1903 / 299 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 21 Dec 1903 18:00:01 GMT) scan diff

Die von heute ab zur Ausgabe gelangende Nummer 47 des Reichsgesetzblatts enthält unter .

Nr. 3663 die Bekanntmachung, betreffend die dem Inter⸗ nationalen Uebereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr beigefügte Liste, vom 11. Dezember 1903; unter

Nr. 300 die Bekanntmachung, betreffend Abänderung des dem Gesetz über Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben vom 30 März 1903 (eichsgesetzbl. S. 118) beigegebenen Verzeich⸗ nisses, vom 17. Dezember 1903; und unter E Nr. 3005 die Bekanntmachung, betreffend Ausnahmen von den Vorschriften des J; 12. 5 13 Abs. 1 des Gesetzes über Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben vom 39. März 1903 (Reichsgesetzbl. S. 13) vom 17. Dezember 1963.

Berlin W., den 19. Dezemher 1903.

, Postzeitungsamt. eberstedt.

Königreich Preußen.

Seine Majestät der König haben Allergnädigst geruht:

den Präͤsidenten des Evangelischen Oberkirchenrats Voigts

in Berlin zum Vorsitzenden des Vorstands des Pfarr⸗-Witwen⸗

und Waisenfonds und des Vorstands der Alterszulagekasse für evangelische Geistliche zu ernennen.

Aichtamtliches. Deutsches Reich.

Preußen. Berlin, 21. Dezember.

Seine Majestät der Kaiser und König trafen gestern abend um 7 Uhr 45 Minuten von Hannover auf der Wild⸗ parkstation ein und fuhren nach dem Neuen Palais.

Heute vormittag hörten Seine Majestät die Vorträge des Ministers für Handel und Gewerbe Möller und des Chefs des Zivilkabinetts, Wirklichen Geheimen Rats Dr. von Lucanus.

Ihre Majestät die Kaiserin, und Königin be⸗ uchten am Sonnabendvormittag die Kaiserin Augusta⸗Stiftung in Potsdam und waren Nachmittags bei der Weihnachtsfeier in der Auguste Victoria⸗Krippe und im Pfingsthause anwesend.

Die vereinigten Ausschüsse des Bundesrats für Handel und Verkehr und für Justizwesen hielten heute Sitzung.

Der Bevollmächtigte zum Bundesrat, Großherzoglich

oldenburgische Staatsminister Willich ist von Berlin abgereist.

Der bisherige Geschäftsträger der Republik Guatemala bei der Kaiserlichen Regierung Joss Tible y Machedo ist von seinem hiesigen Posten abberufen und zu seinem Nach⸗ folger der Generalkonsul von Guatemala in Hamburg J. Gomez Carillo ernannt worden. Herr Carillo hat sein Beglaubigungsschreiben am 10. d. M. im Auswärtigen Amt überreicht.

Laut Meldung des „W. T. B.“ ist S. M. S. „Geier“ am 18. Dezember in Nanking eingetroffen.

S. M. S. „Tiger“ ist am 19. Dezember von Nagasaki nach Tsingtau in See gegangen.

In der Ersten und Zweiten Beilage zur heutigen Nummer des „Reichs- und Staatsanzeigers“ wird die vom Reichs⸗ eisenbahnamt aufgestellte tabellarische Uebersicht der Be— triebs ergebnisse deutscher Eisenbahnen für den Monat November 1903 veröffentlicht, auf die am Freitag v. W. an dieser Stelle auszüglich hingewiesen worden ist.

Hannover, 20. Dezember. Ueber den weiteren Verlauf der Jubiläumsfeier meldet ‚W. T. B.“: Seine Majestät der Kaiser und König fuhr vorgestern nach dem Gottesdienst nach dem Schlosse zurück, stieg dort alsbald zu Pferde und begab Sich, nachdem der kommandierende General von Stünzner gemeldet hatte, daß die Aufstellung der Truppen auf dem Waterlooplatze beendet sei, dorthin. Auf dem Platze hatten im offenen Viereck die drei das Jubiläum feiernden Regimenter sowie mehrere tausend ehemalige Angehörige von ihnen und Angehörige der alten 1 Armee Aufstellung genommen. Von der

aterloosäule wehten zwei Fahnen in preußischen und han⸗ noverschen Farben. Die Parade kommandierte der General⸗ major Höckner, der Kommandeur der 20. Feldartilleriebrigade. Kurz nach 12 Uhr erschien Seine Majestät auf dem Platze. Die Truppen präsentierten, und Truppen wie Veteranen begrüßten den obersten Kriegsherrn mit dreifachem Hurra. Seine Majestät ritt die Fronten ab und zeichnete hierbei viele der alten Krieger, von denen eine Anzahl in alten hannoverschen Uniformen erschienen waren, durch Ansprachen aus. Hiernach verlas der Chef des Militärkabinetts, General⸗ adjutant, Generalleutnant Graf von Hülsen⸗Haeseler folgende Kabinettsordre:

Die heutige Feier gilt einer Truppe, deren Namen das Herz jedes Angehörigen der Provinz Hannover höher schlagen läßt, der Königlich deutschen Legion. Bei Sulingen und Artlenburg war das Geschick des Kur ⸗-Hannoverschen Heeres besiegelt worden. Die stoljen Regimenter, deren Fahnen in Kandia und bei Neerwinden, bei Sons und Minden geweht, hatten auf⸗ gehört zu bestehen. Aber nicht untergegangen war der Geist, der in ihnen gelebt hatte: Hunderte und aber Hunderte von Offizieren und Mannschaften, in deren Seele die angetane Schmach brannte, suchten unter den größten Gefahren dem angedrohten Tode zum Trotz Englands Gestade auf, nicht um dort vor den Bedrückungen des

eindes eine Freistatt zu finden, sondern mit dem Entschluß, ibrem errn und König sich für den Kampf gegen den fränkischen Eroberer zu weihen. Ihnen folgten aus allen Gauen Deutschlands Männer, die die Hoffnung auf die Wiederaufrichtung ihres Vaterlandes nicht sinken lassen mochten. So entstand die deutsche Legion, deren Ringen auf der Peninsula von Corusa und Talavera bis Salamanca

und Vittoria einen großen, mit dem Blut vieler Tausender getränkten Ruhmeskranz bildete. Und mußten auch ihre Mannen fern von der Heimat auf fremdem Boden unter fremden Fahnen sich opfern, auch dieses Blut floß für Deutschlands Befreiung,.

