1900 / 278 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 22 Nov 1900 18:00:01 GMT) scan diff

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die verbündeten Regierungen Furcht vor der großen Rede des errn Bebel? Die hätten wir n überstanden, und wir aben sie ja nun gestern hören müssen. Fürchteten sie Herrn Richter? er hat doch heute ein viel größeres Material, als er im Juli hätte haben können. Als konstituttonelle und liberale Partei müssen wir entschleden Verwahrung gegen dieses Verfahren elnlegen. In der vergangenen Session haben wir dem Reichskanzler Fürsten Hohenlohe unser Vertrauen für die Führung der auswärtigen Geschäfte ,, wir bedauern aber, daß er nicht in diesem Sommer selnen vollen Einfluß für die rechtzeitige Einberufung des Reichstages eingesetzt hat. Die Frage, ob das Geldbewilligungsrecht der Volksvertretung verletzt ift, ist ja durch die Erklärung des Reichskanzlers Grafen Bülow, daß man auch mit der Indemnitätsertheilung einverstanden sei, in der Hauptsache beseitigt. Etwas Anderes ift es mit der Frage, ob nicht das Milltärgesetz durch die Schaffung der neuen Truppen— theile berleßt ist. Auch diese Frage wird in der Kommission geprüft werden müssen; jedenfalls muß eventuell ein besonderes Gesetz die esetzliché Grundlage für diese Truppentheile schaffen. Wir er—⸗ ennen also an, daß die Wahrung deutscher Ehre und deutscher Inter⸗ essen in Ching in durchaus zufriedenstellender Weise erfolgt ist, wir fordern aber auch Achtung vor den Rechten der Volksvertretung. Abg. Dr. von Levetzow (d. kons.): Meine politischen Freunde, die große Mehrheit des Reichstages und die große Mehrheit im Lande sind damit einverstanden, daß durch die Vorgänge in China, durch Schuld der chinesischen Regierung und des chinesischen Volkes die Ehre, das Anfehen und die Interessen unseres Vaterlandes schwer verletzt worden sind, und daß der Kaiser und die verbündeten Regie⸗ rungen alle Veranlassung hatten, gegen die in China geschebenen Handlungen der Barbarei schnell einzuschreiten. Die Wege die hierzu beschritten worden sind, werden die Billigung des Reichstages ebenso faden, wie sie sie im Lande gefunden haben, und ich meine, daß vor allem auch die Mittel zu bewilligen sind für einen Feldjzug, in dem das Blut unserer Söhne geflossen ist. (Redner

wendet sich im weiteren Verlaufe seiner Rede nach rechts und spricht

mit so leiser Stimme, daß seine Ausführungen auf der Journalisten⸗ tribüne sehr schwer verständlich sind) Wir haben zu den Waffen greifen müssen, um die barbarischen Verletzungen des Völkerrechts und der Zivilisation zu fühnen. Ich glaube nicht, daß irgend ein Parlament der Welt die Mittel für einen solchen Krieg verweigern würde. Meine Freunde werden desbalb für die Vorlage ftimmen, ebenso für ihre Ueber- weifung an die Budgetkommission. Wir wollen die Nothwendigkeit der einzelnen Ausgaben prüfen und erwägen, ob nicht etwa eine größere Spezialisierung der einzelnen Positionen vorgenommen werden muß. Wir sind überzeugt, daß die hohen Summen, die jetzt gefordert werden, auch der Bewilligung der Einzelstaaten sicher sind. Aufsällig war auch uns, daß der Reichstag nicht früher einberufen wurde. Der Reichstag hätte unmittelbar nach der authentischen Nachricht von der

rmordung unseres tapferen Gesandten einberufen werden sollen. Es steht fest, daß der Reichstag in patriotischer Aufwallung alles Geforderte bewilligt hätte. Wenn man entgegenh ilt, daß man die Höhe der Ausgaben nicht vorher gewußt hätte, so ist daran zu erinnern, daß beim Ausbruch des deutsch⸗französischen Krieges der Reichstag ebenfalls einberufen wurde, ohne daß man über die Höhe des Geldbedarfs im Klaren war. Man soll auch nicht sagen, daß es dem Reichstag unbequem gewesen wäre, zu einer außerordentlichen Session einberufen zu werden. Andererseits muß anerkannt werden, daß der Reichskanzler die Be⸗ denken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens erheblich ab— geschwächt hat. Die Rede des Reichskanzlers hat uns ferner die Ge⸗ wißheit verschafft, daß unser gutes Verhältniß zu Rußland, auf dessen Fortbestand der größte Werth gelegt werden muß, gesichert ist, und daß keine Macht in China vorläufig auf territoriale Erwerbungen ausgeht. Auch wir wünschen eine Ausdehnung unseres kolo⸗ nialen Besitzes nicht. Wat die Form des Etats anbetrifft, so können wir uns mit der nachträglichen Genebmigung einverstanden erklären. Die Sache liegt hier allerdings andert als in anderen Fällen, und der Reichskanzler ist ja sehr entgegenkommend gewesen, aber der Unterschied zwischen nachträglicher Genehmigung“ und „Indemnität“ scheint mir etwas spitzfindig; thatsächlich kommt eg auf dasselbe hinaus. Wenn Sie nachträglich genehmigen, haben Sie Indemnität ertheilt, und wenn Ste Indemnität ertheilen, haben Sie nach⸗ träglich genehmigt. Ferner wäre es wünschenswerth gewesen, wenn bei der Ausfubr unserer Truppen und der Ausreise des Grafen Waldersee, dieses verdienstvollen Mannes, dem dafür, daß er die schwere und undankbare Aufgabe bei seinen vorgerückten Jahren übernahm, der Dank des Vaterlandes gebührt, anders ver fahren worden wäre. Es entspricht deutscher Sitie, still in den Kampf zu gehen und Feste zu feiern nach den Siegen. Andererseits war mir bei gewissen Preßerzeugnissen zu Muthe, wie in dem bekannten Sprich⸗ wort von dem Vogel und seinem Nest. Herr Bebel sagte, es gebe kein christliches Reich, er wird aber zugeben müssen, daß sämmt⸗ liche Einzelstaaten christliche Staaten sind. Wag die vor—⸗ gelesenen Soldatenbriefe betrifft, so hat man sich zu fragen, ob sie nicht krasser Renommage zuzuschreiben sind. Ich babe seinerzeit auch einen Krieg mitgemacht und habe nie ge⸗ sehen, daß unsere Soldaten barbarisch vorgegangen sind, dazu sind sie viel zu gutmüthig. So ist es auf allen Kriegszügen gewesen. Ich schließe damit, daß ich gegen die Verhetzung unserer deutschen Armee vrotestiere, die sich in ibrer Organisation, Disziplin und Tapferkeit in China ebenso bewährt hat wie überall, wo sie hingeführt worden ist. Sollten einzelne Ausschreitungen vorgekommen sein die kommen überall vor so wird nach der Erklärung des Kriegs. Ministers die nöthige Remedur nicht ausbleiben. Ich wünschte, daß sämmtliche Briefe der Verwaltung zur Verfügung gestellt werden, damit die nöthige Untersuchung erfolgen kann.

