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fahren noch nicht vollständig abgeschlofsen ist und ich durch Meinungs- äußerungen nach der einen oder anderen Seite hin der vielleicht noch anzurnfenden Entscheidung der Gerichte nicht vorgreifen will. Tat sächlich liegt nun die Sache so, daß auf den Strafantrag des Abg. Dr. Barth der Erste Staatsanwalt oder vielmehr sein Ver treter in Köslin die Erhebung der öffentlichen Klage abgelehnt bat, weil nach seiner Auffassung ein öffentliches Interesse nicht gegeben war. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Oberstaats⸗ anwalt in Stettin zurück, aber aus anderen Gründen. Er erkannte an, daß, wenn durch das Flugblatt der Abg. Dr. Barth beleidigt worden sei, wenn namentlich die schwere Anklage, er habe sich an dem Stimmenkauf gegenüber der sozialdemokratischen Partei beteiligt, be⸗ gründet sein möchte, dann allerdings mit Rücksicht auf die Stellung des Abg. Dr. Barth im öffentlichen Leben und mit Rücksicht auf das Ansehen, das überhaupt den Mitgliedern der Volksvertretung gebührt, die Erhebung der öffentlichen Klage an und für sich gerechtfertigt sein würde und daß die Sühne einer derartigen Beschuldigung nicht bloß auf dem Wege der Privatklage gesucht werden könne.
Der Oberstaatsanwalt wies die Beschwerde nur aus dem anderen Grunde zurück, daß die etwa als Beschuldigte in Frage kommenden Personen durch den § 193 des Strafgesetzbuchs geschützt seien, indem sie sich in der Wahrnehmung berechtigter Interessen befunden hätten.
Gegen diese Entscheidung erhob der Abg. Dr. Barth bei mir Beschwerde. Ich habe die Entscheidung aufgehoben und die Staats anwaltschaft angewiesen, Ermittelungen anzustellen, indem ich sagte: wenn der Oberstaatsanwalt anerkennt, daß ein öffentliches Interesse zur Verfolgung an und für sich gegeben ist, dann ergibt sich konsequenter weise, daß die Staatsanwaltschaft in die weitere Erforschung des Sachverhalts eintreten muß und nicht in der Lage ist, nach dem bis jetzt gegebenen Material ohne weiteres auch über die Frage zu ent⸗ scheiden, ob der Schutz des 5193 dem etwaigen Täter zur Seite steht. Auf Grund dieser Entscheidung ist das Ermittelungsverfahren einge- leitet worden. Nach Abschluß desselben hat der Erste Staatt anwalt in Köslin oder vielmehr wiederum sein Vertreter (Zuruf rechts), der mit der Bearbeitung der Sache betraut war, abermals die Erhebung der öffentlichen Klage abgelehnt, aber nicht, wie irrtümlicherweise der Abg. Malkewitz erklärt hat, weil ein öffentliches Interesse nicht vor handen sei, sondern jetzt weil nach dem Ergebnis der Ermittelungen der Tatbestand einer Beleidigung gegen Herrn Barth nicht gegeben sei, und über diese Entscheidung hat sich demnächst der Herr Abg. Barth beschwert. Zunächst beim Oberstaatsanwalt. Die Beschwerde ist zurückgewiesen worden. Dann hat er sich bei mir beschwert. Ich habe es abgelehnt, die Verfügung des Oberstaatsanwalts im Auf— sichtswege abzuändern, und den Beschwerdeführer auf den Weg des S170 Strafprozeßordnung verwiesen. Das ist anscheinend dem Herrn Malkewitz noch nicht bekannt gewesen, obgleich meine Entscheidung Gegenstand lebhafter Erörterung in der Presse gewesen ist. Ich bin von vielen Seiten angegriffen worden, weil ich Herrn Barth auf einen nicht gangbaren Weg verwiesen habe. Ich halte diese Auf⸗ faffung für unrichtig. Ich halte Herrn Barth für einen sehr klugen Mann; er ist, glaube ich, in diesem Falle zu klug gewesen. Ich habe ihn auf den korrekten Weg der Beschwerde beim Oberlandesgericht verwiesen; er war als Verletzter berechtigt, diese Beschwerde dort zu erheben.
Ich will mich in diesem Augenblick nicht in weitere Erörterungen dieser Rechtsfrage einlassen; würde aber, wenn eine Provokation kommt, bereit sein, meine Auffassung zu vertreten, und ich gl Sie überzeugen können, daß der Herr Abg. Bart!
hat. Ich glaube nicht, daß er
aan 5 em Te - * em ** 8 eine Veranlassung dazu hatte, die
Flinte ins Korn zu werfen und zu sagen: ich bin auf ei nicht gangbaren Weg verwiesen, und jetzt bin ich rechtlos. Das mag nach gewissen Richtungen hin ja sehr wirksam sein, aber entspricht nicht der eigentlichen Rechtslage in dieser Sache.
o liegt die Angelegenheit. Es ist jetzt dem Abg. Barth noch
26 8 1 Vte Be⸗
gegeben, Privatklage zu erhehen.
defrift an das Oberlandesgericht, die noch zwölf Tage lief, als ihn darauf verwiesen babe, bat er es versäumt. Für mich ist die An mich wird selbstverständlich der Herr Abg. Barth mehr berantreten, und wenn er es täte, würde ich ihm sagen, daß er es sich selbst zuzuschreiben habe, wenn es zu einer gerichtlichen Entscheidung der Sache nicht gekommen sei, daß ich mich nicht weiter mit der Sache befassen könne.
