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die verbündeten Regierungen Furcht vor der großen Rede des errn Bebel? Die hätten wir längst überstanden, und wir aben sie ja nun gestern hören müfsen. Fürchteten sie Herrn Richter? Der hat doch heute ein viel größeres Material, als er im Juli hätte haben können. Als konstitutionelle und liberale . müssen wir entschleden Verwahrung gegen dieses Verfahren elnlegen. In der vergangenen Session haben wir dem Reichs kanjler Fürsten Hohenlohe unser Vertrauen für die Führung der auswärtigen Geschäfte ausgesprochen; wir bedauern aber, daß er nicht in diesem Sommer sesnen vollen Einfluß für die rechtzeitige Einberufung des Reichstages eingesetzt hat. Die Frage, ob das Geldbewilligungsrecht der Volksvertretung verletzt ist, ist ja durch die Erklärung des Reichskanzlers Grafen Bülow, daß man auch mit der Indemnitätsertheilung einverstanden sei, in der Hauptsache beseitigt. Etwas Anderes ist es mit der Frage, ob nicht das Militärgesetz durch die Schaffung der neuen Truppen— theile verleßt ist. Auch diese Frage wird in der Kommission geprüft werden müssen; jedenfalls muß eventuell ein besonderes Gesetz die gesetzliche Grundlage für diese Truppentheile schaffen. Wir er⸗ kennen also an, daß die Wahrung deutscher Ehre und deutscher Inter⸗ essen in China in durchaus zufriedenstellender Weise erfolgt ist, wir fordern aber auch Achtung vor den Rechten der Volksvertretung.
Abg. Dr. von Levetzow (d. kons.): Meine politischen Freunde, die große Mehrheit des Reichztages und die große Mehrbeit im Lande sind damit einverstanden, daß durch die Vorgänge in China, durch Schuld der chinesischen Reglerung und des chinesischen Volkes die Ehre, das Anfehen und die Interessen unsereg Vaterlandes schwer verletzt worden sind, und daß der Kaiser und die verbündeten Regie⸗ rungen alle Veranlassung hatten, gegen die in China geschebenen Handlungen der Barbgret schnell einzuschreiten. Die Wege, die hierzu beschritten worden sind, werden die Billigung des Reichstages ebenso finden, wie sie sie im Lande gefunden haben, und ich meine, daß vor allem auch die Mittel zu bewilligen sind für einen Feldzug, in dem das Blut unserer Söhne geflossen ist. (Redner wendet sich im weiteren Verlaufe seiner Rede nach rechts und spricht mit so leiser Stimme, daß seine Ausführungen auf der Journalisten⸗ tribüne sehr schwer verständlich sind) Wir haben zu den Waffen greifen müssen, um die barbgrischen Verletzungen des Völkerrechts und der Jivilisation zu sühnen. Ich glaube nicht, daß irgend ein Parlament der Welt die Mittel für einen solchen Krieg verweigern würde. Meine Freunde werden deshalb für die Vorlage ftimmen, ebenso für ihre Ueher⸗ weisung an die Budgetkommission. Wir wollen die Nothwendigkeit der einzelnen Ausgaben prüfen und erwägen, ob nicht etwa eine größere DSezialisierung der einzelnen Positionen vorgenommen werden muß, Wir sind Überzeugt, daß die hohen Summen, die jetzt gefordert werden, auch der Bewilligung der Einzelstaaten sicher sin. Auffällig war auch unt, daß der Reichstag nicht früher einberufen wurde. Der Reichstag hätte unmittelbar nach der authentlschen Nachricht von der Ermordung unseres tapferen Gesandten einberufen werden sollen. Es steht fest, daß der Reichstag in patriotischer Aufwallung alles Geforderte bewilligt hätte. Wenn man entgegenh ilt, daß man die Höhe der Ausgaben nicht vorher gewußt hätte, so ist daran zu erinnern, daß heim Ausbruch des deutschefranzösischen Kriegeß der Reichstag ebenfalls einberufen wurde, ohne daß man über die Höhe des Geldbedarfs im Klaren war. Man soll auch nicht sagen, daß es dem Reichstag unbequem gewesen wäre, zu einer außerordentlichen Session einberufen zu werden. Andererseits muß gnerkannt werden, daß der Reichskanzler die Be— denken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens erheblich ab— geschwächt hat. Die Rede des Reichskanzlers hat uns ferner die Ge— wißheit verschafft, daß unser gutes Verhältniß zu Rußland, auf dessen Fortbestand der größte Werth gelegt werden muß, gesichert ist, und daß keine Macht in China vorläufig auf territoriale Erwerbungen ausgeht. Auch wir wünschen eine Ausdehnung unseres lolo⸗ nialen Besitzez nicht. Wag die Form des Etats aabelrifft, so können wir uns mit der nachträglichen Genehmigung einverstanden erklären. Die Sache liegt hier allerdings anders als in anderen Fällen, und der Reichskanzler ist ja sehr entgegenkommend gewesen, aber der Unterschied zwischen nachträglicher Genehmigung“ und „Indemnität“ scheint mir etwas spitzfindig; thatsächlich kommt es auf dasselbe hinaus. Wenn Sie nachträglich genehmigen, haben Sie Indemnität ertheilt, und wenn Sie Indemnität ertheilen, haben Sie nach⸗ träglich genehmigt. Ferner wäre es wünschenswerth gewesen, wenn bei der Ausfuhr unserer Trupyvyen und der Ausreise des Grafen Waldersee, dieses verdienstvollen Manneß, dem dafür, daß er die schwere und undankbare Aufgabe bei seinen vorgerückten Jahren übernabm, der Dank des Vaterlandes gebührt, anders ver⸗ fahren worden wäre. Es entspricht deutscher Site, still in den Kampf zu gehen und Feste zu feiern nach den Siegen. Andererseits war mir bei gewiffen Preßerzeugnissen zu Muthe, wie in dem bekannten Sprich wort von dem Vogel und seinem Nest. Herr Bebel sagte, es gebe kein christliches Reich, er wird aber zugeben müssen, daß sämmt⸗ liche Einzelstaaten christliche Staaten sind. Was die vor⸗ gelesenen Soldatenbriefe betrifft, so hat man sich zu fragen, ob sie nicht krasser Renommage zuzuschreiben sind. Ich habe seinerzeit auch einen Krieg mitgemacht und habe nie ge⸗ sehen, daß unsere Soldgten barbarisch vorgegangen sind, dazu sind sie viel zu gutmüthig. So ist eg auf allen Kriegszügen gewesen. Ich schließe damit, daß ich gegen die Verhetzung unserer deutschen Armee protestiere, die sich in ibrer Organisation, Disziplin und Tapferkeit in China ebenso bewährt hat wie überall, wo sie hingeführt worden ist. Sollten einzelne Ausschreitungen vorgekommen sein — die kommen überall vor — so wird nach der Erklarung des Kriegs. Ministers die nöthige Remedur nicht ausbleiben. Ich wünschte, daß sämmtliche Briefe der Verwaltung zur Verfügung gestellt werden, damit die nöthige Untersuchung erfolgen kann.
