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die Kosten dieser Aufsicht zu decken, werden an die Bundesstaaten 15 s0 der Branntweinsteur gezahlt oder mit anderen Worten etwas über 24 Millionen Mark jährlich. Ich gestehe zu, meine Herren, daß vielleicht in manchen Staaten der ganze Betrag nicht aufgebraucht wird; was nicht gebraucht wird, wird erspart durch eine vielleicht praktischere, mehr zusammengezogene Verwaltung. Aber das ist doch immer nur ein kleiner Prozentsatz jener ganzen Summe. Nun stellen Sie sich vor, wenn diese un⸗ geheure Ausgabe entsteht für die Ueberwachung einer Anzahl von 13 bis 14 000 Brennereien, welche Aufsichtskosten entstehen müßten, wenn man für jene vielen Hunderttausende von Betrieben, die gewerbs— mäßig Weinkeller halten, eine derartige ständige Buch⸗ und Keller⸗ aufsicht einführen wollte? Sie werden sich in der Kommission überzeugen, so etwas ist vollkommen una usführbar ssehr richtig), und wenn Sie selbst eine solche Aufsicht einführten, können Sie sich darauf verlassen, sie würde binnen wenigen Jahren von dem Volksunwillen fortgefegt werden, und die Winzer, diese Puristen, die sie jetzt verlangen, würden vielleicht selbst klagen über die Geister, die sie riefen! (Sehr gut) Ich warne deshalb dringend davor, einen solchen Weg zu gehen. Was die Ueberwachung selbst betrifft, so ist auch das ein gesetzlicher Irrthum, daß, wenn man nur eine solche Ueberwachung vornehmen wollte, wie der Entwurf vor— sieht, man die Paragraphen des Gesetzentwurfs garnicht brauchte, man sich vielmehr nur auf das Nahrungsmittelgesetz zu stützen brauchte. Wenn die Herren gefälligst den 5 2 des Nahrungsmittel⸗ gesetzes vom 14. Mai 1879 ansehen, werden sie finden, daß das etwas ganz Anderes ist; nach dem Nahrungsmittelgesetz ist nur die Ent⸗ nahme von Proben zulässig, und das Nahrungsmittelgesetz setzt lediglich die Entnahme von Proben voraus, um chemisch den Nachweis der Fälschung zu führen und darauf gegeben Falles ein Strafverfahren zu begründen, während hier in der Gesetzesvorlage, die wir die Ehre gehabt haben, Ihnen zu unterbreiten, vorgesehen ist, durch örtliche Untersuchungen im Verdachtsfalle den Indizienbeweis zu unterstützen; und gerade bei den Erörterungen über ein kommen⸗ des Weingesetz im vorigen Jahre ist mit Recht von einer Anzahl von Mitgliedern des hohen Hauses hervorgehoben worden, daß es nicht so sehr auf die chemische Untersuchung des Weines ankomme als darauf, im einzelnen Falle mit Strenge und Ernst den Indizien⸗ beweis zu führen, und dieser würde sich in vielen Fällen, da die Thatsachen unter Umständen geradezu ortskundig seien, mit Leichtigkeit führen lassen, wenn die berufenen Amtsstellen mit Nachdruck und Ernst einzuschreiten geneigt wären, und man ihre Thätigkeit gesetzlich erleichtere.
Meine Herren, es ist schließlich gesagt worden, man sollte doch umgekehrt verfahren wie im Entwurf, man sollte gesetzlich feststellen, welche Stoffe überhaupt nur zugesetzt werden dürfen, und es dem Bundesrath überlassen, ob und welche neue Stoffe in Zukunft zu— gesetzt werden dürften, während jetzt nach dem Entwurf das Um⸗ gekehrte der Fall ist, daß der Bundesrath nur Stoffe verbieten darf, die seines Erachtens gesundheitsschädlich wirken oder sonst bedenklich sind. Ich glaube, auch auf diesem Gebiete schreiten die Chemie und die Technik fort, und man kann erst aus der Praxis und auf Grund chemischer Prüfung ersehen, ob neue Zusatzstoffe schädlich sind oder nicht.
Ich kann Ihnen dafür ein interessantes Beispiel anführen. Bis jetzt noch, aber in fortwährend abnehmendem Maße, wird gewissen Champagnern, die nach dem Ausland ausgeführt werden, bowlenartig Hollunderblüthe zugesetzt, um diesen Weinen, wie man es in manchen Ländern bisher liebte, eine Art Muskatellergeschmack zu geben. Der Geschmack hat sich aber geändert, und dieser Sekt wird jetzt in immer geringerem Umfang begehrt; man will dieses Bouquet nicht mehr baben
Auf diese Weise kemmt eine solche Essenz in Vergessenheit;
andererseits aber werden nach dem individuellen Geschmack auch neue Zusätze erforderlich, und ich glaube, es ist richtig, daß man in dieser Beziehung, namentlich aber der Sektfabrilation, einen gewissen Spiel
5 raum läßt und erst dann verbietend einschreitet, wenn man sich über— zeugt hat, daß solche Insätze wirklich gesundheiteschädlich sind.
Im übrigen möchte ich doch den Herren Puristen zum Troste sagen, daß in gewissen Beziehungen ihren Bestrebungen auch im Gesetz⸗ entwurf Rechnung getragen ist; denn im Art. 5 Abs. 2 heißt es:
Bestraft wird, wer vorsätzlich Wein, welcher einen nach § 3
Nr. 4 gestatteten Zu satz erhalten hat, unter Bezeichnungen feilhalt
oder verkauft, welche die Annahme hervorzurufen geeignet
sind, daß ein derartiger Zusatz nicht gemacht ist.“
Wer also Wein als reinen Naturwein bezeichnen würde, ob⸗ gleich er die Stoffe, die im 5 3 Nr. 4 bezeichnet sind, zusetzt, der würde dem Gesetze verfallen, und andererieits ware derjenige, der solche Stoffe nicht zusetzt, nach dem Gesetzentwurf durchaus berechtigt, seinen Wein als reinen Naturwein zu bezeichnen. Also in dieser Beiiehung würden diejenigen Winzer, die darauf Werth legen, solchen reinen Wein zu verlaufen, ihrem Ruf durch eine derartige Bezeichnung dienen können.
