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Gesundheltsamt der Seuchenfrage eine besondere Aufmerksamkeit widmen soll. Das Kaiserliche Gesundheitsamt hat aber keine Grekutiv⸗ befugnisse. Einen Streit in dieser Frage zwischen den einzelnen Bundesstagten herbeizuführen, die am Rhein liegen, ist eine heikle
; erinnere nur an den Streitfall zwischen Hessen und Baden. Diese Sache sollte partikularistischen Händen entzogen werden; sie gehört nach der Verfassung zur Kompetenz des Bundesraths. Die Erklarung des Staatssekretärs hat uns sehr enttäuscht.
Abg. Singer (Soz) führt aus, die Beschäftigung der Frauen in den Konsumvereinen könne doch nicht mit der gefundheitsschäͤdlichen Beschäftigung der Frauen in den Gruben und Hüttenwerken verglichen werden. dem Abg. Stoecker solle Religion als Privatsache un⸗ möglich sein; er (Redner) weise ihn nur auf Amerika hin, wo es that⸗ sächlich so sei, und der Staat sich in keiner Weise einmische. Nach einer längeren Polemik gegen die Ausführungen des Abg. Stoecker in der vorhergehenden . wendet sich Redner gegen den Abg Dr. Oertel, dem gegenüber er erklärt die soialdemokratische Partei sei für die Gründung und Handlungen der Konsumpereine nicht verantwortlich, wohl aber habe die sozialdemokratische Presse wiederholt sich für bessere Be⸗ zahlung der Angestellten der Konsumvereine ausgesprochen. Als am Sonnabend der Abg. von Siemens von den Getreidezöllen gesprochen, habe er vor seinen neuen Standesgenossen auf der Rechten eine Ver⸗ beugung gemacht, indem er sagte, die Rechte stelle die meiften Ver— waltungsbeamten und Offiziere. Im übrigen sei jedoch die Haltung des liberalen Bürgerthums gegenüber der Getreidezollfrage eine recht schwächliche, dadurch erweise es den Agrariern einen Dienst. Bereits habe. der Reichskanzler vor den Agrariern im preußischen Abgeordnetenhause kapituliert, und bereits terieben die Konsewativen in Bezug auf die Ranalvorlage Obstruktion. Aber traurig sei es, daß im preußischen Abgeordnetenhause, dieser Karikatur einer Volksvertretung Vize⸗Präsidenk Dr. von Frege xuft den Redner wegen dieses Ausdrucks zur Ordnung), daß in' dieser Klassenvertretung über die Getreidezollfrage entscheidende Erklä⸗ rungen abgegeben werden. Auf der einen Seite nehme das Reichs— amt des Innern Geld vom Zentralverband deutscher Indu— strieller, und auf der anderen Seite sollten dem deutschen Volke zu Gunsten einer verschwindenden Zahl von Großgrund— besitzern Hunderte von Millionen abgenommen werden. Zentrum und Nationalliberale sehe man in der Gefolgschaft des Bundes der Landwirthe. Würde wegen der Getreidezollfrage an das Volk appelliert und der Reichskag aufgelöst, so würden bei der Neuwahl die Brotwucherer dezimiert werden, trotz aller ministeriellen Unter— stützung. Das Volk müsse aufgerüttelt werden. Es müßte eine elementare Bewegung hervorgerufen werden unter der Devise, daß mit dem Volk ein schändlicher Brotwucher getrieben werde.
Abg. Dr. Arendt (Rp.): Wie kommt Herr Singer zu solchen Angriffen, da doch eine tog Mehrheit dieses Hauses auf dem Boden höherer Getreidezölle steht? Herr Singer sollte doch der Volkssouveränetãt soviel Achtung zollen. TR ndelsverträge A la Caprivi sind heute unmöglich; dazu hat das Volk seit 1892 zu viel Erfahrung. Von Obstruktion bei der Kanalvorlage im Abgeordneten⸗ bause ist mir nichts bekannt; ich kenne nur die Sbftruktion, welche hier im Reichstage bei der les Heinze unter Führung des Herrn Singer getrieben worden ist. Herr Singer spricht wieder von Subsidien, welche das Reichsamt des Innern bezogen hat, und hat damit wieder einmal eine jener unverantwort“ lichen Uebertreibungen geleistet, mit denen die Herren unbekümmert um die Feststellung der Wahrheit das öffentliche Leben vergiften. Den Inhalt des sogenannten Scheiterhaufenbriefes“ mißbilligen wir entschieden; aber zwischen diesem Brief des Abg. Stoe ker und dem angeblichen Brief des Bischofs Tucker, welch letzterer Brief sich überhaupt nicht bewahrheitet hat, ist doch ein himmel weiter Unterschied. Dr. Peters ist durch diese Geschichte mit dem Tucker— Brief ins englische Lager getrieben worden; diese betrübende That— sache steht allerdings aktenmäßig fest. Herr Singer spricht von Orgien der Niedertracht und meint damit die Arbeitswilligen Vorlage. (Redner sucht längere Zeit vergeblich in seinen Akten. Pause.) Ich komme in anderem Zusammenhang darauf noch zurück. Daß das Ausland den Zoll trägt, wird von uns nicht behauptet, aber Ausland und Inland tragen gemeinsam den Zoll. Russen und Oesterreicher machen uns doch den Vorwurf, daß wir durch höhere Getreidezölle die Handels⸗ verträge unmöglich machen. Wenn es sich nur um ein paar Taufend Großgrundbesitzer handelte, würde doch nicht das deutsche Volk eine so ansehnliche 3 von Abgeordneten mit der Forderung der Erhöhung des Schutzzolls auf Getreide hierher schicken. Mit dem Koalitionsrecht hatte der 58 des Gesetzes, der Zuchthaus androhte, garnichts zu thun. Nicht die Gegner, sondern die Freunde des Kanals auf der Rechten wünschen die eren n er ne vor der Entscheidung über den Kanal erledigt, da sie sich davon eine Verbesserung der Aussichten für den Kanal 2 * Herr Singer ereifert sich über den preußischen Land⸗ tag; über die Berliner Stadtverordneten Versammlung, die fich ebenfalls . des Dreiklassenwahlsystems mit der Getreidezollfrage beschãftigt, ver⸗ liert er kein Wort. Herr Singer spricht von Religion als Geschäfts— w. ich möchte doch dringend bitten, in einem solchen Tone von Dingen nicht zu reden, die Anderen höher stehen und heilig find. Derr Saunders wird wenn er wirklich die mitgetheilte Absicht haben sollte, bei den