1901 / 12 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 15 Jan 1901 18:00:01 GMT) scan diff

. I 1

ö [ . ö ö ö . 1 / . ö 234 ö . . . . . *. J * . 1. . 4 . 8 J H 6. ö. . 2 R J K * f . - . . . 7 ö ö U 6 5 . 4 . * .

Deutscher Reichstag. 25. Sitzung vom 14 Januar 1901. 1 Uhr.

Die zweite Berathung des Reichshaushalts⸗Etats für 1901 wird bei dem Etat des Reichsamts des Innern, und zwar bei dem Titel 1 der Ausgaben: „Gehalt des Staats- sekretärs“, fortgesetzt.

Abg. Dr. Hitze (Zentr.): Meine Parteifreunde sind der Meinung, daß die 12 000 M-Angelegenheit nunmehr zur Genüge erörtert ist. Wir werden auch gegen den Antrag des Abg. Fischer auf Nieder⸗ img einer parlamentarischen Unkersuchungskommission stimmen und können nur bedauern, daß man die 13 000 M -Angelegenheit benutzt, um das Reichsamt des Innern als vom Jentral— verband deutscher Industrieller völlig abhangig hinzustellen. Die 12909 66 ,, kann man bedauern, . von ginem System der Bestechung kann nicht gesprochen werden. Die Bäckereiberordnung, die in der letzten Sitzung vom Abg. Oertel scharf dekämpft worden ist, halten auch wir nicht für einwandfrei. Wir würden nichts dagegen haben, wenn bezüglich der Regelung der Arbeitszeit statt der täglichen die wöchentliche Regelung erfolgte. Cine solche Regelung ist schon in der Kommission für Arbeiter statistik angeregt worden. Jedenfalls aber müffen bei den Erhebungen tin Bäckergewerbe nicht nur die Meister, sondern anch die Gefellen gehört werden. Die Bemängelungen, welche der Abg. Wurm dem Register für die Originalberichte der Fabrik-Infpektoren hat zu theil werden lassen, sind nicht berechtigt; es kommt nicht auf die Zahl der Stichworte, sondern auf die Wahl derselben an, und in dieser Beziehung ist dem Register ein Vorwurf nicht zu machen. Wenn 3 Wurm die Berichte selbst angreift und namentlich die nicht einheitliche Art tadelt, in welcher die einzelnen Fabrik⸗Aufsichtsbeamten ihren Sonder⸗ bericht über die Fabrikarbeit verheiratheter Frauen behandeln, fo ift uns ja hierüber eine besondere Denkschrift in Aussicht gestellt, welche wir in aller Ruhe später behandeln, und wobei wir dann auch auf diefe einzelnen Beanstandungen zurückkommen können. Den Anregungen, welche der Abg. Bassermann ili der Fortführung der sozialpolitischen Gesetzgebung gegeben hat, kann ich mich nur anschließen, vielleicht sind solche Anregungen auch wirkungsvoller, wenn sie von dieser Seite, als wenn sie von Ünsereinem gegeben werden. Der Staatsfekretär hat ja auch dargethan, daß eine ganze Reihe von Fragen der Prüfung unterliegen, daß also eine ganze Reihe von Eisen im Feuer sind; aber das hilft uns darüber nicht hinweg, daß das Temps dieser Arbeiten erheblich verlangsamt ist, und daß wir in dieser Session auf diesem Gebiet kaum mit irgend einer Vorlage von , ic t befaßt sein werden. Der sanitäre Maximalarbeitstag soll ja bei der . fabrikation schon in Erwägung gezogen sein; es giebt aber auch noch andere Gebiete, auf denen er nöthig erscheint, und wir ind auch hier gezwungen, um Beschleunigung zu bitten. Der anitäre Maximalarbeitstag ist auch für die Angestellten bei den Straßenbahnen dringend nothwendig; man hat aber entgegnet, daß die Pferdebahnen und elektrischen Bahnen überhaupt nicht der Gewerbe⸗ ordnung unterständen. Ich behalte mir in dieser . noch besondere Schritte vor. Daß die Arbeitsperhältniffe der Angeftellten der Notare und Rechtsanwälte einer Regelung ebenfalls bedürfen, kann auch ich nur nochmals unterstreichen. Schwieriger liegen die Dinge bezüglich der Angestellten im Gastwirthschafts⸗- und , . insbesondere wegen der leidigen Trinkgelderfrage. Die beste Lösung wäre ja eine schärfere Handhabung der ,, . 5 man aber selbst Unsern Antrag abgelehnt hat, alle Gastwirthschaften von 1 bis 5 Ühr Nachts zu schließen, wird man auf die achtstündige Ruhezeit zurück⸗ zugreifen genöthigt sein. Auch auf dem Gebiete der Handwerker— Rganisation ist lebhafteres Vorgehen zum Abschluß derselben angezeigt. Die Schonzeit für die Industrie hat bereits eine Reihe von Fahren gedauert; die Versicherungsgesetzgebung hat sich eingelebt, rückständig ist nur noch die Wittwen⸗ und Waisenversicherung. Die Fabrikgefetz⸗ gebung hat ebenfalls eine zehnjährige igen. bereits hinter 1 es empfiehlt sich, eine Erhebung über ihre Wirkungen anzustellen, aus der sich dann auch ergeben wird, in welchen Richtungen weiter borzugehen sein wird. Nothwendig ist eine Entlastung des Reichs⸗ Versicherungsamts, nothwendig auch ein Reichs-Arbeitsamt. Die in dieser Beziehung gegebenen Anregungen möchte ich nachdrücklich unterstũtzen.