Ich glaube, wenn wir uns in der Kemmission unterbalten, wird sich eine Anjabl weiterer Irrtbümer über die Auslegung des Gesetzes, wie ich sie aus der Debatte erseben babe, leicht beseitigen lassen, und Sie werden dann vielleicht in Ihrer Mehrheit dem Entwurf freundlich gegenũbersteben.
Abg. Freiherr Heyl zu Herrn beim (nl. . Reiner Naturwein Larf auch nicht verschnitten sein, wenn er abselut rein sein soll. Wundern muß ich mich, daß der sonlaldemekratische Abg. Ehrhart gegen das Verbot des Kunstweins eingetreten ist. Glaubt Derr Ebrbart etwa damit den Arbeitern zu nützen? Tie von dem Ahg. Ehrhart vor⸗ geschlageng Genossenschaflebildung, beim Weinbau iit nicht überall. durch. üäbrbar. Ich bin gegen die Kellerkontrole und begreife nicht, wie so viele Abaeordnese sich so leichthin auf diese Kontrole einlassen fönnen. In Dofen war s. 3. der Sturm gegen die Kentrole so stark, daß man licher die Weinsteuer einführte. Auch im Meich wird man mit der
X D, F Rontrole traurige Erfabrungen machen. Dem Verschnitt mit stalienischen Weinen muß mönlichst gesteuert werden. Es ware sebr wünschengwerlb, wenn auf Tie Ferderung der Winzer, den Juckerjusatz nur big ju einem gewissen Termin, also nur während der Gahrung. in gestatien, eingegangen werden lönnte. Tie Wäbler in meinem Wa hltreise (Werme) kalten das Gesetz für nützlich, die Kontrele aber fur schadlich.
Abg Lurz⸗Wörjburg (JZentr) führt aus, die Wähler seines Walkreiseß und der benachbarten Kreise begrüßten die Nevelle als einen Fortschritt, verlangten aber als Puristen eine vesitive Desinition des Begrines Wein. Auch er sei dafür, daß dem Verschnitt des Rbeinweing mit italienischem Rethwein entschieden gewehrt werden mässe. Dagegen missse er kedauern, daß der Staatgsckretär die Ren- trole nur cintreten lassen wolle, wenn Verdachte gründe vorlägen. Eine
solche Kontrole sei viel zu mild und werde deshalb unwirksam sein. Die Leitung der Kontrole für jeden en , r. . sollte einem Beamten übertragen und dieser beauftragt werden, geeignete Kom⸗ missionen zusammenzustellen. . Abg. Dr. Schmitt⸗Mainz (Zentr): Das Weingesetz von 1892 ist daran gescheitert, daß in demselben kein Verbot der Kunstwein— fabrikation enthalten war. In dem Verlangen nach diesem Verhot vereinigen sich alle Wein⸗Interessenten. Damit die deutschen Wein⸗ Interessenten gegen die unlautere Konkurrenz Luxemburgs geschützt werden, sst es nothwendig, daß auch in Luxemburg die Bestimmungen dieser Vor⸗ lage platzgreifen. Daß die Kellerkontrole nur bei dringendem Verdacht eintreten ill. billige ich; wäre diese Erklärung des Staatssekretärs Grafen von Posadowsky früher bekannt geworden oder hätte sie im Gesetz gestanden, so würde viel Aufregung vermieden worden sein. Nach der heutigen Erklärung halte ich in der Kommissien eine Ver ständigung über die Kontrole für leicht möglich. Dem Abg. Ehrhart möchte ich bemerken, daß wir Winzergenossenschaften am Rhein, an der Mosel, Nahe und Aar bereits in großer Zahl errichtet haben. Abg. Preiß (b. F. F); Die Elsaß Lothringer sind absolute Puristen, sie wünschen, das Gesetz von 1892 würde über Bord ge⸗ worfen und hätte nie das Licht erblickt und man kehrte zum gemeinen Recht zurück. Bei der Generaldiskussien vorliegender Novelle Hro⸗ klamieren wir denn auch als Ziel die Abschaffung jeder Spezialgesetz=
gebung. Die Novelle billigt und sanktioniert eine öffentliche Un⸗ wahrheit und Unehrlichkeit durch, die Definition des Begriffs Wein; dem Naturwein darf Zuckerwasser zugesetzt werden und
das so hergestellte zweifellose Kunstprodukt darf gleich⸗ wohl den Namen Wein führen. Das ist fast unglaublich, Wein aber ist der unvermischte Saft frischer Trauben, das Produtt der alkoholischen Gährung des Traubensaftes; darüber ist das Volk ebensowenig im Zweifel wie über den Begriff reiner Butter oder reiner Nilch Nach der ehrlichen Auffassung des Volkes kommt der durch die Vorlage dem Begriff Wein gegebene Inhalt diesem nicht zu. Es giebt allerdings in Deutschland Gegenden, wo ein Wein wächst, der in seiner Reinheit wegen seiner Säure nicht genießbar ist; es ist auch eine Wahrnehmung berechtigter Interessen, wenn diese Weine gesüßt werden; aber deswegen braucht doch von dem Begriff des unverfälschten Naturweins zu Gunsten dieser Halbweinproduzenten, dieser sogenannten Weinbauern, nicht abgegangen zu werden. Es handelt sich da nicht mehr um Wein, sondern um ein Gemisch von Wein, Zucker und Wasser, und dem— gemäß müßte dieser Wein als gemischter Wein, als gezuckerter Wein, als gallisierter Wein oder dergleichen in ihren Fakturen u. s. w. be⸗ zeichnet werden. Thut man dies nicht, so ist es um Treu' und Glauben im Verkehr mit Wein geschehen. Für alle Weine, welche einen FKustz erhalten haben, muß der Deklarationszwang für den Produzenten wie für den Händler eingeführt und durchgeführt werden. Von diesem Standpunkt kann ich den schwachen Nothbehelf, welchen das Gesetz bietet, nur bedauern. Wird unser prinzipieller Standpunkt aber von der Mehrheit nicht getheilt, so werden wir auch in dem engen Rahmen der Novelle an der Aus⸗ besserung der bestehenden Schäden mitwirken, denn die da gemachten Vorschlaͤge sind an sich durchaus dankenswerth. Der Verkauf von Trestern sollte nur zur Branntweinbrennerei gestattet, sonst aber ver⸗ boten werden. Die Kontrole ist nicht so schlimm, als manche Redner sich vorgestellt haben; im Elsaß besteht sie in ähnlicher Weise bereits. Es bedarf auch garnicht eines großen Heeres von Beamten. Abg. Schmid⸗Immenstadt (Zentr.) erklärt, es erfülle ihn mit Genugthuung, daß durch das neue Gesetz besonders der Winzer und seine Arbeit geschützt werden solle. ;
Abg. Biesenbach (Zentr,) spricht sich für die Vorlage aus, besonders könne man nach den abschwächenden Aeußerungen des Stagts⸗ sekretärs die Bedenken gegen die Kellerkontrole fallen lassen. Das Zentrum werde sich, das stehe fest, nie auf eine Reichs-Weinsteuer einlassen. Die Vereinbarung im italienischen Handelsvertrage über den Verschnitt von Rothwein mit Weißwein hätte in den deutschen Rothweinbezirken ganz unhaltbare Zustände geschaffen, die gründlich geändert werden müßten. ; Abg. Sch rempf stellt gegenüber Heyl fest, daß in Württemberg der Wein gamicht in den Keller gebracht, sondern vom Weinberg oder von der Kelter weg ver⸗ kauft werde. -
Abg. Dr. Roesicke-Kaiserslautern erwidert dem Abg. Ehr⸗ hart bezüglich der von diesem gegen den Bund der Landwirthe ge⸗ richteten Angriffe. Nach dem Vorgange im württembergischen Land⸗ tage werde man ja wohl bald alle Sozialdemokraten im Reichstage für den Schutz der nationalen Produktion eintreten sehen.
