1904 / 40 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 16 Feb 1904 18:00:01 GMT) scan diff

Was die Zulassung von Arbeitersekretären bei der Vertretung vor den Schiedsgerichten betrifft, so habe ich in einer der vorigen Sitzungen ausdrücklich den Grundsatz des Reichsversicherungsamts ver⸗ lesen, der dahin lautete:

„Es kann die Berechtigung zu einer allgemeinen Aus⸗ schließung von Rechtskonsulenten ohne Berücksichtigung des einzelnen Falles aus Abs. 2 des 59 nicht hergeleitet werden.“

Wenn also ein Rechtskonsulent ausgeschlossen wird, so muß ein posttiver besonderer Grund vorliegen. .

Ferner ist von dem Herrn Vorredner die Bestimmung des § 4 des Unfallversicherungsgesetzes zum Gegenstand einer Anfrage gemacht worden, wonach Fabrikenklaven im Auslande, die zu einem inländischen Betriebe gehören, von der ausländischen Versicherungsgesetzgebung aus⸗ genommen werden dürfen. Wir verhandeln wegen der Ausführung dieses Paragraphen bereits mit Oesterreich, mit den Niederlanden und Luxemburg.

Der Herr Vorredner hat einen Fall angeführt, der mich etwas bedenklich macht; er hat darauf hingewiesen, daß ein Wiederauf⸗ nahmeverfahren abgelehnt ist, weil nach dem bürgerlichen Rechts⸗ verfahren eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur dann statt⸗ finden könne, wenn festgestellt ist, daß ein vereidigter Zeuge einen Meineid geleistet habe. Es wäre von dem betreffenden Schieds⸗ gericht darauf hin das Wiederaufnahmeverfahren abgelehnt worden, weil dieser Zeuge in dem schiedsgerichtlichen Verfahren nicht ver⸗ vereidigt worden sei, und zwar obgleich auf die unrichtige Aussage dieses Zeugen die Entscheidung gegründet worden sei. Wenn auf eine solche tatsächlich unrichtige Aussage die Entscheidung begründet würde, dann würde allerdings meines Erachtens nach allgemein menschlicher Auffassung ein Grund für das Wiederaufnahmeverfahren vorliegen, denn die Tatsache, ob der Zeuge vereidigt ist oder nicht, kann meines Erachtens demjenigen, der einen Rentenanspruch verfolgt, nicht zu Lasten gelegt werden. Ich kenne indes den Fall nicht näher, aber ich werde ihm nachgehen.

Meine Herren, schließlich ist heute eine Frage, die schon recht oft erörtert worden ist, wieder berührt worden, und dazu möchte ich mir auch das Wort erlauben. Das ist die Villa des Herrn Abg. Bebel. (Heiterkeit) Ich bin der Ansicht, meine Herren, daß sich die bürgerlichen Parteien freuen sollten, wenn Mitglieder der Sozial⸗ demokratie Villenbesitzer sind (Heiterkeit), und ich gehe noch viel weiter: ich wünschte, der Herr Abg. Bebel und seine Freunde wären sogar Rittergutsbesitzer. Dann würden sie, davon bin ich fest über⸗ zeugt, die landwirtschaftlichen Verhältnisse aus eigener Erfahrung anders beurteilen, als sie es jetzt häufig tun. (Beifall und Heiterkeit.)

Abg. Molkenbuhr (Soz): Der Abg. Dr. Mugdan hat ge⸗

sagt, die Krankenkassen nehmen die Aerzte, wie sie sie bekommen könnten, ob sie mit Zuchthaus bestraft selen oder nicht. Wenn das der Fall ifk, müßte in, das Gesetz eine Be⸗

flimmung aufgenommen werden, daß mit Zuchthaus vorbestrafte Aerzte zu irgend einer Praxis bei den Krankenkassen nicht an, werden. Die Aerzte vermengen bei der Entscheidung in den Ver⸗ giftungsfällen leider die Medizin mit der Juristerei; sie sprechen von Beruftkrankheiten, wo es sich um Unfälle handelt. Sie haben es dahin gebracht, daß bei gewerblichen Berufsgenossenschaften nur in L60ũpßder Fälle die volle Rente gewährt wird. Die Arheiter em⸗ pfinden das als ein Unrecht und werden dadurch veranlaßt, auch in unbedeutenden Fällen bis zur höchsten Instanz zu gehen. Darum hat sich die Zahl der Prozesse vor dem Reichs persicherungs amt bis zur Un⸗ endlichkeil gesteigert. Die Aerzte sollten sich überlegen, ob es ihrem Standesgeflihl entspricht, wenn sie jede Bescheinigung geben, die die Berufs n ,, von ihnen verlangt. (.

6 r. Mugdan (fr. . Diese unerhörten Vorwürfe muß ich entschieden zurückweisen. Es wird damit gelagt, daß die Aerzte um schnödes Geld den Berufsgenossenschaften Dienste leisten, auch wenn es gegen ihr Gewissen geht. Wäre das richtig, so müßten viel mehr Urteile der Schiedsgerichte vom Reichsversicherungsamt abgeändert worden sein. Ich habe nie behaupten wollen und können, daß die Kassenverwaltungen nur Aerzte anstellen, die mit Zuchthaus bestraft sind. So wiele Aerzte gibt es nicht, die mit Zuchthaus bestraft sind. Ich habe auf die Cölner Verhältniffe angespielt. Die Krankenkasse in Cöln hat einen Arzt angestellt, der nicht nur mit Zuchthaus bestraft war, sondern dem auch die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt waren, ab⸗ gesehen von anderen Fällen, in denen auf Gefängnis erkannt war. Fur die Opfer der gewerblichen Vergiftungen bin ich selber schon ein⸗ getreten. Inwieweit ich als Regie rungskommissar, aufgetreten und mit Herrn won Kardorff Hand in Hand gegangen bin, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß Herr Fräßdoif, der mir das vorwarf, heute mit Herrn Budde Hand in Hand gegangen ist, ;

Abg. Molkenbu hr erklärt, er bleibe bei seinen Behauptungen stehen und meint, daß der Abg. Mugdan früher nicht von dem Cölner Fall allein gesprochen, sondern ganz allgemein von den Krankenkassen⸗ vorständen gesagt habe, sie fragten nichks danach, ob die Aerzte mit Zuchthaus bestraft seien.

