1901 / 54 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 04 Mar 1901 18:00:01 GMT) scan diff

*

.

Se, , n.

ar, ,.

23

.

amm 26 , , . . *

.

Das gilt in erster Linie bei der Auswahl der Geistlichen. Die Bischöse wissen am besten, in welchen Orten ein Geistlicher eine segensreiche Wirksamkeit ausüben kann. Man hat seiner Zeit den naiven Ausspruch gethan, die Anzeigepflicht beim Ober Präsidenten sei nur die Abgabe seiner Visitenkarte. Das ist ein Irrthum; denn die Anzeigepflicht ist mit einem Einspruchsrecht verbunden. Der Staat hat von diesem Einspruchsrecht keinen Vortheil gehabt. Es ist aber in seiner Hand eine sehr, gefährliche Waffe. Ueberall sehen wir ein Mißtrauen gegen die Einrichtungen der katholischen Kirche, am meisten gegenüber den Orden. Sagen Sie doch, was die Orden Böses gethan haben! Daß einzelne Ordens⸗ glieder Fehler gemacht haben, wird nicht bestritten. Wir sind alle schwache Menschen, aber gerade die Qrdensangehörigen streben nach Vollkommenheit. Die alkkatholische Frage ist für unsz so gering die Zahl der Altkatholiken auch ist, insofern nicht ohne Bedeutung, als die Staatsregierung immer noch von der irrigen Annahme ausgeht, als seien dieselben immer noch Angehörige der großen allgemeinen katho⸗ lischen Kirche. Die Altkatholiken müssen als eine besondere Kirchen⸗ gemeinschaft behandelt werden. Das Institut der Kreis⸗Schulinspektoren ist stets gegen die katholische Kirche als Waffe benutzt worden. Es würden Ihnen die Haare zu Berge stehen, wenn Sie erführen, wie die Geistlichkeit systematisch von den Kreis⸗Schulinspektionen aus⸗ eschlossen wird. Ich erinnere nur an die Bezirke Aachen und Trier.

ie Kirchhofsfrage für einzelne Gemeinden und Vereine ist immer noch nicht geordnet, obgleich dieselbe von meinem Freunde Eynatten wiederholt zur Sprache gebracht worden ist. Der 3 der auch den, polnischen Unterricht in der Provinz Posen berührt, spricht schließlich die Hoffnung aus, daß den Katholiken gegenüber bald all⸗ gemein Recht und Gerechtigkeit geübt werde.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Studt:

Meine Herren, es ist das unbestrittene Recht jedes Mitgliedes dieses hohen Hauses, an der Handlungsweise des verantwortlichen Ministers eine beliebige Kritik zu üben. Ich bestreite auch dem Herrn Abg. Dauzenberg keineswegs dieses Recht. Aber ich habe dieser von ihm geübten Kritik entgegenzuhalten, daß meine ganze bisherige Amts— führung wohl den Verdacht nicht rechtfertigt, daß ich katholische Inter— essen einseitig vernachlässige, daß ich mit kühlem Herzen“, wenn ich die. Worte richtig verstanden habe, den berechtigten Ansprüchen der katholischen Kirche gegenüberstehe. Ich weise einen derartigen, so all⸗ gemeinen Vorwurf, wie er von dem Herrn Abg. Dauzenberg zu Anfang feiner Ausführungen ausgesprochen worden ist, mit aller Entschieden⸗ heit zurück. Die Zeit meiner Amtsführung ist noch eine kurze; ich habe trotzdem schon wiederholt Beweise davon gegeben, daß ich da, wo ich die Ueberzeugung gewinne, daß rechtlich begründete Ansprüche vorliegen, denselben auch in vollem Umfange Folge gebe. Diese Beweise werden auch in Zukunft nicht ausbleiben, und ich bitte, die Versicherung entgegenzunehmen, daß ich ohne Ansehen der Person und ohne Voreingenommenheit, sine ira et studio, mich nach wie vor der Aufgabe widmen werde, das Gute da, wo ich es finde und erkannt habe, zu fördern, berechtigten Ansprüchen gerecht zu werden und keinen Finger breit von dem Pfade des Rechts abzuweichen. Das ist mein Programm. Dieses Programm wird inne gehalten werden, und ich glaube nicht, daß dabei die begründeten Interessen der katholischen Kirche zu kurz kommen werden.

Meine Herren, der Herr Abgeordnete hat für seine Kritik einige Beweise zu erbringen versucht, die in ihrer allgemeinen Bedeutung hier näher zu erörtern, ich mir heute versagen muß. Was namentlich den Fall der Kommunalisierung der Volksschulen in Samm anbetrifft, so wird sich bei der Besprechung des Antrags des Herrn Abg. Im Walle ja noch Gelegenheit bieten, die Angelegenheit ausreichend zu erörtern. Ebenso steht es mit der Forderung für die Altkatholiken, mit der von dem Herrn Abgeordneten angeschnittenen Frage der Kreis⸗-Schulinspektion und der sogenannten rheinischen Kirchhofsfrage. Bei allen diesen Punkten, die voraussichtlich noch in Form von be⸗ sonderen Anträgen oder Erörterungen bei dem betreffenden Titel zur Sprache kommen werden, behalte ich mir meine eingehenden Er⸗ klärungen vor.

Ich bin nur genöthigt, auf eine unrichtige und irrthümliche Dar⸗ stellung des Posener Falls zurückzukommen. Die Verordnung bezüg⸗ lich der Einführung der deutschen Sprache bei dem katholischen Religionsunterricht in der Ober⸗ und Mittelstufe der katholi⸗ schen Volksschulen der Stadt Posen habe ich nicht er⸗ lassen. Ich habe dies damals ausdrücklich den Ausführungen des Herrn Abg. Dr. von Jazdzewẽki gegenüber erklärt und habe hinzu— gefügt, daß die Regierung in Posen aus Anlaß des Gesetzes vom 31. März vorigen Jahres über die veränderte Gemeindebezirksein⸗ theilung der Stadt Posen genöthigt war, eine einheitliche Regelung dieser Frage für die bisherigen Vorortgemeinden und die Stadt Posen herbeizuführen, daß die Regierung kraft einer mit Allerböchster Genehmigung vor etwa 30 Jahren erlassenen und seit der Zeit in steter Uebung befindlichen Ober⸗Präsidialverordnung befugt war, aus eigener Entschließung diese Anordnung zu treffen, und daß ich nur in

Anbetracht der besonderen Bedeutung dieses Falles und nach ein⸗ gehender Prüfung desselben mein Einverständniß mit diesem Vorgehen der Regierung erklärt habe.

