1900 / 113 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 11 May 1900 18:00:01 GMT) scan diff

*

Polizelbehörden ohne eine solche Strafbefugniß gegenüber den Berufs- enossenschaften eine unwürdige Stellung angewiesen erhalten würden. nfeblbar seien doch auch die Polizeibehörden nicht, denn weit mehr

auf diese als auf die . komme es hier an. Den

Gewerbeauffichtsbeamten stehe bigher kein direktes Strafrecht zu; es

wäre widerfinnig, ihnen gerade den Berufsgenossenschaften gegenüber

ein Strafrecht zu ertheilen, und wiederum nur in dem Falle, wenn die Berufsgenossenschaften die Gesetze, die sie sich selbst gegeben haben, nicht befolgen. Wolle man den Gewerbeaufsichtzbeamten aber allgemein eine Strasbefugniß geben, so müsse man die Gewerbeordnung ändern. Abg. 3 von Stumm (Rp.; schwer verständlich) be—⸗ hauptet, daß ein Bezirks. Präsident im Ellaß eine Verfügung er lassen habe. welche geeignet gewesen sei, die Zahl der Unfälle zu ver mehren, da französische und italienische Arbeiter, welche des Deutschen nicht mächtig seien, in Frage kämen. Diese Verfügung sei der zu⸗ ständigen südwestdeutschen Gisen, und Stahlberufggenossenschaft nicht vorher mitgetheilt worden. Es wäre sehr erwünscht, wenn die Rechte der Genossenschaften in dieser Beziehung besser gewahrt würden. Nach einer kurzen Erwiderung des Abg. Mol ken buhr auf die Ausführungen des Abg. Roesicke spricht der Abg. Pr. Hitze (Zentt. sein Bedauern darüber aug, daß auf die Mittheilungen des Abg. Freiherrn von Stumm keine Antwort vom Bundesrathgtische erfolgt sei. Direktor im Reichsamt des Innern Dr. von Woedtke: Es ist beim Reichskanzler keine Beschwerde in dem bezüglichen Falle ein⸗ egangen.

9 Abg. Freiberr von Stumm: Dann werde ich die Südwest⸗

deutsche Berufsgenossenschaft veranlassen, eine direkte Beschwerde an

den Reichskanzler zu richten.

Unter Ablehnung des sozialdemokratischen Antrages wird § 81 unverändert nach den Kommissionsvorschlägen an⸗ genommen. . ; Nach 5 82 sind die Berufsgenossenschaften verpflichtet, für die Durchführung der Unfallverhütungsvorschriften Sorge zu tragen. Sie sind befugt, durch . Aufsichtsbeamte die . dieser Vorschriften zu überwachen; sie sind ferner befugt, durch Rechnungsbeamte behufs Prüfungen der Arbeiter⸗ und Lohnnachweisungen diejenigen Geschästsbücher und Listen einzusehen, aus welchen die i der beschäftigten Arbeiter und Beamten und die Beträge der verdienten Gehälter und Löhne ersichtlich werden.

Abg. Freiherr von Stumm beantragt, in diesem § 82 die Vorlage wiederherzustellen, welche nicht von technischen Aufsichta⸗ beamten ! und Rechnungsreamten!ꝰ als von zwei verschiedenen Kategorien spreche, sondern nur „Beauftragte“ kenne, welche beide Funktionen wahrzunehmen hätten.

Ein Antrag der Abgg. Albrecht und Genossen will die Verpflichtung lstatt . der Berufsgenossenschaften zur Ueberwachung der Befolgung der erlassenen Vorschriften durch technische Aufsichtsbeamte aussprechen; ferner sollen die Beauftragten zur Hälfte von den Vertretern der Arbeiter und zur Hälfte von den Vertretern der Unternehmer gewählt werden; über ihre Thätigkeit und die dabei gemachten Be⸗ obachtungen sollen sie alljährlich dem Genossenschaftsvorstand einen Bericht vorlegen, der veröffentlicht werden muß; endlich soll den Vorständen der Krankenkassen das Recht zu⸗ stehen, die Befolgung der zur Verhütung von Unfällen und zum Schutz von Leben und Gesundheit erlassenen Vorschriften zu überwachen.

Abg. Hoch (Soz.) tritt für diesen Antrag ein. Nicht die Ent⸗ schädigung für den erlittenen Unfall, sondern die Verhütung der Un⸗ fälle, die vorbeugende Thätigkeit der Gesetzgebung, der Verwaltung und der direkt Betheiligten sei für den Arbelter die Hauptsache. Die bloße Befugniß der Genossenschaften, die Betriebe zu konteolieren, nütze nichts: es sei schon daigethan, daß die Zahl der von den Berufs⸗ genossenschaften angestellten „Beauftragten! absolut ungenügend sei, daß sie gerade so wenig wie die Gewerbe ⸗Aufsichtsbeamten im stande wären, auch nur einen namhaften Theil sämmtliwer Betriebe zu 1 Auf jeden dieser Beauftragten kämen im Jahre 2660

etriebe.

Direktor im Reichsamt dez Innern Dr. von Woedtke hält dem Vorredner entgegen, daß speziell für die Bauarbeiter das Reichs⸗ amt des Innern die Anregung zum Erlaß von Verschriften zum Schutz von Leben und Gesundheit wiederholt gegeben habe. Es sei überhaupt stets der feste Wille bekundet worden, bei Durchführung dieser Seite der Unfallgesetzgebung noch mehr zu thun, als das Gesetz bei strikter Auslegung vorschreibe. Es sei auch auf die Mit—⸗ wirkung der Arbeiter bei dem Erlaß der bezüglichen Anord⸗ nungen für Bauten binßgewirkt worden. Ein großer Theil der Aus⸗ fübrungen des Abg. Hoch sei daher hinfällig. Der Abg. Hoch habe übrigens selbst anerkannt, daß einiges seitens der Berufsgenossen⸗ schaften gescheben sei; was wolle er denn mehr? Die ganze Gesetz⸗« gebung sei doch noch eine verhältnißmäßig junge. Es würde ein unglaublicher Zustand der Verwirrung eintreten, wenn jeder Kranken⸗ kasse das Recht der Kortrole der erlassenen Vorschriften beigelegt erer, am allerwenigften wüde damit den Arbeitern selbst genützt werden.