Abg. Hoch (Soz.) führt aus, bis jetzt seien die von den Sozial— demokraten vorgebrachten Beschwerden in keinem Falle widerlegt worden. Auch das, was der saͤchsische Bundesrathsvertreter in der Sitzung vom Sonnahend vorgebracht habe, sei nur ausweichend gewesen. Die Thatsache stehe fest, daß die Arbeiter in Preußen und Sachsen von größtem Mißtrauen gegen die Fabrik⸗-Inspektoren erfüllt feien, weil deren ganzes Verhalten gegenüber den Arbeitern den letzteren Ursache zum Mißtrauen gebe. In Süddeutschland dagegen hätten es die Inspektoren verstanden, sich zu Vertrauenspersonen der Arbeiter zu machen, namentlich infolge: ibres Verkehrs mit den Arbeiter⸗ organisationen. In Sachsen und Preußen sei den Inspektoren durch Verordnung der Verkehr mit den Arbeiterverbanden unterfagt. Es sei bedauerlich, daß seitens der r, Parteien an den Berichten der Fabrik⸗Inspeftoren so wenig Kritik geübt werde. Auf diefe Weife würden die sozialpolitischen Gesetze immer laxer durchgeführt. Und dabei werde das Tempo in der Sozialreform immer lang⸗ samer. Des Weiteren kommt Redner, wie schon in früheren Sessionen, auf die Frage des Bauarbeiterschutzes zu sprechen, der, wie er behauptet, noch sehr im Argen liege und für den unbedingt mehr gethan werden müsse. Die Beschlüsse des letzten Deutschen Bauarbelter-Kongresses lieferten für diesen Bauarbeiterschutz ein reiches Material. Leider sei es nur zu häufig Brauch, Beschlüsse von Arbeiter-Kongressen einfach zu ignorieren. Redner kommt dann auf die Frage der Fabrikarbeit verheiratheter Frauen und bemerkt gegen den Abg. Dr. Hitze, daß auch in dieser Beziehung die preußisch - sächsischen und die sud— deutschen Gutachten der Gewerbe⸗Inspektoren sonderbar von einander abstachen; er zitiert wörtlich die bejüglichen Auslaffungen des Fabrik⸗ Insvpektors Wörrishöfer. Worauf die Sozialpolitik der Reichsregierung binauswolle, das erkenne man deutlich aus dem Bestreben, die ört= lichen Krankenkassen lahm zu legen, nur weil sich in vielen derfelben Sozialdemokraten der Leitung bene n g hätten. Im Preußischen Centralblatt für die innere Verwaltung, habe sich der bekannte Dr. Hoffmann mit der Frage beschäftigt und die verschiedenen Möglich⸗ keiten erwogen, wie man die freien Hilfekassen lediglich zu Zuschuß⸗ kassen umgestalten, wie man die Beitrage zur Hälfte von den Arbeil⸗ ebern zahlen lassen wolle, um den Arbeitgebern einen maßgebenden dinfluß auf die Kassengebahrung zu verschaffen, und wie fonst die Arbeiter entrechtet werden könnten. Und dabei habe man nicht über⸗ sehen, daß gleichzeitig ein Erlaß der Regierung ergangen sei, worin die Behörden zu Erbebungen über die Krankenkassen veranlaßt würden dahin, ob in der Leitung Sozialdemokraten säßen, u. s. w. Es zeige sich, daß eine völlige Zurücksetzung und Entrechtung der Arbeiter, welche in diesen Kassen organisiert seien, beabsichtigt werde; es handele sich um eine Vergewaltigung. Das Fundament der Fleichberechtigung werde hier erschuttert. Freilich sei ja ein solches Vergehen nicht wunderbar in einer Zeit, wo von oben herunter Ver⸗ fassungsbrüche befürwortet würden. Vize⸗Präsident Büf ing ruft den Redner wegen dieses Ausdrucks zur Ordnung.) Seine (Redners) Partei stelle keine sozialdemokratischen Forderungen, sondern fsolche, welche sich im Gegenwartsstaate sehr wohl verwirklichen ließen. A man wolle auch von diesen nichts wissen.

Staatssekretãr des . Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗⸗Wehner:

Meine Herten! Der Herr Vorredner hat ein sehr zutreffendes Wort gesprochen. Er bat nämlich erklärt, er könne von den Ver⸗ tretern des Reicheamts des Innern nicht mehr verlangen, als sie unter den gegenwärtigen volitischen Verhältnissen leisten kõnnen. Das ist durchaus richtig. Aber ich glaube, in seinen Ausführungen hat der Vert Vorredner selbst dieser eigenen Erkenntniß nicht Rechnung ge—⸗

des Innern so dar, als ob er der verfügende Minister eines Einzel⸗ staates wäre, der nicht einmal gebunden sei an ein Minister⸗Conseil, und nicht, als ob er ein Beamter in einem Föderativstaate wäre, der verpflichtet ist, mit sämmtlichen anderen Staaten zu ver⸗ handeln, und der hierbei nicht so despotisch verfahren kann, wie der Herr Vorredner wünscht. Meine Herren, Sie sehen immer nur eine Seite, den Avers nach außen, Sie sehen aber nie den Revers nach der anderen Seite; wenn Sie wüßten, wie außerordentlich schwierig es bisweilen ist, selbst das zu erreichen und darüber eine Einigung herbeizuführen, was Ihnen hier vorgelegt wird, so würden Sie, glaube ich, in Ihrem Urtheil etwas ruhiger, etwas vorsichtiger und damit etwas gerechter sein. Ich möchte überhaupt dem Herrn Vor— redner sagen, wir würden vielleicht beide weiter kommen, wenn er alle seine Beschwerden in etwas ruhigere und sach⸗ lichere Form kleiden könnte. Wenn man Tag für Tag immer⸗ fort nur diese Vorwürfe, diese Anklagen, diese Behauptungen hört, daß alles böswillig gemeint, daß alles schlecht, daß alles unge⸗ schickt gemacht ist, dann, meine Herren das sage ich Ihnen ganz offen stumpfe nicht nur ich, sondern auch meine Beamten und die verbündeten Regierungen beim besten Willen dagegen ab. (Sehr guth Wenn wir ruhiger die Sache erörterten Sie wollen das Interesse der Arbeiter schützen und wir auch, verlassen Sie sich darauf so würden wir in gemeinschaftlicher Arbeit sicher weiter kommen. Das zeigt die Arbeit in den Kommissionen, wo wir auch mit den Herren Sezialdemokraten ganz ruhige und sachliche Erörterung pflegen und doch durch gemeinschaftliche Arbeit manches Verständige zu stande gebracht haben.

Ich will nun auf eine Anzahl Einzelnheiten eingehen, die im Laufe der Debatte erörtert sind; es häufen sich sonst die Fragen zu sehr und kommen im Laufe der Debatte schließlich in Vergessenheit. Es ist vorgestern angefragt worden, wie es mit der Strikeklausel in den Verträgen des Fiskus steht. Ich kann darauf die Er— klärung abgeben, daß keineswegs beabsichtigt ist, soweit Preußen in Frage kommt, den Strike allgemein als vis major anzusehen, die vom Vertrag entbindet, sondern es soll in jedem einzelnen Fall geprüft werden, aus welchen Ursachen der Strike hervorgegangen ist, und danach der Ressort-Chef entscheiden, ob mit dem Unternehmer Nachsicht zu üben, ob ihm ein Erlaß zu bewilligen ist, ob insbesondere die Fristen der Ausführung hinauszuschieben sind, ob der Vertrag vielleicht ganz aufzuheben ist, oder ob der Unternehmer einfach zur Erfüllung seiner vertragsmäßigen Pflicht anzuhalten ist. (Sehr richtig! rechts) Mit anderen Worten, es soll untersucht werden; welches ist die Ursache des Strikes? und trifft dabei den Unternehmer eine Schuld, oder trifft ihn keine Schuld?