Abg. Richter (fr. Vollsp.): Im Gegensatz zum Abg. Bebel halte ich es für eine unbedingte Nothwendigkeit, daß im Augenblick der Ermordung des Freiherrn von Ketteler unsererseits eine militärische Machtentfaltung vor sich gehen mußte. Keine Regierung wird sich dieser Nothwendigkeit entziehen können. Ich will nicht untersuchen, welche Machtmittel von Deutschland vielleicht schon vorher zur Bekämpfung der chinesischen Wirren hätten angewandt werden können. Jeden falls aber kann nicht alles, was geschehen ist, auf Anerkennung rechnen. Die zweite Truppensendung zum Beispiel wird nur erklärlich im Zusammenhang mit der Uebernahme des Oberbefehls seitens des Grafen Waldersee. Man wollte dadutch dem Oberbefehl, meines Erachtens, ein besonderes Prestige geben. Die Uebernahme des Ober— befehls war ein schwerer politischer Fehler und nur besonders günstigen Umftänden haben wir es zu danken, daß aus der Uebernahme des Oberbefehls für uns keine großen Nachtheile entstanden sind. Der Oberbefebl ist den anderen Staaten von uns aufgedrungen worden. Es ist unrichtig, daß der russische Kaiser ihn uns angetragen hat. Deutschland ist vermöge seiner Lage und seiner Inter⸗ essen in Oft-Asien gar nicht geeignet, in Ching eine führende Rolle zu spielen. Der englische Handel mit China ist sechs mal so groß wie unserer. Daß Graf Waldersee gewissermaßen Lorbeeren anf Vorschuß eingeheimst hat, hat im Volke schon eigengrtige Gedanken wachgerufen. Man sagte sich: wenn dag schon jetzt fo anfängt, was soll erst geschehen, wenn er zurückkehrt? Es ist überhaupt auffallend, daß bei uns die ganze Politik seit einiger Zeit theatralisch und dekorativ insceniert wird, viel mehr, als noth— wendig ist. Hierzu gehören auch die Reden des Kaisers, die öffent⸗ lichen Kundgebungen programmatischer Art, welche oft als Vor—⸗ bereitung zu gesetzgeberischen Maßregeln zu betrachten sind. Die⸗ selben sind darauf berechnet, das Volk für das zu stimmen, wag der Kaiser für richtig hält. Wir unsererseits als Volkevertreter haben ein Interesse daran, daß die für das Volk bestimmten Reden der weitesten Oeffentlichkeit in authentischer Form durch den „Reichs Anzeiger ag n i gemacht werden. Daß müßte geschehen in Wahr⸗ nehmung unseres berechtigten Interesseß. Bevor aber solche Kaiser⸗ lichen Reden programmatischen Inhalts ins Land gehen, sollte sich der verantwortliche Minister mit dem Monarchen verständigen. Der Redner geht dann näher auf den Inhalt der von Seiner Majestät dem Kaiser in Bremerhaven gehaltenen Rede ein und fährt hierauf fort: Die Betonung des religiösen Elements war ein politischer Fehler. Die chinesischen Wirren sind wesentlich auch durch den religiösen Fanatismus

