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Aber fast alle diese Mellorationen haben die Provinzen nach dem Dotatione gesetz allein zu leisten, sie sind dafür dotiert. Wir haben
aber festgestellt, daß elne große Anzabl der Provinzen — zu denen aller dings die Rheinprovinz nicht gehört, denn sie hat, wie ich gern an⸗
erkenne, die Mellorationgangelegenheiten immer vorangestellt — die Summen, welche sie aus dem Staatssäckel für Meliorations;wecke empfangen batte, keineswegs in vollem Umfang für diesen Zweck ver wendet haben. Darch das Dotationsgesetz ist vereinbart, daß eine Melioration nur dann dem Staate zur Last fallen soll, wenn ihre Bedeutung über die Provinz hinausgeht. Thatsächlich ist aber diese ganze Unterscheidung fallen gelassen, und fast überall theilen sich heute bei Landetsmeliorationen Staat, Provinz und Interessenten in die Kosten, sodaß die Interessenten t, die Pro vinz J und der Staat J tragen. Also vieser ganze Unterschied ist thatsäͤchlich aufgegeben und die Ausgaben des Staats für Landeg⸗ meliorationen, selbst mäßig großer Art, sind doppelk so stark ge— wachsen wie die der Provinz. Ich führe weiter an, daß wir jetzt bei den großen Landesmeloriationen der Flußregulierung noch weiter geben. Wir zablen in Schlesien und in der Mark bei den Flußregulierungen sogar ö aller Ausgaben. Die Kleinbahnen ferner sind re gel⸗ mäßig nicht als Aufgaben des Staats, sondern als lokale Aufgaben angesehen worden, und doch haben wir in das dies jährigen Eisenbahngesetz allein 20 Millionen Mark aufgenommen. Wir gehen in der Prodim Osipreußen, Westpreußen und in Posen so weit, daß wir die Hälfte der ganzen Kosten der Kleinbahnen tragen.
Das sind alles ganz neue Belastungen, die der Staat über—⸗ nommen hat. Diese Mehrleistungen dez Staatz müssen doch auch in Anrechnung kommen. Alle diese Dinge kosten heute mehr. Wer mit der Verwaltung in Verbindung steht, wird finden, daß alles unter seinen Händen und gegen seinen Willen tbeurer wird. Ich babe gesagt, es war diese Dotationsftage damals gar keine Finanz frage, allein sie wurde als große Dezentralisationsmaßregel angesehen, und die Stände der Provinz Hannover — als sie zuerst pro— vinzielle Selbstverwaltung verlangten mit Rücksicht auf die schwierigen Verhältniste einer neuen Provinz nach Unter— gang des Königreichs — schrieben mit dürren Worten — und ich bin selbst betheiligt gewesen —: wir wissen ganz genau, daß wir steigende Laften übernehmen; aber wir sind dazu bereit mit Räcksicht darauf, daß wir dann unsere eigenen Angelegenheiten selbst verwalten wollen. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, daß in der Kommission Herr von Levetzow, der diese Sachen sehr objektiv an— sieht, zugestanden hat, daß aus der bloßen Thatsache, daß eine ur⸗ sprünglich genügend dotierte Verwaltungsaufgabe in Zukunft mehr Mittel eifordert durch daz natürliche Wachsthum der Ausgaben jedes Verwaltungszweiges, noch keine neuen An— srrüche zur weiteren Dotation der Provinz duich den Staat hergeleitet werden können. Meine Herren, wenn Sie diese Grenze nicht festbalten, dann kommen Sie dahin, daß Sie der pro—⸗ vinziellen Selbstoerwaltung den Todesstoß geben. Ein Zustand läßt sich in einem geordneten Staatswesen nicht halten, wo der Staat das Geld giebt und er ohne jede Kontrole dem Andern überläßt, damit nach seinem Belieben zu schalten. Das kann man einmal machen, das kann aber keinen Bestand haben. Dann verzichten Sie re vera für die Dauer auf die Selbftverwaltung. Ich glaube aber, daß Sie selbst diesen Gesichtspunkt wohl erwägen werden. Die anderweite Vertheilung der ursprünglich nicht gerecht vertheilten Chausseebaufonds hängt hiermit selbstverständlich nicht zusammen und ist unabhängig hiervon zu lassen. Herr Graf zu Eulenburg hat ja einen sehr plausiblen Vorschlag gemacht. Aber auch er reicht nicht aus. Wenn wir nach diesen Vorschlägen allein verführen, so würde Pommern, welches seine ganzen Chaussee⸗ laften auf die Kreise übertragen hat, stark benachtheiligt werden. Hieraus gebt eben heivor, was der Herr Ober ⸗Bürgermeister Becker auch an zeführt hat, daß solch ein Gesetz nicht aus dem Handgelenk zu machen ist, daß gründliche Ermittelungen über die ganzen Ver— waltungsverbältnisse in den einjelnen Proviagzen vorangehen müssen. Daher kann ich nur wiederholen: Ich bin überzeugt, es ist unmöglich, bis zum nächsten Landtage ein gründlich durchgearbeitetes Revisiong⸗ gesttz vorzulegen.
Minister des Innern Freiherr von Rheinbaben:
Meine Herren! Die Frage der Erhaltung der Leistangsfähigkeit unserer Pꝛroviazen ist ven so eminenter politischer und staatlicher Be⸗ deutung, daß ich mich für verpflichtet balte, auch vom Standpunkt m ines Ressorts dazu Stellung zu nehmen. Die Ausführungen der Herren Oler⸗Bürgermeister Becker und Graf Eulenburg geben mir doprelt Veranlassung dazu.
