die vierte Klasse eingeführt und sie nicht mehr an der Grenze außer Benutzung gesetzt; denn man darf nicht auf die Idee kommen, daß wir kein einheitliches Deutschland
hätten. Das fremde Land war also von mir nur ironisch gemeint, und wenn der Herr Abgeordnete gesagt hat, ich sollte auf der Grenze die bierte Klasse ausrangieren, so irrt er sich, das ist bei einer Grenz · ftation, wenn sie nicht darauf ausgebaut ist, unmöglich, und außerdem würde es betriebstechnisch und auch vom sozialen Standpunkte aus nicht richtig sein, wenn die Arbeiter nicht bis ans Endziel in vierter Klasse fahren können.
Nicht so leicht aber ist die Sache mit den Tarifmaßnahmen, die nach dem Herrn Abg. Blumenthal die elsaß⸗lothringische Eisenbahn ˖ verwaltung für sich allein treffen soll. Ich würde es für einen Fehler halten, wenn diese verhältnismäßig kleine Verwaltung auf diesem Gebiet allein vorgehen würde. Die Kilometerhefte halte ich nicht für einen Fortschritt, sondern für einen betrieblichen Rückschritt.
Was die Arbeiterausschüsse anbelangt, so sind dieselben auf Grund der Gewerbeordnung gebildet worden und bestehen in Elsaß⸗Lothringen genau so wie in Preußen. Die Arbeiterausschüsse arbeiten in den Werkstätten überall ausgezeichnet und fördern den Frieden zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
Was ferner der Herr Abg. Hildenbrand gesagt hat bezüglich der zwölfstündigen Arbeitszeit, so hat er meine Aeußerung wohl miß⸗ verstanden. In den Werkstätten haben wir nur 10 Stunden und neuerdings nur 995 Stunden Arbeitszeit, nachdem ich je 4 Stunde Ruhepause Vor. und Nachmittags eingeführt habe. Es bezieht sich
die zwölfstündige Dienstzeit — die übrigens lange nicht bei allen Beamten vorhanden ist, eine große Zahl hat uur 8 bis 10 Stunden — auf die Betrieböbeamten. Wenn der Herr Abg. Hildenbrand nun gesagt hat, ich hätte un—
berechtigterweise den Lohn der Arbeiter gekürzt, nicht aber den der Beamten, so ist das auch ein Irrtum; denn wenn der Betrieb zurückgeht, so verdienen die Betriebsbeamten, soweit sie auf Fahr⸗ gelder usw. angewiesen sind, unter Umständen auch weniger, weil sie weniger Kilometer fahren. Wenn der Betrieb sich steigert, so be⸗ kommen viele Beamte mit festem Gehalt keine Erhöhung, sondern müssen selbstverständlich für ihr Gehalt Ueberstunden arbeiten, ohne daß ihnen das irgendwie angerechnet wird. Also eine unterschiedliche Behandlung zwischen Arbeitern und Beamten zum Vorteil des Arbeiters liegt durchaus nicht vor.
Meine Herren, ich möchte mich auf diese Bemerkungen beschränken. Ich glaube, daß ich im wesentlichen die Anfragen beantwortet habe, die an mich gestellt sind. Sollte ich rückständig geblieben sein, so werde ich auf Wunsch gerne das Versäumte nachholen.
Dem Abg. Molkenbuhr (Soz) erwiderte im weiteren Verlaufe der Sitzung der Minister der öffentlichen Arbeiten Budde:
Meine Herren! Der Herr Vorredner hat von Voraussetzungen gesprochen, die gar nicht vorliegen. Mir ist von einer Verbindung mit Unternehmerverbänden nichts bekannt. Die Reichseisenbahnen haben absolut keine solche Verbindung. Hiermit fallen denn auch sämtliche Folgerungen, die der Herr Abgeordnete an seine irrtümliche Voraussetzung geknüpft hat. (Sehr richtig! rechts)
Was die Annahme der Arbeiter anbetrifft, so besteht folgende Bestimmung, die durchaus nicht geheim gehalten wird: Ein besonderes Augenmerk hat die Annahmestelle darauf zu richten, daß die Arbeiter sich über die ordnungsmäßige Auflösung ihres letzten Arbeitsverhältnisses ausweisen, sei es durch vorschriftsmäßig ausge⸗ stellte Zeugnisse, sei es durch für Minderjährige vorgeschriebene Arbeitsbücher oder durch sonstige Abschiedszeugnisse. Eine schriftliche Bescheinigung über den Grund des Ausscheidens kann von dem Arbeiter nicht verlangt werden, da die Arbeitgeber zur Ausstellung einer solchen nicht verpflichtet sind.
Das sind ganz klare Verhältnisse, die durchaus mit den Gesetzen
übereinstimmen.
Was nun das Koalitionsrecht anbetrifft, so habe ich bereits be— merkt, es könne sich hier nur um eine theoretische Deduktion handeln, weil ich eine Koalition bei den Reichseisenbahnern gar nicht inhibiert habe. (Sehr richtig! rechts) Die Reichseisenbahner haben sich viel⸗ fach zu Verbänden der verschiedensten Art zusammengeschlossen; es ist noch neulich eine Deputation des Trierer Verbandes bei mir gewesen, dem auch Reichgeisenbahner angehören. Es ist keine einzige Koalition, die ich bei den Reichseisenbahnen gehindert hätte. Infolgedessen, glaube ich, gehört die Frage des Koalitionsrechts gar nicht zu dem Etat hier. (Sehr richtig! rechts.)
