1900 / 266 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 07 Nov 1900 18:00:01 GMT) scan diff

Regierung unterstüßt, aber die Lage habe sich geändert; die Sozialisten duͤrften nicht in Unthätigkeit verharren. Der Redner forderte die Regierung auf, ein Gesetz gegen die Kongregationen einzubringen; die Sozialisten würden das Kabinet unterstützen, solange es die Reaktion zu bekämpfen abe, sie behielten sich aber volle Attionsfreiheit vor. Der tinister⸗Präsident Waldeck-Rousseau erklärte, die Regierung sei der Ansicht, daß man zuerst das Budget in Verbindung mit der Vorlage über die Getränkesteuer berathen müsse; dann müsse man den Gesetzentwurf, betreffend die Ver⸗ eine, zur Berathung bringen, weil es die erste Auf⸗ gabe der republikanischen Partei sein müsse, der Gefahr vorzubeugen, welche, das öffentliche Wohl und die geistige Einheitlichkeit des Landes bedrohe. Endlich müsse man die Vorlage über die Altersversicherung der Arbeiter berathen. Die Regierung habe aber deshalb die übrigen von ihr eingebrachten Gesetzentwürfe über das Probejahr an Schulanstalten, über die Reform der Kriegs—⸗ gerichte und über die Einkommensteuer nicht fallen lassen und werde später um die Berathung derselben ersuchen. Die Regierung sei zu der Eckenntniß gelangt, daß das Gesetz vom Jahre 1892 über das fakultative Schiedsgericht nicht den erwarteten Erfolg gehabt habe; sie werde daher dem⸗ nächst auch einen Gesetzentwurf einbringen, welcher gestatte, in die Arbeitsverträge eine Bestimmung über obligatorische Schiedsgerichte aufzunehmen. Der Minister⸗-Präsident richtete odann an die Kammer die Frage, ob sie über alle diese Re⸗ ormen mit ihm übereinstimme. Der Deputirte Ribot ent⸗ gegnete, die Sprache des Minister⸗Präsidenten gleiche nicht der des Ministers für Handel und Industrie, welcher in Lens den obligatorischen Ausstand gepredigt habe. Der Handels⸗Minister Millera nd erwiderte, er sei für eine Regelung, durch welche den Arbeitern Gelegenheit zu geben sei, sich in einer allgemeinen Abstimmung über Ausstandsfragen auszusprechen, und er werde einen dahin gehenden Gesetzentwurf vorlegen. Die Fortsetzung der Berathung wurde hierauf bis heute vertagt. Der Gouverneur von Algerien Jonnart traf gestern Nachmittag in Algier ein. Bei dem Empfange der Behörden erklärte derselbe, er werde sich ausschließlich dem Gedeihen der Kolonie widmen und sich dabei von den Grundsätzen der Toleranz leiten lassen, welche in der Erklärung der Menschen—⸗ rechte enthalten seien.

Nußszland.

Die „Finlandskaja Gazeta“ meldet, daß dem Senator Lindner die Verwaltung des Kaiserlichen Palais in Helsing— fors übertragen, und daß der frühere Prokurator des Senats, Senator Söderhjelm, auf sein Ersuchen entlassen worden sei.

Italien.

Der Papst hat, wie „W. T. B.“ meldet, an die Bischöfe eine vom 1. November datierte Encyclica „De Redemptore“ gerichtet. In derselben spricht der Papst seine Freude darüber aus, daß die Katholiken aus der ganzen Welt anläßlich des heiligen Jahres nach Rom pilgerten, was beweise, daß die Völker sich Christo zu⸗ wendeten. Er ermahnt sodann Jedermann, zum Erlöser zu kommen, welcher der Weg zur Wahrheit und das Leben sei. Wie Christus, als er in die Welt gekommen, die menschliche Gesellschaft reformiert habe, so werde diese, indem sie sich jetzt von neuem Christo zuwende, verbessert und gerettet werden, und wenn sie die Lehren Christi und das göttliche Gesetz befolge und Auflehnungen gegen die bestehenden Gewalten sowie Streitigkeiten zwischen den Völkern meide, handle sie derartig, daß Alle sich brüderlich unter einander lieben und in heiligem Frieden ihren Oberen gehorchen müßten. Die . von Gott führe zu vielen Verirrungen, wie auch jetzt besonders die Völker durch Befürchtungen und immerwährende Beängstigungen bedrückt seien. Die Encyclica schließt mit der Aufforderung an die Bischöfe, alle Welt wissen zu lassen, daß allein der Erlöser und Heiland der Menschheit Rettung und Frieden bringen könne.

Spanien.

SEiner Meldung des „W. T. B.“ aus Madrid vom gestrigen Tage zufolge setzen die Truppen ihre Streifzüge zum Zwecke der Verfolgung carlistischer Banden in den Bergen Cataloniens fort.

Luxemburg.

Die Session der Deputirten kammer wurde, wie „W. T. B.“ meldet, gestern ohne Thronrede eröffnet. Simons wurde zum Präsidenten, von Blochhausen zum Vize— Präsidenten gewählt.

Belgien.

In Rupelmonde kam es gestern, wie ‚W. T. B.“ be⸗ richtet, infolge des Sieges der Katholiken bei den dortigen Gemeindewahlen zu Ruhestörungen. Die Theilnehmer an denselben zertrüͤmmerten die Fensterscheiben in den von Katholiken bewohnten Häusern und schleuderten Steine in die Fenster der Sakristei. Die Gendarmerie stellte die Ruhe wieder her; einige Theilnehmer an den Ruhestörungen wurden leicht verletzt.

Türkei.

Der Sultan hat, wie das „Wiener Telegr.⸗Korresp.⸗ Bureau“ meldet, an den Kaiser von Rußland aus Anlaß des Jahrestages der Thronbesteigung Allerhöchstdesselben ein in den herzlichsten Worten nn . Glückwunsch⸗Telegramm gesandt, in welchem er seine Wünsche für das Wohlergehen des Kaisers ausdrückte und Allerhöchstdenselben seiner unwandel⸗ baren Freundschaft versicherte. Der Kaiser von Rußland

ab in seiner Erwiderung seinem Dank und den Gefühlen 36 . und herzlichen Freundschaft für den Sultan usdruck.

Am Montag Abend fand, wie W. T. B.“ berichtet, zu Ehren des deutschen Botschafters im Hildizpalais ein Galadiner statt, welchem der Großvezir sowie alle anderen Mitglieder des türkischen Kabinets, das Personal der Botschaft und die in türkischen Diensten stehenden Beamten deutscher Herkunft sowie Würdenträger des Palais beiwohnten.

Amerika.

