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Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasag bemerkt persönlich gegenüber dem Abg. Hackenberg, daß er in der Kommission nicht ge⸗ sagt habe, daß seine Freunde die Angelegenheit im kirchlichen Interesse betrieben, sondern daß er gesagt habe, seine Freunde legten im Schul⸗= interesse Werth darauf, daß aus erzieherischen Gründen der Einfluß der Kirche auf die Schule möglichst gewahrt und erweitert werden müßsse, und daß dazu auch die Wahrnehmung der Schulinspektion im Nebenamte dienlich sei.
Bei der Abstimmung werden außer den von der Kom⸗ mission bewilligten Stellen in Bochum und Charlottenburg auch noch die Stellen in Itzehoe und Recklinghausen bewilligt. 96 diese stimmen auch die Konservativen. Die Stellen in Eschweiler, Pr-⸗Holland und Stutthof werden abgelehnt. Die von der Kommission beantragte Resolution wird gegen die Stimmen der Freikonservativen und der gesammten Linke angenommen. .
Bei den Remunerationen für die Orts⸗Schulinspektion wünscht ;
Abg. Zimmermann ffr. kons) eine Erhöhung dieser Remu— neration wegen der großen Arbeitslast, welche die Lokal⸗Schulinspektion verursache. ;
Abg. Stanke LZentr. glaubt, daß die Klagen wegen Ueber⸗ lastung der Lokal-Schulinspektoren nur für einzelne Fälle begründet sein können, und tritt für die Wahrnehmung der Orts-Schulinspektion durch die Geistlichen ein, besonders in seiner Heimath Oberschlesien. Den katholischen Geistlichen thue man aber die Kränkung an, daß man sie trotz ihrer loyalen Gesinnung nicht zu den Schulvorständen heranziehe. ;
Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Studt:
Meine Herren! Viele von den Beschwerden, die der Herr Ab⸗ geordnete soeben vorgetragen hat, beruhen auf dem Umstande, daß die Regierung nicht sicher sein kann, daß diejenigen Herren, die durch Uebertragung der Ortsschulinspektion sich an der Schulverwaltung und an dem Leben der Schule betheiligen würden, auch voll dem Unterrichtssystem zustimmen, wie es in Oberschlesien seitens der Re⸗ gierung eingeführt worden ist, und bereit sein würden, im Sinne des⸗ selben zu wirken. Wenn dies der Fall wäre, würden doch wohl zahl⸗ reiche Anträge seitens der betheiligten Geistlichen um Uebertragung der Schulinspektion eingehen. Der Zentralinstanz liegen aber derartige Anträge nicht vor. Ich bin nicht in der Lage, dem Herrn Vorredner Aenderungen in dem bisherigen Verhalten der Behörden in Aussicht zu stellen, bevor nicht der von mir angedeutete Zweifel beseitigt ist. Abg. Szm la Gentr.) schließt sich den Ausführungen des Abg. Stanke an.
deu eingestellt ist eine Forderung von 50 900 S6 zu Ent— schädigungen an Orts-Schulinspektoren für die Theilnahme an amtlichen Kreiskonferenzen. Berichterstatter Abg Winckler spricht seine Befriedigung dar⸗ über aus, daß die Unterrichtsverwaltung durch Neueinstellung dieses Titels den mehrfachen Anregungen aus dem Hause nachgekommen sei,
und befürwortet die Bewilligung dieser Forderung.
Das Haus beschließt demgemäß.
Bei dem Titel „Höhere Mädchenschulen“ theilt . Berxichterstatter Abg. Winckler mit, in der Kommission sei von
einem . gewünscht worden, daß die akademisch gebildeten Lehrer der höheren Mädchenschulen den Normal-⸗Etat erhalten möchten. Die Unterrichtsverwaltung habe darauf erwidert, hierüber schwebten Verhandlungen mit der Finanzverwaltung, und es sei zu erwarten, daß der nächste Etat die Mittel hierfür bringen werde.
Abg. Ernst (fr. Volksp.) wünscht, daß die Verhandlungen mit
der Finanzverwaltung bald zum Abschluß kommen möchten, welchem Wunsch
Abg. von Knapp (nl.) sich anschließt.
Geheimer Regierungsrath Dr. Waetzoldt erklärt, daß die Unter richtsverwaltung ebenfalls die baldige Beendigung der Verhandlungen wünsche.
Abg. Dr. Mizerski (Pole) führt darüber Beschwerde, daß in den höheren Töchterschulen der Provinz Posen die polnische Sprache zurückgesetzt werde. Es sehle insbesondere ein guter Religionsunter, z w z 7 — 29 ce En * z 65 — * richt in polnischer Sprache. Der Unterricht in deutscher Sprachc⸗ dem die Mädchen nicht immer zu folgen vermöchten, genüge in keiner Weise.
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. Studt:
Meine Herren! Der Herr Vorredner hat zu Anfang seiner Aus⸗ führungen in Aussicht gestellt, daß er eine sogenannte Polendebatte hier nicht eröffnen wolle. Ich glaube, nach dem Eindruck, der von allen Seiten hier von seiner Rede gewonnen sein wird, doch mit Recht behaupten zu können ñ ⸗ im eminentesten
sehr richtig! rechts, welche der Herr Vor⸗ bekannten scharfen Ausdrüc eingeleitet hat, und Unterstellungen, die hier nicht näher if, wie ich schon einmal betont dieser Frage mit den Herren
(Abg. von Mizerski:
Sinne des Wortes war redner wieder mit de und mit Anfeindungen charakterisieren will. n habe, mich über die grundsätzliche Seite von der polnischen Fraktion verständigen. Sehr bequem!)