erzeugt. Wenn unsererseltg dieser Krieg als Religiongkrieg hingeftellt ö. den man an die Stelle der chinesischen die ihn , Religion zu setzen habe, so ist das nicht geeignet, den Wirren ein Ziel zu setzen. Wenn Religion und Politik in Konflikt gebracht werden, so leiden beide, und daz spüren auch die Missionen. Andere Staaten mit jahrhunderte⸗ langen Erfahrungen hüten sich, ihre Politik mit der religiösen Pro— paganda in Beziehung zu bringen. Ventschland könnte daraus lernen, aber bei uns würde gerade die Förderung mancher kolonialen Frage nicht die Zustimmung des Zentrums finden, wenn dieses nicht glaubte, damit zugleich das Missionswesen zu fördern. Diese Anschauung sollte man korrigteren. Man wollte durch den Stützpunkt Kiautschou die Bedrängungen der Missionen verhindern, das Gegentheil sst eingetreten, die chinesischen Behörden haben die Missionen gestört. Die Missionsanstalten entfalten, solange sie nicht unter deutscher Flagge thätig sind, sehr fruchtbare Arbeit, werden aber daran gehindert, sobald sie neben dem religiösen auch noch in politischen Gegensatz zu den Eingeborenen treten. In der General⸗ bersammlung des Evangelischen Bundes in Hamburg hat Professor Harnack die These vorgeschlagen, daß vom Konfessiensstandyuntkt aus das Eingreifen der Großmächte für die Misstonen keine Hilfe sei, sondern ibnen Schwierigkeiten mache. Nach allem, was man gehört hat, sind die chinesischen Christen überall die besten Brüzer auch nicht; es wird behauptet, daß das Gros verselben sich nur durch materlelle Vortheile gewinnen lasse. Hält. man die Staatsgewalt zu so weitgehendem Schutz der Missionen bis ins Innere verpflichtet, so muß man auch das Recht in Anspruch nehmen, der Missions« thätigkeit Grenzen zu ziehen. Wie soll nach der Aufforderung „Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht. Führt eure Waffen so, daß auf 1000 Jahre hinaus kein Chinese mehr es wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!“' ein Chinese noch sonderliche Neigung empfinden, mit Deutschen Handelsgeschäfte zu schließen? Darüber, ob diese Aussprache: „Pardon wird nicht gegeben!“ eine Aufforderung des obersten Kriegsherrn gewesen ist, hat gestern der Kriegs⸗Minister keine Auskunft gegeben. Der Kriegs⸗ Minister könnte die Zweifel darüber mit einem Schlage widerlegen, wenn er ung einen chinesischen Kciegsgefangenen nachwiese; davon aber, daß Kriegsgefangene in großer Zahl irgendwo zusammengehracht sind, hat man nichts gehört. Was die sogenannten - Hannenbröefe betrifft, stellt man es so dar, als ob dieselben eine Erfindung der Sozial- demokratie wären. Das ist keincswegs der Fall; sie finden sich in Blättern aller Parteifarben Beweis genug, daß thatsächlich solche Dinge vorgekommen sein müssen. Man spricht nun von Renommisterei. Früher ist es doch aber nicht vorgekommen, daß der oberste Kriegsherr gesagt hätte: „Pardon wird nicht gegeben!‘ Eg handelt sich garnicht um den Exzeß einzelner Soldaten, sondern um die Befehle der Oberen, Gefangene in greßer Zahl nach beendetem Gefecht an die Mauer zu stellen und erschießen oder erstechen zu lassen. Es ist nicht der „miles 10riosus“, der so schreibt, sondern die Leute empfinden einen gewissen gib e: vor diesen Thaten, und es kommt hier auch nicht eine unberechtigte Sentimentalität zu Worte. Wir haben den Eindruck, daß diese Massen⸗ exekutionen in China eine Folge solcher Parole sind. Der Kriegs⸗ Minister gab der Sache einen welthistorischen Untergrund; er sagte, das sei die Vergeltung für die Missethaten, welche die Mongolen vor 17 Jahrtausenden gegen uns verübt haben. Gottes Müblen mahlen langsam, aber sicher! Die Gottheit sollte man doch aber bei diesem Anlaß aus dem Spiel lassen. Attila erhob auch den Anspruch, Gottes Geißel zu sein; soll jetzt Graf Waldersee sie vorstellen? Ist die Welt seitdem nicht vor— geschritten? Brüsten wir uns mit unserer Kultur nur für uns selbst? Die Mannszucht der Soldaten muß auf die Dauer unter solchen Dingen leiden; mich tröstet nur das, daß die militärischen Unternehmungen jetzt ohnehin auf größere Schwierigkeiten stoßen müfsen. Cine Demoralisation der deutschen Soldaten würde ich umsomehr bedauern, als ich vollständig mit den anderen Rednern in der Anerkennung des Verhaltens und der Leistungen unserer Truppen in China übereinstimme. Der Reichskanzler hat schon in seiner Septembernote davon gesprochen, daß Massenexekutionen dem zwilisierten Gewissen wirersprechen. Mit dem Kaiser von China sind wir ja auch schon in einen diplomatischen Verkehr getreten, ob⸗ wohl die von uns gestellten programmatischen Vorbedingungen keines— wegs erfüllt sind. Man hätte also diese letzteren auch nicht so feier⸗ lich urbi et orbi verkünden sollen, wenn man für sie die Zustimmung der anderen Mächte nicht gewinnen konnte. An der Uebereinkanft der Diplomaten jetzt Kritik zu üben, halte ich nicht für angemessen; man weiß ja noch absolut nicht, wie der Chinamann denkt. Das— jenige Programm wird am leichtesten auszuführen sein, dessen Aus— führung die Mächte selbst in der Hand haben; dazu gehört die Schleifung der Festungen und das Verbot der Waffeneinfuhr. Früher hieß eg: Völker Europas, wahrt Eure heiligsten Güter gegen die gelbe Rasse! Wie ist es aber gekommen? Die Völker haben sich vereinigt, um Cbina die besten Waffen zu liefern. Kapitän Lans schreibt ausdrücklich: Welcher Hohn! Alle Geschütze, die auf uns ge— richtet sind, stammen aus deutschen Fabriken, stammen von Krupp. Ein weiterer großer Fehler unserer Diplomatie war es un⸗ zweifelhaft, den siegreichen Japanern in den Arm zu fallen; denn wenn wir an der gelben Rasse kein Interesse hatten, wie konnten wir ihr unsere Dienste leihen? Das deutsch⸗ englische Abkommen ist mir auch nicht ganz ver⸗ ständlich; sollen wir England Vorspann leisten? Mit dem einen heißen Platz an der Sonne haben wir wirklich gerade genug in China. Nach den gemachten Erfahrungen sehe ich heute die Er—⸗ werbung von Kiautschou viel weniger günstig an als vor zwei Jahren. Der Reichskanzler meinte, nur in auswärtigen deutschfeindlichen Blättern sei die Erwerbung mit den chinesischen Wirren in Zu— sammenhang gebracht. Die erste Zusammenstellung dieser Art ist von dem Bischof Anzer von Schantung ausgegangen; schon vor dem Beginn der Wirren, zu Anfang des Jahres, hat er sich in einem Neujahrsbrief, den die ‚Kölnische Volkszeitung“ veröffent⸗ lichte, derart geäußert. Die 152 Millionen für die Expedition sollen aus der Kriegsentschädigung gedeckt werden. Die Botschaft hör ich wohl, aber einstweilen fehlt mir noch der Glaube. Bleibt China nichts übrig, als die Zölle zu erhöhen, so werden dadurch doch die Handelsbeziehungen geschädigt. Die Verwendung der maritimen Streitkräfte ist fehr kostspielig, ohne irgend etwas von Erheblichkeit zu den Erfolgen beigetragen zu haben. Man hat Anleihen von 80 Millio—⸗ nen in Amerlka aufgenommen. Big zum 1. April nächsten Jahres sind nach dem Etat noch 250 Millionen Anleihen aufzunehmen; dazu kom⸗ men weitere Anleihen für die Flotte, und, koster die China Expedition noch eine zweite Rate, dann ist die halbe Milliarde da. Wag die staats⸗ rechtliche Seite betrifft, so liegt anerkanntermaßen eine flagrante Ver⸗ fassungt verletzung vor. Der Abg. Dr. Lieher sagt: Und das bietet man diesem Reichstage! Ja, durch die Flottenbewilligung ist die Regierung zu einem guten Theile der Nöthigung überhoben worden, auf gute Stimmung im Reichstage Bedacht zu nehmen. Nach weiteren Bemerkungen über die Unterlassung der Einberufung des Reichstages im Sommer, für welche, wie er ausführt, nicht allein der Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe sondern die gesammten Mitglieder des Bundesraths verantwortlich zu machen seien, fährt der Redner fort: In der Thronrede, für die Graf Bülow verantwortlich ist, sucht man die Nichteinberufung des Reichstages zu ent schuldigen. Gewiß, ohne Zögern mußten Machtmittel gegen China aufgebracht werden. Aber in der zweiten Hälfte des Juli wäre die Einberufung des Reichstages sehr wohl möglich und am Platze gewesen, denn damals waren die Nachrichten so weit vor⸗ geschritten, daß sich die Lage einigermaßen übersehen ließ. Man sollte sich nicht hinter dem Kalkulator verstecken und die Sache etwas weniger kavaliermäßig behandeln. Wichtiger als das Verlangen nach Indemnität scheint es mir, daß Vorbeugungsmittel getroffen werden, damit solche Dinge nicht wieder vorkommen. Dies kann geschehen einmal durch die Einführung der Ministerverantwortlichkeit und durch Verstärkung der finanziellen Kontrolen. Die Staatssekretäre müssen selbständiger gestellt werden. Damit soll nicht gesagt sein, daß z. B. der Reichs⸗Schaͤtzsekretär im Reiche dieselbe Stellung einnehme wie der Finanz⸗Minister in Preußen, der dort der

