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D.
Deutscher Reichstag.
183. Sitzung vom 1. Mai 1900, 1 Uhr.
Auf der Tagesordnung stehen lediglich Wahlprüfungen.
Die Wahl des Abg. Grafen von Dönheff-⸗-Friedrich⸗ stein (Königsberg⸗Fischhausen, b. . F) wird beanstandet und der Antrag der Wahlprüfungskommission, welcher auf An⸗ stellung von Erhebungen über mehrere Protestbehauptungen gerichtet ist, ohne Debatte angenommen, 1
Die Wahlen der Äbgg. Börner Schwarzburg-Sonders⸗
ausen, nl), Er nst (Czarnikau⸗Kolmgr, fr. Vgg) und Kraemer Alitenkirchen⸗Neuwied, nl.) werden für gültig erklärt.
Die Wahl des Abg. von Loebell (Wefihavelland⸗ Brandenburg, d. kons.) ist von der Wahlprüfungskommission mit 8 gegen 5 Stimmen für vngültig erachtet worden, weil nach den über die Protestbehauptungen angestellten Erhebungen von ihr als erwiesen angenommen worden ist, daß die Oeffentlich⸗ keit der Wahl systematisch ausgeschlossen ist und dazu ein amtlicher Erlaß des Landraths von Westhavelland, der aleich⸗ zeitig der deutschkonservative Kandidat war und aus der Wahl als Sieger hervorgegangen ist, am meisten beigetragen hat.
Abg. von Brockhausen (d. kons) befürwortet einen Antrag der dentfchkonferpativen Abgg. Dr. von Levetzow und Genossen, wonach im Interesse weiterer Klarstellungen eine Anzahl fernerer Erhebungen über die Wablberechtigung der ausgewiesenen Personen veranstaltet und die Beschlußfassung über die Gültigkeit der Wahl ausgesetzt bleiben soll.
Abg. Auer (Soz.) wendet sich gegen diesen Antrag. Was fest⸗ gestellt fei, genüge vollständig, um die Ausweisungen als unberechtigt, die betreffenden Wablakte fur ungültig und die ohnebin geringe Mehi⸗ beit für den Gewählten für derartig erschüttert zu erklären, daß das Haus zur Kassierung gezwungen sei. Mit Berufung auf den land⸗ räthlichen Eilaß seien die betreffenden wahlberechtigten Personen, welche der Wablhandlung beiwohnen wollten, abgewlesen und ihre Aut welspaplere für unzureichend erklärt worden. Man habe jum Hohn den Betreffenden anbelmgegeben, ihre polizeilich beglaubigte Photo— graphie vorzulegen. Es bandle sich um elf Wablberirke, in denen diese Ausweisungen unter solchen Umständen erfolgt seien.
Abg. Dr. Arendt (Rp): Gewiß hat die Wahl sich unter der breitesten Oeffentlichkeit zu volltiehen, die gesetzlich gewährleistet ist; kleinliche Maßnahmen, wie die hier vorliegenden, gehören sich nicht. Aber die vorgekommenen ungerechtfertigten Ausweisungen sind doch nur vereinzelt, von einer allgemeinen Wirkung des erwähnten Erlasses, von einer syftematischen Ausweisung kann keine Rede sein; die be— treffenden elf Wahlvorsteher haben den landräthlichen Erlaß falsch derstanden. t
Abg. Schwarze ⸗Lippstadt (Zentr.) ist der Ueberzeugung, daß durch die Ausweisungen die bestebenden Vorschriften über die Oeffent⸗ lichkeit des Wahlakts gröblich verletzt seien und damit die Nothwendig- keit der Kassierung der Wahlen in den elf Bezirken gegeben, womit die ganze Wahl binfällig werde.
Dem Abg. von Brockhausen gegenüber, der für seinen Antrag noch geltend ju machen sucht, daß der Begriff der Oeffentlichkeit von der Kommisssonsmebrheit verkannt worden sei, empfehlen die
Abgg. Fischer ⸗ Berlin und Auer (Sor) abermals den Kom. missionsbeschluß, da die Wablberechtizung der Ausgewiesenen feststehe, und außerdem aus zahlreichen früheren Beschlüfsen der Kommission und des Plenums sich ergebe, daß die Verletzung des Prinzips der unbedingten Oeffentlichkeit bei der Wahl von erheblichem Einflusse auf die Beurtheilung der Gültigkeit sei.
Auch Abg. Dr. Spahn (Zentr.) vertritt die Auffassung, daß die durch den Landratbserlaß veranlaßte ungesetzliche Beschränkung der Oeffentlichkeit in ibren Konsequenzen zur Kassierung führen müsse.
Die Wahl des Abg. von Loebell wird darauf gegen die Stimmen der beiden konservativen Parteien, der Reformpartei und der Nalionalliberalen für ungültig erklärt.
Ueber die Behauptungen der Proteste gegen die Wahlen der Abgg. Graßmann (Thorn-Kulm, nl.) und Götz von Olenhusen (Göttingen, Zentr) wird ohne Debatte Beweis⸗ erhebung beschlossen. .
Denselben Antrag stellt die Kommission bezüglich der Wahl des Abg. Will Stolp⸗Lauenburg, d. kons. ). Der ein⸗ gegangene Protest ist ganz besonders umfangreich, und die Kommission hat über mehrere hundert Punkte der unter Be⸗ weis gestellten Behauptungen Erhebungen beantragt.
Der Abg. Will ist in der Stichwahl gegen den der frei— sinnigen Vereinigung angehörigen Rittergutsbesitzer Wüsten.⸗ berg⸗Rexin gewählt worden.
Abg. Gamp (Rp.) bat gegen den Kemmissionsantrag nichts ein⸗ zuwenden, bemängelt aber, daß die Komwmission auch mehrere Protest⸗ behauptungen der Denumianten aus Stolp“, die sich als frioole
— Verdächtigungen von Beamten und Wahlvorständen charakterisierten,
zum Gegenstande nur informatorischer Vernehmung der Betreffenden zu machen vorschlage, wo doch eine eidliche Vernehmung angezeigt sei, um nicht die Betreffenden von vornherein mit dem Stigma der Un— glaubwürdigkeit zu kennzeichnen, während die Denunzianten, eventuell ganz zweifelbafte Persönlichkeiten, eidlich vernommen werden solltean.