Meine Herren, Dr. Mizerski hinsichtli
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en Einwand, den heute der Herr Abg.
gesetzlichen Zulässigkeit der von der Regierung zu Posen getroffenen Maßnahmen erhoben hat, hat neulich der Herr Abg. von Jazdzewski gemacht. Ich kann nur erklären, daß nicht allein die Praxis der Verwaltungsbel selbe be findet sich in Uebereinstimmung mit der Entstehungsgeschichte de treffenden gesetzlichen und Verfassungsbestimmungen — seit langen Reihe von Jahren dieser Auffassung widerspricht, sondern daß auch eine erneute Prüfung der rechtlichen Zulaässigkeit immer wieder zu dem Resultat geführt hat, daß die Ober⸗Präsidialverordnung von 1873 sich vollständig auf dem Boden der Verfassung und des Gesetzes bewegt. In den Maßnahmen, die damals getroffen worden sind, eine Aenderung eintreten zu lassen, dazu hat die Regierung umsoweniger Veranlassung, als, wie Sie aus den Worten des Herrn Abg. von Jazdzewski neulich wohl entnommen haben werden, die entgegenkommenden Versuche die im Jahre 1891 und im Jahre 1894 seitens der Unterrichts verwaltung dahin angestellt worden sind, den von volnischer Seite ihr zugegangenen Wünschen gerecht zu werden, vollständig fehlgeschlagen sind. Der Herr Abg. von Jazdzewski hat diese Versuche als mangel hafte, als durchaus erfolglose bezeichnet. Nun frage ich Sie, meine Herren: wenn auch eine entgegenkommende Regierung dieser ab⸗ sprechenden Kritik unterzogen wird, bleibt doch in der That nichts Anderes übrig, als zu dem System zurückzugehen, welches durch das Staatsinteresse unbedingt geboten ist. Ich will nur noch hervorheben, daß diese Ober⸗Präsidialverordnung von 1873 in ihrer praktischen An⸗ wendung zu Unzuträglichkeiten nicht geführt, vielmehr uns die Mög—⸗ lichkeit gegeben hat, gewisse deutsche Minderheiten vor der Polonisie⸗ rung zu bewahren. Ich komme hier auf ein Thema, welches ich bereits wiederholt berührt habe und wegen der Peinlichkeit seines Charakters heute nur kurz streifen will.
bo kör- or 118 10 Sbehorden und die
Aber, wenn der Herr Abg. Dr. Mizerski wirklich den thatsächlichen Nachweis vermissen sollte, daß die von mir schon wiederholt aufgestellten Behauptungen richtig seien, dann könnte ich mit einer Fluth von Literatur dienen, die die Richtigkeit meiner Behauptungen bestätigt. Ich habe absichtlich davon Abstand genommen, in neuerer Zeit noch einzelne Zeitungsäußerungen besonders hier hervorzuheben. Sie sind aber andererseits so charakteristisch, daß ich mit gutem Ge⸗ wissen behaupten kann: sie bestätigen in vollem Umfange die Befürch⸗ tungen, welche ich hinsichtlich einer systematischen Polonisierung der deutschen Katholiken ausgesprochen habe. Da dabei betont worden ist, daß die polnische Presse die deutschen Katholiken nicht glimpflich be⸗ handelt, bitte ich, noch auf die Nr. 6 der Praca“ vom 10. Februar 1901 verweisen zu dürfen, wo in einer geradezu empörenden Weise ein hochverdienter Erzbischof des westlichen Theiles unserer Monarchie wieder verdächtigt worden ist.
Meine Herren, ich nehme davon Abstand, diese Sachen hier nochmals näher zu berühren. Was die höheren Mädchenschulen in Posen anbetrifft, so kann ich nur erklären, daß die Königliche Regierung zu Posen sich vollständig im Rechte befunden hat, wenn sie zwischen öffentlichen und Privatschulen in Beziehung auf den Lehrplan und die Unterrichtssprache keine Unterscheidung gemacht hat. Es ist das eine Praxis, die stets beobachtet ist, und auch ganz unangefochten bleiben muß. Das unterrichtliche Interesse bleibt genau dasselbe, ob es sich um eine öffentliche oder um eine Privat⸗ schule handelt. Wir haben neben dem unterrichtlichen Interesse auf Grund der sehr ungünstigen Ergebnisse, die die Revision der höheren katholischen Mädchenschulen in Posen ergeben hat, sehr wichtige staat⸗ liche Interessen zu wahren. Es hat sich herausgestellt, daß gerade bei Ertheilung des Religionsunterrichts eine nicht unerhebliche Anzahl junger Mädchen, die in den Schulen, die sie früher besucht hatten, deutschen Religionsunterricht erhielten, der polnischen Abtheilung zu⸗ gewiesen war. Das spricht dafür, daß hier eine bei der deutschen Sprach⸗ kenntniß aller Schülerinnen unbedenkliche Maßnahme am Platze war, die geeignet ist, solche Mißstände auszuschließen.
Meine Herren, es ist uns schon früher ein Kampf angedroht worden für den Fall, daß wir diese Maßnahme durchführen und nicht abändern, in derselben Weise, wie das heute wieder Herr Mizerski in Aussicht gestellt hat. Wir sehen dem Kampf ruhig entgegen, und wir werden ihn mit voller Zähigkeit durchführen. Aber einen be⸗ scheidenen Rath gestatte ich mir an Herrn Mizerski und an seine Fraktionsgenossen: wenn der Kampf weiter fortgeführt wird, so sorgen Sie in Ihrem eigenen Interesse dafür, daß die Art und Weise, wie täglich unser nationales Empfinden und unsere patriotischen Gefühle in der brutalsten Weise beleidigt werden, allmählich aufhört. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen Dann kann möglicher⸗ weise eine ruhigere und entgegenkommendere Stimmung platzgreifen. So lange auf polnischer Seite dieser rohe Kriegszustand aufrecht⸗ erhalten wird, ist an eine Verständigung nicht zu denken. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.)
Abg. Sch all (kons. bespricht die neue Prüfungsordnung für die Lehrerinnen der höheren Mädchenschulen und erkennt es als richtig an, daß als Grundlage der Prüfung die allgemeine pädagogische Aus⸗ bildung gelten soll. Es sei eine berechtigte Forderung, daß alle Mädchen, welche später eine höhere wissenschaftliche Ausbildung sich aneignen sollen, durch die höhere Töchterschule gehen müßten und daran verhindert würden, ihre Ausbildung auf Anstalten zu suchen, die darauf angelegt sind, lediglich für das akademische Studium vorzubereiten. Der Minister habe mit Recht die Errichtung eines neunklassigen humanistischen Gymnasiums in Köln abgelehnt mit der Begründung: Es beruhe auf einer Verkennung des Wesens und der Bestimmung der bestehenden Gymnasialkurse für Mädchen, wenn man ihnen die Aufgabe zuweisen wolle, mit ihren Schülerinnen in 4 oder 5 Jahren einen neunjährigen Lehrgang des Gymnasiums zu durch⸗ eilen; ihre Aufgabe würden sie vielmehr darin zu erkennen haben, die beiden Bildungsgänge in organischen Zusammenhang zu setzen und auf Grund der allgemeinen Bildung, wie die höheren Mädchen⸗ schulen sie gewährten, ihre Schülerinnen zu den Zielen des Gymnasiums zu führen, nicht in der Art einer Presse für die Reifeprüfung, sondern in geordneten, methodischen, fortschreitenden Lehrgängen. —Rdas Benehmen der emanzipierten Mädchen sei bedenklich. Er habe in der Pferdebahn das Benehmen eines solchen Mädchens gesehen, an dem er als Geistlicher hätte Anstoß nehmen müssen. Es sei genug, wenn die Töchter höherer Stände das Lehrerinneneramen machten und als Lehrerinnen vermittelnd auf die unteren Schichten einwirkten. Hier sei ein Gebiet für die Frauenarbeit gegeben. Er könne dem Minister gegenüber den Emanzipationsbestrebungen zurufen: Landgraf, werde hart!