Abg Roe sicke. Dessau: Die Meinung des Freiherrn von Stumm, daß der technische Aufsichtebeamte und der Rechnungsbeamte noth⸗ wendig zwei verschiedene Personen sein müssen, trifft nicht zu, in den sachverständigen Kreisen wird darüber nur Heiterkeit entstehen. In der Kommission hat kein Mensch daran gedacht, daß die Berufe⸗ genossenschaften etwa nicht berechtigt sein sollten, einer und derselben Persönlichkeit belde Funktionen zu übertragen. Die Vorwürfe des Abg. Doch gegen die Berufegenossenschaften wegen ihrer passiven Haltung bezüglich der Unfallverhütung sind in dieser Allgemeinheit bei weitem nicht berechtigt. Auch die Mitwirkung der Arbeiter ist in dem gegenwärtigen Gesetz erheblich erweitert, die Vertreter der Arbeiter nehmen ja bei der Berathung und Beschlußfafsung über die zu erlassenden Unfall verhütungszvorschriften mit vollem Stimmrecht und in gleicher Anzahl wie die betheiligten Vorstandsmitglieder theil. Berichte erstatten die Beauftragten ihren SGenossenschaftsvorständen schon jetzt nicht nur jährlich, sondern womöglich allmonatlicch; was es aber für einen Zweck haben soll, diese Berichte zu veröffentlichen, kann ich nicht einsehen.

Abg. Freiherr von Stumm beantragt, au Stelle seines ursprünglichen Antrages folgenden Zusatz zu § 82 zu beschließen: Die Funktionen der technischen Aufsichtsbeamten und der Rechnungsbeamten können in einer Person vereinigt werden.“

Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:

Ich will nur eine kurje Bemerkung gegenüber den Ausführungen des Herrn Abg. Freiherrn von Stumm machen, welche mit dem An— trag zusammenhängt, den er jetzt eben gestellt hat. Meines Erachtens soll durch diese Bestimmung, nach welcher technische Beamte und Rechnundsbeamte von den Berufsgenossenschaften anzustellen sind, nur erreicht werden, daß einerseitz die Berufsgenossenschaften über Beamte verfügen müssen, welche die volle technische Sachkenntniß besitzen, um sie zu befähigen, mit Erfolg die verschiedenen Fabriken und industriellen Anlagen ihres Bezirks zu revidieren, daß es andererseits aber im dringenden Interesse der Berufsgenossenschaften selbst liegt, auch Beamte zu haben, die diejenigen Kenntnisse auf rechnerischem Gebiet besitzen, um mit Erfolg das Finanzwesen und vor allen Dingen das Kassenwesen der Berufsgenossenschaften zu prüfen. Ich glaube, daß es verhältnißmäßig selten vorkommen wird, daß diese beiden Eigen schaften sich in einer Person vereinigt finden. Der Name, meine Herren, thut bei der ganzen Funktion nichts zur Sache; das Wesent⸗

liche ist, daß beide Kategorien sachverständig sind und auch das nöthige Maß persönlicher Selbständigkeit besitzen. Ich bin aber der Ansicht und das deckt sich mit den Anträgen des Herrn Abg. Freiherrn von Stumm —, daß es keineswegs ausgeschlossen ist, daß, wenn ein Rechnungsbeamter gleichzeitig die ausreichenden technischen Kenntnisse oder ein technischer Beamter gleichzeitig die ausreichenden rechnerischen Kenntnisse besitzt, dann eine Berufsgenossenschaft die Funktionen beider Beamten in einer Person vereinigt; denn es hätte in der That keinen rechten Sinn, wenn eine Beruftgenossenschaft für zwei Beamte eines bestimmten Bezirks sie kann ja kleinere Inspektions⸗ bezirke bilden keine Beschäftigung hat und die nöthigen Voraus setzungen für die Ausübung beider Beschäftigungen sich in einem Beamten vereinigt finden, daß sie nicht auch beide Funktionen einem Beamten übertragen könnte.

Ob es noch nothwendig ist, das im Gesetz auszudrücken oder nicht, das stelle ich anheim. ;

Abg. Dr. Hitze (Zentr.): Die Anträge der Sozialdemokraten und die dazu gebaltenen Reden können nicht den Zweck haben, eine Majorität zu finden, nachdem alle Anträge schon in der Kommission gegen ihre Stimmen abgelehnt worden sind. Die Wiedereinbringung der Anträge und die Reden dazu sind bestimmt, nach außen hin zu wirken. Ich habe an sich nichts dagegen, ich kann Ihnen dieses Recht natürlich auch jötzt nicht nehmen; aber ich würde es für un⸗ verantwortlich halten, wenn wir etwa in gleicher Weise handelten und dadurch die Gefahr heraufbeschwören würden, daß auch diesets Jahr aus dem Gesetze nichts wird. Wir stehen im siebenten Tage der Berathung; wir sind Ihnen, soweit es ging, entgegengekommen, wir haben zwei Anträge von Ihnen angenommen. Wenn wir aber in gleicher Weise Ihnen antworten wollten, unsere Anschauungen in derselben Weise vorbrächten, so käme sicher das Gesetz in diesem Jahre nicht zu stande, und die verbündeten Regierungen haben erklärt, sie würden, wenn jetzt nichts zu stande käme, das e. nicht wieder vorlegen. Starke Strömungen sind im Lande und selbft im Hause, welche dieses Gesetz nicht begrüßen; es ist auch jetzt noch Gefahr im Verzuge. Wir müssen Ihre Reden anhören, aber wir müssen verzichten, Ihnen in derselben eingehenden Weise zu erwidern. Das ist das gtößte Opfer, welches wir uns auferlegen können. Wir hoffen, daß die Arbeiter draußen, welche unseren Stand⸗ punkt theilen, unsere Haltung auch verstehen werden. Dächten wir nicht an die christlichen Arbeiter, so könnten wir leicht der Versuchung unterliegen, auch endlose Reden zu halten, bis alles sich in Gemüth⸗ lichkeit auflöst und der Reichstag sich vertagt. Nach Herrn Hoch wäre es ganz werthlos, daß ez jetzt heißen soll, die Berufszenossenschaften sind verpflichtet“, statt befugt“, für die Durchführung der Unfall derhütungsvorschriften zu sorgen. Wo bleibt da die Logik? Ich habe keineswegs in der Kommission gesagt, es liege diese Fassung des 5 82 durchaus im Interesse der Unternehmer; ich habe dort er⸗ klärt, die Umwandlung der Befugniß in die Verpflichtung liege im Interesse der Berufsgenossenschaften. Wenn Sie solches Miß⸗ trauen in die Berufsgenossenschaften überhaupt setzen, so können Sie doch auch den Berichten ihrer Beauftragten kein Vertrauen schenken. Wenn die Krankenkassenvorftände selbständig Unfallverhütunge⸗ vorschriften zu erlassen und deren Befolgung zu überwachen berechtigt sein sollen, so würde dadurch thatsächlich ein unglaublicher Wirrwarr entstehen. In Berlin sind beispielsweise Hunderte von Krankenkassen; über die Kon petenz derselben ist kein Wort in dem Antrage gejagt. Solche Anträge stellen Sie, und damit wollen Sie Staat machen vor dem Lande. Da kommen Sie mit großen Deklamationen über die Unfruchtbarkeit der Kommissionsverhandlungen! Eine solche Politik liegt nicht im Interesse des deutschen Arbeiterstandes. Wir werden dafür sorgen, daß das Gesetz zu stande kommt; damit haben wir für die Arbeiter etwa geleistet, aber nicht durch endlose Reden!