englischen Arbeitern keinen Anklang finden. Das Volk bat doch noch recht viele Rechte, wie schon die Zahl der Sozial— demokraten im Reichstag beweist; ob im Jukunftsstaat so viele Rechte vorhanden sein werden, bezweifle ich. Den Vorwärts- - Artikel vom 18. Januar hat Herr Singer selbst als einseitigen hinftellen müssen. Wie man durch den Reichstag die Republik in Deutschland einführen will, ist mir dunkel; es . e. doch auch der Bundesrath dazu. Steinhauer bebauptet schlankweg, daß der Bauer im Besitz bis zu 20 Morgen keinen Vortheil von höheren Getreidezõllen hat. Wäre das der Fall, so würde die Zabl der Anhänger des Bundes der Landwirthe unter den kleinen Bauern nicht so groß und die Zabkl der Mitglieder des Nordost‘ nicht so klein sein. Herrn Fischbeck wird Fürst Bigmarck wobl selbst noch ausführlich antworten; ich möchte nur feststellen, daß die Partei des Herrn Fischbeck bisber als Manchesteryartei sich jeder Sozialpolitik widersetzt hat. Nur wenn wir die Landwirthschaft und die Industrie existenzfaäbig erhalten, können wir auch Weltpelitik treiben, und daher ist der Schutz der nationalen Arbeit fur Land⸗ wirthschaft und Industrie nach meiner Ansicht eine unbedingte Roth⸗ wendigkeit. Die Rede des Herrn von Siemens hat sich wieder einmal auf das alte, durch die Thatsachen längst widerlegte Malthusianische Geseßg gestüßt. Auch die Vermehrung der Getreideproduftion ift nur ,. e des Kapitals und der Rentabilität; an sich ist in Deutsch— land noch eine ganz erhebliche Vermehrung der Getreideanbauflache möglich. Wer den Zoll zablt, ist überwiegend eine Frage der Kon— junktur. Der Pakt von 1878 jwischen Landwirthschaft und Groß⸗ industrie bat es ganz besonders Herrn von Siemens angethan: damals hieß es: Hohe Getreidezölle gegen hobe Industriezölle! That- sächlich war damals ein Zoll von 50 4 vorgeschlagen, der nur auf 1* erhöht wurde. Seitdem hat die Industrle sich zu großer Blüthe entwickelt, und schuld daran ist auch nach Herrn von Siemens die Landwirtbschaft. Die Verantwortung dafüt wird die letztere gewiß ern tragen. Herr von Siemens spricht von einer Erhöhung des rbeiterbudgets um 30 M durch den höheren Getreidezoll, sodaß der tägliche Lohn um 10 3 für jeden Arbeiter er böbht werden müßte. Würden alle i. aufgehoben, dann würde die Landwirthschaft unrentabel, die Arbeiter drangen in die Städte und drücken dort die Löhne auf einen nie dagewesenen Tiefland, und das Ende wäre eine Katastrophe. Damit wäre doch gewiß auch nach Herrn ven Siemens der Bevölkerung nicht geholfen. Die For— derung der Getreidezollerhöhung wird nicht allein von den 25 00 Groß 8* den ostelbischen Junkern vertreten. In meinem hlkreise spielt der Großgrundbesitz gar keine Rolle, fondern der fleine Bauer berrscht dort vor, und der sagt, wenn nicht bald Hilfe kommt, so kommt sie zu spãt. Würde selbst der ganze Zoll vom In- lande getragen, so siele er nicht ausschlienlich auf die Lirbeiterschft die landwirtbschaftlichen Arbeiter batten ja überhaupt feinen Theil daran. Redner richtet dann noch an den Staatssekretär einige Fragen, welche auf die Geschãftsfuübrung der Reichsbank Bezug baben.
Staatssekretãär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:
Meine Herren! Daß der Etat des Reichsamts des Innern ein sehr großet ist, das weiß ich schon lange, daß er aber so umfangreich ist, habe ich erst durch die Verhandlungen der letzten 10 Tage erfahren. Heiterkeit.)
Es ist hier auf eine Erklärung Bezug genommen, die der Herr Reichskanzler Graf von Bülow im Hause der Abgeordneten abgegeben hat. Ich möchte gegenüber den Angriffen, die aus diesem Anlasse gegen den Herrn Reichskanzler gerichtet worden sind, darauf hinweisen, daß der Herr Reichskanzler gleichzeitig auch preußischer Minister⸗ Präsident ist (sehr wahr! rechts), und daß er demgemäß seine Erklärung im Abgeordnetenhause abgegeben hat als preußischer Minister— Präsident, indem er bei der Debatte klarlegte, auf welchem Stand⸗ punkt er und die preußische Regierung steht. Im übrigen hat der Herr Reichskanzler nur aufs neue in seiner Eigenschaft als preußischer Minister⸗Präsident bestätigt, was bereits seitens eines Staatssekretärs des Reichs, des Herrn Freiherrn von Thielmann, in der Budget— kommission als Ansicht der verbündeten Regierungen erklärt worden war. (Sehr richtig! rechts) Ich kann also nicht zugestehen, daß durch die Erklärung des Herrn Grafen von Bülow, die er im preußischen Abgeordnetenhause abgegeben hat, irgendwie die verfassungs⸗ mäßige Schwerkraft verlegt sei. (Sehr richtig!
Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich nunmehr auf eine Reihe von Einzelheiten eingehe, die mit dieser Zolldebatte nichts zu thun haben. Der Herr Abg. von Heyl ist wiederum auf die Frage des Zustandes der deutschen Ströme zurückgekommen. Ich habe dem ver— ehrten Herrn Abgeordneten erklärt, daß ich sachlich über die That— sachen mit ihm vollkommen einverstanden bin; ich kann ihm aber nicht zugestehen, daß eine Differenz vorliegt zwischen dem, was ich erklärt habe bei Gelegenheit der Berathung des Gesetzes zur Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, und dem, was ich erklärt habe in den letzten Sitzungen des hohen Hauses. Ich glaube, der Herr Abg. Freiherr von Heyl würdigt doch nicht ganz die Bedeutung der Einrichtung, die wir zu treffen im Begriff sind. Nicht das Kaiser⸗ liche Gesundheitsamt soll in dieser Frage in Thätigkeit treten, sondern eine besondere Abtheilung des neugebildeten Reichs-Gesund— heitsraths, die aus hervorragenden Sachverständigen aller der Branchen zusammengesetzt sein wird, die bei Beurtheilung des Zu— standes der Flußläufe überhaupt in Frage kommen können.