Und dann kam, nachdem die Legion in siebenjährigem Kampfe ihren Siegeszug vom Tajo bis zur Garonne vollendet hatte, ihr letzter Waffengang: Waterloßb. Was sie in dieser Entscheidun goschlacht geleistet, leuchtet mit Flammenschrift in die Jahrhunderte hinaus. La Haye Sainte, das schönste Blatt in dem an diesem Tage um ihre Fahnen gewundenen Ehrenkranz, wird für alle Zeiten ein Vorbild sein ß Heldenmuts und unerschütterlichen Ausharrens bis zum Tode.

Dlesen Geist der Hingebung und Treue pflanzten die Männer der Legion der neuen Königlichen Armee ein, deren Kern sie wurden; ihn bewährten die Söhne an dem blutigen Tage, der Gott gebe es zum letzten Male Deutschen gegen Deutsche die Waffen in die Hand drückte und abermals den Untergang ihrer Regimenter herbeiführte; ihn betätigten sie in dem ruhm— vollen Kriege, der die endliche Erneuerung. Deutschlands unter Meinem erhabenen Herrn Großvater, des großen Kaisers Majestät, besiegelte. Der Ruhm der Väter ist der Söhne Ehre, der uner schöpfliche Jüngbrunnen, aus dem sie fort und fort Kraft schöpfen, es diesen gleich zu tun, der Hort der eigenen Ehre in sturmbewegter

eit. . Freudigen Herzens und in vollem Vertrauen habe Ich deshalb Meinem Heere die großen Erinnerungen der Legion geschenkt, indem Ich sie in den Truppenteilen zu neuem Leben erweckt habe, in denen die früher hannoverschen Krieger Schulter an Schulter mit ihren altpreußischen Kameraden kämpften, und an den Tagen von Colombey, Vionville und Beaume la Rolande sowie im Jura den Ruhm der

Ahnen erneuert haben.

Möge es diesen Regimentern und Bataillonen, mit denen Ich heute den hundertjährigen Stiftungstag der Legion festlich begehe, nie an Männern fehlen, die wie die sind, die freudig Blut und Leben für die Ehre und die Größe des Vaterlandes dahingegeben haben. Das walte Gott!

Hannover, den 19. Dezember 19603.

Wilhelm, J. R.

An das Füsilierregiment Generalfeldmarschall Prinz Albrecht von Preußen (Hannoversches Nr. 73), Mein Ulanenregiment (1. Hannover— sches Nr. 13) und das Feldartillerieregiment von Scharnhorst (1. Han⸗ noversches Nr. 10.

Der kommandierende General von Stünzner sprach

hierauf den Dank der Truppen aus und brachte ein drei⸗ faches Hurra auf Seine Majestät aus. Es folgte ein Parademarsch der drei Regimenter in ** zu Fuß. Hierbei führte Seine Königliche Hoheit der Prinz Albrecht sein Regiment Nr. J3 und Seine Majestät der n und König die Königsulanen. Nachdem Seine Majestät eine Reihe militärischer Meldungen entgegengenommen hatte, setzte Allerhöchstderselbe Sich an die Spitze der Fahnen— kompagnie und rüt mit Seiner Königlichen Hoheit dem Prinzen Albrecht nach dem Schlosse zurück. Nach 1 Uhr fand im Schlosse Frühstückstafel statt. Um 41M Uhr traf Seine Majestät der Kaiser und König im Tivoli ein; auf der Hinfahrt war Allerhöchstderselbe vom Publikum, das die Straßen dicht besetzt hielt, freudig, be— grüßt worden. An der Festtafel nahm Seine Majestät zwischen dem Generalfeldmarschall Grafen Waldersee und dem kommandierenden General von Stünzner Platz. Gegenüber Seiner Majestät saß Seine Königliche Hoheit der Prinz Albrecht. Im Laufe des Festmahls brachte Seine Königliche Hoheit, der Prinz Albrecht folgenden Trink⸗ spruch guss.

Turer Kaiserlchen un mniglichen Mgjestät ist der Dank der drei Regimenter, die heute n und auf ein Jahrhundert zurück- blicken, zu Füßen gelegt worden, und wir sind Laran erinnert worden, daß die Gegenwart unseres Allerböchsten Kriegsherrn erst dem heutigen Tage die volle Weihe und seine Bedeutung gegeben hat. Heute aber ist uns auch der handgreifliche Beweis geliefert worden, daß Eurer Majestät Heilung und Herstellung vor der Tür steht. Indem ich Eurer Majestät den Dank, das Glas in der Hand, wiederhole für die unendliche Gnade, die Eure Majestät für die Regimenter und für unzäblige andere alte Kameraden gehabt haben, bitte ich untertänigst, daß Eure Majestät gestatten, daß wir mit Dank gegen Gott unsere Glückwünsche darbringen zu der Herstellung Eurer Majestät. Ich bitte die Herren, insonderheit die Kameraden von den drei heuté feiernden Regimentern, einzustimmen mit Dank und mit Glückwunsch in den Ruf: „Seine Majestät unser Allergnädigster Kaiser, König und Herr Hurra! hurra! hurra!“

Seine Majestät der Kaiser und König dankte mit lauter, vernehmlicher Stimme.

