1901 / 293 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 11 Dec 1901 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Reichstag. 109. Sitzung vom 10. Dezember 1901. 1 Uhr.

Am Tische des Bundesraths: Reichskanzler Graf von Bülow, Staatssekretär des Innern, Staats⸗Minister Dr. Graf von Posadowsky-⸗Wehner, Staatssekretär des Auswärtigen Amts Dr. Freiherr von Richthofen.

Zur Verlesung kommt zunächst die folgende Inter⸗ pellation der Abgg. Fürst Radziwill Pole) und Ge— nossen:

sf 1) Ist dem Herrn Reichskanzler bekannt, daß die Vorgänge in Wreschen nicht nur bei uns, sondern auch im Auslande ein Aufsehen erregt haben, welches geeignet ist, dem Ansehen des Deutschen Reiches Abbruch zu thun? ö.

2) Welche Stellung nimmt der Herr Reichskanzler dieser An⸗ gelegenheit gegenüber ein?

Auf die Anfrage des Präsidenten erklärt der Reichskanzler Graf von Bülow: Ich bin bereit, die Interpellation sofort zu beantworten.

Zur Begründung erhält darauf das Wort der.

Abg. Fürst Radziwill: Der Anlaß zu der vorliegenden An—⸗ frage lag für uns in der Verpflichtung, welche wir fühlten, die nationale Würde derjenigen Bepölkerungskreise, welche uns hierher geschickt haben, zu wahren, eine Würde, welche wir durch die Cr ng zu Wreschen als verletzt ansehen mußten. Die Frage, die wir stellen, liegt im Brennpunkt derjenigen politischen Aktion, welche uns hier und im preußischen Landtage obliegt. . Die Angelegenheit gehört nicht sowohl zur Kompetenz des Reichs als des Bundesstaats Preußen, aber bei dem Aufsehen und der Er⸗ regung, welche die Vorgänge auch im Auslande, ja in der ganzen Welt hervorgerufen haben, erschien es uns nicht angänglich, gerade in diesem hohen Hause, in welchem so recht das Nationalbewußtsein pulsiert, diese Vorgänge unerwähnt zu lassen. Wir können das thun, weil wir uns bewußt sind, damit der Würde der deutschen Nation nicht zu nahe zu treten; dafür bürgen schon die Namen Derer, welche außer den Polen die Interpellation unterschrieben haben. Es leitet uns keinerlei agitatorische Absicht, sondern nur der tief empfundene Ernst der Sachlage. Wir bedauern die Form, in welcher sich die Entrüstung an einigen Stellen des Auslandes geltend gemacht hat, weil sie geeignet ist, einer guten Sache Abbruch zu thun. Die Auf⸗ fassung der Vertreter des Volkes und der Reichsregierung müssen wir extrahieren darüber, ob es für die Würde und Wohlfahrt Fes Reichs nothwendig ist, eine nationale Minderheit, welche die Entwickelung dem Reiche zugetheilt hat, in einer Weise, wie wir dies seit lange erleben müssen, in ihren nationalen Eigenthümlichkeiten anzufeinden, zu be⸗ drängen, mit dem ausgesprochenen Endziel, sie früher oder später aus⸗ zurotten, oder ob es nicht eher im Interesse des Ansehens des Reichs liegt, dieser nationalen Minderheit, welche sich ihrer Sprache nicht berauben lassen kann und will, in weiterem Maß Gerechtigkeit zu ge: währen. Ein Zug großen nationalen Selbstbewußtseins kommt bei unserem Reichskanzler stets in beredter Weise zum Ausdruck, dennoch können wir von seinem menschlichen Gefühl, zu dem wir alles Ver— trauen haben, erwarten, daß der ihm vorschwebende ideale Kranz von Deutschlands Ruhm und Kultur um nichts frischer und prangender ihm vorschwebt, wenn er nicht von dem Thränenthau polnischer Mütter und Kinder getränkt ist. In der katholischen Gemeindeschule in Wreschen war bis zum 1. April 1901 der Religionsunterricht in polnischer Sprache ertheilt worden; Eltern und Kinder waren daran gewöhnt. Auf einmal wurde der deutsche Religions⸗ unterricht eingeführt. In dieser Beziehung weise ich auf das Be⸗ denkliche hin, wenn man Lehrer, wie sie bei uns im Durchschnitt vor⸗ handen sind, unter denen sich auch minderwerthiges Material befindet, noch besonders anfeuert, in möglichster Schnelligkeit zu befriedigenden Resultaten zu gelangen, und wenn dann von dem Schulstock ein gar zu ausgiebiger Gebrauch gemacht wird. Redner beziebt sich auf einen Bericht aus Inowrazlaw, wonach dort eine besonders bösartige Züchtigung eines Knaben stattgefunden habe, und fübrt noch andere ähn⸗ liche Falle an die Züchtigung eine brutale und gerade; i en in einem Falle sei sogar ein Knabe von mebreren Lehrern zugleich festgebalten und mit einem Stock geschlagen worden. olange, fahrt der Redner fort, die Kirche das hat, in der Kirche zu den volnischen Kindern rolnisch zu reden beilige Pflicht der Re ̃ ol nischen