Ich glaube auch nicht, daß, wie der Herr Abg. Freiherr von Veyl annimmt, man die Zuständigkeit des Reichs im vorliegenden Falle auf Art. 4 Nr. 9 der Reichsverfassung begründen kann; denn Art. 4 Nr. 9 der Reichsverfassung überweist dem Reich nur die Beaufsichtigung und Gesetzgebung über die Flößerei und den Schiffahrtsbetrieb auf den mehreren Staaten gemein⸗ samen Wasserstraßen und über den Zustand der letzteren. Mit anderen Worten ist hier meines Erachtens dem Reich nur die Aufsicht über den Zustand der Flüsse überwiesen, insoweit er für die Flößerei und den Schiffahrtsbetrieb in Frage kommt, aber eine hrgienische Aufsicht in der Richtung, wie der Herr Abg. Freiherr von Heyl sie annimmt, ist durch diesse Bestimmung der Reichs verfassung dem Reiche nicht eingeräumt, vielmehr kann sich die Zuständigkeit des Reichs in Bezug auf den Zustand der Flüsse in hygienischer Beziehung nur auf, Art. 4 Nr. 15 stützen. Nun liegt bereits, wie ich schon in einer der vorigen Sitzungen erklärt habe, dem Bundesrath ein Antrag vor, der die Kompetenz jener Abtheilung des Reichs-Gesundheitsraths regeln will, und ich glaube, wenn der Serr Abg. Freiherr von Heyl diesen Antrag, den ich, da der Bundesrath sich darüber noch nicht schlüssig gemacht hat, hier noch nicht mittheilen kann, kennen würde, so würde ein erheblicher Theil seiner Bedenken beseitigt sein. Aber das kann ich heute schon sagen: ich kann mich nicht der Hoffnung hingeben, daß die verbündeten Regierungen irgend einer gesetzlichen Regelung oder einer Verwaltungsmaßregel ihre Zustimmung ertheilen werden, wo⸗ durch eine Reichsinstanz geschaffen würde, die in der Lage wäre, exekutiv einzugreifen in die Kompetenz der Einzelstaaten soweit es sich um Beaufsichtigung der Flußstrecken handelt, die inner⸗ halb der einzelnen Bundesstaaten liegen. Ich meine aber, daß aus diesem Ausschuß des Gesundheitsraths sich sehr wohl eine Institution entwickeln kann, die ein solches Schwergewicht hat, daß durch ihre Einwirkung die Mißstände, die der Herr Abg. Freiherr von Heyl meines Erachtens durchaus zutreffend gekennzeichnet hat, in Zukunft vermieden werden werden.
Man ist gestern auch wiederum zurückgekommen auf einen Gesetz⸗ entwurf, der denjenigen eine Unfallrente zusichern soll, die beim Retten und Bergen verunglũcken. Der Herr Abgeordnete der sozialdemokratischen Partei war der Ansicht, daß ein solcher Gesetzentwurf nicht nöthig sei, denn das See⸗Unfallgesetz und die Strandungsordnung böten voll⸗ kommen die Gelegenheit, denjenigen, die bei solchen Rettungs⸗ versuchen verunglücken, eine entsprechende Rente zu gewähren. Es ist das eine Frage der Interpretation. Ich glaube nicht, daß die bestehenden Gesetze schon alle die Personen, die beim Bergen in Frage kommen können, umfassen. Aber der Antrag, der hier befürwortet wurde, beyog sich ja nicht nur auf das Bergen bei Schiff ẽunglüũcken, sondern vor allen Dingen auf das Retten bei Brandfällen, und da geben meines Erachtens die bestehenden Unfallgesetze keine Handhabe, solchen Personen, soweit sie nicht schon an sich versicherungepflichtig sind, eine Rente zuzusichern. Ich gestehe also ohne weiteres zu, es ist bier noch eine gesetzliche Lücke, die wohl verdient, mit der Zeit ausgefüllt zu werden.
Es ist weiter die Frage angeregt, ob die Berufsgenossenschaften berechtigt sind, privaten wirthschaftlichen Vereinigungen beizutreten, und ebenso ist gerügt worden, daß die Vorsitzenden von Berufe⸗ genossenschaften bohe Gehälter beziehen, die mit ihren Leistungen in gar keinem Verhältniß steben. Bezüglich des letzteren Punktes ist jetzt das Reichs⸗Versicherungsamt befugt, einzuschreiten und eventuell Einspruch zu erheben gegen die Festsetzung zu hoher Gehälter. Ich glaube, sowobl in dem ersten von mir berührten Punkt wie in dem zweiten wird das Reichs⸗Versicherungs amt entscheiden, erstens ob auf Grund der bestebenden Gesetze die Berufsgenossenschaften be⸗ fugt sind, wirthschaftlichen Vereinigungen beizutreten, und zweitens wird es eine Revision eintreten lassen da, wo in der That die Vor— sitzenden von Berufsgenossenschaften Gehälter bezieben, die mit ihren Dienstleistungen in keinem verstãndigen Verhältniß stehen.
Es ist gestern viel volemisiert worden über den berühmten § 616 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Aber der Herr Redner der sozial⸗ demokratischen Partei hat selbst anerkennen müssen — er ist ja
Jurist — daß es zweifelhaft sei, ob man den F 616 des Büraerhz Gesetzbuchs durch Vertrag ausschließen könne oder nicht. Ich bin et überzeugt, daß im Laufe der Zeit hierüber ein Erkenntniß des Gerichtshofs ergehen wird. So lange aber die Frage zwelfelhaft ist s lange nicht eine endgültige Interpretation durch den höchsten Germ
hof stattgefunden hat, wird man kaum jemandem nachfagen können,
daß er gegen bonos mores verstößt, wenn er diesen 8 616 derttag⸗ mäßig ausschließt. Wie die Frage nach ihrer sozialpolitischen Seite hin liegt, will ich hier nicht erörtern; denn dazu ist — das mõchte ich gegenüber dem an mich gerichteten Appell erwähnen — der Staatg sekretär des Innern nicht stark genug, um auf Privatarbeitgeber einen allgemein erziehlichen Einfluß auszuüben.
Es ist weiter an mich appelliert, ich sollte die Rechte der Gewerbe Inspektoren, die nach Auffassung des Herrn Vorredners in einem Fa verletzt sind, vertreten. Ich muß dem gegenüber einwenden, daß h Gewerbe⸗Inspektoren nicht Reichsbeamte, sondern Landesbeamte sind und ich garnicht in der Lage bin, den Gewerbe⸗Inspektoren irgend. welche direkte Anweisungen zu geben. Werden die Rechte der Gewerbe Inspektoren verletzt, so ist es Sache der betreffenden dandesbehõrde für ihre eigenen Beamten einzutreten. Ich bin fest überzeugt, daß werden die Landesregierungen in geeigneten Fällen thun. Es ist auch hier auf das Schreiben Bezug genommen, daß sich auf eine Unterhaltung mit dem Herrn Minister Brefeld bezieht. Herr Minister Brefeld hat mir erklärt, daß eine solche Unterredung unzweifelhaft stattgefunden hat, daß er sich aber selbstverständlich nach vier Jahren nicht mehr entsinnen könne, ob das, was er damals gesagt, vollkommen richtig in seinem Sinne wiedergegeben sei oder nicht, daß er im übrigen diese Erklärung als preußischer Staats⸗Minister abgegeben habe und, wenn er im preußischen Abgeordnetenhause darauf an⸗ gesprochen würde, er seinerseits dort auch die nöthigen Erklärungen zur Sache abgeben würde.
