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Bemerkungen. Die verkaufte Menge wird auf volle Doppelzentner und
Noch: Hafer. 11,60 11,60 10,90 12,50 13,75
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der Verkaufs wert auf volle Mark abgerundet mitgeteilt. Der Durchschnittspreis wird aus den unabgerundeten Zahlen berechnet.
Ein liegender Strich (— in den Spalten für Preise hat die Bedeutung, daß der betreffende Preis nicht vorgekommen ist, ein Punkt (.) in den letzten sechs Spalten, daß entsprechender Bericht fehlt.
Deutscher Reichstag. 47. Sitzung vom 2. März 1904. 1 Uhr.
Tagesordnung: Fortsetzung der zweiten Beratung des Reichshaushaltsetats für 1904 bei den Ausgaben des Etats der Reichs justizverwaltung.
Ueber den Anfang der Sitzung wurde in der gestrigen tummer d. Bl. berichtet. Nach dem Abg. Dr. Müller— Meiningen (fr. Volksp.) nimmt das Wort der
Staatssekretär des Reichsjustizumts Dr. Nieberding:
Der Herr Vorredner hat zunächst nach dem Stande der Gesetz— gebung über den Versicherungsvertrag gefragt. Da liegt die Sache so: Die Herren wissen, und der Herr Vorredner hat das ja erwähnt, daß wir einen vorläufigen Entwurf, der unter Zuziehung eines größeren Kreises von Sachverständigen aufgestellt war, im vorigen Jahre der öffentlichen Kritik übergaben. Unser Wunsch ging damals dahin, das Material aus der sich an diese Publikation knüpfenden Kritik bis Weihnachten zu erhalten und dann an die Aufstellung des definitiven Entwurfs zu gehen, dessen Beschleunigung mir ebenso am Herzen liegt wie dem geehrten Herrn Abgeordneten. Da waren es nun gerade große Interessentenkreise, die bis zum Ende des Jahres sich außerstande er— klärten, eine ausgiebige Kritik, die ihren Interessen gerecht würde, zu dem Entwurf zu liefern, und mit Rücksicht auf die uns von den Interessenten zugegangenen Wünsche sind wir genötigt gewesen, den Abschluß der Zwischenzeit bis Ostern zu verschieben. Inzwischen sind wir, meine Herren, bereits an die Durcharbeitung des Materials gegangen, das sehr schätzbare Anhaltspunkte für die Revision des Entwurfs enthält, das aber auch vermöge seiner breiten Anlage und weitläufigen Dar— stellung der Gedanken uns sehr viele, vielleicht vermeidbar gewesene Arbeit bereitet. Ich sage: wir sind an die Durcharbeitung des Materials schon herangetreten, und ich hoffe, wir werden im nächsten Vierteljahr diese Arbeit auch zu Ende führen und dann in der Lage sein dem Bundesrat die Vorlage zu machen; der Bundesrat wird danach noch im Laufe des Sommers mit dieser gesetzgeberischen Arbeit sich befassen können, und ich denke, es wird nicht sehr lange Zeit kosten, nachdem die hohen Regierungen im Laufe des vorigen Jahres Kenntnis von den Vorverhandlungen genommen haben, zu einer abschließenden Vorlage, die für den Reichstag bestimmt ist, zu kommen.
Der Herr Vorredner hat sich dann der Frage der bedingten Be— gnadigung zugewandt und hat im Anschluß an einige Bemerkungen, die ich die Ehre hatte, im vorigen Jahre hier im Hause zu machen darauf hingewiesen, daß doch jetzt wohl der Ruhepunkt eingetreten sei, von dessen Eintritt die gesetzliche Regelung der Materie damals ab hängig gemacht wurde. Ja, da muß ich doch dem Herrn Vor redner erwidern, daß dieser Ruhepunkt noch nicht als einge— treten angesehen werden kann, wenn in den letzten vier Jahren die Zahl der definitiven Fälle, die vermöge der bedingten Begnadigung dem Gefängnis entzogenen Persönlichkeiten stetig sich gesteigert hat. Sie ist in dem ersten Jahre um 3 0 gewachsen, im zweiten Jahre, also im zweitvorletzten Jahre, um 17 ,, im vorletzten Jahre um 365n!9, und gegenwärtige, wie die gedruckte Vorlage, die wir dem Reichstage gemacht haben, ergibt, um 21 0½, und wenn wir er— warten dürfen, daß diese Steigerung in den nächsten Jahren sich noch weiter fortsetzen wird, so, glaube ich, kann man nicht sagen, daß wir zu einem Ruhepunkte gekommen sind. Ein solcher Ruhepunkt, der sich ausdrückt in einer gewissen Gleichmäßigkeit der Ergeb⸗ nisse der bedingten Begnadigung, ausgedrückt in der Zahl der damit bedachten Personen, muß aber einmal kommen, da doch nach bestimmten gleichmäßigen Grundsätzen verfahren wird, die einer bestimmten Durchschnittszahl von Sträflingen oder Angeschuldigten gegenüber zur Anwendung kommen. Ich glaube nicht, daß wir sehr weit von dieser Grenze entfernt sind, wir haben sie aber noch nicht erreicht. Meine Herren, ich kann Ihnen nicht verhehlen, daß, wenn wir sie noch nicht erreicht haben, dies zum Teil in der Abneigung be— ruht, die in manchen richterlichen Kreisen gegenwärtig noch gegenüber der bedingten Begnadigung besteht. Wenn sich die bedingte Be— gnadigung in derselben Weise weiter entwickelt, wie das die erwähnten Zahlen für die Vergangenheit kund tun, wie es uns allen, den ver— bündeten Regierungen wie dem Reichstage, zur Genugtuung gereicht, so ist das großenteils den unausgesetzten Bemühungen der deutschen Justizverwaltungen zu danken, die immer wieder und immer wieder darauf hingewiesen haben, wie es notwendig sei, im möglichst großen Umfange von der bedingten Begnadigung Gebrauch zu machen. Zur Zeit ist keineswegs die Meinung so allgemein wie wir es wünschen in Richterkreisen vertreten, daß die bedingte Begnadigung allerdings eine wohltätige Institution sei. Die Ziffern ergeben aber, daß auch nach dieser Richtung eine wohltätige Reaktion in richterlichen Kreisen sich geltend macht, und wir wollen hoffen, daß sich auch in Zukunft die Steigerung der Ziffern so zeigen wird, wie es in den letzten Jahren der Fall gewesen ist.