Nun möchte ich nur noch eine Bemerkung dem Herrn Abg. Malkewitz gegenüber machen. Er hat gesagt: wenn die Staatsanwaltschaft alle derartigen Dinge als im öffentlichen Interesse liegend verfolgen würde, dann würde sie sehr viel zu tun haben mit dem Schutze seiner eigenen Person. Nun hat aber Herr Malkewitz, soviel ich weiß, keinerlei Strafanträge gestellt, und so ist die Staatsanwaltschaft nicht vor die Frage gestellt worden, ob zu Gunsten des Herrn Mallewitz nun gleichfalls die Erhebung einer öffentlichen Klage geboten war. (Abg. Malkewitz: Ich habe ein ziemlich dickes Fell! — Heiterkeit)
Abg. Mathis (ul.) bespricht den Richtermangel, die große Zabl der Hilssrichter und die Ueberbürdung der richterlichen Beamten. Die Ausführungen des Rednerg sind im einzelnen auf der Tribüne nur sehr schwer zu verftehen. Anscheinend fordert er, daß den hervorgetretenen Miß⸗ ständen nicht nur durch Vermehrung der etatsmäßigen Richterjahl, son— dern auch durch Entlastung des Richterstandes überhaupt abgeholfen werde. Der Redner erörtert dann u. a. die Rang und Besoldungeverhältnisse der richterlichen Beamten, befürwortet die völlige Gleichstellung der mittleren Justizbeamten mit den entsprechenden Kategorien zer Ver- waltungsbeamten und regt Verbesserungen für das gesamte Personal der Juftizverwaltung an; aber auch diese Ausführungen bleiben auf der Tribüne unverständlich.
Abg. Peltasohn (fr. Vxg): Nachdem f Malkewitz die Flugblattangelegenheit des Abg. Barth etwas einseitig dargestellt hat, muß auch ich darauf näher eingehen. Herr Mallewitz hat gemeint, von einer Beleidigung des Abg. Barth könne gar keine Rede sein. Das steht doch nicht so ohne weiteres fest. Hier ist das Flugblatt. Der Redner entfaltet einen großen, schwarz⸗ weiß⸗ rot gestreiften Bogen.) Die Ueberschrift lautet: Eine gemeine Tat (Rufe rechts; Werter lesen!) ist von den Vertretern der sreisinnigen Partei begangen worden. Nun folgt die Behauptung, daß die Partei fich Tie Unterstũtzung der Sozialdemokraten erkault habe, und die von Herrn Malkewitz vorgelesene Frage an Herrn Dr. Barth. Die gedruckte Ueberschrift mit dieser Frage konnte dem oberflächlichen Leser den Eindruck machen, daß Herr Br. Barth eine gemeine Tat begangen habe. Der Tatbestand der Beleidigung ist auch von dem Ersten Staats. anwalt als vorliegend angenommen worden; der Erste Staatsanwalt hat aber den 5 193 herangejogen. Die Voraussetzung für die Einleitung eines Strafverfahrens läge also wohl vor, auch das Vorhandensein eines öffentlichen Interesses ist anerkannt worden, und immer nur ist davon
eredet worden, daß 5 193 zur Anwendung kommen könnte. Herr alkewitz hat also gar keinen Grund, es so darzustellen, wie er es getan hat, und die ganze Sache gewinnt noch einen eigentümlichen
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Beigeschmack, wenn man bedenkt, daß Herr Malkewitz der Gegen⸗ kandidat deß Herrn Barth war. Den Ersten Staatsanwalt haben allerdings die Blätter zu Unrecht angegriffen; es ist heute festgestellt, daß er der Sache fern gestanden hat, auch die Verfügung nicht von ihm unterschrieben worden ist. Obwohl der betreffende Erste Staatsanwalt eigentümlicherweise in dlesem . auch zugleich der Vorsitzende des konservativen Wahlvereins war, stimme ich doch mit dem Herrn Rewoldt darin überein, daß die Beamten nicht deshalb, weil sie einer bestimmten Partei angehören, wegen ihrer Tätigkeit im Wahlkampf angegriffen werden dürsen. Nicht unbedenklich ist, daß schon im Vorverfahren angenommen werden konnte, daß § 193 zur Anwendung komme; dazu war die Sache damals wohl noch zu wenig
geklärt. — Ich möchte ferner auf die Schwierigkeiten aufmerksam machen, die sich bei Nottestamenten auf Grund des § 2249 des
B. G. B. in der Praxis herausgestellt haben. ,
Abg. Cassel (fr. Vollsp.): Die Sache des Herrn Barth trägt keinesfalls den harmlosen Charakter, den Herr Malkewitz ihr zu geben bemüht ist. Allerdings mag Herr Malkewitz, der in diesem Wahl⸗ kreise gewählt ist, die Sache mit anderen Augen ansehen als ein Un— beteiligter. Der Vorwurf des Stimmenkaufs ist ein schwerer. Es follte der Eindruck hervorgerufen werden, als ob Herr Dr. Barth eine gemeine Tat begangen habe. Wäre es den Herren nur auf eine Gleichstellung angekommen, so bätten sie das Flugblatt nicht so spät verbreitet, daß vor der Wahl eine Widerlegung nicht mehr möglich war. Ich befinde mich jetzt in einem Gegensatz zu vielen volitischen Auffassungen des Herrn Dr. Barth; aber man muß sich in die Empfindungen eines Mannes versetzen, der, wie Herr Barth, ein Ehrenmann ist und dem so schwere Vorwürfe im Wahlkampfe ge⸗ macht werden. Daß es sich dabel um ein unwürdiges Mansͤver ge— handelt hat, diese Auffaffung baben auch noch viele andere. — Die Wünsche der Justizkanzlisten können wir nur als gerechtfertigt an⸗ erkennen, und ich schließe mich in dieser Bezlehung den Ausführungen des Abg Mathis an. Wenn auch nicht im Namen aller meiner Freunde, so doch im Namen vieler habe ich ferner zu bedauern, daß einzelne Zweige der Rechtsprechung von der übrigen Justi⸗ abgesplittert sind. Die Sondergerichte schädigen die Rechtseinheit. Die Mitwirkung der Laien wäre bel Staatsgerichten piel besser ge⸗ wahrt als bei Sondergerichten. Vielleicht ist der fiskalische Gesichte⸗ punkt bei der Bildung der kaufmännischen Gerichte nicht ganz ohne Einfluß gewesen; denn ihre Kosten fallen den Gemeinden zur Last, während die Kosten besonderer Kammern bei den Amtsgerichten für die Streitigkeiten der Handlungsgehilfen dem Stante zufallen würden. Das gefstern gefällte Urteil, daß das Vertrauen des Volkes in unsere Rechtspflege fich gemindert habe, kann ich in dieser Allgemeinheit nicht unterschreiben. Das Vorunterfuchungsverfahren leidet allerdings an Mängeln; es ist sehr erklärlich, wenn der Untersuchungsrichter sich ein Urteil über die Sachen nach einer Richtung hin bildet. Die verschiedenen Aufgaben des Untersuchungesverfahrens lassen sich nicht, aut in einer Person vereinigen. Ein Vorurteil des Richters ist leicht bestimmend für die Art der Vernehmung. Die Akten der polizeilichen Er⸗ mittelungen spielen elne große Rolle; sehr häufig weichen die Aus— sagen der Zeugen im Hauptverfahren vor dem Gericht von ihren Aussagen bei der Voruntersuchung ab. Ich bin nicht der Meinung,. daß die Voruntersuchung vollkommen öffentlich sein soll; aber es kommt die sogenannte Parteiöffentlichkeit in Frage, d. b. daß die Parteien bei der Voruntersuchung zugegen sind. Der Prozeß Sanden dauerte viele Monate, weil noch neue Dinge aufzuklären waren, die schon während der Voruntersuchung hätten erledigt werden müssen. Den Pommernbankprozeß mußte man vertagen, um neues Material zu beschaffen In der Kwileckisache hat der Untersuchungs— richter nicht, wie beantragt, 15, sondern nur 2 Zeugen über die Frage, ob die Wirtschafterin Andruciewska zu einer bestimmten Zeit verreist
gewesen sei, vernehmen lassen. Es sind Zeugen in diesem Falle nicht vereidigt worden aus Besorgnis, daß sie in der Hauptverhandlung umfallen könnten. Die Sache wäre ganz anders gewesen wenn die Verteidigung schon in der Voruntersuchung das Recht des Eingriffs gebabt hätte.