Um ? Uhr begann im Königlichen Theater die auf Allerhöchsten Befehl veranstaltete Festaufführung. Das ganze Theater war mit Girlanden und Festons ge— schmückt. Gegeben wurde „Waterloo“, Soldatenszenen aus 100 Jahren, Festspiel von Freiherrn von Ompteda. Nach dem Schlusse der Vorstellung verließ Seine Majestät unter den Hochrufen der Festversammlung den Theatersaal und begab Sich, begleitet von dem Generalfeldmarschall Grafen Waldersee und dem diensttuenden Flügeladjutanten, in die Wohnung des Obersten von Heyden⸗Linden, wo auch die Damen des Königsulanenregiments versammelt waren, und nahm dort den Tee ein.

Gestern vormittag besuchte Seine Majestät das Vater⸗ ländische Museum und wohnte um 11 Uhr dem Gottesdienst in der Schloßkirche bei. Später besichtigte der Kaiser das Provinzialmuseum. Um 1 Uhr fand eine größere Frühstücks— tafel im Schlosse statt. Gegen 4 Uhr Nachmittags erfolgte die Abreise nach Potsdam.

Mecklenburg⸗Schwerin.

Das Großherzogliche Staatsministerium bringt das folgende, gestern bei ihm eingegangene Telegramm Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs zur allgemeinen Kenntnis:

Gmunden, 20. Dezember.

Dem Staatsministerium habe ich die große Freude die Mit⸗ teilung zu machen von meiner heute erfolgten Verlobung mit Ihrer Königlichen Hoheit der Herzogin Alexandra zu Braunschweig-⸗Lüneburg, zweitältesten Tochter Ihrer König— lichen Hoheiten des Herzogs und der Herzogin von Cumber— land, Herzogs und Herzogin zu Braunschweig und Lüne— burg. Indem ich das Staatsministerium beauftrage, die Kunde baldmöglichst im Lande zu verbreiten, hege ich die freudige Zuversicht, daß mein Volk, wie es stets in Treue zu meinem Hause gehalten hat, auch jetzt warmen Anteil an unserem Glücke nehmen wird.

Frie drich Franz.

Oesterreich⸗Ungarn.

Das Reichskriegsministerium veröffentlicht, wie „W. T. B.“ berichtet, einen Erlaß des e in dem angeordnet wird, daß die verfügbare Mannschaft der drei letzten Assentjahrgänge der Ersatzreserve und die mit dem 31. Dezember d. J. in den ersten Jahrgang der Reserve über⸗

ü

gehende Mannschaft ungarischer Staatsangehörigkeit im Rahmen des 1902 eingereihten Rekrutenkontingents zur aktiven Dienst⸗ leistung einberufen bezw. auch über den Zeitpunkt des Uebertrittz in die Reserve hinaus zurückbehalten werden sollen, insoweit diese Mannschaften zur Ergänzung der vorgeschriebenen Präsenz- stärke unumgänglich erforderüch sind.

Die österreichische Delegation verhandelte in ihrer vor— ke gn, Sitzung über daz Budgetprovisorium. Kramarcz fm eingehend die militärischen Fragen und soagte, es gebe in dieser Reichshälfte mit Ausnahme des österreichischen Minister⸗ Präsidenten niemanden, der nicht an den Sieg der Ungarn glaube. Die Ungarn hätten mehr erreicht, als sie sich hätten traͤumen lassen. Nur die Einsicht der Magygren, daß ihnen die gemeinsame Armee und eine große, mächtige Monaichie einen größeren Schutz biete, sei eine Gewähr dafür, daß es nicht zu der glg. der vom österreichischen Ministerpräsidenten genährten Los⸗von⸗Ungarn⸗Bewegung, zur wirt— schaftlichen Zerschlagung der Monarchie, kommen werde, die den Plan der All. und Volksdeutschen, eine Zollunion mit Deutschland, und damit das Aufhören der Selbständigkeit Oesterreichs zur Er—Q füllung bringen würde. Der Redner erklärte, der Ansturm Ungarns auf die Einheitlichkeit der Armee würde nicht gemacht worden sein, wenn die Armee ein Volksheer wäre, in dem die Nationalitäten ge— pflegt und gefördert würden. Er wies dann den den Tschechen gemachten Vorwurf der Unersättlichkeit zurück und bemerkte, die Tschechen verlangten nur die Ausführung der Gesetze und die Befriedigung der kulturellen Bedürfnisse. Sie würden un— bekümmert um Lob und Tadel den Kampf für ihre historischen nationalen Rechte sowie für eine bessere Zukunft der Monarchie fortsetzen. Biankini führte hierauf aus, er er— blicke in der Ausübung des Rechts, bei der Papsiwahl ein Veto ein zulegen, eine Verletzung der religiösen Gefühle der Katboliken Oester⸗ reichs, beklagte des weiteren die Italien gemachten Zugeständnisse be⸗ züglich der Weineinfuhr, der Seeschiffahrt und der Fischerei, führte über die Vernachlässigung Dalmatiens und der okkupterten Provinzen Beschwerde und protestierte gegen die Berufung des Freiherrn von Burian zum gemeinsamen Finanzminister und Landespräsi— denten von Bosnien und der Herzegowina, da er der kroatischen Sprache nicht mächtig sei. Kaftan erklärte, die Tschechen er— achteten die Forderungen Ungarns bezüglich der Regimentssprache und der Militärbildungeanstalten für vollkommen berechtigt, und sprach die Hoffnung aus, daß der gegenwärtige Kriegsminister den Chlopner Armeebefehl auch gegenüber den Tschechen be—⸗ folgen werde. Kliemenn erklärte, als Anhänger der Personal⸗ union würde er nichts gegen die Schaffung einer selbständigen ungarischen Armee haben, nur müsse Ungarn für deren Kosten allein aufkommen. Die von Kramarcz in grellen Farben ge⸗ schilderten Verhältnisse Oesterreich⸗Ungarns ju Deutschland wären den Alldeutschen gewiß lieber, als Desterreichs Verhältnis zu Ungarn, da sie eine Rettung Oesterreichs nur in einem stagts⸗ luch he Verbande mit dem Deutschen Reiche erblickten. Der Berichterstatter Marquis de Bacquehem erklärte in seinem Schlußworte gegenüber Kramarcz, daß die Regierung auf, die jüngste Kundgebung des Herrenhauses in der Militärfrage nicht den geringsten Einfluß genommen habe. Bezüglich einer Zollunion mit dem Deutschen Reiche führte der Redner aus: wenn darunter verstanden werde, daß zwischen Oesterreich Ungarn und dem Deutschen Reiche ermäßigte oder gar keine Zölle be⸗ stehen sollten, daß Oesterreich Ungarn mit Deutschland aber sich durch höhere Zölle gegen das Ausland abschließen solle, so sei dieser Gedanke schon wegen einer Bestimmung des Frankfurter Friedensvertrages undurchführbar. Bezüglich der Handels⸗ verträge glaube er (Redner), daß bei den Staaten, die zu Anfang der neunziger Jahre Tarifverträge abgeschlossen, der Wille bestehe, auch . wieder zu langfristigen Handelsverträgen ju gelangen. Der Referent führte weiter aus, Deutschland habe, trotzdem es bereits einen Zolltarif habe, bisher gewartet, bis DSesterrei Ungarn hoffentlich auch in kürzester Zeit gerüstet sein werde, in Ver⸗ handlungen einzutreten. Diese freundschaftliche Haltung der deutschen Regierung sei um so höher einzuschätzen, als im e ,, Reich auch eine mächtige Partei bestehe, die die Regierung dahin dränge, neue Verträge an Stelle der alten zu setzen. Ungeachtet verschiedener an den Tag gelegter pessimistischer Auffassungen halte er dafür, daß man nicht noͤtig habe, den Mut sinken zu lassen, zumal man aus dem Erposs des Ministers des Auswärtigen die Ueberzeugung gewinne, daß sich die auswärtige Lage der Monarchie nach allen Seiten als besonders befriedigend darstelle. Hoffentlich werde es vor der Er⸗ neuerung der Handelsverträge gelingen, eine geklärte innere Lage zu schaffen, die es ermögliche, die politischen Allianzen Oesterreichs⸗ Ungarns durch wirtschaftliche Vereinbarungen zu ergänzen und seinen wirtschaftlichen Kräften volle Entfaltung zu bieten. Das Budget provisorium wurde sodann in zweiter Lesung angenommen.