Die Ausgaben für das Reichsversicherungsamt werden he⸗ willigt; ebenso die Ausgaben für die Physikalisch-technische Reichsanstalt ohne Debatte.

Bei den Ausgaben für das Kanalamt bemängelt der

Abg. hoc (Fr. Vgg.). daß in dem am Kaiser Wilhelm-Kanal gelegenen Albersdorf kein Lösch⸗ und Ladeplatz vorhanden sei, und bittet, die Verhandlungen mit der Gemeinde wieder aufzunehmen.,

Abg. Sr. Leonhardt (fr. Volksp) wünscht eine völlige Gleich⸗ stellung der beiden Hafenkapitäne bei der Betriebsverwaltung mit den Bauinspektoren. Redner kritisiert die Tätigkeit des Bau⸗

inspektors gegenüber den beiden vorhandenen Bauvereinen am Sitze des Kanalamts. Leider arbeite der Kaiser Wilhelm. Kanal mit einem Defizit von S893 000 S, Das Kanalamt

arbeite mit einem viel zu großen Beamtenapparat; schon daß es sein Domizil in Kiel und nicht am Kanal selbst habe, sei ein Fehler. An dem Beamtenapparat lasse sich sehr wohl sparen. Auch sonst wären Ersparnisse sehr wohl zu machen. Bei der letzten Kohlen⸗ beschaffung sei unnötigerweise ein Preis gezahlt worden, der für die Tonne um 3 M zu teuer gewesen sei. Noch dazu wären diese Kohlen minderwertig; es seien bei der Revision Ibo / Grus festgestellt worden, Nachher habe das Kanalamt gerügt, daß diese Revision überhaupt stattgefunden hätte. Das Kanalamt besitze auch ganz üherflüssiger⸗ weife eine eigene Schiffswerft. Zahlreiche Beschwerden bezögen sich auf die Behandlung der Lotsen. Diesen werde eine ununterbrochene Dienstzeit von 24 Stunden zugemutet, lediglich um ihnen nicht 1 6 Verpflegungsgelder mehr zu zahlen. Redner erklärt, er stelle qus allen diesen Gründen den Antrag, das Kapitel ‚Kanalamt“ an die Budgetkommission zu verweisen.

Staatssekretär des Innern, von Posadowsky⸗Wehner:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat eint ziemliche Anzahl von Beschwerden gegen die Verwaltung des Kanals vorgebracht, und ich bin verpflichtet, soweit ich jetzt unterrichtet bin, darauf einzugehen.

Was zunächst die Herstellung einer Ablage bei Albersdorf betrifft, so höre ich diese Sache zum ersten Male von dem Herrn Vorredner. Selbstverständlich wird untersucht werden, ob ein Bedürfnis vorliegt, eine Ablagestelle für diese Gemeinde herzurichten. Ich möchte aber

Staatsminister Dr. Graf

heute schon bemerken, daß es ganz unvereinbar ist mit der Kostenfrage, für jede Gemeinde eine eigene Ablagestelle herzustellen. Damit sind erhebliche Kosten verbunden; es muß immerhin die Grundlage eines gewissen Verkehrs vorliegen, um solche Anlagen auf Reichskosten zu errichten. Die Sache wird, wie gesagt, untersucht werden; ich selbst pflege in jedem Jahre mich einmal am Kanal aufzuhalten und werde dabei Gelegenheit nehmen, die Sache an Ort und Stelle selbst zu prüfen.

Was die Stellung der Hafenkapitäne betrifft, so können wir uns hier an dieser Stelle unmöglich unterhalten über die gegenseitigen Dienstobliegenheiten des Hafenkapitäns einerseits und des Kanalbau— inspektors andererseits. Dieses Verhältnis ist auf Grund langjähriger Erfahrungen geordnet. Grundsatz ist, daß der Hafenkapitän ein Ortsbeamter ist und der Kanalbauinspektor ein Streckenbeamter. Danach teilen sich die Amtspflichten der beiden Beamten. Was das Peilen betrifft, so habe ich heute von dem Herrn Vorredner erfahren, daß der Hafenkapitän nicht damit zufrieden ist, daß der Kanalbauinspektor die Peilungen vornimmt. Jedenfalls muß die Peilung derjenige machen, der Zeit dazu hat, es versteht und dazu angewiesen ist. Ich glaube, daß der Kanalbauinspektor, namentlich wenn es sich um Peilungen auf seiner Strecke handelt, dieselben ebenso vorzunehmen versteht, wie der Hafenkapitän.

Es ist allerdings richtig, daß sich am Kanal zu Brunsbüttel ein zweiter Wohnungsbauverein gegründet hat, und daß eine große An⸗ zahl von Mitgliedern, sopiel ich weiß, aus dem anderen Bauverein in den neugegründeten Bauperein übergetreten sind, aber aus dem einfachen Grunde, weil der Grund und Boden, über den der neue Verein verfügt, ziemlich unmittelbar am Kanal liegt und deshalb den Arbeitern für ihre Arbeitsstelle viel bequemer liegt als der Grund und Boden des anderen Bauvereins. Daß der Kanalbauinspektor auf den Uebertritt dieser Arbeiter irgend einen Einfluß ausgeübt haben soll, ist mir unbekannt. Daß wir aber nun, wo die meisten Beamten und Arbeiter in dem neuen Verein sind, auch diesem neuen Verein Darlehne gewähren, ist selbstverständlich; denn in dem Etate— dispositiv heißt es ausdrücklich, daß diese Etatssummen zur Förderung der Herstellung von Wohnungen bestimmt sind für solche Bauvereine, denen gering besoldete Reichsbeamte und Arbeiter in Reichsbetrieben angehören. Im übrigen möchte ich feststellen, daß seitens des anderen Bauvereins noch gar kein mit Unterlagen versehener positiver Antrag auf Gewährung eines Darlehns eingegangen ist.

Ein zweiter Arzt hat sich allerdings in Brunsbüttel nieder⸗ gelassen; ich weiß nicht, ob ein Beamter der Bauverwaltung darauf einen Einfluß geübt hat; dieser jüngere Arzt ist gleichzeitig Kassenarzt. Ich glaube, das war eine Wohltat für Brunsbüttel, denn der Ort wird durch den Kanal getrennt, es ist keine Brücke da, sondern nur eine ziemlich schmale Passage über die Schleuse, die des Nachts und bei Sturm nicht sehr angenehm ist. Es ist deshalb durchaus wünschenswert, daß zwei Aerzte sich dort befinden, und zwar möglichst auf jeder Seite des Kanals je einer.