Die Vorlage geht an die für die Schaumweinsteuer ein⸗ gesetzte Kommission. Schluß M Uhr. Nächste Sitzung Montag 1 Uhr. (Forisetzung der Etatsberathung).
dem Abg. Freiherrn von
Preuszischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 22. Sitzung vom 9. Februar, 12 Uhr. Die zweite Berathung des Staatshaushalts⸗Etats
für 19091 wird im Etat der J ustizverwaltung bei dem Titel „Gehalt des Ministers“ fortgesetzt.
Abg. Richter (fr. Vollsp. : Es ist dem Kollegen Crüger ver⸗ übelt worden, daß er Bezug nabm auf China und auf die Borer. Nun, bei Lichte betrachtet, giebt es in Deutschland Personen, die, ohne einen Zopf zu tragen, doch mit den Chinesen mehr Anschauungen gemeinsam baben, als ibnen selbst bewußt ist, z. B. die Agrarier. Während die Chinesen ibre Mauern fallen lassen, suchen die Agrarier eine wirtbschaftliche Mauer gegen das Ausland aufzurichten. Die Aufrufe der Boxer erinnern an die Aufrufe der Antisemiten, die neuer⸗ dings erschienen sind. Auch hier fehlt es nicht an dem Hinweis auf die Fremden. Man spricht vom nationalen Interesse. Es ist doch nicht zu leugnen, daß es bei dem Antisemitismus zu Excessen ge⸗ kommen ist wie bei den Boxern in China. Es war ein ganz bübscher Anfang gemacht worden. Ich erinnere bloß an den Synagogenbrand in Neustettin und abnliche Vorkommnisse in Westpreußen und Pommern. Jetzt spielt im Antisemitismus wieder das Märchen vom Ritualnkord eine Rolle, gang so wie bei den Ghinesen. Auch sie beschuldigen die Christen, daß sie Chinesenkinder ermordeten, weil sie Blut brauchten bei ihrer Abendmabl feier. So war
es auch einst bei den Römern, welche die Christen ebenfalls beschuldigten, zu diesem Zwecke Kindermorde zu verüben. Wenn ich vom Ritualmord böre, so weht es mich an wie aus
der Atmesphäre eines Narrenbauses. Was jetzt spielt, erinnert mich an die treffende Charakteristik eines bekannten kensewativen Führers, der sagt, man müsse drei Arten ven Antisemitismus unterscheiden: den Antisemitismus des Sports, den Geschaftsantisemitismus und den Radau⸗ antisemitiemus. In Konitz treibt man Geschaftsantisemitismus und Radau⸗ antisemitismus. Der Zweck ist, durch sensatienelle Nachrichten Absatz für antisemitische Blätler zu schaffen. Der Justij⸗Minister meinte, er sei kein Antisemit; und doch wird jetzt von den Antssemiten fast niemand mehr auf den Schild geboben als gerade der Instij⸗Minister infolge seiner Erklärung. Der Antisemitismug hätte in Preußen niemalg diese Verbreitung finden können, wenn er nicht durch die weblwollende Neutralität der Behörden begünstigt worden wäre. Diese Begäünstigung näberte sich scheön der vositiven Förderung. Es gebörte die Anreijung zum Antisemitismuß zur Wabl⸗ . Biemarck im Jabre 1851. Erst als diese Politik Fiasko gemacht hatte, erinnerte er sich seines Geschäftefreundes Behrend und seiner Abneigung gegen den Antisemitiemus. Der Justiz⸗Minister meinte, etwas Neues babe er doch nicht verkündet, er begreife nicht den Larm, den seine Erklärungen hervor rufen haben. Man hat
wehl schon früber bier und da seine Verwunderung darüber aus gesprochen, daß jüdische Rechtsanwälte nicht in demselben Alter
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So lag es nahe, den einzelnen Fall auf individuelle Gründe zurückzuführen; man konnte 1 wissen. ob der Beschwerde i. nicht seine Eigenschaft als Jude zur Deckung nahm für andere Fehler und Mängel. Erst durch die Erklärung des Ministers hat
die Sache ihre große, prinzipielle Bedeutung erhalten. Er sagte, er
schließe ja keine jüdischen Rechtsanwälte davon aus Notar zu werden bedaure nur, daß man sich von ngtionalliberaler Seite durch diefe Erklärung für befriedigt erachtete. Ist es denn ich i n
jemand acht Jahre früher oder später in ein solches Amt kommt?“
Der Minister meinte sogar, künftig würde die Frist noch länger währen. Versetzen Sie sich nur in die Empfindungen eines jüdischen Rechtsanwalts, der sich bewußt ist, solid und ö zu amtieren und das Vertrauen der Bevölkerun wenn jüngere Bewerber, die Jahre später das Assessor Eramen standen haben, in die Stelle des Notars gelangen, Muß ihn daz nicht kränken, wenn es nur geschieht, weil er Jude ist? Und entsteht beim Publikum, mit dem er in ,. indung steht, nicht die Vermuthung, daß andere Gründe maßgebend sind? Im ffizierkom; hat sich der, Ehrbegriff so weit . daß, wer nicht nach he stimmtem Dienstalter in eine höhere Stelle aufrückt, auch zugbih in seiner bisherigen Stelle kein Vertrauen verdient und senm Abschied nehmen muß. Das Zentrum spricht von seinen wollen aber die katho—
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Toleranzantrag im Reichstage; was ö Beschwerden aus Braunschweig, Sachsen, Mecklenburg gegen— über dem bedeuten, was hier in Frage kommtz! Herr Porsch befolgt eine eigenthümliche Taktik; er beschuldigt die Linke, daß sie den katho— lischen Beschwerden kein Gehör schenke, und gerade jetzt ware eiae er Gelegenheit, zu heweisen daß die Herren vom Zentrum hessere Men schen sind, daß sie die Parität überall schützen. Aber hier bei den Beschwerden von jüdischer Seite kann Herr Porsch nicht genug Waser in seinen Wein thun. (Abg. Dr. Porsch: Genau so, wie Sie es thunh Feuer und Flamme sind Sig szum Jentrum) bei Ihren Beschwerden. Hier decken Sie dasselbe Ministerium . den Beschwerden
der Linken, das Sie s onst beschuldigen, Ihnen gegenüber die Parität nicht beobachtet zu haben. Sie decken ée, indem Sie das thema probandum verschieben und andere