Der Herr Abg. Dr. Oertel ist vorgestern auch auf die Bäckerei- verordnung zu sprechen gekommen. Es haben über die Bäckerei— verordnung innerhalb der preußischen Ressorts unter Zuziehung des Reichsamts des Innern Verhandlungen stattgefunden, ebenso wie über die Backstubenverordnung. Bestimmte Erklärungen zur Sache kann ich indeß noch nicht abgeben. Die Resultate dieser Erörterungen inner— halb der preußischen Ressortẽ unter Zuziehung des Reichsamts des Innern sind den verbündeten Regierungen zwar bereits mitgetheilt; ich habe indeß noch nicht die Aeußerungen der verbündeten Regierungen sämmtlich erhalten. Ich kann aber dem Herrn Abg. Dr. Oertel schon jetzt insoweit durchaus Recht geben, daß man bei den Forderungen, die man an die äußere Ausgestaltung der Bäckereiwerkstätten zu stellen haben wird, außerordentlich vorsichtig sein muß, um nicht in der That den Grundbesitz mancher Bäckerbesitzer vollkommen zu ent— werthen. Es sind schwere Uebelstände darüber ist gar kein Zweifel bei dem Bäckereibetriebe hervorgetreten und auch durch gerichtliche Erkenntnisse festgestellt (hört, hört! bei den Sozialdemokraten), und es liegt im dringendsten hygienischen Interesse, diesen Uebelständen entgegenzutreten. Aber man muß eine ausreichende Uebergangsfrist für die neuen Forderungen festsetzen, sonft würde man in der That die Existenz einer ganzen Anzahl Gewerbetreibender vollkommen in Frage stellen. (Sehr richtig! rechts.)

Es ist auch verlangt worden, wir sollten ein schnelleres Tempo in der Sozialpolitik einschlagen. Ich kann aber kein so schnelles Tempo in der Sozialpolitik einschlagen, daß ich schließlich allein stehe und niemanden mehr hinter mir habe, sondern wenn ich Sozial— politik treibe, muß ich selbstverständlich mit den verbündeten Regie⸗ rungen vorher einig sein. Ich habe immer wieder den Eindruck bei diesen Ausführungen: die Mitglieder des hohen Hauses unterschätzen das Maß der Arbeit, das schon jetzt den verbündeten Regierungen auferlegt ist durch die Gesetze, die wir hier beschlossen haben. (Sehr richtig! rechts) Sie können wirklich nicht übersehen, welches Maß von Orga— nisationsarbeiten jetzt den Regierungen bereits obliegt, und daß in der That manche Regierungen garnicht in der Lage wären, wenn wir noch intensiver, noch schneller vorgingen, mit ihrem Beamtenapparat über- haupt zu folgen. Nehmen Sie nicht jede Verzögerung als bösen Willen, als eine Nachläͤssigkeit an, sondern tragen Sie den staats— rechtlichen Verhältnissen, wie sie nun einmal liegen, und den vor— handenen organisatorischen Einrichtungen Rechnung!

Es sind auch wieder die Angaben bemängelt worden, die ich be— züglich der Berichte der Gewerbe⸗Aufsichtsbeamten gemacht habe. Ich halte demgegenüber meine thatsächlichen Feststellungen in allen Punkten aufrecht, werde Es aber meinem Herrn Kommissar überlassen, sich im einzelnen zur Sache noch zu äußern. Wir haben das Inhaltsverzeich⸗ niß aufgestellt nach bestem Wissen. Es ist ein Inhaltsverzeichniß von 143 Seiten aufgestellt. Ob man das noch mehr spezifiziert, ob man in Zukunft versucht, es nach einem anderen System aufzustellen, das ist keine politische Frage. Wir wollen uns das für das nächste Jahr eingehend überlegen.

Es ist auch wieder darauf hingewiesen worden, daß seitens der Gerichte, wenn die Arbeiterschutz Bestimmungen verletzt werden, nicht genügend hohe Strafen zur Festsetzung kommen. Meine Herren, ich habe unter dem 26. August 1899 folgendes Schreiben an die ver⸗ bündeten Regierungen gerichtet:

Aus Anlaß der in den Jahresberichten der Königlich preußischen Gewerbe ⸗Aufsichtsbeamten wiederholt laut gewordenen Klagen über die alljzugroße Milde der Gerichte bei Ahndung von Verfehlungen gegen die Arbeiterschutz⸗Gesetze hat der Königlich preußische Herr Justiz⸗Minister durch ein Rundschreiben vom 6. Oktober 1895 die Aufmerlsamkeit der Ober⸗Staatsanwälte auf diese An⸗ gelegenheit gelenkt. Da aus anderen Bundesstaaten ähnliche Beschwerden erhoben worden sind, beehre ich mich, beifolgend dieses Schreiben zur gefälligen Kenntnißnahme mit dem Anheimstellen der

tragen. Er stellte die Stellung des Staatssekretãrs des Reichsamts

ähnliches Vorgehen angezeigt erschein Für eine Mittheilung x getroffenen Entschließung wäre ich dankbar.“

Und ich habe bei einer anderen Gelegenheit folgendes Rund schreiben an die verbündeten Regierungen gerichtet:

Der einzige, Erfolg versprechende Weg für den Gewerß Aufsichtsbeamten gegenüber einer zu milden Praxis einzelner Gericht scheint mir in dem sofortigen Bericht an die vorgesetzte Behörde 1 liegen, damit diese gegebenen Falls vor Eintritt der Rechtskraft Erschöpfung der Rechtsmittel gegen ein unverhältnißmãäßig milde Urtheil betreiben kann.“

Ich glaube, vom Reichsamt des Innern ist also das geschehe⸗ was geschehen konnte, und ich beabsichtige überdem, auf Grund de Berichte der Gewerbe⸗-Aufsichtsbeamten auch auf die Frage, betreffen die Bestrafung der Ueberschreitungen der Arbeiterschutzbestimmunge bei einer späteren Gelegenheit in einer besonderen Denkschrift ein zugehen. .

Was die Arbeiterschutzbestimmungen in der Zigarrenindustrie trifft, so sind Erhebungen darüber angestellt, aber eins darf man sij dabei nicht verhehlen, daß diese Arbeiterschutzbestimmungen eng sammenhängen mit, der Wohnungsfrage und daß darin eine gan außerordentliche Schwierigkeit der Materie liegt.

Was den Schutz der Gastwirthschaftsgehilfen betrifft, so liegt z bereits seit längerer Zeit der Bericht der arbeiterstatistischen Kommissin dor, und es sind Erwägungen mit den preußischen Ressorts angestell ob und inwieweit etwa diese Beschlüsse der arbeiterstatistischen Kon, mission noch gewisser Aenderungen bedürfen werden. Der Befãhigungẽ nachweis hängt eng zusammen mit der Verleihung des Meistertitel⸗ Bis zum 1. Oktober müssen die Vorschriften bezüglich der Ertheilun des Meistertitels erlassen sein. Wir werden dann alsbald in di Prüfung der Frage eintreten, ob und auf welchen Gebieten etwa ein Befähigungsnachweis zu verlangen sein wird. Daß der Befãhigung nachweis nicht allgemein zu verlangen sein wird, daß das wenigsten die Auffassung der verbündeten Regierungen ist, habe ich bereits; früheren Jahren erklärt.