Daß die Regierung bei ihrem Vorgehen den Herrn Erzbischof nicht gehört hat, beruht einfach darauf, daß ein derartiges Anhören in dieser Ober-Präsidialverordnung nicht vorgeschrieben ist und auch bei gleichartigen Fällen in langjähriger Uebung nicht stattgefunden hat.

Ich habe im übrigen nachher, als der Herr Erzbischof an mich

die Bitte richtete, ihm den Wortlaut der Verfügung mitzutheilen, den Herrn Ober ⸗Präsidenten ersucht, nicht bloß diesen Wortlaut mit⸗ zutheilen, sondern auch die Gründe dieser Maßnahme anzuZgeben. Ich bin also weiter gegangen, als der Herr Erzbischof in seinem ersten Schreiben an mich verlangt hatte.

Nun, meine Herren, ist der Herr Abgeordnete auch auf allgemeine Petita gekommen, die er für eine anderweite Regelung des Verhalt— nisses der katholischen Kirche zum preußischen Staat aufstellt, z. B. die Beseitigung der Anzeigepflicht, jedes staatlichen Einflusses auf die Bischofswahlen u. s. w. Meine Herren, er berührt damit ein Gebiet, welches auf Verträgen und Kompromissen beruht, die zwischen den obersten kirchlichen katholischen Behörden und der preußischen Staats regierung seinerzeit geschlossen worden sind. Ich bestreite nicht die Legitimation des Herrn Abgeordneten, diese Punkte zu berühren und die Beseitigung des vereinbarten Verfahrens zu fordern; ich bezweifle aber seine besondere Legitimation dazu, mit Vorschlägen auf einem Gebiet her vorzutreten, welches, wie gesagt, auf Abmachungen zwischen den obersten katholischen kirchlichen Behörden und der Königlichen Staatsregierung beruht.

Der Hert Abgeordnete hat an mich einen Appell gerichtet, der, wie ich glaube, schon durch die zu Eingang meiner Ausführungen gegebene Versicherung beantwortet ist. Wenn gesetzgeberische Auf⸗ gaben an mich herantreten, so werde ich mit vollem Ernste

könne man nicht die richtige religiöse Stimmung und Sammlung baben.

und mit vollem Interesse mich gern so weit, wie meine Kraft reicht, der Lösung derselben widmen.

Dann ist der Herr Abgeordnete noch auf die Ordensangelegenheit gekommen. Er hat dabei unerwähnt gelassen, in welcher außer⸗ ordentlichen Weise sich das Ordenswesen innerhalb der preußischen Monarchie bereits entwickelt hat. Ich kann in dieser Beziehung mit folgenden Zahlen dienen. Im Jahre 1872773, also vor der Ordens⸗ gesetzgebung, hat die Zahl der katholischen Ordensniederlassungen gI4 betragen, zu Beginn des Jahres 1900 dagegen 1594. (Hört, hört! Die Zahl der Ordensmitglieder ist von 1872, wo sie S795 betrug, auf 20 898 im Jahre 1899 gestiegen (hört, hörth und wird jetzt die runde Zahl von 22000 erreicht haben. (Hört, hört Im Jahre 1900, also schon während meiner amtlichen Thätigkeit, sind a neue Ordensniederlassungen genehmigt worden und 54 neue Nebenthätigkeiten von bereits bestehenden Ordensnieder⸗ lassungen. Mit der Frage der Orden in einem gewissen Zusammen⸗ hange steht die der ertheilten Dispense. Ich bin in der Lage, Ihnen mitzutheilen, daß in den letzten fünf Jahren von den beantragten 9g3 Dispensationen von den gesetzlich vorgeschriebenen Vorbedingungen für die Anstellung der katholischen Geistlichen 88 genehmigt worden sind. Dies ist auch ein Beweis für ein außerordentlich großes Ent⸗ gegenkommen.

Meine Herren, gestatten Sie mir noch, auf die allgemeine Situation der katholischen Kirche zurückzukommen, wie sie von dem Herrn Abg. Dauzenberg vorhin geschildert worden ist. Wenn Sie die katholische Presse genau verfolgen, so werden Sie aus den Mittheilungen derselben also aus authentischen und ganz zweifellosen Quellen, die die Sache keineswegs in schönfärberischer Weise darstellen werden auch im vergangenen Jahre die Ueber⸗ zeugung gewonnen haben, wie enorm die kraftvolle Entwickelung der katholischen Kirche nach innen und auch nach außen vorgeschritten ist. Es entspricht dies dem Entwickelungsgange der letzten Dezennien. Die katholische Kirche hat sich im preußischen Staate in ihrer Organisation ganz außerordentlich gestärkt in der Heranziehung des Laienelementes auf allen möglichen Gebieten und in dem beinahe unbegrenzten Einflusse, den maßgebende politische Persönlichkeiten im Verein mit hervorragenden Geistlichen auf die Organisation des Vereinslebens, auf die politischen Wahlen und auf das gesammte kirchliche Leben üben. Nun, glaube ich, ist diese Entwickelung eine derartig günstige, daß daraus wohl der Schluß gezogen werden kann, daß innerhalb des preußischen Staates die katholische Kirche sich einer kräftigen, gedeihlichen und nicht durch die Behörde willkürlich beeinträchtigten Entwickelung erfreut, ein Zustand, der sich namentlich auch geltend macht in vielen äußeren Erscheinungen. Ich brauche nur an das großartige öffentliche Auftreten ihrer gesammten Vereinsorganisation, an die in großem Umfange veranstalteten Wall⸗ fahrten, an die Prozessionen zu erinnern, die von katholischen Blättern selbst als eine triumphierende Kundgebung der katholischen Kirche be⸗ zeichnet werden.

Ich stehe derartigen Vorgängen völlig neidlos und vorurtheilslos gegenüber und konstatiere diese Thatsache nur im Gegensatz zu den Zuständen, die in zahlreichen katholischen Ländern Europas herrschen. Sie mögen daraus den Beweis entnehmen, daß diese außerordentlich kraftvolle Entwickelung der katholischen Kirche in keiner Weise seitens der Behörden eine absichtliche Hinderung erfährt, und wenn der, allerdings nicht mit Beweisen unterstützte und deshalb einstweilen nicht kontrolierbare Vorwurf erhoben worden ist, daß seitens einzelner

O

unteren Organe, wie das namentlich gestern erwähnt worden ist, in chikanöser und rücksichtsloser Weise gewisse Bestimmungen geübt würden, so kann ich nur die Versicherung wiederholen, daß, wo der⸗ artige Beschwerden auf instanzenmäßigem Wege an mich herantreten und sich als begründet erweisen sollten, entschiedene Remedur eintreten wird. (Bravo! bei den Nationalliberalen.)