Nach den bis gestern um Mitternacht in New York eingegangenen Berichten ist die Wiederwahl Me Kinley's zum Präsidenten der Vereinigten Staaten als gesichert anzusehen. In allen New England⸗Staaten, ferner in New York, 6 Illinois, Delaware, West⸗Virginien, Michigan und Wisconsin hat, wie „W. T. B.“ meldet,

Me Kinley gesiegt, während Bryan in Texas, Virginien und Nord⸗Carolina die Majorität hatte. Berichte über den Ausfall der Wahlen zum Kongreß sind noch sehr unvoll— kommen, e dürfte sich höchstens um eine ganz geringe republi⸗ kanische Majorität handeln, noch wahrscheinlicher ist aber eine demokratische Mehrheit.

In einzelnen Orten, wie in Denver City, Philadelphia, Wilmington (Delaware), Caseville (Indiana), ist es gestern bei den Wahlen zu Ausschreitungen gekommen, bei denen mehr⸗ fache Verwundungen vorkamen.

Der „Times“ wird aus Buenos Aires vom 5. d. M. gemeldet, von gut unterrichteter Seite verlaute, daß das einzige Ergebniß der Besprechungen der Präsidenten Roca und Campos Salles ein gegenseitiges Uebereinkommen sei, die diplomatischen Vertreter Argentiniens und Brasiliens anzu⸗ weisen, für die Aufrechterhaltung des Friedens in Süd⸗Amerika und gegen jeden künftigen gewaltsamen Landerwerb irgend einer jüdamerikanischen Regierung zu wirken.

Nach einem in New York eingetroffenen Telegramm aus Lima giebt, wie das „Reuter'sche Bureau“ meldet, die Ein⸗ führung des neuen Zolltarifs zu heftigen Erörterungen Anlaß. Es herrscht noch Ungewißheit über den Zeitpunkt, zu dem das neue Gesetz in Kraft treten wird. Ueberall dürfte dem Gesetze heftige Opposition gemacht werden, da mit der Einführung desfelben die Zölle sehr steigen werden.

Asien. .

Nach Berichten, welche dem russischen Generalstab gestern zugegangen sind, wurden, wie dem, W. T. B.“ aus St. Peters⸗ burg berichtet wird, am 29. September in der Nähe von Schantschiaguang französisch Missionare mit ihrem Bischof durch eine Halbkompagnie Schützen und einige Kosaken aus den Händen der Boxer befreit.

Ein in London eingetroffenes Telegramm des Generals Campbell besagt: Ich bin in Wang-⸗kia⸗kou (südlich von dem Sumpfgebiet des Paoting⸗fu mit Tientsin ver⸗ bindenden Flußlaufs) eingetroffen. Alles ist wohl. Ich habe hier im amen Dokumente beschlagnahmt, welche überzeugend darthun, daß die Bewohner der Stadt Wenn-ngan-⸗hsien (südwestlich von Wang⸗kia⸗ kon) den Boxern in jeder Weise Beistand geleistet haben. Ich habe es für nöthig gehalten, einen möglichst nachhaltigen Eindruck bei den Chinesen zu hinterlassen. Demgemäß habe ich die nordöstlichen und nordwestlichen Bastionen zerstört, ebenso die nördliche Grenzmauer der Stadt. Heute früh habe ich das stark befestigte Boxerdorf Liu⸗ho— tschwang (nördlich von Wang⸗kia⸗kou) niedergebrannt, in welchem sich große Massen von Waffen und Munition befanden. Die Boxer hatten diese Stellung vor unserer Ankunft auf— gegeben, ihre Waffen vergraben und sich in der Umgegend erstreut. Die eingeborenen Christen sagen, daß die Zerstörung ieser Boxerveste im ganzen Distrikt einen guten Eindruck machen und dazu beitragen werde, ihr Leben und Eigenthum zu schützen. .

Den Londoner Blättern wird aus Schanghai berichtet: Nachrichten aus chinesischen Quellen zufolge verlangten die Verbündeten von Li⸗Hung-Tschang, daß er an den Kaiser telegraphieren und denselben ersuchen solle, ein Edikt zu erlassen, durch welches die Hinrichtung des Schatzmeisters der Provinz Tschili Tingjung angeordnet werde. Weiter wird aus Schanghai gemeldet, daß ein auswärtiger Beamter am 5. d. M. ein Telegramm aus Peking erhalten habe, welches besage, die fremden Gesandten seien nicht gewillt, mit ein— gehenden Verhandlungen zu beginnen, solange nicht die Bestrafung der Urheber der jüngsten Frevel gesichert sei.

Der „Standard“ meldet aus Schanghai: Eine chinesische Meldung aus Langtschautu, der Hauptstadt von Kansu, be— sage, der Prinz Tuan sei daselbst durchgereist und habe Ning⸗ aft am oberen Hoangho erreicht. Er solle als buddhisti—

er Priester unter dem Schutze des Generals Tung⸗ fuhsiang gereist sein, welcher von der Kaiserin-Witt we zwei Monate Urlaub erhalten habe. Yunglu zögere, sich nach Singankfu zu begeben, weil er sich vor der Rache der Boxer fürchte, welche ihn als Verräther bezeichneten. Die Chinesen in Schanghai behaupteten, Luchuanlin, der frühere Gou⸗ verneur von Kiangsu, welcher zum Präsidenten des Handels amtes befördert worden sei, sei ein größerer Fremdenfeind, als Kangji es gewesen.

Aus Hongkong berichtet das „Reuter'sche Bureau“: Meldungen aus Canton zufolge seien die Chinesen daselbst sehr erregt über die Anwesenheit einer großen Anzahl von fremden Kanonenbooten. Es ankerten jetzt 11 Kriegs⸗ schiffe gegenüber von Schamin.

Afrika.

Der Feldmarschall Lord Roberts meldet aus Johannes—⸗ burg vom 5. d. M., während unzweifelhafte Anzeichen dafür vorhanden seien, daß die Buren muthlos würden und an Munitions⸗ und Proviantmangel litten, thue der Präsident Steijn sein Aeußerstes, um seine Landsleute zu ermuthigen, den hoffnungslosen Kampf. fortzusetzen, indem er sie mit falschen Meldungen von Ecfolgen täͤusche.

Nach einer Meldung des „Reuter'schen Bureaus“ aus Bloemfontein vom 5. d. M. hat der dortige Militär⸗ Gouverneur die Transvaal⸗Münzen als gesetzliches Zahlungsmittel .

Der Name der Nationalbank des Oranje⸗Freistaats ist ab⸗ eändert worden; sie heißt jetzt, Nationalbank der Oranje⸗ f r e men.