Abg. Dr. PDachnicke (ir. Vgg,) tritt für den Kommissions⸗ beschluß ein und spricht die bestimmte Hoffnunz aus, daß diese Wabl, die zu dem umfangreichsten Wahlproteste, den der Reichstag je geseben, geführt babe, auf Grund der anzustellenden Erbebungen werde kassiert werden. Die Wablbeeinflussungen in diesem allerdings heiß umstrittenen Wahlkreise seien unerhört gewesen, die Wahlkreisgeometrie grenze ans Fabelbafte, und die kunstreiche Faltung der Wabljettel babe wahre Triumphe gefeiert; die gewaltsame Entreißung mißliebiger Stimm—⸗ zettel sei an der Tagesordnung gewesen.
Abg. Gamp bleibt bei seinen Ausführungen steben und be— anftandet, daß der Vorredner dem Ergebniß der Erbebungen vorgreife.
Abg. Kopsch (fr. Volksp.) vflichtet den Ausführungen des Abg. 2 bei und fübrt weitere Ginzelheiten der konservativen Wabl⸗ eeinflussung an. In dieser Gegend thue ein Verein zum Schutze des gebeimen Wahlrechts bitter noth.
Der Präsident Graf von Ballestrem theilt den Ein— ang eines Schreibens mit, wonach der Abg. Sachse⸗
aldenburg (Soz.) sein Mandat niederlegt. Die Prüfung der Wahl des Abg. Sachse steht auf der Tagesordnung; die Kommission hatte die Kassierung beantragt.
Abg. Dr. Spahn tritt als Voisitzender der Wahlprüfunge⸗ kommilsion ebenfalls dem Abg. Gamp entgegen, allerdings solle man nicht Wahlprotestkebauptungen von vornherein als zutreffend ansehen.
Abg. Gamp bezieht sich für seine Behauptung, daß der— artige Proteste in ganz frivoler Weise entstehen könnten, auf die de, , ne die aus seinem eigenen Wobrort Hebron.
amniß gekommen sei, wo eine ungerechte Ausweisung statt— gefunden babe, die Oeffentlichkeit 4 bis 5 Stunden lang ausge schlossen gewesen sei und von dem Wablvorsteher und anderen Wahl vorstandamitgliedern die liberalen Wahliettel den Wählern ewaltsam aus der Hand gerissen worden sein sollen. Letzteres ei positiv unwabr, und es handle sich ledizlich um eine frivole Ver— dächtigung von Beamten und Wahlvorstandsmitgliedern. Redner weist auf die Vorgänge in Breslau hin, wo, wie er behauptet, eine Bestechung der sozialdemokratischen Wahlmänner stattgefunden habe.
Nachdem die Abgg. Dr. Pachnicke und def dem Abg. Gamp nochmals entgegengetreten. legt der
Abg. Auer , die von dem Abg. Gamp ausgesprochene Be⸗ bauptung der Käuflichkeit der Sonaldemokraten als eine Verleumdung entschiedenft Protest ein.
Vlje / Praͤsident Dr. von rf erklärt den Ausdruck ‚Ver⸗ leumdung für parlamentarisch unzulaͤssig.
Abg. von Staudry (8. kons): Daß in Breslau eine Wahl⸗ bestechung stattgefunden bat, ist vom Abg. de Witt im Abgeordneten. bause autzdrücklich erklärt worden. Die Behauptungen der Proteste baben sich in den meisten Fällen als erlogen erwiesen; das ergeben die Erfahrungen in der Wahlvrüfungskommissign unwiderleglich. Mit der Behauptung, . die Konservativen in Wabhlbeeinflussungen auch nur entfernt an die Leistungen heranreichten, welche man täglich bei den Liberalen beobachten kann, sollte man doch das Haus verschonen.
Abg. Singer (Sor): Diese Behauptung des Herrn von Staudy muß doch nachgerade etwas komisch wirken, wenn man bedenkt, mit welchen Mitteln! der Wablbeeinflussung unter Nutzbarmachung des ganzen Beamtenapparats die Konservativen arbeiten. In Breslau hat keine Wahlkestechung stattgefunden; diese Behauptung ist eine nichts würdige Verleumzung. Uebrigens traut man niemandem etwas zu, was man nicht selbst ju thun bereit ist.
Abg de Witt (Zentr): Ich bin zwar richtig zitiert worden; in meinen Worten bat aber der Vorwurf der direlten Wahlbestechung nicht gelegen.
Abg. Dr. Pach nicke: Angesichts der großen Zabl der kassierten Wahlen ist es wobl überflüssig, erst noch einen Beweis anzutreten dafür, daß die Mehrzahl der Protestbehauptungen auf Wahrheit beruht. g
Äbg. Gamp: Es bat mir durchaus fern gelegen, den Sozial- demokraten allgemein einen moralischen Makel anzuheften.
Der Kommissionsantrag wird angenommen.
Die Wahlen der Abgg. von Kardorff (Oels-Warten⸗ berg, Rp.), Graf von Bis marck-Bohlen (Grimmen⸗Greifs⸗ wald, d. kons), von Bonin (Neu-Stettin, Rp.) und Stöcker⸗Siegen (b. k. F) werder für gültig erklärt.
Die Wahlen der Abgg. Baron de Schmid (Saargemünd⸗ For dach, b. F. FJ), Dr. Han el (Kiel⸗Neumünster, fr. Vgg), Fürst zu Innhausen und Knyphausen (Emden⸗Norden, d. kons.) werden beanstandet und die von der Kommission beantragten Beweiserhebungen beschlossen.
Die Wahl des Abg. Harriehausen (Einbeck-Nordheim, b. k. F) hat die Wahlpruͤfungekommission mit neun gegen zwei Stimmen für ungültig erklärt, weil ein vom Kreis-Kriegerverband Einbeck erlassenes, von dem Landrath mitunterzeichnetes Schreiben dringend zur Wahl des Ge⸗ wählten aufgefordert hat und die Kommission hierin fast ein⸗ stimmig eine mißbräuchliche Einwirkung auf die Wahl erblickt hat, welche ähnlich einer behördlichen Einwirkung zu repro⸗ bieren ist. Alle Kriegervereine, in welchen die Bekanntgabe dieses Erlasses bezeugt ist, sind in Betracht gezogen und die betreffenden Stimmen für ungültig erklärt worden, wodurch es zweifelhaft wird, ob nicht ohne diese Beeinflussung statt des Sozialdemokraten Fischer der nationalliberale Kandidat in die Stichwahl gelangt wäre.