Abg. Stvchel (Pole) bringt das Vorgehen der Behörden gegen die polnischen Privatlehrer in Posen zur Sprache. Die volnische Be⸗ pölkerung werde nie und nimmer glauben, daß die Behörden ein Recht haben, Damen, welche aus Aufapferung und Nächstenliebe Kindern polnischen Unterricht ertheilen, mit Haft zu bestrafen. Nach diesem Verhalten der Regierung hätte man kein Recht mehr, über kultur⸗ widrige Auswüchse fremder Länder den Stab zu brechen. Wie man die Toleranz verftehe, gehe daraus hervor, daß ein Kreis⸗ Schulinfpeftor einem polnischen Kinde auch den Beicht⸗ und Kommunlonsunterricht in deutscher Sprache habe ertheilen lassen, trotz des Widerspruchs der Angehörigen, weil angenammen worden sei, daß das Kind in Hamburg deutsch geworden sei. Durch solche Maßregeln werde die Bevölkerung erbittert und der beabsichtigte Zweck verfehlt. Die polnische Bevölkerung werde erst recht an ihrer Sprache fest⸗ balten. Die polnischen Lehrer hätten unter dem Despotismus der Kreis ⸗Schulinspektoren zu leiden. Der Redner beschwert sich sodann über die Ausführung des Vertrags, durch den die Stadt Posen die Volksschulen der Vororte Posens übernommen hat. Der Schuh werde nicht dem Fuße, sondern der Fuß dem Schabe ange. paßt. Bei der Eingemeindung der Vororte sei die Anordnung der Regierung, daß auf der Sberstufe der Schulen der Religions unterricht in deutscher Sprache zu ertheilen sei, auch auf diese Schulen ausgedehnt worden. Vorstellungen dagegen hätten ee , Erfolg gehabt. Die Bevölkerung könne sich nur noch Wriauf be⸗ schränken, dagegen zu protestieren. Es werde vielleicht die Jeit kommen, da die Regierung diesen Schritt, bedauern wende, Man habe eingewendet, der Religionsunterricht sei eine gute Gelegenheit für die Kinder, Deutsch zu lernen. Dazu gebe es andere Gelegen heiten, dazu brauche man den Religionsunterricht nicht zu mißbrauchen. Jeder Pole sei überzeugt, daß alle Religionskenntnisse in einer fremden Sxrache mindemerthig seien, daß auch jede Stimmung beim Gebet n fremder Sprache minderwertbig sei. In einer fremden Sprache

Ke gewinne den Anfchein, als ob man oben die lathealische Ken— ßen und die katholischen Lehrer für minderwerthig halte. Die Schul- und die Lokal behörde mischten sich zu Unrecht darin ein, in welcher Sprache die Kinder bei der Beichte und der Kommunion reden sollen. Das zu bestimmen, sei Sache des Pfarrers und der Eltern. Der Redner bestreliet, daß die deutschen Raiboliken in den polnischen Tandestheilen poloniflert würden. Es sei unwahr, daß die deutschen Ratbollken von den polnischen Pfarrern zurückgesetzt würden. Zu beklagen hätten sich lediglich die Polen, denen die alten Versprechungen nicht gehalten würden.

Abg. Sieg (nl): Wir im Osten können ohne Königliche Kreis⸗ Schul inspeftion überbaupt nicht austemmen; win bitten, die Zahl der Inspektoren zu erhöhen, Auf alle Klagen des Vorredners einzugehen, dabe ich keine Veranlassung. Die volnischen Kinder machen in der Schule Fortschritte. Sie stehen auf einer viel höheren Kultur, ssufe als galizisch-⸗olnische Kinder, die zu uns berüberkommen; diese sind schlecht gekleidet und genährt. und können nicht lesen und schreiben. Die Klagen über Zurücksetzung der deutschen Katholiken durch polnische Pfarrer sind etwas berstummt, weil Lie deutschen Kathollken sich zu Vereinen zusammengethan und ihre Rechte durch,

noch weniger ist die Behauptung richtig, daß man im Osten den Versuch mache, Katholiken zu protestantisieren. Es fällt uns absolut nicht ein, einem Polen seinen Glau zu nehmen, im Gegen⸗ thell, wir freuen uns ihrer Glaubensfreudigkeit. Der ganze Haß richtet sich gegen die Ansiedelungs⸗Kommifssion. Wir wollen eben nicht die Zeit der Bamberger wiederkehren sehen. Ich habe nur noch eine Bitte an den Minister. In Briesen besteht eine höhere Schule, welche die Berechtigung zum Einjährigendienst zu ertheilen befugt ist. Die Kosten sind sehr groß, es handelt sich hier um die Förderung deutscher Interessen, und der Minister würde sich ein Verdienst er⸗ werben, wenn er beim Finanz⸗Minister es durchsetzte, daß die Kosten auf den Staat übernommen würden.

Abg. Graf zu Limburg Stirum (kons.): Ich will mich auf eine theoretische und formelle Erörterung nicht einlassen, denn sie kann nur zu unerfreulichen Dingen führen. Die Entwickelung in den letzten Jahren hat dahin geführt, daß man sagen kann, die katholische Kirche erfreut sich bei uns in Deutschland einer so freien Entwickelung wie in nur wenigen anderen Ländern. Sie ist freier als selbst in vielen katholischen Ländern. Es ist ja bekannt, daß in katholischen Ländern die Kirche als solche nicht die Freiheit hat, die sie theoretisch beanspruchen muß. Der Weg, den wir bisher gan sind und weiter gehen werden, ist der, daß wir einzelne Beschwerden wohlwollend Prüfen und, wenn möglich, darin entgegenkommen werden. Ganz die Wünsche der Katholiken zu befriedigen, wird schwer sein. Wenn wir auf diesem Wege fortschreiten, werden wir zu dem befriedigenden Zustand gelangen, in anderen politischen Fragen mit den Katholiken zusammengehen zu können. Daß wir in den letzten Jahrzehnten mit unseren katho—⸗ lischen Landsleuten in ersprießlicher Weise in den großen politischen Beziehungen des Staates zusammenwirken konnten und bei ihnen diefelben patriotischen Auffassungen gefunden haben, die bei uns bestehen, wird es uns erleichtern, ihnen, in kirchenpolitischen Dingen entgegenzukommen. Anders stehen die Dinge bei den Wünschen der polnischen Herren. Da haben wir es zu unserem großen Bedauern nicht mit Katholiken zu thun, die mit uns dieselben politischen Ziele haben, sondern mit einer Nationalität, die für ihre Nation einen eigenen politischen Ausdruck sucht. Aus den Ausführungen des polnischen Redners ersehen wir, wieder, daß die Identifi⸗ zierung der katholischen Kirche mit der polnischen Nationa⸗ lität den Polen in Fleis und Blut übergegangen ist. Die Ausführungen des polnischen Redners erinnerten mich in der äußeren Form an die Aeußerungen des früheren Abg. von Stablewski, wenn ich ihnen auch sachlich nicht denselben Ber zugestehen kann. Aus seiner Rede entnehme ich wiederum Andeutungen, daß es im Gefühl der Polen liegt, daß polnisch und katholisch identisch ist. Diese Begriffe werden immer wieder verwechselt. Es kommt oft vor, daß, wenn man den Polen fragt: Bist Du protestantisch? er ankwortet: Nein, ich bin polnisch. Die alte Anekdote, daß ein pol⸗