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Fragen in den Vordergrund stellen, die damit nichts zu thun haben. Linen katholischen Ober-Bürgermeister haben wir in Berlin in der Person Forckenbeck's gehabt und sogar zu einer Zeit, als der katholische Herr Sfkryck Stadt-Verordnetenvorsteher war. Da wird aber gefordert daß man, um seinen Katholizismus zu beweisen, einen Beichtzettel be bringen soll. Man beruft sich auf Briefe der Frau von Forckenbeck. Ak Torckenbeck Ober⸗Bürgermeister wurde, war seine Frau schon zwa Jahre todt. Die Briefe waren 6 Jahre zuvor geschrieben, als Ri Wahl Forckenbeck's zum ersten Mal in Frage kam, er aber nicht gewählt wurde, weil er seine Wahl . wünschte, da er sich in der Berliner Ver⸗ waltung noch nicht bewährt hatte und ihm ein gewiegter Konkurrent in Hobrecht gegenüberstand. Daß der Berliner Magistrat auch ein großet Patronat fuͤr ebangelische Kirchen wahrzunehmen hat, fällt nicht in die Wagschale. Hier handelt es sich nicht um leitende Personen in einer politischen Verwaltung. Wir verlangen keinen freisinnigen Ober⸗ Präsidenten. Leitende Personen der politischen Verwaltung müssen sich allerdings mit dem politischen System decken. Hier handelt es sich aber einfach um Urkundspersonen; die Notariatsgeschäste erstrecken sich auf Wechselproteste, Verkaufsgeschäfte, Protololle über Sitzungen von Aktiengesellschaften und Testamente. Ich würde kein Bedenken tragen, in Breslau ein Testament durch Herrn Porsch vollziehen zu lassen. Für solche einzelnen Fälle wollen Sie das Prinzip verlassen. Gerade in großen Städten ist immer Gelegenheit, sich an einen christlichen Notar zu wenden. Wenn man wegen der besonderen Vertrauensstellung den Notaren gegenüber auf einem solchen Standpunkt steht, so muß man dasselbe auch für die Rechtsanwälte und für die Aerzte sagen, bei denen viel diskretere Fragen in Betracht kommen. Vor einigen Jahren soll einem katholischen Landgerichts rath in Berlin gesagt worden sein, er eigne sich zum Landgerichts-Direktor, könne es aber wohl in Breslau,
nicht aber in Berlin werden, denn hier seien schon genug katholische Direktoren. Eine tatholische Beschwerde hierüber würde ich für völlig gerechtfertigt halten. Wag uns vom Zentrum trennt in der Beurtheilung solcher Fragen, ist nicht
der Grad der Toleranz, sondern daß das Zentrum einen Maßstab an die Prüfung der Toleranz legt, den wir nicht für gerecht⸗ fertigt halten. Der konfessionelle Gegensatz wird hier auf Gebiete übertragen, wohin er nicht gehört. Daß die konfessionellen Rich— tungen der Bevölterung unter der Zahl der Anwärter und der Be— fähigten für ein Amt ganz gleichmäßig vertreten seien, ist nicht richtig, weil hier eine verschiedene Vertheilung der Konfessionen auf die ein⸗ zelnen Berufsklassen, auf Stadt und Land, auf die einzelnen Ortschaften und Landschaften in Betracht kommt. Im einen Falle sind im Verhältniß zur Bevölkerung zu wenig Be werber, im anderen zu viel; im einen Falle kann eine Bevor— zugung der betreffenden Konfession vorkommen, im anderen eine Benachtheiligung. Was ist der Grund davon, daß so viele Juden Rechtsanwälte sind und nun begehren, Notare zu werden? Das liegt doch in der ganzen Entwickelung der Gesetzgebung. Den Juden ist Jahrhunderte lang ein anderer Erwerb als das Handelt. geschäft unmöglich gewesen. Im Laufe der Zeit sind ihnen anden Berufsarten zugänglich geworden, und es ist anerkennenswerth, den nun das Jndenthum danach strebt, eine wissenschaftliche Befähigung zu erlangen. Nun ist ihnen aber ein großer Theil der Berufe, M denen sie die akademische Befähigung erworben haben, verschlossen; sie können nicht Offizier werden, auch die Verwaltungsämter nd ihnen in der Hauptsache verschlossen, die Richterkarrisre nicht ganz, aber sie baben sehr wenig Aussicht, in die höberen Aemter dor⸗ zurücken. Nun strömen natürlich die Juden gerade einem bestimmiten Berufe zu, in dem sie aber wieder auf neue Schranken stoßen, indem sie in Bejug auf die Erlangung des Notariats beschränkt, werden. Wir meinen gerade, daß man die alten Schranken beseitigen und darauf hinwirken sollte, daß das Judenthum die ibm von früberen Jahrhunderten her noch anbaftende Einseitigkeit überwindet, dan en sich mit dem allgemeinen Vollethum amalgamiert. Eine neue un nabmestellung befestigen Sie gerade in den Eigenschaften, liber die Sie vorzunsweise klagen. Das befördert auch jene ben Erscheinung, die unter dem Namen Jionismus belannt ist. Ich nde den Zionismus ebenso tadelnswerth wie den Antisemitismus. mM sagt man, das Volk verlange jene Rücksichtnabme. Merkwürdig. ** konservativer Seite rühmt man gerade die Regierung, weil sie nicht nn die Voltsstimmungen und Leidenschaften achte. sondern darüber erben sei. Aber bier, wo es auf rückständige Volkeansichten ankommt
der Probin! — denn in Berlin sind auch nach der Ansich
Herren die Leute zu tlug dafür sfoll das Voll maßgebend fan
Ware es richtig, daß das Volk dag verlangt, Jo ware
nicht begreiflich, daß in den Großstädten eine so ere. liche Anzahl judischer Notare uberhaupt ihr Brot sindet,. Minister sagte, wenn es so sortgebe, würde zuletzi auch kein einn christlicher Nolar mehr in Berlin fein. Wenn dag wahr wäre, mi. beschämend ware das für die chrisllichen Notare und Rechtsanwalt
(Schluß in der Zweiten Beilage,)
Notare wurden wie die Christen, abe chf ielle Gründe . niemals angeführt und eine Hin fr nicht veröffentli fan .