Für jeden, der unsere Verhältnisse von der höheren Warte be⸗ trachtet, maß es in der That als eine nach manchen Richtungen bedenkliche Erscheinung gelten, daß die Leistungsfäbigkeit und wirth⸗ schaftlichen Verbältnisse der Provinzen sich total verschieden ent⸗ wickelt haben. Wir haben von 3 0½ Provinzialsteuern in Rassau bis zu 220; Provirzialsteuern in Posen, und dabei dürfen wir die Pro⸗ vinzialstegern nicht allein in Betracht ziehen, sondern wir müssen dazu nehmen die große Belastung, die durch die KreiSstꝛuern hinzukommt. Während wir beispieisweise in der Rheinprooinz Kreissteuern über⸗ haupt nicht erheben, seben wir in Ostpreußen und Posen Kreissteuern von 100, 150 0½ und noch mehr. Aiss, meine Herren, das sind Er⸗ scheinungen, die zusammengenommen doch als sehr ernste betrachtet werden müssen und, glaube ich, die eingehende Aufmerk⸗ samkeit der Staatsregierung erfordern. Worauf diese außerordentlich verschiedene Entwickelung zurückjuführen ist, das im einzelnen hier aut jufübren, glaube ich, kann ich mir versager. Die Prov'nzen, namentlich die neu hinzugekommenen Landestheile Hessen Nassau und Hannover, waren von vornherein verschieden dotiert. Sie befanden sich also im Anfange der Entwickelung auf einer verschiedenen finaaziellen Basiz, und diese verschiedene, für einzelne Landestheile günstigere Basis ist noch dadurch verstäckt worden, daß der Westen und die industriellen Gebiete eine steigend günstige Entwickelung erfahren, der Often und die landwirtbschaftlichen Ge⸗ biete dagegen vielfach eine Entwickelung in der gegentheiligen Richtung aufjzuweisen haben. (Seht richtig) So haben sich die Verschiedenheiten hinsichtlich der provinzialen Lage immer mehr ver⸗ schäft, und wir sind zu den außerordentlichen Uäterschleden ge— kommen, wie ich sie kurz anzudenten mir erlaubte.
Diese Verschiedenbeit ift meines GEiachtens auch dadurch ver—⸗ größert worden, daß der Maßstab des Dotationsgesttzes von 1875 ein rein mechanischer und jum theil ungerechter ist. Mechanisch ist der
Maßstab der Vertheilung nach Land und Leuten obne Berũckfichtigung der Lelstangsfähigkäit, und ungerecht ist der Maßstab, nach dem die
Wegebaurenten vertheilt wurden. In den Provinien war, wie von mehreren Selten und auch vom Herrn Finanz-Minister hervorgeboben
ist, die Entwickelung des staatlichen Wegebaues eine ganz verschiedene; einige Provinzen erfreuten sich eines großen Netzes fiskalischer Chausseen, andere Provinzen waren in dieser Bei sehung zurũckgeblieben. Nun bekamen die Provinzen, die sich bereits eines ausgebauten Wegenetzes erfreuten, dieses staatlich ausgebaut und dazu noch die hohe Unterhaltunzsrente, die berechnet wurde nach der Länge des ausgebauten Netzes; umgekehrt haben andere Landestheile sehr wenig Chausseen und wiederum eine sehr geringe Rente erbalten. (Sehr richtig!! Ich habe mir erlaubt, in dieser Beziehung bei der Kommissionsberathung anzuführen, daß beispielsweise die Provinz Posen, sage und schreibe, 90 Meilen Staats- chausseen und ein? dementsprechend kleine Rente bekommen, dagegen die Provinz Hannocer 420 Meilen Staatechausseen und eine dement⸗ sprechend hohe Rente erhalten hat. Also die wirthschaftlichen Rücksichten, die ich angeführt habe, aber auch die Fehler der Dotationsgesetzgebung haben wesentlich dazu beigetragen, die an sich nach Lage der Verbält-⸗ nisse schon verschiedene Lage der Provinzen noch wesentlich zu ver— schärfen und zu so großen Ungleichheiten zu führen, wie wir sie vor uns sehen. Es ist darnach die Frage sehr nahe liegend, ob wir nicht zu einer Revision der Dotationsgesetzgebung schreiten sollen, einer Revision, die meines Erachtens nur einen Ausgangspunkt baben kann, nämlich die Leistungsfähigkeit in höherem Maße zu berücksichtigen, als es bisher der Fall war. Ich glaube, darüber bat auch Uebereinstim⸗ mung bei den verschiedenen Rednern des hohen Hauses geherrscht, daß man suchen muß, nicht mechanisch zu verfahren, sondern die wirkliche Leistungsfähigkeit oder vielmehr Leistungsunfähigkeit zu berücksichtigen. Aber, meine Herren — darin stim me ich dem Herrn Finanz ⸗Minister bei — einen Maßstab zu finden, der, rechnerisch ausgedrückt, diese Gedanken wiedergiebt, ist sehr schwer. Herr Graf von Eulenburg sagte, man möge zu Grunde legen den Maßstab der Prozente der Provinzial abgaben. Das ist ein Maßstab, der auf den ersten Blick berechtigt erscheint. Aber Prooinzialabgaben und Provinzialabgaben ist etwas sehr Verschledenes, wie schon eiwähnt worden ist. Denn Sie können die Provinzialabgaben allein nicht zu Grunde legen, wenn Sie nicht wiederum die Kreissteuern in Betracht zieben. Wir haben in der Rheinprovinz . B. 100̃0 Provinzialste gern; aber die Provinz unterhält die ganzen Straßen, die in anderen Landestheilen die Kreise unterhalten. In⸗ folge dessen stellen die Provinzialfteuern dort etwas ganz Anderes dar als die Provinzialsteuern in anderen Landestheilen, wo die Kreise allein die Wege unterhalten. In Ostpreußen haben wir andererseits die Thatsache, daß nicht die Provinz der Landarmenverband ist, son⸗ dern die Kreise; also auch da schon wird, wenn ich so sagen soll, die Reinheit des Maßstabes der