Abg. Richter (fr. Vollsp.): Im Gegensatz zum Abg. Bebel halte ich es für eine unbedingte Nothwendigkeit, daß im Augenblick der Ermordung des Freiherrn von Ketteler unsererseits eine militärische Machtentfaltung vor sich gehen mußte. Keine Regierung wird sich dieser Nothwendigkeit entziehen können. Ich will nicht untersuchen, welche Machtmittel von Deutschland vielleicht schon vorher zur Bekämpfung der chinesischen Wirren hätten angewandt werden können. Jeden falls aber kann nicht alles, was geschehen ist, auf Anerkennung rechnen. Die zweite Truppensendung zum Beispiel wird nur erklärlich im Zusammenhang mit der Uebernahme des Oberbefehls seitens des Grafen Waldersee. Man wollte dadurch dem Oberbefehl, meines Erachtens, ein besonderes Prestige geben. Die Uebernahme des Ober befehls war ein schwerer politischer Fehler und nur besonders günstigen Umständen haben wir es zu danken, daß aus der Uebernahme des Oberbefehls für uns keine großen Nachtheile entstanden sind. Der Oberbefebl ist den anderen Staaten von uns aufgedrungen worden. Es ist unrichtig, daß der russische Kaiser ihn uns angetragen hat. Deutschland ist vermöge seiner Lage und seiner Inter⸗ essen in Oft⸗Asien gar nicht geeignet, in China eine führende Rolle zu spielen. Der englische Handel mit China ist sechs mal so groß wie unserer. Daß Graf Waldersee gewissermaßen Lorbeeren anf Vorschuß eingeheimst hat, hat im Volke schon eigengrtige Gedanken wachgerufen. Man sagte sich: wenn das schon jeht fo anfängt, was soll erst geschehen, wenn er zurückkehrt? Es ist überhaupt auffallend, daß bei uns die ganze Politik seit einiger Zeit theatralisch und dekorativ inscenlert wird, viel mehr, als noth⸗ wendig ist. Hierzu gehören auch die Reden des Kaisers, die öffent⸗ lichen Kundgebungen programmatischer Art, welche oft als Vor⸗ bereitung zu gesetzgeberischen Maßregeln zu betrachten sind. Die⸗ selben sind darauf berechnet, daz Volk für das zu stimmen, was der Kaiser für richtig hält. Wir unsererseits als Volkevertreter haben ein Interesse daran, daß die für das Volk bestimmten Reden der weitesten Oeffentlichkeit in authentischer Form durch den Reichs Anzeiger zugängig gemacht werden. Das müßte geschehen in Wahr⸗ nehmung unseres berechtigten Interesses. Behor aber folche Kaiser⸗ lichen Reden programmakischen Inhalts ins Land gehen, sollte sich der verantwortliche Minister mit dem Monarchen verständigen. Der Redner geht dann näher auf den Inhalt der von Seiner Majestät dem Kalser in Bremerhaven gehaltenen Rede ein und fährt hierauf fort: Die Betonung des religiösen Elements war ein politischer Fehler. Die chinesischen Wirren sind wesentlich auch durch den religiösen Fanatismus
erzeugt. Wenn unsererseits dieser Krieg alg Religiongkrieg hingeftlellt
. den . die Stelle der chinesischen die christliche Religion zu
setzen habe, so ist das nicht geeignet, den Wirren ein Ziel ju setzen. Wenn
Religion und Polltik in Konflikt gebracht werden, so leiden beide,
und daz spüren auch die Misstonen. Andere Staaten mit jahrhunderte⸗
langen Erfahrungen hüten sich, ihre Politik mit der religiösen Pro⸗
paganda in Beziehung zu bringen. Bentschland könnte daraus lernen,
aber bei uns würde gerade die Förderung mancher kolonialen Frage
nicht die Zusttmmung des Zentrums finden, wenn dieses nicht glaubte,
damit zugleich das Misssonzwesen zu fördern. Diese Anschauung
sollte man korrigleren. Man wollte durch den Stützpunkt Kiautschou
die Bedrängungen der Misstonen verhindern, das Gegentheil
sist eingetreten, die chinesischen Behörden haben die Missionen
gestört. Die Missiontzanstalten entfalten, solange sie nicht unter
deutscher Flagge thätig sind, sehr fruchtbare Arbeit, werden
aber daran gehindert, sobald sie neben dem religlösen auch noch in
politischen Gegensatz zu den Eingeborenen treten. In der General⸗
berfammlung des ECvangelischen Bundes in Hamburg hat Professor
Harnack die These vorgeschlagen, daß vom Konfessiensstandyunkt aus
das Eingreifen der Großmächte für die Misstonen keine Hilfe sei,
sondern ihnen Schwierigkeiten mache. Nach allem, was man gehört
hat, sind die chinesischen Christen überall die besten Brüyer auch nicht;
es wird behaupteiß, daß das Gros derselben sich nur durch
materielle Vorthelle gewinnen lasse. Hält man die Staatsgewalt
zu so weitgehendem Schutz der Missionen bis ing Innere verpflichtet,
so muß man auch das Recht in Anspruch nehmen, der Missiont⸗
thätigkeit Grenzen zu ziehen. Wie soll nach der Aufforderung
Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht. Führt eure Waffen so, daß auf 1000 Jahre hinaus kein Chinese mehr es
wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!“ ein Chinese noch sonderliche Nelgung empfinden, mit Deutschen Handelsgeschäfte zu schließen? Darlber, ob diese Aussprache: „Pardon wird nicht gegeben!