Abg. Dr. Dittrich (Zentr.) spricht auch die Meinung aus, daß den Bestrebungen der Frauen schon genug entgegengekommen sei.
Geheimer Regierungsrath Dr. Waetzoldt dankt dem Abg. Schall für seine Anerkennung der neuen Prüfungsordnung für Oberlehrerinnen. Wenn auch unsere Mädchenschulen nicht den Anforderungen der neuen Zeit genügten und einer Umgestaltung bedürften, se werde sich doch die Regierung durch die Bestrebungen einer Minderheit nicht zu un⸗ bedachten Schritten hinreißen lassen.
Bei den Ausgaben für das Elementarschulwesen be⸗ mãngelt
Abg. Malkewitz (kons.) die Ungleichheit in den Alterszulagen der Lehrer in einem und demselben Bezirk der Provinz Pommern und tritt ferner für die Gleichlegung der Ferien an den höheren und den Volksschulen ein.
Abg. Das bach (Zentrum) bemerkt, daß, wenn in letzter Zeit bei der Errichtung neuer Schulstellen die katholischen Schulen besser weg⸗ gekommen seien, dies keineswegs eine Bevorzugung der Katholiken sei, sondern daß damit nur lange Versäumtes nachgeholt werde, daß aber diese Vermehrung der katholischen Schulen noch lange nicht dem wirklichen Bedürfnisse entspreche. Es seien viel — katholische Kinder in evangelischen Schulen eingeschult als evangelische Kinder in katholischen Schulen. Der Redner kt verschiedene solche Fälle.
Ministerial⸗Direktor Dr. Kügler: Herr Malkewitz wünscht die Gleichstellung der Lebrergebälter im Kreise Stargard. Unter allen Umständen wird das nicht möglich sein, weil die Ausführung des Lehrerbesoldungsgesetzes auf der Grundlage erfolgen soll, daß die Gehälter unter Berücksichtigung der lokalen Verhält⸗ nisse festgesetzt werden sollen. Wir können die Gemeinden nicht zwingen, sich in den Gehältern nach anderen Gemeinden zu richten. Es muß in dieser Hinsicht vorsichtig vorgegangen werden, damit man die Gemeinden nicht übermäßig belastet. Aus den ein⸗ zelnen vom Abg. Dasbach angeführten Fällen kann man nicht allge⸗ meine Schlüsse ziehen. Die Unterrichts verwaltung sorgt in lache. Weise für katholische wie für evangelische Schulen. ir kat holische Minderheiten bis zu 17 Kindern herunter, in einem al sogar für 10 Kinder, seien Schulen errichtet worden. Im Jahre 1821 entfiel auf 450 Gvangelische und 660 Ftatholische je eine Lehrkraft, 1871 auf 4609 Cvangelische und 463 Katholische, 1388 auf 418 Evangelische und 463 Katholische, 1896 auf 382 Evangelische und 126 Katholische. Aller⸗ dings stehen die GCvangelischen immer noch besser als die Katholischen, aber die ersteren wobnen auch mehr in den Städten, wo mehr Lehr⸗ kräfte vorhanden sind, die Katholischen mehr auf dem Lande. Jeden⸗ falls hat die Unterrichts verwaltung auch stets für die Fortentwicklung des katholischen Schulwesens gesorgt.
, tritt für in, da die Kinder dort sehr weite Schulweg Düsseldorf (Zentr) bedauert die Land
Lehrer und wünscht Maßregeln, um die Lehrer seß r zu machen Die Lehrer strebten nach den großen Städten, um bessere Stel 9m zu bekommen, sie sollten aber bedenken, daß 3 M auf dem 3c in der Stadt gufwiegen. Der Redner weist ferner auf zu strenge , Schulversäumnisse in Schlesien hin und empfiehlt de gesetzliche Regelung der Schulpflicht.
Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Studt:
Ich gestehe zu, daß die von dem Herrn Abg. Schmitz soeben am Schlusse seiner Ausführungen hervorgehobenen Uebelstände, welche aus einer großen Verschiedenartigkeit der Gesetzgebung und Recht. sprechung auf dem Gebiet der Schulpflicht hervorgehen, zu erheblichen Mißständen zu führen geeignet sind. Die Unterrichtsverwaltung ist aber bisher nicht in der Lage gewesen, den bezüglichen Anträgen zu entsprechen, weil die vorhandenen rechtlichen und thatsächlichen Schwierigkeiten hindernd im Wege standen. Sollte es aber das ein— müthige Votum des Hauses sein, daß auf dem Wege der Gesetzgebung die Schulpflicht einheitlich geregelt werde, meine Herren, dann würde die Unterrichtsverwaltung darin einen werthvollen Anhalt und eine dankenswerthe Anregung finden, den Versuch zu machen, auf gesetz geberischem Wege vorzugehen. ;
Nach / Uhr wird die weitere Berathung bis Dienstag 11 Uhr vertagt.
Statistik und Volkswirthschaft.
Die Thätigkeit der Ansiedelungskommission in den Provinzen Westpreußen und Posen von 1886 bis 1900.