Martinus Steijn, der älteste Bruder des Präsidenten, ist, wie das „Reuter'sche Bureau“ erfährt, am 2. November in Ssupringfontein plötzlich an einem Schlaganfall gestorben.

Gestern in Kimberley ein eien. Privattelegrammen aus Koffyfontein zufolge, ist dieser Ort, welcher von den Buren besetzt worden war, am 3. d. M. von den Engländern wieder genommen worden.

Die Londoner Blätter berichten aus Durban, daß die Buren einen aus Pretoria kommenden 3 am letzten Montag in der Nähe von Stander ton zum Enigleisen gebracht hätten, wobei ein Heizer getödtet worden sei.

Kuust und Wissenschaft.

A. F. In der Sltzung der Gesellschaft für Erdkunde am Sonnabend, den 3. November, fand die Wahl des Vorstands für des Jabr 1901 statt. Es wurden gewählt:; zum Ersten Vorsitzenden Pro⸗ fessor Dr. Hellmann, zum Zweiten Vorsitzenden der Geheime Re⸗

ierungsrath, . Freiherr von Richthofen, zum Dritlen Vor⸗= tzenden Professor Dr. von den Steinen, zu Schüftführern Oberst⸗

leutnant Frobeniug und Profefsor Dr. von Diygalski; in der 8 setzung der übrigen Vorstandgämter fand keine Veränperung statt. * Ven ersten Vortrag des Abends hielt der Geheime Regierung ratbh Freiherr von Richthofen; das Thema lautete: äber W . und Verkebrsmittel in China“. Wie der Redner aus fh muß man in Ghina den gebirgigen Westen von dem flachen 8h unterscheiden; doch trifft diese Unterscheidung nur die Boden gestan Scharfer und charakteristischer sin in eihn ographischer und kultureltn Beziehung Nord⸗ und Süd, China von einander geschieheꝛ Hieraus ergiebt sich, dem Gedächtniß sich gut einprägend, elne Einthetlung Chinaz in pier große Abschnitte, ze ein gebirgiges um. ein maritimes Nord., und Süd-China. Getzennt ist der Norden von Süden auch durch die Wasserscheide des Hägellandes, das sich zwischen dem e im Norden und dem Jangtsekiang im Süden bis an das Meer erstreckt, Die kulturelle Verschledenheit zwischen den Norden und dem Süden findet ihren Aushruck an erster Stelle in der Verschiedenheit der Verkehrsmittel. Nord China, hesonders sen flacher, maritimer Theil, sieht sich auf Lardwege, Süd⸗Chzlna in wesentlichen auf Wass trwetäze angewiesen. Die Landwege sind in leidlich gutem Zustande, soweit sie 2, 3, 4 big 7 m breit dem Trangpon durch Menschen, Esel und Maulthiere (im Nordwesten auch Kamele tenen, aher im elendesten und verwahrlosten, indessen überall eine früßer bessere Beschaffenheit verratbenden Zustande, sowelt sie der Be, förderung durch mit Pferden oder Maulthieren bespannte weir prig Wagen dienen. Das hauptfächlichste Transportmittel ist der Mensch der Lastträger. Man kann es unter diesen Umständen begrei lh finden, daß die Chinesen von dem beborstehenden Bau von Eisen—⸗ babnen einen sie mit Schrecken erfüllenden Eingriff in die Voltz— ernährung besürchten. Als die Eisenbahn vor 66 Jahren in Eurohn eingeführt wurde, waren auch bei uns die düsteren Prophezeiungen an der Tagezordnung, obwohl der größte Theil der La tenbeförherum zu Lande längst auf das Zugbieh übergegangen war und di Lahmlegung menschlicher Arbeitskraft bei weitem nicht in dem Um— fange bevorstand, wie in China. Wie sich in China diese Wirkang äußern wird, daodn gab der Vortragende cin Heispiel. Die Fahrt eines Lastuugs von 5000 Zentnern Kohle von Köln nag Berlin erfordert jetzt 24 Stugden, in China sind für einen ebenso wtiten Transport 5000 Lastträger, je einen Zentner tragend, noth— wendig, welche 20 Tage brauchen, mithin im Ganjen 100 000 Arbeitstage, Rechnet man den Arbeitstag auch nur zu 50 , so kosten de hH000 Ztr. 50 000 Fracht oder der Zentner 10 S Eg ist kla daß jeglicher Wettbewerb des Menschen mit der Gisenbahn kũnfij ausgeschlosßen ist und daß vorübergehend jedenfalls für Tausende ein Arbeitsausfall eintreten wird, zumal auch bei heutigen Verkehrt—= verhältnissen die Lastenbeförderung in allen Richtungen außerordent, lich groß ist. Von eigentlichen Landstraßen, auf denen Wagen verkehren können, giebt eg in Nord⸗Ehing wenige. Von . nordwärts zur chinesischen Mauer führt z. B. eine leidlich er, altene Straße. Nach dem Westen ist dagegen nur eine streckenweise gäntlich vernachlässigte Straße vorhanden, die in südwestlicher Richtum bis zu dem Punkte am Hoangho führt, wo der Strom seine nord. südliche Richtung in jsähem Uebergange in eine westöstliche verändert. Hier ist die Grenze der Provinzen Schansi im Osten und Schensi in Westen. Diese Straße hat der Hof bei seiner Flucht aus Peting be—⸗ nutzt; sie führt nach Singanfu, der gegenwärtigen Taiserlichen Rsioenz. Nur wenige von diesen Stratzen sind für Heereb— bewegungen geeignet. Gin schlimmes Hinderniß für die Fortbewegung ist auch der in Nord China auf einem großen Gebtete verbreitete Löß, welcher bei anhaltendem Regenwener stellenweise kaum passierbar ist. Ganz verschieden von dem im wesentlichen flachen, maritimen Nord China ist das maritime SüdGhina fast durchweg ein von wasserreichen Strömen durchzogenes Hägel⸗ und in seinem westlichen Theil Bergland. Zur großen Verkehrsader des Yangtsekigng eilen Nebenflüsse mit ihren biz boch binauf noch schiff baren Zuflüssen in großer Anzahl. Da das milde die Flüsse auch im Winter offen speist, so hat sich die Benutzung des Flußnetzes für den Verkehr von jeher als etwas ganz Natürliches ergeben. Doch auch hier fehlt eh nicht an Verkehrshindernissen, an denen die Indolenz der Menschen kaum geringeren Antheil hat als die Natur, Versandungen, Schlamm— bänke, nicht beseitigte Stromschnellen. In solchen Fällen tritk dann wieder die Lastenbeförderung durch Menschen-⸗ und Thier— kraft auf wohlerhaltenen, wohl Jahrtausende alten Saum pfaden ein, auf denen die Wasserfälle und Stromschnellen um— gangen und die Wasserscheiden zwischen kenachbarten Flußgebieten überschritten werden. Eine für Heerführer besonderer Beachtung werthe Eigenthümlichkeit chinesischer Ströme besteht darin, daß sie i ihrem Unterlaufe ihr Bett durch Geröll und Sand meist so erhöht haben, daß es höher liegt, als das Land jenseits der Dämmt. Dieser Umstand legt auch bei normalen Wasserständen der Gedanken nahe, mittels Durchstechung der Dämme kfkünstlich Ueberschwemmungen herbeizuführen. Im Laufe der chinesischen Geschichte sind zablreiche Fälle verzeichnet, in denen durch diesch Mittel Kaiserliche Tcuppen rebellischen Schaaren nasses Massengrab bereitet haben. In jedem Fall wird durch bevorstehende Aenderung der Verkehreverbältnisse in China eine