nischer Knabe ein Gebet in deutscher Sprache aufgesagt, in polnischer

aber gebetet habe, ist kein Wunder, wenn, man den Kindern immer wieder das Deutsche als minderwerthig hinstellt. Das ist nicht die Schuld der Deutschen, sondern derjenigen, die den Kindern so etwas beibringen. In Posen besteht für die Katholiken der Bonifacius⸗ verein. Wenn die Polen trotzdem einen besonderen Joseph⸗ verein gegründet haben, so beweist das, daß sie sich isolieren wollen.

Es wird immer unterschieden zwischen katholischem und deutschem

Glauben. Dem polnischen Vorredner selbst ist an einer Stelle das Wort entschlüpft, es frage sich, ob deutscher oder katholischer Glaube gelehrt werden solle. Alles das macht es den Deutschen so schwer, den Polen gerecht zu werden, weil sie deutsch mit protestantisch und polnisch mit katholisch immerfort identifizieren. Der polnische Redner felt es als eine große Gemeinheit hin, daß ein deutscher Katholik sich beim Ostmarkenverein darüber beschwert hat, daß der re rer ihn nicht deutsch habe pastorieren wollen. Ist der Sstmarkenverein eine katholische Institution an sich? Nein, es sft eine deutsche Institution; warum soll also ein deutscher Katholik bei diesem Verein Beschwerden nicht anbringen? Als es sich in einem Falle darum handelte, deutsche Kathg⸗ siken zu pastorieren, sagte der Pastor: Sie verstehen ja au Polnisch. Das sst also doch ein Widerspruch, wenn die Polen verlangen, daß söre Kinder in der Muttersprache Religionsunterricht erhalten. Was den Polen billig ist, sollte doch den deutschen Kat oliken recht sein. Ich meine, daß den polnischen Kindern Religionsunterricht in der deutschen Sprache nicht gegeben werden soll, wenn sie nicht in der Lage sind, ihn zu verstehen. Sie müssen aber so weit im Deutschen gebildet werden, daß sie den Religionsunterricht deutsch verstehen; dann sehe ich kein Uebel darin, daß der Religiensunterricht in der deutschen Sprache ertheilt wird, denn die deutsche Sprache ist min⸗ destens der polnischen gleichwerthig. Die Polen müssen Deutsch lernen, um im ganzen Lande durchzukommen. Es ist also eine natũrliche Pflicht der preußischen Schulverwaltung, die polnischen Kinder Deutsch lernen zu laßen. Der polnische Redner vindiziert sich die Berechtigung der polnischen Agitation daraus, daß den Polen die Garantien und Ver⸗ fprechungen. nicht gehalten. seien, und er bat sich in refpettwidrigen Ausdrücken hinsichtlich der Versprechungen der preußischen Könlge bewegt. Die polnische Nation ist in der lovalsten Weise in den preußischen Staatsverband eingeführt worden. Was haben wir aber erlebt? Große Insurrektionen und Aufstände? nd danach wollen Sie (zu den Polen) noch prätendieren, daß die Ver sicherungen der Loyalität, die Sie den preußischen Königen gegeben haben, gehalten seien? Wir können mit großem Bedauern den Rampf nicht unterlassen, den Sie uns aufdrängen, um Deutschland zu schützen gegen die Bestrebungen, die schließlich darauf hinaus. geben, wenn es dazu kommt, die volnischen Landesiheile vom Staat leszulõsen. .

Vb -Präfident Freiherr von Heerem an. verliest nach dem amt⸗ lichen Stenognamm eine von ihm nicht verstandene Aeußerung des Abg. Stychel, die auf der Tribüne auch nicht zu verstehen gewesen ist, und bezeichnet dieselbe als unzulässig. .

Abg. Kreitling (Fr. Volksp.) beschwert sich über das Ver⸗ balten des Provinzial -Schulkollegiums bei der Versetzung eines Berliner Rektors und über die Kertrannng der Ditz iplinargewalt don der Schuldeputation auf die Kreis-Schulinspeltion,

Minssterial Direktor Dr. Kügler kennt diesen Fall nicht und kann sich darüber nicht außern. Die Schuldeputation habe überhaupt kein Recht, Disziplinarstrafen zu erlassen. ; aa

Abg. Dr. Barth (fr. Vgg. bringt den Fall des Pfarrers Krösell in Klorin zur Sprache. Dieser Pfarrer babe sich die ufgabe gestellt, binter die' Gebeimniffe des Konltzer Merdes zu kemmen. Er. habe in Vorträgen die Bevölkerung von Westpreußen über die Resultate feiner Forschungen unterrichten wollen, und zwar in dem Sinne daß es sich in Konitz um einen Ritualmerd bandle, und er habe für seinen Zweck sogar Schulräume benutzt. In einem Falle, führt der Redner aus, ist der Vortrag von einem Stenographen aufgenommen, dessen Namen ich zur Verfügung stelle. In dem betreffenden Schullokal in Briejen war sogar eine Zwischenwand herausgenommen. In dem Vortrage heißt es u. a.. Man müsse zu dem Schluß kommen, daß der Mord nur vollzogen worden ist, um das Blut des Ermordeten zu erhalten. ‚Der Jude ist i tn heißt es dann wörtlich, vor Gericht gegen einen Christen falsch zu schwören, wenn er einen Juden schützen kann. Er wirft den Richtern ect feit, Einschüchterung der christlichen Zeugen und grobe Fahr lässigkeit vor. Er spricht den Verdacht ziemlich deutlich aus, daß die Juden ein paar unbequeme Zeugen au die Seite gebracht hätten, z. B. die Jenny Mever. In einer Pause ließ der Pfarrer das Lied In einem kühlen Grunde“ singen. Sie werden mir zugeben,

daß sich bier um einen geradezu standalssen Mißbrauch, des Amt als Pastor handelt. Auch in der Schulstube muß ich der Pastor seimes Amts würdig zeigen und nicht der unglücklichen Judenhetze neue Nahrung geben. Er hat gegen seine Amtspflichten aufs Grõblichste verstoßen Ich stelle das Stenogramm dem Kultus. Minister zur Ver⸗ fügung. Ich zweifle nicht, daß er meine Anschauung über das Ungebörige bes Verfahrens des Pfarrers theilt. Der Vorstand der Synagogen gemeinde hat sich beschwerdeführend an das , . gewendet. Piefes hat gesagt: Der Pfarrer Krösell habe bestrltten, daß er das

gefetzt baben. Bei jeder Wabl beißt es: . vaßt auf. euch soll der Glaube genommen werden! Davon kann gar keine Rede sein,

Kirtbeil des Konitzer Gerichts kritisiert und auftelzend gesprochen habe.