In Nr. 57 des Reichs⸗ und Staats⸗Anzeigers! ist über die Förderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und 5. im Jahre 1900 . der kürzlich dem Hause der Abge— ordneten zugegangenen Denkschrift über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886 für das Jahr 1900“ berichtet worden. Um die Gewinnung eines Gesammtüberblicks über die Thätigkeit der Ansiede⸗ lungskommission in der Zeit vom August 1886 bis zum 1. Ja— nuar 1901, also in rund 145 Jahren, zu erleichtern, hat die Regie⸗ rung der genannten Denkschrift einen kurzen Abriß der Thätigkeit dieser Kommission seit ihrem Bestehen beigefügt, dem die folgenden Mittheilungen entnommen sind. 9
Grunderwerb. Angekauft wurden 147 475 ha Grundstücke, zumeist größere Güter oder Güterkomplexe (241) und 68 Einzel— , mn, (1800 des Gesammterwerbes) für rund 100 Mil- lionen Mark. Der Grunderwerb beträgt 2,71 0½9 der Fläche der beiden Ansiedelungsprovinzen, und zwar 3,640 in Posen und 1,65 in Westpreußen. Er erstreckt sich über 32 von 42 Kreisen der Provin; Posen und über 15 von 27 Kreisen der Provinz Westpreußen.
Kulturelle Hebung dieses Grunderwerbes. Geregelter, von der Ober⸗Rechnungskammer überwachter Verwaltung sind unter⸗ stellt gewesen oder noch unterstellt im ganzen rund 145 000 ha in 241 Großbetrieben. Während dieser n ischen eit ichen Verwaltung wurde durch folgende besondere Maßnahmen neben der auf ausgiebige Hebung des allgemeinen Kulturzustandes der Güter gerichteten rationellen Bewirkhschaftung dahin gestrebt, die Erträge der Ländereien zu erhöhen und zwar durch: 1) Drainagen auf 172 Gütern, umfassend 37300 ha, zum Kostenaufwande von 6,35. Millionen Mark, 2) Moyrkultur anlagen, umfassend rund 2000 ha, zum Kostenaufwande von 1,15 Mil⸗ lionen Mark, 3) Wiesenmeliorationen, umfassend rund 60 ha, zum Kostenaufwande von rund 10 000 S, 4) Wegebefestigungen (ohn Beihilfen der Provinzen oder Kreise) in einer Gesammtstrecke mn 32,1 km zum Rostenbetrage von 257 000 M; außerdem sind n beihilfen zu Kreischausseen, die Ansiedelungen berühren, von der siedelungskommission gewährt.
Besiedelung. Ansässig sind gemacht 4277 Ansiedlerfamilie auf rund 30 000 Köpfe geschätzt, auf 70 509 ha Stellenlandes, desen Selbstkostenwerth rund 50 Millionen Mark beträgt. Zu diesem Privatbesitz der Ansiedler treten an Dotationsländereien sin Gemeinden, Kirchen und Schulen rund 4000 ha, fast 66 und fiskalische, als verfügbar bezeichnete Ländereien im Un fange von 18 000 ba, die für die spätere Auftheilung, bezw. Ver gebung an den Ansiedlernachwuchs, d. i. für allmendartige Zwecke oder zwecks freihändigen Verkaufs als für Besiedelungszwecke ungeeignet vorbehalten sind, sodaß der Grunderwerb hierdurch mit rum 92 500 ha in Anspruch genommen erscheint und von den gesammten Erwerbungen der Ansiedelungskommission bisher rund zu Be— siedelungszwecken verwendet sind. Die unter den 4277 Ansiedler. familien gezählten 2715 Familien, die von außerhalb der An— siedelungsprovinzen zugewandert sind, haben ein Kapitalvermögen hierher importiert, das mit 5000 S auf die Familie, also mit 13 Millionen nicht zu hoch veranschlagt sein wird. Der bei weiten größte Theil dieses Kapitalimports ist der Provinz Posen zu ga gekommen, da die fremde Ansiedlereinwanderung nach Westprente⸗ immer noch sehr gering ist.
An Wohnungen werden durch die Neubauten der Ansteln neben den fiskalischen Aufbauten in den beiden Ansiedelungsprorner gegen 4000 neu geschaffen worden sein. Dabei ist Westpreußen mit * Feen mit 7h50 g . Damitistein Geringes für Besserung der W nungsverhältnisse auf dem platten Lande durch die Thätigkeit der n siedelungskommission beigetragen. Neu erbaut sind etwa 3700 1 siedlergehöfte — alt übernommene oder aptierte Gebäude sind bier nicht mitgezählt —, und zwar a. im Eigenaufbau der Ansiedler 1h b. durch fiskalischen Aufbau 300. Von dem Materialverbrauch bei dieser Bauthätigkeit giebt folgende Angabe einigermaßen einer Begriff. Die Verwendung von Ziegelsteinen durch die Bauten der Ansiedler ist zu schätzen auf rund 170 Millonen Stũch von denen allein 125 Millionen Stück in fiskalischen Ziegeleien hergestellt sind. Der Werth sämmtlicher Gehöfte der Ansiedler i auf etwa 32 bis 35 Millionen Mark zu schätzen. — Die Ansiedler haben bisher an Ergänzungsdarlehen zur ersten Ausrüstung ihrer Stellen rund 2 Millionen Mark erhalten; außerdem sind ihnen rund 100 000 Obstbäume geliefert und 719 Stück Kühe und Färsen im Werthe von fast 150 000 S½ aus den Heerden der Ansiedelungequter verkauft worden. 2
Regelung der Gemeinde- Kirchen- und Schul verhäl! nisse. Ausweislich der Denkschrift für 1900 kommen auf jedes siedelungsgut 30 bis 35 Ansiedlerstellen. Der derzeitige Stand de Regelung der Gemeindeverhältnisse ist folgender: a. NM * bildet sind 75 Landgemeinden, die durch Umwandlung aus Gutẽebesirken entstanden sind. b. Geregelt sind für 8 besiedelte Gutsbezirke die Gemeindeverhältnisse dadurch, daß die Ländereien zu bestehenden Ge meinden mit deutschen Majoritaten kommunalrechtlich iugeichli sind. C. Ansiedlergruppen auf 10 größeren. Grundstücken ohne Gutsbezirksqualitãt — sind in dem vorhandenen Landgemeindeverhand iCn dem sie Unschluß an eine vorhandene Majorität alteingesessene deutscher Wirthe fanden, verblieben. d. Weitere Ansiedelungen au 25 Gutebezirken stehen' dicht vor dem Abschluß der Gemeinde hildung. . Die auf den JY vereinzelt liegenden Bauernwirthschasten angesiedelten deutschen Bauern theilen die Geschicke der Landgemeinden innerhalb deren . liegen, d. h. sie verhalten sich bisher in 1 der Bethätigung eines Gemeindelebens e ft. f. 765 Gebäude ind für — erbaut, meist Armenhäuser und Spritzenbäuser.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
(
M 61.