Provinzialabgaben alteriert. Immerhin läßt sich as den Gedanken der Provinzial abgaben anknüpfen; aber man müßte noch weiter gehen, man müßte nicht nur die Provinzialabgaben in Räücksicht ziehen, sondern auch die Kreis und Gemeindesteuern, kurzum, zur Berücksichtigung der gesammten Leistungsfähigkeit kommen. Es wäre denlbar, daß man sich sagte, es sollen diejenigen Landestheile, die über den Durchschnitt des Aufkommens an Staatesteuern aufbringen, bei der Dotation nicht berücksichtigt werden, wäbrend diejenigen Landestheile, die, pro Kopf der Bevölkerung bemessen, unter diesem Durchschnitt bleiben, berücksichtizt werden sollen. Dann müßte man eine weitere Degression nach unten eintreten lassen in der Art, daß, je geringer das steuerfähige Einkommen in der einzelnen Prooinz ist, desto höher die Dotation ist. Aber diesen Maßstab im einzelnen durchzuführen, ist nicht ganz einfach, und ich will keineswegs behaupten, daß dieser Maßstab sich, wenn man bis ins letzte rechnet, als ein durchaus zutreffender erweisen wird. Diese Frage ist nicht leicht zu lösen, und wir müssen ver— meiden, bei dieser Gelegenheit — welcher Auszruck von anderer Seite gebraucht worden ist — einen Kampof aller Provinzen gegen alle zu entfesseln, sondern wir müssen uns ehrlich bemühen, einen Maßstab iu fiaden, der den außerordentlichen Ver⸗ schiedenbeiten Rechnung trägt und den Hauptgesichtspunkt nicht außer Augen läßt, den wirklich Leistungs anfäbigen zu belfen, und nicht den— jenigen, die einer Unterstützung nicht bedürstig sind. Ich glaube, bis wir diesen Maßst ib gefunden haben, läßt sich auch in der That auf anderen Gebieten den leistun 3sunfähigen Prodinzen wesentlich entgegenkommen, indem, wie wir bei der Vorlage gehandelt haben, bei allen Neuauflagen mit der größten Rücksicht verfahren wird. Wir haben, dank dem Gnt⸗ gegenkommen des Herrn Finanz ⸗Ministeris, die Vorlage wesentlich im Interesse der Ptovinzen gestaltet. Die Kosten der Zwangßerziehung auf Grund des Gesetzes von 1878 stellen sich so, daß von den ins gesammt 15 Millionen die Hälfte auf die Provinzen entfällt, die Hälfte auf den Staat, also auf jeden 750 000 Æ Wenn diese Kosten nun gedrittelt werden in der Weise, daß de Peovinzen ein Drittel, der Staat zwei Drittel trägt, nicht bloß der Kosten, die für die Zukunft entftehen, sondern auch der Kosten, die auf Grund des Gesetzes von 1878 erwachsen — man nimmt an, daß die jetzt entstehe den Kosten von 16 Millionen Mark um den gleichen Betrag sich erböben, insgesammt also 3 Millionen Mark betragen werden —, wenn der Staat also davon zwei Drittel trägt, so fallen auf ibn 2 Millionen und auf die Provinzen 1 Million. Da jetzt 750 000 S zu tragen sind, so erhöht sich die Leistung des Staates um 11 Millionen und die der Provinzen um E Million. Also der Staat hat den Löwenantheil, wie mir scheint mit Recht, übernommen, und ich glaube, man wird bei weiteren neuen gesetzlichen Auf⸗
gaben immer diese Frage berücksichtigen müssen: sind die
Provinzen im stande, noch weitere Lasten zu übernehmen, oder nicht? Aber ich meine, es giebt noch andere Gebiete, auf denen wesentlich die Leistungsfähigkeit der einzelnen Landelstbeile berücksichtigt werden kann. Das liegt in derselben Richtung, die der Herr Finanz ⸗Minister bereits vorher angedeutet hat. Ich darf in dieser Beziehung z. B. erinnern an zwei Gegenflände, die gegenwärtig — Excellen; von Wilamowitz wird das besonzers bekannt sein — in den Provinzen Posen und DOstpreußen den besonderen Gegenstand des Interesses bilden, nämlich die Ablösung der fiekalischen Wegebaulasten. Auf Grund historischer Vorgänge befindet sich in den Provinzen Posen und Ostpreußen eine große Aanjahl fiskalischer Land⸗ straßen, deren Ablösung jetzt im Gange ist. Wenn man den Kreisen und Provinzen auf diesem Gebiete liberal entgegenkommt, so lassen sich einigermaßen die Ungleichheiten beseitigen, die auf Grund des Dotationsgesetzes kiesen Provinzen gegenũber hervoor⸗
sind, meiner Ueberjeugung nach fehr wesentliches lef
Dr. von
getreten sind. GEbenso läßt sich durch Förderung von Schul. bauten, Kleinbahnen, Landesmeliorationen u. s. w. für die öst. lichen Landestheile, die der Unterstũtz ung *r ee, urzum, welchen von beiden Wegen man beschrelten mag, ob man ein neues Dotationgprinzip aufstellt oder für spezielle Zwecke denjenigen Landes- theilen, die der Unterstützung bedürftig sind, besondere Zuwendungen macht, — darübet kann kein Zweifel sein, daß cz unsere ernste Aufgabe sein muß, den Landestheilen, die der Unterstützung bedürftig sind, auch wirklich zu helfen. Es sind dies zum theil gerade die östlichen Provinzen, welche die Wiege der Monarchie und der Größe des Vaterlands gewesen sind. Ihnen in diesen schwierigen Verhältnissen zu Hife zu kommen und ihre Lage zu mildern, soweit es möglich, ist meines Erachtens ein Gebot der Politik. (Bravo!) Dr. Freiherr Lucius von Ballhausen betont ebenfalls, daß die Provinzen stets neue Aufgaben bekommen hätten, und empfiehlt eine Reviston der Dotation, möchte aber daz unsichere Gebiet der
Lelstungsunfähigkeit nicht betreten und wünscht eine Resolution, welche allgemein nur um eine erhöhte Dotation ersuche.