191 11

Als Reichskanzler habe ich einerseits die Pflicht, alle verfassungs⸗ mäßigen Rechte des Reichs und seiner Organe nach außen wie nach innen in ihrem vollen Umfang zu wahren. Ich habe aber ebenso sehr die Aufgabe, das Eingreifen von Institutionen des Reichs in die durch die Verfassung den Einzelstaaten vorbehaltene Zuständigkeit zu verhindern. Ich würde genau denselben Standpunkt einnehmen, wenn es sich, statt um eine preußische, etwa um eine bayerische, württembergische oder anhaltische Landesangelegenheit handelte. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen Wie das Reich das Recht hat, von den Bundesgliedern die loyale Erfüllung der den Bundesstaaten gegenüber dem Reich obliegenden Verpflichtungen zu fordern die es auch bisher niemals vergebens gefordert hat so haben umgekehrt die Bundesstaaten Anspruch auf unbedingte Achtung der ihnen verfassungsmäßig zustehenden Befugnisse. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen Diese Befugnisse darf ich nicht beeinträchtigen lassen, und ich muß gegen jeden Versuch, an dem bundesstaatlichen Charakter des Reichs und an den Rechten der Bundes⸗ fürsten zu rütteln, entschiedene Berwahrung einlegen. (Lebhaftes Bravo rechts und bei den Nationalliberalen.)

Da aber der Herr Antragsteller, dem ich für seine ruhige Be⸗ gründung der Interpellation um so dankbarer bin, je größer der Ab— stand ist zwischen seiner Mäßigung und der von der polnischen Presse geführten Sprache, auch Bezug genommen hat auf unsere Beziehungen zum Auslande, so erkläre ich noch das Nachstehende:

Davon, daß durch die Vorgänge in Wreschen dem Ansehen des Deutschen Reichs irgendwie Abbruch geschehen wäre, ist mir nicht das mindeste bekannt. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen. Lachen bei den Sozialdemokraten. Den Anstiftern jener Excesse in Galizien und in Warschau, die, wie ich glaube, der Herr Antrag⸗ steller doch zu milde beurtheilt hat, mag ja die Absicht vorgeschwebt haben, durch derartige Krawalle ein Moment der Beunruhigung hineinzutragen in unsere Beziehungen zu unseren beiden Nachbar— mächten, zu Oesterreich-Ungarn und zu Rußland. Wenn aber irgend welche Befürchtung bestehen sollte, daß unsere Beziehungen zu Oesterreich- Ungarn wie zu Rußland sich infolge jener Vorgänge neuerdings irgendwie ungünstiger gestaltet hätten, so kann ich auch diese Besorgnisse vollkommen zerstreuen. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Die Haltung sowohl der österreichisch-ungarischen wie der russischen Regierung hat unseren berechtigten Erwartungen entsprochen, und wir haben keinen Grund zu Beschwerde gehabt. Ich freue mich, darauf hinweisen zu können, daß die Kaiserlich russische Regierung nach den am 4. dieses Monats gegen das Kaiserliche General⸗Konsulat in Warschau verübten Ausschreitungen sofort und nach jeder Richtung hin befriedigende Remedur hat eintreten lassen. Der russische Minister des Auswärtigen, Graf Lambsdorff, hat den Kaiserlichen Bot⸗ schafter in Petersburg sogleich gebeten, der Kaiserlichen Re— gierung sein Bedauern über das beklagenswerthe Vorkommniß zum Ausdruck zu bringen. Gleichzeitig ließ Graf Lambsdorff dem Bot⸗ schafter keinen Zweifel darüber, daß die deutsche Regierung zu der russischen das volle Vertrauen haben könne, daß letztere aus freien Stücken alle nothwendigen Maßnahmen sofort und im vollen Um⸗ fange ergreifen werde. Das ist denn auch bereits geschehen und hat

uns jedes weiteren diplomatischen Schrittes gegenüber der Kaiserlich russischen Regierung in dankenswertber Weise enthoben.