Daß die Kaiserliche Marine keine Gebühren zahlt, das ist richtig; aber den Schluß kann man doch nicht ohne weiteres von der Hand weisen, daß, wenn die Kaiserliche Marine Gebühren zahlte, die Ein— nahnlen der Kanalkasse größer würden. Selbstverständlich werden aber durch den Verkehr der Kaiserlichen Marine im Kanal auch die Ver— waltungskosten erhöht. Würde also die Kaiserliche Marine Gebühren zahlen, so würde sich damit der Zuschuß des Kanalamts nicht un— wesentlich verringern. Es rechnete sich ja freilich in dieselbe Tasche, ist also für die Gesamtfinanzberwaltung des Reichs gleichgültig; aber wir beurteilen doch bei der Finanzierung eines Reichsunternehmens jedes Reichsinslitut für sich, und gerade gegen die Finanzierung des Kanals werden Bedenken geltend gemacht.

Daß das Kanalamt nicht in Holtenau ist, bedauere ich auch, und ich beabsichtige seit langem, das Kanalamt nach dorthin zu verlegen. Wenn das bisher nicht gescheben ist, so hat das lediglich darin seinen Grund, daß die Verbindungen zwischen Kiel und Holtenau noch zu ungenügend sind, um den Beamten, die Kinder nach höheren Schulen in Kiel schicken müssen, zuzumuten, in Holtenau zu wohnen. Sobald einmal bessere Verbindungen hergestellt sein werden, halte ich es auch für sachgemäß, das Kanalamt nach Holtenau zu verlegen. Aus diesem Grunde ist es bisher auch abgelehnt, in Kiel selbst ein neues Dienst⸗ gebäude für die Kanalverwaltung zu errichten.

Ich kann auch dem Herrn Vorredner versichern, daß seine Voraussetzung unrichtig ist, daß das Reichsamt des Innern keinen seemännischen Berater hat; ein höherer Marineoffizier ist vielmehr Mitglied des Reichsamts des Innern.

Was die allgemeine Finanzierung der Kanalverwaltung anlangt, so könnten wir unter Umständen jetzt schon mit einem Ueberschuß rechnen; denn der Fehlbetrag der letzten Abrechnung, die Ihnen vorliegt, beträgt 225 000 , während die Verwaltung allein 374 000 M½ς Mehrkosten hat für die Beförderung der Schlepp⸗ züge gegenüber den für die gestellten Schleppdampfer erhobenen Gebühren. Wir setzen also bei dem Schleppdampferverkehr viel mehr zu, als der Fehlbetrag der gesamten Kanalverwaltung be⸗ trägt. Aber ich habe mich bisher immer dagegen gesträubt, die Ge— bühren für den Schleppdampferverkehr in die Höhe zu setzen, weil es sehr wichtig ist, daß wir uns diese kleine Küstenschiffahrt auf dem Kanal erhalten; denn diese kleine Schiffahrt vertritt einmal eine Art Mittelstand im Schiffergewerbe, und außerdem liefert sie ein wichtiges und gutes Kontingent für unsere Marine. Die Küstenschiffahrt hat so wie so schon hart zu kämpfen, weil namentlich von Hamburg aus immer mehr große Tender in den Ver- kehr kommen, die durch den Kanal geschleppt werden und deshalb einen sehr gefährlichen Wettbewerb für diese kleinen Schiffe bilden. Würde ich also die Schleppgebühr so in die Höhe setzen, wie die Selbstkosten der Kanalverwaltung erforderten, so könnte der Fehl— betrag des Kanalamts sofort ausgeglichen werden, ja wir hätten sogar noch einen Ueberschuß. Aber ich glaube, sozialpolitisch wäre es nicht richtig, die Klasse dieser kleinen Küstenschiffer vom Kanalverkehr aus— zuschließen. Würden wir die vollen Gebühren für die Schlepper er= heben, so glaube ich, könnten die kleinen Schiffer den Kanal nicht mehr benutzen.

Daß die Lotsen gejwungen sind, in Nübel Mittag zu essen, ist mir neu. (Heiterkeit Ich hoffe, die Kanalverwaltung nötigt die Leute wenigstens nicht, Mittag zu essen, wenn sie keinen Hunger haben. (Heiterkeit) Ich möchte aber erklären, wie die Sache wahr⸗ scheinlich liegt. In Nübel, in der Hälfte des Kanals, ist nämlich die Ablösungestation für die Lotsen; die einen gehen von Brungs— büttel bis Nübel und von dort zurück, und die anderen gehen von

Holtenau bis Nübel und gehen dann nach Holtenau zurück. Aller. dings ist Vorschrift, daß die Lotsen auf den Schiffen, auf denen sie den Lotsendienst verrichten, auch zu beköstigen sind. Es muß dem Manne, der sich so lange auf dem Schiffe aufhält, die Möglichkeit gewährt werden, daß er sich auf dem Schiff beköstigt. Aber bei starkem Nebel, bei diesigem Wetter, bei großem Schiffz. verkehr hat der Mann gar keine Zeit, auf dem Schiffe eine Mahlyeit einzunehmen; er kann die Kommandobrücke nicht verlassen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Kanalverwaltung deshalb angeordnet hat, daß die Leute, damit sie nicht auf dem Schiffe durch ihre Mahlzeiten vom Schiffsdienst abgehalten werden, auf der Station in Nübel ihre Mahlzeiten einnehmen sollen. Ob sie aber dazu wider ihren Willen angehalten werden, ist mir nicht bekannt. (Heiterkeit)