Wäbrend der Verhandlungen selbst wurden Zeugen unter dem Verdacht des Meineides verhaftet. Die Mängel des Untersuchungverfahrens können allerdings das Vertrauen in die Nechtspflege erschüttern und die Strafrechtspflege von dem richtigen Wege abführen. Das Ver⸗ halten des Zweiten Staatsanwalts Müller in dem Kwileckiprozeß ist in keiner Weise gerechtfertigt Er hat die schwersten Vorwürfe gegen die Verteidiger erhoben, weil sie den Belastunge zeugen nicht Glauben schenkten; er sprach von Kinkerlitzchen, von mittelalterlichen Daum schrauben und Foltern mit Bezug auf die Verteidiger; ein Zeuge wurde als Windhund bezeichnet. Wenn die Verteidiger bemüht sind, ie Wabrbeit aufzuklären, dürfen sie nicht solchen Angriffen ausgesetzt ein. Es ist keine Gleichheit der Parteien, wenn die Autorität des
—— —
Norsitzenden des Gerichts nicht auch gegenüber dem Staatsanwalt geübt wird. Es war eine Vermessenheit des Staatsanwalts Müller, die Geschworenen dadurch beeinflussen zu wollen, daß er sagte, kein preußisches Zivilgericht würde daran zweifeln, daß eine Kindesunterschiebung gescheben sei. Der Staatsanwalt Müller sagte ferner zu den Geschworenen: Wenn och mehr
Beweise würden Sie dem viel angefeindeten Schwur— gericht direkt das Todesurteil sprechen. Das war höchst ungebühr—⸗ gnet, eine objektive Strafrechtspflege zu fördern. sind aber ei Folge unseres Verfahrens selbst. Die Staatsanwälte sind sich nicht bewußt daß sie nicht nur s sondern auch zur Findung der Wahrheit beitragen sollen. Sie streben nach oratorischen Glanzleistungen und appellieren an Affekte der Geschworenen. In der letzterwähnten Aeußerung liegt eine Herabwürdigung nicht nur der Schwurgerichte, sondern der Straf—
eine
rechtspflege und der staatlichen Autorität überhaupt. Wenn Auk⸗ schreitungen der Verteidigung gerügt werden, so muß auch die andere Seite ruhig und sachlich bleiben, um nicht den Verdacht zu erwecken, — .
sich ein großes
als ob sie nicht objektiv vorgehe. Der Minister würde — Strafrechts⸗
darauf hinwirkte, daß die reform endlich zur Wahrheit werde.
Verdienst erwerben, wenn er
Justizminister Dr. Schönstedt:
Meine Herren! Wenn ich es mir versagt habe, auf die zahlreichen
Anregungen, die von den verschiedenen Herren Vorrednern gegeben worden sind, im einzelnen zu erwidern, so ist dies deshalb geschehen, weil es sich dabei fast überall um Punkte handelte, die entweder schon sehr häufig hier erörtert worden sind, und n meine Stellung nahme bekannt ist um solche, die im weiteren Verlaufe unserer
zehenderen Erörte⸗ batte möglich wäre.
Etatsberatungen uns noch Gelegenheit zu einer
rung geben werden,
2 C —
als sie in der gegenwärtigen Das gilt inshesondere auch von der Anregung, die von zweien der Herren Vorredner bezüglich der Schaffung von Sondergerichten gegeben ist. Ich habe meine Stellung dazu schon mehrfach zum Aus— druck geb racht und will Sie nicht mit Wiederholungen ermüden. Was die von dem Heirn Abg Cassel hervorgehobenen Mängel unseres Strafverfahrens angeht, so ist Ihnen allen bekannt, daß schon seit Jahresfrist eine aus heworragenden Theoretikern und Praltikern, Richtern, Staatsanwälten, Rechtsanwälten, aus Vertretern der ver— schiedensten politischen Parteien des Reichstags zusammengesetzte Kommission im Reichsjustizamt verhandelt über eine umfassende Reform der Strafprozeßordnung. Alle diese Punkte, die hier an geregt worden sind, finden dort ihre eingehende Prüfung und Würdi⸗ gung. Ich habe kleinen Zweifel, daß insbesondere die Stellung des Beschuldigten im Vorverfahren eine Verstärkung finden wird, und daß dem Beschuldigten etwas weiter gehende Befugnisse in dem Vorverfahren werden eingeräumt werden, als sie nach der geltenden Strafprojeßordnung ihm zustehen. Aber auf die Einzelheiten heute einzugehen, würde ich für deplaziert halten.
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Herr Cassel hat nun einige Sonderfälle vorgebracht, die ihm zu kritischen Bemerkungen Anlaß gegeben haben; insbesondere hat er den Prozeß Kwilecki zur Sprache gebracht. Das Verfahren des Staats anwalts Müller in diesem Prozeß ist Gegenstand vieler Angriffe ge⸗ wesen, und einen Teil dieser Angriffe hat heute Herr Cassel hier sich angeeignet.