Statistik und Volkswirthschaft. (Schluß aus der Ersten Beilage.)
e Regelung der kirchlichen Verhältnisse hat folgenden . t: 1 in 19 Parochien, innerhalb deren das Ansiedler⸗ interesse vorwiegt, sind. 19 Kirchen fiskalischerseits erbaut; b. in weiteren Barochien, innerhalb, deren 8 sich, um Pefriedigung eines eringeren Ansiedlerinteresses handelte, sind 12 Bethäuser Riskalischer⸗ eis gebaut; (. in 17 Parochien sind Pfarreigehöfte und ein Organisten⸗ ehöfk errichtet worden; 4. in 10 Parochien sind seitens der Ansiedelungs⸗ n mnission Subventionen gezahlt zur Vergrößerung der Kirchen aus Anlaß der zutretenden Ansiedlerbevölkerung,. Ueber die Regelung der Schulverhältnisse ist Folgendes zu. berichten, daß 113 Schul⸗ gemeinden neugebildet und auf fiskalische Tosten 116 Schulen, darunter 5 jweiklassige, erbaut worden sind. Der Gesammtschätzungswerth ammtlicher neu errichteten öffentlichen Gebäude beträgt rund 3 Mill. Mark; außerdem sind zahlreiche größere Ansiedelungen mit Feuerspritzen Ind Löschgeräthen ausgestattet worden. 3.
Genossenschaftswesen in den Ansiedelungen. Die Töätigkeit der Ansiedelungskommission in Sachen der Gründung von Jenossenschaften, Bildungsanstalten u. s. w. zeigt folgende Zusammen⸗ 216 Genossenschaftliche Gründungen in den Ansiedler⸗ gemeinden: X. 61 Spar- und Darlehnskassenvereine; ß. Ein⸗ und Verkaufsgenossenschatten: 1 Kornhausgenossen⸗ schaft mit Silospeicher, Dampfmühle und Dampfbäckerei; 3 Kaufhaus— znossenschaften, davon mit Kornlagerhausbetrieb, 1 mit Silo⸗ eicher und Mühlenanlage; Ein⸗ und Verkaufsgenossenschaft land⸗ urtffchaftlicher Erzeugnisse; 3 Eier⸗Ein⸗ und Verkaufsgenossenschaften; Produktivgenossenschaften; 15 Molkerei⸗ und 3 Müllerei⸗ genossenschaften; 2 Brennereigesellschaften mit beschräukter Haftung nd 9 Brennereigenossenschaften, darunter 2 mit Dampfmühlen⸗ anlagen; D. 21 Drainagegenossenschaften; E. 3 Pferde⸗ juchtgenossenschaften; F. 6 Genossenschaften zum An⸗ lauf und Betrieb eines Dampfdreschsatzes.
1. Gründungen auf fachunterxrichtlichem Winterschulen, 1 Mustergärtnerei mit Obstbaumschule.
II. Gründungen von deutschen Büchereien: 91 Volks— schulbüchereien. J . . Iv. Gründungen von gemeinnützigen Vereinen u. dergl.. 1 Wohlfahrtsverein, 14 landwirthschaftliche Vereine, 2 frei⸗ willige Feuerwehren. . J .
F. Wohlthätige Anstalten, begründet auf geeigneten Grundstücken der Ansiedelungsgüter durch die kirchlichen Behörden der gemeinnützigen Vereine: 3 Waisenhäuser, Siechenhaus, 2 DialonissenAnstalten und 3 Diakonissen⸗Stationen, sowie 1 Kon⸗ firmanden⸗Anstalt.
Gebiete:
Zur Arbeiterbewegung.
Die Lohnbewegung der Steinbildhauer Berlins Gergl. Nr. r Mi506 d. Bl.) ist, wie die „Volks⸗Itg. berichtet, bei den maßgebendsten Firmen durch nachträgliche Begleichung der Tarif⸗ differenjen beendet worden. ö .
Die Berliner Wag en- und Geschirrsattler beschlossen, dem⸗ selben Blatt zufolge, in ihrem bereits aufgestellten Tarif Abänderungen bormnnehmen und insbesondere die Lohnforderungen zu erhöhen. Dem⸗ entsprechend verlangen sie nunmehr u. a. 24 statt 22 6 Mindest⸗ Wochenkohn und 5,50 statt 18 6 wöchentlich für ausgelernte Irbelter im ersten Jahre. Die Unternehmer sollen ersucht werden, si hierüber bis zum 25. d. M. zu äußern. (Vergl. Nr. 49 d. Bl.)
Literatur.