Schließlich hat der Herr Vorredner noch die Kohlenfrage berührt; es wären Kohlen gekauft worden, die viel teurer und auch schlechter wären als ein anderes Angebot. Diese Kohlenfrage ist eine ziemlich tiefgehende, und ich wage nicht, sie in ihrer ganzen Ausführlichkeit hier zu erörtern. Wir haben bisher die Kohlenpreise bemessen nach den Preisen, die die Reichsmarineverwaltung zahlt, und die Reichs marine verwaltung wieder hat ihre Preise bemessen nach den Preisen, die die Eisenbahnverwaltung dem rheinisch⸗westfälischen Kohlensyndikat zahlt. Nach Wilhelmshaven, Brunsbüttel, Cuxhaven, Geestemünde und Helgoland wird der eine Preis normiert, und der andere Preiß wird für Kiel, Holtenau und Danzig normiert. Für die erste Gruppe sind die Kontraktspreise der Eisenbahndirektion Elberfeld maßgebend, und für die zweite Gruppe die Preise für die Eisenbahn— direktion Altona. Die letzten Preise pflegen wegen der Konkurrenz— fähigkeit der englischen Kohle von dem Kohlensyndikat niedriger ge— halten zu werden. Da aber Holtenau und Brunsbüttel beide im Eisenbahndirektionsbezirk Altona liegen, wurde auf meine Anordnung an das Kohlensyndikat die Aufforderung gestellt, daß es nur die Altonaer Preise für beide Kanalstationen bewilligen sollte. Dieses Ansinnen wies das Kohlensyndikat zurück, und infolgedessen kamen wir dazu, die Kohlen mindestfordernd auszuschreiben. An dieser letzten Aus— schreibung, die der Herr Vorredner im Sinne gehabt hat, sind uns englische Kohlen angeboten worden zum Preise von 165,80 A6, während das Syndikat 20,25 M forderte. Bei diesem erheblichen Unterschiede war das Kanalamt selbstverständlich gezwungen, das niedrigere Gebot von 15,80 M anzunehmen. Daß diese Kohlen schlecht oder gar unbrauchbar gewesen sind, höre ich jetzt erst aus dem Munde des Herrn Vorredners. Ich werde die Sache untersuchen. Aber eine Reichsbehörde ist unzweifelhaft verpflichtet, bei den öffentlichen Aus— schreibungen bei sachlich gleichmäßigem Angebot den Zuschlag dem Billigsten zu erteilen.

Der Antrag Leonhardt wird abgelehnt, das Kapitel be— willigt. ;

Bei den Ausgaben für das Aufsichtsamt für Privat— versicherungen weist der

Abg. Werner (Reformp.) auf die durch den Bankrott der Ge⸗ sellschaft Prometheus“ Geschädigten hin und wünscht Vorkehrung, um diese vor weiteren Nachforderungen zu bewahren. Die Volks⸗ versicherungsgesellschaft „Victoria“ habe auch mancherlei Fehlerhaftes in ihrer Organisation. Die Prämien ständen in keinem richtigen Verhältnis zu den Leistungen der Gesellschaft. Die Ehrenerklärung eines öster⸗ reichischen Ministers gehe die deutschen Interessenten nichts an. Die Tarife seien zu hoch, sie müßten ermäßigt werden. Da es sich um eine Volksversicherung handle, um die kleinen Leute, sollte die Re— gierung von Aufsichts wegen der Sache näher treten. Redner bezieht sich auf eine Broschüre, die auf die Schäden bei dieser Gesellschaft hinweife, ohne daß deren Verfasser wegen Verleumdung verfolgt worden wäre. Es wäre Pflicht der Aufsichtsbehörden, sich das Ge— schäftsgebaren der „Victorian, namentlich hinsichtlich deren Reserve— fonds genauer anzusehen.

Abg. Dr. Potthoff (fr. Vgg.) trägt den Wunsch vieler Ver— sicherten vor, daß bei dem Versicherungsbeirat nicht nur die Versiche⸗ rungegesellschaften, sondern auch die Versicherungsnehmer eine Ver⸗ tretung finden, vielleicht auf Vorschlag des Zentralverbandes deutscher Grund- und Hausbesitzer oder industrieller Verbände usw. Eine An— zahl von Sachverständigen aus den Kreisen der Versicherten würden im Beirat einen sehr segensreichen Einfluß üben.

Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:

Der Herr Vorredner Abg. Werner hat drei Versicherungsgesell⸗ schaften behandelt: den Prometheus, dann die Victoria und endlich die Caisse gönrale des familles. Was die Zuständigkeit des Reicht amts für Privatversicherungen gegenüber dem Prometheus betrifft, so gestatte ich mir auf die Entscheidung des Kaiserlichen Aufsichtsamts für Privatversicherungen vom 7. Mai 1902 hinzuweisen. Dort wird der Herr Vorredner ausgeführt finden, daß das Kaiserliche Auf— sichtsamt sich nicht für befugt hält, seine Zuständigkeit auf die An— gelegenheit des Prometheus auszudehnen, daß das vielmehr eine preußische Angelegenheit sei, die noch unter das preußische Versiche⸗ rungsgesetz fällt.

Was die Angelegenheit der Victoria betrifft, so werde ich daß, was der Herr Vorredner hier erwähnt hat, zum Gegenstand eines amtlichen Berichts des Aufsichtsamts für Privatversicherung machen. Ich kann mich jetzt hier auf die Einzelheiten bei der Schwierigkeit und der Verantwortlichkeit der Sache nicht einlassen. Ich möchte aber doch darauf hinweisen, daß die Volksversicherung eine große sozial— politische Bedeutung hat, namentlich für diejenigen Kreise, die nicht unter die Zwangsvbersicherung fallen, aber sich in denselben wirtschaft⸗ lichen Verhältnissen befinden, wie die der Zwangsversicherung unter— worfenen Personen.

Was endlich die Lage der Caisse générale des familles betrifft, so kann ich dem Herrn Vorredner mitteilen, daß gemäß einer Mit⸗ teilung des Kaiserlich deutschen Konsulats in Paris sich der Rechtt— beistand derselben, H. P. Weber, avocat à la cour d'appel, 194 rus de Rivoli, bereit erklärt hat, die Vertretung der deutschen Ver— sicherten in dem Konkurs der Caisse générale des familles auf Verlangen zu übernehmen.

Der Versicherungsbeirat besteht zur Zeit aus 40 Mitgliedern, und es ist allerdings außerordentlich erwünscht, daß in diesem Ver— sicherungsbeirat Vertreter der verschiedenen Interessen sich befinden, namentlich auch Vertreter der Versicherten. Ich bin be⸗ reits, wie ich dem letzten Herrn Redner mitteilen kann, damit be schäftigt, in dieser Beziehung einen Antiag auf Aenderung der Voll⸗ zugtzordnung zu stellen und die Zahl der Mitglieder des Versicherunge—= beirats nicht unwesentlich zu vermehren. Ich glaube, bei dieser Ge— legenheit wird auch den Wünschen, ju deren Sprecher sich der Herr Vorredner gemacht hat, vollkommen Genüge geschehen können.