zu genießen, be
um Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preuß M 36.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
63 würde beweisen, daß diese die Konkurrenz mit den Juden nicht falten können. Auch der Wille der Bevölkerung kann nicht in acht kommen, wenn ihm die Verfassung entgegensteht. iese
ss für die. Majorität und Minorität da und gerade zum Schutz
r Minorität in erster Linig. Der Justiz⸗Minister sagte, der
Fuchstabe der Verfassung ist doch nicht immer entscheidend, sondern
find die Bedürfnisse und Interessen des Volkes zu berück.
ichtigen. Als ich Jura studierte, war es anders. Ich wäre selbst
ii H durchgefallen, wenn ich eine solche Antwort
egeben hätte. Der in,, beruft 33 auf Art. 57 der Ver⸗
affung: Der König hat das Recht, die Stellen zu besetzen. Ist denn das der einzige, Artikel der. Verfassung? Beschränken sich nicht die
Artikel gegenfeitig? Der König hat das Recht, Stellen zu .
nach . der gesetzlichen Bestimmungen und der Ver⸗
assung. eber der Preußischen Verfassung steht außerdem das
n Hesetl Die Art, wie man jetzt Die Verfassung aus⸗
legt, erinnert an die schlimmsten Zeiten der Landrathskammer.
Per Abg. Irmer ist dem Justiz-Minister in der Auslegung der Ver⸗
sassung zu Hilfe, gekommen. Er ist darin ebenso wenig glücklich ge⸗
2. wie in seiner früheren ähnlichen Thätigkeit. Der Justiz⸗
Minister hat sich auf die Uebereinstimmung der Präsidenten der
Bberlandesgerichte mit seinen Ansichten berufen. Diese Herren haben
sber Grundsatze nicht zu entscheiden. Das ist Sache der Justiz=
verwaltung. ie werden nur für einzelne Fälle berufen, und da können die ö sten Gründe. maßgebend sein. Der
Justiz⸗Minister berief 1 auch auf den früheren Minister
alk. Aber in seinem Zitat stand: in dem Falle, der, vorlag.
Gs handelt sich also um einen Einzelfall. Daß die Präsidenten
nicht immer mit dem Minister übereinstimmen, habe ich zufällig aus
einem Briefe aus Breslau erfahren, den ich vor einigen Wochen zu
Gesicht bekam. Es steht darin, es seien mehrere jüdische Rechts⸗
anwälte bei Besetzung von Notariatsstellen. ö worden. Ein
christlicher Rechtsanwalt viel jüngeren Dienstalters sei zum Notar ernannt worden, trotzdem sich der Präsident für die, Ernennung des jüdischen Herrn zum Notar gusgesprochen hatte. Hätten wir die
Ministerverankwortlichkeit, so wäre es mir nicht zweifelhaft, daß eine
unabhängige Instanz entscheiden würde, daß die Grundsätze, die der
e r fe aufgestellt hat, nicht im Einklang mit der Ver⸗
sassung stehen. Aber die Erklärung, des Ministers geht. ja
welt über sein Ressort hinaus. Der Minister hat Deckung rt hinter den anderen Ressorts, indem er ausführte, es sei in seinem
Ressort nicht so schlimm wie bei den anderen Ressorts; dort würden
Juden überhaupt nicht angenommen. Nachher hat er, diese Aeußerung
zu korrigieren gesucht. Er meinte, der Ausdruck sei ct glücklich
ewählt; er sei unvermuthet hier angegriffen worden. In seiner ersten
Rede heißt es ausdrücklich, daß ihm der. Abg. Peltasohn vor der
Sitzung mitgetheilt habe, daß derselbe die Anfrage stellen wolle.
Der usti⸗ üinister gab der Sache eine humoristische Wendung,
indem er meinte, er wisse nicht, wie es in den anderen
Refforts zugehe, die jüdischen Herren müßten sich wohl in
seinem Re) besonders wohl fühlen. Man kann in dieser Frage
Uebereinstimmung des ganzen Stagts⸗Ministeriums verlangen, ver⸗
langen, daß nicht bloß der Justiz-Minister gesprochen hätte, sondern
im Namen des gesammten Staats-Ministeriums eine bindende Er⸗
klärung abgegeben worden wäre, Die Vorstände der jüdischen
Korporationen sind auf, dem richtigen Wege gewesen, wenn sie
sich direkt an den Minister⸗Präsidenten wenden und von ihm
eine Erklärung zur Sache verlangen. Wie Graf Bülow zur
Sache steht, weiß man nicht. Aber ich meine, die Frage wäre
wichlig genug, daß er hier erschiene und erklärte, wie er zu
dieser Frage der religiösen Gleichberechtigung stehe. Er hat allerdings im Deutschen Landwirthschaftsrath sich auf seine Familien- traditionen in Mecklenburg berufen. Dieses ist das klassische Land der
Intoleranz. Bis 1869 konnte dort ein Jude nicht einmal Grund—
desitz erwerben, und gerade diese, Verhältnisse gaben den Anlaß
dazu, daß das Reichsgesetz von 1869 erlassen wurde. Zuruf rechts:
Leider Sie sagen leider, so sehr haben Sie sich verändert.