Klima

Wandlung vollzogen werden, größer als aus gleicher Ursache je n Man wird aber, so große Fragezeichen in

einem andern Lande. mancher Richtung bestehen, hoffen dürfen, daß auch diese Entwickelun einen günstigen Verlauf nehmen wird. schnelles Vordringen in der Mandschurei die entkräften scheinen, daß dem Marsche von Heeregabtheilungen aus den

im Vorstehenden geschilderten Verhältnissen in China große Hinderniss .

im Wege stehen, so ist dieser Widerspruch nur scheinbar. Di Mandschurei ist ein ungleich offeneres und zugänglicheres Gebiet alt die bevölkerten und coupierten Landschaften im maritimen Theile Non chinas. Dort sind z. B. keine sumpfigen Reisfelder zu berücksichtigen, welche zu Zeiten das Passieren außerocdentlich erschweren, wenn nicht unmöglich machen.

Nach diesem Vortrag nahm Legationgrath Dr. M. von Oppen⸗ heim das Wort zu einem von zahlreichen Lichtbildern begleiteten Be⸗ richt über eine im vorigen Jahre aus gefübrte Forschungt— reise in der asiatischen Türkei. Der Vortragende führte di Hörer von Beirut über Damaskus, Baalbedk, Homso, Hama nach Aleppo und von da nach Osten über den Sberlauf des Guphrnt hinweg bis zu dem wasserrelchen Chabur, einem linken Nebenfluß des Euphrat, und somit in das Herz Mesopo— tamiens hinein. Von dort ging die Reise über Mardin,

Diarbekr, Urfa, Aintab zum Mittelländischen Meere jurück. Dil

ausgedehnte Fotschungsreise kennzeichnet sich als Fortsetzung und Gh gänzung eines bereits im Jahre 1891 von dem Vortragenden unter nommenen Ausflugs nach Kleingsien. Sie nabm sieben Monate n Anspruch und war vor jener kürzeren erften durch umfassendere und gründlichere Forschungen ausgezeichnet, wozu ein von dem Ver⸗ tragenden zur Begleitung gewonnener Stab wissenschaftlich und technisc

geschulter Kräfte wesentlich beitrug. Die durch die Bild werfer vorgeführten

obne Ausnahme vorzüglichen Pbofographien ließen auf der Reise nach Aleppo noch viele Anklänge an die Zeit der Kreunmüge in mittelaltel⸗ licher Befestigung und Umwehrung erkennen. Jenseits von Aleppo hi in die Nähe des Guphrat ist das Land wüstenartig öde, aber am link Ufer des Guphrat, namentlich an den letzten Etappen der Reise an Chabur, i es von so wunderbarer Fruchtbarkeit, dh alle Lobpreisungen Mesopotamieng aus alter und neuer Zeit night zu viel gesazt haben und man auch den Versicherungen alter Schiif steller glauben darf, daß das gesegnete Babylonien zu seiner Blithe jeit 2060 Millionen Mart Steuern aufgebracht habe. Gegenmaͤltj bleibt der Anbau natürlich weit hinter dem zurück, was hier gelessc werden könnte. Spuren früheren Reichtbums des Landes wurm überall angetroffen, sel es in kunstvollen Skulpturen und Inschrista an den Felfen, weiche photographiert wurden, fei es in aufgefundentn Statuen von Goltheiten des Baal‚Dienstetz. Auch die Bey ßlkerunge⸗ wurden sorgfältig studiert. Der , . hält es nicht für un, möglich, daß die Kurden zur Seßhaftigkelt und Staatzordnung eriosen werden, könnten. Deuischiand habe allen Änlaß, die Welterfühn ! der kltinafiatischen Bahnen in diefe gesegneten Landstriche zu wünschtt.

hält and durch viele Niederschli e

und umgekehrt en

Wenn die Russen durch iht . Meinung

Gesundheitswesen, Thierkraukheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln.

Türkei.

Zufoltze Beschlufses des Internationalen Gesundheitgsraths in Konffäntinovel ist die gegen Herkünft, von Alexandrien an⸗ geordnete 48 ständige Quarantäne vom 31. 3. M. ab aufgehoben worden. An deren Sielle tritt eine äritliche Besichtigung und pie Desinfektion der gebrauchten Sachen und der Effekten der Schfffsmannschaft und der Passagtere dritter Klasse. (Vergl. . R. Anz.“ Rr. 241 vom 10. v. M.)

Griechenland.

Nach Anordnung der griechlschen Regierung unterliegen alle Schiffe, die von einem egyptischen Hafen kommen, vom 75. v. M ab einer fünftägigen Effektivauarantäne, die an Stelle der bisherigen zehntägigen tritt, und der Desinfeltion des Gepäck; der Mannschaft und der Passagiere dritter Klasse. Diese Quarantäne sowie die Desinfektion findet im Lajareth in Delos ssatt, wohin sich alle aus Egypten kommenden Schiffe zu begeben

ben. 9 Daz erlassene Wgareneinfuhrverbot bleibt bis auf weiteres bestehen. (Vgl. . R. Anz.“ Nr. 112 v. 10. Mal d. J) Rumänien.

Die rumänische Regierung hat die für die Herkünfte aus Glasgow angeordnete Qugrantäne vom 12.25. Oktober d. J. ab auf eine . herabgesetzt. (Vergl. R. Anz.“ Nr. 238 vom 6. v. M.

Bremen, 7. Nobember. (W. T. B) Amtlich wird bekannt gegeben: Die Nachforschungen nach der Entstehungsgeschichte des hier beobachteten Pestfalletz (oꝰgl. Nr. 265 d. Bl) haben bisher folgendes Ergebniß geliefert:

1I) Der Dampfer „Marlenburgꝰ ist am 17. September von Bueno Aires abgegangen, am 20. Oktober auf der Elbe angelangt, am 26. Oktober bon Hamburg weitergefabren und, am 27. Oktober in Bremen angelangt. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß der Pest⸗ keim in Buenoz Aires an Bord gebracht ist und sich an irgend einer Stelle des Schiffeg, vielleicht durch Vermittlung von Ratten, während der ganzen Reise lebend erhalten hat.