Das Kapitel wird bewilligt. Damit ist das Ordinarium erledigt.

Es folgen die einmaligen Ausgaben.

Eine Reihe von Titeln wird ohne Debatte bewilligt.

Bei der Forderung von 30 000 M Unterstützung an die Deutsche Gesellschaft für Erziehungs— und Schulgeschichte weist der

Abg. Schrader (fr. Vgg,) auf die Verdienste dieser Gesellschaft hin, deren Tätigkeit sich über Deutschland hinaus erstrecke. Redner empfiehlt einen anderen Arbeitsplan für die Gesellschaft.

Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. von Posadowsky⸗Wehner:

Meine Herren! Wir haben über die Organisation dieser deutschen Schulgeschichte die Akademien gutachtlich gehört, und auf Grund dieser Gutachten wird in allernächster Zeit noch eine Anhörung von Sach- verständigen stattfinden, um von neuem den Plan der Arbeit zu prüfen und eventuell zu ändern. Bei dieser Gelegenheit werden auch die Gesichtspunkte, die heute der Herr Vorredner angeregt hat, Gegenstand der Prüfung sein.

Abg. Dr. Spahn eng Ich schließe mich den Ausführungen des Abg. Schrader an und möchte nur bitten, daß der Reichstag über die Gutachten und Arbeitspläne rechtzeitig unterrichtet wird.

2. wissenschaftlichen Bearbeitung und Veröffentlichung der Ergebnisse der Südpolarexpedition wird eine erste Rate von 75 000 M verlangt.

Referent Abg. Freiherr von Richthofen. Damsdorf (d.(kons) spricht der Südpolarexpedition und deren Führer von Drygalski unter Beifall den Dank und die Anerkennung des Reichstages aus.

Der Titel wird bewilligt.

Ohne Debatte werden als zweite Rate 120 000 S6 zu den Kosten der Krankheits- und Sterblichkeitsstatistik be⸗ willigt, desgleichen für die Herstellung von Anlagen zur Ent⸗ . der Haalrau⸗Niederung am Kaisen Wilhelm⸗Kanal 200 000 6ô, ferner zur Beschaffung von Arbeiterwohnungen an der Strecke des Kaiser Wilhelm⸗Kanals eine Rate von 40 000 „66, ferner 150 000 Mb⸗ als dritte Rate zur Beschaffung von Dienstwohnungen für die in Brunsbüttel stationierten Lotsen des Kaiser Wilhelm⸗Kanals.

Als vierte Rate sind 150 000 Se als Beitrag des Reiches zu den Kosten des Ausbaues der Hohkönigs— burg gefordert.

Abg. Dr. Südekum (Soz.): Von diesem Ausbau ist bisher nur der Bergfried und die äußere Umwallung wiederhergestellt. Das Schlimmste soll noch kommen. Es wäre z. B. jetzt an der Zeit, daß der Reichstag die geforderten 150 000 MS verweigerte und damit die Weiterführung dieser nutzlosen Wiederherstellung unmöglich machte. Es wird dort ein reiner Phantasiebau aufgeführt. Der ursprüngliche Bauplan wird nicht inne gehalten, umsoweniger darf der Bau fort— gesetzt werden. Es handelt sich hier nur um eine Beugung vor einem höheren Willen.

Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:

Ich weiß nicht, ob dem Herrn Abg. Südekum die Hohkönigs— burg in ihrem früheren Zustande bekannt ist; wenn das aber der Fall ist, wird er mir zugestehen, daß die Ruinen der Hohkönigsburg noch so gewaltige sind, zum Teil sogar die Hohkönigsburg in ihren Befestigungsanlagen noch ganz erhalten ist ich erinnere nur an die großen Kasematten daß von einer Phantasieburg nicht die Rede sein kann. Der ganze Grundriß steht fest, der Palast steht zum großen Teile, die ganzen Kasemattenbauten sind ziemlich vollständig vorhanden. Wir haben auch einen alten Stich, aus dem wohl ein Anhaltspunkt für die Art der Wiederherstellung genommen werden sann. Wenn man eine Ruine wiederherstellt in ihrer Dach⸗ konstruktion, in ihren Erkern usw., und man hat nicht einen geometri— schen Plan des alten Baues, so muß freilich auch die Phantasie des Künstlers ergänzend eintreten. Der leitende Architekt hat deshalb die hervorragendsten Burgen in Deutschland, in Italien, Frankreich be⸗ sucht, Burgen, die zur selben Zeit hergestellt sind, und die den voll— kommensten Anhalt geben für das, was in der Hohkönigsburg in kleineren Einzelheiten vorhanden gewesen sein kann. Daß Herr Pieper allerdings über die Art der Wiederherstellung verschiedentlich anderer Ansicht ist, ist mir aus seinen Veröffentlichungen, die ich sehr eingehend gelesen habe, genau bekannt. Aber gerade der eine Punkt, den er angreift, von dem er behauptet, daß hier eine Wiederherstellung stattfinde, für die gar keine Grundlage vorliege, ist meines Erachtens nach dem, was mir Herr Ebhardt in der Sache vorgetragen hat, unrichtig; denn gerade bei dieser Einzelheit liegt die sichere Grundlage vor für die Gestalt, in der das Bauwerk wirklich bestanden hat.