eine Aufforderung des obersten Kriegsherrn gewesen ist, hat gestern der Kriegs⸗Minister keine Auskunft gegeben. Der Kriegs
Minister könnte die Zweifel darüber mit einem Schlage widerlegen,
wenn er ung einen chinesischen Kriegsgefangenen nachwiese; davon aber, daß Kriegsgefangene in großer Zahl irgendwo zusammen gebracht sind, hat man nichttã gehört. Was die sogenannten - Hannenbriefe“ hetrifft, stellt man es so dar, als ob dieselben eine Erfindung der Sostal⸗
demokratie wären. Das ist keineswegs der Fall; sie finden sich in Blättern aller Parteifarben — Beweis genug, daß thatsächlich solche Dinge vorgekommen sein müssen. Man spricht nun von Renom misterei. Früher ist es doch aber nicht vorgekommen, daß der oberste Kriegsherr gesagt hätte: Pardon wird nicht gegeben!“ Es handelt sich garnicht um den Exleß einzelner Seldaten, sondern um die Befehle der Oberen, Gefangene in großer Zahl nach beendetem Gefecht an die Mauer zu stellen und erschießen oder erstechen zu lassen. Es ist nicht der miles gloriosus“, der so schreibt, sondern die Leute empfinden einen gewissen Abscheu vor diesen Thaten, und es kommt hier auch nicht eine unberechtigte Sentimentalität zu Worte. Wir haben den Gindruck, daß diese Massen⸗ exekutlonen in China eine Folge solcher Parole sind. Der Kriegs⸗ Minister gab der Sache einen welthiftorischen Untergrund; er sagte, das sei die Vergeltung für die Missethaten, welche die Mongolen vor 18 Jahrtausenden gegen uns verübt haben. Gottes Mühlen mahlen langsam, aber sicher! Die Gottheit sollte man, doch aber bei diesem Anlaß auß dem Spiel lassen. Attila erhob auch den Anspruch, Gottes Geißel zu sein; soll jetzt Graf Waldersee sie vorstellen? Ist die Welt seitdem nicht vor⸗ geschritten? Brüsten wir uns mit unserer Kultur nur für uns selbst? Die Mannszucht der Soldaten muß auf die Dauer unter solchen Dingen leiden; mich tröstet nur das, daß die militärischen Unternehmungen jetzt ohnehin auf größere Schwierigkeiten stoßen müfsen. Eine Demoralisation der deutschen Soldaten würde ich umsomehr bedauern, als ich vollständig mit den anderen Rednern in der Anerkennung des Verhaltens und der Leistungen unserer Truppen in China übereinstimme. Der Reichskanzler hat schon in seiner Septembernote davon gesprochen, daß Massenexekutionen dem zwilisierten Gewissen widersprechen. Mit dem Kaiser von China sind wir ja auch schon in einen diplomatischen Verkehr getreten, ob—= wohl die von uns gestellten programmatischen Vorbedingungen keines— wegs erfüllt sind. Man hätte also diese letzteren auch nicht so feier⸗ lich urbi et orbi verkünden sollen, wenn man für sie die Zustimmung der anderen Mächte nicht gewinnen konnte. An der Uebereinkanft der Diplomaten jetzt Kritik zu üben, halte ich nicht für angemessen; man weiß ja noch absolut nicht, wie der Chinamann denkt. Das— jenige Programm wird am leichtesten auszuführen sein, dessen Aus— führung die Mächte selbst in der Hand haben; dazu gehört die Schleifung der Festungen und das Verbot der Waffeneinfuhr. Früher hieß et: Völker Europas, wahrt Eure heiligsten Güter gegen die gelbe Rasse! Wie ist es aber gekommen? Die Völker haben sich vereinigt, um Cbina die besten Waffen zu liefern. Kapitän Lans schreibt ausdrücklich: Welcher Hohn! Alle Geschütze, die auf uns ge— richtet sind, stammen aus deutschen Fabriken, stammen von Krupp. Ein weiterer großer Fehler unserer Diplomatie war es un— zweifelhaft, den siegreichen Japanern in den Arm zu fallen; denn wenn wir an der gelben Rasse kein Interesse halten, wie konnten wir ihr unsere Dienste leihen? Das deutsch⸗ englische Abkommen ist mir auch nicht ganz ver⸗— ständlich; sollen wir England Vorspann leisten? Mit dem einen heißen Platz an der Sonne haben wir wirklich gerade genug in China. Nach den gemachten Erfahrungen sehe ich heute die Er— werbung von Kiautschou viel weniger günstig an als vor zwei Jahren. Der Reichskanzler meinte, nur in auswärtigen deutschfeindlichen Blättern sei die Erwerbung mit den chinesischen Wirren in Zu— sammenhang gebracht. Die erste Zusammensttllung dieser Art ist von dem Bischof Anzer von Schantung ausgegangen; schon vor dem Beginn der Wirren, zu Anfang des Jahres, hat er sich in einem Neujahrsbrief, den die „Kölnische Volkszeitung“ veröffent⸗ lichte, derart geäußert. Die 157 Millionen für die Expedition sollen aus der Kriegsentschädigung gedeckt werden. Die Botschaft hör ich wohl, aber einstweilen fehlt mir noch der Glaube. Bleibt China nichts übrig, als die Zölle zu erhöhen, so werden dadurch doch die Handelsbeziehungen geschädigt. Die Verwendung der maritimen Streitkräfte ist sehr kostspielig, ohne irgend etwas von Erheblickkeit zu den Erfolgen beigetragen zu haben. Man hat Anleihen von 80 Millio—⸗ nen in Amerlka aufgenommen. Big zum 1. April nächsten Jahrez sind nach dem Etat noch 250 Millionen Anleihen aufzunehmen; dazu kom⸗ men weitere Anleihen für dle Flotte, und, kostet die China Expedition noch eine zweite Rate, dann ist die halbe Milliarde da. Wag die staate— rechtliche Seite betrifft, so liegt anerkanntermaßen eine flagrante Ver- fassungsverletzung vor. Der Abg. Dr. Lieher sagt: Und das bietet man diesem Reichstage! Ja, durch die Flottenbewilligung ist die Regierung zu einem guten Theile der Nöthigung überhoben worden, auf gute Stimmung im Reichstage Bedacht zu nehmen. Rach weiteren Bemerkungen über die Unterlassung der Einberufung des Reichstages im Sommer, für welche, wie er ausführt, nicht allein der Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe sondern die gesammten Mitglieder des Bundesraths verantwortlich zu machen seien, fährt der Redner fort: In der Thronrede, für die Graf Bülow verantwortlich ist, sucht man die Nichteinberufung des Reichstages zu ent- schuldigen. Gewiß, ohne Zögern mußten Machtmittel gegen China aufgebracht werden. Aber in der zwelten Hälfte des Juli wäre die Einberufung des Reichstages sehr wohl möglich und am Platze gewesen, denn damals waren die Nachrichten so weit vor⸗ geschritten, daß sich die Lage einigermaßen übersehen ließ. Man sollte sich nicht hinter dem Kalkulator verstecken und die Sache etwas weniger kavaliermäßig behandeln. Wichtiger als das Verlangen nach Indemnität scheint es mir, daß Vorbeugungsmittel getroffen werden, damit solche Dinge nicht wieder vorkommen. Dies kann geschehen einmal durch die Einführung der Ministerverantwortlichkeit und durch Verstärkung der finanziellen Kontrolen. Die Staats sekretäre müssen selbständiger gestellt werden. Damit soll nicht gesagt sein, daß z. B. der Reichs⸗Schatzsekretär im Reiche dieselbe Stellung einnehme wie der Finanz ⸗Minister in Preußen, der dort der