Es ist auch den verbündeten Regierungen daraus ein Vorwurf gemacht worden, daß die Gewerbeordnung in Bezug auf die Haus⸗ industrie noch nicht in Kraft gesetzt sei. Wir haben, meine Herren, Erhebungen in der Zigarrenindustrie angestellt. In der Spiel waarenindustrie weitere Erhebungen anzustellen, ist nicht nõthig. Die traurigen Zustände, die in der Spielwaarenindustrie bestehen, sind unz vollkommen bekannt.
Die Hausindustrie, betreffend die Herstellung von Zũndholj⸗ waaren, ist jetzt bereits durch das Gesetz verboten. Und trotzdem haben wir hier gehört, wie unendlich schwer es ist, wirksam zu ver— hindern, daß diese gefährliche Industrie heimlich fortgeführt wird. Es ist das ein Beweis, wie schwer es ist, überhaupt wirksam in den Bereich des Hauses einzugreifen.
Auf die übrigen Beschwerden, die gegen die meiningensche Re⸗ gierung erhoben sind, kann ich nicht eingehen. Das sind Details, die meines Erachtens im meiningenschen Landtage zur Sprache gebracht werden müssen. Aber ich erkenne ohne weiteres an, daß schwere Miß⸗ stände in der Hausindustrie bestehen. Es ist indeß leicht zu fordern, diese Mißstände sofort zu beseitigen; man steht dann aber auch sofort vor der Nothwendigkeit, die Hausindustrie überhaupt zu verbieten. Die mißlichen Wohnungsverhältnisse, die Herstellung von ungesunden Waaren in denselben Räumen, wo gekocht wird, wo die Leute wohne und schlafen, stehen eben einer thatsächlichen Abhilfe hindern im Wege. Es heißt das nichts anderes, als den Leuten ein fach den Gewerbebetrieb verbieten. Man kann also in diesen Dingen nur sehr schrittweise vorgehen. Das Gesetz, das Ihnen seiner Zeit vorgelegt werden wird, das Gesetz, betreffend die gewerbliche Kinder— arbeit, wird auch in die Familie eingreifen müssen und wird auch auf dem Gebiet der Hausindustrie einzelne Mißstände zu beseitigen suchen. Ich bitte also dringend, daß die Herren sich gedulden, bi⸗ jenes Gesetz vorgelegt wird.
Was die Wünsche des Herrn Dr. Arendt anbetrifft bezũglich der früheren Erstattung des Berichts der Reichsbank und der früheren ein⸗ jährigen Publikation unseres Goldbestandes, so werde ich mich dieser⸗ halb mit dem Herrn Reichsbank⸗Präsidenten in Verbindung setzen.
Meine Herren, ich komme noch auf einen letzten Punkt zurück, der mir am Herzen liegt. Einer der Herren Vorredner hat wieder be— hauptet, daß die Einführung der sozialpolitischen Gesetzgebung lãngst vor der Kaiserlichen Botschaft angeregt wäre und garnicht so sehr das Verdienst der verbündeten Regierungen und der monarchischen Spitze im Deutschen Reiche gewesen sei. Ich gestatte mir, demgegenüber auf einen Artikel des Vorwärts“ vom 3. August 1898 Bezug zu nehmen, der meines Erachtens in durchaus sachlicher Weise die Verdienste an⸗ erkennt, die in der Allerhöchsten Botschaft Kaiser Wilhelm's J. und in der Thätigkeit seines großen Staatsmanns ihren Ursprung haben. Es heißt dort wörtlich:
Was nun die Erfolge der positiven Förderung des Wobls der Arbeiter, die Zwangsvbersicherung, anbelangt, so wird man beute anerkennen müssen, daß sie immerhin größer sind, als man anfangs seitens der Gegner glaubte... . Auf diesem Gebiete steht beute Deutschland an der Spitze aller Staaten
(hört! hört! rechts); selbst aus dem letzten Bericht der englischen Kommission, welche zur Prüfung der Altersversorgungspläne eingesetzt war, klingt etwas wie Neid gegen die deutsche Institution heraus.... Es ist jedoch andererseits ein Beweis, daß in dem Geiste Bismarck z viel Zeit gemäßes und Richtiges steckte.
Es heißt weiter:
Das persönliche Verdienst des Fürsten Bismarck war die un⸗ bestreitbare Energie, mit der er den einmal gefaßten Entschlus gegen alle Widerstände, selbst aus konsewativen Kreisen, durch= führte; ohne den überragenden Einfluß des Fürsten wären die Vor⸗ lagen, die so oft ins Stocken geriethen, vielleicht ganz zum Scheitera⸗ gekommen.
(Sehr richtig! rechts) Und schließlich heißt es dort noch
Ebenso unbestreitbar ist jedoch, daß auch das entwickellste freie Kassenwesen — das in England — die arbeitsunfähigen Arbeiter in Tausenden von Fällen unentschädigt läßt, in denen sie bei uns in Deutschland, wenn auch mit minimalen Beträgen, der Unterstützung gewiß sind.
Meine Herren, das ist also eine Erklärung aus einem Artikel des Vorwärts“ vom 3. August 1895 (hört! hört! rechte), und ich glaube. hierin liegt ein, wenn auch nur bedingtes, Anerkenntniß dessen, wal gerade die monarchischen Regierungen auf diesem Gebiete geleistet haben (sehr richtig! rechts), und daß sie auf diesem Gebiete etwas geleistet haben, was Staaten mit republikanischer Verfassung bleber nicht zu stande gebracht haben. (Seht richtig! recht)
Der Herr Abg. Singer ist endlich wieder auf sein Bekenntniß mai cbhekommen, daß die Sozialdemokratie republikanisch sei und die untbrung der Republit durch eine Aenderung der Verfa fung herbei— fihten wolle Meine Herren, wenn Sie (zu den Sozialdemokraten) eine chelterpartei sein und dadurch das Loos der Arbeiter verbessern wollen, so wiederhole ich, halte ich diese Verquickung von wirthschaftlichen Bestre⸗ nungen zu Gunsten der Arbeiter mit einem derartigen politischen Ziele für einen kaktischen Fehler. Aber, meine Herren, wir können darüber beruhigt sein? Seit Jahrtausenden ist der schönste Zug des deutschen Volkecharakters die Treue, und solange das deutsche Volk nicht seinen nzen Charakter ändern sollte, werden die deutschen Monarchien fest⸗ schen auf einem rochéer de bronce, und Sie werden Ihre Ziele nicht erreichen. Es werden Velleitäten bleiben, aber nie geschichtliche Thatsachen werden. (Lebhaftes Bravo! rechts.)