Der König von Dänemark und der Prinz Wal— demar trafen am Sonnabendnachmittag um 3 Uhr in Gmunden ein und wurden von dem Herzog und der Herzogin von Cumberland und deren Ange⸗ hörigen empfangen. Eine halbe Stunde später traf der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin ein, der von dem Herzog von Cumberland empfangen wurde. Gestern früh erfolgte die Verlobung des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin mit der Prin zessin Alexandra. Später nahmen die Fürstlichen Herrschaften an dem Gottesdienste in der evangelischen Kirche teil. Mittags nahmen der Herzog und die Herzogin von Cumberland sowie das hohe Brautpaar die Gluͤckwünsche zur silbernen Hochzeit bezw. zur Verlobung entgegen und empfingen die Gemeindevertretung von Gmunden sowie eine Abordnung der Frauen und Mädchen Gmundens, die Huldigungsgaben überreichten, und zahlreiche andere Per⸗ sönlichkeiten, unter denen sich der Statthalter Graf Kiel⸗ mansegg und der Statthaltereirat Graf Salburg befanden. Der Herzog und die Herzogin von Cumberland machten namhafte Stiftungen für Gmunden. Nach dem Empfang fand bei der Königin Marie Familiendiner statt, an dem der König von Dänemark, der Großherzog von Mecklenburg⸗ Schwerin sowie alle übrigen Fürstlichkeiten teilnahmen.

Frankreich.

Bei der Nachwahl zur Deputiertenkammer in Saintes wurde gestern, wie „W. T. B.“ meldet, der ministerielle Republikaner Nicolle gewählt.

Der vom Senator Dubosc namens der Budgetkom⸗ mission des Senats erstattete Bericht weist darauf hin, daß das Budget von 1904 ein Mehrerfordernis von ungefähr 38 Millionen Franks gegen das Vorjahr aufweise, ungerechnet die Ergänzungskredite und die Kredite außerhalb des Budgets. Duboese empfiehlt als Mittel zur Besserung der Finanzlage eine strenge Aufstellung des Etats, Einheitlichkeit im Budget und die CEmission von Schatzbonds und kurzfristigen Obli⸗ gationen.

Aus Anlaß der Enthüllung eines Denkmals für den Senator Lemonnier, der unter dem Kaiserreich verbannt wurde, hielten gestern in Chäteau-du-Loir (Sarthe) der Deputierte des Departements d'Estournelles de Constant, Caillaux und der Unterrichtsminister Chaumis Ansprachen, in denen sie den Nationalismus verurteilten, der sich ver⸗ geblich bemühe, das Ausland gegen Frankreich und Frankreich gegen das Ausland aufzuhetzen. Ber Minister Chaumig brand⸗ märkte diejenigen, die, um die Republik anzugreifen, sich feige

inter Vaterland und Armee verkröchen, und trat unter dem

rn der Versammlung für das Uebergewicht des weltlichen Unterrichts und der zivilen Macht ein. In einer anderen Versammlung hielten die nationalistischen Deputierten Ca—⸗ vaignge, Syveton und Congy antiministerielle Reden, in denen sie gegen die Wiederaufrollung der Dreifusaffäre Ein⸗ pruch erhoben. Beide Versammlungen fanden in einem Hause siatt, gleichwohl kam es zu keinerlei Zwischenfällen.

Rußland.

Der Staatssekretär Witte ist, wie „W. T. B.“ meldet, einstimmig zum Präsidenten des Komitees des Vereins zur Unkerstützung der Studenten der St. Peters⸗ hurger Universität gewählt worden.