eigentliche Minister ⸗Präsident ist. Ver Bundesrath hat ja in den
nit d ⸗ Dan n
meisten Dingen fast garnichts zu sagen; der Kaiser vereinbart Ressort⸗Minister eine große organische Neuerung, und die fürsten und Bundezregierungen sehen dann einfach vollendeten Thatsache gegenüber. Es muß die Ve keit nicht allein nach oben, sondern auch na e Wahrheit gemacht werden dadurch, daß der Reichttag ein lg recht erhält beim obersten Gericht, min destens im Falle eines 6. faffungobruchz, wie es in Preußen ja verfassungs mäßig del hr, ist. Solches Klagerecht wäre sehr angebracht, wenn Mittel Nen anderen Zwecken, als für die sie bestimmt sind, verwendet werd Im Jahre 1869 nahm der Reichstag einen entsprechenden Annen an, und an erster Stelle stand der Name Miquel. Leugnen wir l doch nicht: Es geht ein absolutistischer Zug durch die Regierung, in Großen wie im Kleinen; man sizht den Reichstag als eine ichen sache an. Im gegenwärtigen Falle. war seine Berufung besonderj dringend, well der auswärtigen Politik jetzt Ziele gesteckt werden, welch unter Umständen für das Volk und für das Reich verhãngn ig vol werden können. Be dem der Eröffnung des Reichtzttages in der Vom. kirche voraufgehenden Gottesdienst hat ja der Hofprediger Dhh ausdrücklich davon gesprochen, daß eine neue Aera der Welt polin der Welteroberung beginne, daß die Welt an deutschem Wesen gefunden solle. Spricht ein Hofprediger so, so weiß er, daß er damit Stimmungen ausspricht, die oben vorherrschen. werden keine Bonapartes, sagt Graf Bülow. Daß aber nichtz jensesn⸗ des Ozeans geschehen oll ohne Deutschlands Mitwirkung, ist ein Aug, spruch, den Napoleon für Frankreich nicht in Anspruch genommen hat. Die Erfahrungen des letzten Jahres müssen alle Diejenigen welche noch Weltreichtzyhantasien nachgegangen sind, ernüchtern. Dh Engländer haben zwei Milliarden verbraucht, um Trangvaal zu erobern, aber sich nur ein neues Irland geschaffen, und die Amerikaner können auf den Philippinen nicht Rube schaffen. Handel und Wandel sind in rückläufiger Bewegung in Deutschland, dazu haben vor allem der südafrikanische Krieg und die chinesischen Wirren beigetragen. Handel und Gewerbe seufzen nach Beendigung dieser Wirren. Die Zulunst Deutschlands liegt wahrhaftig nicht auf dem Wasser. Sie liegt in Lande selbst, wo noch sehr viel schwere, kulturelle Probleme zu lösen sind.
Reichskanzler Graf von Bülow:
Meine Herren! Die Ausführungen des Herrn Abg. Richter geben mir keine Veranlassung, etwas Wesentliches dem hinzuzufügen, was ich gestern hier erklärt habe über meine Auffassung hinsichtlich der ver⸗ fassungsmäßigen Rechte dieses hohen Hauses und über meine un— bedingte Achtung vor den verfassungsmäßigen Rechten des Reichs, tages. Ich habe von dem, was ich gestern erklärt habe, nichts zurück, zunehmen, ich habe aber auch dem nichts hinzuzufügen, und ich denke, die Mehrheit dieses hohen Hauses wird sich über die Absicht und über den Sinn und auch über die absolute bona fides meiner gestrigen Eiklärungen nicht in Zweifel befinden.
Was nun, meine Herren, die Nichteinberufung des Reichgtageh im vergangenen Sommer angeht, so glaube ich, daß der Hauptgrund, welcher meinen Herrn Amtsvorgänger — denn darin muß ich zu meinem Bedauern dem Herrn Abg. Richter widersprechen — um den damaligen Reichskanzler kann es sich allein handeln, die Reichz= verfassung kennt nur eine einzige verantwortliche Persönlichkeit im Reiche, das ist der Reichskanzler, und die Reichs verfassung bindet unt Alle: sie bindet mich, aber sie bindet auch den Herrn Abg. Richter — alse ich glaube, daß der Grund, welcher den Fürsten zu Hohenlohe veranlaßte, im Sommer nicht zur Einberufung des Reichstages zu schreiten, zunächst die Erwägung war, daß die Zusammenberafung del Reichstages wegen der China⸗Expedition zur Voraussetzung gehabt haben würde die Vorlegung eines Ergänzungs⸗-Etatg für das laufende Etatsjahr an den Reichstag und Bundesratb. Und dafür schienen dem Herrn Reichskanzler damals die Voraussetzungen noch nicht gegeben zu sein. Dazu kam, daß der damalige Herr Reichskanzler aus der Haltung eines Theiles der Presse die Ueberzeugung schöpfen zu können glaubte, daß die Einberufung des Reichstages zu jener Zeit nicht den Wünschen aller Parteien entspreche. (Hört, hört! links.) Und ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich sage, daß eb namentlich ein Blatt war, welches in dieser Beziehung den damaligen Herrn Reichskanzler impressioniert haben dürfte, nicht nur, weil en ein überaus geschickt redigiertes Blatt ist (Heiterkeit), sondern auch,
weil ihm Beziehungen nachgesagt werden zu einem sehr hervorragenden
Parlamentarier, dessen Beredsamkeit wir soeben Alle bewundern haben. (Heiterkeit. Ich spreche natürlich von der „Freisinnigern Zeitung“. (Zuruf links.) Gewlß, das Datum werde ich angeben, Also die ‚Freisinnige Zeitung“ brachte am 4. Juli, d. h. gerade in psychologischen Moment, wo es sich um die Einberufung oder um di Nichteinberufung des Reichstages handelte, den nachstehenden Artillel den ich mit Erlaubniß des Herrn Präsidenten verlesen möchte:
„Ob es angemessen ist, den Reichstag einzuberufen, läßt sih unseres Erachtens erst entscheiden, wenn ein klarer Thatbestand über die in Betracht kommenden Verhältnisse vorliegt. Auch ist eine feste Stellungnahme von deutscher Seite nur möglich nach Vereln⸗ barungen mit den anderen Großmächten auf der Grundlage eintf solchen Thatbestandes. Der Reichstag, einmal einberufen, kann nicht wochenlang unthätig sein, bis eine entsprechende Vorlage möglth ist. Gegenwärtig vermögen auch vor den anderen Parlamenten die Minister alle Anfragen nur dahin zu beantworten, daß si keine sichere Kenntniß besitzen über die thatsächlichen Verhältnist. (Heiterkeit; An sich sind die bisher angewiesenen außeretatkh— mäßigen Ausgaben für die Verstärkung der Wehrkraft in Ost⸗Aszen nicht so erheblich, um aus finanziellen Gründen den Reichstag iu berufen. (Sehr richtig! links. Hört! hört! rechts.) Nach der National Zeitung!