Abg. Dr. Arendt bekämpft die Kassierung. Die Rechnung der Kommifsion sei eine willkürliche und habe keinen realen Boden unter den Füßen. Eine direkte Wablbeeinflufsung sei garnicht nachgewiesen und auch nicht nachjuweisen; lediglich die Möglichkeit einer solchen aber könne nicht genügen, sondern es müsse eine thatsächliche Beeinflussung nachgewiefen werden, wie es auch die freisinnige Partei in dem vorher schon erwäbnten Breslauer Fall verlangt habe. Redner beantragt, die Wahl für gültig ju erklären.
Abg. Basfermann (ul) spricht fich kurz für die Kassierung aus.
Dim Antrage der Kommission entsprechend, wird die Wahl des Abg. Harriehausen für ungültig erklärt.
Ohne Debatte erklärt das Haus die Wahlen der Abgg. Graf Magnis (Reichenbach-Neurode, Zentr.), Dr. Hasse (Leipzig-Stadt, nl.) und Dietrich (Ruppin⸗Templin, d. kons.) für gültig.
Die Wahl des Abg. Dr. Zwick (fr. Volksp.) hat die Kom⸗ mission beanstandet und Bewelserhebung darüber vorgeschlagen, ob in einem Wahlbezirk die Wahlhandlung nicht durch den Vor⸗ steher eröffnet worden ist. Dr. Zwick ist mit nur 47 Stimmen sehrheit gewählt worden. Außerdem soll über die Behaup⸗ tung Beweis erhoben werden, daß 36 Hospitaliten mitgestimmt aben.
h Abg. Fischbeck (fr. Volker.) hält den ersteren Beschluß für gänmlich unhaltbar; die Konsequenz einer solchen Neuerung wäre unabsebbar. Der Vorsteher brauchte nach den Vorschriften des Wahl⸗ gesetzes die Wablhandlung auch garnicht zu eröffnen; es könnte ebenso gut sein Stellvertreter diese Funktion übernebmen. Die übrigen gerügten Mängel genügten nicht, die Mehrheit für den Abg. Zwick zu erschũttern.
Abg. Singer vplaidiert für den Kon missionsvorschlag, den er nur in dem zuletzt erwähnten Punkt bemängelt.
Auch der Abg. Dr. Spahn vertheidigt den Kommissions⸗ vorschlag, der darauf angenommen wird.
— Schließlich wird auch die Beanstandung der Wahl des Abg. Freiherrn von Stumm (Rp.) beschlossen.
Schluß 5 Uhr. Nächste Sitzung Mittwoch 1 Uhr. (Erste Berathung der Anträge Müller⸗-Fulda und Bassermann, betreffend Abänderung des Reichs-Stempelgesetzes und des Zoll⸗ tarifs Deckungsfrages; zweite Lesung der Unfall versicherungs⸗ gesetznovellen.)
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
64. Sitzung vom 1. Mai 1900, 12 Uhr.
Auf der Tagesordnung steht die Berathung des Antrags der Abgg. von Eynern (nl.) und Genossen:
dle Königliche Staate regierung zu ersuchen, einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch welchen nach den Grundsätzen des Gesetzes vom 8. Juli 1878 den Provinzialverbänden aus den Ueberschüssen des Etatsjahres 1899/19600 ein Fonds von 50 Millionen Mark überwiesen werde.
Die Abgg. von Dziembowski und Freiherr von Zedlitz und Neukirch (sr. kons.) bean tragen.
unter Ablebnung des Antrags von Eynern die Regierung auf— ufordern, mit möglichster Beschleunigung einen Gesetzentwur vor zulegen, durch welchen unter ange messener Aenderung des Gesezes vom 8. Juli 1875 den durch die Summe ihrer Provinzial“, Kreis- und Gemeindefteuern vorzugsweise belasteten Landestheilen ohne Minderung der den Provinzen zur Zeit justebenden Dotatiens⸗ beiträge ein nach dem Maßstabe ihrer Leistungsfähigkeit und ibrer auf dem Gebiete der Verwaltung und der Meliorationen be— tbätigten wirklichen Leiftungen zu bemessender Ausgleich für ibre wachsenden Ausgaben geboren wird.
Ueber den ersten Theil der Verhandlungen ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Finanz- Minister Dr. von Miquel:
Meine Herren! Ich kann in fast allen Punkten, vielleicht mit Ausnahme des litzten Punktes, den der Herr Vorredner, der Abg. Fritzen erörtert hat, mein volles Einverständniß mit den GSrundsätzen und Auffassungen, die er hier dargelegt hat, von vornbereln zu erkennen geben. Der Herr Abg. Fritzen hat namentlich festgestellt, daß es falsch ist, wean wir glauben — ich werde bieraunf
Schalden, daß es nicht berechtigt ist, für das natürliche Steigen der Ausgaben, die man einem Selbftverwaltungsorgan jzur Verwaltung übergeben hat, dagselbe jedesmal entsprechend den gestiegenen Ausgaben zu entschädigen: denn daß das die Aufhebung jeder Selbstverwaltung sein wärde, auf Kosten eines Dritten zu ver⸗ walten, ohne selbst irgendwie die Rückwirkung der vermehrten Aus— gaben auf die eigenen Leistungen zu fühlen, das ist so klar, das brauche ich in diesem hohen Hause nicht noch weiter zu entwickeln. Er bat gemeint, aus diesem Steigen, das den Kommunen und dem Staate genau so passiert ist, wofür ja auch die Provinzen ihre guten Erfolge für ihre Provinzialeinwohner haben, könne an sich ein Ansprach, eine neue Re⸗ vision eintreten zu lassen, nicht gefolgert werden; wohl aber, meinte er, sei das der Fall, wo neue Gesetze neue Lasten den Provinzen überwiesen hätten, und das sei in einigen erhebllchen Pankten der Fall. Ich werde hierauf zurückkommen. ;
Ich komme nun zu der Motivierung des Antrags durch den Herrn Abg. von Eynern. Sovblel ich ihm babe folgen können — ich babe mich bemüht, genau zuzuhören — hat Herr von Eynern in diese Frage so viele andere Fragen hineingezogen, daß wir zehn Tage debattieren müßten, wenn man gründlich auf alle einzelnen Andeutungen und Hinwerfungen von gewissen Gedanken ant⸗ worten wollte. Ich werde mich darauf nicht einlassen; sondern mich nur mit den Fragen beschäftigen, die hier in Betracht kommen.