Nun ist es immerhin zweifelhaft, ob es sich empfiehlt, in den Verhandlungen unserer gesetzgebenden Körper auf solche Einzelheiten einzugehen und das Verfahren eines Beamten in einem Einzelfall zum Gegenstand elagehender Kritik zu machen. Ich will das Recht des Herrn Abgeordneten dazu in keiner Weise in Zweifel ziehen. Aber ob es gerade immer erwünscht ist, weiß ich nicht. Der Staatsanwalt wird von seinen nächsten Vorgesetzten als ein tüchtiger jüngerer Beamter der Staats. anwaltschaft bezeichnet; er hat auch in dem Kwileckiprozeß eine um— fassende Tätigkeit entwickelt, und mir ist von objektiven und urteils. fähigen Zuhörern versichert worden — ich selbst habe der Schluß. verhandlung nicht beigewohnt, wie irrtümlich in den Zeitungen mit— geteilt war — daß sein Plaidoyer im ganzen recht gut gewesen sei. Das schließt nicht aus, daß er in einzelnen Punkten entgleist ist. Diese Entgleisungen liegen sämtlich in dem letzten Teil seiner Anklagerede, nachdem er schon zwei bis drei Stunden gesprochen hatte und eine gewisse Ermüdung oder Nervosität sich seiner emächtigt haben mochte. Die Stellung der Staatsanwaltschaft in diesem Prozeß war überhaupt keine leichte. Zwei Staatsanwälte, von denen dem jüngeren die Hauptlast zugewiesen war, sahen sich gegenüber einer Reihe von sechs oder sieben unserer angesehensten Verteidiger, und es ist wohl begreiflich, daß nach dem wochenlangen Kampf, der sich zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung abgespielt hatte, eine gewisse Unruhe in die Herren hinein. gefahren war, die bei dem Staatsanwalt Müller zu einzelnen nicht ganz glücklichen Aeußerungen geführt hat. Die Genauigkeit der Zeitungsberichte über den Wortlaut dieser Aeußerungen ist von dem Staatsanwalt Müller bestrltten worden. Er hat selbst seine Aeuße— rungen in abgemildeter Form wiedergegeben; auch in dieser Form haben die Aeußerungen einen Charakter behalten, der nicht zu billigen war. Das ist dem Staatsanwalt Müller von seinem nächsten Vorgesetzten, dem Ersten Staatsanwalt bei dem Landgericht , sofort nach der Verhandlung eröffnet worden. Der Staatsanwalt Müller hat auch zugegeben, daß er in einzelnen Aeußerungen zu weit gegangen sei; es ist ibm Vorsicht und größere Zurückhaltung für die Zukunft anempfohlen worden, und ich glaube, daß diese Rektifikation von günstigem Einfluß auf sein ferneres Wirken sein wird. (Bravo! rechts) Ob es aber angezeigt war, diesem jungen Herrn schon so vorzeitig zu einer gewissen europäischen Berühmtbeit zu verhelfen (Heiterkeit), daß seine Aeußerungen sowobl im Reichstage wie hier im Abgeordnetenhause so eingehend erörtert sind, das, meine Herren, will ich Ihrem Urteil überlassen. Ich hoffe, solche Aeußerungen werden sich nicht wiederholen, und ich hoffe, daß auch für andere Beamte sich die Lehre daraus ergibt, sich objektiv an die Sache zu halten und nicht durch vielleicht im Augenblick wirksame Redewendungen einen Eindruck zu erzielen, der für die sachliche Ent. scheidung nicht von Bedeutung sein kann. (Bravoh
Abg. Dr. Mizerski (Pole): Es ist eine Verletzung des Grund— satzes, daß Gerechtigkeit das Fundament eines Reiches bildet, wenn die Regierung vor Jahresfrist an die Richter, Assessoren und unteren Gerichtsbeamten die Aufforderung ergehen ließ, aus den polnischen Volksbanken und Darlehnskassen auszuscheiden. Die Volksbanken geben 5, 6 und mehr Prozent Zinsen, sodaß die Beamten in ihrem Vermögen geschädigt werden. Ein solcher Eingriff der Regierung in die Vermögensangelegenheiten der Richter ist bisher noch nicht dagewesen. Man begründet nun dieses Vorgehen mit der Behauptung, daß jene Banken der großpolnischen Propaganda dienten. Aber das ist noch
einer Bank nachgewiesen; jeder Deutsche kann eintreten. Auch ist es unbestreitbar, daß die Banken ein großes Verdienst um die Hebung der östlichen Probinzen sich erworben haben. — Weiter muß ich dar⸗ über Beschwerde führen, daß man Beamte zu Protokoll vernommen bat, warum sie sich nicht an der Wahl beteiligten. Ein solches Ver— fahren steht in Widerspruch mit dem preußischen Staats recht und mit dem Erlaß vom Januar 1889, der die Beamten auffordert, sich von der Agitation fernzuhalten. Es ist auch unmoralisch, einen Gewissens zwang auf die Beamten auszuüben. Was würde z. B. der Abg. von Eynern sagen, wenn man ihm zumuten wollte, seine Stimme für den Abg. Dasbach abzugeben? Deratrtig vorzugehen, bedeutet doch politische Eunuchen züchten.
Justizminister Dr. Schönstedt:
Meine Herren! Ob Justizbeamte in der Provinz Posen ver— nommen sind, ob sie sich an der Wabl beteiligt hätten, weiß ich nicht. Aber aus den Ausführungen des Herrn Dr. Mizerski, welche in ihrem ganzen Ton erkennen ließen, daß er selbst diese Sache nicht tragisch nimmt, glaube ich das eine entnehmen zu können, daß solche Anfragen, wenn sie überhaupt gestellt sind, absolut nicht den Sinn und die Bedeutung gehabt haben, die Beamten zu einer bestimmten Parteinahme bei den Wahlen anzuhalten, sondern daß es sich nur um die Feststellung handelte, ob sie gewählt haben oder nicht.