eigentliche Minister ⸗Präsident ist. Der Bundesrath hat ja in den

meisten Dingen fast garnichts zu sagen; der Kaiser vereinbar Ressort⸗Minister eine große organische Neuerung, und l. t en fürsten und Bundegregierungen sehen sich dann einfech ndez. vollendeten Thatsache gegenüber. Es muß die V

keit allein 6 oben,

sache an. 5 r Berufung be dringend, well der auswärtigen Politik jetzt Ziele gesteckt werden, welche

unter Umständen für das Volk und für das Reich verhangn el

werden können. Bei dem der Eröffnung des Reichstages in der Dom. kirche voraufgehenden Gottesdienst hat ja der Hofprediger Ih ausdrücklich davon gesprochen, daß eine neue Aera der Welipolsni der Welteroberung beginne, daß die Welt an deutschem Wesen gesunden solle. Spricht ein Hofprediger so, so weiß er, daß er damit Stimmungen ausspricht, die oben vorherrschen. Die Hohenzolsen werden keine Bonapartes, sagt Graf Bülow. Daß aber nichts jensenn des Ozeans ,. oll ohne Deutschlands Mitwirkung, ist ein Aug spruch, den Napoleon für Frankreich nicht in Anspruch genommen hat. Die Erfahrungen des letzten Jahres müssen alle Die jenigen welche noch Weltreichsphantasien nachgegangen sind, ernüchtern. Ii Engländer haben zwei Milliarden verbraucht, um Trang aal zu erobem aber sich nur ein neues Irland geschaffen, und die Amerikaner können auf den Philippinen nicht Rube schaffen. Dandel und Wandel sind in rückläufiger Bewegung in Deutschland, dazu haben vor allem der südafrikanische Krieg und die chinesischen Wirren beigetragen. Hinde und Gewerbe seuszen nach Beendigung dieser Wirren. Die Zukunft

Deutschlands liegt wahrhaftig nicht auf dem Wasser. Sie liegt in

Lande selbst, wo noch sehr viel schwere, kulturelle Probleme u lösen sind.

Reichskanzler Graf von Bülow:

Meine Herren! Die Ausführungen des Herrn Abg. Richter geben mir keine Veranlassung, etwas Wesentliches dem hinzuzufügen, waß ich gestern hier erklärt habe über meine Auffassung hinsichtlich der her⸗ fassungsmäßigen Rechte dieses hohen Hauses und über meine un, bedingte Achtung vor den verfassungsmäßigen Rechten des Reicht, tages. Ich habe von dem, was ich gestern erklärt habe, nichtz zurlck, zunehmen, ich habe aber auch dem nichts hinzuzufügen, und ich denke, die Mehrheit dieses hohen Hauses wird sich über die Absicht und über den Sinn und auch über die absolute bona fides meiner gestrigen Eiklärungen nicht in Zweifel befinden.

Was nun, meine Herren, die Nichteinberufung des Reichgtaget im vergangenen Sommer angeht, so glaube ich, daß der Hauptgrund, welcher meinen Herrn Amtsvorgänger denn darin muß ich p meinem Bedauern dem Herrn Abg. Richter widersprechen um den damaligen Reichskanzler kann es sich allein handeln, die Reschz« verfassung kennt nur eine einzige verantwortliche Persönlichkeit im Reiche, das ist der Reichskanzler, und die Reichsverfassung bindet unt Alle: sie bindet mich, aber sie bindet auch den Herrn Abg. Richter also ich glaube, daß der Grund, welcher den Fürsten zu Hohenlohe veranlaßte, im Sommer nicht zur Einberufung des Reichstages zu schreiten, zunächst die Erwägung war, daß die Zusammenberafung det Reichstages wegen der China⸗Expedition zur Voraussetzung gehabt haben würde die Vorlegung eines Ergänjungs⸗Etats für dag laufende Etats jahr an den Reichstag und Bundesratb. Und dafür schienen dem Herrn Reichskanzler damals die Voraussetzungen noch nicht gegeben zu sein. Dazu kam, daß der damalige Herr Reichskanzler aus der Haltung eines Theiles der Presse die Ueberzeugung schöpfen zu können glaubte, daß die Einberufung des Reichstages zu jener Zeit nicht den Wünschen aller Parteien entspreche. (Hört, hört! links.) Und ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich sage, daß et namentlich ein Blatt war, welches in dieser Beziehung den damaligen Herrn Reichskanzler impressioniert haben dürfte, nicht nur, weil e⸗

ein überaus geschickt redigiertes Blatt ist (Heiterkeit), sondern auch, weil ihm Beziehungen nachgesagt werden zu einem sehr hervorragenden

Parlamentarier, dessen Beredsamkeit wir soeben Alle bewundert haben. (Heiterkeit.) Zeitung“. (Zuruf links) Gewiß, das Datum werde ich angehen, Also die ‚Freisinnige Zeitung‘ brachte am 4. Juli, d. h. gerade in

psychologischen Moment, wo es sich um die Einberufung oder um de Nichteinberufung des Reichstages handelte, den nachstehenden Artill

den ich mit Erlaubniß des Herrn Präsidenten verlesen möchte: „Ob es angemessen ist, den Reichstag einzuberufen, läßt sih unseres Erachtens erst entscheiden, wenn ein klarer Thatbestand lber die in Betracht kommenden Verhältnisse vorliegt. Auch ist eine feste Stellungnahme von deutscher Seite nur möglich nach Vetein= barungen mit den anderen Großmächten auf der Grundlage eintf solchen Thatbestandes. Der Reichstag, einmal einberufen, kann niht wochenlang unthätig sein, bis eine entsprechende Vorlage möglh ist. Gegenwärtig vermögen auch vor den anderen Parlamenten die Minister alle Anfragen nur dahin zu beantworten, daß n. keine sichere Kenntniß besitzen über die thatsächlichen Verhältnisse (Heiterkeit, An sich sind die bisher angewiesenen außerttath⸗ mäßigen Ausgaben für die Verstärkung der Wehrkraft in Ost⸗sten nicht so erheblich, um aus finanziellen Gründen den Reichttag Mu berufen. (Sehr richtig! linkz. Hört! hört! rechts.) Nach der National Zeitung? wird beruhigend hinzugefügt ist bis jetzt weder innerhalb der Regierung die Ginberufung de Reichstages beabsichtigt, noch sind im Reichztaggbureau irgendwelche Andeutungen eingegangen, daß eine außerordentliche Session bebar⸗ stände.“