Einer der Herren Vorredner ist auch wieder auf den bekannn Erlaß des früheren preußischen Herrn Handels⸗Ministers Freihem von Berlepsch zurückgekommen, betreffend den Verkehr der Gewerk Inspektoren mit den Vertretern der Arbeiter. Dieser Erla scheint allerdings in Preußen von manchen Gewerbe⸗Aufsichts beamten mißverstanden oder wenigstens nicht richtig angewendet zu sein. Ich habe mich dieserhalb nochmals mit dem Handels-Ministeriun in Verbindung gesetzt. Der Sinn dieses Erlasses ist folgender: die Gewerbe-⸗Aufsichtsbeamten sollen Beschwerden entgegennehmen, auch wenn sie von Vertretern der Arbeiterorganisationen ihnen vorgetragen werden, aber sie sollen diesen Vertretern nicht über den Erfolg ihrer Erhebungen einen Bescheid ertheilen, weil der preußische Herr Handels⸗-Minister der Ansicht war, daß man nicht die Vertreter der Arbeiterorganisationen als ein amtliches Organ ansehen soll welches sich zwischen die Arbeiter und die Beamten der Gewerbe= aufsicht schiebt. Vielmehr sollen die Gewerbe⸗Aufsichtsbeamten darauf hinwirken, möglichst mit den Arbeitern selbst in direkte Verbindung zu kommen. Man liest ja auch in verschiedenen Berichten der Gewerbe⸗ Aufsichtsbeamten, daß das Verhältniß zwischen ihnen und den Arbeiterr ein durchaus befriedigendes ist.

Es ist auch bemängelt worden, daß die Verordnung, betreffen die Anwendung der Arbeiterschutzbestimmungen der Gewerbeordnum auf die Werkstätten mit Motorbetrieb, insofern einen Rückschritt ent hielte, als früher in den Dampfmotorstätten jugendliche Personen nu täglich sechs Stunden beschäftigt werden durften, während sie jetzt bi zehn Stunden beschäftigt werden können. Man hat aber bei diesen Vorwurf, glaube ich, vergessen, daß jetzt nur jugendliche Personen be schäftigt werden dürfen, auch in diesen Dampfmotorstätten, die über 13 Jahre alt und nicht mehr schulpflichtig sind, während früher jugend. liche Personen schon mit 12 Jahren, und während sie noch schulpflichti waren, beschäftigt wurden und man von ihnen nur verlangte, daß ste eine öffentliche Volksschule oder eine andere von der Schulinspektien genehmigte Schuleinrichtung während täglich drei Stunden besuchten. Der Unterschied ist also, daß jetzt das Alter ein Jahr heraufgerückt is und daß nur noch schulfreie Personen zur Arbeit benutzt werden dürfen Es wurde gerade bei den Verhandlungen über diese Aenderung gelten gemacht, daß es außerordentlich schwer sei, gerade diese jugendlichen Personen als Lehrlinge unterzubringen, weil man sie nicht beschäftigen könnte, wenn man ihnen nicht die gleiche Arbeitszeit auferlegte wie den Personen über 16 Jahren. Man glaubte, daß es hiernach gerade im Interesse der jungen Leute sei, wenn man sie mit denen unter 13 Jahren gleichstelle.

Es ist auch bemängelt worden, daß das Statistische Amt in einer Denkschrift erklärt hätte, es habe sich nicht das ausländische Materin verschaffen können, was thatsächlich nach den Ausführungen des Herm Vorredners existiert. Ich werde das Statistische Amt zur Sach hören. Das Statistische Amt hat diese Denkschrift selbständig fert gestellt; beim Reichsamt des Innern ist wegen des Materials ei⸗ Anfrage nicht eingegangen. Wäre eine solche Anfrage ergangen, wäre das Reichsamt des Innern wahrscheinlich in der Lage geweser jenes amtliche Material zu beschaffen.

Der Herr Vorredner ist auch wieder auf meinen Erlaß über de Bauarbeiterschutz zurückgekommen. Er hat aber selbst angeführt, de man in Bayern einen Weg gewählt hat, der dem Herrn Vorredner zusagt und genügt. Daraus geht doch hervor, daß jedenfalls in Bayern die Einrichtung, die getroffen ist, eine unmittelbare Folge meines Erlasses gewesen war. Ich muß allerdings zugestehen, daß man in anderen Staaten den Vorschlag, den ich gemacht babe, nicht acceptiert hat, man hat ihn noch für zu weitgehend er achtet. Von den Einzelstaaten zu erzwingen, daß das geschielt dazu steht mir ein gesetzliches Recht nicht zu. Aber eins mi⸗ ich doch bemerken: wenn in Bayern nicht Arbeiter, die noch wirlla auf der Arbeitsstelle in einem Vertragsverhältniß zum Arbeitgehct stehen, sondern andere Arbeiter gleichsam amtlich angestellt und vom Staate besoldet werden, so sind es eben einfach berufsmäßige Beamte, die aus dem Arbeiterstande gewählt sind. Es handelt sich also dann um eine wesentlich andere Cinrichtung, es handelt sich um die Be= stellung besonderer Bauaufseher, die man aber aus praktischen Gründen aus dem Stande der Arbeiter wählt. Ueber die Statistik der Kinderarbeit, meine Herren, habe ich mic bereits bei meinen letzten Ausführungen eingehend geäußert. Seite 935 der Publikation des Statistischen Amts war ja die an enthalten, die ich an die Regierung gerichtet hahe. Es sollte, wie

Grwägung mitzutheilen, ob nach den dortigen Verhältnissen ein

wiederhole, nicht eine eingehende Zählung stattfinden, sondern man

wollte durch die Aeußerung der verbündeten Regierungen nur ein allgemeines Bild der gewerblichen Kinderarbeit erhalten und wollte absichtlich den verbündeten Regierungen bei dem Wege, wie sie sich dieses Bild verschaffen, eine gewisse Freiheit der Wahl überlassen, und meines Erachtens ist das Material, das wir auf diesem Wege erlangt haben, vollkommen ausreichend, um darauf ein Gesetz zu bauen. Aber! dieses Gesetz soll, soweit meine persönliche Auf⸗ sassung in Frage kommt die Antworten der Regierungen liegen noch nicht vor nicht nur allgemeine Direktiven enthalten, sondern ein ganz spezielles Schutzgesetz für die gewerbliche Kinderarbeit

werden. Es ist auch mit sehr scharfen Worten die Art moniert worden,

wie die Erhebungen angestellt sind über die Beschäftigung verheiratheter

Frauen. Man hat, gestützt auf die Aeußerungen eines Gewerbe⸗Auf⸗ sichtsbeamten, behauptet, die Arbeit der verheiratheten Frauen ließe sich garnicht trennen von der Frauenarbeit überhaupt. Ich möchte demgegenüber nur bemerken, daß die Resolution des Reichstages, von dem Herrn Abg. Dr. Hitze gestellt, ausdrücklich lautet: den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, eine eingehende Bericht⸗ erstattung über die Beschäftigung verheiratheter Frauen in Fabriken anzustellen und im nächsten Jahre darüber Berichte der Gewerbe— Aufsichtsbeamten zu veranlassen.