2) Die in der vordersten Abtheilung des Schiffes enthaltene Ladung, bestehend in Häuten, wurde in Hamburg vollständig gelöscht. Nach Üussage seiner Tameraden bat der Seemann Kunze kurz vor der Abfahrt von Hamburg an der Reinigung dieser Abtheilung theil. genommen; der dort zusammengefegte Kehricht wurde an Deck geschafft und während der Fahrt nach Bremen auf See über Bord geworfen.

3) Da der Stemann Kunze am 29. Oktober erkrankt ist, ist es wabrscheinlich, daß er den Krankheitekeim bei der Reinigung des Schiffgraumes am 25. oder 265. Oktober aufgenommen hat.

Bremen, 7. November, 11 Uhr Vormittags. (W. T. B.) Nach einer weiteren amtlichen Mittheilung liegt bis zur Stunde kein neuer Pestfall vor. Alle isolierten und unter ärztliche Be— obachtung gestellten Personen befinden sich wohl.

Verdingungen im Auslande.

Oesterreich Ungarn.

15. November, 12 Uhr. Direktion der priy. österr. ungar. Staats eisenbahn⸗Gesellschaft: Lieferung von Stab, Nieten und Profil- Eisen, Eisenblechen und Roheisenguß für die Zeit vom 1. Januar 1901 bis 31. Dezember 1901. Naäͤberes bei der Abtheilung für Materialwesen der priv. Isterr. ungar. Staatgeisenbabn⸗Gesellschaft in Wien, Xæ, hintere Südhabnstraße 1, und beim Reichs Anzeiger.

30. November, 12 Uhr. K. K. Seebehörde, Triest: Vergebung der bebufs Erweiterung der Triester Hafenanlagen auf Staatstosten auszuführenden Arbeiten. Kostenanschlag 10 892 374 Kronen. Nähe res beim Reichs⸗Anzeiger“.

Spanien.

1. Deiember, 3 Uhr. General⸗Direktion der öffentlichen Arbeiten in Madrid: 1) Herstellung des Leuchttburms im Hafen von Palma (Mallorca). Veranschlag 38 085 50 Peseten. Vorläufige Sicherheits leiftung 1525 Peseten. 2) Erwelterung des Gisenbahnnetzes auf dem Hafendamm Alfonso XII. in Cartagena (Provinz. Murcia). Vor, anschlag 62 443579 Peseten. Vorläufige Sicherheitsleistung 62444 Peseten Angebote auf Stempelpapier Klasse 11. Formular hiersür beim „Reichs- Anzeiger. Bedingungen u. dal. liegen in der genannten General-⸗Direktion und in den Zwil⸗Gouvernements in Palma und Murcia bis zum 26. d. M. aus.

Niederlande.

Gemeinderath in Nymwegen: Anlegung einer

Ohne Datum. Nähere Auskunft

elektrischen Straßenbahn für Rechnung der Stadt. ertheilt der Kaiserlich deutsche Konsul daselbst.

Belgien.

14 November, 11 Ubr. Börse in Brüssel: Lieferung ver⸗ schiedener Gegenstände fär die Staat. Marine, als: Leinwand, Tau—⸗ werk, Leder, Giamin, Abfälle von Baumwolle, Dochte, Gläser, Bleiweiß, Schwämme, Farben, Seife, Nägel, Handwerkszeug, Brenn- materialien, Bürsten u. . w. 15 Loose. Spenal ˖ Lastenheft Nr. 22.

14. November, 1 Uhr. Ebenda: Lieferung verschiedener Gegen stände für die belgischen Staatsbahnen. 98 Loose. Lastenheft Nr. 676.

21. November, 11 Uhr. Bureau des Service dos appro- visionnsments d'imprimèés, rue d'ltalie 32 in Brüssel: Lieferung pon Papter für die belgischen Staatsbahnen. 17 Loose. Spenial⸗

Laften heft Nr. 675. 1 Uhr. Börse in Brüssel: Lieferung von Holz

28. November, g do zu Radspeichen, Schwellen u. s. w. 17 Loose. Lastenhest Nr. 661

(Belgische Staats bahnen). .

30 November. Scekretarlat des hospices eivils, rus Chapuis 33 in Verviers: Lieferung von Medikamenten, Verbandieug, Schuhzeug, Leinwand, Lebensmitteln n. s. w für das Jahr 1901.

30. November. Ebenda: Lieferung von 2400 m Leinwand zu Betttüchern und Hemden. ;

Nächsteng. Börse in Brüssel: Lieferung von 1200 Manöbrler- apparaten für Weichen aus Vignole Schienen, ungefähr 92 kg das Stück wiegend. Die Angebote müssen mindestens für 100 Apparate gemacht werden.

RNaäͤchsteng. Ebenda: Lieferung für die belgischen Staatebahnen: 1) Gegenstände zum Gebrauch beim Heizen der Eisenbahnzüge. 14 . 2 Blei, Antimon, Zinn und ink. 6 Loose. 3) Ver—⸗ schiedene Gegenstände. 78 Loose.

Theater und Musik.

Königliches Opernhaus.

„Der Barbier von Bagdad“, die jedem Musikfreunde be—⸗ kannte Oper von Peter Cornelius, welche am 15. Deiember 18593 in Weimar zum ersten Male zur Aufführung gelangte, 6 indefsen bei den damaligen Zuhörern Verständniß zu finden, ist seit einigen Jahren in den Spielplan der größeren Opernbühnen Deutsch— lands aufgenommen worden. Eine Ehrenpflicht gegen den Komponisten hat auch die biesige Königliche Oper mit der gestrigen Erstaufführung des Werks, welcheg in Berlin nur gelegentlich des Gastspiels eines auswärtigen Ensembleßz im Leffing⸗ Theater im Jahre 1891 dargestellt worden war, erfüllt. Peter Cornelius, der fein⸗ sinnige Komponist, nimmt im Konzertsaal längst die ihm ge bührende Stellung ein; sein dramagtische;s Schaffen konnte aber erst voll gewürdigt werden, nachdem die Werke Richard Wagner g die mustkalische Welk erobert hatten. Jetzt da der Partei⸗ hader längft verstummt ist, fangt man an auch den Bestrebungen der