Meine Herren, ich gebe Ihnen ja zu, daß dieser Artikel eta gewunden ist; ich gebe zu, daß er bis zu einem gewissen Grade auf Steljen gestellt ist. Das pflegt aber bei offinlssen Auslassungen häufig der Fall zu sein. (Große Heiterkeit; Wer diesen Artikel um befangen liest, der kann doch nicht im Zweifel darüber sein, daß det, jenige, der diesen Artikel verfaßt oder inspiriert hat, die Ginberusun des Reichstages, gewiß optima fi, in diesem Augenblick nicht n nothwendig hielt. (Zuruf links.) Und diesen Eindruck hatte auch it. Ich verrathe Ihnen kein Geheimniß, wenn ich sage, daß ich su de jenigen gehört habe, welche glaubten, daß damals ernste und , Gründe für die Einberufung des Reichstages sprachen. (Hött, zun Aber, wie ich den Artitel las, sagte ich mir doch: das ist übel, m muß ich mich strecken, gegen den Herrn Abg. Richter kann ich n aufkommen! (Große Heiterkeit.)

(Schluß in der Dritten Beilage)

Ich spreche natürlich von der „Freisinnigen

Dritte Beilage zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

278.

Berlin, Donnerstag, den 22. November

1900.

(Schluß aus der Zweiten Beilage.)

Auf die Nichteinberufung des Reichstages in diesem Sommer pill ich von meiner Seite nicht weiter zurückkommen. Ich kann nur sagen, daß, wenn sich wieder ein ähnlicher Fall, eine ahnliche Kriegs⸗ gefahr ereignen sollte . hoffentlich nicht in absehbarer Zeit —, und wenn ich dann noch an dieser Stelle steben sollte, was ich auch nicht pelß in dieser Beziehung sagte der Herr Abg. Richter soeben ein sehr richtiges Wort (Heiterkeit, wenn diese beiden Vorausetzungen usammentreffen, dann werden Sie einberufen werden, darauf können Sie sich verlassen. (Heiterkeit.) Nun ist der Herr Abg. Richter auch zurückgekommen auf das Vechältniß jwischen Deutschland und Rußland, über das ich mich geftern bier ausgelassen habe, und er hat die Ansicht ausgesprochen, daß der russische Evakuationsvorschlag zurückzuführen wäre auf eine Verstimmung gegen uns. Das war nicht der Fall. Dies anzunehmen, heit doch, die Sachlichkeit und Ruhe unterschätzen, mit welcher die nussische Politik geleitet wird, die sich ebenso wenig wie die deutsche politkk von Verstimmung oder von Stimmungen leiten läßt. IZuruse links Ich glaube, meine Herren, das trifft sowohl für die deutsche Politik zu, da kann ich es garantieren, aber ich möchte es auch garantieren für die russische Politik. Am allerwenigsten richtete sich der russische Evakuationsvorschlag gegen unser Oberkommando, das ja, wie ich mir gestern erlaubte auszu⸗ führen, von Seiner Majestät dem Kaiser von Rußland in erster Linie n unsere Hände gelegt worden war. Meine Herren, wir haben dem mussischen Evakuationsvorschlag im September nicht zugestimmt, weil pit glaubten, daß damals die Ausführung dieses Vorschlags nicht bei⸗ tragen würde zu einer raschen Pazifizierung von China. Wir haben aber niemals verkannt, daß der russische Vorschlag bona side gemacht worden war. Der Meinungsaugztausch über diesen Borschlag zwischen unß und dem St. Petersburger Kabinet ist in verbindlichster Form gefsthrt worden und hat keinerlei Schärfe zurückgelassen. Was nun, meine Herren, die von dem Herrn Abg. Richter wieder berührte Genesis des deutschen Oberkommandos betrifft, so ist es vollstindig unzutreffend, daß wir unseren Oberbefehl den anderen Mächten aufgedrängt hätten. Der Gedanke eines deutschen Ober⸗ befehls beruhte auf einer von außen her auf amtlichem Wege an uns gelangten Anregung. (Hört, hört) Mehr, meine Herren, kann ich nicht sazen (ah, links), ich kann nicht mehr sagen, weil es sich handelt um einen Gedankenaustausch jwischen Souveränen und Staatzober— häuptern, und ganz abgesehen davon giebt es auch Fälle, wo mir daß Staatsinteresse ein Schloß vor den Mund legt lsehr richtig! rechts), das Staatzinteresse, welches mir noch höber fteht als mein lebhafter Wunsch, im übrigen auf alle Fragen des Herrn bg. Richter zu antworten. (Heiterkeit) Nun hat sich der Herr Abg. Richter auch angeeignet, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, Angriffe, welche der Herr Abg. Bebel gestern gegen die Missionen berichtet hat. Der Herr Abg. Bebel hat, wenn ich ihn gestern richtig derstanden habe, gesagt, daß namentlich die katholischen Misstonare biz zu einem gewissen Grade Schuld trügen an den gegenwärtigen Wirren in China. Ich halte diese Auffassung für unzutreffend, sie wird durch die mir zugegangenen Berichte nicht bestätigt, und ich werde mich nicht durch den Herrn Abg. Bebel zu einer irgendwie ungünstigeren Behandlung, irgendwelcher Differenzierung der katholischen Missionare verleiten lassen. Was den Herrn Bischof Anzer betrifft, so rechne ich es ihm zum hohen Verdienst an, daß er schon vor Jihten seine Misston unter deutschen Schutz gestellt hat. Wir werden bie Missionen auch ferner schützen, und wir betrachten gerade so wie in Orient über diesen Punkt haben wir uns ja vor zwei Jahren nulgesprochen mit dem Herrn Abg. Fritzen, den ich mir gegenüber sehe auch in China die Ausübung unseres Protektorat über die dutschen katholischen Missionen als eine Ehrenpflicht, der wir uns gern unterziehen und nicht entziehen werden. Dann ist der Herr Abg. Richter auch ins Gericht gegangen mit ln Zirkularnoten, die ich im September lanciert habe. Er hat sie iich wie der Herr Abg. Bebel gestern, Hunnennoten genannt, aber er scheint doch nicht ganz mit denselben zufrieden gewesen zu sein. Ben diesen Zirkularnoten, das möchte ich bei dieser Gelegenheit sagen, am es mir weniger auf die Form an als auf die Sache, nämlich uuf die Formulierung eines Vorschlages betreffs Eruierung und Be— sttafung derjenigen, die an den greulichen Unthaten in China schuld waren. Dieser Zweck ist erreicht worden, die Form gebe ich billig. Nun hat der Herr Abg. Richter weiter gesagt, daß Kiautschou nicht die Er⸗ partungen realisiert hätte, die wir an seine Erwerbung geknüpft litten. Ich erinnere mich, daß es muß schon vor Jahr und Tag hewesen sein der Herr Staatssekretär des Reichs, Marineamts lataus hingewiesen hat, daß, als die Engländer seiner Zeit Hand auf hongkong legten, das englische Ministerium deshalb aufs heftigste ungegriffen wurde von der englischen Opposition. Ich habe gelegentlich nmmal, diese englischen Parlamentsverhandlungen zu meiner nsormierung durchgeblättert und gefunden, daß damals die dliche Oppositlon dem englischen Ministerium vorwarf, benglong wäre garnichts werth, Hongkong wäre ein elendes Fieber—⸗ uit, ein nackter Felsen, ein miserabler Hafen, der niemals eine hin esische Jolle, geschweige denn ein europäisches Schiff anlocken würde. ö. vetieichnet Hongtong egen sährlichen Schifflderkeht, wenn ich icht sehr irre, von 10 bis 12 Millkonen Tonnen Gehalt. Eine Kolonie unn natürlich nicht aufsprießen wie eine Blume in einer Nacht. Ich ö zber überzeugt, daß die große Bedeutung von Kiautscheu für . Schlffahrt, unseren Handel und unsere Industrie mehr und cht sich heraus stellen wird. t . breiten Raum in den Ausführungen des Herrn Abg. Richter j . Kritik der Reden Seiner Majestät des Kalsers eingenommen. 3. und Weise, wie der Herr Abg. Richter diese Reden kritisiert geht mir Veranlafsung, das Nachstehende zu sagen. Der Herr 6 Richter hat zunächst die Frage aufgeworfen von der Verant⸗