Also auch der Reichstag, meine Herren, hat sich in seiner Reso⸗ lution nur auf die verheiratheten Frauen bezogen, und wenn Sie des— wegen jemandem einen Vorwurf machen wollen, können Sie ihn nur der Resolution des Reichstages machen, nach der ich mich genau ge— richtet habe. Aber das kann ich zugestehen, daß in vielen Beziehungen bei dem Zusammenarbeiten der verheiratheten und der unverheiratheten Frauen das, was für die verheiratheten Frauen gilt, auch auf die un— verheiratheten Frauen wird Anwendung finden müssen. Dazu brauchen wir aber keine besonderen Erhebungen, das wird ganz einfach aus der

Natur der Thatsache sich ergeben.

Meine Herren, ich möchte zum Schluß noch auf die Angriffe ant— worten, die wiederum gegen ein künftiges Krankenversicherungsgesetz erhoben worden sind. Ich wiederhole hier, daß die Publikation über die eventuelle Gestaltung des Krankenversicherungsgesetzes eine reine Privatarbeit war, weiter nichts, und daß diese Privatarbeit keinerlei Einfluß haben kann und haben wird auf das, was die verbündeten Regierungen in dieser Beziehung beschließen. Ich muß mich aber auch dagegen verwahren, wenn der Herr Vorredner das Reichssamt des Innern für das ver— antwortlich macht, was ein einzelner Regierungs⸗Präsident verfügt. Meine Herren, dafür bin ich nicht verantwortlich, dafür habe ich gar keine Kompetenz. Ich lehne das entschieden ab, das ist Sache der einzelstaatlichen Verwaltung, und Beschwerden, die man in dieser Be⸗ siehung hat, kann man nur in den einzelstaatlichen Landtagen vor— bringen. Es wäre ja ganz unmöglich, daß ich mich auch nur infor— mierte, was jeder einzelstaatliche Beamte verfügt, ob das Recht oder Unrecht ist, ob es gesetzlich oder ungesetzlich ist. Sachlich kann ich mich hier auf diese Frage unter keinen Umständen einlassen.

Königlich sächsischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, Ministerial⸗ Direktor . 5 * Der Vorredner aus dem Hause macht es der sächsischen Regierung zum schweren Vorwurf, daß sie nicht sofort . Fabrik⸗Inspektoren angestellt hat, sondern zunächst nur weih⸗ liche Verkrauenspersonen. Meine Regierung ist erst nach langen, reif⸗ hen Erwägungen auf, dieses Uebergangestadium eingegangen. Daß ein unerfreuliches Verhältniß zwischen Aufsichtsbeamten und Arbeitern in dem von den Abgg. Wurm und Hoch angedeuteten Umfange in Sachsen besteht, muß ich nach meinen neueren Informationen ent— schieden bestreiten.

Staatssekretär des Innern, Staats⸗-Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:

Meine Herren! Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich nochmals das Wort ergreife; ich will nur noch etwas nachholen, was ich zu meinem Bedauern unterlassen habe, zu erwähnen. Der Herr Abg. Dr. Hitze hat gefragt, ob schon eine Ausführungsverordnung zu § 10656 Abs. 2 der Gewerbeordnungs⸗Novelle ergangen sei. Diese Ausführungs⸗ verordnung liegt mir im Druck bereits vor und wird in der aller— nächsten Zeit dem Bundesrath zugehen.

Geheimer Ober ⸗Regierungsrath im Reichtamt des Innern Werner: Der Abg. Wurm hat am Sonnabend behauptet, daß die Berichte der Ge⸗ werbe⸗Inspektoren zu spät an den Reichstag gelangt seien. Das ist nicht richtig k vier Bände sind am 29. Oktober an das Bureau des Reichstages gelangt; der Registerband am 56. November. Es ist nicht zweckmäßig, die Berichte der einzelnen Gewerbe⸗Inspektoren einzeln herauszugeben. Das statistische Material soll künftig von den Gewerbe⸗Inspekkoren noch genguer zusammengestellt werden. Das Reichtamt des Junern stellt diese Zahlen nicht zusammen. Die Vor—⸗ würfe des Abg. Wurm gegen die Art des Registers sind unbegründet. Der Vorwärts“ hat gefragt, ob böser Wille oder Dummheit dies verschuldet habe. Wir machen das Register nicht für Herrn Wurm, auch nicht 5 die Sozialdemokratie, auch nicht für den Reichstag allein. Unser Register ist ae n Register mehr, sondern eine edrängte Uebersicht. Die el haft ng der verheiratheten Frauen . nur mit einem Stichwort bedacht werden. An diesen Re— istern wird festgehalten werden, so lange nicht nachgewiesen ist, daß ö durch bessere ersetzt werden können. Wir Geheimräthe werden uns niemals scheuen, * Meinung zu sagen; das sage ich nicht allein Herrn Hoch, sondern dem Hause.

Abg. von Czarlinski (Pole) verlangt, daß während der Sonntagsruhe alle Lokale, in denen Schnaps verschänkt werde, ge— schlossen bleiben. In diesem Punkte seien insbesondere in den den polnischen Landestheilen eigenthümliche Ausnahmen wahr= zunehmen. Seltsam müßte auch das Einschreiten gegen angeblich unanständige Vornamen berühren, desgleichen der Feldzug z'gen die Schreibung polnischer Familiennamen, wie ihn die Standesbeamten führten. (Redner will dafür einzelne Beispiele geben, wird aber vom Vize⸗Prasidenten Büsing daran gehindert, weil biese Materie nicht in den Reichstag und * * nicht an diese Stelle gehöre.) Der Kampf gegen das Polenthum werde immer noch mit unlauteren Mitteln geführt. Bei den letzten Gewerbegerichts. wahlen seien die polnischen Stimmzettel kassiert worden, eine höchst liinliche Maßnahme, dle lediglich Verbitterung erzeugen, aber sonst lehne h tragen könne. ;

g. Dr. Müller⸗Meiningen (fr. Volksp) bittet den Staats sekretär, dahin zu wirken, daß die internationale Musterunion mög⸗ 1. bald ausgestaltet werde in eine internationale Institution des

utze; gegen den unlauteren Wettbewerb. Nicht nur die unlauteren Aus verkaufe, sondern auch der unlautere Ausstellungsschwindel seien Augwüchfe, egen welche dieses 59 von 1896 nicht mehr augreiche; ü sei eine Ergänzung oder eine Novelle zu diesem Gesetz unbedingt zothwendig. Der unlautere Wettbewerb auf dem Hebieke des Kleinhandels mit Kohlen und Koks habe sich ebenfalls in jüngster Zeit so mißliebig bemerklich gemacht, daß man auch

iesem mit iner Ergänzung jenes Gesetzes beizukommen versuchen müßte. In den Kreisen der nb fee bestehe eine n Bewegung

Schaffung einer Neichs Jentralbehörde ö echnische An⸗ gelegenheilen; einstweilen aber fehle dem Haufe noch jede Kompetenz, diese Frage zu behandeln. Aber eine gutachtliche Zentralstelle im

gebundene Bevölkerung vor dem völligen Untergang zu bewahren.