Der erste Vorwurf, den Herr von Eynern gegenüber unserem jetzigen Finanzzustand erhebt, ist der, den er schon oft erhoben hat, daß wir zu viel Steuern einzögen. Meine Herren, er hat auf das Steuerverbältniß anderer Länder hin⸗ gewiesen und daraus auch konkludieren wollen, daß wir entsetzlich mit Staatssteuern belastet wären. Meine Herren, der General Bericht⸗ erstatter in der französischen Kammer, Herr Pelletan, wohl heute der erste Kenner Frankreichs und seiner Finanzen, ebenso aber auch der Finanzen aller anderen Länder, sagt in seiner letzten Etatsrede, die von keiner Seite nachher irgendwie im Parlament bemängelt worden ist, Folgendes: In Frankreich kommen bei 10 760 000 Haushaltungen auf die einzelne Haus haltung bo Fr. direkte und 250 Fr. indirekte Sterern. Die direkte Steuer belastet allerdings nur etwa 6 bis 7 Millionen jener Haushaltungen, die indirekten aber treffen die kleinften Haus- haltungen mit 120 bis 140 Fr. oder 10 bis 15, in Ausnahmefällen bis 25 0, des Arbeitsverdienstes. Wie druckend die Steuerlaft in Frankreich sei, gehe daraus hervor, daß nach zutreffenden Berechnungen in Frankreich 75, in England 62, in Oesterreich und Holland 44,50, in Dänemark 34, in Belgien 31, in Deutschland 30,50 Fr. pro Kopf der Bevölkerung an gesammten Steuern — indirekten und direkten — zur Erhebung gelangen (Zuruf), indirekte und direkte!
Was nun die direkte Steuer betrifft — Herr von Eynern, daran hätten Sie vielleicht nicht erinnern sollen, denn die beträgt in Preußen noch nicht mal 5 S pro Kopf, während sie selbst in Oefsterreich 29 und 33 beträgt, und ia Italien noch viel mehr bezahlt wird; es giebt auch in Deutschland kein Land, wo die Staatssteuer in ihrer Gesammtheit so niedrig wäre, wie in Preußen. Allerdings, es bat für andere ein anderes Gesicht; bei uns jahlen die hochbemittelten Klassen verhältnißmäßig weit mehr als 5 4 pro Kopf, aber die nicht be⸗ mittelten Klassen werden um so niedriger berangejogen, und fast 25 Millionen Preußen sind von direkten Steuern überhaupt frei.
Meine Herren, wir sehen daraus Folgendes: während man in anderen Staaten, z. B. in Rußland, klagt, daß der Staateschatz mächtig wachse, die Bevölkerung aber durch die übermäßige Be⸗ steuerung verarme, können wir das in Deutschland doch unmöglich sagen. Ich habe Ihnen ja gezeigt, daß das steuerbare Vermögen in zwei Jahren um 44 Milliarde gewachsen ist, wäbrend doch gleich⸗ zeitig die Lage einer großen Bevölkerungeklasse, der Landwirthschaft, eine außerordentlich gedrückte zur Zeit noch ift.
Also, meine Herren, daß wir durch eine übermäßige Steuer seitens des Staatz die Bevölkerung obne Noth aussögen, davon kann bei uns nicht die Rede sein, so sehr diejenigen, die nach ibrem Vermögen leistungsfähig und ibrer Leistungsfäbigkeit entsprechend berangejogen sind, auch hier und da klagen. In der Rheinprovinz, meine Herren, ist auch nur eine ganz kleine Partei, die die jetzige Steuereinrichtung bei uns nicht billigt. Ich habe die reichsten Leute in der Rheinprovinz gesprochen, die sagen: Das ist gegen früher ein wahrer Segen, diese gerechte Heranziehung zur Steuer; sie theilten nicht die Bedenken, die von dieser Seite und von anderen Organen vorgetragen werden.
Meine Herten, was nun die Höbe der Schuldentilgung betrifft, so babe ich nur unsere Schuldentilgung vom Jahre 1880 ab zusammen⸗ gestellt — das ist in so fein sehr schwer, als der Schuldbestand sich fortwährend ändert und alt dabei von der Berechnung von zu— wachsenden Zinsen bei der Schuldentilgung nicht die Rede ist, sondern wir nur jzusammenstellen konnten, welche Summe in einem bestimmten Jahre auf die jeweilig vorhandene Schuldenlast zur Tilgung ver⸗ wendet ist, ohne irgendwie das Zuwachsen von Zinsen, wie es bei dem eigenen Schuldentilgungsfonds von selbft eintritt, iu berück— sichtigen. Was stellt sich nun beraus? Wir haben seit 1880 ein schließlich der letzten guten Jahre auf den jeweiligen Schulden bestand, der sich bei uns ja permanent vermehrt bat trotz der Schuldentilgung, O,ss e ö getilgt. Von den Kom munen verlangen wir mindestens 1½ mit zuwachsenden Zinsen, bei rentbaren Unternehmungen, die sie machen, vielfach auch erheblich böhere Tilgungsquoten und iwar nicht bloß bei den Kommunen, sondern ebenso bei den Kreeisen und Prodblnen. Trotzdem vermehren sich in den Kommunen, durch die Gesammtentwickelung bedingt, die Schulden auch sebr erheblich, genau so wie bei dem Staat. Frankreich, meine Herren, bat jetzt etwa nech 27 Milliarden Schulden, es hat dazu diese kolofsale Belastung, die ich vorbin bezeichnet habe, von der der Berichterstatter sagte: wir haben zwar in den letzten Jahren immer noch neue Steuern erhoben, um kein Defizit aufkommen zu lassen; wir haben seit 10 Jahren kein Defisit, wie es in Preußen noch vor wenigen Jahren geschehen, durch Anleihen getilgt, sondern immer durch die laufenden Mittel; — trotzdem hat Frankreich doch noch in den letzten 5 Jahren — und es hat keine Eisenbahn, sondern aus den laufenden Mitteln der Bevölkerung — eine Milliarde Schulden getilgt. Englands gar nicht jzu gedenken; da steht es noch ganz anders. Wie kann man nun hier behaupten, daß unbedingt in Preußen Wandel nach der Richtung geschafft werden müßte, daß mehr an die Gegenwart und weniger an die Zukunft gedacht werde! Dilese alten Kulturvölker denken in ganz anderer Weise
noch eingehender jutücklommen —, wir tilgten in Preußen zu viel
an die Zukunft. Welche kolossal sparsame Verwaltung Frankreich
seit den letzten 10 Jahren geführt hat, kann man daraus ersehen, daß, während wir in Preußen die dauernden Ausgaben des Staats, die eigentlichen Staatsverwaltungöausgaben, um etwa 200 Millionen in der Zeit unter einem angeblich besonders sparsamen Minister vermehrt haben (Heiterkeit, die Franzosen in der Zeit kaum um 20 Millionen Franken diese dauernden Ausgaben vermehrt haben. Mir würde diese Art von Sparsamkeit sogar viel zu weit gehen. Die Franzosen haben mehr als 400 000 Beamte, von denen fünf Sechstel unter 2000 Fr. und 140 000 unter 1000 Fr. ohne Wohnungs⸗ geldzuschuß besiehen. Während dort die Budgerkommission immer den Knopf auf den Beutel hält, selbst gegen die Minister, ist es hier umgekehrt. Hier kenne ich das nicht mehr (Heiterkeit), daß man den Minister unterstützt, wenn er den Knopf auf den Beutel drückt.