Schriften der Zentralstelle für Arbeiter⸗ Wohl fahrtscinrichtungen. Heft 183. Die Erziehung des Volkes auf den Gebieten der Kunst und Wissenschaft, Heft 19: Fürsorge für die schulentlassene Jugend. Vorberichte und Verhandlungen der neunten Konferenz. Berlin, Karl Heymann's Verlag. Preis zusammen 9 Der erste Verhandlungsgegenstand der im vergangenen Jahre zu Berlin abgehaltenen neunten Konferenz der Jentralstelle für Arbeiter⸗ Wohlsahrkseinrichtungen, die Erziehung des Volkes auf den Debieten der Kunst und Wißfsenschaft, war sechs Referenten zur Behandlung übertragen, deren Berichte im
s. Heft der Schriften der Zentralstelle gedruckt vorliegen. 131 Pr. Nafotp- Marburg behandelt den allgemeinen Theil der Frage. Er geht davon aus, daß den hierauf gerichteten Bestrebungen n Deutschland gegenüber der „University Extension, in England wei Faltoren besonders günstig seien, einmal die nicht bloß gründlichere, sondern allgemeiner und gleichmäßiger über die ganze Nation verbreitete elementare Vorbildung, die zugleich das Verlangen nach weitergehender Bildung wecke und An— laüpfungspunkte für solche nach vielen Richtungen biete, se⸗ dann 6 auch die gleichfalls tiefere jowie stärker und eich mäßiger berbreilete höhere, insbesondere akademische Bildung, Diesen Vorteilen standen aber die Schwierigkeiten unserer Politischen Lage nach außen und nach innen gegenüber; auf der einen Seite die harte, doch unbestreitbare Nothwendigkeit, alle Kräfte zu unserer nationalen Selbstbehauptung einzusetzen; die innere Zerklüftung der wirthschaft. lichen, politischen und religiösen Parteien. Gleichwohl solle man mit gutem Zutrauen an die Lösung der Aufgabe herantreten; denn That⸗ sache sei das Bedürfniß einer bis zu den Anfängen der Wissenschaft und Kunst vertieften Bildung auf seiten des Volkes und der aufrichti e Wille, diesem Bedürfniß ohne irgend welche ¶ Nebenabsicht ent gegenzukommen, auf seiten der Vertreter der Wissenschaft und der Kunft selbst, die sich besonders deshalb diese Aufgabe nicht aus den Händen winden lassen dürften. Das Jiel der Volksbildungsbestrebungen soll nach Natorp sein: nicht Fachgelchrsamkelt, aber auch nicht Flöße Unterhaltung und vorüber. gehende Anregung, sondern gründliche WMildung, d. h. nicht Anhãufun ingenutzter Kenntnisse, sondern dies, daß etwas im Menschen sich bilket und formt und sich zu einem eigenthümlichen Ganzen zu taten strebt, mit keiner anderen Absicht, als dem einzel nen Penschen felbft einen für sich. werthwollen, geistigen Gehalt lu geben. Solle aber dies erreicht werden, se genügten nicht derelnzelte Anstrengungen, sondern es müsse Anleitung zu ge 2 Fortarbeiten gegeben, das Verständniß für weitere, geistig beherrschte Zusammenhänge geweckt, der Blick für die Gesetzmäßigteiten in Natur und Menschenleben, in den Welten der Ertenntuiß, der Sitte, der Kunst erschlossen werden; es müsse der Sinn für die rage nach den Gründen und Len Gründen der Gründe sich öffnen. Volls= thümliche Hochschulturse, die darauf bewußt. und planvoll hinzielen, wärden zugleich das Gute haben, daß sie dauernd nur selche, die ein echtes Verlangen nach Bildung mitbringen, anzögen. Professor Fuchs Freiburg giebt dann eine umfassen de Darstellung dessen, was auf dein Gebiete der volksthümlichen . bisher an deutschen Uniwersitäten und von eigens dazu geschaffenen Organi— sationen geleistet worden ist, und schließt daran theoretische Crörterungen. Professor izr. Plate. Veriin referiert sber Führungen von Arheitern durch naturhistorische Museen. Um solche Fuhr fen nutzbringend Franstalten zu können und um vor allem das Volk ih eine n m ene, uch der Museen zu veranlassen, sei es nothwendig, diese elbst anders einzurichten. Eie Aufstellung der Gegenstände sei viel fach noch
Zweite Beilage
zu magazin⸗ und schablonenmäßig und übe deshalb auf das Laien⸗ publikum nicht den nöthigen Reiz aus. Es fehle noch zu sehr an biologischen Gruppen, welche ein Bild von dem Leben und Treiben der Ire in dem Rahmen ihrer natürlichen Umgebung dar⸗ stellen. Auch fehle es unseren Museen vielfach noch an populären gedruckten Führern; die vorhandenen Kataloge seien zu a e frhfhn für das Volk. Ein solcher populärer Führer könne zugleich als Schulbuch für die Volksschule dienen. Was die Füh⸗ rungen selbst anbetreffe, so sollten sie vor allem der Vermehrung des Wissens dienen, Freude und Interesse an der Natur — auch von ihrer ästhetischen Seite — wecken und zum Nachdenken anregen. Man solle in frischer, interessanter Form multum, non multa geben, stets zum Nachdenken anzuregen fuchen und besonders prak⸗ tisch verwerthbare, namentlich hygienische Kenntnisse verbreiten. — Professor Dr. Lichtwark⸗Hamburg hat 20 Thesen über die Er⸗ ziehung des Volks auf dem Gebiete der bildenden Kunst aufgestellt. Er geht davon aus, daß ein Wesensunterschied zwischen dem Empfindungs⸗ vermögen des Arbeiters und des Gebildeten nicht bestehe, also kein Lehrgang aufgesucht werden dürfe, der auf der Annahme einer geringeren Befähigung aufgebaut wäre. Es solle wesentlich Methode und zwar vor Originalwerken gelehrt werden. Ein Unterschied zwischen älterer und neuerer Kunst sei für die Praxis nicht anzuerkennen. Grundlage und Ausgangspunkt habe die deutsche Kunst zu bieten, darüber hinaus zunächst die germanische. Die Einführun in die Kunst bedürfe, wenn sie als Geschmacksbildung für das igen fruchtbar werden solle, der Ergänzung durch die Einführung in die Natur. — Ueber volksthümliche Musikaufführungen referiert Professor Dr. Stumpf⸗Berlin. Er sucht zu ergründen, wie der große Erfolg, den man mit hervorragenden Musitwerken in Berlin und an anderen Orten bei einem wenig vorgebildeten Publikum erzielt hat, psycho⸗ logisch sich erklären lasse, und kommt zu dem Resultat, daß die Grund⸗ elemente der Musik unter Mitwirkung des Volks sich gebildet hätten, daß Rhythmus, Harmonie und Melodie dem Volke entsprungen feien und daß fie, die auch heute noch das Wesen der Musik aus— machten, zugleich die Vermittelung zum Verständniß auch schwierigerer Mufik selbst beim wenig vorgebil deten Volke abgäben. Naturgemäß werde darum