der Reichsverfassung, der bestimmt, daß der Reichkanzler die Ver— antwortung trägt für die Anordnungen und Verfügungen Seiner Majestät des Kaiserß. Der Herr Abg. Richter wird selber nicht behaupten, daß Reden Seiner Majestät des Kaisers unter eine dieser beiden Kategorien fallen. Ich möchte aber nicht einen Augenblick zögern, hier zu erklären, daß ich die volle moralische Verantwortung über⸗ nehme für die Reden Seiner Majestät des Kalsers, welche auch von der großen Mehrheit der Nation nicht mißverstanden werden. (Bravo! rechts. Heiterkeit links.)

Meine Herren, ich habe gestern dem Herrn Abg. Bebel mit der größten Aufmerksamkeit zugehört; er wird mir selbst bejeugen, daß ich ihn nicht ein einziges Mal durch einen Heiterkeitsausbruch unter— brochen habe, darum sollte ich glauben, daß man auch mich ruhig augs⸗ reden lassen könnte, denn „Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede; man muß sie billig hören beede!! Die Rede Seiner Majestãt in Bremerhaven ist gehalten worden in einem Augenblick, wo all— gemeln angenommen wurde und angenommen werden mußte, daß alle in Peking eiaggeschlossenen Europäer eiges marter— vollen Todes gestorben wären. Es war nach meiner Auffassung ganz in der Ordnung, daß Seine Majestät der Kaiser ju den ausrückenden Soldaten in diesem Augenblick als Soldat gesprochen hat, und nicht als Diplomat. Daß die Diplomatie aber nicht zu kurz kommt, dafür lassen Sie mich sorgen! (Braro! rechts) Die Hauptsache war, daß unsere Leute wußten, mit wem sie es zu thun haben würden, und gegen wen sie geschickt wurden; denn das gestehe ich, daß mir der kleine Finger eines braven deutschen Soldaten mehr werth ist wie dasz ganze Mordgesindel der Boxer. (Bravo!

Meine Herren, der Herr Abg. Richter ist auch zu sprechen ge— kemmen auf die Rede, welcke Seine Majestät der Kaiser es war, glaube ich, im Marinekasino in Wilhelmshaven gehalten hat. In dieser Nede bat Seine Majestät der Kaiser die Ziele unserer Politik gekennzeichnet. Meine Herren, daß wir in großen und für unsere Zukunft wichtigen Fragen uns nicht bei seite schieben lassen, dies involviert noch lange nicht die Tendenz, daß wir in Fragen, die uns nicht angehen, urs einmischen wollen. Aus solchen Fragen werden wir auch künftig die Finger herauslassen. Aber die Eben kürtigkeit mit den anderen Mächten und das Recht, mitzusprechen in der Welt, das werden wir uns nicht rauben lassen. (Lebhafter Beifall.)

Meine Herren, der hochrerehrte Herr von Levetzow hat soeben darauf hingewiesen, daß wir in China nicht allein stehen, auch andere Mächte stehen dort. Sechs andere Mächte stehen da, zum thell siad sie flärker engagiert wie wir. Ich sehe nicht ein, wie wir nicht übernehmen lönnten, sollten und müßten, was Andere auf ihre Hörner genommen haben. Es hat eine Zeit gegeben, wo man dem deutschen Volke das Recht auf Einigung bestritt und aus Deutschland einen geographischen Begriff machen wollte. Wir sind aber trotzdem einig geworden! Und es hat eine Zeit gegeben, wo man uns den Großmachtslitzel austreiben wollte: wir sind aber trotzdem eine Groß—⸗ macht geworden und werden es auch mit Gottes Hilfe bleiben (leb— hafter Beifall), und ich bin überzeugt, daß sich die Nation ihr Recht auf eine verständige und besonnene Weltpolitik, auf die ihr gebührende Weltmachtstellung weder autreden noch verkümmern lassen wird. Eebhafter Beifall, Bewegung.)