Abg. Gamp (Rp.): Der Staatssekretär Freiherr von Thiel— mann hat im, horigen November besonders betont, daß in Deutschland im Herbst 1900 der Goldstand sehr steif war, sodaß man Jie 80 Millionen nicht ohne Furcht vor Diskonterhshung in Deutsch⸗ land placieren zu können glaubte; trotzdem hat sich die Börfe und die Haute finangs zu demselben k mit einer solchen Wenge fremder Anleihen an den Markt, gewandt. Ich werde nicht ermangeln, immer und immer wieder auf dieses un⸗ patriotische Verhalten der Börse hinzuweisen. rr von Siemens wirft den Landschaften Treubruch vor, well sie konvertiert haben. Die Landschaften haben den Zinsfuß nicht gemacht. Wohl aber waren e if andere Konvertierungen ein Treubruch, denn das Publikum hatte seiner Zeit die betreffenden Papiere nur genommen, veil es die Konvertierung für aus eschlossen hielt. Ih komme nun noch mit einigen Worten zu den Agrarzöllen. Herrn Singer bestreite ich das Recht, im Namen der Arbeiter zu sprechen. Die ganze Be⸗ poltern des platten Landes und die Tausende von Fahriken, die von der Landwirthschaft unterhalten werden, haben ein en. Inter⸗ esse an dem n , der Landwirthschaft. Die große Mehr⸗ heit. der deutschen Bevölkerung ist an den Ergehen der Landwirkh— chast und also an höheren Getreidezöllen etheiligt, damit die Arbeiter angemessen gelöhnt werden können. Die Herren von links verweisen den kleinen Landwirth auf die Viehproduktion. Ich bedaure da seht, Herrn von Siemens in der Gesellschaft der Herren Stein⸗ bauer und Singer zu sehen. (Präsident: Das ist keine angemessene Bemerkung, wenn Sie sagen, Sie bedauern einen Abgeordneten in der ellschaft zweier anderen zu sehen Ein Blick in die Praxis, ein Blick auf die Marktberichte von den Viehhöfen lehrt ja das Ungereimte des Vorschlags, daß die kleinen Land— wirthe alle zur Schweine⸗ oder Rindviehzucht übergehen sollen. Auch hat Herr von Siemens von den . Zahlen nur diejenigen gefunden, die ihm passen. Das Rindvieh des Großgrundbesitzers ist bis 4 mal so werthvoll wie das Kleinvieh des kleinen Land— wirthes. Der kleine Grundbesitz ist garnicht in der Lage, die Rind— viehzucht zu pflegen, er ist angewiesen auf Kälber und Schweine, und damit ist er ganz hervorragend an der Höhe der Getreidezölle interessiert. Der Herr Steinhauer hat über mein Verhältniß zu meinen Arbeitern ein, günstiges Urtheil gefällt; ich wünsche nur, mich s. 3. revanchieren zu können. In den Verein „Nordost bin i 2 meiner Meldung nicht aufgenommen; denn ich müßte in allen Punkten mit dem Verein einverstanden sein, schrieb mir Herr Steinhauer, nicht allein mit der Tendenz der Hebung des kleinen Grundbesitzes. (Zuruf links) Der Bund der Landwirthe würde auch Sie, Herr en e, aufnehmen. Liegen die Verhältnisse im Nordost“ so, dann kann man sich über die Einstimmigkeit feiner Beschlüffe nicht wundern. Ob bei allen Mitgliedern des „Nordost' so intenfive Krankenfürsorge stattfindet, wie bei mir, weiß ich auch nicht. Jeden— falls wäre es sehr angezeigt, wenn wir einmal in den Kreisen des Nordost= diese Frage diskutierten; ich würde gern hinkommen und referieren und bin überzeugt, die Herren würden sich auf meine Seite stellen. Herr von Siemens sagt, die Landwirthschaft sei zurück— gegangen. Sein Fraktionsgenosse Barth hat wenigstens immer an⸗ eikannt, daß die deutsche Landwirthschaft auf der Höhe der Zeit steht. Dert von Siemens hat mir Unkenntniß in Banksachen vorgeworfen.
Ich will ihm den Vorwurf nicht zurückgeben, aber seine Aus⸗ sühmngen über landwirthschaftliche Dinge befähigen ihn nach meiner Meinung auch nicht, ein Fideikommiß mit Erfolg zu bewirthschaften. Der Bauernstand muß erhalten bleiben, er ist die sicherfte Stütze der nationalen und wirthschaftlichen Ordnung. Es kann in der That noch sehr viel Land gewonnen werden zum Getreidebau; vor 19. Jahren gab es allein an Brachen und Oedländereien drei Nillionen Heftar., Auf Sandboden oder leichtem Boden mit Erfolg Viehzucht zu treiben, ist doch wirklich nicht möglich. Wie uns Herr Siemens setzt rathen kann, wir wollten die Industrie, der wir auf die eine geholfen haben, wieder vernichten, verstehe ich nicht. Die Industrie sollte jetzt den Dank uns abstatten, den sie uns seit 1879 schuldet; sie sollte jetzt eintreten für hohe Getreidezölle, um die Lanxwirthschaft in den Stand zu setzen, die Arbeiter zu be— lten, die sie noch hat. Auch in der Industrie wird es hoffentlich don jetzt ah von Herrn von Siemens heißen: Mein Freund kannst Du nicht länger sein! . heimer Ober⸗Regierungsrath im Ministerium für Handel und Gewerbe Wendelstad ?: Es find hier in Bezug auf die Zulassung fremder i Bemerkungen gefallen, welche die Deutung zu⸗ lassen, als ob die Regierung, insbefondere die preußische Regierung, ihre Pflicht nicht gethan hätte. Ich muß dies zurückweisen. Das Börsen⸗ . bestimmt, daß folche Emissionen nicht zuzulassen sind, durch welche erhebliche allgemeine Interessen geschädigt werden; auch hat der vreußische Minister eine regelmäßige Kontrole angeordnet. Nach der ́33* der Regierung ist gegen das Börsengesetz in keinem Falle toßen worden.
Um Hi Uhr wird die weitere Berat auf Diensta 1Uhr dertazt h nl auf , ;
Preuszischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 153. Sitzung vom 28. Januar, 11 Uhr.
Die zweite Berathung des Staatshaushalts— Fiats für 1901 wird im Etat der land wirthfchafttichen Verwaltun bei den dauernden Ausgaben, und zwar bei dem Titel Gehalt des Ministers“, fortgesetzt.