auch die Musik dem Volke am zugänglichsten sein, in der Rhythmus, Harmonie und Melodie in einfacheren Formen auf⸗ treten, d. h. die sich noch mehr an das Gemüth wendet, die mehr Stimmung machen als zum Nachdenken anregen will über die kunst⸗ volle Behandlung ihrer Themata, über geschickte Auflösung von Diffonanzen und Aehnliches. Die Erfahrung habe gelehrt, daß die flaffische deutsche Musik noch innerhalb der Grenze des dem Volke Zugänglichen liege. Ueber den Werth, vol ksthümlicher Musik— aufführungen an sich könnten kaum Zweifel bestehen. Seit AÄristoteles fei die veredelnde Macht der Musik anerkannt. Zwar höre man öfters fagen: die Musik sei mit schuld an der hyperidealistischen Gefühlsweise des deutschen Volkes, die es so lange Zeit habe dichten und schwärmen, statt handeln lassen, — das sei vor 1368 gewesen; heute aber sei es nicht mehr nothwendig, Thatkraft, Sinn für das reale Leben und für das harte Aufeinanderstoßen der Dinge zu wecken, nothwendig dagegen, daß wir, ohne wieder Träumer zu werden, doch unser inneres ö. nicht verkümmerten und das deutsche Gemüth nicht zur Sage werden sießen. Ueber volksthümliche Theater⸗ vorstellungen hat Kammerherr von Ebart-Gotha einen Bericht ber— faßt, in dem er darlegt, wie solche Aufführungen in Gothg praktisch ins Leben gerufen sind. Lr. von Erdberg hat dessen Aus⸗ führungen nach der theoretischen Seite hin ergänzt. Er stellt als erften Grundsatz auf, daß die Frage der volksthümlichen Theater⸗ vorstellungen, wie die der Popularisierung der Kunst überhaupt. keine Frage der Volksunterhaltung, sondern, eine solche der Volkserziehung fei. Die Erfahrung habe gelehrt, daß dort, wo das Gute und das Schlechte in freier Konkurrenz weiten Kreisen zuganglich gewesen fft, stets das Schlechte die Oberhand gewonnen habe. Das Bedürfniß nach Unterhaltung arte sehr bald in ein Bedürfniß nach Amüsement aus,. d. b. nach einer Unterhaltung, die in der Kunst nicht mehr eine Vertiefung der Weltanschauung, eins Bereicherung des inneren Lebens und eine Veredelung der eigenen Persönlichkeit sucht. Hierin aber gerade liege die Aufgabe der Kunst, und sie immer wieder mißbrauchen, bedeute zugleich: sie auf ein immer tieferes Niveau herabdrücken; denn jedes Volk habe die Kunst, die es verdient. So werde die Frage der volksthümlichen Thealeraufführungen zu einer Frage für unsere Kultur überhaupt. Eine Erziehung des Volkes auf diesem Gebiete fei möglich. Die dramatische Poesie wurzele, wie viel leicht kaum eine andere Kunst, im Volke, und ihre Aufgabe, dem Leben und dem Menschen einen Spiegel vorzuhalten, be fähige sie gerade in unserer Zeit ganj besonders dann auch. in lbrem (delsten Wirken vom Volk erfaßt zu werden. Die Meister, welche die Eigenart des deutschen Volkes und weiter der germanischen Rasse am tiefften erfaßt und am reinsten zum Ausdruck gebracht haben, würden zur Einführung in diese Kunst vor allem heranzuziehen sein: Lessing, Schiller, Goethe, Shakespeare, von neueren Ludwig und Hebbei Wo man auf technische Schwierigkeiten stoße, 3. B auf dem Lande, solle man auch ruhig zu Hans Sachs greifen. Aufführungen für das Volk dürften aber, wenn sie der Erziehung dienen wellten, nicht Aufführungen durch das Volk sein. Die dramatische Poesie schildere uns die Menschen in ihrer prychologischen Entwickelung. Um sie darstellen zu foönnen, dazu bedürfe es ganzer Künstler. Dilettanten könnten böchstens allgemeinste Typen schaffen, und das Ueberwuchern des Dilettantismus in der dramatischen Kunst müßte somit zu einem Niedergang dieser selbst führen. 2 . ö Das zweite Verhandlungsthema: - Fürsorge urn die (chul entlassene Jugend‘, war durch den im Jahre 1898 begründeten Verband deufscher Wohlfabrtsbercine bezw. durch die von demselben eingesetzte Kommission in der Weise vorbereitet, daß das Gesammt⸗ eblet in eine Anzahl Einzelreferate getheilt und jedes derselben einem speziellen Fachmann übertragen wurde. 2e Berichte waren in folgender Weise vertheilt: einleitendes Referat: Dr. Andrea Voigt, Frankfurt a. M.; das Vermundschaftswesen und die eseßliche Organisation der Jugend sürsorge: Amterichter Dr. Fleck, gib. Schutz jugendlicher Personen durch Fabrikgesetzzebung und Fabrikinspeftion: Dr. Piexer, M. Gladbach; die Weobnungsfrage mit Bezug auf jugendliche Personen, Schlasst llenwesen, Logierhauser: Pastor Hennig, Berlin, und Pastor Seiffert, Strausberg; Fort rene und' Fachschulwesen: Direktor Pache, Leipzig; Zugend. bibliotbeken und Jugendunterhaltung: dehrer Tewes Berlin; Die Mäßigkeitsbestrebungen mit Bezug auf die Jugend: * berpfarrer H, Markus, Freienbessingen; Sittlichkeit bestrebungen mit Bezug au die Jugend: Generalsekretär Henning Berlin; Vereine für sugend iche Personen (ehrlings, Gesellen, Jünglings , Jungfrauen. u, s. . Wer. eine; Präfes Dr. Drammer, Köln, und PVastor Fritsch, Werlin; Rerufgorganisationen und. deren Jugen gürsorge. Dr. Picꝑger, M. Gladbach; Wohlfahrtsein richtungen für Jugendliche / in Jabrilen, Unterbringung und ern, . Lehrlinge: Fortbildung ul dirigent Panel, Berlin; Dauswirthschaftliche Erzie hung für M an en, Dienstbotener ziehung und Unterbringung in ersten ienststellen: Profess or hr Kamp, Frankfurt a. M. jugendliche Verbrecher und Stra. gefangene Geheimer Ober Regierungsrath von Massow, Potsdam. Diese Referate enthält das 19. Heft der Schriften der Zentral stelle An die Berichte der Referenten über die beiden. Verhandlunge⸗ gegenstände haben sich lebhafte Diekussionen angeschlossen, . 6 n demselben Heft ausführlich berichtet wird, in denen zum theil die
in den Referalen berührten prinzipiellen Fragen erörtert worden sind,
zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.
Berlin, Dienstag, den 12. März
1901.
zum theil geschildert ist, was auf den in Rede stehenden Gebieten in den verschiedenen Städten geleistet worden und welche Erfahrungen man dort gemacht hat. Im einzelnen auf die vielfach gegebenen An⸗ regungen einzugehen, ist hier nicht möglich. Die Interessenten seien darum für eine nähere Information auf die genannten Schriften der Zentralstelle für Arbeiter⸗Wohlfahrtseinrichtungen verwiesen.