d * . 2 5 83 1 358 . ö 29 General⸗Gouverneur von Warschau und die Spitzen der dortigen

Militärbehörden unter diesen insbesondere wegen der eiligung von Studenten der Kurator des Warschauer Lehrbezirks Direktor des Warschauer Polvtechnikums haben dem

eral⸗Konsul offizielle Besuche gemacht, um ihm ihr

14 * Vas zerstorte rern ersetzt . J

vollen r ** 211 161

Amtes ist, damit der Deutsche im Osten nicht unter die Rz kommt. (Lebhafter Beifall auf der Rechten und bei den National. liberalen, Zischen bei den Polen.)

Auf Antrag des Abg. Grafen von Hompesch (Gent) tritt das Haus in eine Besprechung der Jiterpellation ein. Abg. Roeren (Zentr): Wenn der Reichskanzler die Bemerkun hat einfließen lassen, daß es sich hier um eine Angelegenheit handel die lediglich zur Kompetenz eines Partikularstaats gehöre, so muß ih das entschieden bestreiten. Es handelt sich um einen Vorgnn der im Auslande zu einer großen Aufregung, zu Entrüstung⸗ versammlungen, ja sogar zu Geldsammlungen für die Ver, urtheilten geführt hat. Diese Erregung im Auslande macht es nothwendig, daß auch, der Reichstag selbst das Wort g. greift; und daß auch die Reichsregierung der Sache gegenüber ni t gleichgültig geblieben ist, geht aus der langen Reihe diplomatischer Aktenstücke hervor, welche ja Kunde von den gepflogenen inter— nationalen Verhandlungen geben. Ich sehe ab von den Straßenkund.— gebungen und Tumulten, welche bedeutungslos sind und von allen Seiten verurtheilt werden; ich wünschte nur, daß diese Beurtheilun auch denjenigen Kundgebungen zu theil würde, welche von alldeutscher Seite in viel extensiverer Weise veranstaltet werden. Mehr Bedeutun lege ich schon dem Umstande bei, daß in den Protestyersammlungen auch sehr ernst zu nehmende Elemente sich, befunden haben und daß die gesammte ausländische Presse diese Vorgänge in Wreschen einstimmig aufs schwerste verurtheilt hat. halte das Ausland nicht für berechtigt, sich in der Weise, wie g schehen, in unsere inneren Verhältnisse einzumischen; da dies aber ge— schehen ist, haben die Vorgänge einen Charakter angenommen, der eg nicht mehr zuläßt, sie einfach als preußische zu behandeln. Darum haben wir an der Besprechung wie schon an der Einbringung der Interpellation uns betheiligt. Von Zentralismus oder Föderalismuz kann bei dieser Gelegenheit garnicht die Rede sein. Man würde ja über die Sache hinweggehen können, wenn es sich um eine vereinzelte Brutalität eines Lehrers handelte; es handelt sich aber um eine zur Ausnutzung der Schuleinrichtungen organisierte Massenprügelei durch amtliche Organe. Aus den Verhandlungen in Gnesen ergiebt sich, daß 14 polnische Kinder in Reih' und Glied vortreten mußten nach Beendigung des Unterrichts; das erste wurde in einem Neben- zimmer e geh; und kommt zurück mit blutgeschwollenen Fingern, Spuren der Züchtigung; nun kommt das zweite an die Reihe, und die Kinder müssen während dessen in Reih und Glied stehen bleiben, und man muß staunen über den Muth der Kinder, die das ertragen, ohne schwach und wankend ju werden. Das war die Pädagogik gegenüber Kindern, welche, einem Gebote ihrer Eltern entsprechend, sich nicht den deutschen Katechismus angeschafft und die deutschen Gebete nicht aus. wendig gelernt hatten. Selbst die i n. hat sich da gegen ausgesprochen. den Kindern deutsche Gebete einzubläuen. Auch die ‚National-Zeitung“ kann nicht umhin, von, Massenprügelet⸗ zu reden und diese Art von Pädagogik zu verurtheilen. Nun hät man den Eltern einen Vorwurf daraus gemacht, daß sie den Kindem verboten, die deutschen Gebete zu lernen. Die Mütter haben q gethan aus einem tief religiösen Empfinden heraus, weil sie sonst mi ihren Kindern nicht mehr gemeinsam beten könnten, weil sie ibn Kinder sonst nicht mehr verständen. Diese Anschauung hat seltz ein liberales Blatt zur unbedingten Anerkennung des Verhaltens da Eltern geführt. Ob diese Anschauung der Eltern die richtige wa oder nicht, bleibe dahingestellt; die Kinder haben den Willen ihm Eltern befolgt und sind deshalb in Wreschen geprügelt worden Diese Prügelei wird in der Stadt bekannt, ebe noch die Kinder nah Hause gekommen sind, und nun laufen alle Eltern zur Schule in den Glauben, auch ihre Kinder befänden sich unter den gezüchtigten. M ist es gekommen, daß die in die Schule eingedrungenen Eltern kein Kinder unter den gezüchtigten hatten. Wenn heute die , Allgemeine Zeitung“ das als ein besonderes Verschulden hervorbe so ist das unverständlich; die Eltern sind in dem Glauben, ihn Kinder seien die gezüchtigten, in die Schule eingedrungen, um ibm Kindern Schutz zu bringen. Und diese Eltern, welche, ohn daß irgend eine Gewaltthätigkeit verübt worden ist, in Schule eindrangen, sind wegen Landfriedensbruchs, den Gnesener Gericht bis 25 Jahren Gefängniß bestraft itens des Vertheidigers wurde beantragt, die Wittwe aus der Untersuchungshaft zu entlassen, da bei dieser voran sie schon früber gelitten, einzutreten drobten. iesen Sachverbalt; der Staatganwalt be das Gericht beschließt demgemäß eiben müssen, es ist dieselbe, d In der hbakatistischen“ brechen gemacht ausfübrte, er ware sich