Ich glaube also, meine Herren, wenn der Antrag des Herrn von Eynern mit diesen fraglichen, hier berührten Gesichtspunkten, auf die ich nicht weiter eingeben will, motiviert wird, so ist er ganz verfehlt; ich kann aber in seinen Grundgedanken allerdings eine andere und richtigere Motivierung finden. Meine Herren, bei unseren Schulden — das will ich noch nachtragen — muß man doch auch berücksichtigen, daß Preußen zu *½ für die Reichs⸗ schulden haftet, und daß bei diesen irgend eine festgeordnete Tilgung ja überhaupt noch nicht vorhanden ist. Daß erst in den letzten Jahren — wie ich vollkommen anerkenne, durch das Verdienst des Zentrums — der Beginn einer ordentlichen Schuldentilgung im Reiche begonnen hat, muß man doch auch in Betracht ziehen; und nicht minder, daß zwar unsere Schulden regelmäßig nur gemacht werden für rentable Anlagen, und daß namentlich für den Eisenbahnbau diese Schulden kontrahiert sind, daß aber die Ueberschüsse aus diesen rentablen Unternehmungen, besonders aus der Eisenbabnverwaltung, schon längst von uns in dauernde Ausgaben verwandelt worden sind. Wenn netto die Eisenbahnen 75 Millionen aufbringen, so haben wir diese bereits festgelegt in dauernden anderweitigen Staatsausgaben. Würden diese Ueberschüsse uns fehlen, so würden wir einfach auf die Steuern greifen müssen. Während in Frankreich i fast aller Ausgaben gedeckt werden durch die Steuern, werden umgekehrt in Preußen die Auz— gaben überwiegend gedeckt durch das eigene Vermögen des Staates. Aber diese Ginnahmen von den Eisenbahnen haben auch ibr Risike. Ich brauche dies nicht näber auszuführen. Nach welchen Richtungen die kolossalen Schwankungen gehen, sehen wir ja fortwährend vor ung. Also wir wissen nicht, wie in Zukunft das Verhältniß der Einnahmen und Ausgaben bei den Eisen⸗ babnen sich dauernd gestalten wird. Es liegt in diesem Besitz ja ein größeres Risiko, als wenn das eine fiste Schuld wäre, die von den Bewegungen des Marktes nicht abhängig wäre.
Ich habe immer betont: unsere Finanslage ist eine günstige, und kein Staat der Welt kann sagen, daß er eine günstigere hätte; aber die lebende Menschheit, die nun diese günstige Finanzlage genießt, die sich erlauben kann, 200 Millionen dauernde Ausgaben in 10 Jahren mehr auf den Staat zu bringen, die nach allen Richtungen die Auf. gaben der Landesvertheidigung zu Wasser und ju Lande in vollem Maße zu leisten im stande ist, die nicht nöthig hat, durch den Druck und Drang der Zeit alles auf die Zukunft zu werfen, sondern die Fähigkeit, aus eigenen Mitteln im wesentlichen unter nicht zu starker Belastung der Zukunft diese Ausgaben nach allen Richtungen bin zu leisten, — die muß auch die Verpflichtung in sich fühlen, für ihre eigenen Kinder und Nachkommen einen äbnlichen Zustand zu binterlassen, wie wir ihn überkommen haben, über⸗ kommen haben wesentlich durch die ausgezeichnete Finanwirtbschaft der jwanziger Jahre, die auch während der ganzen Zeit des Abso⸗ lutismus in der strengsten Weise durchgeführt ist.
Meine Herren, ich will nicht weiter auf die Sache eingehen; darüber könnte man noch viel reden. Aber da ich vielleicht sonst keine Gelegenbelt habe, über diese für die Zukanft und für das Ver— halten des Landtags zu den Finanzen böchst wichtige Frage hier noch zu sprechen, so habe ich geglaubt, meine Meinung wenigstens kur ausdrücken zu sollen.
Meine Herren, was nun die Provinzen betrifft, so werden Sie sich erinnern, daß im Jahre 1875 13 440 000 , zur Hälfte nach dem Maßsftabe der Zivilbevölkerung, zur anderen nach dem Maßftabe des Flächeninhalts, an die Proninzen überwiesen wurden. In dieser Dotation wurde mitverwandt ein bis dahin vom Handels⸗Minister verwandter Fonds von 6 Millionen für Wegebauten.