Daß die Hohkönigsburg der Wiederherstellung wert ist, geht daraus hervor, daß auch die französische Regierung seinerzeit schon er⸗ hebliche Mittel aufgewandt hat, um wenigstens das zu erhalten, was vorhanden ist. (Zuruf von den Sozialdemokraten.) Ich meine nun, wenn ein solches Bauwerk in seinem jetzigen Bestande nicht zu erhalten ist, ein Bauwerk, das so mit der Geschichte des Elsaß ver⸗ bunden ist, so ist es ein Gedanke, der sich durchaus vertreten läßt, ein solches Bauwerk, das noch so gewaltige Reste aufweist, auch in seiner früheren Gestalt wiederherzustellen und zu einer Art Mittelpunkt für die geschichtlichen Erinnerungen der Umgegend dieser Burg zu machen. Ich meine, das Interesse, das in Elsaß-Lothringen selbst für die Wiederherstellung dieser Burg besteht, ergibt sich auch daraus, wie außerordentlich sich der Fremdenverkehr nach dort gesteigert hat. Ich kann sagen, daß schon in dem, was bis jetzt für die Burg geschehen ist, ein wahrer Lebensquell für die ganze Umgebung liegt, und ich glaube, die Stimmung, die früher auch im Elsaß zum Teil gegen die Wieder herstellung bestanden hat, hat vollständig umgeschlagen. Es ist richtig, daß in einem solchen Bauwerk, in dem hundertjährige Buchen standen, das mit einer poetischen Vegetation, mit altem Efeu reich bedeckt war, eine gewisse Romantik liegt; aber gerade diese Romantik ist eine Gefahr für solche Bauwerke. Deshalb hat man ja auch bei dem Heidelberger Schloß den alten Efeu entfernt, und man ist zu der lleberzeugung gekommen, daß der wichtigste Teil des schönen alten Schlosses wiederhergestellt werden muß, wenn das Schloß überhaupt trhalten werden soll. Die gleichen Gründe waren auch für die Hoh— königsburg maßgebend. Ich glaube, Herr Südekum wird sich über⸗ seugen, wenn die Wiederherstellung beendet sein wird, die freilich noch eine Reihe von Jahren in Anspruch nimmt, daß etwas geschehen ist, was auch strengen künstlerischen Anforderungen entspricht.

Abg. Henning (d. kons): Kein Reich ist früher so verwüstet worden wie Deutschland. Wenn die Hohkönigsburg wiederhergestellt Tird, so entspricht das dem nationalen . Wir haben von

Aafang an dafür gestimmt, jetzt auf halbem Wege stehen zu bleiben, würde des Deutschen Reiches nicht ganz würdig sein.

Abg. Dr. Ssdekum : Jetzt ist es noch Zeit, der Verunstaltung einer sehr interessanten Ruine vorzubeugen, das Schlimmste zu ver—

Graf

meiden. Die Begründung und Voraussetzungen, die dem Reichstag . worden sind, waren durchaus falsch. Wenn die deutschen Architekten unabhängig wären, so würden sie sagen, daß der Plan Ebhardt vollständig verfehlt sei, und würden dagegen sein. So aber wagen sie nicht, ihre Meinung, dem Willen des Monarchen entgegen- zusetzen. Der Geheime Rat Pieper vertritt hier den einzig richtigen Standpunkt.

Abg. von Kardorff (Ry); Ich lege Protest gegen die letzte Ausführung ein. Wir haben seinerzeit bewußt der Wlederherstellung der Hohkönigsburg zugestimmt aus den Gründen, die der Abg. ö 6 angegeben hat. Es würde in der ganzen Welt nicht ver⸗ standen werden, wenn wir jetzt die Vollendung der Wiederherstellung ö ließen; so viel Geld wird das Deutsche Reich wohl noch

aben.

Der Titel wird bewilligt.

Als zweite Rate sind 2 Millionen ausgeworfen an Kosten der Beteiligung des Reichs an der Weltausstellung in St. Louis 1904. Die Kommission hat den Betrag be— willigt. In Verbindung hiermit wird, der Posten im Drdi⸗ narium beraten: „Unterstützung für die Beteiligung der deutschen Kunst an internationalen Aus— stellungen des Auslandes 20000 6“

Referent Freiherr von Richthofen ⸗Damsdorf gibt eine Uebersicht über die ausgedehnten Debatten, die in der Kommission über die Beteiligung der deutschen Kunst und die schließliche Nichtbeteiligung der Sezesston stattgefunden haben.

Abg. Dr. Spahn: Die Mehrforderung von 500 0900 „, die in der Forderung von 2 Millionen enthalten ist, werden meine politischen Freunde bewilligen. Die Verwendung der 20 000 MS, aus dem Ordinarium hat zu weitgehenden Streitigkeiten geführt, die für die Ausstellung selbst nur noch von sehr geringer Bedeutung sind. Wir können ja nur bedauern, daß es Kunstrichtungen in Deutschland

gibt, die sich derjenigen Instanz nicht fügen wollen, die für bie letzte Entscheldung eingesetzt ist, und die sich deshalb von der Beteiligung zurückgezogen haben. Der Reichstag

soll sich auch nicht in den Künstlerstreit einmischen. Aber es scheint mir, daß in der Erklärung des Staatssekretärs der Sezession doch nicht ganz ihr Recht widerfahren ist. Wir haben in Deutschland nicht allein die Künstlergenossenschaft, sondern auch den Deutschen Künstler⸗ bund in Weimar, der ebenfalls für sich in Anspruch nimmt, Künstler aller. Richtungen, nicht allein der Sezession, in sich zu vereinigen. Der Weg der Sezession, heißt es in der Erklärung, sei nicht der xichtige. Richtiger wäre vielleicht, zu sagen, der Weg, den manche Sezessionisten einschlagen, sei nicht der richtige; unter den Vertretern der alten Richtung sind auch manche, die nicht den richtigen Weg verfolgen. Redner gibt darauf eine längere Darlegung der Geschichte und der Bedeutung der Sezession; er folgert aus dieser Bedeutung, daß es nicht mehr angängig sei, in Zukunft der Künstlergenossenschaft allein die Entscheidung in Fragen wie der bezüglich der Beschickung von Ausstellungen zu überlassen.

Um 6 Uhr wird die Fortsetzung der Etatsberatung auf

Dienstag 1 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 19. Sitzung vom 15. Februar 1904, 11 Uhr.

Das Haus setzt die zweite Beratung des Staatshaus⸗ haltsetats für das Rechnungsjahr 1904 im Etat der Berg-, Hütten- und Salinenverwaltung bei den Betriebskosten der Bergwerke fort,

Zu diesem Ausgabekapitel liegt der Antrag der Abgg. Dr. Hirsch-Berlin (fr. Volksp.) und Genossen vor:

dem Landtage zur verfassungsmäßigen Beschlußfassung noch in dieser Session einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den die ver alteten Bestimmungen des 7. Titels des allgemeinen Berggesetzes vom 24. Juni 1865 über die Knappschaftsvereine mit der Reichs- gesetzzebung auf dem Gebiete der Arbeiterversicherung in Einklang gebracht werden.