— wird beruhigend hinzugefügt — ist bis jetzt weder innerhalb der Regierung die Einberufung del Reichstages beabsichtigt, noch sind im Reichstagsbureau irgendwelche Andeutungen eingegangen, daß eine außerordentliche Session bebor⸗ stände.“
Meine Herren, ich gebe Ihnen ja zu, daß dieser Artikel etwal gewunden ist; ich gebe zu, daß er bis zu einem gewissen Grade auf Stelzen gestellt ist. Das pflegt aber bei offtziösen Aus lassungen häufig der Fall zu sein. (Große Heiterkeit) Wer diesen Artikel un. befangen liest, der kann doch nicht im Zweifel darüber sein, daß der,
jenige, der diesen Artikel verfaßt oder inspiriert hat, die Ginberufun!
des Reichstages, gewiß optima idé, in diesem Augenblick nicht fi nothwendig hielt. (Zuruf links) Und diesen Eindruck hatte auch ich Ich verrathe Ihnen kein Geheimniß, wenn ich sage, daß ich lu den jenigen gehört habe, welche glaubten, daß damals ernste und gew j Gründe für die Einberufung des Reichstages sprachen. (Hött, ö Aber, wie ich den Artitel las, sagte ich mir doch: das ist übel, öh muß ich mich strecken, gegen den Herrn Abg. Richter kann ich n aufkommen! (Große Heiterkeit.)
(Schluß in der Dritten Beilage.)
Die Hohen oller
chtige
Dritte Beilage zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.
Berlin, Donnerstag, den 22. November
18999.
Mn 278.
(Schluß aus der Zweiten Beilage.)
Auf die Nichteinberufung des Reichstagez in diesem Sommer plll ich von meiner Seite nicht weiter zurückkommen. Ich kann nur lagen, daß, wenn sich wieder ein ähnlicher Fall, eine ähnliche Kriegt⸗ gefahr ereignen sollte — hoffentlich nicht in absehbarer Zeit —, und wenn ich dann noch an dieser Stelle stehen sollte, was ich auch nicht velß — in dieser Beziehung sagte der Herr Abg. Richter soeben ein seh richtiges Wort (Heiterkeit), — wenn diese beiden Voraussetzungen jusammentreffen, dann werden Sie einberufen werden, darauf können Sie sich verlassen. (Heiterkeit)
Nun ist der Herr Abg. Richter auch zurückgekommen auf das Verhältniß zwischen Deutschland und Rußland, über das ich mich gestern bier ausgelassen habe, und er hat die Ansicht ausgesprochen, daß der russische Evakuationsvorschlag zurückzuführen wäre auf eine Verstimmung gegen uns. Das war nicht der Fall. Dies anzunehmen, heißt doch, die Sachlichkeit und Ruhe unterschaͤtzen, mit welcher die russische Politik geleitet wird, die sich ebenso wenig wie die deutsche politik von Verstimmung oder von Stimmungen leiten läßt. Zuruse links, Ich glaube, meine Herren, das trifft sowohl für die deutsche Politik zu, da kann ich es garantieren, aber ich möchte es auch garantieren für die russische Politik. Am allerwenigsten richtete sich der russische Evakuationsvorschlag gegen unser Oberkommando, das ja, wie ich mir gestern erlaubte auszu⸗ führen, von Seiner Majestät dem Kaiser von Rußland in erster Linie in unsere Hände gelegt worden war. Meine Herren, wir haben dem tussischen Evakuationsvorschlag im September nicht zugestimmt, weil vir glaubten, daß damals die Ausführung dieses Vorschlags nicht bei⸗ tragen würde zu einer raschen Pazifizierung von China. Wir haben aber niemals verkannt, daß der russische Vorschlag bona fide gemacht worden war. Der Meinungsauztausch über diesen Vorschlag zwischen unz und dem St. Petersburger Kabinet ist in verbindlichster Form geführt worden und hat keinerlei Schärfe zurückgelassen.
Was nun, meine Herren, die von dem Herrn Abg. Richter wieder berührte Genesis des deutschen Oberkommandos betrifft, so ist es pollstindig unzutreffend, daß wir unseren Oberbefehl den anderen Mächten aufgedrängt hätten. Der Gedanke eines deutschen Ober⸗ befehls beruhte auf einer von außen her auf amtlichem Wege an uns gelangten Anregung. (Hört, hört Mehr, meine Herren, kann ich nicht sazen (ah, links), ich kann nicht mehr sagen, weil es sich handelt um einen Gedankenaustausch jwischen Souveränen und Staatgober— häuptern, und ganz abgesehen davon giebt es auch Fälle, wo mir das Staatsinteresse ein Schloß vor den Mund legt (sehr richtig! rechts), das Staatzinteresse, welches mir noch höher steht als mein lebhafter Wunsch, im übrigen auf alle Fragen des Herrn bg. Richter zu antworten. (Heiterkeit) Nun hat sich der Herr Abg. Richter auch angeeignet, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, Angriffe, welche der Herr Abg. Bebel gestern gegen die Missionen berichtet hat. Der Herr Abg. Bebel hat, wenn ich ihn gestern richtig berstanden habe, gesagt, daß namentlich die katholischen Misstonare bis zu einem gewissen Grade Schuld trügen an den gegenwärtigen Wirren in China. Ich halte diese Auffassung für unzutreffend, sie wird durch die mir zugegangenen Berichte nicht bestätigt, und ich werde mich nicht durch den Herrn Abg. Bebel zu einer irgendwie ungünstigeren Bebandlung, irgendwelcher Differenzierung der katholischen Missionare verleiten lassen. Was den Herrn Bischof Anzer betrifft, so rechne ich es ihm zum hohen Verdienst an, daß er schon vor Jahren seine Mission unter deutschen Schutz gestellt hat. Wir werden die Missionen auch ferner schützen, und wir betrachten gerade so wie in Orient — über diesen Punkt haben wir uns ja vor zwel Jahren nukgesprochen mit dem Herrn Abg. Fritzen, den ich mir gegenüber sehe — auch in China die Ausübung unseres Protektorats über die deutschen katholischen Missionen als eine Ehrenpflicht, der wir uns gern unterziehen und nicht entziehen werden.