Dazu kam jweitens die Dotation für Uebernahme der Verwaltung und Unterhaltung der bisherigen Staats, Cbausseen, die in die Ver⸗ waltung der Provinzen übergingen. Dafür wurden 19 Millionen überwiesen; davon 15 Millionen nach Maßgabe der bisherigen durch schnittlichen Chaussee-Unterhaltungskosten in den einzelnen Provinzen, 4 Millionen nach Land und Leuten. Meine Herren, die⸗ jenigen von Ihnen — und das wird ja wohl im Hause eine größere Anzabl sein — die damals diese Gesetz gebung mit- gemacht haben, werden sich erinnern — und ich habe das mehrfach ausgesprochen — daß wir alle damals schon das Gefübl hatten: durch diese Art Dotation kommen die ärmeren und weniger leistunge fähigen Provinzen schlecht weg. Wir konnten aber damals keinen anderen Maßstab finden, und man konnte denjenigen Provinzen, deren stark ausgebildetes Netz von Staatschausseen bisher vom Staate unterhalten war, nicht zumuthen, ohne Entgelt diese Unterhaltung zu übernehmen; man sagte sich: wenn wir Hannover, wenn wir der Rheinprovin u. s. w. jetzt die Unter haltung übertragen, die wir bisher aus der Slaatskasse geleistet haben, so müssen wir natürlich den Provinzen die daju erforderlichen Mittel geben. Das war also der Maßstab, der ganz naturgemäß gegeben war. Aber er führte dazu, daß die⸗ jenigen Provinjen, welche bis dahin noch wenig Staats— chausseen hatten, jwar eine geringere Unterhaltungslast be kamen, aber doch auch eine viel geringere Gesammtsumme, und daß die Provinzen, welche das größte Interesse hatten, ihre Land- straßen noch weiter zu vermehren, offenbar bei diesem Modus zu kurz kamen. Das war uns auch damalz garnicht zweifelhaft, wir konnten aber einen anderen Modus nicht finden, und wir sind daher damals zu dieser Gesetzgebung gekommen.
Wie bat sich diese nun in der Praxigt in Be— zug auf die Belastung der Provinzen bewahrt? Ost— preußen batte für 1898/99 einen Zuschlag zu den Staatg⸗ steuern von 15,53 0/0, Westpreußen von 18,1 /, die Stadt Berlin hat gar keinen besonderen Zuschlag, denn sie bezahlt diese Provinzial⸗ kosten aus ihren Kommunalsteuern, die gegenüber anderen Städten bekanntlich recht niedrig sind. Brandenburg hat 10 0/60, Pommern g, 7 /seC, Posen VW, 69 a, Schlesien 11,28 /, Sachsen S, 35 *so,
Schleswig ⸗Holstein 9, 87 /., Hannover 10,50 0/0, Weftfalen 7,8 0/0, Hessen⸗Nassau jusammen 3,50 0/0, die Rheinprovinz 5, ol o/o, Hohen zollern kommt nicht in Betracht.
Wenn wir nun den Antrag von Eynern annehmen, was hat das für eine Folge? Für die Provinz Ostpreußen, die jetzt eine Ge⸗ sammtaus gabe von 1238 000 S hat, würde sich diese bei 30; Verzinsung des zu überweisenden Kapitals um 147 090 , also nicht nennenswerth reduzieren. In der Previnz Westpreußen, die — ich gebe nur runde Zahlen an — eine Gesammtausgabe von 1140 000 4 hat, würde sich diese um 105 000 S6 vermindern. Berlin würde seine Ausgaben um 46000 M vermindern, Brandenburg hat eine Ausgabe von 2 3650 0090 M, diese würde sich um 177 000 M vermindern u. s. w. —, ich will das nicht näher ausführen. Die größte Provinz — Schlesien — würde bei einer Gesammtumlage von etwa 2750 000 S nur um 220 000 M entlastet werden. Das sind Prozentsätze von 1,86, 1,67, O. 76, 1,14 u. s. w. Man sieht also, mit diesem Antrag, der ohne Rücksicht auf Leistungsfähigkeit und Bedarf allen Provinzen nach Maßgabe dez allgemeinen, damals angenommenen Maßstabes von Land und Leuten das Geld zutheilt, wird eine Reihe von Provinzen, deren Bedürfniß nach Hilfe durch die einfachen Zahlen, die ich mitgetheilt habe, widerlegt wird, genau so dotiert wie diejenigen Provinzen, die offenbar durch die Provinzialausgaben schwer belastet sind, und jwar um so mehr belastet, als gleichzeitig in diesen Provinzen auch die Kreisabgaben am höchsten sind, — darauf will ich gegenwärtig aber nicht weiter eingehen.
Was würde der Erfolg sein? Herr von Eynern sagt jetzt: wir haben cinen Ueberschuß von 100 Millionen; das ist aber nicht richtig; nach meiner Schätzung. die sich im Ganzen als zutreffend erwiesen hat, wird er ungefähr zwischen 85 und 90 Millionen betragen; es gehen in diesem Jahre davon aber ab 30 Millionen für die Eisenbahnen, und es bleiben sonach ungefähr 50 Millionen. Kommt nun im laufenden Jahre wieder ein Ueberschuß, so würde er sagen: hier ift wieder ein Ueberschuß; das, was wir im vorigen Jahre gethan haben, hat nicht genügt, folglich nehmen wir den kommenden Ueberschuß und alle kommenden Ueber⸗ schüsse, sei es für diesen Zweck, sei eg für andere Zwecke. Alsdann würde das Gesetz, welches wir, wie ich heute noch mit Dank anerkenne, mit dem größten Eifer unterstützt von den Finanzmännern und den Kennern des Budgets in der nationalliberalen Partei, gemacht haben, sehr bald wieder verschwunden sein.
Ich habe gewiß gesagt: eine Schuldentilgung von ?, 00 ohne zuwachsende Zinsen ist genügend, aber doch nur unter der Voranssetzung, daß wir die Ueberschässe auch zur Schuldentilgung ver⸗ wenden. Wenn wir diese zu anderen Zwecken verwenden, so ist eine solche Tilgung gegen das, was alle anderen Kulturländer leisten, Rußland an der Spitze — der Herr Vorredner hat uns ja das des Näheren dargelegt — doch unzweifelhaft für eine stetig wachsende Schuld — Frankreich macht keine neuen Schulden; wir machen aber jedes Jahr neue — viel zu niedrig, und wir würden wieder reduziert werden auf den geringen Betrag, den wir mit 3 als obligatorisch eingestellt haben, und die ganze übrige Tilgung aus den Ueberschüssen würde verschwunden sein.
Sagen Sie sich mal selbst, meine Herren: Wenn ich mit einem Ueberschuß etatisiere, der nicht aus der Rechnung fließt, wie viel Be⸗ dürfnisse im Lande sind vorhanden, die sich herandrängen! Von allen Seiten wird die Hand ausgestreckt, und Sie werden sich der Sache nicht entziehen können.