86g hat lein Konservativer, mit Ausnahme eines mecklenburgischen
Abgeordneten, auch nur das Geringste eingewendet gegen das
ee Ich meine, Graf Bülow hat als Reichskanzler und
preußischer r, alle Veranlassung, die Innehaltung der
Reichegesetzs zu wahren und zu schützen, Sie (nach rechte) sprechen
vom 6 Staat. Ich schätze das Christenthum sehr hoch im
Gegenfaß ju anderen Religionen, auch als Kulturfaktor ganz ins
besondere, aber gs oo der christlichen Bevölkerung können doch wohl
die Gleichberechtiqung von 20j9 Andersgläubigen ertragen. Gerade der Staal, der fast ausschließlich von Christen bewohnt ist, hat den
Beruf und lann den Beruf haben, vor allen Dingen ein Rechtsstaat
zu sein, und dazu gehört, daß diejenigen, denen man gleiche Pflichten
auferlegt, auch gleiche Rechte haben.
Der Präsident von Kröcher theilt folgenden, von den Abgg. Dr. Irmer (kons) und Freiherr von Zedlitz⸗ Neukirch (fr. kons.) eingebrachten Antrag mit:
Das Haug der Abgeordneten wolle beschließen: zu den vom Herrn Justiz⸗Minister dargelegten Grundsätzen über die Art, in welcher bei der Ernennung von Notaren auf das Bedürfniß der chrisllichen Bevölkerung in angemessener Weise Rücksicht genommen werden soll, seine Zustimmung auszusprechen.“
Abg. Dr. Barth (fr. Vgg.) fragt an, ob man nicht über diesen Antrag namentliche Abstimmung vornebmen lassen wolle. ;
ö. von Gynern (nl. bittet die Antragsteller, die Grundsätze, von denen in dem Antrag die Rede sei, in den Antrag einzufügen.
Justiz⸗Minister Schönstedt:
Meine Herren! Es ist zum ersten Mal in meiner mehr als sechgsährigen Amtethatigleit, daß ich den Vorzug habe, den Herrn Abg Richter in der Arena mir gegenüber zu sehen. Ich weiß diese späte Chrung voll zu würdigen. Ich erkenne auch an, daß der Herr Abg. Richter sich in seinen Ausführungen jenes Maßes von Freundlich⸗ leit mir gegenüber beflissen hat, das bei solchen ersten Begrũßungen üblich ist. (deiterkeit recht) Umsomebhr bin ich in der Lage, ibm in derselben Rube und Sachlichleit zu antworten. Zu einer eingehenden Antwort geben mir aber seine Ausführungen keinen Anlaß, da sie sich in ihrem größten Theile auf Gebieten bewegen, die mich nicht um. mittelbar berühren und nicht eigentlich zu dem Justiz-⸗Etat in näberer Beriebung steben.
Ich will auch bier wieder einige Ginzelbeiten aus den An führungen des Herrn Richter berauegreifen. Er bat gesagt, es sei lb vor einigen Jahren mitgetheilt, daß einem kat holischen Richter in Berlin, der die Befähiqung lum Direktor babe, cine Anstellung bei einem Berliner Gerichte nicht gewährt werden könne, wobl aber in Breslau. Meine Herren, wenn lhm diese Mitteilung vor einigen Jahren gemacht worden ist, dann müßte fie in melne Dienstneit bineinfallen, und dann kann ich nur
Zweite Beilage
Berlin, Montag, den 11. Februar
sagen, daß diese Mittheilung auf freier Enfindung beruht. hört! rechts.)
Der Herr Abgeordnete hat weiter gesagt, es sei ihm aus Breslau brieflich mitgetheilt worden, noch vor kurzem seien an Stelle von jüdischen Notaren oder vor älteren jüdischen Bewerbern christliche Notare ernannt worden an einem nicht genannten Ort, und zwar, so viel man wisse: gegen den Antrag des Oberlandesgerichts⸗Präsidenten. Ich glaube annehmen zu dürfen, daß der Briefschreiber in der That nicht gewußt hat, was der Herr Oberlandesgerichts⸗-Präsident berichtet hat, und das liegt ja auch in der Natur der Dinge. ;
Meine Herren, der Herr Abg. Richter hat sodann gemeint, ich könne die Richtigstellung eines Ausdrucks, den ich in meiner ersten Rede zur Sache gebraucht habe, nicht, wie ich gethan habe, damit ent⸗ schuldigen, daß ich mich in der Abwehr gegen einen unvermutheten Angriff befunden habe; denn ich habe ja selbst erklärt, daß mir die Absicht des Herrn Peltasohn, die Angelegenheit hier im Hause zur Sprache zu bringen, vorher mitgetheilt worden sei. Es ist ganz richtig: diese Mittheilung ist mir hier in der Sitzung, etwa 5 Minuten bevor der Abg. Peltasohn das Wort ergriff, durch einen meiner Perren Refe⸗ renten mitgetheilt worden. Ich glaube nicht, daß ich deshalb nicht den Ausdruck habe gebrauchen können, daß es sich für mich um einen unvermutheten Angriff gehandelt habe.
Nun zur Hauptsache. Es handelt sich um die Frage der Ver⸗ fassungsverletzung. Wir haben uns eingehend darüber unter⸗ halten, was denn eigentlich die Verfassung bestimmt, und sind zu einer Einigung darüber nicht gekommen. Ja, meine Herren, wenn man die Ausführungen des Herrn Abg. Barth und die ihm zustimmenden Ausführungen des Herrn Abg. Richter zu Grunde legt, so kommen wir doch zu einer etwas mechanischen Auslegung der Verfassungsbestimmungen und zu einer Auffassung der Verfassungstreue, die man, ich möchte sagen, mit der Elle messen kann. Demgegenüber darf ich darauf hin“ weisen, daß im öffentlichen Leben es gewi sse Imponderabilien giebt, die kein Staatsmann unbeachtet lassen darf, und die auch ein politischer nicht ohne Gefahr außer Acht lassen soll. Der Abg. Richter hat selbst erklärt, daß er auf Volksstimmungen Gewicht legt; nur in diesem Fall will er es nicht. Ich meine, es würde konsequenter ge⸗ wesen sein, wenn er zugegeben hätte, daß auch auf diesem Gebiet mit solchen Imponderabilien zu rechnen sei, sebstverständlich innerhalb des Rahmens der Gesetze. (Sehr richtig! rechts.) Herr Richter bestreitet allerdings, daß solche Auffassungen bestehen. Er scheint zu glauben, es bestehe der Wunsch, daß die freie Advokatur auch gewissermaßen die Brücke zum freien Notariat bilden solle; er scheint zu glauben, daß die allgemeine Meinung dahin gehe, daß bei der Auswahl der Notare keinerlei andere Rücksicht genommen werde als lediglich die auf nachge⸗ wiesene Befähigungung und geschäftliche Zuverlässigkeit. Meine Herren, da gehen eben unsere Meinungen auseinander, und ich kann nur fest— stellen, daß mir eine Beschwerde darüber, daß es nicht genügend jüdische Notare im Lande gebe, noch von keiner Seite entgegengetreten ist. (Heiterkeit rechts.)