Meine Herren, das ist kein Eingriff in die Wablfreiheit. Allerdings besteht keine Wahlpflicht im allgemeinen, aber ich glaube, daß, wie einmal die Verhältnisse in den gemischtsprachigen Landesteilen liegen, für die dort angestellten Beamten die Verpflichtung besteht, nicht passiv abseits zu steben und sich von der Teilnahme an der Erfüllung der nationalen Pflichten fernzuhalten. (Sehr richtig! An diesem Kampf sich zu beteiligen, der das Aufgebot aller Kräfte auf deutscher Seite verlangt, halte ich für eine Pflicht jedes preußi— schen Beamten. (Sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen. — Sehr unrichtig! bei den Polen. — Heiterkeit)
Was sodann die von dem Herrn Abg. Dr. Mizerski angegriffene Verfügung betrifft, durch welche die Beamten, welche sich bei polni- schen Volksbanken beteiligt haben, aufgefordert sind, ihre Beteiligung an diesen Banken zurückzuziehen, so hat mein Herr Kemmissar in der Kommission erklärt, daß diese Versügung auf einem Beschlusse des Staatsministeriums beruhe. Diese Erklärung hat aber keines weg? den Sinn gehabt, daß damit die Verantwortlichkeit des Justhministert für diesen Beschluß abgelehnt werden solle, sondern sie hat nur die Bedeutung gehabt, darauf hinzuweisen, daß es sich hier nicht um eine einseitige Maßregel in einem einzelnen Ressort handelt, sondern um eine für das Gebiet sämtlicher Staatsrerwaltungen gegebene An⸗ ordnung. Ich für meine Person bin welt entfernt, mich etwa als nichtschuldig an diesem Beschlusse zu bezeichnen. Ich erkenne eben eine Schuld darin nicht, daß ich an diesem Beschlusse teilgenommen habe, und es fällt mir nicht ein, die Verantwortlichkelt für den Beschluß abzulehnen.
(Schluß in der Zwelten Bellage.
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Zweite Beilage
zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
'
M 19.
Berlin, Freitag, den 26. Fehruar
1901.
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(Schluß auß der Ersten Beilage.)
Meine Herren, ich glaube: für alle diejenigen Herren, die den Verhältnissen in den gemischtsprachigen Provinzen näher stehen, bedarf es keines Beweises, daß die polnischen Volksbanken einen wesentlichen Faltor auf polnischer Seite in dem nationalen Kampfe bilden, (sehr wahr! rechts und bei den Nationalliberalen) daß sie ihre Mittel an erster Stelle in den Dienst der polnisch nationalen Bewegung stellen. Und das, meine Herren, führt notwendig dazu, es als eine Verletzung der einem Beamten obliegenden Pflichten anzusehen, wenn ein Beamter seine Mittel diesen Volksbanken zur Verfügung stellt und dadurch die Machtmittel dieser Banken erweitert. Ich würde nicht in der Lage sein, halte micht auch nicht für verpflichtet, hier im einzelnen darüber Auskunft zu geben, in welcher Weise diese Banken ihre Mittel in den Dienst der polnisch⸗nationalen Bewegung stellen. Das liegt außerhalb meines Ressorts. Wenn diese Frage an die zuständige Stelle gerichtet wird, wird man wahrscheinlich die Antwort nicht schuldig bleiben. Jeden⸗ falls hat das Königliche Staats ministerium die auf tatsächliche Erfahrungen gegründete Ueberzeugung, daß diese Volksbanken einen wesentlichen Faktor in der polnisch⸗nationalen Bewegung bilden. Deshalb hat das Staats, ministerium es für seine Pflicht gehalten, die sämtlichen Beamten darauf aufmerksam ju machen, daß es nicht mit ihren amtlichen Pflichten vereinbar sei, an diesen wirtschaftlichen Unternehmungen ihrerseits sich weiter zu beteiligen. Eine Beschwerde irgend eines Beamten über eine solche Verfügung ist nicht zu meiner Kenntnis ge— kommen. Ich weiß auch nicht, ob irgend ein Beamter sich durch eine solche Verfügung vermögensrechtlich geschädigt glaubt. (Zuruf bei den Polen) Aber wenn auch das letztere der Fall wäre, so hat doch die Beamtendisziplin nicht unter allen Umständen da Halt zu machen, wo eine Maßregel geeignet ist, ein vermögensrechtliches Interesse des Beamten zu berühren. Wenn ein Beamter seine Mittel in den Dienst einer Bewegung stellt, die als eine staatsfeindliche angesehen werden muß, dann, meine Herren, vergeht er sich gegen die ihm obliegenden Pflichten, und ich glaube, daß es eine nicht zutreffende Bemerkung war, wenn der Herr Abg. Dr. Mizerski seine Rede mit den Worten begonnen hat, daß diese von ihm angefochtene Verfügung sich darstelle als eine Versündigung gegen den Grundsatz: justitia fundamentum regnorum. (Bravo! bei den Nationalliberalen und rechts. .
Abg. Witzm ann (ul.) spricht den Wunsch aus, daß die Land— gerichtspräsidenten früher in den Genuß des Höchstgehalts von I 060 M gelangen; diese Beamten träten in ihre Stellung erst etwa mit dem 50. Lebensjahre ein. Die preußischen Richter ließen sich im Durchschnitt mit dem 62. Lebensjahre pensionieren, erreichten also in den meisten Fällen überhaupt nicht das Höchstgehalt. Von dem Gehalte der ersten Gehaltsstufen könnten sie nicht ihre Familie ausreichend versorgen und ihre Söhne auf die Universitäten schicken.
Abg. Dr. von Jazdzewski (Pele) protestiert dagegen, wie der Staatsanwalt Müller sich über eine Institution der katholischen Kirche ausgesprochen habe, und wendet sich gegen den politischen Gewissens⸗ jwang, der den Beamten bei den Wahlen auferlegt werde. Die Ver⸗ fügung des Staatsministeriums gegen die polnischen Volksbanken sei überaus zu bedauern.
Justizminister Dr. Schönstedt:
Meine Herren, in tatsächlicher Beziehung möchte ich nur bemerken, daß eine Verfügung bezüglich der Beteiligung an den Volksbanken meines Wissens an die Notare nicht ergangen ist. Insoweit sind die Ausführungen des Herrn Abg. Dr. von Jasdzewski also gegenstandslos.