Das soll nicht aufreizend gewesen sein? Krösell hat selbst seine Rede danach eingerichtet, daß ein Stenograph anwesend war. Wie mag er da nun bei anderen elegenheiten gesprochen haben! Das Konfistorium hat am Schluß geantwortet: Wegen der Rücksicht, die der Pfarrer Krösell seinem Amte schuldig ist, ist ihm das Nöthige eröffnet worden. Man kann diese unerhörte Heßze in einer Schul stube nicht ungerügt lassen. Muß das Volk nicht glauben, daß es fich um einen höheren Auftrag gehandelt hahe, um eine Erziehungs⸗ kampagne mit Unterstützung der Regierung? Der Redner beschwert ich dann über eine Verfügung, durch welche die Stadt Kiel zu einer Neuordnung der k der Lehrer an den Mittel⸗ schulen aufgefordert worden ist, die in der kürzesten Zeit zu erfolgen habe, unter der Androhung, daß das Forthestehen der Mittelschulen von der Durchführung dieser Maßregel abhängig sei. Zu dieser Drohung fehle es an jeder gesetzlichen Unterlage.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Studt:

Meine Herren! Dem Herrn Vorredner scheint es nicht bekannt zu sein, daß die Disziplin über die evangelischen Geistlichen der älteren Provinzen der Monarchie nicht dem Kultus⸗-Minister, sondern in erster Instanz dem Konsistorium und in oberster Instanz dem Evangelischen Oberkirchenrath zusteht. Soweit die disziplinare Seite des von dem Herrn Vorredner bezeichneten Falles in Betracht kommt, würde daher, wenn die Maßnahmen des Konsistoriums nicht befriedigen, die Be⸗ schwerde an den Evangelischen Oberkirchenrath zu richten sein.

Soweit das diesseitige Ressort in Betracht kommt, handelt es sich nur um Benutzung von Schulräumen zu dem von dem Herrn Vorredner angeführten Vortrage. Sobald der zuständige Regierungs—⸗ Präsident davon Kenntniß bekam, daß zu solchen Vorträgen Schul⸗ zimmer benutzt werden, hat er durch Vermittelung des Landraths die weitere Benutzung der Schule zu derartigen Zwecken für die Zu⸗ kunft untersagen lassen. Damit ist die Sache für mein Ressort er⸗ ledigt; ein Einschreiten der Zentralinstanz war nicht erforderlich.

Was die Verhandlungen mit der Stadt Kiel in Bezug auf die Festsetzung der Gehälter der Lehrer an den mittleren Schulen betrifft, so liegt die Sache so, daß nach Maßgabe der zwischen der Unterrichts— Kommission des hohen Hauses und der Staatsregierung im vorigen Jahre vereinbarten Grundsätze für die Besoldungen der Mittelschullehrer von der Regierung in Schleswig auch an die Stadt Kiel neue An⸗ forderungen gestellt worden sind. Es ist allerdings hierbei anfangs verlangt worden, daß über die Bewilligung dieser erhöhten Gehalts— sätze in ziemlich kurzer Frist Beschluß gefaßt werden sollte. Die Drohung einer sofortigen Auflösung der betreffenden Schulen sollte nach den Intentionen der Zentralinstanz nur dann ausgesprochen werden, wenn kein anderes Mittel übrig bliebe, die erforderlichen Gehaltsmindestsätze durchzuführen. Sie hätte im vorliegenden Falle von der Regierung nicht ausgesprochen werden sollen. Denn es ist nach den neuesten Berichten der Regierung mit Bestimmtheit anzu— nehmen, daß in Kiel, wo für die Hebung des Schulwesens stets eine offene Hand gezeigt ist, eine gütliche Einigung erzielt werden wird, zumal mit meiner Genehmigung von der ursprünglichen For— derung einer sofortigen Einführung der neuen Gehaltssätze Abstand genommen und der 1. April 1801 als der Termin für die neue Be— soldungsordnung bezeichnet worden ist.

Abg. Bu mil ler Gentr) beschwert sich darüber, daß in Hechingen Wei katholischen Pflegeschwestern in einer Küchenanstalt einer jüdischen Firma die Genehmigung versagt wurde, Fabrikarbeitern täglich einen warmen Imbiß zu bereiten. CGvangelischen Diakonissinnen hätte der Minister wahrscheinlich die Erlaubniß ertheilt. Der Minister sei von der falschen Vorausfsetzung ausgegangen, als ob es sich da um eine neue Ordensniederlassüng handle. Er scheine zu glauben, daß eine Ordensniederlassung auch dann vorliege, wenn zwei, katbolische Pflegeschwestern einer jüdischen Küche vorstehen. Der Minister habe in seinem Entscheide gesagt, die katholischen Schwestern dürften nur ihren Glaubensangehbrigen. Verpflegung zu theil werden lassen. Worauf stützt sich dieses Mißtrauen, worauf die stehende Praxis“? Jetzt versehen den Dienst zwei weltliche Köchinnen. Diese können doch nicht dieselbe Ordnung aufrecht erhalten unter den zweifelhaften, mitunter auch sozialdemokrgtischen Elementen wie die karmherzigen Schwestern. Die jüdische Firma habe ein besseres Verständniß für Ordnung und gute Sitte an den Tag gelegt als der Minister mit seinem Entscheide. Habe man kein Gefühl dafür, daß man damit die katholische Bevölkerung Hohenzollerns verletzen müsse?

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Studt:

Meine Herren! In dem von dem Herrn Vorredner zur Sprache gebrachten Falle hat der Unternehmer der betreffenden Fabrik aus— drücklich die Genehmigung zur Errichtung einer Ordensnieder⸗ lassung beantragt und die zuständige geistliche Behörde hat sich mit der Errichtung dieser Ordensniederlassung einverstanden erklärt. Nach den bezüglichen Gesetzesvorschriften ist die hierin liegende Auf⸗ fassung, daß die von Ordensschwestern geleitete Verpflegungsanstalt eine Ordensniederlassung sei, auch zweifellos zutreffend. (Hört! hört! Lachen im Zentrum.) Meine Herren, Sie lachen darüber! Aber dem Wortlaut des Gesetzes vom 21. Mai 1886 Artikel 13 entspricht diese Auffassung, und die preußischen Behörden haben die Pflicht und Schuldigkeit, die Gesetze durchzuführen. Es ist ganz zweifellos, daß im vorliegenden Falle der Begriff der Ordensniederlassung zutrifft; die geistliche Oberbehörde hat auch in dem Wortlaut ihrer Zustimmung die volle Konsequenz aus der betreffenden gesetzlichen Vorschrift ge—⸗ zogen, und die allgemeinen Betrachtungen, die der Herr Vorredner über die Lächerlichkeit eines derartigen Zustandes gegenüber der klaren Gesetzesvorschrift anstellt, können für die Behörde absolut nicht maß⸗ gebend sein.