Abg. Freiherr von Stumm ziebt in Zweifel, ob der von dem Abg. Hoch ins Feld geführte Gewährsmann, Professor Hartmann, mit dem vollständigen statistischen Material für die Fällung eines zu⸗ treffenden Urtheils ausgerüstet gewesen sei. Redner hebt dann zur Vertheidigung seines Antrages heryor, daß aus dem Wortlaut des Gesetzes kaineswegs umweideutig sich ergebe, daß der technische Auf⸗ sichtsbeamte und der Rechnungsbeamte physisch dieselbe Person sein könnten.

Abg. Hoch polemisiert zunächst geger den Abg. Hitze, wendet sich darauf gegen die Ausführungen des Direttors Dr. von Woedtke und betont, daß seine Partei das Hauptgewicht auf die Kontrole der Betriebe lege.

Abg. Dr. Hitze erllärt auf die Ausführungen des Vorredners nicht weiter eingehen zu wollen; er habe ein gutes Gewissen.

Unter Ablehnung der sozialdemokratischen Anträge wird §z 82 mit dem vom Abg. Freiherrn von Stumm beantragten Zusatz angenommen.

sz 934 überträgt die Feststellung der Entschädigungen der in den Ausführungsvorschriften zu bezeichnenden Behörde.

Abg. Fischer ⸗Sachsen (Soz.) vertritt einen Antrag, der bei dieser Festftellung die Hinzuziehung von Arbeitern vorsieht.

Der Antrag wird abgelehnt und S 934 unverändert an⸗ genommen.

Die 95 ff. handeln von der Haftung der Betriebs⸗ unternehmer und Betriebsbeamten. 5 S5 bestimmt:

die nach Maßgabe dieses Gesetzes versicherten Personen und die in 6a his 64d bezeichneten Hinterbliebenen können, auch wenn sie einen Anspruch auf Rente nicht haben, einen Anspruch auf Ersatz des insolge eines Unfalles erlittenen Schadens gegen den Betriebsunternehmer, dessen Bevollmächtigte . nur dann geltend machen, wenn durch strafgerichtliches Urtheil festgestellt worden ist daß der in Anspruch Genommene den Unfall vorsätzlich herbei⸗ geführt hat.“

Abg. Stadthagen (Sor) beantragt, die Bezugnahme auf die SF 5a bis 6d bezüglich der Hinterbliebenen zu streichen. Es sei im böchsten Grade bedenklich, ohne das geringste Aequivalent den Arbeitern ein Recht zu nehmen, das man sonst aus allgemeinen Ge- rechtigkeitsgründen anerkanat habe. Ferner wünsche der Antrag, daß die Haftung des Unternehmers auch dann eintreten solle, wenn der Inanspruchgenommene durch Fahrlässigkeit mit Außerachtlassung der- jenigen Aufmerksamkeit, zu der er vermöge seines Amts, Be⸗ rufs oder Gewerbes besonders verpflichtet wäre, den Uafall herbeigeführt habe. Diese Forderung sei um so gerechtfertigter, als die Unternehmer aus diesem 3 große materielle Vortheile ziehen würden. Je geringer die Entschädigung sein würde, um so höher auch die Zabl der Uafälle. Selbft der Kaiser habe seiner Zeit im Landes Ockonomiekollegtum die große Zahl dieser Unfälle gerügt und die schärfsten Maßregeln dagegen empfohlen, und nament- lich auch, daß von der Begnadigung in Fällen der Fahrlässigkeit des Unternehmers nur in den seltensten Fällen Gebrauch gemacht werden solle. Das Gesetz würde ein Ausnahmegtsetz gegen die Arbeiter und ein Gesetz zu Gunsten der Unternehmer sein, wenn die Anträge nicht angenommen würden.

8 95 wird unter Ablehnung des sozialdemokratischen An⸗ trags angenommen.

8g 96 sieht vor, daß diejenigen Betriebsunternehmer, Be⸗ vollmächtigte ꝛc, die den Unfall herbeigeführt haben, für alle Aufwendungen haften sollen, welche infolge des Unfalls auf Grund dieses Gesetzes oder des Krankenversicherungsgesetzes von den ier sistin. Gemeinden oder Krankenkassen ge⸗ macht worden sind.

Abg. Freiherr von Richthofen⸗Damsdorf (2. kons.) will auch die Armenverbände und sonstigen Unterstützungekassen berück⸗ sichtigt sehen.

Die Abgg. Albrecht und Genossen beantr . den S 96 zu . ech eine Bestimmung, wonach 464

Urtheil gegen den fahrlässigen Betriebsunternehmer 2c. zugleich

auf eine Buße bis zu 6000 Mιε zu erkennen ist, die an den Verletzten und die ö u zahlen ist, zu deren Unterhalt der Verletzte gesetzlich verpflichtet war.

Abg. Stadthagen befürwortet auch diesen Antrag im Interesse der Verringerung der Unfälle auf die Gefahr bin, daß das Gesetz den Berufsgenossenschaften unschmackhaft werden sollte. Die Regierun könne gegen den Antrag nicht sein, wenn sie sich nicht in Widerspru mit der Kaiserrede setzen wolle.

§z 96 wird mit der von dem Abg. . von Richt⸗ hofen beantragten Ergänzung unter Ablehnung des Antrages Albrecht angenommen.

Nach ., Abs. 3 kann die höhere Verwaltungs behörde bestimmte Gemeindebehörden als untere Verwaltungsbehörde im Sinne des § 57 Abs. 3 . und mit der Wahr⸗ nehmung der dort vorgesehenen Geschäfte betrauen.

Der Absatz wird auf Antrag des Abg. Freiherrn von Richthofen gestrichen und der Rest des Gesetzes angenommen.

