1904 / 60 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 10 Mar 1904 18:00:01 GMT) scan diff

Offizierkorps als Vorbild für die ganze Welt gewesen ist. Ich muß es zurückweisen, wenn hier im Reichstage eine so partikularistische Bemerkung gemacht wird. Im franzksischen Kriege haben die preußischen, und bhaperischen Offiziere das gleiche geleistet. Für das öffentliche Militärgerichtsverfahren kann sch mich nicht so sehr begeistern. Ich babe früher in unzäbligen Fällen als Richter gewirkt und entsinne mich keines Falles, wo nicht eine gerechte, schnelle und humane Justiz beim Militär geübt worden wäre. Als Schöffe dagegen babe ich Urteile gesehen, die nicht so human und gerecht waren. Früher sind die Fälle beim Militär ebenso gerecht beurteilt worden wie jetzt, aber es wurde dabei nicht so viel Wasser auf die Mühle der Sozialdemokraten geleitet. Wenn die Sozialdemokratie ihre Theorien in die Praxis übersetzte, so würde sie ein Gericht zu essen bekommen, das ihr nicht schmecken würde, nämlich die blauen Bohnen, aber dann wünschte ich nur, daß es auch hieße: Führer vor die Front! Es ist von den Befreiungekriegen die Rede gewesen, und der Minister sprach von der Uebergabe der Festungen. Gewiß hätten die Offiziere sich bis zuletzt verteidigen müssen. Ich bitte aber zu bedenken, was bei uns aus solchen Festungen werden würde, wenn die nötigen Mittel versagt würden. Das Bollwerk der patriotischen Gesinnung hat in der letzten Zeit abgebröckelt, nicht allein durch die Sozialdemokratie, sondern auch durch den ganzen Gedanken— gang der Aera Caprivi, durch die Schädigungen des platten Landes dadurch, daß gewisse Elemente dem Großkapital in die Arme ge— trieben wurden. Mit demselben Moment, wo diese Aera einsetzte, mit ihren die Landwirtschaft und den Mittelstand schädigenden Tarifverträgen, da mußte man konsequenterweise das allgemeine Wahlrecht aufgeben und die Führer der Sozialdemokratie treffen durch ein Sozialistengesetz, durch den Exrpatriierungsparagraphen, man mußte die sozialdemokratische Presse knebeln. Wollten Sie Cu den Sozialdemokraten) Ihre Theorien ausführen, so würde ich Ihnen unsere Kolonieen zur Probe überweisen. In der Revolution wird ja mit dem Schafott operiert. Da möchte ich nun mit den Worten eines westpreußischen Landsmannes sagen: Wenn durchaus gehängt werden soll oder muß, so hänge ich natürlich Sie auf! Wie die Aera Caprivi gewirkt hat, zeigt die Abwanderung vom Lande. Es ist nur so weit gekommen, wie es jetzt ist, weil der Bismarcksche Kürassierstiefel den Samthandschuhen Platz gemacht hat. Wir im Deutschen Reichstag haben allen Grund, uns der Tätigkeit gewisser Junker zu freuen; ich nenne Ihnen nur die drei Namen Bismarck, Moltke, Reon. Ich will mich lieber halten an das andere Bollwerk, die Armee; da gebe ich dem Kriegsminister die Versiche— rung, daß wir immer mit ihm gehen werden durch dick und dünn, weil wir Vertrauen zu ihm haben und weil wir wissen, daß die Armee der Halt und der Stol; der Nation iff. Und wenn sich jetzt Offiziere finden, die es für nützlich halten, Schriften zu verfassen, die die Linke verwerten kann, dann erwächst für uns aste Offiziere die doppelte Pflicht,; dem Kriegsminister zur Seite zu stehen, wenn es gilt, unsere erste Liebe zu verteidigen, die Uniform; für die Armee und für das Offizierkorrxs ganz besonders. Diese fortgesetzten Angriffe der Linken auf das Offijzierkorps erinnern mich in ihrer Kuriosität an einen Witzblattvers: Aergere mich immer, wenn Militär in Reichstag wird mitgenommen; andere Nation ganz glücklich wär', wenn in Besitz könnt' kommen“. Wenn in einem Reichstage dem Kriege minifter allein die Vertretung der Offiziere und der Armee überlassen werden müßte, dann würde ein solcher Reichstag nicht mehr einen Schuß Pulver wert sein. An diesem Bollwerk werden Sie nicht rütteln, und an diesem Bollwerk werden Sie zerschellen. Eine Rede soll kurz, aber verletzend sein. Kurz bin ich gewesen, und wenn ich Sie (links) verletzt haben sollte (Zwischenruf) . . . nicht? dann werde ich das nächste Mal viel gröber sein.