Land⸗ und Forstwirthschaft.
Die Anbauflächen Rumäniens im Herbst 1900. Das Kaiserliche Konsulat in Galatz berichtet Folgendes: Im „Monitor official! vom 1427. Februar d. J werden amtliche Angaben über den Umfang des Saatenanbaues in Rumänien im Herbst 1900 veröffentlicht. Danach waren bestellt mit:
Weizen 1560941 ha gegen
505 210 ha der Jahreskampagne 189596 1896/97 1897 98 1898 99 1899 1900,
1 1 ö 2 ö . z 1 4 . Roggen 184277 ha gegen ha der Jahreskampagne 189596, 1896 97 1897 98 1898 99 1899 1900,
22577
220 70 . 193 080 . ? 189 340 .
161 29993 . Gerste 23 849 ha gegen 607 700 ha der Jahreskampagne 189596 8, ö 1896 97 85 8, ö 1897198 ,, ö 1898 99
1398735 . 1899 1900, Raps 182660 ha
gegen 31810 ha in der Jahreskampagne 1895 96 k . 1896 97 6, . 189798 , ö. 1898 99 ,, . 1899 1900. Es ist zu beachten, daß in den Vergleichszahlen der Jahre 1895 9s u. ff. auch der Frühjahrsanbau mit einbegriffen ist, was besonders für den Anbau der Gerste von Bedeutung ist.
Washington, 11. März. (W. T. B. Nach dem heute der⸗ öffentlichen Jahresbericht des Ackerbau⸗Departements über die Getreide⸗ menge, wesche sich am J. d. M. in den Händen der Farmer befand, betrug dieselbe für Weizen 128 100 0090 Bushels oder 2465 0lo der letzten Ernte, für Magis 776 200 00 Bushels oder 36,9 o/o, für Hafer 292 800 000 Bushels oder 36,2 Oo.
Die Frühbeettreiberei der Gemüse ze. Von Jghannes Böttner, Chefredakteur des „Praktischen Rathgebers im Obst⸗ und Gartenbau“. Mit 84 Abbildungen. Verlag von Tromwitzsch u. Sohn in Frankfurt a. OD. Pr. 2 It. Die Frühbeetgärtnerei ist ein sehr lohnendes Gebiet für folche Gartenbesitzer, die einer kleinen Fläche guten Gartenlandes hohen Gewinn abringen wollen. Einsichtige Gemüsegärtner gehen immer mehr von dem Anbau im freien Lande zur Kultur unter Glas über. Das vorliegende Handbuch giebt nun Anleitung, wie man dieses koftbare Gartenland unter Glas auf das beste ausnutzen, und ihm durch geschickte Eintheilung drei⸗ bis fünffache Ernten abgewinnen kann. In (leicht verständlicher Ausführung, beschreibt der Verfasser die Lage der Treibbeete, die Einrichtung und Vor⸗ bereitung derselben, die Wärme, die Düngerpackungen, die Trühbeet⸗ erde, die Fenster, das Säen, Lüften, Gießen, Verpflanzen, Schatten geben, Jäten 2c. Dann behandelt er die einzelnen Treibgemüse, indem er bei sedem die besonderen Ansprüche an Wärme, Luft, Licht u. s. w. zeigt und diejenigen Kulturanweisungen giebt, durch welche die günstigsten Erfolge zu erzielen sind. Die zahlreichen Abbildungen in Verbindung mit dem klaren Tert werden es auch dem Unerfahrenen ermöglichen, nach den Anweisungen dieses Buches mit Nutzen und Erfolg zu arbeiten.
Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln.
Griechen land. . Die Quarantäne gegen Smyrna ist aufge hob en worden. Es findet nur noch eine strenge sanitätspolizeisiche Unter— suchung der Besatzung und der Passagiere statt. Auch die Waareneinfuhr aus Smyrna ist wieder gestattet. Aus genommen ist nur die Einfuhr von Lumpen jeder Art, Kleidern, Säcken, Matratzen, Decken, Strohmatten, alten oder schmutzigen Kissen, sowie alten Papiers oder gebrauchter schmutziger Zeitungen, als Waaren erpediert. Vergl. . R. Anz.“ Nr. 52 vom J. d. M.
Kapstadt, 11. März. (Telegramm des „Reuter'schen Bureaug ).) Die Pest nimmt eine gefährliche Ausdehnung. Heute sind 5 Neuerkrankungen gemeldet worden, 97; Personen stehen unter Be⸗ obachtung. Die Krankheit ergreift jetzt auch die wohl habenderen Be völkerungeschichten. Ein Europäer und seine Familie wurden nach dem Hospital geschafft, es haben aber noch mehr Erkrankungen unter den Europäern stattgefunden. (Vergl. Nr. 59 d. Bl.)
Handel und Gewerbe.
(Aus den im Reichsamt des Innern lu sam menge stellten Nachrichten für Handel und Industrie“ .)
Frankreich.
Verbot der Einfuhr von Medaillen. Ein Zirkular der General ⸗Direktion der indirekten Steuern vom 58. Dezember 1900, Nr. 420, lautet: ; ö ;
Der Artikel 1 des Beschlusses vom 5. Germinal des Jahres XI] hat dem Staat die Prägung von Medaillen vorbehalten: Private koͤnnen diesen Gewerbszweig in ihren Werkstätten nur mit besenderer Genehmigung der Regierung betreiben. Von dieser Regel ist eine Ausnahme nur bezüglich der religiösen Medaillen von kleinem Durch messer und mit Sehr, der Orden und der Prägungen in Stanzen gemacht, welche die Privatindustrie ohne Genehmigung auf Grund all emeiner Duldung Ferstellen kann. Das Verbot der Einfuhr den Fllen len sst die Folge der Beschränkung, der die innere Fabri fation unterliegt. Dieses Verbot ist unabhangig von der Form, in der die Gegenstände bei der Einfuhr vorgeführt werden und erstreckt sich deshalb nach einer Entscheidung des Finanz ⸗Ministeriums vom 3. Oftober 1906 auch auf Taschenuhrgehäuse, deren Boden durch im Ausland hergestellte Medaillen gebildet wird.