Reichsamt des Innern lasse sich sehr wohl konstruieren, und diese ein⸗ zurichten, empfehle er in Erwägung zu nehmen. Die entsetzliche e nekrose trete unter den Arbeitern, die mit der Herstellung von Phosphor⸗ zündhölzern befaßt seien, trotz aller 66 ts und Schutzmaßregeln so bösartig auf, daß das Verbot dieser Fabrikation unbedin 6. wendig sei; die betreffenden Schutzvorschriften hätten sich als gänzlich unwirksam erwiesen, die Arbeiter wie die Arbeitgeber in diesem Zweige der Fabrikation befänden sich in großer Nothlage, daß man sie für die Aufgabe dieses Betriebes entschä igen müsse. Die Regierung müßte ihre Bemühungen darauf richten, ein Patent auf ein phosphorfreies, überall entzündbares Zündholz zu erwerben; in der Schweiz soll. ein solches jetzt erfunden sein. Gehe dies nicht an, so könne vielleicht auf genossenschaftlichem Wege die Bereitung von Sicherheitszündhölzern dort eingeführt werden. Der Staatsfekretär sollte in , ,. mit der sachsen⸗meiningenschen Regierung alles thun, um diese blutarme, durch die Gebirgsnatur an die Scholle

Abg. Horn⸗Sachsen (Soz) schildert die gesundheitlichen Nach⸗ theile welchen die Arbeiter in der Glasindustrie, ganz besonders in der Oberpfalz ausgesetzt seien. Wenn das Zentrum so arbeiterfreund⸗ lich sei, wie es immer hervorhebe, dann müßte es 6 für diese armen Glasarbeiter seine Fürsorge, bethätigen. Auch mit der Sonntagsruhe der Glasarbeiter sei es nur sehr mangelhaft bestellt. Redner kommt dann ebenfalls auf die Hand zabung der sächsischen Fabrikinspektion zurück und sucht gleichfalls auszuführen, daß die Arbeiterschaft das Vertrauen in dieselbe durchaus verloren habe, daß es daher sehr schwer halten werde, ein befriedigendes Verhältniß auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens wieder herzustellen. Bei den . Glasarbeitern seien bezüglich der Fabrikinspektion keine günstigeren Erfahrungen als in den anderen Betrieben gemacht worden. Wiederholt seien Beschwerden der Arbeiter als unbegründet zurückgewiesen worden. Redner sucht seine Behauptungen durch ein konkretes Beispiel zu bekräftigen.

Abg. Dr. Roes icke⸗Kaiserslautern (6. E. F.) bringt den Buch— druckerausstand in der ö „Leipziger Volkszeitung zur Sprache und sucht nachzuweisen, daß dieser Streit zwischen dem Buch— druckerberband und der Leipziger Sozialdemokratie viele Lehren enthalte und namentlich zeige, daß auch innerhalb der Sozialdemokratie Aus— beutung vorkomme. Den Ausdruck „Mißgriff', vom Reichskanzler angewendet auf die 12 999 -Angelegenheit, könne er nicht billigen, weil die Regierung vollständig im Rechte gewesen sei, als sie in der gerügten Weise, vorgegangen sei. Was die neue Afrikalinie des Bremer Lloyd betreffe, so sei den Schiffen zwar die Entnahme von deutschen Kohlen vorgeschrieben, nicht aber die Verfrachtung mit deutschem Proviant, was sehr zu tadeln sei. Neuerdings sei sogar bekannt geworden, daß der Bremer Lloyd seine Kühlanlagen von Geestemünde nach Southampton, also nach England, verlegt habe. Redner bemängelt die Ausführung des Fleischbeschaugesetzes und findet es unerhört, daß dasselbe noch nicht zur vollen Ausführung gekommen sei. Es sei bekannt geworden, daß der General-Direktor Ballien in . im Verein mit Vertretern der Großindustrie es gewesen

ei, welche an maßgebender Stelle es durchgesetzt hätten, daß der Beschluß der Kommission zum Fleischbeschaugesetz für unannehmbar erklärt worden sei. Wohin solle dies führen? Auch die Beschlüsse der Hamburger Handelskammer, des Ehrbaren Kaufmanns, machten es erklärlich, daß der Staatssekretär das Fleischbeschaugesetz noch nicht durchgeführt habe. Was den Zolltarif betreffe, so müsse dieser noch in diesem Jahre vorgelegt werden. Im nächsten Jahre wäre es zu spät, zu einer rechtzeitigen Kündigung dez Handelsverträge zu schreiten, denn dann würden diese von selbst verlängert sein, und die Landwirthschaft wäre um ihre Hoffnung betrogen. Redner giebt dies alles dem Staatssekretär zu bedenken und hofft auf eine entgegen— kommende Erklärung.

Hi rauf vertagt sich das Haus. Schluß 6i Uhr. Nächste Sitzung Dienstag 1 Uhr. (Duell-Interpellation des Zentrums; Fortsetzung der Etatsberathung.)

Preuszischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

3. Sitzung vom 14. Januar 1901, 11 Uhr.

Auf der Tagesordnung steht die erste Berathung des Staatshaushalts⸗Etats für das Jahr 1901. .