Dann ist der Herr Abg. Richter auch ins Gericht gegangen mit den Zirkularnoten, die ich im September lanciert habe. Er hat sie nicht, wie der Herr Abg. Bebel gestern, Hunnennoten genannt, aber tt scheint doch nicht ganz mit denselben zufrieden gewesen zu sein. Ben diesen Zirkularnoten, das möchte ich bei dieser Gelegenheit sagen, kum es mir weniger auf die Form an als auf die Sache, namlich uuf die Formulierung eines Vorschlages betreffs Eruierung und Be— stiafang derjenigen, die an den greulichen Unthaten in China schuld baren. Dileser Zweck ist erreicht worden, die Form gebe ich billig. Nun hat der Herr Abg. Richter weiter gesagt, daß Kiautschou nicht die Er⸗ partungen realisiert hätte, die wir an seine Erwerbung geknüpft litten. Ich erinnere mich, daß — es muß schon vor Jahr und Tag hewesen sein — der Herr Staatssekretär des Reichs- Marlneamts darauf hingewiesen hat, daß, als die Engländer seiner Zeit Hand auf hongkong legten, das englische Ministerium deshalb aufs heftigste angegriffen wurde von der englischen Opposition. Ich habe gelegentlich mal diese englischen Parlamentsverhandlungen zu meiner njsormierung durchgeblättert und gefunden, daß damals die naliche Opposition dem englischen Ministerium vorwarf, bengtong wäre garnichts werth, Hongkong wäre ein elendes Fieber⸗ nest eln nackter Felsen, ein miserabler Hafen, der niemals eine hinesische Jolle, geschweige denn ein europäisches Schiff anlocken würde. mute verieichnet Hongkong einen jährlichen Schiffsverkehr, wenn ich iht sehr jrre, von 10 bis 12 Milltonen Tonnen Gehalt. Eine Kolonie unn natũrlich nicht aufsprießen wie eine Blume in einer Nacht. Ich . Wer überzeugt, daß die große Bedeutung von Kiautscheu für nete Schiffahrt, unferen Handel und unsere Industrie mehr und nehr sich heraus stellen wird.
u Emen breiten Raum in den Aus führunzen des Herrn Abg. Richter ] in Kritik der Reden Seiner Majestät des Kalsers eingenommen. . rt und Weise, wie der Herr Abg. Richter diese Reden kritssiert giebt mir Veranlafsung, das Nachstehende zu sagen. Der Herr ah iter bat zunächst die Frage aufgeworfen von der Verant⸗ ttlichleit hinsichtlich dieser Reden. Ich glaube, es ist der Artikel 17
der Reichsverfassung, der bestimmt, daß der Reichkanzler die Ver antwortung trägt für die Anordnungen und Verfügungen Seiner Majestät des Kaisers. Der Herr Abg. Richter wird selber nicht behaupten, daß Reden Seiner Majestät des Kaisers unter eine dieser beiden Kategorien fallen. Ich möchte aber nicht einen Augenblick zögern, hier zu erklären, daß ich die volle moralische Verantwortung über⸗ nehme für die Reden Seiner Majestät des Kalsers, welche auch von der großen Mehrheit der Nation nicht mißverstanden werden. (Bravo! rechts. Heiterkeit links.)
Meine Herren, ich habe gestern dem Herrn Abg. Bebel mit der größten Aufmerksamkeit zugehört; er wird mir selbst bezeugen, daß ich ihn nicht ein einziges Mal durch einen Heiterkeitsausbruch unter— brochen habe, darum sollte ich glauben, daß man auch mich ruhig aus— reden lassen könnte, denn: „Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede; man muß sie billig hören beede!‘ Die Rede Seiner Majestät in Bremerhaven ist gehalten worden in einem Augenblick, wo all— gemein angenommen wurde und angenommen werden mußte, daß alle in Peking eiageschlossenen Europäer eines marter— vollen Todes gestorben wären. Es war nach meiner Auffassung ganz in der Ordnung, daß Seine Majestät der Kaiser ju den ausrückenden Soldaten in diesem Augenblick als Soldat gesprochen hat, und nicht als Diplomat. Daß die Diplomatie aber nicht zu kurz kommt, dafür lassen Sie mich sorgen! (Bravo! rechts) Die Hauptsache war, daß unsere Leute wußten, mit wem sie es zu thun haben würden, und gegen wen sie geschickt wurden; denn dag gestehe ich, daß mir der kleine Finger eines braven deutschen Soldaten mehr werth ist wie das ganze Mordgesindel der Boxer. (Bravo
Meine Herren, der Herr Abg. Richter ist auch zu sprechen ge— kemmen auf die Rede, welcke Seine Majestät der Kaiser — es war, glaube ich, im Marinekasino in Wilhelmshaven — gehalten hat. In dieser Rede bat Seine Majestät der Kaiser die Ziele unserer Politik gekennzeichnet. Meine Herren, daß wir in großen und für unsere Zukunft wichtigen Fragen uns nicht bei seite schieben lassen, dies involviert noch lange nicht die Tendenz, daß wir in Fragen, die uns nicht angehen, uns einmischen wollen. Aus solchen Fragen werden wir auch lünftig die Finger herauslassen. Aber die Eben kürtigkeit mit den anderen Mächten und das Recht, mitzusprechen in der Welt, das werden wir uns nicht rauben lassen. (Lebhafter Beifall.)
Meine Herren, der hochrerehrte Herr von Levetzow hat soeben darauf hingewiesen, daß wir in China nicht allein stehen, auch andere Mächte stehen dort. Sechs andere Mächte stehen da, zum thell siad sie flärker engagiert wie wir. Ich sehe nicht ein, wie wir nicht übernehmen lönnten, sollten und müßten, was Andere auf ihre Hörner genommen haben. Es hat eine Zeit gegeben, wo man dem deutschen Volke das Recht auf Einigung bestritt und aus Deutschland einen geographischen Begriff machen wollte. Wir sind aber trotzdem einig geworden! Und es hat eine Zeit gegeben, wo man uns den Großmachtslitzel austreiben wollte: wir sind aber trotzdem eine Groß⸗ macht geworden und werden es auch mit Gottes Hilfe bleiben (leb— hafter Beifall), und ich bin überzeugt, daß sich die Nation ihr Recht auf eine verständige und besonnene Weltpolitik, auf die ihr gebührende Weltmachtstellung weder ausreden noch verkümmern lassen wird. (Lebhafter Beifall, Bewegung.)