Der Abg. Herold (Zentr) beantragt:
Die Königliche Staatsregierung zu erfuchen, in nnn des
ese über die Schlachtvieh⸗ und Fleischbeschau baldigst einen 2 vorzulegen, betreffend die Einrichtung pffen llc Schlachtviẽhrersicherungen in Verbindung mit Maßnahmen zur an— gemessenen rthung der verworfenen Theile des Schlachtthieres, und zwar unter Beihilfe von staatlichen Mitteln“
Abg Herold: Der Reichstag hat bei Berathung des Fleisch˖ Xhan 636 eine Resolution, betreffend die . öffentlicher Schlachtvie ersicherungen durch die Landesgesetzgebung, angenommen. Dieser Resolution entspricht mein Antrag. Die privaken Vlehversiche⸗
esellschaften können ihre Aufgaben nicht vollkommen erfüllen,
ie lokal beschrankt sind und der Beitritt nur ein freiwilliger ift. iehversicherung muß einen obligatorischen Charakter 22 bindung damit I, Maßnahmen getroffen werden, damit
m Genu untauglichg⸗ Fleisch angemessen verwerthet werden kann. durch kannten die Beiträge für die Versicherung geringer werden. e at muß möglichst einfach und darf nich bureaukratisch
gemacht werden ꝛ; Gamp (freikons. ) Der Antrag Herold stellt auf den allein gen Standpunkt, indem er sich auf das I schn el be⸗
schränkt. Die bisherigen Versuche in dieser Richtung scheiterten daran, daß man verlangte, daß der Verluft jedes einzelnen Viehes ersetz werden sollte. C liegt hier ein öffentliches Interesse vor, es ist alfo e, . daß der Staat mit seinen Mitteln eingreift. Die Verwaltung wird den Landwirthschaftskammern angegliedert werden können, der Staat soll nur finanziell helfen. Die Kosten werden sich niedriger stellen als bisher. Wir haben in manchen Gegenden schon eine Zwangẽver⸗ sicherung; dieser Zwang wird aber von den Händlern ausgeübt. Sie machen an dieser Versicherung ein mehr oder minder glänzendes Ge⸗ schäft. Ich bitte, den Antrag anzunehmen. . 4
Abg. Ring (kons): Wir stehen dem Antrag sympathisch gegen⸗ über. Seitens der Konferenz der Landwirthschafts kammern sind aber bereits die nöthigen Schritte gethan, die Jentralstelle der Landwirth⸗ schaftskammern hat einen Gesetzentwurf aufgestellt, der morgen weiter berathen werden soll. Die konsewative Fraktion wird dann den Ent⸗ wurf im Hause als Antrag einbringen.
Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer— ste in:
Meine Herren! Nach den eben gehörten Darlegungen erübrigt es sich, zu dem materiellen Inhalt des Antrages schon jetzt Stellung zu nehmen. Das würde auch nicht den Grundsätzen der bisher geltenden Praxis der Staatsregierung entsprechen. Die Staats- regierung nimmt grundsätzlich erst dann zu solchen Anträgen Stellung, wenn sie als Beschluß des Hauses vorliegen. Die Königliche Staats—⸗ regierung kann abwarten, ob von der konservativen Partei dem Hause ein entsprechender Gesetzentwurf vorgelegt werden wird, welche Be⸗ schlüsse das Haus dazu fassen wird. Nimmt eventuell das Haus den in Aussicht gestellten Antrag der konservativen Partei an, dann wird der Zeitpunkt gekommen sein, zu welchem das Königliche Staats Ministerium Stellung zu nehmen hat.
Abg. Dr. Crüger (fr. Volksp.): Diese Versicherung liegt aller— dings im Interesse der Landwirthschaft. Ich stoße mich aber daran, daß der Staat für diese Zwecke Mittel zur Verfügung stellen soll. Der Staat soll also mit seinen Mitteln der Landwirthschaft ihr Risiko abnehmen. Dann kann man verlangen, daß der Staat auch allen anderen Geschäftszweigen das Risiko abnimmt. Das führt zu sozial— demokratischen Zuständen. Die Herren wollen die sozialdemokratischen Lehren für ihren Zweck ausnutzen. Es sollten e n n gebildet werden; aber der Staat sollte nicht mitwirken. Mit demfelben Recht kann man eine staatliche Versicherung gegen Arbeitslosigkeit verlangen. Erineipiis obsta! Der Antrag verläßt den Boden der gegenwärtigen Wirthschaftsordnung. Wir stimmen deshalb dagegen.
Abg. Lüders Gronau (fr. kons. ). Meine Freunde stehen dem Antrag sehr sympathisch gegenüber, wünschen aber, daß bei der Durch⸗ führung des Fleischbeschaugesetzes Freizügigkeit für das Vieh ein— geführt wird. . J .
Der Antrag wird hierauf mit großer Mehrheit ange— nommen. ; . ;
Alsdann findet die allgemeine Debatte über den land— wirthschaftlichen Etat statt.
Berichterstatter Abg. von Arnim (kons) referiert über die Ver— handlungen der Kommission und die bei denselben zur Sprache gekommenen allgemeinen Gesichtspunkte. Es sei bemerkt worden, daß der seiner gt angenommenen Resolution, betreffend die Förderung der Viehzucht, des Molkereiwesens und des landwirthschaftlichen Unter= richtswesens, noch nicht in gusreichendem Maße Rechnung getragen sei.