Damit ist die zweite Berathung der Novelle zum Gewerbe⸗ Unfallversicherungsgesetz beendet.

Schluß 616. Uhr. Nächste Sitzung Freitag 1 Uhr. sFortsetzung der zweiten Berathung der Novellen zu den Unfallversicherungsgesetzen Land⸗ und gönn hae ,

Preußzischer Landtag. Herrenhaus.

10. Sitzung vom 10. Mai 1900, 1 Uhr.

Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Ueber die Petition des Hannoverschen Städtevereins um Beseitigung der Kommunal⸗Steuerprivilegien der Geistlichen, Beamten und Elementarlehrer be⸗ antragt der Berichterstatter, Ober-Bürgermeister Oertel⸗ Liegnitz, in Anbetracht dessen, daß eine gleiche Petition erst im vorigen Jahre dem Herrenhause vorgelegen hat, zur Tages⸗ ordnung überzugehen.

Ober⸗Bürgermeister Fuß ⸗Kiel beantragt, die Pention als Material zu überweisen.

Ober⸗Bürgermeister Struckmann spricht sich für diesen Anttag aus. Es stehe schon im 6 . daß diese Frage ge—⸗ regelt werden solle. Das Haus müsse seine Zustimmung dazu aus sprechen, daß die Regierung sie erledige.

Freiherr von Maltzahn bemerkt, daß das Herrenhaus sich da⸗ gegen wehren müsse, daß es immer mit denselben periodisch wieder kehrenden Petitionen beschäftigt werde.

Das Haus beschließt den Uebergang zur Tagesordnung.

Ueber mehrere Petitionen vom Handwerkermeisterverein in Halle a. S. und von anderen um Abänderung des Kommunal⸗ abgabengesetzes zur Vermeidung der steuerlichen Ueber⸗ bürdung des Haus- und Grundbesitzes beantragt der Berichterstatter Ober⸗Bürgermeister Oertel zur Tages⸗ ordnung überzugehen; das Haus beschließt demgemäß.

Es folgt die Berathung und Beschlußfassung über die geschäftliche Behandlung des Gesetzentwurfs, betreffend die Bildung der Wählerabtheilungen bei den Ge— meindewahlen.

Graf Botho zu Eulenburg will sich materiell nicht auf die Sache einlassen und beantragt die Ueberweisung der Vorlage an eine Kommission von 15 Mitgliedern.

Ober⸗Bürgermeister Becker: Ich erkenne das Bedürfniß nach Abänderung des Kommunalwablrechts an, ebenso oaß der Entwurf gegen den früheren verbessert ist, indem nur Gemeinden über 10000 Seelen davon berührt werden. Trotzdem bin ich von der Vorlage nicht befriedigt, weil der Minister das Durchschnittsprinziv mit über⸗ nommen hat. Duich die Steuerreform hat sich allerding die Zahl der Wähler 1. und 2. Klasse vermindert, aber in der Praxis ist doch keine pluto⸗ kratische Wirkung der Steuerreform bemerkbar gewesen, weil die Ver⸗ treter die er beiden Klassen, namentlich auch im Rheinland, es niemals an Objektivität haben fehlen lassen. Durch die Verbesserungen Ter jetzigen Vorlage gegenüber der rorjährigen, namentlich durch die Bꝛischränkung auf die Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern, werden die Hauptbedenken der rechten Seite des Hauses wesertlich beseitigt sein. Das reine Durchschnitteprinziv des vorjibrigen Gesetz⸗ entwurfs hatte große Bedenken gegen sich; wenn die Eiwerbe— verhältnisse zurückgeben, sinkt der Durchschnitt immer mehr und kommen Elemente in die 2. Klasse, die nicht dahin gebören. In Köln befinden sich jetzt 159 Handwerker in der 2. Klasse, bei der Zwölftelung würden es 356 sein, bei dem Durchschnittspriazip 738; bei den Wirthen und Bierbrauern stellen sich die Zablen auf 121, 269 und 445, bei den Privatbeamten auf 197, 189 urd 312, bei den Subalternbeamten auf 5, 44 und 95. Und sehen wir uns die Zahlen dersenigen Wähler an, welche nicht gewäblt haben, so haben nach dem jetzigen Wahlrecht in der 2. Klasse in Köln nicht gewäblt 664, bei der Zwölftelung hätten nicht gewählt 717 und bei dem Durchschnittz.« prinzip 3054. Man will den Mittelstand in die zweite Klasse hineinbringen, aber die Geschichte der Stadt Köln hat gezeigt, daß in der Zeit der Herrschaft der Innungen schlecht gewirtbschaftet wurde. Ein Kardinalfedler des Gesetzes ist es, daß den Gemeinden die Wahl des Systems überlassen bleiben soll. Un das Orts- statut wird heftig gestritten werden, und beide Parteien im Rheinland ringen doch um den Sieg. Die ortsstatutarische Regelung steht im Widerspruch mit der allgemeinen Städteordnung. Die zehnjährige Frist für die Abänderung des Ortsstatuts kann eine nothwendige Aenderung erschweren. Die Zweidrittelmebrbeit bietet kene Garantsle, wenn diese Mehrheit da ist, sie eischwert es nur einer Partei, diese Mehrheit zusammenzubringen. Nun sollen die Drei⸗ und Sechsmärker nicht mitgerechnet werden; allerdings ein richtiger Gedanke, weil er den Durchschaitt etwas erböht, aber schon dadurch wird das Durchschnittsprinziv durchbrochen. Die Vorlage ist ein der Statiftik angepaßtegs Gelegenheitsgesetz, Sobald die wirthschaftlichen Verhält- nisse wieder zurückgehen, verschiebt sich das ganze Verhältniß. Nach alledem kann ich nur für die Zwölftelung sein, welche sich dem ganjen System am besten anpaßt. Vaß sich die Wirkungen der Vorlage in kurzer Zelt wieder verändern, wird viel mehr bei dem Durchschnitts- prinzip. auch bei dem potenzierten Durchschnittsprinzi, als bei der Zwölftelung möglich sein. Der vom Abgeordnetenhanse hinzugefügten Zalassung der Abstimmungsbezirke bitte ich zuzuftimmen. Mit der eberweisung der Vorlage an eine Kommission bin ich ein verstanden.