Die „Russische Telegr-Agentur“ meldet: Der Staats⸗ ekretär Witte habe in . Dienstlaufbahn niemals und n keiner Zeitung Mitteilungen über politische Fragen gemacht. Sie wisse aus kompetenter Quelle, daß er weder der Zeitung „Politiken“ noch irgend einer anderen eine Erklärung über die sinnländische Frage gegeben habe. „Ritzaus Bureau“ macht darauf aufmerksam, daß es sich bei der von ihm verbreiteten Meldung der Zeitung „Politiken“ (siehe Nr. 297 d. Bl.) nicht um eine dem Blatte von dem Präsidenten des xussischen Ninisterkomitees Witte zugegangene Erklärung, sondern um Aeußerungen handele, die der damalige russische Finanzminister Witte im Januar 1901 im russischen Reichsrat gemacht habe.

Die Universität in Warschau bleibt bis zum Januar geschlossen. Das Direktorium macht bekannt, daß das nächste Studiensemester um die Zahl der durch die Unruhen verloren gegangenen Tage verlängert werden solle. Das Poly⸗ fechnikum in Kiew bleibt laut Bekanntmachung bis auf weitere Verordnung des Ministers geschlossen.

Italien.

Die Deputiertenkam mer beriet vorgestern die Vorlage, durch die die Regierung ermächtigt werden soll, ein Handelsprovisorium mit Desterreich⸗Ungarn abzuschließen. Der Minister des Auswärtigen Tittoni erklärte, die Regierung werde, da die Verhandlungen zu einem entscheidenden Punkte gediehen seien, zuvor den etwaigen Bemerkungen, die in der Kammer gemacht würden, Rechnung tragen, könne jedoch leine Antwort auf sie geben. Nach Schluß der Debatte erklärte der Handelsminister Rava, die Regierung beabsichtige nicht, eine Po- litik der Repressalien zu treiben. Hierauf wurde der ger her , der der Regierung die Ermächtigung gibt, ein provisorisches Handelsabkommen mit Oesterresch⸗Ungarn zu treffen, angenommen. Die Annahme er⸗ folgte in geheimer Abstimmung mit 184 gegen 30 Stimmen. Nach⸗ dem noch Cavagnari und Bianchini Wünsche für die Wieder⸗ herstellung Zanardellis ausgesprochen hatten, vertagte sich das Haus bis zum 28. Januar.

Spanien.

Der Ministerpräsident Maura hat, dem „W. T. B.“ zufolge, erklärt, das Gesamtprojekt einer Reorganisation der Marine werde der Kammer bald nach den Weihnachts— ferien vorgelegt werden.

Die Kammer hat alle Einnahmekapitel des Budgets genehmigt. Die republikanische Minderheit be⸗ kämpfte im Laufe der Debatte besonders die Trusts, die Sub⸗ ventionierung einer transatlantischen Dampfschiffahrtsgesellschaft sowie die Monopole für Sprengstoffe, Zucker, Papier und Streichhölzer.

Türkei.

Die Botschafter der Entente mächte haben, wie das Wiener „Telegr. Korresp. Bureau“ erfährt, die Pforte unter Hinweis auf die bevorstehende Ankunft der beiden ivilagenten ersucht, entsprechende Instruktionen für die rovinzbehörden der drei Wilajets auszuarbeiten, und auf die rnennung des Kommandanten für die mazedonische Gen⸗ darmerie gedrungen; für diesen k haben sie nochmals nachdrücklich einen italienischen General empfohlen.

Rach einer Meldung desselben Bureaus aus Kon⸗ stantinopel ist der Zivilagent, Generalkonsul Demerik gestern dort eingetroffen, die Ankunft des Generalkonsuls von Müller wird, da er unwohl ist, erst für Ende Dezember erwartet.

Serbien.

Der Metropolit von Uesküb Firmilian, der seit längerer Zeit in Belgrad schwerleidend darniederlag, ist, wie „W. T. B.“ erfährt, gestern vormittag gestorben. Die Leiche wird nach Uesküb übergeführt werden.

Amerika.

Dem „Standard“ wird aus Ottawa gemeldet, infolge der in der Alaskagrenzfrage gemachten Erfahrungen erwäge die Regierung die Eröffnung von Verhandlungen über eine Vereinigung von Neu-Fundland mit Canada und über den Ankauf Grönlands von Dänemark.

Ein gestern in New Vork eingetroffenes Telegramm aus Pan ama besagt, dem „W. T. B.“ zufolge, daß 100 ameri⸗ kanische Seesoldaten mit vier Feldgeschützen in Javisa,

‚. der Ostspitze des Golfes von S. Miguel, und 100 See⸗ spoldaten mit Feldgeschützen in Re al Santa Maxig, zehn Meilen von Yavisa, stalioniert worden seien.

Beide Ab⸗

teilungen hätien sich an den Ufern des Tu ira⸗Flusses

(elagert. In beiden Orten lägen auch je 190 Mann Truppen der Republik Panama.

Diese hätten Aufklärungsmärsche nach der columbischen Grenze hin unternommen, bisher aber keine Anzeichen davon festgestellt, daß sich columbische Truppen

auf dem Gebiet der Republik befänden. Die den amerika⸗

nischen Schiffskommandanten in den Gewässern des Isthmus n dem Marinesekretär Moody als Richtschnur telegraphierte Anweisung geht dahin, es Columbien zu überlassen, seinerseits die Initiative zu ergreifen.

In amtlichen Kreisen Washing tons verlautet, daß panama einerseits jede Verbindlichkeit Columbien gegen⸗

über, einen Teil der columbischen Staatsschuld zu

übernehmen, ab lehne, daß es aber andererseits aus freien Stücken und gewissermaßen aus Höflichkeit einen solchen An⸗ leil der Staatsschuld übernehmen wolle, wie er ihm nach einem Dafürhalten angemessen erscheine.

