kirche und dem Staat, auch in Bezug auf die Steuerjahlungen. Das allein reicht schon hin, daß zu solchen Vorgängen eine Volksvertretung nicht stillschwei gen kann. Zehn. tausende von Männern haben sich jzusammengeschlossen, um gegen diesen Vorgang ju protestieren. Glaubt der Minister, daß das alles Leute siad, die die Kirche nur von außen angesehen haben? Die Leute, welche die Kirche nur von außen ansehen, bleiben immer indifferent. Jene Zehntausende halten Herrn Weingart für einen ebenso guten Geistlichen, wie das Ketzergericht, das ihn verurtheilt bat Der Standpunkt Weingart's ist der Standpunkt der theologischen Wissenschaft und solcher Leute, welche nicht auf dem Boden des Buchstabenglaubens steben. Das hat ja gerade die evangelische Kirche aus der katholischen Kirche losgelöst, daß man den Buchstabenglauben der katholischen Kirche nicht mehr anerkennen wollte. Die Gründer der evangelischen Kirche müßten heute aus der hannoverschen Landeskirche ausgestoßen werden. Die Liberalen müssen durch ihre Antheilnahme an solchen Vorgängen dafür sorgen, daß solche Ketzerrichterei aufhört.

Abg. Schall (kons.): Die Angelegenbeit gehört gar nicht hierher. Was würde Herr Virchow sagen, wenn wir uns bier über eine An- gelegenheit seiner Wissenschaft unterbielten, 3. B. über die Darwin'sche Theorie? Herr Akg. Virchow stebt auf einem antiguierten Standpunkte. In die inneren Angelegenheiten der Kirche dürfen wir uns nicht einmischen. Für uns ist die Voraus- setzung für die Zugebörigkeit zur christlichen Kirche, daß man auf dem Boden der poßttiven Thatsachen des Christenthums stebt. Der Geistliche muß nach dem Gelübde bei seiner Ordination leben. Ver läßt er diesen Standpunkt, so setzt er sich mit seinem Gelübde in Widerspruch. Und wenn die Kircheabehörde ibn entläßt, so ist das kein Ketzergericht, sondern sie ihut nur ibre Pflicht. Die Geistlichen sollen berufen sein, Glaubenswahrbeit in die Herzen, namentlich der Jugend, zu bringen. Wenn sie Geistlichen wie Herrn Weingart sagt, daß für sir kein Raum in der Kirche ist, so thut die 5 nur ihre Pflicht, und damit ist sie nicht intolerant.

bg. Hackenberg (nl. : Meine n meinen, daß dieser

el sich nicht für eine parlamentarische Auzsprache eignet. Kirchliche ngelegenheiten können hier nur auf dem abgeschlossenen staats. und