Der Herr Vorredner hat einen mir unbekannten, nach seiner Dar⸗
stellung allerdings eigenartigen Fall erwähnt, der sich in Düsseldorf
ereignet habe; dort sollen nach dem Zeugnis eines Geistlichen Geld— strafen, die gegen Schüler verhängt worden waren und nicht eingezogen werden konnten, dadurch zu ihrem Rechte gekommen sein, daß man sie in Gefängnisstrafe gegen die Schüler umgewandelt habe. So habe ich den Herrn Redner verstanden. Ich halte das bis auf weiteres für unmöglich; ich nehme an, es handelt sich um ein Mißverständnis bei dem Berichterstatter, dessen Mitteilung der Vorredner gelesen hat. Es dürfte sich wohl um Versäumnisstrafen bezüglich der Schule handeln, die verhängt worden sind über die Eltern und gegenüber den Eltern in der Form der Gefängnisstrafe zur Geltung gekommen sind. Anders kann ich mir die Sache nicht erklären, würde aber dem Herrn Vorredner ver— bunden sein, wenn er mir die Notiz mitteilen wollte, auf die er sich bezogen hat. Ich will gern nähere Nachforschungen darüber eintreten lassen.
Der Herr Vorredner hat dann einen Mißstand berührt, der in der letzten Zeit mehrfach in der Presse zur Sprache gekommen ist und auch zu unserer Kenntnis gelangte. Es wird nämlich darüber geklagt, daß mannigfach Auszüge aus den Geburtsregistern gemacht und den Interessenten eingehändigt werden, in denen Mitteilungen enthalten sind, die für die betreffenden Personen unbequem sind und die nach Meinung der Beschwerdeführer sehr wohl wegbleiben könnten. Ob in dieser Beziehung den Wünschen Rechnung getragen werden kann, das unterliegt zur Zeit der Erwägung. Ich werde aber aus der Be— merkung des Herrn Vorredners gern Veranlassung entnehmen, der Sache einen schnelleren Fortgang zu geben.
Dann hat der Herr Vorredner den Wunsch ausgesprochen, daß die Strafprozeßordnungskemmission schneller arbeiten, wenigstens in kürzeren Intervallen arbeiten möge, als es zur Zeit geschieht. Meine Herren, in dieser Beziehung ist bereits eine, wie ich annehme, den Wünschen des Herrn Vorredners entsprechende Veränderung der Sachlage eingetreten. Die Kommission tritt jetzt etwa alle fünf bis sieben Wochen zusammen, die Zwischenzeit ist absolut notwendig, wenn die Herren sich vollständig in die Materie, die in der nächsten Tagung zur Verhandlung kommen soll, einarbeiten wollen. Man kann derartige Dinge freilich sehr flüchtig behandeln und auch Konferenzen alle acht Tage abhalten; aber wenn — ich kann nur wiederholen, was ich in dieser Beziehung gestern mir erlaubt habe, dem hohen Hause darzulegen — die Verhandlungen auf Autorität gegenüber der Regierung Anspruch machen wollen, müssen sie den Charalter der Gründlichkeit an sich tragen, und wenn sie gründlich sein sollen, muß den Berichterstattern und deren Mit— arbeitern Zeit gelassen werden, um sich in die Materie einzuarbeiten. Meine Herren, die Zeit, die wir auf solche Weise den Mit gliedem der Kommission, die in der Zwischenzeit dech auch anders beschäftigt sind, gewähren, ist die mindeste, die die Herren nötig haben, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Was den Zwischenraum zwischen der ersten und zweiten Lesung betrifft, so, glaube ich, wird er so erheblich nicht sein. Darüber hat ja die Kommission auch ein Wort mitzureden. Ich kann mich in dieser Be— ziehung bestimmter nicht aussprechen, aber ich habe allen Anlaß zu der Annahme, daß die Diepositionen seinerzeit so werden getroffen werden, daß der Herr Vorredner keine Veranlassung hat, in der nächsten Session in dieser Beziehung Klage zu führen.