Nach einer Meldung der „Agence Havas“ aus San Domingo bereiten Banden von Anhängern des früheren Präͤsidenten Jimenez in der Gegend von Cibao wieder men Aufstand vor; in der Nacht zum 19. d. M. hätten sie ich der Hauptstadt genähert.

Asien.

„Das MReutersche Bureau meldet aus Tientsin, Chang— Yü, der Direktor! der nördlichen Eisenbahnen, sei degradiert

und seines Ranges und seiner Titel verlustig erklärt worden.

. Dem „Reuterschen Bureau“ wird aus Tokio gemeldet, egen eines Unwohlseins des russischen Gesandten Barons

e ü me nme ed, eee,

von Rosen sei die Antwort Japans auf die russischen Vorschläge noch nicht zugestellt worden; die Antwort 3 wahrscheinlich in einem oder zwei Tagen abgesandt werden.

Parlamentarische Nachrichten.

Das Mitglied des Herrenhauses von Arnim⸗ Krö henden, Königlicher Kammerherr, Landrat a. D. ist am 18. d. M. in Berlin gestorben.

Statistik und Volkswirtschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Ein Teilausstand der Berliner Droschkenkutscher (gl. Nr. 296 d. Bl.) ist für diese Woche zu erwarten. Die Fuhrherren sind nicht bereit, alle Forderungen der Kutscher anzuerkennen, Sie haben sich schließlich damit einverstanden erklärt, daß eine Erhöhung des Tagelohns auf 1,50 S6 und 2500 der Einnahme erfolgen soll. Bei einer Einnahme von 10 S für den Tag soll der Kutscher 30 0/0 erhalten. Ebenso wollen die Arbeitgeber den Wünschen der Kutscher hinsichtlich der Aufbewahrung der Kleider usw. entgegenkommen. In einer Nachtversammlung der Droschkenkutscher am Freitag, die sich mit diesen Vorschlägen befaßte, wurde der „Deutschen Warte“ zufolge beschlassen, an der Forderung von 30 0/0 Zuschlag festzuhalten. Bei denjenigen 56 die sich damit nicht ein⸗ verstanden erklären, sollte die Arbeit am heutigen Montag nicht wieder aufgenommen werden.

Die Arbeiter in den Appreturanstalten und Färbereien von Lyon (vgl. Nr. 289 d. Bl) haben, wie W. T. B. meldet, ee bend mit großer Mehrheit die Fortsetzung des Ausstands

eschlossen.

Kunst und Wissenschaft.

Von Sein er Königlichen Hoheit dem Prinzen Heinrich ist dem Kunstgewerbemuseum ein sehr kostbares und kunstvolles Geschenk überwiesen worden:; der Spielschrein, den der Verein für deutsches Kunstgewerbe in Berlin im Jahre 1883 dem damaligen Kronprinzenpaare zur Silberhochzeit gewidmet hat. Der Schrein, der die Gestalt eines großen, reich geschnitzten Wand- schranks hat, enthält in seinem Innern zahlreiche Spiele, wie: Kartenspiele nebst Leuchtern, Presse und Marken, Lotto, Glocke und Hammer, Domino, Pochbrett, Tivolispiel, Puffspiel, Schachbrett, Roulette, Tafelkrocket usw. Schrank sowohl wie Spiele sind in kunstreichster Weise ausgeführt, sodaß sämtliche rein des Kunstgewerbes mit ihren besten Leistungen vertreten sind.

er Spielschrein bietet somit nicht nur eine höchst wertvolle Probe der Kunst jener Zeit, sondern er stellt auch ein dauerndes Denkmal der umfassenden und wirksamen Förderung dar, die das deutsche Kunst⸗ ewerbe dem Erlauchten Herrscherpaare, dem der Schrank gewidmet ist, verdankt. Der Spielschrein ist nebst seinem reichen Inhalt jetzt in einem Raume neben dem Majolikasaal ausgestellt.

Das Wintersemester des Kaiserlichen Archäologischen In⸗ stituts ist in Rom und in Athen mit der üblichen feierlichen , . um die Zeit des Geburtstages Joh. Winckelmanns eröffnet worden.

In Rom fand die Sitzung am 11. Dezember statt, besonders zahlreich besucht, auch von Mitgliedern der deutschen Botschaft und Gesandtschaft. Der italienische Unterrichtsminister ließ sich als durch die Parlamentsverhandlungen verhindert entschuldigen, nicht ohne seiner Sympathie mit der in der Sitzung beabsichtigten Ehrung Theodor Mommsens und seiner Anerkennung des von seiten des Instituts für die Untersuchung der Ara Pacis Augustae Geleisteten einen warmen Ausdruck zu geben.

Nach den einleitenden Worten des vorsitzenden Ersten Sekretars, welcher der Verstorbenen gedachte, die neu erwählten Mitglieder nannte und das Inglebentreten der römisch⸗germanischen Kommission des Instituts erwähnte, nahm der Zweite Sekretar, Herr Hülsen, Mommsen zu Ehren das Wort, dessen gerade in Rom und bei der römischen Abteilung des Instituts zu gedenken ein so starker Anlaß ist.

Herr Hülsen besprach besonders die Anfänge von Mommsens Tätigkeit in Italien, wie der Plan der Corpus inseriptionum latinarum Gestalt gewann, die Herausgabe der Neapolitaner In⸗ schriften dafür den Weg bahnte und wie die ‚Römische Geschichte“ Mommsen in die erste Reihe der Historiker einrücken ließ. Er hob hervor, was Rom und Italien für Mommsen gewesen und wie er bis zum Schlusse seines langen Lebens für das Zusammenwirken der Gelehrten verschiedener Nationen seine organisatorische Kraft einsetzte. Der Vortragende schloß mit dem Wunsche, daß dieses Zusammen— wirken als eines der Mittel sich erweisen möge, den Frieden zwischen den Völkern zu sichern.