Abg. von Kardorff (Rp.): Was die Nichteinberufung des Reichstages betrifft, so verlautete, die Reichsregierung habe sich dazu entschlossen, nachdem sie mit den Führern der maßgebenden Parteien sich darüber veiständigt hätte. Das war aber lediglich offiziöse Flunkerei, denn niemand von den maßgebenden Parteien ist darüber befragt worden. Es hieß dann, die Berufung des Reichstages könnte die schwebenden Verhandlungen stören. Ja, das absolute Regiment ist ja viel bequemer, aber wir haben doch nun einmal ein parlamen— tarisches, konstitutionelles Regiment, und so lange wir es haben, muß man sich auch an allen Stellen der Staatsverwaltung dem fügen. Herr Richter hat den Fürsten Hohenlohe zu entschuldigen versucht, aber der letztere war doch damals Reichskanzler. Fuͤrft Hohenlohe hat eminente Verdienste um die Führung der Reichs— politik, die er glücklich in Bismarck'sche Bahnen zurückgelenkt hat, aber wie er schon bei der Maßregelung der ‚Kanalrebellen' nicht mehr so recht die gesetzlichen Bestimmungen in Erinnerung hatte, war ihm auch in diesem letzten Sommer das Ausgabebewilltgungsrecht des Reichstages nicht mehr so ganz gegenwärtig. Die Re— gierung bedurfte aber auch der Mitwirkung der Volkg—⸗ vertretung als Stütze für ihre Position im Inlande und Auslande. Herr Bebel hat die Hunnenbriefen zitiert. Ich kann aug meiner Er⸗ fahrung in Soldatenbriefen behaupten, daß dabei die Phantaste eine ganz außerordentliche Rolle spielt; ganz unbedingt kann man sich auf ihre Angaben nicht verlassen. Herr Bebel ist so feinfühlig für Grausamkeiten. Wie werden oftmals arbeitswilltge Arbeiter bei Strikes behandelt? Und haben etwa die Mitglieder der Kommune nicht zahlreiche Pariser, die sie des Einverständnisses mit der Ver= sailler Regierung verdächtig ansahen, einfach an die Mauer gestellt und erschossen? Herr von Ketteler hat seine Stellung in wabrhaft großartiger Weise ausgefüllt. Ihn, wie Herr Bebel es that, nachträglich anzugreifen, ist ein Verfahren, das ich getrost dem Urtheil des Hauses überlasse. Wir sind Freunde der Mission. Jeder Kirche ist es Lebensbedürfniß, äußere Mission zu treiben; jede Glaubensgemeinschaft, welche es versäumt, Propaganda zu machen, verdorrt und versteint in sich. Die evangelischen Missionare haben thatsächlich immer die Richtschnur eingehalten, daß sie möglichst wenig mit dem Staat und seinen Organen zu thun haben wollten. Der neue Reichskanzler wird die Unterstützung der patriotisch und national denkenden Kreise des Hauses stets in vollem Maße haben, wenn er unt die Ziele seiner Politik so klar und präzigs auseinandersetzt, wie es in diesen Tagen geschehen ist. Einen Gegensatz zu meinem Freunde, dem Abg. Dr. von Levetzovß, muß ich hier noch zum Augdruck bringen. Er meint, nachträgliche Bewilligung und Indemnität set einerlei. Das ist nicht der Fall. Ich lege auf das Wort Indemnität einen sehr hohen Werth, denn es liegt darin aus— gesprochen, daß die Regierung ein hegangenes Unrecht wieder gut macht. Wenn Herr Richter ein Verantwortlichkeitsgesetz für die Minister verlangt, so vergißt er doc, daß der Bundesrath dafür absolut nicht jzu haben ist. Mit einer solchen Forderung muß im preußischen Landtage eingesetzt werden. Ich schließe mit dem An— trage, die Vorlage der Budgetkommission zu überweisen, und hoffe, daß sie in derselben eine wohlwollende Aufnahme finden wird.

Abg. Rickert (Fr. Vgg.): Es stand für uns Alle, mit Aug—=

nerlichteit hinsichtlich dieser Reden. Ich glaube, es ist der Artikel 17

wendig gewesen sind, daß die Einberufung des Reichtztages zur Be⸗ willigung der Ausgaben aber ebenso nothwendig war, und die nach—⸗ trägliche Bewilligung der gemachten Ausgaben nur durch Indemnitäts—⸗ ertheilung erfolgen konnte. Der Reichskanzler hat ung durch sein Entgegenkommen unsere Stellung sehr erleichtert, und ich danke ihm meinestheils dafür. Man hat beute den Fürsten Hobenlohe als den Verantwortlichen für die Beiseiteschiebung des Reichs tages hingestellt. Ihm sollte man diesen Vorwurf nicht machen. Wenn aber auch der absolutistische Geist dagewesen ist; der Kanzler will den verfafsungsmäßigen Zastand durch Ein bolung der Indemnität sanieren. Was der Kriegs- Minister gestern über die in einigen früheren Fällen ertheilte Indemnität ausgeführt hat, stimmt nicht ganz mit den thatsächlichen Vorgängen überein; jedenfalls ist damals von allen Betheiligten die Nachsuchung der Indemnität auch als eine Art Schuldbekenntniß aufgefaßt worden. Die Nichtberufung des Reichstages ist gerade von der offifösen