Was die Unfälle anbetrifft, so hat der Herr Abgeordnete auch nicht zutreffende Schlüsse gemacht. Es ist unrichtig, daß die Reichs⸗ eisenbahnen hinsichtlich der Unfälle schlechter beurteilt werden müssen als die übrigen deutschen Bahnen. Ich habe hier die Zahlen von 1901. Es sind die Betriebsunfälle im ganzen auf eine Million Wagen⸗ achskilometer berechnet. Bei den Reichseisenbahnen 0, 16, bei den preußischen Staatsbahnen O, 14, in Bayern C23, in Sachsen 0,25 und in Baden O 20; in Deutschland im Durchschnitt 0, 16. Die Reichseisen⸗ ahnen stehen also im Jahre 1901 im Reichsdurchschnitt. Die Unfälle bei den Reichsbahnen haben in den letzten zehn Jahren 7,92 auf eine Million Zugkilometer betragen. Sie haben sich verringert im Jahre 1902 auf 5,13, und vom 1. April bis 30. September 1903 sind es nur noch 4,88, also eine Besserung wieder gegen das Vorjahr. Ent⸗ gleisungen kamen in den letzten zehn Jahren bei den Reichsbahnen vor im Durchschnitt 109, 1902 0,83, 1903, in der Periode, die ich eben angeführt habe, nur noch 0,42; Zusammenstöße 0,65 in den letzten zehn Jahren, 1902 053, 1903, in dem angegebenen Zeitraum, nur noch 025. Wie wenig aber der Herr Vorredner von der Beurteilung der Unfälle versteht, geht daraus hervor, daß er zwei beliebige preußische Eisenbahndirektionen zum Vergleich herausgegriffen hat, während die Unfälle verglichen werden müssen auf Grund der Ver⸗ kehrsdichte; und wenn er nun die Reichteisenbahnen mit der Gisenbahndirektion Danzig vergleicht, so macht er einen Ver⸗ gleich, der vollständig hinkend ist. (Sehr richtig! rechts.) Nun steht die Statistik für die elsaß-⸗lothringischen Bahnen aber derartig, daß 1902 die Zahl der Unfälle mit 5, 13 auf 1 Million Zugkilometer geringer ist als vorher. Im Vorjahre
betrug sie ,. Sie ist auch bei den Reichtzeisenbahnen noch etwas geringer als nach den letztbekannt gewordenen Verhältnissen für alle deutschen Bahnen, wo sie 1901 621 betrug. Die Verkehrsdichte aber ist bei den Reichseisenbahnen um 23 vom Hundert höher als im Durchschnitt aller Bahnen im Deutschen Reich. Das ist ein Beweis,
daß die Unfallzahlen, die der Herr Abgeordnete Molkenbuhr angeführt hat, durchaus nicht richtig waren. h
Wenn er ferner behauptet hat, daß die Unfälle abhängig wären von der Arbeitsdauer oder der Dienstdauer der Beamten, so ist neulich von mir im preußischen Herrenhause statistisch nachgewiesen worden, daß das nicht der Fall ist, und im übrigen ist auch in ver⸗ schiedenen Veröffentlichungen des eingehendsten nachgewiesen worden, daß man solche Behauptung nicht beweisen kann. Also auch diese Voraussetzung ist durchaus unrichtig. Wenn dann der Herr Abgeordnete ferner behauptet hat, daß die Reichseisenbahnverwaltung die Krise in der Industrie auß⸗ genutzt hätte durch Verminderung der Löhne bei gleicher Arbeits⸗ leistung, so ist auch das unrichtig. Denn die Arbeiter haben eben zu meinem größten Bedauern nicht das Gleiche leisten können, weil bei dem wirtschaftlichen Niedergang nicht so viel reparaturbedürftige Loko⸗ motiben und Wagen vorhanden waren wie vorher. Die Arbeitt⸗ leistunß war also zurückgegangen und hierdurch auch der Stück⸗ lohn. „Also auch diese Voraussetzung entspricht nicht den Tatsachen. (Bravo!)
Auf weitere Ausführungen des Abg. Molkenbuhr antwortete der Minister der öffentlichen Arbeiten Budde:
Ich möchte doch konstatieren, daß mir sämtliche in Frage stehen⸗ den geheimen Aktenstücke bekannt sind, und daß die unbewiesene Be⸗ hauptung des Herrn Vorredners bezüglich einer Verbindung der Reichseisenbahnen mit den Unternehmern vollständig unrichtig ist.
Zweitens möchte ich konstatieren, daß der Herr Vorredner auf Grund einer anderen und auf die Beurteilung der Eisenbahnunfälle nicht unmittelbar anwendbaren Statistik gearbeitet hat, nämlich auf Grund der Statistik des Reichsveisicherungsamts. In dieser sind nicht nur die Eisenbahnunfälle behandelt, sondern auch die Ver⸗ letzungen in den Werkstätten, die mit den Eisenbahnunfällen nichts zu tun haben. Deshalb ist die Behauptung, die der Herr Vorredner angeführt hat, daß die Betriebsunfallstatistik in Elsaß ⸗ Lothringen schlechter wäre als anderswo, auch hinfällig. (Beifall.)
42. Sitzung vom 25. Februar 1904. 1 Uhr.
Auf der Tagesordnung steht die Fortsetzung der zweiten Beratung des e, mn s halt actdf für 1904 bei den einmaligen Ausgaben des außerordentlichen Etats der Reichseisenbahnen.
Ueber den Anfang der Sitzung wurde in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet.
Als letzte Rate zur Ausführung genguer Vorarbeiten für Bahnbauten zwischen Dammerkirch, Pfetterhausen und der schweizerischen Grenze sowie zwischen Schlettstadt und Sandhausen sind 28 000 ( gefordert.
Abg. Dr. Ricklin (B. k. F) befürwortet größere Berücksichtigung des südlichsten Teils des Elsaß mit Bahnbauten. Redner befürwortet vor allem den Bau der Larchtalbahn. Das Wageamaterial sei nicht durchweg so schlecht, wie es gestern gemacht worden. Allerdings führen zwischen Straßburg und Mülhausen Wagen, die jeder Beschreibung spotten. ;
Preußischer Minister der öffentlichen Arbeiten Budde:
Auf die zum Titel 11 gestellte Frage antworte ich, daß ich über⸗ zeugt bin, daß die Vorarbeiten, betreffend die Larytalbahn, im Laufe dieses Jahres zum Abschluß gebracht werden, und ich hoffe, daß ich in Vereinbarung mit dem Reichsschatzamt es möglich machen werde, eine erste Baurate für die Larytalbahn in den nächsten Etat einstellen zu können. (Bravo! bei den Elsaß⸗Lothringern.)
Bei der Forderung von 128 900 6 zur Ausführung ge⸗ nauer Vorarbeiten für das Bahnprojekt Saarburg oder Rieding — Drulingen — Adams weil er wünscht der
Abg. Dr. Hoeffel (Rp) die Führung der Bahn nach einem anderen Ort als Adamsweiler, beklagt den Mangel an Verbindung des Elsaß auf großen Strecken mit Altdeutschland und tritt besonders energisch für die Schaffung von Verkehrkverbindungen zwischen dem Elsaß und der Pfalz ein.
Preußischer Minister der öffentlichen Arbeiten Budde:
Ich werde den Wünschen des Herrn Vorredners gern entsprechen und daher bei den Vorarbeiten, die demnächst ausgeführt werden, auch prüfen, ob die von ihm besprochene neue Bahnlinie in Diemeringen eingeführt werden kann.
Der Rest des Etats der Reichseisenbahnen wird ohne Debatte erledigt.
Es folgt der Etat der Reichsjustizverwaltung. Zu dem ersten Ausgabetitel („Staatssekretär“) liegen eine Reihe von Resolutionen vor.