. des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister Dr. von Miquel:
Meine Herren! Der Herr Staatz-Minister von Lucius hat ge— glaubt, einen Fall anführen zu können, wo die Provinz vom Staate mit Unrecht mit herangejogen worden ist. Das ist der Fall eines Kreises an der Elbe. Nun sagt der Herr Freiherr von Lucius, früher hätte der Staat sich um die Wiederherstellung von Deichen garnicht gekümmert. Das ist vollständig richtig. In dem vorliegenden Fall aber wurde anerkannt, daß eine dauernde Melioration innerhalb des Deichverbandes erforderlich war, und daß nameatlich in Zukunft die Instandhaltung der nicht normalisierten Deiche von den Interessenten nicht geleistet werden könnte. So entschloß sich der Staat, freiwillig einen Theil der Mittel zu gewährten, und ver langte, daß auch die nächstbetheiligte Provinz noch einen Zuschuß gebe. Beide warea nicht verpflichtet. So hat schließlich die Sache den Charakter einer Meliorationsfrage angenommen. Wenn einer verpflichtet war, so war es die Provinz eher als der Staat. Wir werden bei der Herstellung der Deiche in Westpreußen an der Weichsel sehen, daß der Staat dort noch erheblich mehr als die Interessenten zahlt. Das ist auch, wenn man die Sache prüft, nichts weiter als eine große Eindeichung im Interesse der Landesmelioration, nicht im Interesse der Schiffahrt. Der Begriff der Leistungs« fähigkeit ist ja allerdings variabel und diskretionär, und doch, wo wir Zu⸗ schüsse des Staats an die kleinen Gemeinden auf den allerverschiedensten Gebieten gewähren, kann man diesen Begriff garnicht entbehren, sonst würde man dahin kommen, das Geld mechanisch zu vertheilen, nicht nach der Leistangsfäbigkeit, nach der Hilfsbedürftigkeit und dem Bedarf, sondern einfach nach der Regel de tri. Hier besonders können Sie diesen Begriff garnicht entbehren. Da braucht man nicht die Leistungsfähigkeit der einzelnen kleinen Gemeinden zu unter— suchen, wie man das z. B. bei den Schulzuschüssen muß, sondern da wird doch mehr die Gesammtlage der Einwohner der Provinz ia Betracht zu zieben sein. Ich glaube, meine Herren, es wäre wirklich Zeitverschwendung, wenn wir über die Art und Weise, wie dies künftige Gesetz gestaltet werden soll, hier noch debattieren wollten. Wir würden, glaube ich, kaum zum Ziele kommen, und der Einzelne würde dadurch auch nicht klar werden. Ich würde daber nur befär— worten, daß Sie die Resolutlen, wie sie hier beantragt ist, annehmen und nicht irgend eine Erwartung in die selbe hineinnehmen, wie das der Antrag Mirbach thut, als wenn die Staatsregierung in der Lage wäre, das Gesetz schon dem nächsten Landtag vorzulegen. Ich kann Ihnen von vornberein nichts Anderes sagen, als daß ich die Vorlage für den nächsten Landtag nicht in Aussicht stellen kann. Soviel stebt fest, daß der Staat, wenn er aus der Zentralstelle die Unterstützungen gewährt, die Leistungefähigkeit und das Bedürfniß besser vergleichen kann wie irgend eine Provirz. Nehmen Sie die Schullasten. In der Provinz Ostpreußen sind wir so weit gegangen, daß die Leistungen der Gemeinden für die Elementar⸗ lehrer nur noch ein Minimum sind. In anderen Provinzen können die Gemeinden mehr leisten, und wir haben sie daher schärfer heran— gezogen. Wenn wir die Schullasten nach irgend einem bestimmten Maßstabe vertheilen, so werden viele Provinzen in allen Fällen zu Schaden kommen
Freiherr von Manteuffel: Als 1898 Graf Mirbach in einer Interpellation über die Belastung der Provinzen durch das Gelset von 1891 klagt“, sagte der Minister von Miquel: Warum lassen sich die Provinzen das gejallen? Deshalb wollen wir uns jetzt eme neue Belastung nicht gefallen lassen. Herr von Miguel hat seine Erklärung in der Kommission wesenllich eingeschränfkt und uns nur ganz persönlich eine neue Prüfung in Aussicht gestellt. Die Ausführungen des Ministers können sich wobl gegen den Antrag von Eynern im Abgeordnetenhause richten, dem wir in seiner Form nicht zustimmen, aber nicht gegen den Antrag des Grafen Mirbach. Eme
Tsdtung der Selbstverwaltung ist nicht zu befürchten, denn die Pio—
binzen haben immer noch Kosten genug. Graf Mirbach will nach dem Wunsch des Herrn Becker seinen Antrag ändern, um eine möglicht große Mehrheit dafür zu erzielen.
1 des Staats⸗Ministeriums, Finanz⸗Minister iquel:
Ich mötte den Herrn Freiherrn von Manteuffel darauf auf⸗ merkiam machen, daß er nicht meine Worte aus dem Kommissionk⸗ bericht vorgelesen bat, sondern die Worte des Herrn Ministers dis Innern (Heiterkeit); aber materiell ist eine Verschiedenheit zwischen uns garnickt vorhanden. Ich babe auch nicht abgerathen von der Resolution der Kommission, ich habe mich nut dagegen erklärt, daß hier die Meinung aufkommen könnte, die Staateregierung könne und müsse jum ächsten Landtage ein bezügliches Gesetz vorlegen. Es scheint das nach Lage der Geschäfte auch kaum möglich. Ich halte die Differenz der Fassungen der Resolu⸗ tion nicht für groß, und es würde mir gleich sein, ob der Antrag von Mirbach ⸗Becker angenommen wird oder der Antrag der Kommission. Ich wollte nur darüber keinen Zweifel lassen, daß man nicht eine bestimmte Hoffnung haben oder ein bestimmtes Verlangen an die Königliche Staatsregierung stellen sollte, daß schon in der nächsten Session eine solche Vorlage gemacht werde. Möglich ist ja vieles; vielleicht sind dann klügere Leute da, die die Sache schneller machen können. (Heiterleit Sollte es möglich sein, so wird die Staats regierung sich freuen, die Wünsche der Herren in der nächsten Session befriedigen zu können.
§z 15 wird angenommen.
ö *
Der Antrag des Grafen von Mirbach mit Einschiebung
des Worts „womöglich“ nach dem Antrage Becker findet ein⸗ stimmige Annahme.
Der Rest des Gesetzes wird ohne Debatte nach den Kom⸗
missionsbeschlüssen und schließlich auch das ganze Gesetz mit
Einstimmigkeit angenommen.
Darauf erledigt das Haus noch einige Petiti onen.
Ueber eine Petition um Aenderung des Statuts für den Weichsel-Nogat⸗Deichverband geht das Haus auf Antrag des Berichterstatters Grafen von Kleist⸗Schmenzin zur Tagesordnung über.
Die Berichte der Gestütverwaltung über die Ein⸗ und Ausrangierung in den Landgestüten 2. werden auf Antrag des Berichterstatters Grafen von der Recke-Volmerstein urch Kenntnißnahme erledigt.
Die Petition des Magistrats zu Krossen a. O. um Abhilfe gegen die die Stadt Krossen heimsuchenden Ueber⸗ schwemmungen durch stromabwärtige Verlegung der Bober-⸗Mündung wird auf Antrag desselben Bericht⸗ erstatters der Regierung als Material überwiesen.
Schluß it Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag 11 Uhr. (Staats haushalts⸗ Etat.)
Haus der Abgeordneten.
56. Sitzung vom 28. März 1900, 11 Uhr.
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Nach Erledigung einiger kleinerer Vorlagen folgt die ri ,. Wahlen..
Die Wahlprüfungskommission schlägt vor, die Wahl der Abgg. Schmieder (fr. Volksp.), Gothein (fr. Vgg.) und Wekekamp lfr. Volksp.), Vertreter des Stadtkeeises Breslau, für ungültig zu erklären.