Minister des Innern Freiherr von Rheinbaben:

Der Herr Vorredner hat im Eingang seiner Ausführungen zwar ein Bedürfniß zur Abänderung unseres Gemeindewahlsystems an— erlannt, dann aber im Einzelnen die Art bemängelt, in der versucht worden ist, Remedur zu schaffen. Er hat den Auzdruck gebraucht, daß die Vorlage ein an die Statistik angepaßtes Gelegenheitsgesetz sei. Dieser Auffassung bedaure ich widersprechen zu müssen. Meine Herren, es handelt sich nicht um ein Gelegenbeitsgesetz, sondern es handelt sich darum, ein von der Staatsregierung wiederholt und feierlich gegebenes Versprechen einzulösen und einigen Klassen unserer Bevölkerung, namentlich dem Mittel- stande, das Maß von Wahlrecht einzuräumen, das ihnen vor der

Lonmun

alsteuerreform justand, und das ibnen nach ihrer ganzen Be⸗ in unserer sozlalen Gliederung gebührt. Ich werde mir er Ihnen einige Daten in dieser Beriehung anzufübren, um zu

deutung lauben, beweisen, daß

bessernde Hand

es in der That ein dringendes Bedürfniß ist, hier die anzulegen, und daß es sich nicht um ein bloßes Ge⸗ andelt. Aus den Materialien, zu der vorigen Vor⸗ . wie sich die Verhältnisse in einzelnen, namentlich großen Gemeinden gestaltet haben, wie sich die verschiedenen Wähler ebtheilungen jusammensetzen, und in dieser Beziehung bitte ich nur, für einige Großstaͤdte Ihnen gewisse Daten mittheilen zu dürfen. Meine Herren, in Berlin stellt es sich so, daß von der Gesammt⸗ heit der Wähler nur o, 31 0;0, also noch nicht ein halbes Prozent, die erste Abtheilung bildet, 2680/0 die zweite Abtheilung und 970 / die dritte Abtheilung. Also noch nicht 3 0 der Bevölkerung beherrschen die zweite Abtheilung, und 97 Yao finden sich in der dritten Ab— theilung zusammengedrängt, während vor der Steuerreform die dritte Abtheilung 91 e/o umfaßte. In Breslau umfaßt die erste Abtheilung 1,9 o, die mweite 5, 8h o/ 0 und die dritte gz M0 /o; bler ist eine ähnliche Verschiebung bei der dritten Ab— theilung um 1000 eingetreten, indem vor der Steuerreform jn der dritten Abtheilung 8580 der Waäͤhler stimmten, während die Zabl nach der Steuerreform auf 93 0so gestiegen ist. In Magdeburg wählen in der ersten Abtheilung nur 1,13 o, in der jweiten 6, 60 o/o, während die dritte 9227/9 umfaßt, und zwar ist auch hier eine weseniliche Verschlimmerung gegen den früheren Zuftand eingetreten, indem im Jahre 1891 noch 87, 90 ο in der dritten Ab— thellung enthalten waren. In Köln stellen sich die Sachen ähnlich, auch dort ist die dritte Abtheilung, die im Jahre 1891 nur 79 0lsoo der Wähler umfaßte, bis auf 20/0 emporgeschnellt. In Barmen enthält die erste Abtheilung O, Sy, die zweite 6650, die dritte 9g2, 61 Co, während vor der Steuerreform nur 77,22 0/0 in der dritten Ab theilung wählten. Es ist also eine breite Klasse der Be— völkerung, die früher der zweiten Abtheilung angehörte, aus der zweiten in die dritte Klasse herabgedrückt worden. In Halle liegt die Sache ganz ähnlich, auch dort waren vor der Steuerreform 790so der Wähler in der dritten Klasse, jetzt ist diese Ziffer auf g3 0/9 ge⸗ stiegen. Aber noch bezeichnender für die Zusammensetzung der Wähler⸗ abtheilungen als diese Prozentsätze sind die Ziffern der Steuerbeträge, mit denen man früher und jetzt in die zweite Abtheilung gelangt. Unter dem Einfluß der Steuerreform ist der Einkommensteuersatz, mit dem man in die zweite Wahlklasse gelangen kann, immer gestiegen. Ich weise darauf hin, daß in Berlin erst ein Mann, der 1095 M Steuer zahlt, in die zweite Klasse kommt. Das ist der unterste Steuerzahler der zweiten Abtheilung, und ich wage zu behaupten, daß es sehr weite Kreise des Mittelstandes giebt, welche weniger als 1095 6 Steuer zahlen, und die der jwelten Abtheilung angehören sollten und nicht der dritten, und die dennoch durch die Gestaltung der Dinge von der jweiten Abtheilung aus— geschlossen sind. In dem von dem Herrn Cree ure en Be . behandelten Fall in Köln stellt sich die Sache so, daß der unterste Steuerzahler 646 M Steuer zahlt, in Königsberg 5864, in Stettin 606, in Elberfeld 714, in Essen 1182 4A

Meine Herren, ich will Sie nicht ermüden, indem ich die ganze Liste vortrage; aber ich glaube, die wenigen Daten, die ich mir mit⸗ jutheilen erlaubte, beweisen, daß eine plutokratische Ent wickelung der Verhältnisse in den Gemeinden, nameatlich in den größeren Gemeinden, statigefunden hat, die es dringend noth⸗ wendig macht, hier eine Besserung eintreten zu lassen und den mittleren Klassen unserer Bevölkerung wieder das Maß von Wahl⸗ recht einzutäumen, das sie vor der Steuerreform besaßen. Der Herr Ober⸗Bürgermeister Becker hat als Vorzuz hervorgehoben, daß die Vorlage sich nicht wie die vorige auf alle Gemeinden der Monarchie erstrecke, sondern sich auf Gemeinden über 10 000 Seelen beschränke, und ich kann diese Anerkennung mit Dank entgegennehmen. Auch ich erblicke darin einen Vorzug gegenüber der vorigen Vorlage, weil diese plutokratische Verschiebung überwiegend in den großen Städten sich vollzogen bat, in geringerem Maße in den mitt— leren und in noch geringerem in den kleineren Gemeinden. Gewiß sind in den einzelnen Gemeinden, namentlich da, wo sich plötzlich eine lebhafte Industrie etabliert hat, auch erhebliche Ver⸗ schiebungen in den Wähler ⸗Abtheilungen eingetreten, aber das bildet doch nur die Ausnahme. Im allgemeinen kann man sagen, daß in den kleineren Gemeinden, und namentlich in den Landgemeinden, eine derartige plutokratische Zaspitzung nicht erfolgt ist, und deshalb haben wir es für richtig gehalten, diese klelnen Gemeinden aus der ganzen Regelung herauszulassen, um die damit unzweifelhaft verbundene Auf⸗ regung von diesen kleinen Gemeinden fernzuhalten.