Darin liegt gerade der Werth der obligatorischen Tilgung, daß man nicht willkürlich nach den jeweiligen, veränderlichen Wünschen einer Majorität zu anderen Zwecken die disponiblen Mittel verwendet als eben zur Schuldentilgung. Hier ist der erste Anfang gemacht, unter einer sehr milden Form, wie man es bei Herrn von Eynern gewöhnt ist (Heiterkeit), diese Schuldentilzung wieder zu beseitigen, und ich glaube, er würde es auch kaum leugnen, wenn man ihn privatim aufß Gewissen fragen würde. (Heiterkeit.)
Run, meine Herren, ich bin fest überzeugt, daß Sie darauf nicht eingehen werden; aber ich kann Ihnen auch mittheilen, daß, wenn das Haus anders beschließen sollte, dem Antrag von Eynern entsprechend, unter dem ersten Beginn der Beseitigung des Schulden tilgungsgeseges aus den vorhandenen Ueberschüssen diese Summe ju entnehmen, das Staatg⸗Ministerium sich außer stande sehen würde, einem solchen Beschlusse beizutreten. Das Staats⸗Ministerium steht auf dem Standpunkt, daß es seine Pflicht ist, das Schuldentilgunge⸗ gesetz streng und ohne Ausnahme durchzuführen.
Und, meine Herren, betrachten Sie weiter: sollen denn solche Ausgaben durch extraordinäre Hingabe von Geldsätzen, von erspartem Vermögen, was ebenso gut ist, wie keine Schuldentilgung zu machen — und wer Schulden tilgt, verbessert bekanntlich sein Vermögen — oder sollen sie aus den laufenden Mitteln des Staats wie die heutigen Dotatlonen bejahlt werden? Diez ist doch das einzig Rich⸗ tige. Der Heir Vorredner hat schon bierauf hingewiesen und hat mit Recht gesagt: alle diese Ausgaben müssen in allen Kommunen, in allen Verbänden nicht durch Anleihen, sondern durch die laufend auf— kommenden Mittel der Kommunalverwaltung gedeckt werden, und so müssen wir auch verfahren.
Nun, meine Herren, komme ich auf das Positive. Ich glaube, daß der Staat wohl für absebbare Zeit in der Lage ist, die Pro—⸗ vinzialdotationen nach Meßgabe des Antrages, wie er im Herren hause angenommen ist, womit sich auch der Herr Abg. Fritzen ein⸗ verstanden erklärt hat und im wesentlichen auch — nur mit einer etwas anderen Fassung, wenn ich es recht verstanden habe, der Antrag Zedlitz — einigermaßen zu erböben nach den Gesichtspunkten, die in all diesen Anträgen bezeichnet find. Daß das eine sehr schwere Aufgabe sein wird, habe ich im Herrenhause schon ausführlich dargelegt, und das werden Sie selbst füblen; denn es läuft doch mehr oder weniger hinaus auf eine verstärkte Subvention für einen Theil der Provinzen. Berlin ju subventionieren, Hessen⸗Nassau zu subventionieren, die Rheinprovinz mit o/o 1. B. ju subventionieren, dafür kann ich kein dringendes Bedürfniß anerkennen. Es ist sogar für die Provinzialverwaltung ganz nützlich, wenn sie weiß: wenn wir zu opulent verwalten, steigen unsere Ausgaben auch ju unseren Lasten; aber ich erkenne an, bei anderen Provinzen ist das Bedürfniß viel stãrker
Nun wird es ja von dem durchgreifenden Staatsgefühl — darf ich fast sagen — das die beiden Häuser des Landtages bebherrschen wird, abhängen, ob man eine solche verschledene, aber ge— rechte, den Staatgzaufgaben entsprechende Behandlung erreichen
kann. Ich hoffe, daß es gelingen wird. Es sind dazu sehr
viele Ermittelungen, Klarftellungen vieler uns völlig unbekannter
Thatsachen Voraussetzung. Wir haben jetzt schon — der Herr Minsfter des Innern und ich — kommissarische Berathungen ein geleitet, und da wird die erste Frage sein: wie ist die Gesammt⸗« belastung der Provinzen durch Staats-, Provinzial⸗, Kreissteuern u. s. w.“ Wofür sind diese Ausgaben hauptsächlich bestimmt? Wo—⸗ durch ist die starke Steigerung in den Provinzen entstanden? Welches sind die Gründe? Ifst die Provinz vielleicht zu leichtfertig in den Ausgaben gewesen, oder sind die Bedürfnisse so dringend, daß sie sie hat befriedigen müssen durch Steigerung der Einnahmen? Endlich wird man sich auch klar machen müssen, welche Bedürfnisse steigender Natur, und welche Aufgaben der Provinz sind noch zu befriedigen, wofür die Kraft der Provinz allein nicht ausreicht?
Wenn ich mir j. B. vergegenwärtige, daß in der Beziehung schon einige Landes. Direktoren, namentlich der Landes⸗Direktor von Posen, sehr werthvolles Material geliefert haben und auch der Meinung sind, daß der Antrag von Eynern ihnen nicht helfen werde, dann werde ich die Frage erörtern: was ist nach dem gegenwärtigen und praktisch an justrebenden Kulturzustand in dieser Hinsicht an Auegaben für Chaussee⸗ Neubauten erforderlich? Alle diese Fragen müssen nothwendig erörtert werden, und dann wird man vielleicht auch dahin kommen, das hohe Haus ju überzeugen, daß die Vorschläge, die wir machen, nicht nach einem dunklen Gefühl, aus der Luft gegriffen sind, sondern klaren Boden haben und feste Thatsachen. Ich glaube, das wird nothwendig sein, damit wir im Hause uns über eine solche Gesetzgebung verständigen.
Die Staatsregierung ist gewillt, nach Maßgabe der ihr zu Gebote stehenden Mittel und des Bedarfes in dieser Beziehung zu verfahren. Ich möchte um so mehr bitten, da Sie wahrscheinlich nicht im stande sind, detaillierte Vorschläge zu machen, diese Sache noch in dieser Session zur Erledigung zu bringen, damit die Staatsregierung die übereinstimmende Meinung beider Häuser des Landtages zur Seite hat. Ich habe um so mehr Vertrauen, daß wir hierbei zum Ziele kommen, als ich namentlich von Vertretern der westlichen Provinzen — und ich bin überzeugt, Herr von Eynern wird selbst dazu gehören — erfahren habe, daß sie vollständig diesen Standpunkt billigen und bereit wären, den stärkeren Bedürfnissen entgegenzukommen.