8 .

ö . le

1 1 e ber zurũck ie ber

. nber D ande

e volnische Bevölkerung, sondern aus prinziviellen Gründen, fir di be msffngercchtigtetten fährt Und das Gegentheil dez

1 sie zu Ungerechtig ĩ t. und das Gegentheil des Be. weil n erreicht. Das Nationalgefühl wird durch diese Politik wer, das Nationalbewußtsein geweckt, die polnische! Be—

ng verbittert und ung. immer mehr entfremdet.

. erscheidet nicht zwischen Staatsangehörigkeit und National⸗ der Völkerangehörigkeit, darin liegt der Grundfehler. Die Ildeutschen in Desterreich, die Brüder der Hakatisten“, sind Hantsche der Nation nach, aber österreichische Staatsangehörige. Wenn mfere Polen so auftrãten bei uns, vie die Alldeutschen in Oester⸗ uch, wenn sie verkünden würden: Los von Preußen, hin nach IYefterreich und wenn dann Hunderttausende Mark von Oesterreich ach Preußen geschickt würden und Wanderagitatoren hierher kämen, ar 'mit staatlicher Genehmigung mit einer Art Mecklenburger Hotteskasten, dann wäre es Zeit, dagegen mit der . . des Hoch- verraths einjuschreiten. Man unterdrückt gewaltsam die Nationalität. Denken Sie nur an. das traurige preußische Ansiedelungs⸗ „fag, welches 200 Millionen aus Staatsmitteln zum Auskauf des geletz, wel (2. ; * Ne rfs⸗ 8 2 polnischen Grundbesitzes zur Verfügung stellt, aus Staatsmitteln, nelche die polniche Bevölkerung gerade so gut wie die deutsche auf⸗ bracht hat. Verletzender ist der Kampf auf dem Gebiet der Schule und des Religionsunterrichts. Es ist ein Naturrecht jeder Nation, sich iber Muttersprache zu bedienen; wird dieses natürlichste Recht zewaltsam unterdrückt, so heißt das einen Zwang ausüben, der die Fsetroffenen zum äußersten Widerstand reizen mut. Das gilt ganz dorzüglich von dem Religionsunterricht, der nicht allein eine Sache des Verstandes, sondern auch des Herzens ist. In fremder Sprache kann dem Kind vielleicht der Katechismus eingedrillt werden, es kann auch Ras Kind im papageiartigen Hersagen von Gebeten abgerichtet werden; aber das Herz und innere Empfinden des Kindes wird nicht davon ergriffen. Das wissen die Eltern; es handelt sich um die ganze Religionszukunft ihrer Kinder. Daher haben sie diesen Widerstand zut geheißen. Es handelt sich ja auch weniger um die Hermanisierung, als um die Protestantisierung der 66 Landes⸗ tbeile. Herr Sattler hat ja im Abgeordnetenhause zugegeben, daß mr protestantische Deutsche als Ansiedler angenommen werden. Piderspruch des Abg Dr. Sattler Inl.).) Dann ist es ein Anderer zewesen, aber es ist thatsächlich so (Ruf: Nein! rechts, daß der An⸗ sedlungsfonds nur zur Herüberziehung von protestantischen Deutschen berwendet wird. Wie verschieden werden die protestantischen Polen, die Masuren, zum Unterschied von den katholischen Polen behandelt Denen hat man ihre Muttersprache gelassen, und zwar mit der aus— drücklichen Begründung, daß sie sonst unzufrieden und der großpolni⸗ schen Agitation zugänglich gemacht werden würden. Fast das gesammte Beamtenthum in Posen, vom Landrath herab bis zum Gendarmen, ist protestantisch, in Posen sämmtliche achtundzwanzig Landräthe. Auch möeramtlich germanisiert und protestantisiert man hakatistischerseits der Provinzialverein für innere Mission will protestantische Waisen—⸗ nder in die katholischen Gegenden Posens und Westpreußens ver- pflanjen, um so später neue evangelische Gemeinden in diesen katho⸗ lischen Gebieten zu gründen. Es sind denn auch schon solche Sen⸗ dungen von Waisenkindern aus Hannover u. s. w. dorthin abgegangen, um als Protestantisierungsmaterial zu dienen. Ist das edel? Ich wiederhole: Nach unserer Ueberzeugung kann nur dann erfolgreich gegen die Polen vorgegangen werden, wenn man nicht gewaltsam hte Nationalität unterdrückt, sondern sie zu zufriedenen und ordent⸗ lichen Reichsangehörigen zu machen sich bestrebt.

Abg. Graf zu Limburg⸗Stirum (d. kons.): Ich werde mich streng an die Interpellation halten. Mittheilungen wie die, auf welche sich der Vorredner beruft, beruhen sehr häufig auf falscher Information. Gewundert hat mich, daß die Interpellation damit begründet wurde, deß die Vorgänge in Wreschen unseren Beziehungen zum Auslande Abbruch gethan haben. Ich hätte erwartet, daß die Interpellation, enn man den Gegenstand überhaupt einer Interpellation für werth kielt, so gelautet hätte: Weiß der Herr Reichskanzler, daß die Vor⸗ nge in Wreschen zu Ausschreitungen gegen deutsche Vertreter geführt laben, und was ist geschehen, um diese Ausschreitungen wieder gut zu nachen? Auf diese Frage hat der Reichskanzler eine ausgezeichnete Intwort gegeben. Man könnte es für selbstverständlich halten, daß anz befreundete Staaten solche Ausschreitungen nicht dulden würden, der die Antwort des Reichekanzlers hat in sehr erfreulicher Weise

zt, daß die deutsche, die vreußische Regierung wieder in richtige

m der Politik eingelenkt ist. Diese Angelegenheit ist, was die chulvorgänge betrifft, eine rein innewreußische. Man muß die kühl darstellen, wie sie liegen. Meine politischen Freunde wünschen, daß ischer wie den