Abg. Dr. Rue genberg (Zentr) kommt auf die Zunahme der Geisteskrankheiten im Heere zu sprechen und geht näher auf die Ur— sachen dieser Erscheinung ein. Es sollte vorsichtiger bei der Einstellung verfahren werden; es seien Fälle vorgekommen, wo Leute eingestellt wären, die sich vorher schon in einem Irrenhause befunden hätten. Jeder Aufenthalt eines Militärpflicktigen in einem Irrenhaufe vor seiner Aushebung sollte der Polizeibehörde gemeldet werden. Das Durchmachen des Delirium tremens sollte vom Militärdienst be— freien. Auf diese Weise könnten manche ungeeigneten Elemente aus dem Heere fern gehalten werden. Darauf wendet sich Redner dem Kapitel der Ausbildung der Militärärzte zu und führt schließlich aus, daß zu den Mißbandlungen sehr wabrscheinlich auch die zuerst von ihm erwähnten Einstellungen Geistesschwacher und Geistes kranker ihr Teil beitragen Auch der Alkohol sei häufig die direkte oder indirekte Ursache von Soldatenmißhandlungen.

Abg. Prinz zu Schönaich-Carolath (ul): mannigfachen Herabsetzungen, welche die Armee von der linken Seite erfahren hat, dürfen wir wohl aussprechen, daß wir die beste und ausgezeichnetste Armee haben, um die uns jedes Land und Volk beneidet. Die schönsten Blätter der Weltgeschichte sind die glorreichen Taten des deutschen Heeres. Keine Herabsetzung wird uns den Wert unserer Armee verringern. Das Rus land könnte ia glauben, es sei eine allgemeine Mißstimmung und ein Mißtrauen gegen die Armee bei uns vorhanden; festzustellen, daß diese Gefühle bei der überaus überwiegenden Mehrheit des Hauses nicht bestehen, ist diesen Versuchen gegenüber wohl angebracht. Das schließt nickt auf, daß Mißstände bestehen, die kritisert und abgestellt werden müssen; aber wir sind einig im vollsten Vertrauen auf den Kriegsminister. Herr Stoecker sprach gestern davon, daß Goethe sich vor Naxoleon gefürchtet babe. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Wann und wo bat Goethe dieser Furcht Ausdruck gegeben? Gewiß bat Goethe 1813 gesagt: „Der Mann ist euch zu groß.“ Aber wer glaubte denn 1813 an den Erfolg der großen Bewegung? Die Stein, Gneisenau, Scharnborst waren Ausnahmen. Goethe war zu jener Zeit das Land war klein, und umsomehr mußte er sede Kollision zu ver— meiden suchen.

Abg. Eickhoff (fr. Volksp.): Ich muß es ein für allemal ab— lehnen, auf die Stufe herabzusteigen, auf der sich die Redner der Antisemiten bemegt haben und auf die sich auch Herr von Olden— burg erniedrigt hat. Von einer Verbindung des Judentums mit den Sozial demokraten ist mir nichts bekannt. Herr Stoecker hat auch nicht den Schajten eines Beweises dafür vorzubringen vermocht. Es gibt sogar Juden, die Leuten wie Krösell in den Sattel ge— holfen haben, um die Sozialdemokratie zu bekämpfen. Die Anti— semiten und namentlich Herr Liebermann von Sonnenberg haben mich mit Späßchen bekämpft. Antisemitischen Späßchen zuzujubeln, überlassen wir anderen. Glaubt die Regierung, die Sozialdemokratie zu bekämpfen, wenn sie sich zu solchen Dingen ruhig verhält, oder

Gegenüber den

darüber mit einigen Worten hinweggebt? Im Falle Kaufmann hat

iegs Wird aber jetzt noch ein Jude zum Reserveoffizier befördert, cbwohl er alle Vorbedingungen erfüllt? Herischt hier etwa der Grundsatz: Gleiches Recht für alle? Früher gab es keinen Unterschied der Konfession in der Burschenschaft, zu der ich gebörte, da galt die gleiche Liebe zum Vaterlande. Wenn Sie dies gleiche Recht nicht wollen gelten lassen, so untergraben Sie die Grundlagen des Thrones, den wir mit Ihnen zu schützen alle Zeit bereit sind.

—— 1 8 Stellvertretender

allerdings der Kriegsminister korrekt gehandelt.