Abg. Thiele (Soz.): Der Minister Schönstedt meinte neulich, die Justiz habe keine andere Aufgabe, als die Wahrheit zu finden, also das Recht. Die Justiz soll ja in ihrer Amts tracht mit ver—
bundenen Augen herumgehen; aber wir finden, daß sie manchmal die Binde recht bedenklich lüftet, daß sie doch die Personen ansieht, daß sie nach der Nationalität entscheidet, danach, ob der Angeklagte Pole, Elsasser, Däne ist Man hört hier reden ron einem Minus an Ver trau n, das die Richter heute in Deutschland genießen. Sehr viel Deutsche haben überhaupt kein Vertrauen mehr zu den Richtern. Wir Sozial demokraten stehen diesen Justizirrungen ebenso ruhig wie anderen wunderbaren Erscheinungen des heutigen Staates gegenüber. Wir wissen, es ist eine Fabel, von dem gleichen Recht für alle zu sprechen; wir wissen, daß das Recht nur der Niederschlag der politischen und wirtschaftlichen Interessen der jeweils herrschenden Klassen ist. Die Gesetze werden in diesem Sinne ausgelegt. Das persönliche Moment veranlaßt vielfach irrtümliche Urteile. Aber auch die Unklarheit der Sele spielt hierbei eine Rolle. Die große Zahl der Aufhebung der Urteile erster Instanz in der Berufungs- und Redvisionsinstanz ist in dieser Beziehung sehr bezeichnend. Selbst bei dem schwierigen Wiederaufnahmeverfahren wurden von 1896 bis 1901 von 1600 vorgenommenen Verurteilungen nur 59 vollständig aufrecht er— halten. Wie viele Fälle ungerechtfertigter Verurteilung werden dagegen in erster Instanz gefällt, selbst nach der Meinung der Gerichtskollegien! Wegen Nötigung sind 1902 nur 5 Ver⸗ urteilungen erfolgt. Aehnlich liegt es in Fällen des Mißbrauchs der Amtsgewalt. Wenn alle diese Faͤlle bestrast würden, so würden ganz andere Ziffern zum Vorschein kommen als die in der Statistik steben. Wie oft nehmen Gendarmen auf dem Lande Haussuchungen vor, ohne daß sie sich an die im Gesetz vorgeschriebenen Formen halten, ohne Zuziehung von Zeugen usw. — welches Meer von Unrecht wird jedes Jahr im Namen der Könige, Großherzöge usw. in Deutschland geübt! Jedes Jahr erhalten wir eine Unmenge von Petitionen, die sich über Recht verweigerungen und Rechteverletzungen durch richter= liche Beamte beschweren, und zwar aus allen Teilen Deutschlands. Wir haben gestern die Beschwerden der Polen gehört. In meiner
engeren Heimat wurden mehrere Arbeiter angeklagt, daß sie die
Versammlung trotz der Aufforderung der Gendarmen nicht verlassen hätten. Die Arbeiter entgegneten, der Gendarm hätte die Verfamm. lung nicht aufgelöst, sondern nur geschlossen. Der Staats anwalt meinte aber, das wäre ganz gleichgültig. Darin liegt doch eine sehr schlimme Rechtsverletzung. Ein Kollege wurde zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt, weil er einem Bericht über die Verurteilung eines Offiziers wegen Mißhandlung eines Burschen den ironischen Zusatz gegehen hatte: . Welche Humanitätsduselei, den Offizier zu verurteilen! Der Staatsanwalt hatte drei Monate beantragt. Die Urteile der Gerichte widersprechen einander in vielen Fällen. Was beim Streikpostenstehen erlaubt ist und was nicht, weiß heute kein Mensch. Die verschiedenen Senate desselben Gerichts widersprechen einander sogar. Das führt eine Rechtsunsicherheit herbei, die das Zutrauen zur Rechtz— pflege erschüttern muß. Nach einer Nötiz in den Zeitungen foll der Erste Staatsanwalt in Hannover sämtliche Amtsgerichte feines Be— zirks angewiesen haben, in allen Freisprechungen Berufung einzulegen. Das ist doch unglaublich. Was in Breslau an Bestrafungen wegen Streikvergehen geleistet wird, geht wirklich über die Hutschnur. Könnten wir nicht eine Uebersicht über die Art und Höhe der Strafen, die im Laufe eines Jahres in den Einzelstaaten verhängt werden, bekommen? Es werden jedes Jahr 50 —= 50 900 Jahre an Gefängnis⸗ strafe verhängt. Der Artikel 31 des Reichsverfassung, betreffend die Immunität der Abgeordneten, wird von den Gerichten nicht voll ge— würdigt. Ich selbst habe das an meinem eigenen Leibe erfahren. Redner schildert den Verlauf des Prozesses, in dem er im Januar während der Reichstagtferien, dann während der Sitzungsperiode des Reichstags zwangsweise verhaftet wurde. Der Richter habe einen Unterschied gemacht zwischen Verhaftung und Sistierung. Ich soll, fährt der Redner fort, nur sistiert worden sein. Diesen Unterschied kann ich nicht gelten lassung. Die Verfassung schreibt vor, daß während der Sessionsdauer kein Abgeordneter ohne Genehmigung des Reichstags zur Untersuchung gezogen werden kann. Die Gerichte und Staatsanwalte klammern ich. nun an dieses „zur Untersuchung ziehen?. Zweifellos hat der Gesetzgeber diesen Begriff im weitesten Sinne aufgefaßt und verhüten wollen, daß das Hauptverfahren während der Verhandlungen des Reichs tages eingeleitet werden kann. Mein Prozeß schwebt seit 1893 eine Verschleierung konnte durch das Ruhen des Prozeffes nicht ein⸗ treten. Nach dem Gesetz ruht die Verjährung während der Zeit, wo Untersuchungen nicht begonnen oder die Strafverfolgung nicht fort— gesetzt werden kann. Meine zwangsweise Vorführung hat seinerzeit viel Staub aufgewirbelt. Man ist fast allgemein der Meinung, wenn schon die Eröffnung des Hauptverfahrens zulässig wäre, dies auf keinen Fall bezüglich meiner zwangtweisen Vorführung der Fall sei. Der Geheime Kriegsrat Romen hat im „Tag“ die Meinung ver— trelen, daß, wenn gegen einen Abgeordneten vor Beginn der Session Strafantrag gestellt sei, dieser Abgeordnete nicht nur zwangsweßfe zur Verhandlung geführt, sondern daß er auch wegen Zeugnis⸗ Ferweigerung sechs Mongte im Gefängnis behalten werden koͤnne. Diese Auffassung widerspricht durchaus der Verfassung. Sie gewährleistet dem Abgeors nelen während der Dauer der Sitzungsperiede völlige Unverfolgbarkeit. Bei der jetzigen Klassenjustiz kann die Gerechtigkeit nicht bestehen.
Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:
Meine Herren! Nur zwei Bemerkungen. Im ersten Teil seiner Ausführungen hat der Herr Abgeordnete, der soeben seinen Platz ver⸗ ließ, den Wunsch ausgesprochen, daß die Reichsjustizverwaltung doch einmal eine Statistik aufstellen möge, welche ersehen lasse, wie häufig in jedem Oberlandesgerichtsbezirk gestraft werde und wie hoch die Strafen für die einzelnen Arten von Straftaten seien. Ich erlaube mir, den Herrn Abgeordneten hinzuweisen auf die Kriminalstatistik des Deutschen Reichs, die jedes Jahr erscheint und die alle die Daten, die er wünscht, enthält. Es handelt sich nicht, wie er anzu— nehmen scheint, um die Justizstatistik, die Kriminal⸗ statistik ist ein anderes Werk; die Justizstatistik erscheint bloß alle zwei Jahre, die Kriminalstatistik aber alle Jahre und ist eine viel umfangreichere Bearbeitung über die jährliche Strafrechtspflege. Der Herr Abgeordnete hat dabei die Absicht ausgesprochen, die statistischen Zahlen zu verwenden, um einmal zu beweisen, auf wie hoch der Gesamtbetrag der Gefängnisstrafen sich beläuft, die jährlich im Deutschen Reich über Staatsbürger verhängt werden. Er kann das ja wahr— scheinlich auch aus der Statistik entnehmen — ich betrachte das aber sachlich nicht als ersprießlich, solche Zusammenstellungen können höchstens einen agitatorischen Zweck erfüllen und werden dann in der Bevölkerung mißverstanden werden —, dessenungeachtet will ich den Herrn Abgeordneten doch darauf aufmerksam machen, daß er die Zahlen, die er wünscht, in den jährlichen Publikationen der Reichs— justizverwaltung finden kann.
Dann komme ich zu dem persönlichen Erlebnisse, das dem Herrn Abgeordneten nach seiner im wesentlichen wohl zutreffenden Darstellung in diesem Winter begegnet ist. Gegen den Herrn Abgordneten ist vor Eröffnung der Session ein Strafverfahren einge— leitet worden, dieses Strafverfahren dauerte fort während der Session, während der Session ging dem Heirn Abgeordneten eine Vorladung zum Verhandlungstermine zu, der Herr Abgeordnete weigerte sich, der Vorladung des Gerichts zu folgen, oder vielmehr er beanstandete zu— nächst die Vorladung, folgte aber dennoch, nachdem ihm der betreffende Beamte klargemacht hatte, daß andernfalls gegen ihn mit Zwang vor— gegangen werden würde, damit er den Befehl des Gerichts respektiere. Der Herr Abgeordnete behauptet, dies widerspreche dem Artikel 31 der Reichsverfassung, und er bemerkte dabei, dieser Artikel sei so klar, daß er aller Interpretationskunst spotte. Der letzteren Ansicht bin ich auch, ich komme aber ju einem umgekehrten Resultat, zu dem Resultat,
daß die Vorführung des Herrn Abgeordneten, nachdem er sich ge— weigert hatte, dem gerichtlichen Befehl, was ihm übrigens leicht ge⸗ wesen wäre, Folge zu leisten, im Gesetz begründet erscheint, daß das Gericht im Recht war, und keine Bestimmung der Reichsverfassung, insbesondere auch nicht Artikel 31 dem Vorgehen des Gerichts ent— gegenstand. Der Artikel 31 enthält zwei Bestimmungen, die uns hier interessieren. In seinem ersten Absatze sagt er, daß während der Session des Reichstags über keinen Abgeordneten ein Unter— suchungsverfahren eingeleitet werden kann und kein Ab— geordneter in Haft genommen werden darf, es sei denn, daß der Reichstag seine Genehmigung dazu erteilt. Und in einem weiteren Absatz sagt er, daß ein schwebendes Untersuchungsverfahren, das heißt also ein vor der Eröffnung der Session eingeleitetes Untersuchungs—⸗ verfahren auf Beschluß des Reichstags eingestellt werden muß. Diese letztere Bestimmung hat den Zweck — und sie wäre sinnlos, wenn sie diesen Zweck nicht hätte —, ein Verfahren, das vor Beginn der Session eröffnet worden ist, während des Laufes der Session zur Ein— stellung zu bringen. Der Reichftag hat darüber zu bestimmen, ob während der Session ein Verfahren gegen elnen Abgeordneten fortdauern soll oder nicht; will er das nicht, so kann er die Einstellung des Verfahrens herbeiführen. Lag es also in den Wünschen des Herrn Abgeordneten, ein Verfahren, das vor Beginn der Session gegen ihn eingeleitet worden war, während der Session ruhen zu lassen, so hatte er es sehr einfach, es bedurfte nur eines Antrages beim Reichstag. (Sehr richtig! rechts) Der Reichstag hätte, wie ich die Praxis des hohen Hauses kenne, zweifellos diesem Antrage entsprochen, und dann war dem Wunsche des Herrn Abgeordneten Genüge geschehen, ohne daß es der Bezeugung einer Respektlosigkeit gegenüber dem Gerichtshofe be— durfte.