tschen ibre Religion ß sie so

daß

ö 1 * 86 41 . 86e 2 11

vollkommen unterrichtet we Ich habe

Regierung nur einverstanden sein, denn es zeigt dem Auslande und das ist ein Vortheil —, daß die preußische Re⸗ gierung sich nicht hat an den 1. fahren lassen. Die polnische Propaganda werden wir nicht dulden. Wir wollen behalten, was wir haben. Leider ist in dem letzten Jahr⸗ hundert die Politik der preußischen Regierung keine stetige gewesen. Wir sind immer zurückgegangen nach dem Rücktritt des Fürsten Bis— marck. Wie können Sie (zu den Polen) sich auf die Proklamationen der preußischen Könige berufen nach den Aufständen der 1830er und der 1360er Jahre und den Vorgängen von 1846 und 18487 Diese Pro⸗ klamationen sind doch unter der Voraussetzung erlassen, daß Preußen in den Polen zuverlässige Unterthanen bekommen würde. Erst jetzt lenken wir wieder in richtige Bahnen ein. Meine politischen Freunde und die große Mehrheit des deutschen Volkes wird der Re— gierung in dieser Politik zur Seite stehen. Wir werden darauf halten, daß den Polen ebenso wie allen Anderen ihre Religion erhalten wird, ebenso auch ihre polnische Muttersprache, aber wir verlangen, daß die Kinder auch Deutsch lernen und daß das Deutschthum gegen die Propaganda der Polen geschützt wird. Unsere Antwort auf die Interpellation ist also: die Vorgänge in Wreschen haben uns im Aus— lande nicht Abbruch gethan, sondern insofern genützt, als sie gezeigt haben, dez wir eine starke preußische Regierung haben, welche sich nicht an den Wagen fahren läßt; wir nehmen die Stellung ein, daß wir der Regierung in ihrer berechtigten Politik eine thatkräftige und stetige Unterstützung zu theil werden lassen wollen.

Abg. Dr. von Dziembowski-Pomian (Pole): Ich muß auf die Wreschener Vorgänge näher eingehen, und ich bin dazu als Ver— theidiger im Gnesener Prozeß legitimiert. Darin stimme ich mit dem Vorredner überein, daß die Berichte in der Presse oft nicht objektiv genug waren. Von der Rede des Staatsanwalts haben die Zeitungsberichterstatter ausführlich Notiz genommen, um sich nachher über unsere Vertheidigungsreden möglichst objektiv ausschweigen zu können. Es ist Thatsache, daß die Kinder sich nicht geläufig deutsch über die Vorgänge in Wreschen bei der Gerichtsverhand⸗ lung auslassen konnten, sondern der Dolmetscher unaufhörlich zu Hilfe genommen werden mußte. In Wereschen ist man so weit mit der Unterweisung im Deutschen gekommen, daß ein Kind zu dem Geistlichen kam mit der Frage: Was ist das eigentlich: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Geisches?