Nach den Abgg. Hilbck (n.) und Dr. Hirsch (fr. Volksp.), über deren Ausführungen bereits in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden ist, erhält das Wort

Abg. Dr. Schultz⸗Bochum (nl): Die Qberwerksbeamten be— ziehen ein Gehalt von 2000 bis 3500 . Das ist keinwegs ge— nügend für eine angemessene Lebenshaltung, wenn man bedenkt, welche Ausgaben diese Beamten für Wohnung und Erziehung ihrer Kinder haben, die sie vielfach zum Besuch einer höheren Schule in Pension geben müssen. Die Bergbehörden haben dies selbst anerkannt, aber der Finanzminister hat eine Gehaltserhöhung noch nicht bewilligt. Ich bitte ihn deshalb dringend, in dieser Hinsicht eine Besserung eintreten zu lassen. Daß Streiks vorkommen ohne daß eine Kündigung ausgesprochen wird, und ohne daß überhaupt Forderungen gestellt werden, ergibt eine kleine Geschichte: Ein Ober⸗ steiger fragte einen Bergmann: „Warum streikt ihr eigentlich?“ Darauf kam die klassische Antwort: ‚Ja, Herr Obersteiger, das wissen wir selbst nicht, das werden wir erst am nächsten Sonntag in der Versammlung erfahren.“ Von günstigen Erfahrungen mit der Berg—⸗ aufsicht der Arbeiter kann man noch gar nicht sprechen; in England haben drei Viertel der Arbeiter von dieser Einrichtung überhaupt noch keinen Gebrauch gemacht. In Belgien hat der Arbeiter für diesen Zweck sich einer besonderen Prüfung zu unterziehen, und er steht in festem Solde des Staates, ist also ein Staatsbeamter; von unseren Einfahrern unterscheidet ihn nur der Umstand, daß er nicht so viele notwendige Kenntnisse hat wie dieser. Lesen und schreiben brauchen sie dort nicht zu können; es wird nur verlangt, daß fie zehn Jahre im Bergbetriebe und mindestens fünf Jahre in der— selben Grube sind. Der Redner schildert den Lehrgang der Berg⸗ schulen und die Verteilung des Unterrichts auf die verschiedenen Klassen. * den Arbeiterschutz sel von besonderer Wichtigkeit, daß in neuerer

eit die Glektrotechnik als Unterrichtsgegenstand hinzutrete, die in allen Klassen gelehrt werde. Aus der Zahl der tüchtigsten Schüler diefer Schulen, fährt der Redner dann fort, nimmt der Staat die Einfahrer, welche die Aufsicht über die Gruben ausüben. Glauben Sie wirklich, daß die Arbeiter das hohe Maß von Anforderungen erfüllen können, welches wir an die Bergaufsicht stellen müssen? Heißt es nicht geradezu die Dinge auf den Kopf stellen, wenn man an den wichtigen Aufsichtsdienst für unseren gefährlichen Kohlen bergbau nur die Forderung stellt, daß der Betreffende die Qualifikation des Reichstagswählers bat? Die Einführung, der Arbeiterdelegierten würde bel unferem Bergbau ganz verfehlt sein. Ich bedauere, daß auch der konfessionelle Gesichtspunkt hervorgelehrt worden ist, und daß man fogar polnische Delegierte für die Aufsicht verlangt hat. Mit tiefstem Schmerz haben wir es erleben müssen, daß die Bergarbeiter in Westfalen, die sich sonst durch Königstreue auszeichneten, zu Tausenden von der Fahne des Vaterlandes zu der roten ee der Sozialdemokratie abgeschwenkt sind. Hoffen wir, daß diese Arbeiter lediglich verführt und in ihrem Herzen doch königstreu geblieben sind. ef fi haben die Arbeiter sich aber unter die Führung und Macht einer Partei begeben, die sich offen als republikanisch und revolutionär bekennt. Das Wort Republik bat keinen Sinn, wenn es nicht die Befeitigung des Königtums bedeutet, und das Wort Revolutionär hat keinen Sinn, wenn es nicht auch unter Umständen die gewaltsame Be eitigung des Königtums bedeutet. Eine geheime, direkte Wahl von Arbeiterdelegierten würde die Macht der Sonaldemokratie in unsere Bergwerke hineintragen. Es ist die Pflicht aller staatserbaltenden und Srdnungsparteien, im Kampfe gegen die Sozialdemokratie Schulter an Schulter zu steben. Interesse daran, eine Institution vom Bergwerk fernzubalten, durch welche die Macht der Sosialdemokratie unzweifelhaft gestärkt wird.

Vor allem hat die Regierung ein dringendes

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In der Bergaufsicht darf man übrigens nicht zu weit gehen, denn sonst wird das Gefühl der Arbeiter für die eigene Verantwortlichkeit ertötet. Möge die Regierung dazu beitragen, daß wir in unserem Bergbau solche Institutionen haben, die sowohl das Interesse der Arbeiter, als auch das Interesse des Vaterlandes wahren!

Minister für Handel und Gewerbe Möller:

Meine Herren! Ich will zunächst anschließen an den Appell, den

der Herc Vorredner an die Regierung und speziell an mich gerichtet hat, keine Schritte zu tun, die die sozialdemokratische Bewegung in unseren Arbeiterkreisen fördern können. Eines derartigen Appells be⸗ darf es bei mir nicht. Ich betrachte jede Maßregel, die wir zu er⸗ greifen haben auf dem Gebiete der Beaufsichtigung der Arbeiterschaft in den Bergwerken, immer von dem Gesichtspunkt aus, ob diese Maß⸗ regel eine Förderung der Sozialdemokratie ist oder nicht.

Ich kann im übrigen dem Herrn Vorredner in vielen Dingen recht geben und will zunächst anschließen an die Frage der Arbeiter⸗ kontrolleure, die von den beiden Herren Vorrednern, Dr. Hirsch und am Sonnabend von Brust gefordert worden sind. Arbeiterkontrolleure nach der Art, wie die Herren sie wünschen, nicht akzeptabel, weil wir eben bei uns in der Arbeiterschaft eine politische Bewegung haben. Die allgemeinen, direkten Wahlen ohne Ver⸗ pflichtung, auf die Kenntnisse der Gewählten irgend wie Rück= sicht zu nehmen, würden nur dazu führen, diese Wahlen aus politischen Rücksichten zu vollziehen und damit allerdings einen Einfluß in erster Linie für die Sozialdemokratie zu sichern, der nicht einen sachlichen, sondern einen rein politischen Untergrund haben würde. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen und rechts.)