Der Herr Abgeordnete beruft sich nun allerdings darauf, daß die Interpellation, die er entgegen meiner hier dar— gelegten Auffassung dem Artikel 31 der Reichsverfassung gibt, der bie herigen Praxis des hohen Hauses entspreche. Dies bestreite ich (sehr richtig! rechtss und erwarte den Beweis. Wir haben einen Fall in den Geschäftsordnungeverhandlungen des Reichstags aus dem Jahre 1874, wo eine ähnliche Frage behandelt wurde, wo es sich zwar nicht um eine Vorführung, aber doch um ein Zwangsverfahren gegen einen Abgeordneten handelte; damals hat die Eeschäfte— ordnungskommission des Reichstags ausgesprochen, daß nur Unter— suchungsverfahren im gerichtlichen oder disziplinaren Wege der Be— stimmung des Art. 31 der Reichsverfassung unterliegen, daß aber die Anwendung gesetzlicher Zwangsmittel nicht unter die Bestimmungen dieses Artikels falle. Meine Herren, ich glaube, diese Auffassung, die damals die Geschäftsordnungs— kommission des Reichstags vertreten hat, die, soviel mir bekannt, bisher auch keinen Widerspruch im Hause selbst erfahren hat, ist durchaus begründet, wenn man die Eeschichte dieses Artikels sich ansieht. Ich gehe darauf nicht weiter ein; die Zeit des hohen Hauses gestattet mir das nicht. Ich konstatiere nur: die Geschichte dieses Artikels und die Fassung dieses Artikels, wenn seine Formulierung überhaupt einen Sinn haben soll, ferner die Geschichte der ent— sprechenden Bestimmungen der preußischen Verfassungsurkunde, die Auslegung des Artikels der Verfassungsurkunde Preußens und der Reichsverfassung in der Wissenschaft, die Praxis des Kammergerichts, die noch kürzlich durch ein Urteil festgestellt worden ist, und die Praxis des Reichsgerichts, für die zu dieser Frage ebenfalls einige Urteile vorliegen, stimmen darin überein, daß das Verfahren des Gerichts, das der Herr Abgeordnete hier angegriffen hat, ein gesetzliches gewesen ist, daß leine Veranlassung vorliegt, hier eine Beschwerde zu erheben.
Glaubt der Herr Abgeordnete aber dennech, daß die Sache weiterer Beachtung und Prüfung wert sei, so ist dies ja leicht zu haben: das hohe Haus braucht nur zu beschließen, daß es die Frage der Geschäfts— ordnungskommission überweisen wolle; dann wird die Sache zur erneuten Verhandlung kommen und wird die bisher schon immer klar gewesene und nach meiner Meinung unbestreitbare Sachlage nur nochmals durch den Beschluß des Reichstags festgestellt werden.
Abg. Bargmann lfr. Volksv.): Ich will über den Fall Thiele ein abschließendes Urteil nicht abgeben, es scheint aber, daß die Frage der Geschäftsordnungskommissson überwiesen werden muß, da wir alle das gleiche Interesse an der Klarstellung haben. Der Abg. Thiele erhielt die Vorladung zu einer Zeit, wo der Reichstag nicht versammelt, er also nicht in der Lage war, einen Antrag an das ? Ich will nicht bestreiten, daß die Frage der Ueber—
Haus zu stellen. r pen des Reichekgerichts nicht ohne Bedeutung ist, eine gewisse Entlastung würde schon dann eintreten, wenn die Berufung egen die Urteile der Strafkammer wieder eingeführt. würde. s gibt aber doch andere Fragen, die die Volksseele viel tiefer erregen als diese. Dahin gehört vor allen Dingen die Fesselung gerichtlicher Gefangener. Unstreitig findet sich ein großer Uebereifer in der Anwendung der Fesselung da, wo sie durchaus nicht nötig und angebracht ist. Dasselbe gilt von dem Tranport durch die Straßen. Der Minister von Hammerstein hat zwar erklärt, wenn die Fesselung einigermaßen geschickt vorgenommen werde, so könne sie kein Mensch sehen, er hat sie als eine der harmlosesten Sachen von der Welt hingestellt, die sozusagen nur zum Spaß geschehe. In Wirklichkeit aber ist sie eine Demütigung allerärgster Art. Der Minister teilte mit, daß für sämtliche Trantporte, neue Bestimmungen getroffen seien, namentlich nach der Nichtung, daß die Transportzettel die Polizisten sofort erkennen lassen sollen, mit wem sie es zu tun hätten, und daß namentlich nicht solche Personen, die im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte sejen, mit solchen zusammen— gefesselt werden, denen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt seien. Wie aber ist gegen den oldenburgischen Landtagfsabgeordneten Schmidt verfahren worden? Redner schildert im einzelnen an der Hand von Zeitungsberichten die Behandlung, die dem Sozialdemokraten Schmidt zuteil geworden sei. Als er dem Polizisten gesagt habe, daß er Mit- glied einer gesetzgebenden Körperschaft sei, habe dieser geantwortet: „So, Sie sind Abgeordneter, dann kommen Sie erst recht mit. Aller⸗ dings sei dem Abg. Schmidt nachträglich eine Art Ehrenerklärung zu—2— teil geworden, indem man ihm gesagt habe, daß der betreffende Beamte, wenn er es nicht vorgezogen hätte, den Dienst zu quittieren, zur Verantwortung gezogen worden wäre. In ähnlich scharfer Weise sei auf Veranlafsung des Landrats von Weißenfels durch einen Wacht⸗ meister Matthias in ganz unerhörter Weise gegen einen ganz un— bescholtenen Staate bürger, der unwissentlich eine kleine Gesetzes⸗ übertretung begangen habe, verfahren worden. Hinsichtlich der Kriminalität der jugendlichen Verbrecher sei zu bezweifeln, daß die angeführten Ziffein eine so große Beweiekraft hätten, und ob nicht eine genaue Einteilung dieser nach den einzelnen Jahrgängen ein anderes Bild von den schweren Verbrechen durch Jugendliche liefern würde. Die Verlangsamung der Prozeßentscheidung bei den Gerichten erkläre sich vor allem daraus, daß der Umfang der gerichtlichen Geschäfte so⸗ wohl in Zivil- wie in Strafsachen seit Jahren über die Bevölkerungs« zunghme hinaus anwachse; es könne also nur mit Vermehrung des Richterpersonals dauernde Abhilfe geschafft werden. Von der Prügel⸗ strafe ist es in diesem Hause, fährt der Redner fort, seit wir nicht mehr das Vergnügen haben, den Träger der weißen Weste unter uns
zu sehen, still geworden; ich hoffe, dieses Thema ist sür uns jetzt endgültig begraben. Was das Duell betrifft, so hört man immer noch nichts von der Erfüllung des Reichs tagswunsches auf seine strengere Bestrafung. Eine Reihe von Fällen, wie Hildebrandt ⸗Blaskowitz, von Ben⸗ nigsen⸗Falkenhagen, hatte die Bevölkerung in Aufregung verfetzt und zu diesem Verlangen geführt. Unser leider verstorbener Kollege Munckel meinte damals in der ihm eigenen ironischen Weise, es würde viel⸗ leicht besser werden, wenn das Duell in die niederen Klassen ver— xrflanzt würde, dann würde es in den oberen sehr bald aufhören. Inzwischen haben sich die Fälle des Duells wieder vermehrt, namentlich in militärischen Kreisen. Ich bitte den Staatssekretär um Auskunft über den Stand der Dinge. Dem Abg. Schöpflin muß dahin beigetreten werden, daß bei dem erwähnten Erlaß der Haft⸗ befehle gegen die Redakteure und den Metteur sehr wenig vorsichtig ver— fahren worden ist; auch ich halte den Fall für typisch, wenn es sich um eine Entschädigung für unschuldig erlittene Untersuchungshaft handeln wird.
Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:
Meine Herren! Es ist mir nicht bekannt, daß die verbündeten Regierungen die Absicht hätten, schon vor der neuen Kodifikation unseres Strafrechts ein besonderes Gesetz zu erlassen über die Be⸗ strafung des Duells. Ueber die Verhältnisse auf dem Gebiete des Militärwesens, von dem der Herr Abgeordnete behauptet, daß dort eine sehr starke Zunahme des Duellunwesens stattgefunden habe, bin ich nicht unterrichtet. Wenn er diese seine Behauptung aber auch auf die Zivilbevölkerung ausdehnen will, — er hat sich darüber nicht ausgesprochen, schien aber auch für die Verhältnisse des bürgerlichen Lebens eine gesetzliche Regelung als dringlich rechtfertigen zu wollen —, so muß ich sagen, daß nicht eine Zunahme des Duellunwesens in den letzten Jahren eingetreten ist, sondern auf diesem Gebiete entschieden die Neigung zu einer Abnahme be— merklich ist. Die Zahlen, die uns in dieser Beziehung unsere Justizstatistik gibt, sind folgende: In der Zivilbevölkerung sind in den letzten 10 Jahren jährlich an Duellen vorgekommen 107, 110, 140, 154 — die Zahlen der ersten 5 Jahre —, in dem zweiten Jahrfünft sinkt die Zahl auf 99, 88, 91, 74. Meine Herren, das ist eine sehr erhebliche und erfreuliche Abnahme des Duellunwesens— wie ich dem Herrn Vorredner gegenüber konstatieren muß. Die Be— deutung dieser Zahlen zeigt sich aber dann erst recht, wenn man in Betracht zieht, daß diese Zahlen auch die Schlägermensuren im Studentenleben unter sich begreifen. Frühere statistische Aufzeichnungen aus dem Anfange des vorigen Jahr⸗ zehnts berechtigen zu der Annahme, daß von sämtlichen in einem Jahre zur Bestrafung gelangten Duellen etwa auf das Studentenleben fallen, und daß von diesen drei Fünfteln etwa wieder 35 auf die bekannten Mensuren zu rechnen sind. Wir können also, ohne der Wahrheit Eintrag zu tun, annehmen, daß, abgesehen von dem Studentenleben, die Zahl der Fälle, die jedes Jahr zur kriminalstatistischen Feststellung gelangen, nur die Hälfte der Ziffern ausmacht, die ich die Ehre gehabt habe, Ihnen hier vorzutragen. Ich konstatiere, das zu unser aller Genugtuung, glaube aber auch daraus den Schluß ziehen zu können, daß wir nicht nötig haben, diese straf— rechtliche Frage aus dem allgemeinen Rahmen unserer Reformgesetz— gebung heraus- und vorwegzunehmen.
Der Herr Vorredner hat dann den Wunsch ausgesprochen, daß ich auch ferner im Auge behalten möchte die Verhältnisse der jugend lichen Delinquenten. Ich verspreche ihm das gern, es ist eigentlich selbstverständlich, daß eine strafrechtlich und sozialpolitisch so wichtige Frage nicht durch eine Erklärung, dite ich gelegentlich im Reichstag abgegeben habe, erledigt ist, sondern fortdauernd von uns verfolgt werden muß.
Dann endlich, meine Herren, nötigen mich die Bemerkungen des Herrn Vorredners über die Fesselung, die Aufmerksamkeit des Hauses noch auf einige Augenblicke in Anspruch zu nehmen. Ich konstatiere zunächst, daß die Grundsätze, die vermöge der Verständigung der Bundesregierungen untereinander, seit einigen Monaten zur An— wendung kommen, sich nicht nur, wie der Herr Vorredner anzunehmen schien, auf die Fesselung bei größeren Transporten beziehen, sondern auf alle Fesselungen, die im gerichtlichen Verfahren vorkommen können. Die Grundsätze sind in einer einheitlichen Verordnung nicht enthalten, weil die ganze Regelung außerhalb der Kompetenz des Bundesrats liegen würde. Es handelt sich um ein Einverständnis, das jede Regierung in ihrer Art, die meisten freilich übereinstimmend in der Form, aber doch jede Regierung nach ihren Bedüfnissen publiziert hat, die also nicht vom Reich publiziert sind, sendern die sich, soweit dazu in dem einzelnen Lande überhaupt Anlaß gegeben war, in den Gesetz⸗ und Ver— waltungsblättern der verschiedenen Staaten vorfinden werden. Der Herr Vorredner wird sich in seiner Heimat ja über die einschlägigen Publikationen sehr leicht orientieren können. Ist ihm das schwer, so verweise ich für Preußen auf das preußscke Justizministerialblatt, da finden sich die Bestimmungen abgedruckt, der Herr Abgeordnete kann sich also da über die sachlich mit den in Oldenburg maß— gebenden Vorschriften übereinstimmenden Grundsätze schnell orientieren. Der Herr Vorredner hat es dann für nötig gehalten, nech über die Art und Weise, wie die Fesselung zur Ausführung kommt, sich zu verbreiten und dabei zu bemerken, daß die Fesselung eine andere sei, wie sie Fidelio gegenüber angewandt wurde. Vas ist ja ganz richtig; ich wünschte nur, daß der Herr Vorredner auch dabei hinzugefügt hätte, daß nicht alle Leute, bei denen die Behörden leider zur Fesse⸗ lung genötigt sind, Fidelios sind. (Zuruf links. Wir würden sehr glücklich sein, wenn uns durch das bessere Verhalten der Gefangenen geholfen werden könnte. Leider liegen die Verhäͤltnisse aber doch nicht so günstig, und wenn der Herr Vorredner durch seine Bemerkung ein unfreundliches Licht auf unsere desfallsigen Einrichtungen werfen wollte, so glaube ich sagen zu dürfen, daß die leider notwendigen und in allen Ländern unentbehrlichen Einrichtungen gewiß nirgends humaner sind als in Deutschland.