Abg. von Mendel-Steinfels (kons.): Ich schließe . diesen Ausführungen vollkommen an. Das Extraordinarium dieses Etats ift im Verhältniß zum Ordingrium besonders stark bedacht; es scheint also, daß man solche Ausgaben, wie für Landeskulturwesen und Wald— wirthschaft c, nur als vorübergehend ansieht. Für die Förderung der Viehzucht ist sehr wenig in den Etat eingestellt. Wir finden nur 21 9000 6 zur Förderung der Pferderennen und 50 900 im Extra— ordinarium für die Viehzucht mit Ausschluß des Geflügels. Andere Länder verwenden mehr dafür. Die landwirthschaftlichen Lehranstalten sind auch nicht gut weggekommen. Die r e fich Hochschule in Berlin erfährt eine stete Fürsorge durch größere Mittel; das Gleiche kann man leider nicht von den anderen landwirthschaftlichen Instituten sagen, zum Beispiel dem in Königsberg. Es ist daher zu befürchten, daß das landwirthschaftliche Unterrichtswesen immer mehr in Berlin zentralisiert wird. Den Haushaltungsschulen ist im Etat gar keine Berücksichtigung zu theil geworden. Die Thätigkeit der Frau ist gerade in der kan kwir half von größtem Werth und unentbehrlich. Der Staat sollte einen Beitrag für die Errichtung solcher Schulen geben, wenn man auch nicht verlangen kann, daß er selbst solche Schulen gründet. Der Staat hat nur einmal 196590 6 zur Förderung des Molkereiwesens gewährt. Wie steht es mit dem Futtermittel⸗ und Düngergesetz? Den Fälschungen auf diesem Gebiete muß endlich gesetzlich entgegengetreten werden. Durch das gerippte Steinmehl sind in den letzten Jahren allein in der Provinz Sachsen 300 000 16 Schaden erwachsen. Nach dem tchnischen Gut⸗ achten beträgt der Werth dieses Mehles 2.3 3, der Preis dagegen 4 6 Mit Hilfe des Reichsgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und des i n n ,, ist diesen Fälschern nicht beizukommen. Zur Bekämpfung der Viehseuchen müssen die . gesetze von 1880 und 1894 einer Revision unterzogen werden. ir haben noch immer die Maul- und Klauenseuche. Die polizeilichen Maßregeln sind für die Landwirthschaft noch schlimmer als ber Schaden der Seuchen. Die Seuchen werden von einem Srt zum anderen verschleypt, weil die Desinfektion der Transportmistel nicht durchgeführt wird. Die Gehöfte zu sperren, nüßt nichts, die Seuchen müssen bezirksweise bekämpft werden. Hinsichtlich des Schutzes der Grenzen ist alles geschehen, was geschehen konnte; wir leiden aber noch darunter, daß nach dem österreichischen Handels⸗ bertrag Vieh aus Oesterreich hereinkommt, das immer verseucht zu sein scheint. Eine Revision des Viehhandels muß stattfinden, hin- sichtlich des Marttwesens sowohl, wie der Preisnotierung. Von 1875 bis 1898 ist der Fleischpreis gestiegen, der Preis des lebenden Thieres i gen gesunken. Für Rinder ist der Preis nach Lebendgewicht in dieser Zeit um 19 0 gesunken, der Prels des Fleisches dagegen um 12 0 gestiegen; bei Schafen ist der Preis des Thieres um 12 oo gesunken, der Preis des Fleisches um 20 Co gestiegen; bei Schweinen ist der Preis des Thieres um D. oo gesunken, der Preis des Fleisches um 10 0 gestiegen. Die theureren Preise find alfo nach diesen amtlichen Zahlen lediglich an den Handel gezahlt worden. Eg ist ein Hohn, von einer Fleischvertheuerung durch die Begehrlichkeit der Landwirthe zu sprechen. Ich kann bloß dringend rathen, daß im Interesse von Produktion und Konfumtion dagegen etwas geschieht. gie b r g erscheint es sodann, daß gegen die Tuberkulose bei den Thieren mehr geschieht als bisher, nachdem ung in den letzten Jahren die Tuberkulose in einem ganz anderen Lichte gejeigt worden ist. Wie steht es mit den Ausführungsbestimmungen zur Gewerbeordnungsngvelle über die Regelung der Gesindevermiethung? Herr Wintermeyer hat sich auf die Landwirthschaftzlammer in Wiesbaden berufen. Die Landwirthschafts kammer für Hessen⸗Nassau hat sich immer besonders der fleinen Leute angenommen. Ich habe, mich gewundert über die Kritik dieser Kammer durch Herrn Wintermever. Ich protestiere auch dagegen, daß er aug den fleinbäuerlichen Verhältnissen Hessen. Nassautz auf die Landwirthschaft im allgemeinen Schlüsse zieht. Hat er . je einen anderen Landwirthschaftskammer ⸗Bericht als den von Wlesbaden ge— lesen? Wegen der klimatischen n muß in den nördlichen Gegenden unseres Vaterlandes der Landwirth viel größeren Grundbesitz haben, um den Betrieb überhaupt übernehmen zu können. Ueber Din e, die man nicht kennt, sollte man nicht urtheilen. Man möchte immer be. haupten, Deutschland habe aufgehört, ein Agrarstaat zu sein, und sei Industriestaat geworden. In der Statistil der landwirthschaftlichen Beyösterung sind alle diesenigen nicht mitgezählt, die von der Land- irt en mitleben. Bi land rt ih. Maschinenindustrie, die üllerei und andere Gewerbe gehören eigentlich mit zur
gerechnet.
Landwirths⸗ Rechnet man alles dazu, so kommt man zu anderen Nesultaten, als wenn man bloß die Zahl der in der Landwirthschaft selbst beschäftigten Personen berechnet. Der Werth der Produktion der Landwirthschaft beträgt 7441 Millionen Mark, aber auch diese Zahl ist eum gran salis zu nehmen, denn bei der Industrie werden alle Halbfabrikate und Rohstoffe mit⸗ Wir halten daran fest, daß Deutschland ein Agrarstaat ist. Wir wollen keine Liebesgaben, sondern nur unser Recht, und wir werden dafür kämpfen, solange es eine Landwirthschaft giebt.
bg. Ir. Hei sig Zentr.) bespricht das landwirthschaftliche Schul⸗ wesen, die Schlachthausgebühren und die Leutenoth, ohne im einzelnen verständlich zu werden. Er tritt für die Förderung der landwirth⸗ schaftlichen Winterschulen und Fortbildungsschulen und für eine Ver⸗ mehrung der Ackerbauschulen ein. In diesen Schulen müsse auch der Religionsunterricht ertheilt werden, nicht weil die Religion die Land⸗ r , f, direkt fördere, sondern weil sie den Landwirkh in die Lage setz⸗, auch in schweren Zeiten sein Gottvertrauen nicht zu verlieren. Die Religion sei auch der feste Schutz gegen den Umsturz und die Sozialdemokratie. In manchen Kreisen Ober⸗ . seien die Winterschulen viel zu dünn gesät; man könne den andwirthen nicht zumuthen, ihre Söhne in so weit entlegene Schulen zu schicken. Der Redner bemängelt sodann die Entschäͤ igungen für Flurschäden bei Manövern; die Militärverwaltung lehne zu Unrecht die Entschädigungen . die Schäden ab, welche durch die Zuschauer verursacht werden. Die Abschätzungskommission nehme ferner die Ab— schätzungen zu spät vor. Dadurch würden weder die Interessen des Militärfiskus, noch die der Landwirthschaft gewahrt. .
Geheimer Regierungsrath Dr. Mueller erwidert, daß das land⸗ wirthschaftliche Schulwesen nicht der . Verwaltung, sondern den Provinzialbehörden unterstehe. In manchen Fällen r der Staat der Unterhaltungskosten übernommen. Auf die Lehr— pläne der Winterschulen habe die Verwaltung keinen Einfluß.