Der Herr Obem⸗Bürgermeister wendet sich nun hauptsächlich gegen den Grundgedanken des Gesetzes, das Duichschnitteprinzip, indem er die Zwölftelung für das allein richtige Prinzip hält. Meine Herren, ich glaube, wir konnen mit Engelsjungen reden, ein Prinzip, was ab— solut richtig ist, was jede injelne Gemeinde so richtig trifft, wie wir es wünschen, giebt es überhaupt nicht (sehr richtig!, und die Er— mittelungen, die wir angestellt haben, beweisen, glaube ich, zur Cvidenz, daß bei der außerordentlich großen Verschieden⸗ heit der Verhältnisse in unserem Vaterlande, bei der großen Verschiedenbeit der sozialen, der wirtbschaftlichen, der politischen Verbältnisse sich überbaupt ein Maßstab nicht finden läßt, der das große Ziel erreicht, dem Mittelstande das Maß von Wahlrecht wieder zu gewähren, das er vor der Steuerreform hatte, und andererseits die Gefahr der Demokratisierung auszuschließen, und es bleibt nicht Anderes übrig, als die ortsstatutarische Regelung zuzulassen, die für jede einjelne Gemeinde die Möglichkeit giebt, das Prinzip zu wählen, welches gerade für die Verhäͤltnisse dieser Gemeinde das allein richtige ist. Der Herr Ober · Bürgermeister ist anderer Meinung und meint, daß mit dem Prinzip der Zwöͤlftelung sich die Schäden, die ich vorher an⸗ gedeutet habe, würden beseitigen lassen. Ich bedauere ihm da widersprechen ju müssen. Ich habe im Abgeordnetenhause schon ausgeführt, daß die Zwölftelung ia vielen Gemeinden bedenklicher wirken würde als das Durchschnittsprinzip. Das ist auch ganz natürlich. In den Ge— meinden, in denen keine sehr starken steuerlichen Verschiedenheiten vorhanden sind, wo die Elemente im allgemeinen wirthschaftlich und soꝛal gleich gestellt sind, da kommt nach dem Prinzip der Drittelung von selbst der mittlere Mann in die zweite Klass⸗, und ebenso wirkt das Durchschnittsprinziv. Ganz anders wirkt aber die Zwölftelung. Die Zwölstelung führt tout prix eine Verschiebung herbei, auch dort, wo gar kein Bedürfniß darnach vorhanden ist, indem sie die erste Klasse von sia auf 5 erhöht, und dadurch wieder aus der

dritten in die jweite Klafse Elemente hinüberführt, die sonst in der dritten Klasse verbleiben würden. Also die Zwölstelung wörkt unter Umständen umwelfelhaft viel schärfer als daz Durchschnittsprinzip.

Ich werde mir erlauben, das mit einigen Daten zu belegen. Ich habe hier eine Statistik, wie sich die zweite Abtheilung zusammensetzt, nach Tausendtheilen der Bevölkerung bemessen. Beispielgweise umfaßt in Elbing die jweite Abtheilung 3, 20 /o; dieser Satz würde nach dem Zwölftelungsprinzip auf 13,85 C steigen. In Oberhausen umfaßt dieselbe Abtheilung 10,34 /, der Satz würde steigen nach der Zwölftelung auf 29,29, also beinahe auf das Dreifache. In Meiderich umfaßt die gleiche Abtheilun⸗ 17,14 und würde steigen auf 33,83; in Hörde würde sie sogar steigen von 9 auf 22.

Diese Nachweisung deckt sich nicht in allen Einzelheiten, aber im wesentlichen mit den Daten, die ich im Abgeord netenhause gegeben habe. Sie umfaßt gerade solchꝛ industriellen Gemeinden, in denen im allgemeinen viele Arbeiter und mittlere und kleine Gewerbetreibende leben. Ez ist wohl nicht zu bestreiten, daß die Zwölftelung, die tout prix 5/1 der ersten Abtheilung zuweist, vielfach weitergeht als das Durchschnittsprinziv und als man im Interesse einer richtigen Abschichtung der Wählerabtheilungen wünschen muß. Andererseits wirkt in Gemeinden, wo starke Ver— schiebungen stattgefunden haben, wo sehr große Vermögen zugetreten sind, die Zwölftelung nicht in dem Maße, wle nothwendig ist, und weist den mittleren Klassen nicht das Maß von Wahlrecht zu, wie es ihnen im Jahre 1891 zustand. Sehr prägnant ist in dieser Beziehung Berlin. Ich habe im Abgeordnetenhause dargethan, wie außerordentlich groß die Verschiebungen in Berlin gewesen sind. Während in Berlin im Jahre 1891 auf das Tausend der Bevölkerung 11,42 in der zwelten Abtheilung wählten, würde diese Zahl nach der Zwölftelung sich auf 7, 82 stellen, würde also noch um 3,6 zurückbleiben hinter dem Jahre 1891. In Königshütte zählte die zweite Abtheilung im Jahre 1891 180/00, bein Zwölftelungsprinzip würden wir nur auf 120,00 kommen; in Gelsenkirchen im Jahre 1891 26, bei der Zwölfte—⸗ lung 10, in Rheydt 11 bejw. 8, in Recklinghausen 17 bezw. 14, in Staßfurt 19 bejw. 12. Diese wenigen Daten beweisen, glaube ich, wag ich eingangs sazte, daß es garnicht möglich ist, ein für alle

Verhältnisse in der Monarchie passendes Prinziv zu bestimmen, und

daß es unerläßlich ist, eine ortsstatutarische Regelung zuzulassen.