“ Das Kind hatte also den Ausdruck „Geist“ absolut nicht verstanden, noch viel weniger in seiner Bedeutung zu erfassen vermocht. Die Leute in Wreschen haben an den Kaiser und König petitioniert, aber der Zar ist weit“, die Petition kam zurück von der Behörde, an die sie zur ressortmäßigen Erledigung abgegeben war; die Behörde war nicht in der Lage, darauf einzugehen. Dann brachte man eine Volksversammlung zu stande; auch kein Erfolg. Dann kam die Massenprügelei. Graf Limburg meint, dabei sei doch nichts Außergewöhnliches. Das ist nicht wahr. Die Kinder waren barbarisch gehauen worden; selbst die deutsche und jüdische Bevölkerung war empört. Die Kinder konnten die Finger nicht krümmen; ein Kind konnte vier Tage die Schule nicht besuchen. Daß das Prügeln mit dem Stock nicht ungefährlich ist, daß ein Schuler durch die Stock— schläge zum Stotterer gemacht worden ist, ist verbürgt; auch wird von einem Fall berichtet, wo der Geprügelte infolge der Züchtigung Blind⸗ darmentzündung bekam und nach ein paar Tagen starb. Wenn gegen züchtigende Schulinspektoren Klage erhoben wird und selbst die Staats gewalt das Verfahren einleitet, wird nachher festgestellt, daß das Züchtigungsrecht nicht überschritten worden ist. Gerecht ist es nicht, wenn diese Herren in so barbarischer Weise dieses Züchtigungsrecht mißbrauchen. Kein Mensch ist in Wreschen angegriffen worden. Gerade als die Wogen am höchsten gingen, trat ein Mann aus der Menge an einen Lehrer heran und sagte zu ihm: „Herr Lehrer, es geht nicht so weiter, kommen Sie und trinken wir ein Glas Bier, ich werde Ihnen die Sache klar legen. So sind diese ‚Excedenten' vor⸗ gegangen. Ist es etwa besonders strafverschärfend, wenn die Bevölke⸗ rung an einem solchen Tag den Landrath nicht besonders grüßt und ihm Platz macht? „Wo bleiben Sie denn, Herr Wachtmeister, mit Ihrer Plempe, ziehen Sie blank! wurde der Wachtmeister, der offen bar keinen Grund zum Einschreiten mit der Waffe geseben hatte, an⸗ gefahren. Erst auf Grund eines hetzenden Artikels des Posener Tage blatts hat der Staatsanwalt das Verfahren eingeleitet; von Wreschen selbst war gar keine Anregung an ihn gegangen. So entstand der ganze Prozeß. Die Presse, nicht der Landrath in Wreschen, hat die Sache eingerübrt; sie drückt als Nebenregierung auf die Behörden und setzt den Staatsanwalt in Bewegung! Der Geistliche hat nicht zur Renitenz aufgefordert, die Volksversammlung hat die größte Ruhe bewahrt. Der Gnesener Prozeß muß Mitleid erregen mit den Wreschener Verurtheilten; da kamen dann auch milde Gaben für die Kinder. Diese Fonds lassen wiederum die hakatistische Presse nicht schlafen; sie wollte sie konfis zieren lassen! Es ist ein Grundsatz der katholischen Kirche, ñ Volksschule der Religions unterricht in der Muttersprache ertbeilt werden muß. Da s s von olitijcher Agitation und dergleichen