An diesen Wunsch anknüpfend, berichtete der Vorsitzende, Herr Petersen, über die im Gange befindliche Ausgrabung der Reste der Ara Pacis Augusta, mit Hervorhebung dessen, was sie von früheren Aufstellungen bestätigt, was sie widerlegt und was sie Neues gelehrt habe.

In Athen fand die feierliche Eröffnungssitzung des Wintersemesters am 9. Dezember unter ebenfalls zahlreicher Beteiligung statt. Unter den etwa hundert Besuchern befanden sich Ihre Königlichen Hobeiten der

Kronprinz Konstantin und Prinz Nikolaos von Griechenland, die

Herren Gesandten Deutschlands, Englands, Italiens und Rumäniens, der deutsche Herr Generalkonsul und zahlreiche Vertreter der griechischen Gelehrtenwelt sowie Direktoren und Mitglieder der anderen aus- ländischen Institute in Athen.

Der vorsitzende Erste Sekretar gedachte zur Einleitung der Sitzung der durch den Tod abberufenen Mitglieder, namentlich Theodor Mommsens, Ulrich Köhlers und Hans von Protts, und berichtete sodann über die Arbeiten des Instituts und seiner Mitglieder im vergangenen Jahre, sowie über die nächsten zukünftigen Aufgaben.

Als zweiter Redner berichtete Herr Kavvadias, der Generalephoros der Altertümer im Königreiche, über die Ausgrabungen am Hera— tempel auf Samos. Die Ergebnisse der Ausgrabungen wurden durch zahlreiche Pläne und Ansichten erläutert. Es ist festgestellt, daß der Tempel 56 m breit und 112 m lang war. 8 Säulen in der Front und 24 an den Langseiten hatte. Die Ausgrabungen werden noch fortgesetzt.

A. F. In der Dezemberversammlung der Brandenburgia“, Gesellschaft für Heimatkunde, veranlaßte ein Vortrag des Postrats a. D. Steinhardt über Flämingsche Volkstrachten aus Luthers brunnen und Schlalach bei Treuenbrietzen recht interessante Erörterungen. Der Vortragende hatte eine ansehnliche Zabl solcher Trachten, sowohl Frauen- als auch Männergewänder und ver— schiedene Gewandteile, in Originalen und guten Photographien, vorgelegt, wobei im besonderen, neben den seltsamen Keulenärmeln der Frauenjacken, den eigenartig gemusterten weißen Taillentüchern und den gestickten Vorhemden der Hanne, die wunderlichen Kopfbedeckungen, Flügel- hauben und mit großen Schleifen geierten Kopftücher, aufgefallen waren. Es bestand nun in der Versammlung keine Meinungs- verschiedenheit darüber, daß sich derlei Trachten charakteristisch von den wendischen Volkstrachten unterschieden, dagegen sich an nieder- ländische Vorbilder anlehnten, besonders die Kopfbedeckungen der Frauen an friesische, heute noch in Holland vorhandene, mit der alleinigen Abweichung, daß die Stoffe, der besseren Lebenshaltung der Friesen entsprechend, kostbarer sind als die dies⸗ seits angewandten. Diese Aehnlichkeit kann nicht überraschen, wenn man sich erinnert, daß die westlichen Teile der Mark Branden

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burg im Laufe der Zeit zweimal von den Niederlanden her besiedelt worden sind: im 12. Jahrhundert durch Albrecht den Bären und im 17. Jahrhundert durch den Großen Kurfürsten. Ethnographisch ist die vorliegende Tatsache daher leicht erklärlich und höchstens als ein Beispiel jähen Festhaltenß an alten Trachten bemerkenswert, aber völkerpsychologisch ist die Frage von Interesse: Was hat ursprũnglich die Trägerinnen dieser Kopfbedeckungen, welche, das Ab⸗ schneiden des Haares zur ö haben, bewogen, sich ihres doch von anderen Frauen hochgeschätzten Haar schmuckes nicht vorübergehend, sondern dauernd zu entäußern ? In der Erörterung über diese Frage wurde big auf die orientalische Sitte zurückgegangen, das Hagar verdeckt zu tragen, welche auch für die Juden galt und von Paulus sogar den griechisch⸗christlichen Frauen empfohlen wurde, dagegen aber mit Recht bemerkt, daß eg in der christlichen Welt doch nur Ausnahmen selen, so mit dem Hagar zu verfahren wie die Bäuerinnen des Fläming, wie die Friüesinnen, die ihr Haar unter einer Haube von Goldblech kurz geschnitten tragen, und wie noch einige wenige andere. Vertreterinnen größerer oder kleinerer ländlicher Bistrikte, in diesem Falle auch die Wendinnen des Spreewaldes. Einzelne Meinungen wurden dafür geltend gemacht, daß es allein der Zwang der Mode sei, der diese gleich andern Torheiten , eine andere Ansicht suchte den Grund autschließlich in materieller Berechnung, weil das Haar sehr gut, nämlich mit 15 —- 20 4M für den Schopf, bezahlt werde, und die jungen Mädchen sich diese hübsche Einnahme nicht entgehen lassen wollten. Alle diese Erklärungen schienen aber nicht genügend für den letzten Grund eines Opfers, das gerade bei Frauen, weil es einen natür⸗ lichen, sonst hochgehaltenen Körperschmuck betrifft, recht auffällig ist. Der Gegenstand soll deshalb einer weiteren Prüfung und Erörterung unterzogen werden.