eit und Strelitgenossen deg sie weit überragenden Bayreuther Meisters die Aufmerksamkelt zuzuwenden, welche sie verdienen. Die Oper „Der Barbier yon Badgad“, deren Text ebenfalls Peter Cornelius zum Verfasser hat, ist eine liebenswürdige, gefällige, zwar mehr lyrisch alz dramattsch angelegte Arbeit, die den Hörer durch den melodiösen und harmonischen Fluß ihrer Musik ungemein zu fesseln vermag. Sie hildet ge⸗ wissermassen den Uebergang von der komischen Oper alten Stils mit ihren endlosen Wiederholungen ein und desselben Gedankens zu dem musi⸗ kalischen Lustspiel, wie es sich seit dem Erscheinen der . Meistersinger von Nürnberg“ in freier Form entwickelt hat. Die Aufführung ver⸗ lief unter Kapellmeister Br. Muck's verständnißvoller Leitung völlig einwandfrei. Die einzelnen Parthien vertraten die Damen Herzog und Goetze, die Herren Knüäpfer, Berger, Sommer und Lieban. Bizet's beliebfe einartige Oper ‚Djamileh“ reihte sich in der äblichen, schon früher gewürdigten Besetzung an.

Berliner Theater.

Am Diengtag ging zum ersten Male das vieraktige Schauspiel Der Rebell von . Ganz in Seene. Das Stück spielt in einer groͤßeren Stadt Ungarns, behandelt aktuelle Fragen des öffent⸗ lichen und privaten Lebens und stellt in dem Gemeinverath Orban einen Mann in den Vordergrund, der gleich einem harmlosen Kinde bisher unter seinen Mitbürgern gelebt und, selbst bis ing kleinste redlich, don jedem derselben nur das Beste geglaubt hat. Als ihm dann endlich über mancherlei Schäden und Mißstände in der gesellschaftlichen Ordnung seiner Vaterstadt die Augen geöffnet werden, rebelliert‘ in ihm das Rechtlichkeitsgesühl mit elementarer Gewalt dagegen. In seinem Uebereifer verwickelt er sich in ein Duell, zieht sich die Ausstoßung aus dem tonangebenden Kasino zu und sieht sich in seinen Bestrebungen schließlich von Allen verlassen, auf deren Mit— wirkung bei dem Reformwerke er gerechnet hat. In seinen Hoff nungen getäuscht, an sich und seinem Glauben zweifelnd, mit der ganzen Welt zerfallen und hadbernd, trifft ihn als letzter harter Schlag noch der Tod seines Sohnes, welcher in dem für ihn übernommenen Zweikampfe fällt. Jetzt verwandelt sich die stumpfe Verzweiflung in wahnsinnige Wuth, er stürmt in das Kasino, zu dessen Mitgliedern der Gegner seines erschossenen Sohnes gehört, schlägt denselben nieder und wird dabei selbst von einer Kugel zu Tode getroffen. Der Gang dieser an sich interessanten Handlung ist zwar mit sicheren, kräftigen Zügen entworfen und auch im allgemeinen geschickt durchgeführt, der GEin⸗ druck wird jedoch durch ein allzugroßes Beiwerk von theo— retischen Erörterungen, nlchtssagenden Phrasen und überschwänglichen Gesühlsscenen beeinträchtigt. Stellenwetse geht dadurch sogar der leitende Faden verloren, und die Theilnahme der Zuschauer er—⸗ lahmt. Dies ist namentlich im ersten und vierten Akt der Fall, während der jweita in der Kasino-Seene ein überaus lebendiges, charakteristisch abgetöntes Bild darbietet und durchweg von dramatischer Wirkung ist. Im letzten Akt beeinträchtigt außer dem bereit? Erwähnten noch der etwas zu theätralische und nicht hinlänglich aufklärende Abschluß. Von den Darstellern ist in erster Reihe Herr Pittschau als Gemeinde⸗ rath Ocbän zu nennen. Er bot eine Glanzleistung feiner Charak- teristit dieses Ehrenmanns von „Stahl und Gisen“' einerseits und von phantastischer, kindlicher Naivstät andererseits. Seine Partnerin, Fläulein Hofer, als Tochter Marie, welche ihrem Vater nachgeartet sein sollte, gab diese Rolle bisweilen etwas zu sentimental, wenn es ihr auch sonst gelang, dieselbe glaubwürdig zu gestalten. Die anderen wichtigeren Rollen waren mit den Herren Walden, Tauber, Connrad und Allemand gut besetzt. Das zahlreich erschienene Publikum spendete der duichzus befriedigenden Darstellung, fowie der wohl⸗ gelungenen Inscenierung verdienten Beifall und rief auch den Autor wiederholt hervor. sodaß die Aufnahme des neuen Stückes als eine recht freundliche bezeichnet werden kann.

Konzerte.

Daz dritte Philbarmonische Konzert, das am Montag unter der Leitung von Arthur Nikisch stattfand, bot ein zwar sehr mannigfach geartetes, aber doch im hohen Grade anmuthendes Pro- gramm, daruntet zwei Tonwerke, die in diesen Konzerten zum ersten Mal zu Gehör gebracht wurden. Von diesen steht die den Abend einleitende F-moll-Symphonie (Nr. 4) von P. Tschalkowski wohl alt Kunstwerk hinter den beiden hier schon früher vorgeführten und gern gehörten Symphonien desselben Komponisten zurück, namentlich hinter der herrlichen „Symphonie pathétique“ (Nr. 6 in H-molh; aber trotzdem ist sie hochinteressant, weil sie des Komponisten Eigen⸗ art ganz besonders zum Ausdruck bringt. Elementare Kraftausbrüche wechseln oft jählings mit beinahe süßlicher Zartheit ab und verrathen durchgehends den slavischen Autor. Ja, der letzte Satz trägt ganz und gar national -russisches Kolorit. Da intonieren nach einem wilden, ungestümen Ginsatz des Orchesters die Holzbläser die Melodie eines rufsischen Volkstledes, das von einem ostinaten Motive der Tontrabässe und von den Hörnern in eintönigem Rhythmug begleitet wird. Am meisten Wirkung eriielte das Scherzo mit feinem Pizzicato Themg; auf stürmischs Verlangen mußte es sogar wiederholt werden. Dem Dirigenten wurde für seine feinsinnige, geistvolle Auffassung des Tonstückes reicher Beifall gespendet, gleicher⸗ weife dem Orchester für seine künstlerische Ausführung. Darüber, ob es nicht besser gewesen wäre, die nunmehr folgende Ouverture zur Oper „Figaro'z Hochzeit‘ an erster Stelle des Programmz zu bringer, steße sich ftreiten; jedenfalls schien sie hier nicht die richtige, verdiente Würdigung zu finden. Der Solist des Abends, Herr Henri Marteau, spielte ein neues Violinkonzert in A-cdur (op. 45) in einem Satze von Chr. Sinding mit großer Frische und Wärme und dabei mit inniger Schlichtheit, ohne jede Empfindelei. Daß der Künftler technische Schwierigkeiten mit Leichtigkeit überwindet, bedarf wohl kaum einer befonderen Erwähnung. Großer Beifall lohnte den Künstler und die Hervorrufe wiederholten sich immer auf's neue. Den Schluß Les Konzertg bildete das Vorspiel ju Richard Wagner'sz Oper .Die Melftersinger von Nürnberg“, das in gleich vollendeter Weise zur Ausführung kam wie alle vorangehenden Programm-⸗Nummern.