de. Auch die Geistlichkeit kann nicht zulassen, daß gen diesen Grundsaß, der auf einem Konzil festgelegt worden ist verstoßen wird Graf Limburg inte Recht auf die Ver beißungen der preußischen Könige gebe es nicht. Lange, nachdem alle

Aufstände begraben waren, erging eine nigliche Botschaft, welch. l ĩ tsche Neich einverleiben zu lassen,

Das wird

rgehen schafft di eutschen Meichs lgen der Germani⸗

K 2 *. er sei als

396 rw mr . 1neà 2

Fele

1 5

Fenster einwerfen und Schilder zerstören, werden Sie sicher mit mir als Radau“ bezeichnen, und wer daran theilnimmt, ist ein Radau⸗ bruder. Nachtheilig kann das nur für die Autorität und das Ansehen der Regierung des Staats sein, wo solche Exzesse vorkommen. Die be⸗ treffenden Regierungen haben denn auch diesen Vorfällen gegenüber ihr Bedauern unserer Regierung zum Ausdruck gebracht. Ich wundere mich über die Stellung des Zentrums. Beim Zolltarif sagte es, daß das Ausland keinen Einfluß auf die deutsche Gesetz⸗ gebung haben dürfe. Also müßte es auch hier der Regierung treu zur Seite stehen und sagen: Ausland, du hast uns nichts zu sagen! Eine Erörterung im Reichstag hätte ich höchstens deshalb für mög⸗ lich gehalten, weil ein aktiver Minister des uns eng verbündeten Kaiserreichs an der Demonstration einer Versammlung gegen die Rechtsprechung eines deutschen Gerichts sich betheiligt hat. Ich hätte eine Interpellation an den Reichstag einbringen können, worin mich vielleicht das Zentrum und die hannoversche Partei unterstützt hätten: Ist dem Reichskanzler bekannt, daß der ungarische Minister Piatek an einer solchen Demonstration theilgenommen hat? Aber ich halte eine solche Thatsache doch nicht für wichtig genug. Jedoch nach der Stellung des Zentrums beim Zolltarif sollte es auch hier dem Auslande zurufen: hands off! Wenn mir auch eine so große Anzahl von Strafen an einem Tage wie in Wreschen nicht gefällt, weil die Prügelstrafe immer unmittelbar den Delikten folgen soll, so hat es sich hier doch nicht lediglich um passiven Widerstand gehandelt. Verschiedene Kinder haben sich geweigert, das Lied zu singen: Ich bin ein Preuße“. Nicht nur passiver Widerstand, sondern Widersetzlichkeit und Trotz haben sich geltend gemacht. Arrest und Prügek sind die einzigen Mittel zur Aufrechterhaltung der Disziplin in der Schule. Deshalb kann man den Lehrern aus der Züchtigung keinen Vorwurf machen, zumal das Züchtigungsrecht nicht überschritten ist. Daß die Kinder in der 1. Klasse sich in den ersten Wochen nicht renitent zeigten, beweist, daß sie erst durch die Eltern zur Widersetzlichkeit beeinflußt wurden. Man kann die betreffenden Angeklagten bedauern, die so un⸗ gebildet und dumm sind, daß sie glauben, daß Christus immer polnisch gesprochen habe und der Papst auch polnisch spreche. Man kann be— dauern, daß die armen Leute bestraft sind, und nicht die, welche die Leute zu ihrem Verhalten beeinflußt haben. Es ist festgestellt, daß der Geistliche, den die Kinder in ihrer Noth befragten, sagte: „Ich gebe euch gar keinen Rath, denn ihr könntet sagen, ich hätte 23 einen Rath gegeben, und das könnte schädlich sein.“ Das ist nicht richtig für einen geistlichen Seelsorger, gerade in dieser ausweichenden Stellungnahme liegt die Schuld. Die ausländische politische Presse zeigt eine wahre Wuth; die „Narodnaja Wolja!“ sagt, eine arme Mutter sei zu 25 Jahren Gefängniß verurtheilt worden, weil sie ihrem von den preußischen pädagogischen Schindern gemiß⸗ handelten Kinde zu Hilfe kommen wollte, und dabei steht fest, daß das Kind der Piasecka garnicht an der Züchtigung