Abg. Dr. Barth (fr. Vgg.) bestreitet, daß die sozialdemokratischen Wahlmännern gegebenen Geldentschädigungen eine Wahlbestechung ge⸗ wesen seien. Diese Entschädigung von 5 bis 6 Æ habe nur den Zweck gehabt, den sozialdemokratischen Wablmännern die Erfüllung der Pflicht, an der Wahl theiliunebmen, zu erleichtern, nicht aber, sie jur Stimmenabgabe für die freisinnigen Kandidaten zu be⸗ stimmen. Anders liege die Frage, ob nicht das Dekorum dadurch verletzt worden sei, daß das Geld im Wahllokal ausgezablt wurde. Diese Frage müsse er allerdings bejahen. Es sei aber nicht bewiesen, daß die soxtaldemokratischen Wähler nicht ganz nach ihrer freien Ueberjeuaung gestimmt härten. Wenn man sich über solche Fälle entrüste, so führe man die geheime Wahl ein. Nichts wirke kortumpierender als die öffentliche Wahl.
Abg. von Neumann (kons.) meint, daß die in Breslau vor— ekommenen Unregelmäßigkeiten gegen die gute Sitte verstießen. Die oztademoktatischen Wähler hätten im Sinne ihrer Auftraggeber, namlich für die Freisinnigen, gestimmt. Die Erftattung baarer Aus lagen werde allerdings erfahrungsgemäß gestattet, aber auch das sei nicht wünschenswerth; in Breslau dagegen sei eine Pauschal—⸗ summe ausgezahlt worden als Leistung gegen Leisturg. Die Leute bätten auf billig!. Weise einen Verdienst erzielt. Man beschwere sich auf der linken Seite darüber, daß Amtevorsteher,
Kriegervereins. Vorsitzende 2c durch Ansprachen die Wahlen beeinflußten. Was sei dies aber gegen die Wablbeeinflussung durch baares Geld? Dag sei der Anfang der Korruption, wie sie in anderen Ländern statt⸗ finde. Heute begnügten sich die Leute mit 6 6, später würden sie vielleicht 10 M verlangen. Dem müsse ein Riegel vorgeschoben werden
Abg de Witt (Zentr) erklärt sich namens seiner Partei für den Kommissionsantrag. Die Auszahlung von Geld an die sozial⸗ demekratischöen Wähler sei eine unzulässige Wahlbeeinflussung. Ob diese Wähler ohnehin für die freisinnigen Kandidaten gestimmt baben würden, komme nicht in Betracht. Es genüge, daß die Geldzahlung geeignet war, die Wabl zu beeinflussen. Selbst der Ersatz der baaren Auslagen könne als zulässig nicht angesehen werden, wie das Haus in einem Fall, bei der Wahl der Abgg von Puttkamer und Döring im Jahre 1888, bereits fefigestellt habe im Gegensatz zu der Wahlprüfungs—⸗ kommission. Damals hielt der Abg. Rickert schon das Anbieten von Entschädigungen für ausreichend, um die Wahl zu kassieren. Einen ähnlichen Standpunkt habe guch der Abg. Meyn ⸗Breelau ein⸗ genommen, und der Abg. Richter habe seinen damaligen Fraktions⸗ genossen nicht desavouiert. Was im Jahre 1888 recht war, müsse es auch im Jabre 19090 sein. Es sei in Breslau das politische Scham⸗ gefübl gröblich verletzt worden.
Abg. Kop sch (freis. Volkep.) bebt hervor, daß während des Wablaktes selbit Geld nicht ausgezablt worden sei. Die Zeugen⸗ vernehmung habe dies unwiderleglich erwiesen. Andeierseits erkenne er mit seinen Freunden und auch die Sozialdemokratie an, daß die Ausjahlung von Geld nach dem Wahlakt unschicklich und tattlos gewesen sei. Die sozialdemokratische Partei habe die Unterstützung der freisinnigen Wahl und die Gewährung einer Pauschalsumme beschlossen. Die Protesterheber hätten aber den Beweit, daß eine Wahlbeeinflussung stattgefunden habe, nicht einmal versucht. Auch die Möglichkeit einer Wahlbeeinflussung bei sozialistischen Wahlmännern sei vollständig ausgeschlessen. Man denke nut an die Versucke der Konservanven in Torgau. Vie sozialistische Pate befolge stets Len Grundsatz, die Kosten der Agitation und der Volksvertretung auf die Parteikasse zu übernebmen. Das sei an sich nicht verwerflich. Zahle doch der sächsisch Staat den Wahl männern 5 und erstatte ihnen die Reisekesten. Das Strafbare liege nur darin, daß ein Wähler durch Geld bestimmt werde, seine Stimme einem Anderen zu geben als er beaksichtigt babe. Das ganze jetzige Wahlverfahren sei überhaupt fehr lästig für den kleinen Mann. Tie bestimmte Stunde des Wabltermins und die öffentliche Stimmabgabe seien außer⸗ ordentlich erschwerend und drückend. Die Sozialdemokratie sei jetzt im Begriff, sich an den Landtagswahlen zu betheiligen. Solle es ihr unmöglich gemacht werden, ibr Wahlrecht auszuüben? Das würde ge⸗ schehen, wenn man die Entschädigung der Wahlmänner verbiete.
Abg. Dr. Porsch (3entr.) hält die Sozialdemokratie für ver⸗ pflichtet, ibr Wahlrecht unter denselben Bedingungen auszuüben wie die anderen Parteien. Auch in diesen gebe es kleine Leute genug, die willig ibrer Partei das Opfer gebracht hätten, zur Wahl zu gehen. Die Ausjablung der Pauschalsumme sei nicht bloß taktles,. sondern auch unzulässig gewesen. Die soꝛialdemokratische Parteileitung habe schon vor der Wahl jedem ihrer Wahlmänner 5 bis 6 „S zugesichert. Das sei festgestellt, und es erübrige jede weitere Beweisaufnahme. Wie wolle die freisinnige Partei ihre heutige Haltung mit derjenigen ron 1888 in Einklang bingen? Wenn sie eine Wahlbeeinflussung in diesem Falle nicht anerkenne, so müsse sie auch zugeben, daß in jedem ein⸗ zelnen Falle nac gewiesen werden müsse, daß jeder Wahlmann sich durch den Aufruf des Landraths habe beeinflussen lassen. ürden die Freisinnigen den Konservativen und dem Zentrum dazselbe Recht ein⸗ räumen wie den Sczialdemokraten? Vom prinzipiellen Standpunkt aus müsse man das ganze Verfahren verwerfen.