Unter den Konzerten der vergangenen Woche ist zunächst des ersten Klavier Abends Wladimir? von Pachm ann zu gedenke: . Diese Abende bedeuten stets für Musiker und Musikfreunde einen hohen Genuß, besonders wenn bei dem Vortrag Chopin scher Stücke der Flügel unter den Händen des Künstlers aasdrucksvoll zu reden und ju singen beginnt. So war es auch am Mitt- woch v. W. ziim Beethoven Saal, als Herr von Pachmann im dritten Theil seines gewählten Programms zu den Werten seines Lieblings komponisten überging. Das Zarte und Poetische entspricht eben seinem Naturell besser als Kraft und Verve erfordernde Tonstũcke. Darum gelang ihm auch die Wiedergabe zweier Kompositionen von Mozart vortrefflich. Aber auch in den im Verlaufe des Konzerts ge⸗ spielten Werken von Bach und Weber legte er achtunggebietende Proben feines Könnenß ab. In der Sing-Akademie ließ sich an diesem Abend zum ersten Male Fräulein Johanna Sch wan aus Baden Baden hören. Die Sängerin verfügt über eine hübsche, aber noch nicht ganz geschulte Stimme und guten Vortrag, auch brachte fie in den glemlich gleiche Färbung tragenden Liedern ihres Programms musskalisches Empfinden zum Ausdruck. Die mit wirkende w Fräulein Agnes Zeeh versuchte, dem Janké⸗ Klavier“ Freunde zu gewinnen, zuerst durch elnen etwas weit h e fen mündlichen Vortrag, der nicht frei, von einigen eftreitbaren Behauptungen war, dann auch durch Wiedergabe einiger Werke von Chopin und Schumann auf dem Instrument selbst, welche zwar Beifall fanden, aber doch nicht auf einer dem Konzertsaal an⸗ gemessenen künstlerischen Höhe ftanden. Inwieweit die Janko Klaviatur etwa daran die Schuld trug, bleibt dahingestellt.

Ver Berliner Lehrer⸗Gefangverein gab am Donnerstag in der Philharmonie unter Professor Felix Schmidts be⸗ währter Leitung vor zahlreich erschienenem Publikum sein erstes Konzert in dieser Salon, in welchem die Kantate Rinaldo“ von Brahms und außerdem „‚Thauwetter', Kompositlon für Männerchor und Orchester von O. Taubmann, und „Columbus“, Kantate für Soli, Männerchor und Orchester von F. Draeseke, erstmalig zur Auf- fuihrung gebracht wurden. Der schöne Stimmenklang des Chors lam

wohl am beften in dem Brahmßt'schen Werke zur Geltung, welches der Verein schon einmal im Jahre 1895 jur Auf führung gebracht hat. Thauwetter‘ ist eine zwar anmuthige, aber im Ganzen doch wenig , . Kompositlos. Bei der Kintate von Draeseke schienen die Chöre und der Orchestersatz besse- gelungen als die Soll, welche etwas monoton und zu wenig melohtös sind, während sich besonders die Schlußchöre zu dramatischem Leben auf schwingen. Der Komponist wurde nach diesem effektvollen Schluß hervorgerufen. Die Soli in „Columbus. wurden von Fräulein Runge und Herrn van Gweyk sehr gut ausgeführt. Herr Dr. Wültkner sang den Rinaldo, und, von dem Professor Dr. Reim ann in der bekannten feinfühligen Weise begleitet, drei Schubert'sche Lieder mit durchdachtem und warmem Vortrag. Auch dem Philharmonischen Orchester gebührt für seinen Antheil an dem Konzert volle Anerkenneng. Im Saal Bechstein hatte zu derselben Zeit das hier schon bekannte Sängervaar Magda und Fran , von Dulong einen Lieder- und Duett⸗Abend veranstaltet, an welchem die schon des öftern gewürdigten Vorlüge der beiden Käünstler wieder vortheilhast zur Geltung kamen. Ihre größten Wirkungen erzielten sie in einigen Gesängen mit einem ungemein süßen, für den Konzertsaal fast zu zarten Pianissimo, von dem lelder schon in den mittleren Sitzreihen des Saales nur wenig vernehmbar war. Herr Otto Bate führte die namentlich bei Liedern von Hugo Wolf recht schwierige Klavierbegleitung mit großem Geschick aus. Zu erwähnen ist ferner ein Konzert des Baritonisten Herrn Max Rothenbücher, welches ebenfalls an diesem Tage in der Sing ⸗Akade mie stattfand. Seine sympathisch Stimme itt wohlgeschult, der Vortrag jedoch ein wenig maniciert; jedenfalls aber bekundete er viel musikalische Begabung. Fräulein Laura Helbling wirkte mit und erfreute durch ihre sowohl kunstfertigen, wie warm empfundenen Violin vorträge. Das Böhmische Streichquartett“ der Herren Hoffmann, Suk, Nedbal und Wihan eröffnete an denselben Abend im Beethoven⸗ Saal die Reihe seiner diesjährigen Abonnements⸗ Konjerte und wurde von dem zahlreich erschienenen Publikum warm bewillkommnet. Die musikalischen Darbietungen standen auf derselben Höhe, wie sie hier bereits bekannt und auch an dieser Stelle wiederholt gewürdigt worden sind. Als Neuheit gelangte diesmal ein Streichquartett (op 1I) von S. Tanciew, einem russischen Toandichter, zur Aufführung. Der genannte Komponist sucht durch eigenartige, orchestrale Klangfärbung ju wirken, ohne jedoch auch ie nothwendigen greisbaren Motive, das Kennzelchen wabrer, inhaltvoller Masik, vorzuführen. Infolge dessen kommt man nicht immer zu einem rechten Genuß. Nur den zwelten Satz, ein lebhaftes, geistreich plauderndes Scherzo, erwärmt durchweg ein klarer, belebender Sonnensteahl. Auch zeigen sich im darauffolgenden Adagio gelegentlich bedeutende mustkalische Momente, wäbrend das Presto⸗Finale gleichsam in wüstem Taumel abschließt. Trotz der vielsachen Schwächen des Werks spendete die Zuhörerschaft lebhaften Beifall, der in vieler Hinsicht wohl auch der bei Bemeisterung seiner technischen Schwierigkeiten vollendeten Wiedergabe durch die Quartettgemeinschaft galt. Wärdig eingeleitet wurde der Abend durch das entzückende Quintenquartett in D-moll (op. 76 Nr. 2) von Haydn und beschlofsen durch das ge⸗ waltige, echt Schubert'schen Geist athmende Es-dur-⸗Quartett (op. 169.