betheiligt war. Dasselbe Blatt nennt unsere Lehrer Berufs⸗ schinder! und sagt, aus der Bestialität der Menschennatur sei ein politisches Programm und System geschaffen worden. Wo aber die Polen die Macht haben, üben sie sie sehr kräftig aus. Die polnischen Landestheile waren früher ausgepowertes und heruntergekommenes Land, infolge der polnischen Herrschaft. In Oesterreich haben zwei polnische Abgeordnete die Polizei geholt, um die opponierenden Mitglieder des Reichsraths mit Gewalt aus dem Saal schleppen zu lassen. In Galizien liegt trotz der geringeren Anzahl der polnischen Bevölkerung die Macht in den Handen des polnischen Adels. Wie die Art der Wahlagitation der Polen ist, zeigen die Wahlen in Galizien, wobei es eine ganze Zahl Todter und Verwundeter gab. Da hieß es: Entweder wir wählen Herrn Ja⸗ worski, oder wir werden todtgeprügelt. So behandelt die herrschende Partei in Galizien die Ruthenen. Auch die Schule in Galizien wird von der nationalen Partei in ähnlichem Sinne regiert. Heute besteht in Galizien keine einzige ruthenische Volksschule. Man hat die deutsche Sprache für eine Sprache der Schöpse erklärt. So nimmt die herrschende Partei Rücksicht auf eine zu ihr gehörende fremde Bevölkerung! Das Resultat ist, daß es jetzt in Gallzien 5 Millionen Analphabeten giebt. Wie würde sich die ruthenische deutsche Bevölkerung freuen, wenn die volnische herrschende Partei sich an Preußen ein Muster nähme! Wenn bei uns ein Landrath einen Wahlaufruf unterschreibt, wird die Wahl kassiert. Der preußischen Regierung ist es gelungen, die Zahl der Analphabeten auf ein Minimum zu reduzieren. Eg wäre ein Unglück für die polnische Bevölkerung, wenn die Agitation Erfolg damit hätte, die ehemals polnischen Landestheile von Preußen loszureißen. Daß es eine solche Agitation giebt, werden Sie (zu den Polen) trotz aller Kasuistik nicht aus der Welt schaffen könne Ich verdenke Ihnen das garnicht, ich habe den größten Respekt vor diesem hochgespannten Nationalitätssinn, ich wünschte nur, er bei uns nur halb so groß. Aber bei Ihnen steht die Nationalität in erster Linie und drängt alles Andere in den Hintergrund. Die Sozial⸗ demolraten sind ja die größten Schützer der Polen; aber selbst der Abg. die volnische Agitation nicht vollkommen decken me von einem gewi Dulong, der, wie sprechen konnte, wie jenes Kind auf eutsch ntwortete Kein Wort! k

ofraten nicht mebr

ö .

en, .

ö