Abg. von Kardorff (Rp.): Was die Nichteinberutung des Reichstages betrifft, so verlautete, die Reichsregierung habe sich dazu entschlossen, nachdem sie mit den Führern der maßgebenden Parteien sich darüber veiständigt hätte. Das war aber lediglich offiziöse Flunkerei, denn niemand von den maßgebenden Parteien ist darüber befragt worden. Es hieß dann, die Berufung des Reichstages könnte die schwebenden Verhandlungen stören. Ja, das absolute Regiment ist ja viel bequemer, aber wir haben doch nun einmal ein parlamen— tarisches, tonstitutionelles Regiment, und so lange wir es haben, muß man sich auch an allen Stellen der Staatzverwaltung dem fügen. Herr Richter hat den Fürsten Hohenlohe zu entschuldigen versucht, aber der letztere war doch damals Reichskanzler. Fuͤrst Hohenlohe hat eminente Verdienste um die Führung der Reichs⸗ politik, die er glücklich in Bismarck'sche Bahnen zurückgelenkt hat, aber wie er schon bei der Maßregelung der ‚Kanalrebellen“ nicht mehr so recht die gesetzlichen Bestimmungen in Erinnerung hatte, war ihm auch in diesem letzten Sommer das Ausgabebewilligungsrecht des Reichstages nicht mehr so ganz gegenwärtig. Die Re— gierung bedurfte aber auch der Mitwirkung der Volks— vertretung als Stütze für ihre Position im Inlande und Auslande. Herr Bebel hat die Hunnenbriefe“ zitiert. Ich kann aut meiner Er⸗ fahrung in Soldatenbriefen behaupten, daß dabei die Phantasie eine ganz außerordentliche Kolle spielt; ganz unbedingt kann man sich auf ihre Angaben nicht verlassen. Herr Bebel ist so feinfühlig für Grausamkeiten. Wie werden oftmals arbeitswillige Arbeiter bet Strikes behandelt? Und haben etwa die Mitglieder der Kommune nicht zahlreiche Pariser, die sie des Einverständnisses mit der Ver sailler Regierung verdächtig anfahen, einfach an die Mauer gestellt und erschossen? Herr von Ketteler hat seine Stellung in wahrhaft großartiger Weise ausgefüllt. Ihn, wie Herr Bebel es that, nachträglich anzugreifen, ist ein Verfahren, das ich getrost dem Urtheil des Hauses überlasse. Wir sind Freunde der Mission. Jeder Kirche ist es Lebensbedürfniß, äußere Mission zu treiben; jede Glaubensgemeinschaft, welche es versäumt, Propaganda zu machen, verdorrt und versteint in sich. Die evangelischen Missionare haben thatsächlich immer die Richtschnur eingehalten, daß sie möglichst wenig mit dem Staat und seinen Organen zu thun haben wollten. Der neue Reichskanzler wird die Unterstützung der patriotisch und national denkenden Kreise des Hauses stets in vollem Maße haben, wenn er uns die Ziele seiner Politik so klar und präzis auseinandersetzt, wie es in diesen Tagen geschehen ist. Einen Gegensatz zu meinem Freunde, dem Abg. Dr. von Levetzowv, muß ich hier noch zum Augdruck bringen. Er meint, nachträgliche Bewilligung und Indemnität sei einerlei. Das ist nicht der Fall. Ich lege auf das Wort Indemnität einen sehr hohen Werth, denn es liegt darin aus—⸗ gesprochen, daß die Regierung ein hegangenes Unrecht wieder gut macht. Wenn Herr Richter ein Verantwortlichkeitsgesetz für die Minisser verlangt, so vergißt er doch, daß der Bundestath dafür absolut nicht ju haben ist. Mit einer solchen Forderung muß im pteußischen Landtage eingesetzt werden. Ich schließe mit dem An⸗ trage, die Vorlage der Budgetkommission zu überweisen, und hoffe, daß sie in derselben eine wohlwollende Aufnahme finden wird.
Abg. Rickert (Fr. Vgg.): Es stand für ung Alle, mit Aus—⸗
nahme der äußersten Linken, fest, daß die Maßregeln gegen China noth⸗
wendig gewesen sind, daß die Einberufung des Reichtztages zur Be⸗ willigung der Ausqaben aber ebenso nothwendig war, und die nach⸗ trägliche Bewilligung der gemachten Ausgaben nur durch Indemnitäts⸗ ertheilung erfolgen konnte. Der Reichskanzler hat un durch sein Entgegenkommen unsere Stellung sehr erleichtert, und ich danke ihm meinestheils dafür. Man hat beute den Fürsten Hohenlohe als den Verantwortlichen für die Beiseiteschiebung des Reichs⸗ tages hingestellt. Ihm sollte man diesen Vorwurf nicht machen. Wenn aber auch der absolutistische Geist dagewesen ist, — der Kanzler will den verfassungsmäßigen Zäastand durch Gin⸗ holung der Indemnität sanieren. Wat der Kriegs⸗Minister gestern über die in einigen früheren Fällen ertheilte Indemnität ausgeführt hat, stimmt nicht ganz mit den thatsächlichen Vorgängen überein; jedenfalls ist damals von allen Betheiligten die Nachfuchung der Indemnität auch als eine Art Schuldbekenntniß aufgefaßt worden. Die Nichtberufung des Reichstages ist gerade von der offinösen Presse in der verletzendsten Weife vertreten worden; das traurigste Argument war jedenfalls, daß die Regierung sich vor ein paar oppositionellen Reden fürchtete, und lächerlich war die Behauptung, daß der Reichstag selbst gar keinen Werth darauf legte, einberufen zu werden. Die offiztöse Presse empfehle ich überhaupt der besonderen Aufmerksamkeit des neuen Reichs⸗ lanzlers; es würde sebr erfreulich sein, wenn in Orggnen, die als Sprachrohre für preußische Minister dienen, nicht mehr solche Dinge zu lesen sind. Sehr peinlich mußte es ferner berühren, wenn über eine Rede, wie die des Kaisers in Bremerhaven, ganz verschiedene Versionen sich verbreiten konnten. Der Kriegs. Minister hat ja ausdrücklich die Frage verneint, daß die Parole: Pardon wird nicht gegeben“ that⸗ sächlich ausgegeben sei, denn die Truppen seien auf der Aus⸗ reise genau infstruiert worden. Unser Urtheil über die Hunnenbriefe', die solche schweren Greuel melden, müssen wir allerdings suspendieren, bis amtliche Berichte vorliegen; das sind wir der Armee schuldig. Sollten solche barbarischen Ausschreitungen wirklich vorgekommen sein, so müssen sie exemplarisch bestraft werden. Auch ich habe mich gefreut, dat der Staatssekretär in seiner Zirkular⸗ note die Massenexekutlonen, als dem christlichen Gefühl widerstrebend, verurtheilt. Der viel zitierte Herr von Brandt hat übrigens die Erwerbung eines maritimen Stützpunktes in China für uns für eine Nothwendigkeit erklärt. Sind wir nicht die Ersten gewesen, die in Ching aktio auftraten? Seit 1842 spielen fremde Nationen in China eine Rolle. Auch die Missionare sind deutsche Staatsbürger und haben als solche ein Recht auf den Schutz des Deutschen Reichs, und der chinesische Kaiser hat in seinen Briefen an den Deutschen Kaiser aus drücklich anerkannt, daß die Verträge, welche den Schutz der Missionare verbürgen, gebrochen worden sind. Ob China in der Lage sein wird, uns die Kriegsausgaben wieder zu erstatten, wissen wir nicht; es giebt aber Kenner der Verhältnisse, welche an der Herstellung eines rationellen Systems der Zölle und Steuern in China nicht ver⸗ zweifeln, denn China ist ja zum größten Theil der europäischen Kultur überhaupt noch nicht erschlossen, und darüber, Laß der Handel mit China entwickelungsfähig ist, herrscht nur eine Meinung.