Das erste Konzert der Sing⸗Akademie am Freitag war dem Andenken an Eduard Aaguft Grell gewidmet und feierte mit der Aufführung der „Missa sollemnis“ für 16 Stimmen die hunderiste Wiederkehr des Geburtstags des Komponisten, desseg lorbeer= umrahmtes Porträt den Saal schmückte. Geboren am 6. November 1800 im Parochial ⸗Kirchspiel, an dessen Gotteshause sein Vater Drganist war, von Ritschl und Zelter in die Geheimnisse der Musik und ihrer Theorle eingefübrt, wirkte Grell später selbst als QOrganist an der Nicolaikirche, als Lehrer am Königlichen Institut für Kirchen⸗ musik, als Dirigent des Domchors und demnächst der Sing ˖ Akademie. Die Messe ist sein bedeutendstes Werk ein bewunderngwürdiger kontrapunktischer Tonbau, welcher trotz der durchgeführten Sechzehn⸗ stimmigkeit nicht nur den Eindruck eines mustkalischen komplizierten Rechenerempels macht, sondern der auch auf Geist und Gemüth an⸗ regend wirkt und andächtig stimmt. Soviel verschlungen auch die Pfade sind, die die einzelnen Stimmen mit. und gegeneinander wandern, dem Ganjen ist doch edle Ruhe nicht abzusprechen. Wie den Künstler selbst im Leben eine große Schlichtheit auszeichnete, so verschmaͤht er auch in seinem Werk jede theatralische Wirkung und läßt eg selbst zum Schluß im innigen, einfachen „Agnus Dei- sanft ausklingen. Der starkbesetzte Chor löste seine sehr schwierige Aufgabe mit Hingebung, überraschte sogar an einzelnen Stellen, wie im „Gloria in excelsis Deo“, durch die Tonfülle und sang im Credo die Worte „cum gloria judicare vivos et mortuos“ ergreifend ausdrucksvoll. Auch die Solisten, die stets bei dteser Messe gegen die Chormassen ankämpfen müssen, thaten sich besonders hervor. Fräulein Meta Geyer, Fräulein von Türckheim und auch die anderen Mitwirkenden waren sehr gut disponiert. Herr Kawerau, der Vize⸗Direktor, der die Sing ⸗Akademie in der herrenloseg Uebergangs⸗ zeit trefflich geleitet hat und nun wohl bald den Taktstock an den neuernannten Direktor Herrn Schumann abgeben wird, dirigierte mit feinem Verständniß und der gewohnten Unsicht. In der Philharmonie gab an demselben Tage Frau Lilli Teh mann bei voll besetztem Saal ihren ersten Lieder Abend. Sie brachte Gesänge von Bungert, Brahms und Loewe zu Gehör und fand gleich zus Anfang lebhaften Beifall durch den ebenso zart wie warm empfundenen Vortrag des ‚Rheinlieder Cyelugß . des erftgenannten Komponisten, aus dem sie auf stürmisches Verlangen „Die Loceley wiederholte. Sehr wirkungevoll war das von ihr zum ersten Male esungene Bungert'sche Lied In der Rosenlaube“', das durch den eichten, graziösen und neckischen Ton ganz besonders entzücke. Glücklich war auch die Auswahl der Lieder von Brahms und der kleineren von Loewe. Weniger Beifall, und auch mit Recht, fand die Ballade „Jungfrau Lorenz‘, die etwas cinförmig ift und wenig dramatische Färbung hat. Jedenfalls zeigte sich aber Frau Lilli Lebmann mit ihrem Gesang wie bisher auf der Höhe der Kunst; ihre Stimme besitzt noch in allen Lagen den vollen jugendlichen Schmel; und Zauber, und ihr wunderbar vielsfeitiger Vortrag ist über jede Kritik erhaben. Im Beethoven. Saal konjertierte an diesem Abend der Geiger Derr Professor Fobann Kruse mit dem Philharmonischen OSrchester unter Professor Joachim's Leitung. Der Künstler, welcher vor seiner Uebersiedelung nach London bekanntlich dem Joachim. Quartett angehörte, ift seit mehreren Jahren den Berliner KRonzertsälen ferngeblieben. Für seine Beliebtheit zeugte am Freitag die große Zahl der erschlenenen Zubörer. Er brachte das Beethoven Konzert und die Konzerte ia A-moll von Bach und in Dmoll von Vieuxtemps jum Vortrag. Es zeigte sich bei dieser Gelegenhert aafs neue, daß Herr Profeffor Kruse weniger ein glänzender Virtuose als ein tüchtiger Mustker ist. In der Technik mißlingt ihm mancheg, während an seiner Auffassung nichts auszusetzen ist. Ihm und dem Herrn Pro. fessor Joachim, welcher außerdem Gade's Ouverture. Im Dochland“ besonders wirkungsvoll diriglerte, wurde stürmischer Beifall gespendet. = Ber Lieder- Abend von Fräulein Fohn⸗Marlitt, welcher ebenfall am Freitag im Saal Bechstein stattfand, war schwach besucht. Die Dame besitzt eine 3 1juweilen etwas scharf klingende Sopranstimme, mit der sie bei belebterem Vortrag größere Wirkungen erzielen würde.

In der Sing Akademie gaben am Sonnabend die Seren Johannes Megschaert (Gesang und Julius Röntgen (Klavier) gemeinsam ein Konzert. Herr Megschnert besitßzt eine große., wohlgeschuste Baritonstimme von schönem Timbre, welche leider nur durch beständiges Tremolieren stark beeinträchtigt wird. Sehr be- merkbar machte sich dieser Fehler in dem Liederkrelz An die ferme Geliebte! von Beetbe den. Dagegen wirkten die ansprechenden Lieder von Ozcar C. Vosa weit besser und ten gen dem . lebhaften Beifall ein, ebenso dag zum 26 flich vorgetragene Vochzeitlied voa G. Leewe. Sein Partner, Der Röntgen, fübrte die Begleitung ju sämmtlichen Liedern sekr au. erkennengwerth aus und trug seinerseite die große Sonate in moll (op. III) von Beetboven mit bedeutender Virtuosttät und tiefgehendem