Meine Herren, ich finde nichts mehr in meinen Notizen über die Rede des Herrn Abg. Richter, was mir noch Anlaß zu weiteren sach⸗ lichen Erwiderungen geben könnte und werde also abwarten, welche Vorwürfe mir etwa noch gemacht werden. (Bravo! rechts.)
Abg. Werner Cdeutschsoziale Reformp,): Herr Richter kann in seinen Reihen leichter Chinesen finden als bei den Agrariern. Mit den Borern sind wir höchstens insofern zu vergleichen, als wir auf nationalem Boden stehen. Die Antwort des Justiz⸗Ministers auf Herrn Peltasohn's Anfrage hat uns allerdings gefallen. Wir wollen den Minister aber durchaus nicht als zu uns gehörig bezeichnen. Bei Herrn Rickert fälll mir ein altes Studententied ein: Es ist ein schwacher Greis, der sich nicht zu helfen weiß. Wenn unter 800 Rechtsanwälten 600 dem auserwählten Volke angehören, so ist das gerade genug. Die Juden sind lange genug emanzipiert, um zu unserem Volke gehören zu können, sie wollen aber nicht. Herr Rickert möchte, daß die Juden auch ins Offizierkorps kommen. Davor möge uns Gott bebüten? Den Konitzer Prozeß will ich mit vollster Dbsektivitãt behandeln. Der Minister sagt, er wolle nicht dafür ein⸗ sseben, daß im Anfang alle Schritte erschöpfend und energisch genug gethan worden sind. Es ist gerade der größte Fehler, wenn im Anfangetwas berfäumt wird. Wir wollen das Ansehen der Justiz nicht untergraben, sondern gerade zur Aufrechterbaltung beitragen. Gegen die Aeußerung Stadthagen s, daß die Leute in Konitz und Umgegend sich durch besondere
Dummheit auszcichneten, muß man entschieden Protest einlegen. Manche Handlungen des Derrn Landrichters Zimmermann sind aller⸗ dings auf seine Nervosität zurückzuführen, es sind aber auch Nechts. verletzungen vorgekommen. Einige Zeugen bat e mehrere Stunden eingesperrt gehalten, einem Zeugen mit einem Zivilvroseß gedroht: andere Zeugen, die etwas hätten aussagen können, haben sich gar⸗ nicht gemeldet, weil es von ibm hieß, daß die Zeugen ven ihm schlecht behandelt und angeschrien würden. Er war der ungeeignetste
Hört,
Mann. Ginem Jeugen wurde einfach gesagt: das sei Weiber slalsch. Die Hauptbeschwerde muß ich gegen den Staatsanwalt
Settegast richten; ob seine Versetzung nach Umburg a. E. mit dieser Sache in Verbindung steht, weiß ich nicht. Die Yaugsuchungen sind gans oberflächlich vorgenommen worden. Die Levv schen aucher⸗ lammern und Keller sind dabei garnicht offen wehen; ebenso war 3 bei der Üntersuchung in der Synagoge. Die Melitei ist dech sonst nicht fo zurückbaltend. Die höchsten Kreise bis in die Aristokratie binauf sind kerselben Meinung über die Untersuchung. Der Bürgermeister ist am Tage der Entdeckung des Mordes nachgewiesenermaßen im Theater gewesen. Es ist . daß Moritz Leyy mit Winter lange berkebrt bat. Den Untisemiten kommt es gar nicht daruf anz ob ein Ritualmord vorliegt oder nicht, sondern nur darauf, daß der Mord aufgedeckt wird. In der Broschüre des Merrn von Liebermann kemmt lein Wort von Mitualmord vor. Wenn man die jüdischen Jeitungen liest, so femmt é einem, vor, als sei das Janze Judenthum angellagt. Verr Rickert that mir auf- richig leid. Er giebt sich so viel Mühe um die Juden, und sie treten ihn mit Füßen. Levy wobnt in der Nähe des Fumdortes ber Leichentbei'e; es ist festgestellt, daß der Mord in der Nabe der
undstelle escheben sein muß. Es ist bedauerlich, daß big beute noch r Üntersuchung gegen Lenny eingeleitet worden ist. Der Justij⸗ Minister bal alles getban, was er hun konnte. Wir wollen das An— scben der Justi wahren. Der Maler ven Sancsouci batte? Ver. frauen ju den Gerichten. Wir Deutsche boffen auch, datz es bei ung noch deutsche Gerichte giebt.
Justiz⸗Minister Schön stedt: Meine Herren! Ich freue mich, daß auch der Vert Abg. Werner
es unterlassen bat, den ganzen Konitzer Proseß bier jum Gegenstand
ischen Staats⸗Anzeiger.
1901.
der Verhandlung zu machen. Er hat ebenfalls anerkannt, daß es un⸗ möglich sein würde, hier den Prozeß nachzuprüfen, um zu einem ab⸗ schließenden Urtheil zu gelangen.