Im übrigen will ich meinen früheren Bemerkungen noch hinzu— setzn, daß dem Staatsanwalt Müller gegenüber auch die von dem Herrn Vorredner erwähnte Aeußerung zum Gegenstand Rektifikation gemacht worden ist, obwohl sie nach seiner Erklärung nicht so gelautet hat, wie sie in den Zeitungen wiedergegeben ist. Jedenfalls sollte sie sich nicht gegen die katholische Kirche und das Sakrament der Beichte richten, sondern nur gegen gewisse Zeugen, die sich nach dem Eindruck der Verhandlungen als durchaus unzulässig erwiesen hatten. Uebrigens ist es nach der Persönlichkeit und den Verhältnissen des Staatsanwalts Müller gänzlich ausgeschlossen, daß er Einrichtungen der katholischen Kirche hätte angreifen wollen. Abg. Dr. von Campe (nl): Es kommt lediglich in Frage, ob die Banken im Dienste der geoßpolnischen Propaganda stehen oder nicht. Im ersteren Fall ist eine solche Verfügung nicht nur un— bedenklich, sondern fogar eine Pflicht der Regierung. Dem Appell
des Herrn Rewoldt gegenüber bemerke ich, daß im Wahlkampf hüben und drüben gesündigt wird. Wenn im Kökliner Fall die Stgats⸗—
mnwaltschaft ein Verfahren abgelehnt hat, well, kein öffent— liches Interesse vorliege, so ist das nicht berechtigt gewesen, und es ist ja auch von höherer Stelle desavouiert worden.
Die Vermehrung der Richterstellen sollte sich nicht nach der Zunahme der Bevölkerung richten, sondern nach der Zunahme der Geschäfte. Die Geschäfte haben nicht nur ziffermäßig zugenommen, sondern sind auch schwieriger und umfassender geworden. Unsere Bevölkerung itt eben wohlhabender geworden, und daraus erklärt sich, daß viel mehr Aachen in der zweiten Instanz verfolgt werden. Die Besoldung der bilftrichter entspricht nicht den Gesetzen; ich glaube nicht, daß einer don ihnen den täglichen Diätensatz von 15 ½ erhält. Es wird ihnen eine monat liche Remuneration von 200 M gegeben. Die Dotationen er kleinen Beamten müssen mit besonderem Wohlwollen geprüft werden; die Beamten sind königstreu und halten sich fern von sozia.
listischen Bestrebun gen, aber sie sind doch vielfach mit ihrer Lage un— sulrieden. Wir müssen dafür sorgen, daß sie nicht der Sozial⸗
demokratie verfallen.
Justizminister Dr. Schönstedt:
Die von dem Abg. von Campe gewünschte Statistik über die Dauer der Beschäftigung der den einzelnen Gerichten gewährten Kilfs— iichter bin ich herzustellen bereit. Dagegen wird es nicht möglich in, auch statistisch festzustellen, in welchem Umfange sich während ie er Zeit die Geschäfte bei den einzelnen Gerichten vermehrt haben. Es ist richtig, daß nach dem Gesetz von 1872 etatsmäßigen Beamten, welche außerhalb ihres Wohnortes vorübergehend beschäftigt werden,
agegelder in bestimmter, im Gesetz vorgeschriebener Höhe gebühren; aber es ist von vornherein kein Zweifel darüber gewesen, daß bei J rein barungen zwischen der Staatsregierung und den einzelnen Beamten ine Abweichung von diesen Sätzen zulässig ist, wenn es sich um längere Gommissorien handelt. Das ist schon in einem gemeinsamen Reskript
einer
des Herrn Finanzministers und des Herrn Ministers des Innern vom Jahre 1873 zur Kenntnis sämtlicher Behörden gebracht worden und wird in allen Verwaltungs zweigen beobachtet. Wollte man bei lang andauernden auswärtigen Kommissorien den Beamten die vollen Tagegelder von 15 4 täglich neben dem Gehalte gewähren, so würden die Beamten, die auf Jahre hinaus einer anderen Behörde zugewiesen werden, erheblich besser gestellt werden wie die etats—⸗ mäßigen Mitglieder dieser Behörden. Daraus würden sich Unzu—⸗ träglichkeiten und Beschwerden ergeben. Welche Sätze in jedem einzelnen Falle in den anderen Verwaltungen gezahlt werden, kann ich nicht angeben; ich weiß nur, daß in einzelnen Fällen die Sätze niedriger sind als in der Justizverwaltung.
Daß eine derartige Vereinbarung im Widerspruch stehen sollte mit den Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, wird nicht angenommen werden können. Das Gerichtsver⸗
fassungsgesetz sagt über die Höhe der an die Beamten, die auswärts beschäftigt werden sollen, zu gewährenden Entschädigung nichts; deshalb wird auch in Zukunft diese Bestimmung nicht be⸗ anstandet werden können.
Die Anregung der Fortbildunge kurse, die der Abg. von Campe gegeben hat, ist sicherlich nicht ohne Interesse. Ich möchte mich aber auf die Frage solange nicht einlassen, als nicht nähere Vorschläge be⸗ züglich der Ausgestaltung dieser Kurse gemacht worden sind.
Ich möchte besonders davor warnen, daß etwa das Beispiel aus dem Gebiete der Medizin als vorbildlich für die Fortbildung der höheren Justizbeamten erscheinen könnte; da handelt es sich um einen Anschauungsunterricht in Kliniken usw., um Mitteilung der neuesten Verbesserungen und Entdeckungen auf dem Gebiete der Medizin und Chirurgie. Aber das, was der Herr Abg. v. Campe auf dem Gebiete der Justiz im Auge hat, unterscheidet sich davon ganz wesentlich, und es wird an erster Stelle die Frage zu erheben sein, welche Gegenstände in diesen Fortbildungskursen und von welchen Personen sie vorgetragen werden sollen, wenn sie wirklich praktischen Wert für die Teilnehmer haben sollen.