Abg. Freiherr von Wangenheim (kons, sehr schwer ver— ständlich, da er fortgesetzt nach rechts gewendet spricht): Während der Etat große Summen für Wasserbauten enthält, ist es mir sehr schmerzlich, daß für die Hebung der Viehzucht nicht mehr eingestellt ist. Die ga nn , re, mer, namentlich in den ärmeren Pxovinzen sind bis zur äußersten Grenze bei der Erhebung ihrer Beiträge gegangen. In Pommern muß schon“ eine Anleihe aufgenommen werden, um nur das nöthige Material an Zuchtvieh zu decken. Den Abg. Wintermeyer weise ich darauf hin, daß die Aufwendungen der Landwirth⸗ schaftskammern dafür nur dem kleinen Grundbesitz zu gute kommen, die großen Grundbesitzer können sich durchweg selbst Zu tvieh halten. Ich fürchte aber, daß, wenn man so weiter geht, die Landwirth— schaftskammern bankerott gemacht werden. Der dei Moment ist gerade geeignet, größere Summen einzustellen. Ich bitte den Land⸗ wirthschafts⸗Minister, in dieser Beziehung recht energisch dem Finanz⸗ Minister gegenüberzutreten. Wenn man zum Finanz-Minister geht und Geld haben will, beklagt er sich immer aufs bitterste darüber, daß von seiten der landwirthschaftlichen Verwaltung so wenig gefordert werde. Von dem Werth der Geflügelzucht für den kleinen Grund— besitz, für die Arbeiter und für die ackerbautreibende Bevölkerung in den kleinen Städten bin ich vollkommen durchdrungen. Wir werden aber günstige Erfolge darin nur haben, wenn wir die Seuchen verhindern. Einer der größten Mißstände ist der Hausierhandel mit Vieh. Es ist vorgekommen, deß ein soeben für krank erklärtes Schwein noch an demselben Tage von einem herum ziehenden Händler verkauft, worden ist. Der erf feel mit Vieh, muß verboten werden. Auf dem Berliner Viehhof bestehen mancherlei, Mißstände. Die Verordnung, daß die Untersuchungen nur bei Tageslicht erfolgen dürfen, ist für die Abfertigung sehr beschwerlich, und diese Verordnung wird auch nach Mittheilungen von Herren, die die Sache an Ort und Stelle kennen gelernt haben, etwas wunderbar gehandhabt. Das Ausladen von Vieh darf nur von 6 bis 5 Ühr Morgens stattfinden. Eine unnöthige Erschwerung liegt auch darin, daß die Papiere immer von dem Amtsvorsteher mit unter⸗ zeichnet sein sollen. Der Antrag Herold ist mir sehr sympathisch, und hoffentlich kommt bald der gewünschte Gesetzentwurf. Aber au auf anderem Gebiete empfiehlt sich die Regelung der Versicherung dringend. Die Versicherung darf nur ein. Wohlthätigkeits, aber lein finanzielles Unternehmen für Aktiengesellschaften sein. HSoffent⸗ lich kommen wir nun durch die Thätigkeit der Landwirthschafts⸗ kammern aus den unleidlichen Verhältnissen des landwirthschaft⸗ lichen Versicherungswesens heraus. Die Herren von der Linken, die immer gegen den Zwang sind, weise ich darauf . daß in großen Städten der Zwang für die Immobiliarversicherung besteht. Ohne eine solche wäre auch das Feuerlöschwesen nicht durchzuführen. Es ist also kein Unrecht, zu verlangen, daß man in der Landwirthschaft zu den früheren Zwangsversicherungen zurückkommt. Die Preisnotierungen für Vieh müssen im ganzen Lande erfolgen. In Stettin ist es vorgekommen, daß die Händler sich weigerten, der Notierungskommission Angaben zu machen. Herrn Wintermeyer weise ich ferner darauf hin, daß die Thätigkeit der General⸗Moorkommission und die ganzen Arbeiten der Landwirthschaftskammern auf. diesem Gebiete nur zu Gunsten der kleinen Grundbesitzer begonnen sind. Für die For wirthschaft muß der Staat die Landwirthschaftskammern mehr unterstützen. Die Forstabtheilung der pommerschen Landwirths ie kammer hat sich schon so entwickelt, daß wir fort und * Gehilfen anstellen müssen. Wenn erheblich großere Mittel dafür zur Ver— king, gestellt und, bei allen Landwirthschaftskammern dieselben Einrichtungen getrossen werden wie in Pommern, so wird ein großer Theil der privaten Forstwirthschaft . einen anz anderen Standpunkt gestellt werden können. Auf die Frage, der Hypothekenbanken gehe ich nicht ein, wänsche aber, daß die Regelung des Kredits für den Grundbesitz möglichst bald zu einem Resultat gelangt. Wenn auf irgend einem Gebiet, so darf hier nicht gezögert werden. ec g der Organisation der General Lom missionen 1 es die allerhöchste Zeit, aus dem Stadium der Er— wägungen herauszukommen und an die Reorganisation beranzugehen. Der General⸗Kommission Md manche neue Aufgaben übewiesen worden, namentlich das Meliorationswesen. Die General Kom. missionen müssen auf diesem Gebiet ihre Arbeiten noch weiter aug. dehnen. Es liegt ein organischer Fehler darin, daß die General- Kommissionen von allen anderen Seh rte abgesondert sind. Sie müssen dem übrigen Verwaltungsorganismus eingegliedert und dem Ober⸗Präsidenten unterstellt werden. Es würde * empfe blen. fũr die Keneral(Kemmissionen eine hesondere Abtheilung bei dem Qber. Präsidium zu bilden. Dem Abtheilungs-Chef müssen surissische Mi lieder zur Seite * werden deren Zahl nach den Bedürfnissen der etreffenden Bezirke bemessen wird. Für die oöstlichen Provinzen, wo das Ansiedlungs, und Rentengutswesen eine größere Rolle spielt, könnte die * der juristischen Mitglieder erheblich beschränkt werden, während im Westen eine größere Anzahl nöthig wäre. Daneben müffen ein landwirthschaftlicher und ein technischer Beamter den Abtbeilungen zugewiesen werden. Auch die Spezial Kommissionen wären nach den lokalen Bedürfnissen auszugestalten. Die Auffassung daß die General Kommissignen so reformiert werden müssen, wirb nicht nur aus landwirthschaftlichen Kreisen, sondern auch aus Kreifen der General Kommissionen selbst laut. Ich * mich, daß in diesen Etat zum ersten Mal der Posten eines? door. Sommissarg ein- gestellt ist; der der ostwreußeischen General Kemmissien zugewiesen werden soll. Seine Thätigkeit wird vorbildlich dafür sein, wie man auf diesem Gebiet praktisch arbeiten soll. Das Gebiet, das die General ⸗Kommissionen zu bearbeiten haben, wird 6 anz bedeutend erweitert werden müssen. Der Redner verbreitet si ae über die Flußkorrektionen, für welche er Gegenqufwendungen wünschl, und kommt dann auf die Debatte dom vorigen Sonnabend über die Getreidezollerböhung zurück, wobei er den ntrag Barth al eine „frivole Verhöhnung“ bezeichnet. Wenn der Abg. Bartd am vorigen Sonnabend hier qusgeführt babe, daß die Medran dunn bei der Getreidezollerhöhung für jede Arbeiterfamilie vre Jabr 0 bin 59 M betrage, so babe der Abg. Dr. von Siemens icm Reich gta e diesen Mehraufwand nur auf 36 „ pro Jabr deranslant. Wan sebe also, wie weit die Ansichten bier auKeinanderningen. Wie Sade