Abg. Gröber (Zentr) he ant ragt, zunächst gesondert die Gegen⸗ stände dieser Resolutionen zu behandeln: Heimstättengesetz, Automobile, Sicherung der Forderungen der Bauhantwerker.
Abg. Bargmann (fr. Volksp.) beantragt, diese gesonderte Beratung auch auf seinen Antrag, betreffend die Behandlung wegen politischer und Preßvergehen Beschuldigter und Verurteilter in der Untersuchungshaft oder Strafhaft, auszudehnen.
Abg. Haase (Soz) beantragt, auch die reichsgesetzliche Regelung des Fremdenrechts in Verbindung mit dem Königsberger Geheimbundprozeß als b sonderen Gegenstand zur Debatte zu stellen.
Abg. von Kardorff (Rp.) beantragt Einzelabstimmung über die zur Einzelbesprechung vorgeschlagenen Gegenstände.
bg. von Riepenhausen (. kons.) erklärt sich für den Antrag
Gröber. . 3 ;
In der Abstimmung wird entsprechend den Anträgen Gröber, Bargmann und Haase beschlossen.
Demgemäß wird zunächst ein Antrag der Abgg. von Riepenhaufen, Dr. Bachem (Zentr., Freiherr Heyl zu Herrnsheim (ul. Henning (d. kons), Graf von Hompesch (Zentr) und Dr. Stockmann (Rp.) erörtert:
— „die verbündeten Regierungen zu ersuchen, dem Reichstag in der nächsten Session einen Heimstättengesetzentwurf für . Dentsche Reich zur verfassungsmäßigen Beschlußfassung vor zulegen.
Der Antrag nimmt Bezug auf den von denselben Antrag⸗ stellern dem Reichstage vorgelegten Gesetzentwurf, der am 9. Dezember 1903 im Anschluß an frühere Kommissionsbeschlüsse eingebracht ist.
Aba. von Riepenbausen: Es ist ein halbes Menschenalter her, daß man für die Schaffung eines deuischen Heimstättengesetzes zuerst eintrat. Ich nenne Namen wie von Heereman und von Bennigsen und den großen Generalfeldmarschall Grafen Moltke. Der große Schweiger wollte auch seinen agrarfreundlichen Charakter aus- sprechen und depeschierte mir; „Vorwärts im gemeinsamen Streben! Moltke, Bauer“ Er unterschrieb nicht Generalfel dmarschall. Wie wenig weit sind wir seitdem vorangekommen! Ich bedauere, daß die verbündeten Regierungen so lange Zeit gebraucht haben und noch brauchen vom Wort zur Tat. Was hat der Reichskanzler seit 1892 getan? Der Reichstag hat in den verschiedenen Sessionen immer
wieder Anträge gebracht, unterstützt vom Zentrum, den Konser vativen und den Rationalliberalen. Die Regierung hat uns imme hingehalten. Das Heimstättenrecht soll ja nicht einer besondern Klaffe, fondern allen zu gute kommen; jeder Deutsche⸗ Frauen, sollen nach zurückgelegtem 24. Jahre daß Recht zut Gi. richtung einer Heimstätte haben. Wir sind ja als . ak, hängig von den Bundegregierungen. Wir haben denselben Geseh, entwurf eingebracht, den die Kommission 1892 beschlossen hatte. . ist ein ehrlicher Feind in einer Sache lieber als laue Freunde. 15h wurde von konfervativer Seite daran erinnert, daß dieser En, wurf keine Geldmittel verlange, einen rein fakultativen Charakter hah und keiner Landesregierung zu nahe trete. Der Wirkliche Geheim Rat von Strauß und Torney hat sich in demselben Sinne, au. gesprochen. (Redner zitiert diese Ausführungen. Lachen bel de Soztaldemokraten.) Ihr Lachen berührt mich nicht. In den letjn 15 Jahren ist viel für den Arbeiter geschehen. Ich bin der letzte, zu dies bedauert. In Frankreich hat man erklärt, noch nicht so weit n fein, um solche Summen für die Entlastung der Arbeiter zu zahle als wir. Bei uns hat der Opfermut und die Opferfreudigkeit imme gesiegt. Dieser Gesetzentwurf ist für jeden, selbst für den Grof grundbesitzer, geschaffen. Mancher Großgrundbesitzer wäre heute fro wenn er eine kleine gesicherte Heimstätte hätte und aus den Lastz und der Gefahr des Großgrundbesitzes herauskäme. Der Handwerfe, stand, der Mittelstand können ebenfalls davon Gebrauch machen Früher oder später wird sich auch bei den verbündeten Regierungen die Ueberzeugung Bahn brechen, daß man auf diesem Gebiet wn, wärts schreiten muß. In der „Kreuzzeitung“ hieß es einmal, nur en Jupiter tonans könne die Sache durchführen. Das möchte ich deh nicht glauben. Ich behaupte ja nicht, daß unser Gesetzentwurf in jede Beziehung vollkommen ist, obwohl Leute, wie der Landgerichtsprässden von Kunowéki, ihm zugestimmt haben, weil er auch eine soziale He deutung habe. Der Heimstättengesetzentwurf will der durch die französssth Revolution zu Grabe getragenen Macht der Familie wieder zu ihren Rechte verhelfen. Otto Giercke stimmte diesem Gedanken als Ven treter des deutschen Rechts freudig zu, auch aus dem Grunde daß er die Möglichkeit des Bauernlegens beseitige. Es scl nicht nur die Loslösung von der Scholle gehemmt, sonden auch die Seßhaftmachung der fluktuierenden Bevölkerung bewich werden. Das ist ein Gedanke, der auch in einer Enzyklika de verstorbenen Papstes über die Arbeiterfrage zum Ausdruck gekommw ist. (Zuruf bei den Sozialdemokraten Ich lasse mich du Zurufe nicht stören, auch nicht, wenn sie von sozlaldemokratisch Seite kommen. Ben Terrorismus kennen wir ja. Mir ist en, gewendet worden, der kleine und kleinste Grundbesitz habe ja ohne hin in der letzten Zeit zugenommen. Diese Zunahmie entspricht aber nach der Statistik nicht der Zunahme der Bevölkerung. Zunächs muß man den vorhandenen kleinen und kleinsten Grundbesitz sichem. Die Rentengutsgesetzgebung hat diesen Zweck nicht erreicht, weil di Existenz der kleinen Besitzer unrichtig angelegt war. Alle Grund stücke, die nicht bis über die Hälfte verschuldet sind, können sich unte das Heimstättengesetz flüchten. Das Recht zur Errichtung eine Heimstäite soll an das 24. Lebentjahr geknüpft sein. Das römisch Recht sieht einen früheren Termin vor, das entspricht aber der si— lichen früheren Entwickelung, nicht den nördlichen Verhältnisse. Das Prinzip der absoluten Teilbarkeit