Abg. Dr. Friedberg (nl.): Der Abg. Malkewitsch hat mir aller⸗ dings vorher mitgeteilt, daß er die Kösliner Sache zur Sprachen bringen werde; aber bei dem langsamen Tempo unserer Verhandlungen glaubte ich nicht, daß Herr Malkewitsch schon so früh zum Worte kommen würde. (Rufe rechts: Malkewitz)h Wenn das der ganze Witz ist! Wenn ich Unrecht in diesem Falle hätte, wäre es eine Ehrenpflicht, meine Worte aus der ersten Lesung zurückzunehmen. Aber nach dem
weiteren Studium der Akten kann ich kein Jota zurücknehmen. Ich
sagte damals nur ganz beiläufig, daß die Entlastung der Staats—⸗ anwälte auch auf den Ersten Staatsanwalt in Köslin ausgedehnt werden möchte, damit er reiflich überlegen könne, ob nicht ein öffent⸗ liches Interesse vorliegt, wenn im Wahlkampf der Vorwurf des Stimmenkaufs erhoben wird. Ich gebe zu, daß der direkte Vorwurf des Stimmenkaufs in dem Flugblatt nicht gemacht ist. In der Nation“ schrieb aber damals fogleich Dr. Barth: Das ungünstige Resultat wurde durch ein Flugblatt herbeigeführt, in dem ich des Kaufs der sozialdemokratischen Stimmen bezichtigt wurde. Einen direkten Vorwurf erhebt das Blatt allerdings nicht, und das ist das einzige, was ich zurückzunehmen habe. Aber ein indirekter Vorwurf liegt doch in seinen Behauptungen; es fragt sich nur, ob in dem Flugblatt gemeint war, daß der Apparat der sozialdemokratischen Partei für die Stich⸗ wahl zu Gunsten des freisinnigen Kandidaten zur Verfügung gestellt sei, oder daß eine allgemeine Beihilfe für die sozialdemokratische Partei- kasse gegeben sei. Die letztere Auslegung würde dem Stimmenkauf ziemlich gleich, die erstere ihm außerordentlich nahe kommen. Wenn z. B. die sozialdemokratischen Zettelverteiler von den Freisinnigen angenommen und bezahlt würden, so könnte kein schwerer Vor— wurf erhoben werden. Wenn aber ein Pauschquantum an die sozialdemokratische Parteikasse gezahlt würde, so wäre das eine Finanzaktion zu Gunsten der Parteikasse. Jedenfalls hatte das Flugblatt den Zweck, den freisinnigen Kandidaten zu dis— kreditieren. Dem Ersten Staatsanwalt in Koöslin habe ich mit Recht vorgeworfen, daß er ein öffentliches Interesse nicht anerkannt habe. Die Anerkennung des öffentlichen Interesses ist erst durch den Ober⸗ staatsanwalt und den Minister erfolgt. Der Vorwurf des Stimmenkaufs berührt entschieden die öffentliche und nicht allein die private Moral. Der Justizminister hält es für korrekt, wenn die Staatsanwaltschaft sich auf den S193 des St. G⸗B. berufen hat. Diese ö der Gerichte ist aber außerordentlich angreifbar und im Hinblick auf die Aufrecht= erhaltung der öffentlichen Moral nicht zu billigen. Offenbar ist dem Minister die Sache lästig gewesen, und darum hat er den Herrn Barth auf § 170 der Str.-Pr.- O. verwiesen. Dieser Weg war nur ein Ver⸗ legenheitsweg. Ein wunder Punkt hat sich bei dem Ermittelungs⸗ verfahren, wenn ich mich auf Herrn Barths Angaben stützen darf, er. geben, insofern bezüglich der Verhreitung des Flugblattes ein besonderes Licht auf das Landratsamt gefallen ist. Wir werden hierauf bei der Beratung über den Etat des Ministeriums des Innern zurückkommen. Für Herrn Malkewitz war es sicher nicht gut, die Sache hier zu besprechen, denn die Betelligung des Landratsamts für seine Kandidatur kann doch zu unliebsamen Konsequenzen für ihn führen. Das Flugblatt hätte lieber in der Versenkung verschwinden sollen, denn es wirft auch ein lebhaftes Licht auf die Agitation derjenigen Partei, die am meisten über die Agitation der anderen Parteien klagt. Ich habe bei diesem Kampfe — der Kandidat gehört unserer Partei nicht an — nur ein Interesse daran, daß die Behörden strikte Unparteilichkeit wahren. Diese Unparteilichkeit ist hier nicht voll und ganz gewahrt, und das hat mich bewogen, mich dieser Sache anzunehmen.
Justizminister Dr. Schönstedt:
Der Herr Abg. Dr. Friedberg hat die Behauptung aufgestellt, der Justizminister habe es für ganz korrekt erklärt, wenn die Beamten der Staattsanwaltschaft unter Berufung auf die Anwendung des § 193 die Erhebung der öffentlichen Klage abgelehnt hätten. Daz ist ein Irrtum des Herrn Dr. Friedberg; ich habe derartige Aeußerungen weder hier, noch in einer späteren Verhandlung getan, und ich habe zu dieser Frage überhaupt keine Stellung geuommen.
Herr Dr. Friedberg hat dann weiter sich dahin geäußert, ich hätte den Herrn Dr. Barth auf einen Verlegenheitsweg verwiesen. Meine Herren, auch das ist nicht richtig; ich habe Herrn Dr. Barth nur auf den gesetzlichen Weg verwiesen, und zwar auf den, der als der korrekte im Gesetz ganz ausdrücklich vorgeschrieben ist. Der § 170 der Strafprozeßordnung ich bin jetzt genötigt darauf einzugehen —, nachdem der § 169 der Staatsanwaltschaft die Er— mächtigung gegeben hat, Strafanträge zurückzuweisen, sagt:
Ist der Antragsteller zugleich der Verletzte, so steht ihm gegen
diesen Bescheid binnen zwei Wochen nach der Bekanntmachung die
Beschwerde an den vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft
und gegen dessen ablehnenden Bescheid binnen einem Monat nach
der Bekanntmachung der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu. Das ist also der gesetzlich vorgeschriebene Weg, den der Herr Dr. Barth verließ, indem er gegen die Entscheidung der Oberstaats—⸗ anwaltschaft nicht das Oberlandesgericht, die gegebene Behörde, sondern den Justizminister als Aufsichtsbehörde anging, der ja auf Grund der allgemeinen Aufsicht auch an und für sich befugt gewesen
wäre, in die Sache einzugreifen, für den aber gar kein Anlaß war, hier von dem gesetzlichen Wege sich abdrängen zu lassen;
das ist aber der gesetzliche Weg, an dem ich glaube auch heute fest⸗ halten zu müssen.