Wir haben aber schon mein Amtsvorgänger hat das begonnen und ich habe es fortgeführt das System der Einfahrer, über welches sich die Herren Vorredner des längeren verbreitet haben, und werden es weiter durchzuführen suchen.

Ich kann das, was der Herr Vorredner gesagt hat, auch aus den mir zugegangenen amtlichen Berichten durchaus bestätigen: das System der Einfahrer hat sich in hohem Maße und an allen Orten, wo sie eingeführt sind, aufs vortrefflichste bewährt. (Sehr richtig) Es entspricht das auch durchaus den Erwartungen, die ich früher an anderem Orte, im Reichstage, zu Anfang der neunziger Jahre aus— gesprochen habe, daß ich es für durchaus richtig und empfehlenswert halten würde, wenn man aus der Arbeiterschaft hervorgegangene Be— amte bei solchen spezifisch technischen Betrieben wie dem Bergbau mit heranziehen würde.

Wir haben etwas ähnliches wie die Arbeiterkonttolleure auch auf den Gruben an der Saar versucht. Wir haben auf den Gruben an der Saar Arbeiterausschüsse, wie Herr Dr. Hirsch sie wünscht; sie haben aber dort dasselbe Ergebnis gehabt wie eigentlich überall in ganz Deutschland, wo man auf das System der Arbeiterausschüsse ge⸗ kommen ist, d. h. ihre Ergebnisse sind äußerst gering (hört! hörth sowohl nach der positiven wie nach der negativen Seite. Meine Herren, wir haben den sämtlichen Vertrauensmännern aus den Arbeiterausschüssen der Zechen im Saarrevier ich habe das seit vorigem Jahre eingeführt das Recht verliehen, als Kontrolleure einzufahren; sie bekommen dafür ihren vollen Lohn bezahlt. Ich habe darüber zum ersten Male in den letzten Wochen Bericht bekommen auß dem Ergebnis des letzten Jahres; aber ich muß gestehen, das Ergebnis hat mich auch enttäuscht. Die Arbeiter haben nur zu einem geringen Teile davon Gebrauch gemacht. Ich werde aber dahin streben, sie pflichtmäßig anzuhalten, in der nächsten Zeit, in den nächsten Jahren ihre Pflichten zu erfüllen, und ich hoffe, Ihnen in ein oder zwei Jahren ein abschließenderes Urteil geben zu können als gegenwärtig. Das heutige Urteil kann eben nur lauten: die Ergebnisse sind äußerft gering.

Dagegen werden wir das System der Einfahrer wie gesagt weiter verfolgen und, wenn nötig, noch weiter ausbauen. Diese Leute sind eben, wie der Herr Vorredner schon ausgeführt, ausgesucht aus der Elite der als Steiger auf den Bergschulen ausgebildeten Leute, Leute, die

neben ihrer Arbeitskenntnis auch eine genügende wissenschaftliche

Grundlage besitzen, daß sie verstehen können, worauf es bei der Beaufsichtigung ankommt. Und wenn wir auch statistisch Ihnen nicht den Nachweis führen können, daß die Verhältniszahlen der Unglücks⸗ fälle nur infolge der Einführung der Einfahrer günstiger geworden sind, so spricht doch dafür, daß seit den vier Jahren (1800 1905), daß die Einfahrer eingeführt worden sind, die tödlichen Unglücksfälle auf 1000 Mann beim Steinkohlenbergbau um 160 / in dem westfälischen Be⸗ zirk, in dem z aller Einfahrer beschäftigt sind, um 18 /o abgenommen haben, daß die Einfahrer auch auf die Abnahme einen gewissen Ein⸗ fluß ausgeübt haben.

Dabei ist aber nicht zu übersehen, daß neben dem Wirken der Einfahrer vor allen Dingen die strenge Aufsicht und die Durchführung der Berieselung die Hauptursache für die Abnahme der schweren Unfälle gewesen sind. Denn durch die Berieselung sind, wie der Herr Vorredner auch richtig hervorgehoben hat, die schweren Kohlenstaub⸗ explosionen vollständig inbibiert worden. Seitdem wir die Beriese⸗ lung durchgeführt haben, sind große Katastrophen, wie wir sie früher alle paar Jahre leider erlebt haben, nicht mehr vorgekommen. Wir wollen hoffen, daß das auch weiterhin so bleiben möge.

Meine Herren, der Herr Abg. Dr. Hirsch hat für die Einführung der Kontrolleure das Beispiel Englands angeführt. Wie waren aber dort die Verhältnisse im Jahre 1872, als man das Gesetz erließ, das die Delegierten einführte? Meine Herren, es wurde damals im Parlamente behauptet ich kann es selbstverständlich nicht amtlich belegen, aber es ist eine Behauptung, die dort gefallen ist daß damals die staatliche Inspektion so mangelhaft war, daß alle vier Jahre eine Grube einmal inspiziert wurde. Gegenwärtig führen wir die Inspektionen in unsern Hauptkohlendistrikten in Westfalen so kräftig durch, daß auf allen größeren Werken fast täglich und auf mittleren Werken mehrere Male in der Woche Inspektionen statt⸗ finden. Damit stehen wir unbestritten an der Spitze aller Rationen; in keinem anderen Lande wird annähernd in ähnlicher Weise inspiziert, und ich verstehe es, daß der Herr Vorredner als ein sachverstãndiger

Vertreter der bergbaulichen Interessen in Westfalen ung gewarnt hat, wir möchten nicht zu weit in der In⸗ spektion gehen. Ich stimme mit ihm überein: man kann

darin zu weit gehen, man kann das Verantwortlichkeitsgefübl sowohl der Arbeiter als hauptsächlich der Beamten herunterdrüäcken, wenn man die staatliche Inspektion zu weit treibt. Vor der Dand

babe ich mich aber noch nicht davon überzeugen können, daß wir zu weit gegangen sind, und wir werden in der Weise fortfahren, in der

wir bis jetzt gearbeitet haben.

Für mich sind

. * ö.