und Verschuldbarkeit de Grundbesitzes hat Frankreich in hohem Grade geschädigt, Fohn hervorgebracht, die Zola in seinem „La Terre“ geschildert hat. Ih hoffe, daß jetzt, wo wir uns in fröhlichem Kampf für das deutsch Recht befinden, auch wieder die Presse pro oder contra, das ist gleich zu dem Entwurf Stellung nehmen wird. Vor allem die Arbeite ollen von dem Heimstättenrecht Gebrauch machen. Der Familien, sinn soll gestärkt werden und zu diesem Zweck auch der Ehefrau en Zustimmungsrecht bei der Veräußerung gegeben werden. (Rednet zitiert Artikel aus dem „Reichsanzeiger' und dem „Militär-⸗Wochen. blatt! und wird vom Vizepräsidenten Dr. Grafen zu Stolberg mit dem Ersuchen unterbrochen, diese Vorlesungen nicht all weit auszudehnen, namentlich mit Rücksicht auf die Geschäftslage det Hauses.) Die Erfahrung zeigt, daß da am intensiysten gearbeitet ind wo die straffste Organisation besteht, selbst zum Umsturz. Der kleine Grundbesitz ist leider im Laufe der Zeit immer mehr] aufgesaug worden. Zu dieser Aufsaugung des kleinen Grundbesitzes war de Großgrundbesitz gezwungen. Der Entwurf will der Eigenart de einzelnen deutschen Staaten Rechnung tragen. Die Heimstätte win
in Pommern ganz anders aussehen wie in Sachsen. Es mi dezentralisiert, das Heimstättenwesen muß provinziell ausgeban werden. Wir hoffen, daß nach Durchführung dieses Gesetze
sich auch das fremdländische Kapital, namentlich das englische md amerikanische, nicht mehr so bei uns festsetzen wird, wie bis jetzt. Das amerikanische Geld sucht in immer größerem Umfange auf unsem deutschen Grund und Boden Anlage; dem muß entgegengearbeitg werden. In dem Heimstättenrecht wird ein Mittel dazu gegeben sein Freilich ist es nur ein fakultatives Recht, von dem aber sicherlich ei ausgedehnter und immer ausgedehnterer Gebrauch gemacht werden wird. Warum soll nicht auch derjenige, der sich zur Ruhe setzen nil sich eine Heimstätte gründen? Je mehr das Heimstättenrecht si einbürgert, je mehr Schollen besetzt werden, um so sicheter kann die Regierung und die Monarchie der Zukunft entgegen sehen, wenn es gilt, den Kampf mit den Nachbarstaaten aun zunehmen. Auch die Seßhaftigkeit der Bevölkerung der östlitter Provinzen wird in ganz anderer Weise durch dieses Recht gestiht werden; wir wissen, daß so mancher von dort abgewandert ist, wil ihm nicht gelang, eine Scholle zu eigen zu erwerben. Leider hat mat in einem Teil der Presse dem Entwurf eine Tendenz untergelegt i ihm gar nicht innewohnt; ich hoffe, daß man damit jetzt aufhoͤte wird. Hoffentlich wird auch die Regierung den wohlwollenden Woritn welche wir jedenfalls wieder zu hören bekommen werden, auch ban Taten folgen lassen, welche uns ein Reichsheimstättengesetz bescheren das die Ginzelregierungen zur Basis ihrer Landesgesetzgebung macht können, und das das 2 erreichen hilft, dem kleinen Grundbesih nn Wohltat dieser Einrichtung, den Schutz für sich, für Kind und Kinde— kind zu gewähren.
Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding;
Meine Herren! Der Herr Vorredner hat eingangs seiner Au führun zen dem Bedauern darüber Ausdruck gegeben, daß die be bündeten Regierungen eine so lange Reihe von Jahren haben hingehe⸗ lassen, ohne in dieser von ihm so warm vertretenen, seit lange au vom Reichstag aufmerksam verfolgten Frage irgend etwas lu til. Wenn der Herr Vorredner, wie es den Anschein batte, daraus de Schluß ziehen wollte, daß die verbündeten Regierungen untit gewesen seien oder daß ihnen das Verständnis oder das Om für die Erhaltung und Festigung des kleinen Grundbesitzes fehle, würde ich dagegen eine Verwahrung einlegen müssen. Die bit bündeten Regierungen sind von der wirtschaftlichen Bedeutung n kleinen Grundbesitzes voll durchdrungen; aber sie werden niemal 1 Hand dazu bieten, einen Weg zu wählen, der nach ihrer Uebereugu zu keinem Erfolge führen kann und nur ein Resultat hervorbringe⸗ würde, das auf dem Papier steht. (Sehr richtig! links.) Ob daz b dieser Vorlage der Fall ist oder nicht, meine Herren, das ist dt Frage, die für die verbündeten Regierungen zur Zeit noch nicht aut getragen ist. ;
Als im Jahre 1893 in der Presse und in Versammlungen d große Bewegung, von der der Herr Vorredner sprach, durch das im ging, die sich für die Heimstättengesetzgebung interessierte, da, mem Herren, sind auch die verbündeten Regierungen mit einer Entschliehn befaßt worden gegenüber einem Antrage des Reichtztags, der dal Ziel verfolgte wie der gegenwärtige Vorschlag. Da haben die n. bündeten Regierungen sich aber daran erinnern müssen, daß die uh
auch di
zahl der landwirtschaftlichen Zentralvereine Deutschlands einer solchen Gesetzgebung ablehnend gegenüberstand (Hört, hört! bei den Sozial
demokraten), und sie konnte ferner die Augen nicht da— gegen verschließen, daß eine so angesehene landwirtschaft⸗ liche Interessenvertretung wie der Deutsche Landwirtschaftsrat
obwohl er sich für eine gesetzliche Regelung dieser Frage aussprach dennoch entschieden abriet von einer Intervention der Neichs gesez⸗ gebung und hinwies auf den Weg der Landesgesetzgebung als den einzigen, der auch in dieser Frage zu praktischen Ergebnissen führen könnte.
Angesichts dieser Tatsachen, meine Herren, und der Schwierig⸗ keiten, die sich aus der Fassung der damaligen Vorlage ergeben, haben die verbündeten Regierungen Ende des Jahres 1894 beschlossen, den damaligen Vorschlägen des Reichstags keine Folge zu geben. Ich muß das hier autzdrücklich betonen, weil das in dem Vortrage des Herrn Vorredners nicht erwähnt worden ist, und weil es so schien, als wäre ihm dieser für die Beurteilung der ganzen Sache doch sehr wichtige Vorgang nicht mehr in der Erinnerung.