Der Herr Abg. Peltasohn ist in dieser Beziehung vorsichtiger gewesen als Herr Dr. Friedberg; er hat wenigstens die Frage nur als zweifelhaft bezeichnet. Wenn die Frage nur zweifelhaft war, dann war nach meiner Auffassung für Herrn Dr. Barth eine Ver pflichtung vorhanden, diesen zweifelhaften Weg zu beschreiten, um zu sehen, welchen Erfolg er damit haben würde. Versagte der Weg für ihn tatsächlich, dann stand ihm immer noch die Möglichkeit offen, sich nochmals an den Justizminister als höchste Aufsichtsbehörde zu wenden. Die Sache liegt nun rechtlich so:
Der § 152 der Strafprozeßordnung stellt das Legalitätsprinzip auf, das die Staatsanwaltschaft verpflichtet wegen aller zu ihrer Kenntnis kommenden strafbaren Handlungen von Amts wegen die Ver⸗ folgung einzuleiten. Der § 416 sagt:
Die öffentliche Klage wird wegen der in 5 414 bezeichneten strafbaren Handlungen von der Staatsanwaltschaft nur dann er⸗ hoben, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt.
§ 414 beschäftigt sich mit Beleidigungen und mit solchen Köwmer⸗ verletzungen, die nur auf Antrag verfolgt werden können. Also § 416 sagt: die öffentliche Klage wird wegen dieser Straftaten nur dann erhoben, wenn ein öffentliches Interesse vorliegt. Aus der Ent⸗ stehungsgeschichte des Gesetzes ergibt sich, daß diese Fassung, die schon im Entwurf der Strafprozeßordnung sich gleichlautend vorfand, be⸗ anstandet wurde von dem Abg. von Puttkamer. Er führte aus: aus diesem Wortlaut ergebe sich für die Staatsanwaltschaft, falls sie ein öffentliches Interesse anerkennen müsse, die absolute Verpflichtung, nunmehr auch die Anklage zu erheben; das gehe aber zu weit; man müsse der Staatsanwaltschaft in diesen Fällen eine gewisse Latitude lassen; sie könne doch auch aus anderen Gründen, wenn dem Antrag⸗ steller der Weg der Privatklage offen stehe, es für zweckdienlich halten, die öffentliche Anklage nicht zu erheben und dem Beteiligten die An⸗ stellung der Privatklage zu überlassen. Diese Auslegung des Wortlauts des Paragraphen im Entwurf wurde damals in der Kommission des Reichstags nicht beanstandet; aber von anderer Seite trat man für die Auf⸗ rechterhaltung des Wortlauts ein in dieser Bedeutung, und es ist dabei ge⸗ blieben. Der Antrag Puttkamer, der dahin ging, anstelle der Worte wird erhoben“ soll gesagt werden kann erhoben werden“, ist ver⸗ worfen worden.
Nun ist lange Zeit hindurch gar kein Zweifel darüber gewesen in Theorie und Praxis, daß, wenn die Staatsanwaltschaft in einem solchen Falle die Erhebung der Anklage ablehnt, nicht weil es an dem öffentlichen Interesse fehle, sondern aus anderen in der Sache liegenden materiellen Gründen, dann gegen diese Entscheidung die Anrufung der richterlichen Behörden zulässig sei. Ich darf in dieser Beziehung zunächst mitteilen eine Aeußerung des Generalstaatsanwalts von Schwarze, der bei der Entstehung der Strafprozeßordnung ja eine ganz hervorragende Rolle gespielt hat, der Referent gewesen ist und den Kommissionsbericht verfaßt hat. Der sagt in seinen Erörterungen über praktische. ... Materien aus dem deutschen Strafprozeß:
Anders ist der Fall zu beurteilen, wenn die Staatsanwaltschaft die Ablehnung des Antrages nicht auf den Mangel des öffentlichen Interesses stützt, vielmehr das Vorhandensein des letzteren aus⸗ drücklich anerkennt, dagegen die Ablehnung mit dem Bemerken motiviert, daß die Anzeige nicht mit genügenden Beweisen unter—⸗ stützt, oder daß die Strafbarkeit erloschen, oder daß der Antrag⸗ steller nicht berechtigt zur Antragstellung sei. Alle die besonderen Gründe, aus denen die Staatsanwaltschaft hier wie sonst die straf⸗ gerichtliche Verfolgung ablehnen kann, fallen unter die allgemeine Regel. Die Bestimmung des § 170 lautet allgemein und findet daher hier, dafern die Ablehnung nicht auf den Mangel des öffent— lichen Interesses gestützt wird, gleichfalls Anwendung.
Derselben Auffassung war Loewe in seinem bekannten und viel ver—⸗
breiteten Kommentar in den ersten vier Auflagen; er hat die Auffassung aufgegeben ohne nähere Begründung von der
fünften Auflage an und hat sich berufen in den Noten zum § 416 auf Kommentatoren und Entscheidungen verschiedener Ober—⸗ landesgerichte. Alle diese Kommentare und GEntscheidungen der Oberlandesgerichte sind bei uns nachgeprüft worden, und es hat sich ergeben, daß diese Zitierung für die neuere, spätere Auffassung des Loeweschen Kommentars doch auf Irrtümern beruht, daß sie in der Tat die Loeweschen Auffassungen gar nicht decken. Jedenfalls ist die neuere Auffassung, soweit sie besteht, eine vereinzelte bisher geblieben; es werden nur vier Oberlandesgerichte angeführt, die in dem Sinne entschieden haben sollen; darunter befindet sich weder das Kammergericht, die höchste Instanz für Strafsachen in Preußen, noch das im vorliegenden Fall berufen gewesene Oberlandesgericht Stettin. Dagegen stehen nach wie vor eine Reihe von Schrift— stellern, Puchelt, Mewes, Delius usw., auf dem alten Standpunkt und halten daran fest, und dieser Standpunkt, den auch das Ober—⸗ landesgericht in Kiel eingenommen hat, wird auch im Justizministerium für allein richtig gehalten.
Ich habe also nicht aus Verlegenheit den Abg. Dr. Barth auf den Weg der Erhebung der rechtlichen Beschwerde verwiesen, sondern deshalb, weil ich ihn für den gesetzlich vorgeschriebenen und richtigen halte. Ich kann nur bedauern, daß der Abg. Dr. Barth diesen Weg nicht beschritten hat; dann würde sich auch herausgestellt haben, welcher Auffassung das Oberlandesgericht Stettin in dieser Frage ist.
(Bravo! rechts.)