Presse in der verletzendsten Weife vertreten worden; das traurigste Argument war jedenfallt, daß die Regierung sich vor ein paar oppositionellen Reden fürchtete, und lächerlich war die Behauptung, daß der Reichstag selbst gar keinen Werth darauf letzte, einberufen zu werden. Die offizlöse Presse empfehle ich überhaupt der besonderen Aufmerksamkeit des neuen Reicht⸗= kanzlers; es würde sebr erfreulich sein, wenn in Orggnen, die als Sprachrohre für preußische Minister dienen, nicht mehr solche Dinge zu lesen sind. Sehr peinlich mußte es ferner berühren, wenn über eine Rede, wie die des Kaisers in Bremerhaven, ganz verschiedene Versionen sich verbreiten konnten. Der Kriegs. Minister hat ja ausdrücklich die Frage verneint, daß die Parole: Pardon wird nicht gegeben“ that⸗ sächlich ausgegeben sei, denn die Truppen seien auf der Aug reise genau instruiert worden. Unser Urtheil über die Hunnenbriefen, die solche schweren Greuel melden, müssen wir allerdings suependieren, bis amtliche Berichte vorliegen; das sind wir der Armee schuldig. Sollten solche barbarischen Ausschreltungen wirklich vorgekommen sein, so müssen sie exemplarssch bestraft werden. Auch ich habe mich gefreut, daß der Staatssekretär in seiner Zirkular⸗ note die Massenexekutionen, als dem christlichen Gefühl widerstrebend, berurtheilt. Der viel zitierte Herr von Brandt hat übrigens die Erwerbung eines maritimen Stützpunktes in China für uns für eine Nothwendigkeit erklärt. Sind wir nicht die Ersten gewesen, die in Ching aktio auftraten? Seit 1842 spielen fremde Nationen in China eine Rolle. Auch die Missionare sind deutsche Staatsbürger und haben als solche ein Recht auf den Schutz des Deutschen Reichs, und der chinesische Kaiser hat in seinen Briefen an den Veutschen Kaiser aus— drücklich anerkannt, daß die Verträge, welche den Schutz der Missionare verbürgen, gebrochen worden sind. Ob China in der Lage sein wird, uns die Kriegsausgaben wieder zu erstatten, wissen wir nicht; es giebt aber Kenner der Verhältnisse, welche an der Herstellung eines rationellen Systems der Zölle und Steuern in China nicht ver⸗ zweifeln, denn China ist ja zum größten Theil der europäischen Kultur überhaupt noch nicht erschlossen, und darüber, Laß der Handel mit China entwickelungsfähig ist, herrscht nur eine Meinung.

Um 5is Uhr wird ein Vertagungsantrag angenommen und die Sitzung nach persönlichen Bemerkungen der Abgg. Ledebour (Soz), Richter und Bassermann geschlossen.

Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr. (Fortsetzung der Debatte, Interpellation der Abgg. Albrecht und Genossen.)

Technik.

A. F. Die zweite Hauptoersammlung der Schiffsbau- technischen Gesellschaft fand am 19. und 20. November unter dem Ehrenvoisißz Seiner Königlichen Hoheit des Groß— herzogs van Ol den durg in der bis auf den letzten Platz gefüllten Aula der Technischen Hochschule zu Charkottenburg statt. Der Ehrenvorsitzende tbeilte mit daß Seine Majestät der Kaiser und König, Allerhöchstwelcher im vorigen Jahre der ersten Haupwersammlung beigewohnt babe, diesmal an der Theilnahme ver⸗ hindert sei, der Versammlung aber Seine Grüße entbiete. Auf Vorschlag des Chrenvorsitzenden erwiderte die Versammlung nach einem dreimallgen Hoch auf Seine Majestät und einer Begrüßungsdepesche. Ver Ehren⸗ vorsitzende übermittelte auch den Dank Seiner Königlichen Hobeit des Prinzen Heinrich für die Höchstihm angebotene Ehrenmitglied= schaft der Gesellichaft und erstattete sodann Bericht über das erste Geschäftsjahr. Danach hat die Mitgliederzahl sich auf 722 vermehrt, das Einnahmebudget sich entsprechend gesteigert und mit dem Aus—= gabebudget ins Gleichgewicht gestellt. Die Pariser Welt. Augstellung ist anläßlich des internationalen Kongresses von 39 Mitgliedern besucht worden, wobei drei Mitglieder auf dem Kongreß Vorträge ge— halten haben.

Die Tagesordnung der Hauptversammlung war eine sehr reich haltige. Als erster Redner sprach der Kaiserlsche Marine Ober⸗Bau—⸗ rath Tjard Schwarz über „Moderne Werftanlagen und ihre voraussichtliche Entwickelung“. Der bedeutende Aufschwung der letzten Jahrjebnte in allen Industriezweigen, so führte der Redner aus, mußte auch die Schiffswerften natur gemäß umgestalten. Verglichen mit ihrem Zustande vor 50 Jahren, hat sich eine vollständige Umwandelung voll⸗ zogen, vom Hand. zum Maschinenbetrleb, vom Holz. größtentheils zum Eisenbau. Die außerordentlichen, den modernen Schiffen ge—⸗ gebenen Abmessungen machten in ausgedehntem Maße die Anwendung von Traneport. und Hebevorrichtungen in den Weiften nothwendig. Diese Entwickelung, bei der die Anlage einer Kraftzentrale unerläßlich war, hat befruchtend, auf die Gesammtbetriebgweise des Schiffs« baues eingewinkt, seine Leistungsfähigkeit unter Einführung der Werkzeugmaschinen und. die Kraftvertheilung auf elektrischem Wege ungeheuer gesteigert. Doch tragen die Werfteinrich- tungen den bestehenden Nothwendigkeiten, besonders der Unmöglich⸗ leit, die schweren Platten und Profile ohne mechanische Hilfsmittel zu trangportieren, noch keineswegs genßgend Rechnung. Für die Leistungsfäbigkeit einer Werft ist es von großem Werthe, daß die einzelnen Werkstätten in Beziehung zum Materialienplatz einer- seits, zum Bauplatz auf dem Helling, sowie zu dem am Qual liegenden Schiff andererseits derart gruppiert sind, daß unnbthige Maffen= bewegungen vermieden und daß die Werkstitten selbst mit praktischen Lauf und Drehkrahnen ausgerüstet werden, ebenso daß fie zu weitgehendster Verwendung der Maschinenarbeit unter Ausstattun mit den besten Werkzeug maschinen fortschreiten. In diesem Sinne i vom Vortragenden der Plan einer Werft aufgestellt worden, wie sie nach seiner Erfahrung den Anforderungen der modernen Schifftzbautechnit Genüge leisten würde. Der Plan wurde eingehend erläutert, wobel sich ergab, daß Ober. Baurath Schwarz außer der vorgedachten Konzentrat on der Werkstätten in nächster Nähe des im Bau begriffenen Schiff auch noch zwei Nothwendigkeiten für gegeben erachtet, die eine gewisse Ueberraschung bei der Zuhörerschaft herporzurufen schienen. Er stellte nämlich die zwei Forderungen auf, daß die Hellinge ungeachtet der gießen Höhe, die sie het den gegenwärtigen Riesenschiffen besitzen, fur Schonung der Werkleute und des kostbaren Majerials, mit Glas überdacht werden, und daß der Stapellauf der Schsffe mit den damit verbundenen Gefahren für das Schiff in der bigherigen

nahme der äußersten Linken, fest, daß die Maßregeln gegen China noth⸗

Form abgeschafft werde. Statt des Hellings, worin dem Schfff zur