Meine Herren, dessenungeachtet ist man aber doch auch bei der Regierung nicht untätig gewesen. Ich verweise auf die landwirt⸗ schaftliche Gesetzßzebung, die in Preußen inzwischen vor sich gegangen ist, auf die Bildung der Rentengüter (sehr richtig!, auf das Anerben⸗ recht, und ich kann erwähnen, daß seit Jahren in dem landwirtschaft⸗ lichen Ministerium Preußens Erörterungen schweben über die Frage, wie man praktisch der Entschuldung des kleinen Grundbesitzes näher treten kann. Soviel mir freilich bekannt ist — ich bin ja nicht ver⸗ pflichtet, über diese landwirtschaftlichen Verhältnisse näher unterrichtet zu sein (Heiterkeit) — soßviel mir hekannt ist, sind die Beratungen der preußischen landwirtschaftlichen Verwaltung über diesen Gegenstand noch nicht abgeschlossen, und wenn der Herr Vorredner die Güte ge⸗ habt hätte, seine anziehenden Darlegungen nicht hier bei dem Etat des Reiche justizamts, sondern bei dem Etat der preußischen landwirt- schaftlichen Verwaltung zu machen, so würde er wahrscheinlich über die Aussichten, die das ganze Projekt hat, besser unterrichtet sein als aus den Ausführungen, die ich hier dem hohen Hause zu machen in der Lage bin.
Meine Herren, es ist ja ganz selbstverständlich, daß die Tätigkeit
des Reichsjustizamts in dieser Frage nur eine formal juristische ist. Wir sind nicht imstande und sind nicht berufen, zu prüfen, ob den wirtschaftlichen Interessen des kleinen Besitzerstandes ein Gesetzentwurf auf dieser Grundlage wirklich Rechnung trägt oder nicht. Das können wir nicht prüfen, das ist Sache der Prüfung in den landwirtschaftlichen Verwaltungen der Bundesstaaten.
Nun muß ich aber doch zur weiteren Entlastung des Reichsjustiz-⸗ amts und, damit der Herr Vorredner seine Vorwürfe nun nicht von den Regierungen auf das Reichsjustizamt abladet, konstatieren, daß in den letzten 7 — 8 Jahren von seiten irgend einer deutschen Regierung Anträge auf eine gesetzliche Regelung in der fraglichen Richtung
an den Herrn Reichskanzler nicht gelangt sind. (Hört! hört! links. Ich muß ferner konstatieren, daß Anträge von landwirtschaftlichen Interessenvertretungen, von Zentral⸗ vereinen oder sonstigen angesehenen Organen der landwirt⸗
schaftlichen Praxis in dieser Richtung uns ebenfalls nicht unterbreitet worden sind. Ich glaube, wenn wir nicht rein vom grünen Tisch arbeiten wollen, dann war es doch auch richtig, daß wir uns bis jetzt abwartend verhalten haben, und so muß sich der Herr Vorredner es erklären, wenn unserseits bis dahin in der Sache nichts geschehen ist. Ich bin aber überzeugt, daß, wenn das hohe Haus beschließen sollte, dem vorliegenden Antrage seine Zustimmung zu geben in dem Sinne, daß den verbündeten Regierungen empfohlen wird, eine reichsgesetzliche Regelung in Erwägung zu ziehen, dann die verbündeten Regierungen diesem Beschlusse ihre volle Aufmerksamleit widmen werden, daß sie die Frage prüfen werden, freilich mit voller Objektivität nach allen Richtungen hin, aber auch mit dem Ernste und der Aufmerksamleit, die die wirtschaftliche Lage des kleinen Grundbesitzers nach unserer An⸗ sicht in Anspruch nehmen kann. (Bravo! links)
Abg. Got hein (fr. Vgg.): Wenn ich die Aussicht des An⸗ trages nach der Aufmerksamkeit beurteilen wollte, welche die inter essanten Ausführungen des Antragstellers gefunden haben, so würden sie außerordentlich gering sein. Er hat uns in seiner mit Bleistift und Schere sorgfältig zusammengestellten Rede ein überreiches Material dargeboten, das nicht allzuviel Interesse erregt hat; er würde große Erfolge haben, wenn er diese Rede bei der dritten Lesung des Etats im preußischen Abgeordnetenhause wiederholte. Gs wird ja bei dem Antrage, auch wenn er angengmmen werden sollte, nichts berauskommen; dennoch muß auch die Opposition sich äber solche Anregungen äußern. Einer besseren Besitzverteilung ist niemand, auch kein Liberaler, abgeneigt; es handelt sich aber darum, daß nicht das Besitzrecht verschlechtert wird. Und sowohl der Deutsche Landwirtschaftsrat, wie auch offenbar der Staatssekretär des Reichs sustizamts scheinen doch nicht allzu viel von diesem Wege zu halten. Das alte bäuerliche Recht war sehr gut; aber der Groß⸗ grundbesitz und die Stände dersammlung haben es verstanden, dieses Recht fo zu verschlechtern, daß im 16. und 17. Jahrhundert der Bauernstand in Ostelbien unterging, und die Gutsherrschaften an ibte Stelle traten; der Grundfehler lag darin, daß keine starke Staatsgewalt da war, welche diesen empörenden Unfug des Bauernlegens störte. Ein deutscher Mann, wie Ernst Moritz Arndt, erheb seine Stimme dagegen, und der grundbesitzende Adel bekam es fertig, den König anzurufen, diesen Mann seiner Professur zu entsetzen und ihn des Landes zu verweisen. Der Egoiemus des Großgrundbesitzes bat zur ungefunden Grundbesitzverteilung beigetragen. Zur Zeit der hohen Getreidepreise erschien es vorteilhafter, in Großgutshezirken zu wirtschaften. Die Auswanderung war immer dann am stärksten, wenn die Getreidepreise am höchsten waren. Dem Antragsteller kommt es darauf an, den vorhandenen Kleingrundbesitz zu schützen. In vielen Gegenden ist dieser Besitz nicht vorhanden. Gerade im Stralsunder Kreise, den der Antragsteller kennt, wiegt der Großgrundbesitz vor. Dort muß man die Aufteilung der Rentengüter in kleinen Besitz erleichtern. Nach dem neuen lat sollen 42 neue Domänen gesthaffen und nur eine parzelllert werden. Ich