Es sprach sodann noch Kreisschulinspektor Dr. L. H. Fischer über Berliner Zustände und Persönlichkeiten des 18. Jahrhunderts in satirischer Beleuchtung?. . Der Vor tragende berichtet im wesentlichen über ein merkwürdiges, im Original vorgelegtes Buch, das 1788 bei Lemberg in Berlin erschien, dem jüngeren Bruder Lessings, Carl Gotthilf Lessing, gewidmet ist und W; Th. Ch. Mylius zum Perfasser hat. Es gehört zu der Gattung satirischer Literatur, welche durch Swifts, Gullivers Reisen“ hervorgerufen worden ist, und bezeichnet sich selbst als eine Ueber⸗ setzung und mehr oder minder freie Bearbeitung eines bereits 1741 bon dem Dänen Ludwig Holberg lateinisch geschriebenen, phantastischen Buches. Doch scheint es, als habe der Verfasser durch diese An— lehnung an Holberg nur verhüllen wollen, daß er eine starke Satire auf sein Zeitalter, seine Umgebung und die Torheiten und Verkehrt⸗ heiten der damaligen Berliner Zustände habe schreiben wollen. Mylius steht mit Entschiedenheit gegen die Illuminaten und Rosenkreuzer, die im Erscheinungsjahr in Berlin obenauf waren, im Felde. Sein Buch ist daher von kulturellem und im besonderen von Berliner Interesse, aber es erscheint doch schwierig, ohne genaue Kenntnis der . und maßgebenden Persönlichkeiten im damaligen Berlin, das Buch und die in ihm mehr oder weniger geistreich ausgesponnene Satire zu verstehen.

Aus Mitau wird dem W. T. B.“ telegraphiert: Aus Anlaß der hundertsten Wiederkehr des Todestages Herders fanden in allen wissenschaftlichen Gesellschaftzen und sonstigen Ver einigungen in Mitau und in Riga feierliche öffentliche Sitzungen statt. Die deutschen baltischen Blätter feiern die Be⸗ deutung Herders in zahlreichen Artikeltß. Am Denkmal Herderz in Riga wurden Kränze niedergelegt.

Land⸗ und Forstwirtschaft.

Die Landwirtschaftliche Akademie Bonn-Poppels⸗ dorf wird im laufenden Winterhalbjahr (120304) nach vorläufiger Feststellung von insgesamt 359 (im Sommersemister 1903 von 369) Studierenden besucht, und zwar von 349 (351) ordentlichen Hörern und 19 (18) Hospitanten. Unter den ordentlichen Hörern befinden sich: Studierende der Landwirtschaft 137 (122), Studierende der Kulturtechnik 1 (4), Studierende der Geodäsie 211 (225). (Die entsprechenden Zahlen des Sommersemesters 1905 sind zum Vergleich in Klammern beigefügt.)

Die diesjährige Weinernte Frankreichs.

Das französische Finanzministerium hat nunmehr das vorläufige Ergebnis der diesjährigen französischen Weinernte bekannt gegeben. Hiernach wird die letztere auf 35 402 366 hl geschäßt. Gegenüber dem Vorjahre würde das diesjährige Ergebnis sich um 4481 447 bl geringer stellen und hinter dem Durchschnittsertrage der letzten zehn eh um 8 418 367 hl zurückbleiben. Die Ernte Algeriens schätzt man auf 6 600 000 hl.

Nach den Angaben des Ministeriums ist die Hauptursache der geringen Ernte dieses Jahres in den ungünstigen Witterungsverhält⸗ nissen zu suchen, die die Entwickelung der Reben stark beeinträchtigt haben. Frühjahrsfröste haben fast überall in den französischen Wein- ländereien mehr oder minder Schaden verursacht, besonders aber im Süden Frankreichs. In manchen Gegenden hat die feuchte Witterung die Blüte aufgehalten und Krankheiten hervorgerufen.

Nur einige Departements im Osten und im mittleren Frankreich weisen infolge günstiger Witterungsverbältnisse größere Erträge als im Vorjahre auf, namentlich folgende: Aube (4 180 620 hh), Marne ( 128214 hl), Meurthe⸗et⸗Moselle (4 193 736 hl), Loir-et Cher ( 416570 hl) und Loiret (4 260 815 hh.

Die größten Ausfälle treffen hauptsächlich die folgenden De⸗ partements: Aude 1347 623 hl), Hérault (— 1060 625 hh, Gironde (- 762 857 hl), Charente⸗Inférieure (— 460 339 bl), Var (= 404 565 hl), Haute Garonne (- 401 970 h)), Loire Inférieure

212739 hh.

Dank der günstigen Witterung, die sich in den letzten Tagen des Septembers einstellte, ist die Qualttãt im allgemeinen besser geworden, als man gehofft hatte. Besonders gut ist sie im Süden ausgefallen, wo im Gegensatz zu dem übrigen Teil Frankreichs die Witterung während der ganzen Reifezeit der Trauben günstig gewesen ist.

Der Wert der diesjährigen Ernte dürfte sich nach den in den ein⸗ jelnen Departements angestellten Schätzungen auf 948 380760 Fr. stellen. (Le Bulletin des Halles, Bourses et Marchés.)

Gesundheitswesen, Tierkrankheiten und Absperrungs⸗ maßregeln.

Indien.

Nach einer Mitteilung der Regierung von Bengalen sind wegen Ausbruchs der Pest in Surat in den Häfen von Drissa und im Hafen von Chittagong. die üblichen Quarantänevorschriften gegen von Surat dort ankommende Schiffe erlassen worden.

Göttingen, 20. Dezember. (W. T. B) In Dahlenrode ist die Typhus epidemie von neuem ausgebrochen. Bereits mehrere Personen sind der Krankheit zum Opfer gefallen.

Verkehrsan stalten.

In der unter dem Vorsitz des Ministerial. und Oberbaudirektorg Hinckeldeyn abgehaltenen 6365 Sitzung des Architertenvereins bielt der Regierungsbaumeister Sder einen Vortrag über die neuen Alpenbabnen in Oesterreich. Nach einem kurzen Rückblick auf die geschichtliche Entwickelung der Alpenbahnen in Desterreich wandte sich der Vortragende zur Besprechung der neuen Linien, die

wärtig zur Ergänzung, des bestehenden Netzes ausgeführt werden und vor allem eine bessere Verbindung mit Triest herstellen sollen. An der Hand der Statistik wieg er nach, wie wenig