Abg. Dr. Sattier (nl) vermißt in dem Lobesbymnus des Abg. Topsch auf die fozlaldemokrartsche Wahlbetheiligung die Aufforderung, sich an den Berliner Wablen zu betheiligen. Den f Wahlmännern sei bier nicht vorg⸗- worfen worden, daß sie gegen ihre
eberzeugung gestimmt hätten. Es sel nur von der Möglichkeit einer Wahlbeeinfluffung die Rede gewesen. In dem Falle von Puttkamer und Döring habe die fieisinnige Partet für die Kassation gestimmt. (Abg. Ghler?: Damals lag der Fall andere l) Allerdings, damals bandelte es sich um zwei konservasive Abgeordnete. Gegen die Ent— chädigung an sich ließe sich nichts einwenden, wenn sie nicht öffentlich erfolgt wäre. Ich werde für den Kommissionsvorschlag stimmen.
ozialdemokratischen
Abg. Dr Barth: In dem angeführten Fall bandelte eg sich um einen katholischen Lehrer, der durch den Landrath beeinflußt wurde und eine Entschädigung zugesichert erbielt; hier aber ist jeder Verdacht ausgeschlofsen, daß die Zablung von Geld die Sonialdemokraten zu einer entgegengesetzten Stimmabgabe veranlaßt hat. Gäbe es dafür nur eine entfernte Wahrscheinlichkeit, so wäre ich der erste, der für die Kassation der Wahl stimmte. Die offene Ankündigung der sozial⸗ demokratischen Partei, daß sie eine Entschädigung zablen würde, schließt jeden Versuch der Wahlbeeinflussung auß. Bei den Landräthen und Amtsvorstehern liegt die Sache ganz anders.
Abg. Dr. Arendt (fr. kons.): Die freisinnige Partei hätte besser
gethan, diese Diskussion zu unterlassen. Für mich ist entscheidend, ob die Wahlmänner in Hause geblieben wären, wenn sie kein Geld er⸗ halten hätten. Bei der geringen Stimmenmehrheit fällt dies sebr ins Gewicht. Im Wahlkreise Elbing war jedem konservativen Wahl- mann, nicht nur dem einen Lehrer, eine Entschädigung versprochen worden. Daß die Freisinnigen sich für die Sonaldemokraten inter essteren, ist verständlich; sie sind bis auf eine Ausnahme nux mit Hilfe der Sonaldemokraten in die Volksvertretung gekommen. Im Reichs. tag hat die freisinnige Partei schon die Möglichkeit einer Wahl beeinflussung als ausreichend erklärt, um die Wahl zu kassieren. Niemand verwehrt den Sozialdemokraten, sich an der Landtagẽwahl zu betheiligen, und sie werden es ohne Entgelt thun, wenn der Ge— schäftssozialismus bei ihnen nicht die Oberband gewonnen hat. Wir werden uns dem ersten Schritt auf dem Wege der Wahlkorruption entgegenstellen.
Die Diskussion wird geschlossen und der Kommissions⸗ antrag gegen die Stimmen der beiden freisinnigen Parteien an⸗ genommen.
Die Wahl des Abg. Mischke (nl) im Wahlbezirk 6 des Regierungsbezirks Wiesbaden wird ohne Debatte beanstandet.
Die Wahl des Abg. von Colmar⸗Meyenbu rg Ekons.) im Wahlbezirk L' des Regierungsbezirks Bromberg beantragt die Kommission für gültig zu erklären.
Abg. Ernst (fir. Vgg.) geht auf die in Bromberg vorgekommenen Wablunregelmäßigkeiten näher ein und beschwert sich namentlich darüber, daß nur den Gegnern des Herrn von Colmar in Schneide mühl die Entnahme von Notizen aus den Abtheilungslisten versagt worden sei. Auf seine, des Redners, telegraphische Beschwerde habe allerdings der Minister Abhilfe geschaffen, aber zu spät.
Das Haus beschließt nach dem Antrage der Kommission.
Hierauf folgt die Berathung des Antrags der Abgg. Freiherr von Eynatten (Zentr.) und Genossen⸗
die Staa: sregie rung zu ersuchen, womöglich noch im Laufe dieser Session einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher den Kirchengemeinden der anerkannten Religtonsgesellschaften im preußischen Rechtsgebiete des französischen Dekrets vom 23. Prairial des Jahres XII die An lage konfessioneller Friedhöfe ermöglicht.
Abg. Freiherr von Plettenberg (kons. beantragt dazu⸗
hinter dem Worte Kirchengemeinden“ einzuschalten: unter
Wahrung der berechtigten Anspruche der jeweiligen konfessionellen , it und der finanziellen Interessen der bürgerlichen Ge— meinden“.
Abg. Freiherr von Evnatten begründet seinen Antrag. Nach einem historischen Rückblick weist er darauf hin, daß der Staat der Bilcung und Erweinerung konfessioneller Friedhöfe im rheinischen Rechtsgebiete sich wiederholt widersetzt habe. 1895 babe die Staats. regierung die thunliche Beschleunigung ihrer Erwägungen in dieser Sache versprochen. Erst drei Jahre später habe der Minister Bosse Stellung genommen und sich gegen den Antrag des Zentrums erklärt. Seine Partei verlange nur dasselbe für das Rheinland, was die anderen Provinzen längst hätten. Die Bischöfe und auch evan⸗ gelische Vertretungen, wie die der Gemeinde München⸗Gladbach, ver⸗ langten konfessionelle Friedhöfe im Interesse des Friedens. Die Interessen der konfessionellen Minderbeit sollten gewahrt werden; finanzielle Bedenken fielen nicht ins Gewicht, denn unsere jüdischen Mitbürger hätten bereits konfessionelle Friedhöfe auf eigene Kosten und trügen noch zu den Kommunalkosten der anderen Friedhöfe bei. Hoffentlich werde das langjährige Bemühen des Zentrums endlich von Erfolg gekrönt sein.
Abg. Freiberr von Plettenberg (kons) erklärt, daß seine Freunde dem Antrage sympathisch gegenüberstaͤnden. Einer unbe⸗ dingten Aufhebung des Provinzaldekrets hätten sie früher nicht statt⸗ geben können, weil damit manchen ein ehrliches Begräbniß versagt werde. Die Durchführung des Antrages sei schwierig, weil die Inter⸗ essen der lonfessionellen Minderheit gewahrt und die finanziellen Be— denken berücksichtigt werden müßten. Einem Gesetzentwurf, der beide Punkte berücksichtige, würden seine Freunde zustimmen.