habe im preußischen Abgeordneten⸗ hause die Regierung immer aufgefordert, ihr Versprechen endlich ein⸗ julösen und mehr Domänen zu pParzellieren. Vielleicht hat der An⸗ tragsteller mehr Glück als ich. Auf Rügen wurde eine Domäne aufs neue auf eine Reihe von Jahren verpachtet und die Gesuche der kleinen Leute zurückgewiesen. Auch sonst sind Ansuchen auf Ab⸗ derpachtungen oder Parzellierungen von Domänen abgelehnt, worden. In Gegenden, wo der Landhunger so groß ist, und die Leute sich überbieten, bleibt die Domäne vollständig intakt, z. B. in Sorau. Herr von Rlepenhausen hat eigentlich eine sehr eindringliche Rede gegen das Ueberwuchern des Grundbesitzes gehalten. Gerade in Ost⸗ elbien sind 42, in den Händen von Besitzein über 100 Hektar, also des Großgrundbesitzes. (Widerspruch rechts) Jawohl, das ist nach der Statistik Großgrundbesitz. Ich kann den Herren nur raten, dahin zu wirken, daß nicht eine Festlegung des
roßgrundbesitzes eintritt, wie sie durch das neue Fideikommiß⸗ gesetz beabsichäigt wird. Wenn wir den Großqrundhesitz in, Ost=
elbien durch Privatunternehmungen wie durch die Landbank ver-
teilen wollen, dann kommen die bon Durant u. A. im Herrenhause
und schlagen Lärm. Man führt den kleinen Grundbesitz immer im Munde und macht der Regierung Vorwürfe, daß sie solche Dinge duldet. Herr von Riepenhausen wies au die Zersplitterung des Grundes und Bobens in Frankreich hin. Dag mäß ich hestreiten. Sind denn die ger h lt iffe in der französischen Landwiitschaft so schlecht? Neulich hat ein konserbativer Abgeordneter diese Ver= hältnisse als fehr gut hingestellt. Gerade dort blüht die Landwirt— schaft bei ung, wo' das freie Erbrecht und die freie Teilbarkeit besteht, z. B. im Rheinland und in Waden. Wer soll denn eigentlich diefe Heimstätten schaffen? In Ostelbien würde der Gutäbesitzer eine ganze Reihe von Heimstätten gründen. Gin Grundbesitz, der seinen Mann nicht nährt, ist keine Quelle des Glücks. Das Elead der Weber in Schlesien beruht darauf, daß sie meist kleine Besitzer sind. In Ostelbien würde die soziale Wirkung des Gesetzes sein, möglichst viele Leute bodenständig! zu machen und für diese die Freizühigkeit aufzuheben. Das können wir nicht mitmachen. Wir wollen einen Geundbesitz befördern, der den Menschen nicht zum Sklaven der Scholle, sondern zum freien Herrn macht. Die Heim⸗ stätte soll die Größe eines Bauernhofes nicht übersteigen nach dem Entwurf. Das ist ein Kautschukbegriff. Es findet 6 eine wesent⸗ liche Verschlechterung des ganzen Besitzrechts statt. Die Kredit gewährung wird erschwert. Was nützt die Veräußerungs. möglichkeit, wenn niemand da ist, der willens ist, sich einen solchen Besitz zu kaufen? Der eigentliche Gründer der Heimstätte, der Gutsbesitzer, dagegen riskiert nichts, Was hier gefordert wird, ist nicht altetz deutfches Recht. Altes deutsches Recht ist die Teilbar⸗ keit. Das Erstgeburtsrecht ist Feudalrecht, es ist auch kein christliches Recht. Die Aufhebung in der französischen Revolution wollte gerade das Familienleben befördern. Die Royalisten, nicht die Republikaner, haben den Versuch, das Erstgeburtsrecht, das droit d'ainesss, wieder einzuführen, bekämpft. Wir werden im Interesse einer gesunden Fort—⸗ entwickelung des Grundbesitzes gegen den Antrag stimmen Abg. Pohl (fr. Voltep.): Der Antragsteller sagte, daß der Gesetz⸗ entwurf allen Teilen, auch den Großgrundbesitzern und den Frauen zu gute kommen würde. Diese Ausführungen waren durchaus verfehlt. Die Landwirtschaft ist keine Frauenarbeit, und die Frau, die über haupt ein derartiges Gut ihr eigen nennt, würde sich hüten müssen, es in eine Heimstätte umzuwandeln. Wenn sie in guten Vemhältnissen ist, wird sie sich nicht festnageln lassen wollen. Ebenso wenig wird sich ein wohlhabender Großgrundbesitzer dazu entschließen, sich auf einer Heimstätte festzusetzen und sein Grundstäck einem anderen zu über⸗ lassen. Ein Großgrundbesitzer aber, der auf seinem Gute schlecht wirt⸗ schaftet, wird sich am wenigsten dazu entschließen, auf einer Heimstätte zu wirtschaften und sich als Bauer einzurichten. Die Wohltaten eines Heimstättengesetzes wärden nur den Bauern zu gute kommen. In diesen Kreisen aber würde ein solches Gesetz nicht nur unnütz, sondern auch schädlich sein. Jede Sindung, jede Beschränkung des freien Eigentums ist schädlich. Die Sitte sorgi schon dafür, daß der bäuerliche Besitz in einer Hand verbleibt. Eine Parzellierung kann aber anderseits notwendig sein, wo drei Viertel der Familie Nebenbeschäftigung haben, wie z. B. in Schönwald im Kreise Gleiwitz. Die Schaffensfreudigkeit und Kraft wird vermindert, wenn ihm geboten wird, einen unerwünschten Teil seines Grund⸗ stücks zu behalten, bei dessen Veräußerung er ein gutes Geschäft machen würde. Das ist eine Beschräntung seiner persönlichen Freiheit. Der Antrag verstößt gegen Treu und Glauben und jede Recht⸗ schaffenheit. Ich denke, wer Schulden hat, soll sie auch bezahlen. Der Antrag macht aus unabhängigen Bauern unfreie Bauern. Der Einfluß der Heimstättenbehörde geht viel zu weit und lähmt die Schaffensfreudigkeit. Wer sich erst einmal in dieser Weise einer Be— hörde verschrieben hat, der wird nie mehr ein freier Herr auf freiem
Besitz. Diese ganzen Heimstätten werden nichts weiter werden als
Sie werden aus einem freien nur einen un⸗ und das Vaterland wird dadurch nur Schaden
kleine Fideikommisse. freien Mann machen, leiden.