Ich bin trotz alledem in der Lage, bezüglich einiger Bemerkungen eine Erwiderung eintreten zu lassen auf das, was der Herr Abgeordnete hier gesagt hat, und das bezieht sich auf die Angriffe gegen die mir unterstellten Justizbeamten, auf den Untersuchungsrichter, der in der Sache thätig gewesen ist, nachdem es einmal zur Einleitung einer wirklichen Voruntersuchung gekommen war, und gegen den früheren Ersten Staatsanwalt. Dem Landrichter Zimmermann sind hier Vor⸗ würfe gemacht worden, die in ihrer thatsächlichen Begründung mir absolut unbekannt sind. Er soll eine Zeugin, die er einen ganzen Tag lang vernommen hatte, während der von ihm angeordneten Zwischen⸗ pause eingesperrt haben. Die Thatsache ist mir völlig neu und fremd. Ich möchte doch lebhaft bezweifeln, daß dies in der That begründet
in einen Angeklagten verwandelt hat, gewissermaßen Drohungen aus⸗ gesprochen haben in Bezug auf einen Zivilprozeß, der von ihm geführt wurde. Auch das ist mir völlig unbekannt; auch das möchte ich in Zweifel ziehen. Wenn es richtig sein möchte, was in dem Masloff⸗ Prozesse vorgebracht und dort auch Gegenstand der Beweisaufnahme gewesen ist, daß der Landrichter Zimmermann hier und da etwas nervös geworden, und daß er vielleicht Zeugen angeschrien oder mit lauterer Stimme ange⸗ redet hat, als nöthig war, so wiegt dieser Vorwurf nicht gar zu schwer. Ich glaube, es ist dabei zu berücksichtigen, daß der Landrichter Zimmermann, ein Richter von anerkannter Befähigung, vollständiger Zuverlässigkeit und tadelloser Führung, wochenlang eine rastlose, angestrengte Thätigkeit in dieser Untersuchung zu entwickeln gehabt hat, wobei er vom frühen Morgen bis zum Abend genöthigt war, Vernehmungen vorzunehmen, daß da ein Richter auch etwas nervös werden kann und daß er Zeugen, die vielleicht seine Fragen nicht ver⸗ stehen oder deren Antwort ihm nicht verständlich war, etwas lauter anredet, als es sonst üblich sein mag, das ist doch kein Vorwurf, aus dem irgendwelche weitgehenden Schlüsse gegen die Unbefangenheit, die Zuverlässigkeit des Richters gezogen werden können.
Nun, meine Herren, was den Ersten Staatsanwalt angeht, den ich seinem Wunsche entsprechend nach Limburg versetzt habe, weil er den aller⸗ heftigsten Anfeindungen und Angriffen in Konitz ausgesetzt war, und zwar, wie ich sagen muß, nach meiner Ueberzeugung, insoweit seine gewissenhafte Führung der ganzen Untersuchung in Frage kommt, un⸗ begründeten Angriffen, dessen Stellung dort in der That eine solche war, daß ihm kaum zugemuthet werden konnte, nachdem nun die Ver⸗ handlung zu einem gewissen Abschluß gebracht war, noch länger in dieser Umgebung zu weilen der Erste Staatsanwalt Settegast —, wenn der bei den Haussuchungen das eine oder andere übersehen haben möchte, und wenn die Ortspolizeibeamten, die ihm dort zur Verfügung standen, das eine oder andere übersehen haben möchten, dann ist das menschlich; das kann überall vor⸗ kommen. Aber auch das begründet nicht Vorwürfe in Bezug auf die Tendenz dieses Herrn oder auf seine Geneigtheit, irgend eine Spur nicht zu verfolgen, die sich in der Sache thatsächlich darbot;
das, meine Herren, kann ich nach wie vor behaupten.
Das Vorgehen gegen den Schlächtermeister Hoff mann möchte ich allerdings mit einigen Worten hier noch berühren. Es hat ja viel Aufsehen und unliebsames Aufsehen erregt, daß gegen diesen Mann, der eine sehr geachtete Stellung dort einnimmt, überhaupt vorgegangen ist. Meine Herren, thatsächlich ich sage damit etwas, was all— gemein bekannt ist und was ich deshalb hier sagen darf hat dieses Vorgehen auf einer Auffassung beruht, die bei dem Kriminal kommissar Wehn sich gebildet batte, daß in dem HSoffmann'schen Hause oder dessen Geschäftslolalien die That begangen sein müsse, daß da der Thäter zu suchen sei. Der Kriminalkommissar hatte dafür bestimmte thatsächliche Anhalte, die ich nur eben berühren darf. Einmal liegt das Schlachthaus des Hoffmann in der Nähe des Mönchseeg, wo die Leichentheile gefunden worden sind, und aus dieser Gegend wollten Zeugen zu der Stunde, wo die Tödtung begangen sein muß, Angstschreie und Notbschreie gehort haben. Die Tochter des Schlächtermeisters Hoffmann hatte gewisse, durchaus harmlose Beziehungen zu dem getödteten Winter, die aber von dem Vater nicht gebilligt wurden und die, nach Zeugenaussagen, den Vater schon ein⸗ mal veranlaßt batten, Drohungen auszusprechen, die vielleicht auch nicht ernst gemeint waren. Hoffmann gehörte zu den Schlachtern des Orts, gegen die in der Allgemeinheit sich zunächst der Verdacht richtete, daß sie die That begangen baben möchten, allein begangen haben könnten. Das waren die wesentlichen Momente, die für diesen Kriminal lommissar bestimmend waren zu der Auffassung, die er mit großer Bestimmtbeit vertreten bat, in dem Hoffmann'schen Hause sei die Spur des Verbrechens zu suchen.
Meine Herren, ich kann auch das sagen, daß die Staatganwaltschaft jn keinem Stadium des Verfahrens die Ueberzeugung getheilt hat, daß die Annahmen des Kriminalkommissars richtig, daß sie begründet seien. Aber, meine Herren, die Staatzanwaltschaft bat sich nicht für berech- tigt gehalten, bier dem geschulten Kriminalkommissar in den
Arm zu fallen und zu sagen: Diese Spur darf nicht weiter verfolgt werden, du bist auf dem Irrwege, da bast du nichts zu suchen. Ich glaube, daß die Staatsanwaltschaft
sich mit einer schweren Verantwortlichkeit belastet haben würde, wenn sie das unter den vorliegenden Umständen gethan hätte. Sie würde dem Vorwurf nicht entgangen sein, daß, wenn, wie es big jetzt leider der Fall ist, die ganze Untersuchung resultatlos blieb, daß ibr dann gesagt wurde sie babe die Resultatlosigkeit mit verschuldet, well sie den vom Krminalkommissar bezeichneten Weg nicht weiter verfolgt babe.
Nun, meine Herren, zu einer Verhaftung des Hoffmann ist es aberbaupt nicht gekommen; er ist vollständig auf freiem Fuße ge blieben. Gg ist nur, zugleich in seinem eigenen Interesse, eine förmliche Voruntersuchung eingeleitet worden, und ich glaube, daß der
Schl ächtermelster Hoffmann dafür den Justijbeborden dankbar ge-
ist. Er soll ferner gegen einen Zeugen Masloff, der später sich
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