Bei solchen Gelegenheiten muß selbstverständlich die Bedürfniß⸗ frage geprüft werden; das ist die Pflicht der Behörde, und im vor— liegenden Falle hat deshalb auch eine solche Prüfung stattgefunden.

Der Fall liegt nun in Bezug auf die Religionsbekenntnisse der Betheiligten ganz eigenthümlich infolge eines Umstandes, der für die zuständigen Ressort⸗Minister entscheidend gewesen ist, den der Herr Vorredner aber gar nicht erwähnt hat. Meine Herren, der Antrag auf Genehmigung der Ordensniederlassung ist von einem jüdischen Fabrikunternehmer gestellt worden, der zur Zeit, als dieser Antrag der behördlichen Prüfung unterlag, in seinem Etablissement ungefähr 409 Arbeiter, von denen gegen zwei Drittel evangelisch und ein Drittel katholisch waren, beschäftigte. In diesen konfessionellen Ver— haltnissen lag der maßgebende Grund, weshalb die Behörden sich sagen mußten: in diesem Falle ist es aus Gründen, die jedem, der den Verhältnissen näher steht, ganz klar sein werden, nicht angebracht, zu diesen Zwecken, die ebenso gut von irgend welchen außerhalb eines konfessionellen Verbandes stehenden Personen, also von Köchinnen oder sonstigem Pflegepersonal erfüllt werden können, gerade eine katholische Niederlassung zu gestatten. Mir lag dabei eine einseitige Wahrnehmung von Interessen ganz fern, und ich glaube mich vollständig in Uebereinstimmung zu befinden mit der all⸗

gemeinen Auffassung, die auch von Ihrer (zum Zentrum) Seite sonst vertreten wird, daß es in solchen Fällen nicht richtig ist, eine Art von simultaner Einrichtung zu schaffen, die Sie ja auch sonst grundsätzlich perhorrescieren. Der Fall liegt also insofern besonders, als hier die Zumuthung gestellt wurde, eine Ordensniederlassung da zu gestatten, wo es sich um eine Arbeiterschaft handelte, die bis zu zwei Dritteln evangelisch war.

Ich überlasse dem hohen Hause die Beurtheilung der Frage, ob es unter diesen Verhältnissen begründet ist, das Verfahren der Be— hörde einer solchen Kritik zu unterziehen, wie sie zu üben, sich der Herr Abgeordnete bemüßigt gefunden hat.

Abg. Dr. Barth (fr. Vgg. : Die rein formalistische Antwort des Kultus⸗Ministers auf meine Ausführungen war sehr kühl. Der Minister hätte gegenüber der verhetzenden Thätigkeit sich nicht bloß als Kultus Minister, sondern als Staats- Minister fühlen müssen. Hier handelt es sich um das Interesse nicht bloß der Synggogen⸗ gemeinde, sondern des öffentlichen Friedens, um die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. Bei der kleinsten Verfehlung eines Sozialdemokraten tritt das ganze Ministerium ins Gewehr. Man ewinnt den Eindruck, alz ob der Minister meinte, der Pastor hätte zwar formell nicht recht, aber in der Sache selbst gar nicht so übel gehandelt. Dagegen muß doch Front gemacht werden, solche aufhetzenden Reden müssen in einer Provinz wie West⸗ r hen zu ernsthaften Bedrohungen der Juden an Leib und Leben führen. Ein Gericht hat allerdings die Rede des Grafen Pückler als vmbolisch und mithin nicht gefährlich bezeichnet. Die Leute aber, die Krösell gehört haben, nehmen seine Worte nicht symbolisch, sondern aufs Wort. Die Behörden, die das zulassen, übernehmen eine ge— fährliche Verantwortung.

Darauf wird um 34 Uhr die weitere Berathung bis Montag 11 Uhr vertagt. .

Parlamentarische Nachrichten.

Dem Hause der Abgeordneten ist folgender Ent— wurf eines Gesetzes, betreffend die Abänderung einzelner Bestimmungen des Allgemeinen Berg— gesetzes vom 24. Juni 1865, zugegangen: .

Artikel I. Der § 149 des Allgemeinen Berggesetzes vom 24. Juni 1865 erhält folgende Fassung: g § 149.

Ist der Schaden durch den Betrieb zweier oder mehrerer Berg—⸗ werke gern , so sind die Besitzer dieser Bergwerke als Gesammt⸗ schuldner zur Entschädigung verpflichtet.

Unter sich haften die Besitzer der als Schädiger ermittelten Berg—⸗ werke zu gleichen Theilen. Dabei ist jedoch der Nachweis eines anderen Theilnahmeverhältnisses nicht ausgeschlossen.

; Diese Bestimmungen finden auch dann Anwendung, wenn bei

ihrem Inkrafttreten der Schaden schon verursacht war, die Klage auf

Ersatz des Schadens aber noch nicht erhoben worden ist. ; Artikel II.

An die Stelle des § 214 des Allgemeinen Berggesetzes vom 24. Juni 1865 treten folgende Bestimmungen: j

̃ 3. § 214.

In den linksrheinischen Landestheilen sind die Dachschieferbrüche, die Traßbrüche und die Basaltlavabrüche der polizeilichen Beaufsichti—⸗ gung durch die Bergbehörde unterworfen.

; S 214 a.

Auf alle in § 214 bezeichneten Dachschiefer, Traß⸗ und Basalt⸗ lavabrüche kommen die nachfolgenden Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes zur Anwendung:

IL) aus Titel III Abschnitt 1 „von dem Bergwerkseigenthum im allgemeinen die S5 58 und 59;

2 Titel VI „von den Knappschaftsvereinen“:

3) Titel VIII „von den Bergbehörden“;

4 Titel IX „von der Bergpolizei⸗;

5) aus dem Titel XII „Schlußbestimmungen der 5 242.

63. § 214 b.

Auf die unterirdisch betriebenen Dachschiefer, Traß⸗ und Basalt⸗ lavabrüche (dz 214) kommen außerdem noch zur Anwendung:

Titel III Abschnitt 3 des gegenwärtigen Gesetzes, von den Bergler beamten mit der Maß errichtet sind, die im 5 M2 be kasse jufallen, welcher der Ar r solchen einer anderen zum der Arbeiter an e stehenden, von der Gemeindebehörde zu bestimmenden Kasse und in deren Ermangelung der Ortsarmenkkasse.