Um hisz Uhr wird ein Vertagungsantrag angenommen und die Sitzung nach persönlichen Bemerkungen der Abgg. Ledebour (Soz), Richter und Bassermann geschlossen.
Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr. (Fortsetzung der Debatte, Interpellation der Abgg. Albrecht und Genossen.)
Technik.
A. F. Die zweite Hauptversam mlung der Schiffsbau— technischen Gesellschaft fand am 19. und 20. November unter dem Ehrenvorsißz Seiner Königlichen Hoheit des Groß⸗ herzogs von Oldendurg in der bis auf den letzten Platz gefüllten Aula der Technischen Hochschule zu Charkottenburg statt. Der Ehrenvorsitzende tbeilte mit daß Seine Majestät der Kaiser und König, Allerhöchstwelcher im vorigen Jahre der ersten Haupiwersammlung beigewohnt habe, diesmal an der Theilnahme ver⸗ hindert sei, der Versammlung aber Seine Grüße entbiete. Auf Vorschlag des Ehrenvorsitzenden erwiderte die Versammlung nach einem dreimallgen Hoch auf Seine Majestät und einer Begrüßungsdepesche. Ver Ehren⸗ vorsitzende übermittelte auch den Dank Seiner Königlichen Hobeit des Peinzen Heinrich für die Höchstihm angebotene Ehrenmitglied schaft der Gesellichaft und erstattete sodann Bericht über das erste Geschäftsjahr. Danach hat die Mitgliederzahl sich auf 722 vermehrt, das Einnahmebudget sich entsprechend gesteigert und mit dem Aus—⸗ gabebudget ins Gleichgewicht gestellt. Die Pariser Welt. Ausstellung ist anläßlich des internationalen Kongresses von 39 Mitgliedern besucht worden, wobei drei Mitglieder auf dem Kongreß Vorträge ge—⸗ halten haben.
Die Tagesordnung der Hauptversammlung war eine sehr reich⸗ haltige. Als erster Redner sprach der Kaiserllche Marine⸗Ober⸗Bau⸗ rath Tjard Schwarz über „Moderne Werftanlagen und ihre voraussichtliche Entwickelung'?“. Der bedeutende Aufschwung zer letzten Jahrzebnte in allen Industriezweigen, so führte der Redner aus, mußte auch die Schiffswerften natur= gemäß umgestalten. Verglichen mit ihrem Zustande vor 50 Jahren, hat sich eine vollständige Umwandelung voll- zogen, vom Hand zum Maschinenbetrieb, vom Holz größtentheils zum Eisenbau. Die außerordentlichen, den modernen Schiffen ge— gebenen Abmessungen machten in ausgedehntem Maße die Anwendung von Traneport- und Hebevorrichtungen in den Werften nothwendig. Diese Entwickelung, bei der die Anlage einer Kraftzentrale unerläßlich war, hat befruchtend auf die Gesammtbetriebsweise des Schiffs- baues eingewirkt, seine Leistungsfähigkeir unter Einführung der Werkzeugmaschinen und, die Kraftvertheilung auf elektrischem Wege ungeheuer gesteigert. Doch tragen die Werfteinrich⸗ tungen den bestehenden Nothwendigkeiten, besonders der Unmöglich⸗ keit, die schweren Platten und Profile ohne mechanische Hilfsmittel zu trangportteren, noch keineswegs genßgend Rechnung. Für die Leistungsfähigkeit einer Werft ist es von großem Werthe, daß die einzelnen Werkstätten in Beziehung zum Materialienplatz einer- seits, zum Bauplatz auf dem Helling, sowle zu dem am Qual liegenden Schiff andererseits derart gruppiert sind, daß unnbthige Massen= bewegungen vermieden und daß die Werkstätten selbst mit praktischen Lauf und Drebkrahnen gusgerüstet werden, ebenso daß sie zu weitgehendster Verwendung der Maschinenarbeit unter Augstattung mit den besten Werkzruzmaschinen fortschreiten. In diesem Sinne ist vom Vortragenden der Plan einer Werft aufgestellt worden, wie sie nach seiner Erfahrung den Anforderungen der modernen Schiffs bautechnik Genüge ltisten würde. Der Plan wurde eingehend erläutert, wobei sich ergab, daß Ober ⸗Baurath Schwarz außer der vorgedachten Konzentration der Weikstätten in nächster Nähe des im Bau begriffenen Schiffs auch noch zwei Nothwendigkeiten für gegeben erachtet, die eine gewisse Ueberraschung bei der Zuhörerschaft herporzurufen schienen. Er ftellte nämlich die zwei Forderungen auf, daß die Hellin ge ungeachtet der greßen Höhe, die sie bei den gegenwärtigen Riesenschiffen besitzen, zur Schonung der Werkleute und des kostbaren Materials, mit Glas überdacht werden, und daß der Stapellauf der Schiffe mit den damit verbundenen Gefahren für das Schiff in der bisherigen
Form abgeschafft werde. Statt des Hellings, worin dem Schiff zur