Abg. Dr. Bachem: Es ist schwer verständlich, wie man zu einer so scharfen Verurteilung unserer Vorschläge kommen kann, wie die beiden Vorredner. Man kann dem gesunden Sinn der Bauern so viel zutrauen, daß sie das Mittel einer Umwandlung ihres Besitzes in eine Heimstätte nur dann anwenden, wenn es ihnen dienlich ist. Wir haben überwiegend einen kleinen Grundbesitzerstand, der sich nur schwer über Wasser halten kann; diesem hilft man, wenn man ihm ein Mittel an die Hand gibt, die Familie zu konsolidieren. Bei der gleichen Erbteilung haben die Bauernsoͤhne kein weiteres Mittel, als den auf sie ent⸗ fallenden gerinzen Teil des Gutes zu verkaufen und als Fabrikarbeiter in die Stadt zu gehen. Die Heimstätten würden gegen eine weitere Verschuldung des Besitzeß und, gegen dessen Aufsaugung durch das Großkapital wirken. Die Heimstätten, die wir gründen wollen, kind keine Fideikommisse. Der Gedanke ist ganz verschleden. Der Bauer kann bis zu seinem Tode frei auf der Heimstätte walten. Nach seinem Tode kann er das Gut auf einen Sohn übergehen lassen. Will er das nicht, so kann er eben das gleiche Erbrecht jederzeit wieder einführen, wenn auch gewisse Schwierigkeiten damit verbunden sind. Das Reich kann bel der Verschiedenartigkeit des Grundbesitzes und bei den verschiedenen Rechtsgewohnheiten keine einheitlichen Aus— führungsbestimmungen treffen, deshalb müssen die Ausführungs— bestimmungen der Landesgesetzgebung vorbehalten bleiben. Man wird provinziell differenzieren müssen. Wenn die Heimstätten sich in einzelnen Gegenden keinen Eingang verschaffen werden, so ist das kein Grund, sie auch für die Gegenden, die sie gern aufnehmen, aus— zuschließen. Sollte die Regierung den Weg, den wir vorgeschlagen, nicht fur gangbar halten, so wird sie duch wenigstens den Zweck an. erkennen müssen, und es ist dann ihre Aufgabe, selbst einen anderen Weg zu finden, um dem kleinen und mittleren Bauer ein Mittel an die Hand zu geben, sich auf seinem Besitz zu halten.
Abg. Stadthagen (Soz.): Der Geseßzentwurf, wie er vorliegt, entspricht ähnlichen früheren utopistischen, betrügerischen Entwürfen. Die Stellung meiner Fraktion dazu ist klar. Der Antrag ist technisch ein Unikum von Quacksalberei. Seine Folge würde sein die Stärkung der Großen und Mächtigen, die Beschränkung der Freizügigkeit, Beförderung der Industrie, Erleichterung der Aus— wucherung des Kleinbauern. Das ist die Grundtendenz des Antrages. Im Grunde genommen, will der Antrag dasselbe, was das Mittel⸗ alter wollte, nur nicht so offen, nämlich das alte Fron— verhältnis aufrechterhalten. Die Rentengutsgesetzgebung will auch nichts weiter, als billige Arbeitskräfte für die Greßgrundbesitzer schaffen, da das Grundstück nicht groß genug ist, um sich darauf zu ernähren. Scien Sie doch ehrlich und schreiben Sie über das Gesetz: „Gesetz zur Aufrechterhaltung der Knechtung der Bauern, der Spann- und Frondienste!“ Nach dem 5 1 des Entwurfs het jeder Deutsche das Recht, nach vollendetem 24. Jahr eine Heimstätte zu erwerben. Wer soll ihm das Geld dazu geben? Ebenso gut oder ebenso betrügerisch könnte man jemandem das Recht geben, mit 24 Jahren Millionär zu werden oder einen reichen Mann zu be⸗ kommen. Die Größe der Heimstätte soll die Größe eines Bauern— guts nicht überschreiten. Eine ganz schwankende Bestimmung. Es soll dabei nur erreicht werden, daß der Bauer dem Großgrundbesitzer als Arbeitspieh erhalten bleibt. Die Kinder außer dem Erstgeborenen werden ins Elend gestoßen, der Industrie überniefert, und das nennt man Förderung des Familienlebens! Und wie reimt sich das Gesetz mit dem Bestreben, den Polen die Ansiedelung zu erschweren? eim stätten soll also nur der Deutsche haben, nicht der Pole, und auch der Deulsche nicht, der nicht konserpativ ist. Der Gesetzentwurf ist so dilettantenhaft in der Form und so reaktignär, kultur. und arbeiter ⸗ feindlich in der Tendenz, daß ich nicht verstehe, wie der Abg. Bachem damit noch einen Versuch machen will.
Abg. Gamp (Rp.): Auch bei einer ganz flüchtigen Durchsicht des Entwurfs hatte sich der Abg. Stadthagen sagen müssen, daß seine langen Ausführungen nicht eine Spur von Berechtigung haben. Ich würde mich hüten, die Arbeiter als „Arbeitsvieh“ zu bezeichnen. Wir behandeln fie so, wie sie es verdienen. Sie werden zugeben, daß alle diejenigen . welche die Größe eines Bauernhofes haben, überhaupt nur für Bauern geschaffen sind, die ihre ganze Arbeitskraft ihrem Betriebe zuwenden, daß der Grundbesitz also
nicht eine Spur von Arbeitsausnutzung dadurch haben kann. Daß auch kleinere Grundstücke für Arbeiter errichtet, werden können, ist durch das Gesetz auch beabsichtigt. Sie haben schon von Herrn Pohl gehört, wie wohltätig sich das in der Gemeinde Schönwald bewährt hat, einer wohlhabenden Gemeinde, deren Bewohner kleine Grundbesitzer sind, die ihre Arbeitskraft als Eisenbahnarbeiter oder sonst verwerten. Glauben Sie, daß es nur ein Schönwald in Deutschland giebt? Wenn meine politischen Freunde und ich diesen Antrag unterschrieben haben, haben wir uns nicht mit allen Einzelheiten und Bestimmungen einverstanden erklären wollen. Daz liegt in der Natur eines Antrags, der stets nur Grundzüge wiedergibt Es bleibt jedem in diesem Hause frei, zu jeder einzelnen Bestimmung seine eigenen Anschauungen zur Geltung zu bringen. Die ganze Ausführung des Gese entwurf liegt ja nach dem 5 9 in der Landesgesetzgebung. Daß der Abg. Stadthagen von betrügerischen Entwürfen sprach, betrachte ich als eine Entgleisung, die ich ihm nicht weiter übelnehme, weil ich ja an derartige Entgleisungen bei ihm gewöhnt bin. Er qing in seinem Gifer so weit, daß er den Entwurf als eine Förderung der Induftrie bezeichnete, für die er ja sonst eine Vorliebe hat. Die Bauern werden einer gesicherten Zukunft entgegengehen können, wenn sie sich unter günstigen Bedingungen eine Heimstätte gründen können. Stadthagen interessiert sich so sehr für die nachgehorenen Kinder — in dem ganzen Gesetzentwurf ist von einer „Erstgehurt ; nicht die Rede. Die Eigentümer einer Heimstätte sind in ihrer Willensfreiheit gar nicht beschränkt, sie können z. B., wenn sie einen Sohn haben, der als Landwirt fo unpraktisch wäre, wie Herr Stadthagen, ihr Gut einem andern übergeben. Die Bestimmung, daß ein Gläubiger die Heimstätte nicht in Anspruch nehmen darf, verstößt durchaus nicht gegen Treu und Glauben. Der Gläubiger weiß von vornherein, daß er dort seine Ansprüche nicht geltend machen kann. Dem Beamten kann ja sein Gehalt auch nur bis zu einem gewissen Teil genommen werden. Die Erklärungen des Staatesekretärs waren nicht so entgegenkommend, wie wir sie gewünscht hätten; aber sie waren ja auch gar nicht so ab⸗ lehnend; er hat eine erneute Prüfung zugesagt, und wir versteifen uns keinetzwegs auf den in unserem Antrag festgelegten Weg. möchte den Herrn Staatssekretär bitten, bei der erneuten Prüfung dieser Frage auch sein Herz mitsprechen zu lassen.