. S 2140.

Auf die unterirdisch betriebenen Dachschieferbrüche (5 214) kommen ferner noch zur Anwendung:

l) aus Titel 111 Abschnitt ! von dem Bergwerkseigenthum im allgemeinen“ die 60 bis 63 einschließlich:

2) aus Titel III Abschnitt ? „von dem Betriebe und der Ver— waltung die SS 66 bis 79 einschließlich:

3). Titel V Abschnitt 1 „von der Grundabtretung“, nebst der zugehörigen Uebergangsbestimmung des § 241 mit der Maßgabe, daß die Grundabtretung nur insoweit gefordert werden kann, als die Be— nutzung eines fremden Grundstücks zur Anlage von Wegen, Eisen—⸗ bahnen, Kanälen, Wasserläufen und Hilfsbauen zum Zwecke des Grubenbetriebs und des Absatzes der Bergwerkserzeugnisse noth wendig ist;

4) Titel V Abschnitt 2 „von dem Schadensersatze für Beschädi⸗ gungen des Grundeigenthums“ mit Ausnahme des F 152, insoweit darin von den „Arbeiten der Muther“ die Rede ist.

§ 2144.

Wird ein Dachschiefer⸗, Traß. oder Basaltlavabruch in den links rheinischen Landestheilen von mehreren Personen gemeinschaftlich be⸗ trieben, so finden die Bestimmungen des F 27116 in der Fassung des Gesetzes vom 8. April 1894 (G. S. S. 41) entsprechende An⸗ wendung.

Artikel III.

An die Stelle der in § 805 Absatz 2 Ziffer 3 und in § 80 des Allgemeinen Berggesetzes bestimmten Termine treten für die in S 2146 bezeichneten Betriebe der 1. Januar 1901 und der 1. April 1901.

Das Ober ⸗Bergamt ist ermächtigt, den Inhabern solcher Be⸗ triebe auf Antrag angemessene Fristen, längstens bis zum J. Juli 1902 behufs Herstellung der zur Durchführung der Vorschrift in z 80 k Absatz 1 erforderlichen Einrichtungen zu gewähren.

2. Artikel IV.

Die Bestimmungen in Artikel 1 dieses Gesetzes treten mit dem Tage seiner Verkündigung, die übrigen Bestimmungen desselben am 1. Januar 1902 in Kraft.

Mit der Ausführung dieses Gesetzes wird der Minister für Handel und Gewerbe beauftragt.

Diesem Gesetzentwurf ist nachstehende Begründung bei⸗ gegeben: Neuere Erfahrungen haben das Bedürfniß einer Revision ver. schiedener Bestimmungen des Allgemeinen Berggesetzes vom 24. Juni 1865 (G. S. S. 7055 ergeben. Die dieserhalb eingeleiteten Er⸗ hebungen und Verhandlungen sind zwar noch nicht in allen Be— ziehungen zum Abschlusse gediehen; bezüglich einzelner Bestimmungen des Berggesetzes besteht aber kein Hinderniß mehr, ihrer Ab⸗ änderung im Wege der Gesetzgebung alsbald näher zu treten. Da außerdem in den betbheiligten Interessentenkreisen für die Aenderung

dieser letzteren Bestimmungen ein besonders dringliches Bedäürfniß

. gemacht worden ist, so hat die Staatsregierung sich dahin ent⸗ chieden, von der Einbringung einer entsprechenden Gesetzes vorlage nicht langer abzusehen. z

( 3u Artikel 1 der Vorlage.

Nach 5 149 des Berggesetzes sind die Besitzer zweier oder mehrerer Bergwerke, durch deren Betrieb ein Schaden verursacht wird, , , und zwar zu gleichen Theilen zur Entschädigung verpflichtet. Nur im Verhältniß der Bergwerksbesitzer unter einander ist der Nachweis eines andern Theilnahmeverhältnisses und der Anspruch auf Erstattung des Zuvielgezahlten zugelassen.

Für die Fassung dieser Gesetzesvorschrift ist unzweifelhaft ganz wesentlich die Rücksicht auf das Interesse des Grundbesitzers be⸗ stimmend gewesen. Denn nach den strengen Grundsätzen des Zivil- rechts würde jedes der an dem Schaden ehen, Bergwerke nur für den Theil der Entschädigung in Anspruch genommen werden können, der seinem Antheile an der Beschädigung entspricht. Den Nachweis dieses Antheilsverhältnisses würde nach allgemeinen Grundsätzen der klagende Grundbesitzer zu führen haben und, damit vor eine außerordentlich schwierige, in vielen Fällen kaum lösbare Aufgabe gestellt sein. Zu seinen Gunsten ist daher in § 149 4. a. O. nachgelassen, daß er sich auf den Nach⸗ weis beschränken darf, daß mehrere von ihm zu ermittelnde Bergwerke den Schaden verursacht haben, während jedes der nachweisbar be— theiligten Bergwerke dann ohne weiteres zu einem gleichen Antheile (Kopftheile) für den Schaden haftet. Nach der herrschenden Ansicht schließt aber diese gesetzliche Haftung der mehrern schadigenden Berg— werke zu gleichen Theilen nicht aus, daß der geschädigte Grundbesitzer den einzelnen Mitbeschädiger zu einem größern, als dem der Zahl aller beschädigenden Bergwerke entsprechenden Antheil in Anspruch nimmt; vergl. Brassert, Kommentar zum Allgemeinen Berggesetz, S. 408 Daubenspeck, Haftpflicht, S. 39; doch liegt ihm alsdann selbstver⸗ ständlich der Nachweis der Begründung des von ihm behaupteten anderen Theilnahmeverhältnisses ob.

Ungeachtet der hiernach unverkennbaren Absicht des Gesetzgebers, durch die Fassung des § 149 den Grundbesitz zu begünstigen, hat sich diese Vorschrift in der Praxis gleichwohl als sehr erschwerend für die Verfolgung der Ersatzansprüche des Grundbesitzers aus Bergschäden erwiesen.