Nun sagt der Herr Ober ⸗Bürgermeister, eine solche ortsstatutarische Regelung sei überaus bedenklich, weil sie eine stete Agitation in der Gemeinde entfache. Dies Bedenken kann ich in gewissem Sinne an⸗ erkennen. Aber auch nur in gewissem Sinne. Meine Herren, in jeder Gemeinde sind Gegenstände der größten Tragweite von kommunalem Interesse, die die Bevölkerung aufs tiefste erregen und darum doch nicht zu dauernder Gefährdung des Gemeindewohls führen. Ich darf insbesondere, was die rheinischen Verhältnisse anbetrifft, daran er— innern, daß früher, wie Herr Dber⸗Bürgermeister Becker angeführt hat, die Möglichkeit gegeben war, einen Zensus, und zwar bis zu 36 „, einzuführen. Die Gemeinden hatten dort thatsächlich einen Zensus von 9, 12 und 18 M eingeführt. Alle diejenigen, die einen so hohen Zensus nicht zahlten, waren von dem Wahlrecht ausgeschlossen. Davon ist aber bier nicht die Rede, eine Ausschließung der unteren Elemente findet nicht ftatt. Bei dieser Kardinalfrage, die von viel größerer Bedeutung ist als die vorliegende Frage, konnten erhebliche Bedenken entsteben, aber ich habe niemals gehört, daß der Friede der Gemeinde dauernd gefährdet worden ist. Also ich glaube, meine Herren, man darf die Gefahr der Kämpfe in den Gemeinden nicht übertreiben, wenn ich sie auch bis zu einem gewissen Grade nicht verkenne, und ich meine, daß man versuchen muß, sie zu mildern, so⸗ weit es möglich ist. Deshalb war in unserer Vorlage vorgesehen, daß die ortsstalutarische Regelung nur von 10 zu 10 Jahren zu erfolgen habe, um eine Beunruhigung der Gemeinden möglichst auszuschließen. Das Abgeordnetenhaus hat zu meinem Bedauern diese Bestimmung gestrichen. Es wurde ein Punkt angeführt, der eine gewisse Be—⸗ rechtigung verdient: daß man die Dinge nicht übersehen könne, daß die Verhältnisse sich verschieben können und daß es dann nicht möglich sei, nach erlangter besserer Einsicht, nach Eintritt der Verschiebungen, die erwünschte ortsstatutarische Regelung einzuführen, weil sie erst nach 10 Jahren eingefübrt werden könnte. Man könnte diesem Be⸗ denken Rechnung tragen, wenn man den von dem Freiherrn von Zedlitz gestellten Antrag annähme, der die Einführung der orts— statutarischen Regelung nicht von einer Frist abbängig macht, wohl aber die Abänderung des Ortsstatuts. Habe die Gemeinde das Prinzip eingeführt, dann soll Ruhe in der Bürgerschaft sein und erst nach 10 Jahren eine Abänderung eintreten können. Wir werden uns in der Kommission darüber verständigen, ob man eobentuell auf den An— trag des Freiherrn von Zedlitz oder unsere frühere Vorlage zurückgeht.

Herr Ober⸗Bürgermeister Becker bat noch auf ein anderes Bedenken hingewiesen, was ich in vielen Beziehungen theile. Er wies darauf hin, daß dies Durchschnittsprinzip insofern unter Umständen gefährlich sein kann, als es zu einer zu starken Demo— kratisierung führen könnte, namentlich in den Industriegegenden. Es liegt in der Natur der Dinge, daß die Löhne eine steigende Tendenz haben und immer mehr Elemente in den Kreis der über 900 4 Einkommen habenden Leute, also im Rheinlande der Wahl⸗ berechtigten, eintreten. Nimmt dieser Kreis zu, und steigt damit der Divisor bei der Durchschnittsbered nung, so muß auch der Durchschnitts⸗ bet rag sinken, und es vergrößert sich die Zahl der Leute, die in der zweiten Abtheilung Aufnahme finden. Daz war das erhebliche Bedenken, welches ich in der Kommission wie im Plenum des Abgeordnetenhauses gegen das Durchschnittsprinzip geäußert habe, soweit es in Gemeinden mit stärkerer Arbeiterbevölkerung Eingang findet. Aber wenn ich nicht in der Lage gewesen war, mich für das bloße Durchschnittsprinzip auszusprechen, so ist mein Bedenken sehr wesentlich dadurch gemildert worden, daß das Abgeordnetenhaus auf den Antrag des Frei⸗ herrn von Zedlitz eingegangen ift und die sogenannten Drei— märker und Sechsmärker bei der Berechnung des Durchschnitts ausgeschieden hat. Dadurch ist ein wesentliches Remedium gegeben, um der allju starken Demokratisierung der Gemeindevertretung vor⸗ zubeugen.

Herr Becker meinte die Befürchtung aussprechen zu müssen, daß die Handwerker ju stark in die zweite Klasse eindringen und dieser Einfluß im städtischen Interesse vielleicht nicht er— wünscht sei. Diese Befürchtung ist unbegründet. Nach dem bloßen Durchschnittsprinziv würden in Köln in die zweite Klasse Leute mit 231 M Steuern kommen, nach dem Antrage Zedlitz sogar nur Leute mit einem Steuerbetrage von 292 M Leute, die 292 S Steuer zahlen, können doch nur in Ausnahmefällen Hand—⸗

werker sein und sind jedenfalls Handwerker größeren Stils und von einer sozialen Bedeutung, so daß sie in den meisten Fällen in der That die Interessen der Gemeinden nicht gefährden dürften. Also, meine Herren, ich glaube nicht, daß die Gefahr vorliegt, daß infolge des veränderten Durchschnittsprinzips beispielsweise in Köln die zweite Klasse von Handwerkern minderer Bedeutung überschwemmt

werden würde.

Ich glaube, meine Herren, ich habe die Einwendungen, die Herr Becker geäußert hat, in jedem einzelnen Punkte besprochen, und ich möchte darum nur noch eine allgemeine Bemerkung meinerseits daran knüpfen.

Meine Herren, wie ich vorhin gesagt habe, wird es unmöglich sein, von welcher Seite man auch die Sache anfasse, ein Prinzip zu finden, welches schlechterdings für jede einzelne Gemeinde paßt, und es werden sich Einwendungen nach der einen oder anderen Richtung stets erheben lassen. Ich darf zum Beweise dessen auf die Verhandlungen hin⸗ weisen, die fast ein Jahrzehnt hindurch den Landtag beschäftigt haben. Wir haben unserm Versprechen gemäß, die Verschlebungen, die durch die Steuerreform eingetreten sind, auszugleichen, im Jahre 1891 einen fingierten Satz von 3 für die nicht zur Einkommensteuer veranlagten Personen gesetzlich eingeführt. Dann wurde 1893 das Prinzip der Zwölftelung vorgeschlagen, was aber in dlesem hohen Hause keine Annahme fand, und es blieb von den Vorschlägen der Regierung damals nur die Bestimmung übrig, daß bei den Wahlen sämmtliche Kommunal⸗, Staats, Kreis, und Gemeindesteuern ange⸗ rechnet werden sollen. Nachdem also 1893 der Versuch, mit der Zwölftelung zur Regelung zu gelangen, gescheitert war, ist im vorigen Jahre der andere Versuch mit dem reinen Durchschnittsprinzip gemacht worden. Der damalige Gesetzentwurf ist wieder im Abgeordnetenhause auf Widerspruch gestoßen, und wir baben jetzt versucht, ein kombiniertes System zu schaffen, daz zwar auf dem Durchschnittsprinzip basiert, aber die Möglichkeit giebt, in den großen Städten ein anderes Prinzip, die Zwölftelung oder ein modifiziertes Durchschnittsprinzip, einzuführen.