Präsident Graf von Ballest rem: Der Abg. Gamp hat den Ausdruck „‚betrügerisch' in der Rede des Abg. Stadthagen moniert. Ich habe genau gehört, daß der Abg. Stadthagen nicht den Antrag= stellern betrügerische Absichten vorgeworfen, sondern nur gesagt hat, 3 Antrag würde, wenn er Gesetz würde, betrügerische Wirkungen aben.
Abg. Dr. Wol ff (wirtsch. Vzg .). Daß diese Resolution, die wir vorschlagen, wohl auch Schönheitsfehler hat, glaube ich gern. Aber ich glaube auch, daß noch nie eine Resolution das Fegefeuer in tadellosem Zustand verlassen hat. Das Gesetz würde eine Quelle des Segens und der Gesittung werden. Die falsche Zollgesetzgebung der Linken ist der Anlaß gewesen, daß auch der Kleinbesitz mit Sorgen zu kämpfen hat. Herr Gothein und seine Freunde mögen uns doch mit den Mätzchen verschonen, daß dieser Gesetzentwurf zu Gunsten des Großgruͤndbesitzes beabsichtigt sei. Die kleinen Besitzer und Arbeiter werden draußen gewissenlos gegen die Großgrundbesitzer auf⸗ gehetzt. Sie werden aber damit keinen Erfolg haben.
Abg. Stadthagen: Wir warnen nur die Bauern, dem Irr⸗ licht zu folgen, das Sie (rechts) ihnen anstecken. Ich werde mich nicht abhalten lassen, den Bauer noch weiter aufzuklären. Uebrigens ist weder der Vorredner noch der Abg. Gamp kompetent, zu n wie ich mich als Landwirt bewähren würde, um so weniger, als Herr Gamp mir das versprochene Gut noch immer nicht übergeben hat. Die Arbelter habe ich nicht als Arbeitsvieh bezeichnet, ich habe behauptet, daß die n, ,, , . die außerhalb dieses Hauses den Antrag unterstützen, den Arbeiter als Arbeitspvieh haben wollen, weil die Heimstätte nicht größer sein soll als ein Bauernhof. Die Ausführung des Gesetzes den Einzelstaaten zu üherlassen, wie dem reaktionären Preußen, waͤre noch schlimmer. (Präsident Graf von Ballestrem ruft den Redner wegen dieser Aeußerung zur Ordnung.) Ich bitte Sie dringend um Ablehnung des Antrags.
Abg. Freiherr Heyl zu Herrnsheim: Der größere Teil meiner Fraktion ist für die Resolution. Der Staatssekretaär wird dann in der Lage sein, daraufhin weiter vorzugehen. Im übrigen kann ich mich den Ausführungen des Abg. Bachem anschließen. Der Auf— teilungszwang beim Todesfall in der französischen Gesetzgebung hat manche Familie geradezu ruiniert. Man behauptet, daß größere Kapitalisten die Bauern legen. In meinem Kreise hält man das für unanständig. Immerhin ist die Möglichkeit dazu vorhanden, und ich möchte den Staatssekretär bitten, der Sache noch weiter nachzugehen und darauf hinzuwirken, daß die verbündeten Regierungen dem Hause einen Gesetzentwurf vorlegen.
Abg. bon Riepenhausen: Die Erregung der linken Seite zeigt mir, daß wir auf dem rechten Wege sind und die Hoffnung
hegen dürfen, daß wir bald zu einem Gesetzentwurf gelangen werden.
Damit schließt die Diskussion. Nach persönlichen Be⸗ merkungen der Abgg. Dr. Wolff, Stadthagen und Gamp wird darauf die Resolution angenommen.
Um 61 Uhr wird die weitere Beratung auf Freitag 1 Uhr vertagt.
Preusßischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 27. Sitzung vom 25. Februar 1904, 11 Uhr.
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
Das Haus sitzt die zweite Beratung des Staatshaus⸗ haltsetats für das Rechnungsjahr 1904 im Etat der Justizverwaltung bei dem Ausgabetitel „Gehalt des Ministers“ fort.
Auf Bemerkungen der Abgg. Malkewitz (kons.) Dr. Rewoldt (freikons.) erwidert der
Justizminister Dr. Schönstedt:
Meine Herten! Die Angelegenheiten der Kanzleibeamten sind ja ein Gegenstand sehr zahlreicher Petitionen und werden daber wohl noch zu einer erschöpfenden Besprechung in diesem hohen Hause kommen. Ich glaube deshalb in diesem Augenblick darauf nicht einzu- gehen zu sollen.
Auf die Ausführungen zu dem Prozesse Barth habe ich dem Herrn Abg. Malkewitz nicht sofort anworten können, weil ich anderweitig in Anspruch genommen war. Ich will mir jetzt, obgleich die Aeußerungen des Herrn Abg. Malkewitz sich in erster Reihe gegen den noch nicht anwesenden Dr. Friedberg richten, doch gestatten, wenigstens auf einige Punkte einzugehen.
Ich darf zunächst bestätigen, daß soweit der Erste Staatsanwalt in Köslin in die Sache persönlich hineingezogen worden ist, er zu der hier fraglichen Zeit nach dem mir erstatteten Bericht gar nicht in Köslin anwesend war (hört, hört! rechts und mit der Sache nichts zu tun gehabt habe. Insoweit würden also die Angriffe, die sich gegen seine Person richten und dahin gehen, daß er in Verkennung seiner Stellung in den Wahlkampf eingegriffen habe, gegenstandslos sein.
Was das viel erörterte Flugblatt angeht, so kann ich mich selbst⸗ verständlich hier nicht darüber äußern, ob dieses Flugblatt eine persön⸗ liche Beleidigung gegen den Abg. Dr. Barth enthält oder nicht. Ich
und
kann und muß mich eines Urteils darüber enthalten, weil das Ver-
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