Ich kann Ihnen also nur empfehlen, wenn Sie nach dieser Erklärung überhaupt eine Resolution für nöthig halten, das in thun, etwa in dem Sinne des Antrags des Freiherrn von Zedlitz. Ich hatte ursprünglich gedacht, daß es am einfachsten wäre, das hohe Haus hätte sich den im Herrenhause angenommenen Anträgen einfach angeschlossen. Wollen Sie aber eine andere Formulierung, so bat das kein Bedenken. Den Antrag von Eynern bitte ich schon jetzt durch Plenarbeschluß ablehnen zu wollen.
Abg. Dr. Wolff⸗Gorki (kons): Auch wir balten diese An⸗ gelegenheit für sehr wichtig und wünschen eine Berathung der An- träge in der Kommission, damit wir das Material über die Be— lastung der Provinzen prüfen können. Wir würden aber keineswegs dafür zu haben sein, daß den westlichen Provinzen von ihrer Dotation etwaz genommen wird. Wenn uns in der Kommission das Material vorgelegt ist, werden wir boffentlich gemeinsam Wege finden, in besserer Weise als bisher die Provinzial ⸗Dotation zu regeln.
Abg. Stengel lfr. kons.): Es wird ja Kommissionsberathung beschlossen werden, ich empfehle daher nur kurz den Antrag meiner Fraktion. Ist die Finanzfrage wirklich so günftig, daß man auf die Schuldentilgung verzichten und den Ueberschuß nach dem Antrage von Eynern verwenden kann? Der günstige Zustand der Finanzen ist durch die Ueberschüsse der Betriebsverwaltungen, namentlich der Eisenbahnverwaltung, herbeigeführt worden, wir baben aber mit wellenartigen Bewegungen zu rechnen, durfen nicht vergessen, daß wir noch vor wenigkn Jahren mit Defizits zu kämpfen hatten, und müssen uns darauf gefaßt machen, daß solche Zustände wiederkehren können. In der Eisenbahnverwaltung treffen wir jetzt viele Einrichtungen, wie Babnhofsbauten ꝛe., die eigentlich schon früher hätten gemacht werden müssen. Wenn man sich die gesammte Finanzlage klar machen will, muß man die Schuldenlast der einjelnen Jahre mit einander vergleichen. Am 31. März 1892 hatten wir 6057 953 000 M Schulden und am 31. März 1899 6600176 000 4 Schulden, unsere Schulden sind also noch gewachsen. Den neuen Anleihen stehen allerdings große Beschaffungen der GEisen⸗ bahnverwaltung gegenüber, aber nicht immer ist das Kapital des Staates werbend angelegt. Ich möchte 3 B. denjenigen im Hause sehen, der in dem Dortmund ⸗Ems⸗Kanal, für den wir 80 Millionen ausgegeben baben, einen werthvollen Besitz des Staates siebt. Herr von Eynern will den Ueberschuß den Provinzen zuwenden. Bei der Etamsberathung hat uns aber Herr Sattler eine große Liste von neuen Aufgaben vorgetragen, die der Staat er⸗ füllen soll. Woher soll man aber das Geld dazu nehmen, wenn man es den Provinjen überläßt? Dan haben die Herren noch große Pläne in Bezug auf die Verkehrsverhält-⸗ nisse. Wenn den Provinzen in einem Jahre 50 Millionen überwiesen werden, dann werden sie im nächsten Jabre wiederkommen. Bei dem Gesetz von 1876 sind thatsächlich einige Provinzen recht schlecht weg⸗ gekommen, die damalige Vertheilung nach der Wegebaulaft ist nicht richtig gewesen; die Provinzen, die wenig Chausseen hatten, kamen dabei ju kurz. Die Provinz Posen bekommt nur 401 000 M., Hannover dagegen 1,8 Millionen, Westfalen 17 Millionen. Unser Antrag verfolgt eine andere Richtung, als der des Herrn von Eynern, und ich boffe, daß unser Antrag zur Annahme gelangen wird.
Abg. Ehlers (fr. Vgg.): Ich boffe auch, daß wir uns in der Kommission verständigen können. Für den Antrag von Eynern können wir nicht eintreten. Am drückendsten ist die Steuerlast in den Kommunen, und außerdem ist sie in den einzelnen Landestheilen sehr verschieden. Daher würde das Uebel durch die Vertheilung nach dem Antrage von Eynern nicht behoben werden. Der Antrag der Freikonservativer, der in besseter Weise den Beschluß des HDerrenhauses wiedergiebt, jeigt den richtigen Weg und enthält einen theoretisch richtigen Maßstab. 36 hoffe aber, daß aus der Kommission nicht das negative . herauskommt, daß man sagt: ein vollkommen richtiger Maßstab läßt sich nicht finden, und solange der nicht gefunden ist, können wir keine weiteren Staatemittel den Provinzen überweisen. Ich würde ein solches Ergebniß außerorden lich bedauern. Die kommunalen Ver- bände, namentlich in den östlicen Propinzen, sind mit ibrer sinan- ziellen Leistung fähigkeit am Ende. Es wäre ein Ziel, innig ju wünschen, wenn man den Kommunalverbänden zu Hilfe kommen . see. es wird schwierig sein, einen richtigen Vertheilungsmaß⸗
ab zu finden.
Abg. Dr. Freiberr von der Goltz (kons.): Dag statisti Material jeigt eine dauernde Steigerung der Provinziallasten. Dle Schulden der Provinzen im Osten sind pro Kepf von einem Minimum bis ju 11,3 M gestiegen. In manchen Theilen der westlichen Pro⸗ vinzen giebt es dagegen gar keine Kreigabgaben. Neben den großen Wegebaulasten hat der Staat den Provinzen neue Aufgaben auf dem Gebiet des Schulwesens, der Irrenanstalten, des Hebeammenweseng zc. zugewiesen. Die Provinzen sollen alte Unterlassungssünden des Staats wieder gut machen. In der schweren Belastung der Kreise und Kommunen liegt auch ein Grund der Landflucht der ländlichen Arbeiter. Kann man es den Leuten verdenken, daß sie dahin ziehen, wo sie 6 . Abgaben und alle Genüsse des Lebens haben? Die Kommunallastea fteigen fortwährend durch die Maßnahmen der
Staatsverwaltung, 1. B. durch Meliorationen, landwirthschaftliche
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