Abg. Schaffner (l.) erklärt sich im Interesse des Friedens gegen den Antrag von Eyaatten.
Abg. Jürgen sen (nl.) kann ein Bedürfniß nach konfessionellen Friedhöfen nicht anerkennen; er stimme daher gegen den Antrag.
Abg. Dr. Langerhans fris. Volksp.) ist der gleichen Änsicht. Der Antrag spreche nur von den geduldeten Konsessionen. Was geschehe denn mit den anderen Konfessionen? Deren Zugehörige brauchten wohl nicht begraben ju werden? Es sei kein Unglück, wenn die Angehörigen der einzelnen Konfessionen friedlich neben einander ruhten.
Arg. Dr. Sattler (nI.) hat gegen den Antrag keine prinzipiellen Bedenkin, da er für Rechtegleichheit der einzelnen Provinzen sei. Allerdings müßten rorber gewisse Bedingungen erfüllt werden, zu denen auch die des Abg. von Plettenberg gehörten. Niemandem dürfe außerdem ein ehrliches Begiäbriß versagt werden. Die Rechte der konfessionellen Minderheiten dürften nicht verletzt werden.
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch (fr. kons.) erklärt, daß seine Freunde zurächst für den Antrag von Plettenberg und, wenn dieser angenem men sei, für den Antrag von Cynaiten stimmen würden.
Geheimer Ober Regierungsrath Dr. Renvers bemerkt, daß der KultusMinifter im vorigen Jahre erklärt habe, einen Gesetzentwurf nicht vorlegen zu wollen; durch diese Erklärung fühle sich auch der jttzige Kultus Minister gebunden.
Nach einem kurzen Schlußwort des Antragstellers wird unächst der Antrag von Plettenberg und mit diesem auch der Antrag von Eynatten angenommen. Gegen denselben stimmen die Freisinnigen und ein Theil der Nationalliberalen.
Schluß gegen 3 Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag, 11 Uhr. Interpellation wegen der Schulunterhaltungspflicht; dritte Lesung der Sekundärbahnvorlage; erste Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Erweiterung des Stadtkreises Stettin; zweite Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Polizeiverwaltung in Charlottenburg, Schöneberg und Rixdorf; zweite Berathung der Kreisordnungsnovelle.)
Nr. 13 der ‚Veröffentlichungen des Katserlichen Ge— suündheit sam ts“ vom 28. März hat folgenden Inhalt: Gesund—⸗ heitsstand und Gang der Volketrankheiten. — Zeitweilige Maßregeln gigen Pest. — Desgl. gegen Gelbfieber. — Gesetzgebung u. s. w. (Deutsches Reich.) Arznei Taxe. — (Preußen. Ansteckende Krankheiten. — Venerische Krankheiten — (Hamburg.) Institut für Schiffs und Tropenktantheiten. — (Oesterreich) Arznei⸗Taxe. — (Schweiz.) Infektionskranlheiten. — 53 der Thierseuchen im Deuschen Reiche, 18. März. — Desgl. in den Niederlanden, 4. Viertellahr. — Zeit⸗ weilige Maßregeln gegen Thierseuchen. (Deutsches Reich, Baden, Schweden, Rußland) — Verhandlungen von gesetzgebenden Körper⸗ schaften, Vereinen, Kongressen u. s. w. (Deutsches Reich. ) Trinkspiritus. —
Jahres versammlung des Deutschen Vereins für öffentliche Gesundheits- Eflege = (Preußen) Staatshaushalts Etat, 1500. (Schluß) — Vermischtes. (Spanien. Madrid) Unterleibstyphus, 1898, 1899 — (Vereinigte Staaten von Amerika.) Sterblichkeit, 1897. — Geschenk⸗ liste. — Wochentabelle über die Sterbefälle in deutscheꝛ Orten mit 40 0900 und mehr Einwohnern. — Desgl. in größeren Städten des Auslandes. — Erkrankungen in Krankenhäusern deutscher Großstädte. Desgl. in deutschen Stadt⸗ und Landbezirken. — Witterung. — Beilage: Gerichtliche Entscheidungen auf dem Gebiete der öffentlichen e l steffleae (Wasserversorgung, Wohnungen, Beseitigung von allstoff en).
Literatur.
Welche Kenntnisse werden von den Militäran wärtern in den Vorvrüfungen verlangt? Eine Samm— lung thatsächlich gestellter Aufgaben aus den letzten Jahren. Heft V: Vorprüfungsaufgaben zur Grenjzaufseher«, Straßen meister⸗ und Chausseeaufseher⸗Laufbahn. Berlin W., S. Gerstmann's Verlag — An der Hand der in diesen Heften mitgetheilten Beispiele kann der Militäranwärter sein Wissen prüfen und sich dementsprechend vorbereiten. — Auch auf die in demselben Verlage fiüher erschienenen Heftchen dieser Sammlung, welche, wie das vorliegende, den Militär⸗ anwärtern als Rathgeber und Lebrmittel willkommen sein werden, sei hiermit nochmals bingewiesen; es sind: Hest I: Vorprüfungs⸗ aufgaben zum Gisenhahnstationsdienst, Lademeister; Heft II: Vor— prüfungsaufgaben zur Postassistenten⸗Laufbahn; Heft II? Vorprüfungs⸗ aufgaben zum Eisenbabn - Telegraphendienst, Magazin⸗Aufseher, Schaffner; Heft IV: Vorprüfungsaufgaben zur Garnifonverwaltungs-, ga . und Lazareth-Inspektor⸗Laufbahn. Preis eines jeden Hefts
= Deutscher militärärztlicher Kalender für die Sanitäts- Offiziere der Armee, der Marine und der Schutztruppen, heraus. gegeben von Professor Dr. A. Krocker, Ober-Stabgarzt erster Klasse und Erster Garnisonarjt in Berlin, und Dr. H. Frie dheim, Stabsarzt beim Landwehrbezirk I Berlin. Verlag von Ernst Hesse in Berlin. — Dieses handliche Buch ist in zwei Theilen erschienen, von denen der erste allerlei praktische Notizen sowie Verzeichnisse und tabellarische Zusammenstellungen fuͤr den täglichen ärztlichen Gebrauch enthält. Der zweite Theil beschäftigt sich dann mit dem militärärztlicͤhen Dienst, mit Gutachten, Untersuchungen, Gesundheitspflege, Mittheilungen aus besonders wichtigen Krankbeits- gebieten und dergl. Beide Theile bieten auf engem Raum eine Fülle werthvollen Materials, dessen stetes Zurhandsein in der bequemen Form eines Taschenbuchs jedem Fachmann willkommen sein wird.