Abg Fritzen⸗Borken (Zentr.); Wir haben einen ganz außer— ordentlich günstigen Etat, wie er kaum jemals wiederkommen wird. Das Extragordinarium beträgt allein 217 Millionen Mark. Die Finanz⸗ verhältnisse des Landes sind aber keineswegs so günstig. Die Land⸗ wirthschaft befindet sich noch immer in schwieriger Lage, die Domänen⸗ pachten sind wiederum zurückgegangen. Die Eisenwerke müssen sich Produktionsbeschränkungen auferlegen, sie sammeln. ungeheure Mengen von Reheisen an, das sie dem Roheisensyndikat ab⸗ nehmen müssen. Die Industriewerthe haben ihren früheren Kursstand noch lange nicht wieder erreicht. Wir haben also einen Widerspruch zwischen den glänzenden Ziffern des Etats und den wirthschaftlichen Verhältnissen des Landes. Die absteigende Tendenz kann sich in unserem Etat noch nicht äußern. Der Einkommensteuerveranlagung sind noch drei günstige Jahre zu Grunde gelegt, die , Summen werden daher eingehen, vielleicht auch noch mehr. Der— jenige Etat, bei dem es am zweifelhaftesten ist, ob, er noch er⸗ hebliche Steigerungen der Einnahmen bringen wird, ist der Eisenbahn⸗Etat. Augenscheinlich wird eine sinkende Konjunktur zuerst im Eisenbahnverkehr in die Erscheinung treten und piel— leicht dem Personen⸗ und Güterverkehr a , . werden. Nun entspricht, wie auch der Finanz⸗Minister hervorgehoben hat, die Ein⸗ nahmesteigerung um 77 Millionen bei den Eisenbahnen nur der Isteinnahme des laufenden Jahres; sie ist nicht darüber hinausgestiegen, wie man annehmen mußte. Da es möglich ist, daß den sieben fetten sieben magere Jahre folgen, so ist es von der größten Wichtigkeit, daß wir in den guten Jahren gewissermaßen Vorsorge getroffen haben für die kommenden schlechten. lar Haben in den beiden letzten Jahren eine Schuldentilgung von 180 Millionen Mark vorgenommen während im Reich eine viel geringere Summe getilgt worden ist. Wenn wir das Extraordinarium mit 217 Millionen um die Hälfte oder mehr kürzen können, dann müssen auch nach der mi , n. Finanz. Ministers sehr schlechte Jahre kommen. Mit den Ausführungen des Finanz⸗ Ministers bin ich in einem wesentlichen Punkte nicht einverstanden, nämlich bezüglich des Verhältnisses des Reichs zu den Bundesstaaten. Der Finanz-Minister geht von der Anschauung aus, daß es ein wünschenswerther Zustand sei, jwischen den Finanzen, des Reiches und denen der Einzelstaaten einen breiten Strich zu machen, die Einzelstaaten vor Matrikularbeiträgen, vor Anforderungen an ihre Kasse zu schützen und, wenn es sein müßte, auf die Ueher⸗ weisungen vom Reich, die an die Einzelstaaten fließen, zu verzichten. Ich kann nur sagen, diese Auffassung ist eine durchaus xartikula⸗ ristische, die eigentlich der Vergangenheit des Finanz⸗Ministers nicht entspricht, und die ich mir nur so erklären kann, daß er sich zunächst für berufen hält, für die preußischen Finanzen zu sorgen. Das Reich und die Einzelstaaten sollen die schlechten Jahre gemein am tragen. Allerdings sollte man die. Einzelstaaten möglichst en Aber wenn sie wissen, daß sie mit ihren . nie und nimmer zu den Lasten des Reiches herangezogen werden können, dann ällt für sie der Anreiz zur Sparsamkeit im Reiche fort. Die if der Einzelstaaten sind noch die einzigen, die auf eine solche Sparsamkeit hinwirken können. Und wenn man sie unabhingi om eiche stellt, so ef ich nicht, ob die Staatesekretäre des Veiches die nöthige Sparsamkeik walten lassen werden. Heute ist die Frage noch nicht brennend. Ich komme nun zu den einzelnen Etats, zunächst zum Kultus-⸗Etat. Bei demselben sind an einmaligen und uuf eig ü en Ausgaben über 17 illionen Mark mehr als im Vorjahre

bauten auf 13 Millionen Mark erhöht. Damit wird die Macht des KLultus⸗Ministers über das Elementar⸗Schulwesen aufs neue gestärkt. Die Uebermacht des Kultus- Ministeriums im Schulwesen ist in keinem Staate der Welt so groß wie in Preußen. Es ist die höchste Zeit, daß einmal eins Schuldotation geschaffen wird, damit die Ge⸗ meinden von dieser Bevormundung befreit werden. Beim Kultus⸗ Etat wird sich Gelegenheit finden, noch näher darauf zurückzukommen. Der Redner erwähnt sodann die Verhältnisse der . zen Hypo⸗ theken Attienbank und der Grundschuldbank. Durch diese, führt er aus, sind weite Kreise der Bevölkerung lebhaft beunruhigt worden. Dazu kommt die Rückwirkung auf das Hypotheken- und Kreditwesen. Daß das ö,, ,, einigermaßen gesichert sein soll, ist für die Inhaber der Pfandbriefe erfreulich. A immerhin bleibt es sonderbar, daß sich die ser Zujammenbruch so plötzlich hat vollziehen können Wo war bei dieser Bank die Staatsaufsicht, was hat der Stats kommissar geleistet? Wenn wir überhaupt eine Staatsaufficht haben, so muß sie auch wirksam sein. Was den Instiz-Etat betrifft, so find die vielen in Aussicht genommenen neuen Stellen erfreulich. Weniger erfreulich ist es, daß der vielbesprochene Sternberg - Prozeß große Schäden innerhalb der Kriminalpolizei aufgedeckt hat. Selbst die Be⸗ stechung eines höheren Polizeibeamten ift konstatiert worden. Und unter diesen Umständen ist es ja nur zu wünschen, daß bald eine gründliche Reform der Berliner Kriminalpolizei vorgenommen werde. Eine solche Reform ist bereits früher vom Minister versprochen, aber bis= heute die bessernde Hand noch nicht angelegt werden. Es kommt hierbei zunächst die Geldfrage in Betracht: sind die Kriminalbeamten so besoldet, wie es ihrer Stellung entspricht? Darüber werden wir uns noch zu unterhalten haben. Ist ferner die Rekrutierung des Personals eine richtige? Die Kriminalpolizisten werden der Armee entnommen; nun bin ich überzeugt, daß die Armee auch für die Polizei im Großen und Ganzen tüchtige und zuverläffige Kräfte liefert, aber es ist doch fraglich, ob die Beamten der Kriminalpolizei, die einer gewissen Selbständigkeit und eigener Initiative nicht entbehren können, zweckmäßiger Weise, der Armee entnemmen werden sollen. Man muß anderweitig Kräfte her⸗ anziehen, die selbständig, gebildet und geschult sind und diejenigen sonstigen Eigenschaften e hf die man erwarten darf. Was die Organisation der Kriminalpolizei anbetrifft, so hat man vorgeschlagen, die Kriminalpolizei direkt unter die Staatsanwälte zu stellen. Ich kann mich für diesen Vorschlag nicht erwärmen, da ich nicht glaube, daß die Staatsanwälte die nöthige Aufficht über die Kriminalpolizei ausüben können. Eine Scheidung zwschen der Kriminalpolizei, der Ordnungs⸗ und Verkehrspolizei ist nicht durchführbar. Jeder Schutzmann in der Friedrichstraße oder im Thiergarten ist genöthigt, eventuell Verhaftungen vorzunehmen und nicht zu dulden, daß strafbare Handlungen unter seinen Augen vor sich gehen. Zum Schluß ein Wort über die Kanalfrage, die der Minister-Präsident bei der Er⸗ öffnung dieses Hauses erwähnt hat. Ich bedauere aufrichtig, ö uns in diesem Jahre die Kanalvorlage wieder zugegangen ist. Diese Vorlage ist nun einmal der Zankapfel innerhalb der Parteien dieses Hauses, und bei den Berathungen über den künftigen Zolltarif bei Ablauf der Handelsverträge scheint es mir räthlich, alles dasjenige fernzuhalten, was den Streit steigern könnte. Der Minister⸗ Präsident hat ausdrücklich diese Vorlage eine, wirthschaftliche genannt, mit vollem Recht. Mit Freuden habe ich's begrüßt, daß diesmal mit der Einbringung keine Drohungen verbunden waren. Wir werden die Vorlage mit der nöthigen Objektivität und ohne Verquickung mit anderen Sachen berathen, und ich bin der festen Ueberzeugung, daß, was auch das Schicksal der Vorlage sein möge, eine Auflösung des Landtages nicht die Konsequenz unseres Votums sein wird. Eine solche Auflösung des Landtages wegen Ablehnnng der Kanalvorlage würde nach meiner Auffassung ein Unglück für das Land sein. . 2 ö