Der Fall, daß mehrere Bergwerke an ein und demselben Schaden betheiligt sind, kann namentlich dort leicht vorkommen, wo zahlreiche, dicht neben einander belegene Steinkohlengruben verschiedener Besi zer betrieben werden. . über die Fassung des 31439 sind 2 bis jetzt auch ausschließlich aus dem Rheinisch-Westfälischen Steinkohlen⸗ bezirk (Ruhrkohlenbezirks laut geworden. Die Frage nämlich, welche von mehreren unter einem chene. Grundstücke oder in größerer oder geringerer Nähe desselben bauenden Gruben an dem Schaden be⸗ theiligt sind, bietet häufig sehr große Schwierigkeiten. Nicht immer sind es die unmittelbar unter dem Grundstücke bauenden oder dem Grundstück zunächst belegenen Gruben; namentlich bei der Beschädigung durch Wasserentziehung ist es häufig der Fall, daß der Betrieb einer sehr weit entlegenen Grube nachtheilige Einflüsse äußert, während der Betrieb einer sehr nahe belegenen Grube ohne nachtheilige Folgen geblieben ist. Der Grundbesitzer wird daher von vornherein nur mittels sachverständiger Beihilfe in der Lage sein, diejenigen Gruben, welche muthmaßlich an dem Schaden betheiligt sind, ausfindig zu machen. Aber selbst unter den Sach⸗ verständigen schwanken erfahrungsgemäß die Ansichten über eine solche Mitbetheiligung oft im erheblichsten Maße. Sind aber die gericht. lichen Sachberständigen über die Urheber des Schadens anderer Ansicht als die Sachberständigen, auf deren Gutachten der Grundbeßsitzer seine Klage begründet hat, so wird diese allen oder einzelnen Beklagten m e, abgewiesen, und jedenfalls wird dann der klagende Grund⸗

esitzer mit einem Theile der bei Bergschädenprozessen gewöhnlich sehr erheblichen Gerichtskosten belastet. Erhebt er in solchem Falle gegen die von den gerichtlichen Sachverständigen in dem Vor prozesse festgestellten Schädiger eine neue Klage, so ist er doch nicht sicher, daß nicht in dem neuen Prozeß andere Sach— verständige wieder einer andern Auffassung über die eigentlichen Ur— heber des Schadens zuneigen, was dann zur kostenfälligen Abweisung auch der zweiten Klage führen kann. Selbst in dem für den Kläger noch verhältnißmäßig günstigen Falle, daß seine Klage zwar gegen einen oder mehrere der Beklagten abgewiesen wird, daß die übrigen Be⸗ klagten aber zum Ersatze des vollen Schadens an ihn verurtheilt werden, wird er, wenn von einem verurthellten Bergwerksbesitzer Be— mufung eingelegt wird, durch die Ungewißheit des Ergebnisses der Beweisaufnahme der zweiten Instanz gezwungen, auch seinerseits gegen das Urtheil, insoweit es einzelnen Beklagten gegen— über die Klage abgewiesen hat, Berufung einzulegen, obgleich er durch die Verurtheilung eines oder mehrerer Bergwerke in der ersten Instanz bereits zufriedengestellt ist und im Falle der Bestätigung des Erkennt- nisses erster Instanz ihm die Kosten seiner Berufung unvermeidlich zur Last bleiben müssen. Ferner kann sich der Fall zu Ungunsten des Grundbesitzers auch so gestalten, daß die Beweisaufnahme zwar alle eingeklagten Bergwerke als Schädiger hingestellt, gleichzeitig aber auch die Gewißheit ergeben hat. daß noch andere Bergwerke, deren genaue Zahl nicht festgestellt werden kann, an der Beschädigung betheiligi sind. Mit einem Fall dieser Art ist in neuerer Jeit ein westfälisches Landgericht wiederholt befaßt gewesen. Es ist kaum zweifelhaft, daß bei dieser Sachlage nach dem jetzigen Rechte die Klage abgewiesen werden muß, weil der Kopftheil, der den gesetzlichen Antheil an der Haftpflicht für jeden einzelnen Mitschädiger bildet, nicht festgestellt werden kann, sofern es nicht etwa gelingen sollte, die wirkliche Quote zu, ermitteln, mit der die bekannten Bergwerke an dem Schaden betheiligt sind; dieser Nachweis wird aber in der Regel auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen.

Es läßt sich hiernach nicht verkennen, daß die jetzige Fassung des § 149 geeignet ist, die Möglichkeit der a ne , n, Ersatz ansprüche des Grundbesitzers aus Bergschäden unter Umständen gänz lich auszuschließen, und daß auch im gänstigeren Falle der auf Grund des 5 149 klagende Grundbesitzer, selbst bei umsichtiger und ver ständiger Wahrnehmung seiner Rechte und sorgfältiger Vermeidung jeder Zuvielforderung, der Gefahr der Belastung mit erheblichen Kosten ausgesetzt ist, die unter Umständen den Betrag des einzuklagenden Schadens übersteigen und von der Rechtsverfolgung abschrecken müssen.

Zur Behebung dieser Bedenken sind, namentlich auch in Petitionen, welche aus den Kreisen der rheinisch⸗westfälischen Grund besitzer an den Landtag der Monarchie gelangten, mannigfache Vor schlage gemacht worden.

Zunächst wurde vorgeschlagen, daß der Schadensersatz vom Eigen thümer desjenigen Bergwerks zu leisten sei, dessen Berechtsame sich unter dem beschädigten Grundstücke befindet bezw. dessen Betrieb unter dem beschädigten Grundstücke umgeht, während der Bergwerks— besitzer, der hiernach haftbar sein würde, falls er nicht wirklicher Urheber des Schadens ist, auf den Rückgriff gegen den wirklichen Schädiger verwiesen wurde.

Gegen die Schaffung einer solchen gesetzlichen Vermuthung ist aber mit Gründ eingewendet worden, daß die Nichtschuld des unter dem Grundstück belegenen oder bauenden Bergwerks in zahlreichen Fällen

feststehe. Sowelt daher diese Vermuthung als sog. Praesummptio juris et, de jure gemeint sei, würde sie in vielen Fallen nicht die Findung der materiellen Wahrheit erleichtern,

sondern an deren Stelle eine mit ihr in Widetrspruch stehende formelle Wahrheit setzen. Sofern aber dem Besitzer des unter dem beschãdigten Grundstück belegenen oder bauenden Bergwerks der Gegen beweis seiner Nichtbetheiligung an dem Schaden vorbehalten werden sollte, würde die fragliche Rechtsvermuthung vielfach zu einer Irre führung des Grundbesitzers, also zu einer neuen Belastung dessel ben mit Prozcßkosten führen; vergl. Verhandlungen des Abgeordneten hauses 1879 80, Band 1 Selte 3202.

Ferner ist vorgeschlagen worden, dem Ober Bergamt die Be⸗ kichnmnng derjenigen Bergwerke, deren Betrieb geeignet sei, an der be⸗ treffenden Stelle Schaden zu verursachen, mit der Wirkung zu über lassen, daß die solchergestalt bezeichneten Bergwerke dem Grundbesißzer für den Schaden zu haften haben. Gegen diesen Vorschlag spricht aber namentlich, daß dadurch dem Ober Bergamt, einer Verwaltungsbehörde,

n