— Wörth.“ Von Carl Bleibtreu. Illustriert von Chr. Svbeyer. Verlag von Carl Krabbe in Stuttgart. Pr. geh. 2 M — Erst in neuester Zeit hat man von dieser denkwürdigen Schlacht ein richtiges Bild erhalten, seitdem man auch die Verhältnisse auf der französischen Seite in gerechter Weise in Betracht zog. Der Ver— fasser hat nun auch hier nach seiner Methode die inneren Zustände und die äußere Entwickelung zu veranschaulichen gesucht, indem er seine ebenso dichterisch ⸗ schwungvolle wie realistische Schilderung mit der kritischen Forschung verschmolz. Die Todesritte der französischen Kürassiere, der Untergang des dritten Zuaven⸗Regiments sind er⸗ greifend dargestellt, ebenso viele andere Episoden: die Früchte eines eingehenden Studiums der französischen Regimentsgeschichten. Diese großartige kriegerische Tragödie wird ebenso effektvoll entrollt, wie Bleibtreu früher die anderen Hauptaktionen des großen Krieges in seinen Werken Gravelotte', Sedan“, „Paris“ dichterisch bearbeitete. Die Illuftratlonen von Chr. Speyer sind mustergültig.
— Der Festungsbau im alten Orient Von . Biller beck. Verlog der Hinrichs'schen Buchhandlung in Leipzig. Preis 60 3. — Diese Schrift gehört zu den unter dem gemeinsamen Titel Der alte Orient‘ jährlich in vier Heften erscheinenden, gemeinverständlichen Darstellungen, welche die „Nordasiatische Gesellschaft“ herausgiebt, und von denen hiermit das vierte vorliegt. Der Verfasser weist darin an den altorlentalischen Befestigungswerken nach, daß keine Kunst so eständig war, so in ihren allgemeinen Grandsätzen und Formen die Jahrhunderte, ja Jahrtausende überdauert hat wie die Befestigungskunst. Solange die Mittel des Festungskrieges im Großen und Ganzen un⸗ verändert blieben, solange blieb es auch der Festungsbau; erst das 17. Jahrhundert vermochte wesentliche Aenderungen zu schaffen. Aus den älteften Ueberlieferungen, Abbildungen, Urkunden ꝛc. wird bierfür der Beweis erbracht und jedem sich dafür Interessierenden in gemeinverständ⸗ licher Weise dargelegt.
— Deutsches Wörterbuch. Wörterbuch der deutschen Schrift⸗ und Umgangesprache, sowie der wichtigsten Fremdwörter. Von Dr. J. H. Kaltschmidt, neu bearbeitet und vielfach ergänzt von Dr. Georg Lehnert. Verlag von J. J. Weber in Leipzig. Zwei Theile in einem Originalbande, Pr. 7 A 50 5. — Daz gesprochene, wie das geschriebene Wort soll der vollkommene Spiegel des Gedankens sein; ein Blick in das praktische Leben zeigt jedoch, daß es nicht immer so leicht fällt, für jeden Begriff sofort das rechte Wort zu treffen. Viese Schwierigkeit aber ist die Ursache so mannigfacher Mißverständnisse. Zudem persteht der Laie oft nicht den Fachmann, der nur die Schrist⸗ sprache Beherrschende nicht immer die Umgangssprache der niederen Schichten des Volks, die durch Aufnahme mundartlicher Aus— drücke der zur Erstarrung neigenden Schriftsprache erfrischende Quellen der Verjüngung erschließt. Wte man ferner auch über den mehr ober weniger sparsamen Gebrauch der Fremd⸗ wörter denken mag, sie sind nun einmal da, sie wollen verstanden, wollen richtig angewendet sein. Hier tritt hilfsbereit das vorliegende, 52 Bogen starke Lexikon mit seinem reichen Schatz von 0 000 Stich⸗ wörtern ein; es ertlärt das Fremdwort, weist die Heimath deeselben nach, verdolmeischt die Fachausdrücke des Bergmannks, des Schiffer, des Jägers u. s. f., deutet mundartliche Bildungen, falls sie im Begriff stehen, sich in der deutschen Sprache einzubürgern, und erleichtert die Auswahl unter der Fülle sinnverwandter Worte.
— Katechismus der Violine und des Violinspiels von Reinhold Jockisch. Mit 19 Abbildungen und zablreichen Notenbeispielen. Verlag von J. J. Weber in Leipiig. In Driginal⸗ leinenband, Preis 2 6 50 J. — Dieses neueste Bändchen von Weber's Illustrierten Katechiemen? ortentiert zunächst über den Ursprung der Violine und die italienischen Geigenmacherschulen, giebt dann eine gedrängte historische Uebersicht über die Kunst des Geigenbaus in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und England, beschreibt die einzelnen Theile der Geige und des Bogens sowie das Material zu denselben und erthetlt Rathschläge beim Ankauf und zur Pflege des Instruments. Der zweite Haupttheil des Buchs ermöglicht einen Ueberblick über die gesammte Technik des Violinspiels; bier findet der junge Violinist eine Zusammenstellung aller, den Lehren der großen Meister der Geige entnommenen Regeln, ergänzt durch Mittheilung von Ergebnissen aus der Beobachtung und Erfahrung des Verfassers. Der vorliegende Katechismus empfiehlt sich als ein nützliches Supple—⸗ ment zu jeder prakrischen Biolinschule. ꝛ
— Neue Lieder von Marie Itzerott. Oldenburg, Schulze'sche , , , (J. Schwartz). 8 0. Pr. eleg. geh. 1,60 M —
ie durch ihre Dichtungen „Meine Lieder! und „Ostern“ bekannt
ewordene Poetin, die als Sprachlehrerin ihren ständigen Wohnsitz in
6 aufgeschlagen hat, bietet mit diesen Neuen Liedern ihren deutschen Freunden eine gewiß willkommene Gabe. Die Dichtungen, denen eine Fülle neuer eigenartiger Gedanken, umwoben von dem Rein einer poenischen Sprache, innewohnt, verrathen bei großer Form- gewandtheit eine Individualität voll gesunder, warmer und lebens wahrer Empfindung.
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