Abg. Graf zu Lim burg⸗Stirum (kons.): Mit. dem Vor⸗ redner stimme ich hinsichtlich, der Beziehungen des Reiches zu den Einzelstaaten nicht überein. Seine Auffassung, die Einzelstaaten müßten mehr herangezogen werden, wenn das Reich mehr brauche, entspricht nicht der Auffassung seiner Partei aus den 70er Jahren. Damals war seine Partei darauf bedacht, die finanzielle und politische Selbst⸗ ständigkeit der Einzelstaaten sorgfältig zu wahren, und die finanzielle Selbständigkeit ist die Grundlage der politischen Selbständig⸗ keit. Für die kleinen Staaten ist es einfach vernichtend, wenn sie mit unsicheren Beziehungen zum Reiche zu rechnen haben und in einem Jahre viel höhere Matrikularbeiträge zu zahlen haben als im vorhergegangenen. Es ist auch irrig, daß die Einzelstagten, wenn sie höhere Matrikularbeiträge zu zahlen haben, auf die Sparsamkeit der Finanzverwaltung des Reichs einwirken würden. Die Parlamente sind absolut unfähig, auf Sparsamkeit hinzuwirken. Wenn dagegen das Reich nicht mehr Matrikularbeiträge fordern kann, so ist das ein starkes Kompelle, keine Anleihen mehr zu machen, um ein Defizit zu decken, denn dann würde das Reich selbst ein Defizit haben, was jetzt unmöglich ist. Eine wesentliche Differenz zwischen mir und Herrn Fritzen besteht aber nicht, denn die Unsicherheit der Finanzen im Reich ist die 2, Ursache für die Unsicherheit unserer Finanzen. Wir haben augenblicklich steigende Finanzen, aber keine Sicherheit für die Zukunft und müssen daher darauf bedacht sein, daß leine dauernden Ausgaben auf schwankende Einnahmen basiert werden. Die Rede des Finanz-Minifters kann eigentlich die Begehrlichkeit nicht eindämmen, wenn er im Anfang sagt: „Seid sparsam', aber hinterher; „Wir können ohne Sorge der Zukunft entgegengehen“. Ueber die Lage der Domänen und der Landwirthschaft muß ich alle Jahre dasselbe sagen, aber diese Grundlage unserer politischen Nonstellation zu besprechen, kann man nicht umhin; Die Domänenverpachtungen ergeben wieder ein unerfreuliches Resultat. Die erzielten Pachtgelder sind um 25 GC zurückgegangen. Viele Menschen würden gern ihre Existenz in der Landwirthschaft suchen, aber sie müssen sich doch sagen, daß es der Landwirthschaft sehr schlecht geht. Es 1 eine ernste Sache, wenn ein sozial und wirthschaftlich so wichtiger Stand darnieder liegt. Die Noth der Landwirthschaft ist eine der fundamentalsten politischen Fragen, die untz beschäftigen, und wenn es nicht gelingt, die Landzwirth= schaft ebenso wie die Industrie und den Dandel zur BYlüthe zu bringen, so ist das ein Schaden für das ganze Land. Der Ertrag der Domänenvorwerke hat sich um 265 00 MM vermindert. Darin kommt die Nothlage der Landwirthschaft zum Ausdruck. Ich hoffe, daß beim Abschluß der neuen Handelsverträge guf diese Nothlage ge⸗ bührend Rücksicht genommen wird. Die kolossalen Ueberschüsse der Eisenbahnverwaltung sind zwar sehr schön, aber sie sind unsicher und schwankend. Es kann leicht ein Umschwung eintreten, wenn die Blüthe von Handel und Industrie nachläßt. Im übrigen ist es ja nur er⸗ freulich, daß die Eisenbahnen einen stetigen Aufschwung nehmen und owohl die Kilometerzahl, wie die Zahl der dabei beschäftigten Arbeiter stetig wächst. Zu wünschen bleibt dabei, daß die etatsmäßige Ein. stellung von Beamten mit dieser Entwickelung gleichen Schritt hält Die neuerlichen Änsführungen des Winister Hrfidenten baben ung nach verschiedenen Nichtungen hin befriedigt. Mit besonderer Befriedi- gung hat uns erfüllt, daß der Minister Fafwn die Bedeutung der Landwirthschaft und ihre Nothlage anerkannt hat. Das haben wir in. den letzten Jahren vom Minister-⸗Präsidenten nicht mehr gehört, und daß der Minister-Präsident die Landwirtbschaft als einen bedeutenden Faktor im Wirthschaftsleben anerkennt, der für das Staatswohl von der größten, Bedeutung sei, erfüllt uns mit Genug⸗ thuung, und wir hoffen, daß die weiteren Maßnahmen der Regierung dem entsprechen werden. Wir sind ganz damit einverstanden, daß Landwirthschaft und Industrie gleich behandelt werden. Ye her ist das nicht der. al gewesen. Wenn im Lande und in den deutschen Parlamenten die Meinung vor- handen ist, daß der Kampf gegen die Sozialdemokratie auf. einem anderen Wege geführt werden, könne, daß diese Partei sich in eine oppositionelle bürgerliche Purtei auflösen werde, se kann ich Riese Auf fassung nicht . . Ic, erwarte von der Regierung, daß sie den ö Augenblick nicht verpaßt, diesen Kampf mit aller Entschiedenheit

angesetzt. Von diesen Jahresausgaben entfällt der Haupttheil auf ang ksrmen t n e sfen ier wird der Titel zur Unter—

stützung für Schulverbände wegen Unvermögens zu Elementar-Schul=

aufzunehmen. Wag die Kanalvonllage , so bedauere au ich deren Kinbringung. Da. sie aber nun einmal gekommen ist, muß ich meine Befriedigung aussprechen über