Der Herr Vorredner ist dann im Anschluß an diese Be— stimmungen über die Fesselung der gerichtlichen Gefangenen über— gegangen auf die Fesselung der polizeilichen Gefangenen, die uns ja hier nichts angehen — das ist Landessache, ich kann also nach der Richtung auch nicht Rede stehen. Er hat sich damit einen Weg ge⸗ bahnt, um noch einige polizeiliche Willkürakte — um in seiner Sprache zu reden — hier vorzutragen. Ich gehe natürlich auf die Fälle nicht ein. Es ist das eben die Art und Weise, die ich schon so oft mir hier erlaubt habe zu kennzeichnen, daß uns Dinge vorgetragen werden, die nur von einer Seite beleuchtet sind, daß also nur ein einseitiges Bild dem Reichstage dargeboten wird. (Sehr richtig! rechts) Ich sollte meinen, ein Mann wie der Herr Vor— redner hätte keine Veranlassung, einseitige Darstellungen zu begünstigen. Aber aus dem, was der Herr Vorredner bezüglich der
beiden von ihm geschilderten Fälle hervorhob, ergibt sich doch so viel, daß die Reichsverwaltung mit den Dingen überhaupt nichts zu tun hat. Der eine Fall in Oldenburg bezieht sich auf eine Auseinander— setzung zwischen einem Polizeibeamten und einem Herrn, der gleich— zeitig Mitglied des oldenburgischen Landtags ist. Der Fall ist aber zur gerichtlichen Kognition nach seiner Darstellung gar nicht gekommen. Nun, ich glaube, dem Herrn Abgeordneten keinen besseren Weg empfehlen zu können, als daß er sich mit seinen Vorstellungen an den oldenburgischen Landtag wendet. (Sehr gut! rechts.) Dieser wird doch für den Mangel an Respekt, der von seiten einer Behörde bekundet wird gegenüber seinen Mitgliedern, am ersten die richtige Empfindung haben. Hierher gehört die Sache jedenfalls nicht. Ich kann mich darauf nicht weiter einlassen.
Aehnlich liegt es im zweiten Falle, in dem des Landrats in Weißenfels. Was in aller Welt hat denn dieser Vorgang mit dem preußischen Landrat in Weißenfels zu tun mit der Reichsjustiz— verwaltung? Wie soll sich denn der Reichstag mit einem solchen Fall beschäftigen können? Ich muß also auch hier ein Eingeben auf die Sache wegen vollständiger Inkompetenz ablehnen und kann dem Herrn Abgeordneten nur empfehlen, mit seinen Beschwerden sich an die richtige preußische Stelle zu wenden. Wenn der Landrat nicht richtig gehandelt hat, wird ihm jedenfalls das in zutreffender Weise von der zuständigen Behörde bedeutet werden.
Abg. Stadthagen (Soz.): Es ist richtig, daß Oldenburg nicht in Preußen liegt, aber Oldenburg und Preußen gen im Deutschen Reiche. Jeder Fall, in dem zu Unrecht vorgegangen ist, in dem Reichsgesetze verletzt sind oder das Recht des einzelnen verletzt ist, gehört zur Kompetenz des Deutschen Reichs, und diese Kom— petenz wird schon durch die Eingangsworte zur Reichsverfassung ganz unwiderleglich festgestellt. Wenn also irgendwelche Beamten, Landräte usw. in einem Einzelstaate die Gesetze übertreten, so verlangen wir hier im Reichstage, daß dem Verletzten Recht und Genugtuung wird. Da kann kein Minister kommen un sich weigelzn, vor dem Reichstage Rede zu stehen. Wenn ein preußischer Landrat unrecht getan, das Recht verletzt hat, so gehört dieser Fall ebenfalls vor unser Forum, denn wir sind dazu da, dafür zu sorgen, daß solche Rechtsverletzungen in Zukunft verhindert werden. Auf dem Gebiete des Duells, das gesetzlich verboten ist, geschieht in der Mißachtung des Gesetzes dasselbe, was man auf dem Gebiete des Diebstahls gewohnheitsmäßige Bandendiebstähle nennt. Die anderen Bevölkerungsklassen halte ich für viel zu verständig, um zum Duell überzugehen; aber gerade die Kreise, die dem Duell huldigen, sind dieselben, die über die Roheitsverbrechen in den unteren Klassen zetern. Die Duelle werden nur verschwinden, wenn das Duell einfach als Totschlag oder Mordversuch bestraft wird. Herr Spahn bittet um Entlastung des Reichsgerichts; ich hoffe, daß die Mehrheit des Hauses und auch des Zentrums mit uns wie früher die Heraufsetzung der Revisionssumme ablehnen wird. Sonst wäre ja das Recht eine Ware, die nur dem Zahlungsfähigen zu Gebote stände. Wir würden einen großen Fortschritt darin sehen, wenn alle Rechtsfragen, die aus dem Arbeitsvertrag entstehen, von einem obersten Gericht einheitlich entschieden werden. Mögen doch mehr Richter, namentlich für Zivil sachen, ernannt werden, oder möge man statt der heutigen obersten Instanz, die noch dazu an die tatsächliche Feststellung gebunden ist, Richter aus dem Volke einsetzen! Anderseits kann das Reichsgericht sehr wohl entlastet werden, wenn man das höchst schädliche und überflüssige Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft einschränkte oder au
f sie ein⸗ wirkte, die Erhebung ungerechtfertigter Anklagen zu unterlassen.