Ich kann nur dringend bitten, daß das hohe Haus sich auf den Boden der Vorlage, wie sie aus dem Abgeordnetenhause hierher ge— langt ist, stellen möge und daß jeder nicht lediglich den Gedanken verfolgen möge, diese Regelung genau so zu treffen, wie er es für seine Gemeinde berechtigt hält. Sonst würden wir nicht zur Verständigung kommen. Bei einer so schwierigen Materie muß man versuchen, einen gemeinsamen Boden der Verständigung zu finden, und etwas abstrahieren von den Verhältnissen der einzelnen Stadt oder des einzelnea Landestheils, dem der Betreffende angehört. Es ist eine dringende soziale Aufgabe, dem Mittelstande das Maß von Wahlrecht einzuräumen, wie er es vor der Steuer⸗ reform hatte. Es läßt sich dies erreichen, ohne in die Gefahr einer zu starken Demokratisierung zu verfallen. Ich kann also nur nochmals dringend bitten, die Vorlage so, wie sie aus dem Abgeordnetenhause hierher gelangt ist, sympathisch aufzunehmen. (Bravo!)

Ober ⸗Bürgermeister Dr. Lentze⸗Barmen: Eine Verschiebung des Wahlrechts ist durch die Steuerreform eingetreten, aber ich kann aus der Statistik des Ministers nicht dieselben Folgerungen zieben. Statt der angeblichen jetzigen plutokratischen Wirkung wird die Vorlage eine demokratisierende Wirkung haben; die 3. Klasse wird schließlich ganz von der Sozialdemokratie beberrscht werden. Die Vertreter der J. und 2. Klasse können in den Sitzungen der Gemeindevertretungen wegen ihrer Berufsgeschäfte nicht immer anwesend sein, sie sind auch einmal verreift; die Sezialdemokraten verreisen nie und sind immer volliählig in der Sitzung, sodaß sie leicht die Majerität haben können. Diese Gefahr besteht bei dem reinen Durchschnittsprinzip sicher in der Stadt Barmen. Allerdings läßt die Vorlage eine Aenderung des Durchschnittsprinzips zu, aber dieses soll doch immer die Regel sein. Die Stadtverordneten Versammlungen werden ein Tummelplatz der Sozialdemokratie werden.

Graf Bothe zu Eulenburg: Das Bedürfniß nach diesem Gesetz kann nichn bestritten werden; der duich die Verschiebungen infolge der Steuerreform eingetretene Zustand ist nicht mehr haltbar. 1853 habe ich mich allerdings für die Zwölftelung ausge prochen, aber damals handelte es sich um eine Vorlage für alle Gemeinden der Monaꝛchie, heute handelt es sich nur um einen kleineren, wenn auch bedeutungsvollen Theil der Gemeinden. Ein Universalmittel zum Auegleich aller Ver—⸗ schiedenbeiten giebt es überhaupt nicht. In einer Anzahl von Gemeinden würde die Zwölftelung ebenso demokrausierend wirken, wie in anderen Gemeinden das Durchschnittsprinzip. Dieses entspricht, wenn auch nicht in der Form, so doch in der Tendenz dem sächsischen Gesetz, nach welchem eine bestimmte Steuersumme Voraussetzung für die Zugebörigkeit zur böberen Klasse ist, und der allgemeinen Stimmung kommt man sicherlich am besten dadurch entgegen, daß man das Wahlrecht nach der Steuerleistung abmißt. Dle Einzelheiten lassen sich nur in einer Kommission erledigen, da es sich um ein großes Zahlenmaterial handelt

Ober Bürgermeister Becker: Dag Bedürfniß nach dieser Vorlage verkenne ich nicht, weil thatsächlich Verschiebungen des Wahlrechts eingetreten sind, aber irgendwelche Unzuträglichkeiten in den Gemeinde- vertretungen haben sich nicht gezeigt. Ich bedauere, daß der Vorredner sein eigenes Kind von 1893 nicht mehr anerkennen will. Die Wir⸗ kung der Zwölftelung wird immer günsliger sein als die des Duich—⸗ schnitts, namentlich wenn die hohe wirtbschaftliche Entwickelung wieder etwas zurückgeht und zu einer normalen wird. Wenn man von den Vorzügen des Durchschnittsprinzipz durchaus überzeugt wäre, hätte man es doch nicht mit allerlei Kautelen umgeben. Es handelt sich bier namentlich um die großen Stänte, daher sollte man auch deren Wünsche berücksichtigen.

Die Vorlage wird einer Kommission von 16 Mitgliedern überwiesen.

Es folgt der Bericht der Kommunalkommission über den Gesetzentwurf, betreffend die Bildung des Wahl⸗ verbandes der größeren ländlichen Grundbesitzer und des Wahlverbandes der Städte in den Kreisen Teltow und Niederbarnim. Nach der Vorlage soll von dem für die Wahlberechtigung im Wahlverbande der größeren ländlichen Grundbesitzer maßgebenden Mindestbetrag an Grund⸗ und Gebäudesteuer wenigstens die Hälfte auf die Grundsteuer entfallen. Landgemeinden mit mehr als 6000 Einwohnern sollen als Städte im Sinne der Bestimmungen der Kreis⸗ ordnung über die Zusammensetzung des Kreistages gelten.

Berichterstatter Graf von Hutten-Czapski beantragt die unveränderte Annahme der Vorlage in der Fassung des Abgeoronetenhauses.

Auf Antrag des Herrn von Wedel⸗Pies dorf wird die Vorlage en blos angenommen.

Die dazu eingegangenen Petitionen werden auf Antrag des Berichterstatters . erledigt erklärt.

Die Petition der Vereinigung deutscher Hebammen um Erlaß eines deutschen Hebammen-Gesetzes, um aus⸗ nahmslose Einbeziehung aller Hebammen in die Reichs⸗In⸗ validitäts⸗- und Altersrentenkasse und um Erlaß eines Wochen⸗ pflegerinnen⸗Gesetzes wird auf Antrag des Berichterstatters, Herrn D. Dr. Bosse, der Regierung als Material überwiesen.

. ö K . * 2 * E. * 8 2 2 . , .