Veute klagt der Staatsanwalt an ohne Gründe, er kann trotz aller ihm ungün— stigen Gerichtsentscheidungen immer wieder dasselbe Delikt vor die Ge— richte bringen; damit wird eine Unmasse Zeit den Gerichten genommen. Die Legende von der Unabhängigkeit der Richter muß dadurch zer— stört werden, daß die Richter wirklich unabhängig gemacht werden, auch nach oben und in der Richtung, daß sie nicht politische Streberei treiben. Der Redakteur Zander der „Frankfurter Volks⸗ stimme“ wurde wegen Beleidigung zu 300 M Geldstrafe verurteilt. In dem Erkenntnis heißt es: Von Freiheitsstrafe sei mit Rücksicht auf die bisherige Unbescholtenheit des Angeklagten und die Leicht— fertigkeit, die in der von ihm vertretenen Partei üblich sei, abgesehen worden. Politische Befangenheit liegt auch vor in einem Urteil, durch das ein Schlosser wegen groben Unfugs zu 4 Wochen Gefängnis verurteilt wurde, weil er in einem Wirtshause den Fürsten Bismarck mit Rücksicht auf die Emser Depesche beleidigt und dadurch das anständige zubörende Publikum in seinem Gefühl verletzt hätte. Das Urteil beruft sich an Stelle weiterer Gründe auf eine Rede des Reichskanzlers fen von Caprivi über diese Frage und meint, daß das, was dieser ges „ unumstößlichen geschichtlichen Wert habe. Wer, so sagt weiter, Bismarck des Massenmords und der Depeschenfälschung bezichtige, müsse von blindem politischen Aberglauben beherrscht oder ein unfähiger Tor sein. Der Angeklagte verdiene wegen seiner niedrigen und ehrlosen Gesinnung und seiner bötwilligen Verleumdungssucht eine exemplarische Strafe. Solche Urteile müssen das Volk mit berechtigtem Mißtrauen nicht nur gegen einzelne Richter, sondern gegen unsere ganze Rechtsprechung erfüllen. Die Urteile einer großen Zahl unserer Richter zeigen einen auf— fallenden Mangel an juristischer Logik und Denkfähigkeit. Ich möchte den Staatssekretär bitten, darüber nachzudenken, ob den Forderungen der Strafprozeßordnung über ll Rechnung getragen wurde, und ob die Urteile nicht vielfach eine Unreife zeigen, die mit der Wissen— schaftlichkeit, die man von ihnen verlangen kann, nicht vereinbar sind. Jene Richter, von denen ich gesprochen habe, haben den innerlichen Drang, machen, wo⸗
sich nach oben hin bemerkbar zu hen, möglich ans Reichsgericht zu kommen. Von 100 Urteilen in Straf kammersachen mögen 90 ungerechtfertigt sein. Besonders im Osten gewinnt man den Eindruck, daß die dortigen Urteile einer direkten politischen Befangenheit entspringen. Es wird nicht nur die Unab— hängigkeit der Richter angegriffen, sondern auch die der Rechtsanwälte. Im vorigen Jahre wurde ein Rechtsanwalt von der Anwaltskammer zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er in einer Novelle einen Staats anwalt verächtlich gemacht haben sollte, der in dem in der Novelle behandelten Mordprozeß eine Rolle gespielt haben soll. Die Ver— urteilung erfolgte, obgleich der Anwalt keinen Namen genannt hatte und der Staatsanwalt längst verstorben war, und obgleich es sich nicht um einen Prozeßbericht, sondern um ein literarisches Kunstwerk handelte. Es ist unbegreiflich, wenn gegen ein solches Urteil nicht in der Anwaltschaft sich ein Sturm der Entrüstung erhoben hat. Der Staatssekretär scheint anzunehmen, daß, wenn das Gesinde die Herrschaft haut, dies verboten sei, wenn aber die Herrschaft das Gesinde haut, es erlaubt sei. Es kommen schamlose, niederträchtige und gemeine Bestrafungen vor, wie ein Fall zeigt, der im vorigen Jahre paffiert ist, wo ein junges Mädchen von 18 Jahren sich über einen Stuhl legen mußte. Der Gutsbesitzer schlug auf ihren nackten Körper und sagte dann ju seiner Frau: so, ich kann nicht mehr, nun schlage du. Schließlich bekam sie noch einen Schlag über den Kopf. Das Dienstmädchen entfloh. Sie erhielt einen Strafbefehl über 3 66 und kehrte leider in den Dienst zurück, wurde abermals mißhandelt und entfloh wieder. Gegen den Guts⸗ besitzer wurde Strafantrag gestellt und er wurde wegen jener schamlosen Handlung zu 6 S verurteilt. Der Gutsbesitzer klagte nun das Maͤdchen wegen Diebstahls an, sie sollte einer armen Frau etwas Salz ufw. gegeben haben. Das Mädchen wurde zu drei Tagen Gefaͤngnis verurteilt, in der zweiten Instanz aber natürlich freigesprochen. Natürlich toben die Konservativen gegen den Vater, der sich in seiner Not an die Sozialdemokraten um Rat gewendet hatte, was er zu tun babe. Daher der infernalische Haß gegen die Sozialdemokraten. Wenn es so weiter gebt, dann kann die Em— pörung nur einen Grad erreichen, daß das Züchtigungsrecht auch ein⸗ mal umgekehrt und sogar gegen schuldlose Besitzer angewendet wird. Was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Entgegen der