Bevollmächtigter zum Bundesrat, Königlich Ni : Der Herr Abg.

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diese Sache zu hiermit meiner genehm, daß

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1 3 . zu machen.

Staatsminister;

Damit schließt die Debatte. merkungen der Abgg. Krösell (Reformp.) und Liebermann von Sonnenberg (wirtsch. Vgg) wird das Gehalt des Kriegs⸗ ministers bewilligt.

Ferner wird die Resolution Beumer angenommen, betreffend Gewährung freier Reise für die Mannschaften, und die Resolution Eickhoff, denselben Gegenstand betreffend. Die Resolutign von Heyl, betreffend Verbesserungs— vorschläge zur Gewinnung ausreichenden Unteroffizierersatzes für Heer und Marine, wird gegen die Stimmen der Rechten und der Nationalliberalen abgelehnt. Das Kapitel Be⸗ soldungen im preußischen, sächsischen und württembergischen Militäretat wird darauf ohne weitere Debatte bewilligt; des— gleichen die Ausgaben für Militärkassenwesen, Militär— intendanturen und Militärgeistlichkeit.

Nach 6i/ Uhr wird die Fortsetzung der Beratung des Militäretats auf Donnerstag 1 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 37. Sitzung vom 9. März 1904, 11 Uhr.

Es wird die zweite Beratung des Staatshaushalts— etats für das Rechnungsjahr 1904 im Etat der Eisenbahnverwaltung bei den Einnahmen aus dem Personen-, Gepäck- und Güterverkehr der Staatseisenbahnen fortgesetzt.

Nachdem von Mitgliedern des Hauses die in der gestrigen Nummer d. Bl. mitgeteilten Wünsche betreffs der Zug— verbindungen geäußert worden sind, bemerkt der

Minister der öffentlichen Arbeiten Budde:

Der Herr Abg. Kirsch hat ausgesprochen, so viel Wünsche hier ausgesprochen wären, so viel schmerzliche Empfindungen hätte ich. Ich weiß nicht, wie der Herr Abgeordnete dazu kommt; denn ich glaube nicht, daß ich in meinem Gesichtsausdruck bis jetzt irgendwie Schmerz⸗ empfindung hier zum Ausdruck gebracht habe. Im Gegenteil, seoviel Wünsche ausgesprochen werden, soviel Freude habe ich. (Heiterkeit und Beifall) Denn es ist für einen Minister ja nichts angenehmer, als wenn er Wünsche erfüllen könnte, wenn er hört, wo er helfen kann, wo er fürs Land sorgen kann. Aber Schmerz empfinde ich nur, wenn ich an die einzelnen Wünsche herantrete, und es mir nicht möglich ist, sie alle zu erfüllen, und Sie werden sich denken können, daß dies tatsächlich nicht möglich ist.

Es hängt dies von vielem ab; ich will aber nur zwei allgemeine Gesichtspunkte hierfür anführen.

Zunächst ist es jedem, der den Debatten gefolgt ist, klar, daß viele Wünsche sich gegenseitig widersprechen, das heißt, wenn ich den einen Wunsch erfülle, so hindere ich unter Umständen die Erfüllung des Wunsches eines anderen, oder ich schädige bestehende Verhältnisse und werde dadurch wieder neue Forderungen hervorrufen, daß ich dieses und jenes nicht machen sollte. Also sämtliche Wünsche, die hier ausgesprochen sind, kann ich absolut nicht erfüllen, weil sie eben zum Teil gegen einander stehen.

Der zweite allgemeine Gesichtspunkt ist der, daß es gar nicht möglich wäre, selbst wenn man die Geldmittel aufwenden wollte, so viel neue Züge in den Fahrplan einzulegen, wie hier gewünscht worden sind. Dazu fehlen mir die Betriebsmittel und dazu fehlt unter Um— ständen auch der Platz im Fahrplan. Ich verspreche Ihnen aber, daß der alten Arbeitsgewohnheit im Ministerium entsprechend sämtliche Wünsche aus dem Stenogramm ausgeschnitten, aufgeklebt und im einzelnen geprüft werden (große Heiterkeit)R, und zwar, meine Herren, mit der Absicht, zu tun, was in meinen Kräften steht. (Bravo!)

Der Abg. Pleß hat einen sehr einfach klingenden Wunsch aus⸗ gesprochen, man möge von der Station A nach B grundsätzlich ebenso schnell fahren wie von der Station B nach A zurück. Er hat aber daran gleich selbst die Einschränkung geknüpft, daß selbstverständlich die Bergfahrt unter Umständen etwas langsamer sein wird als die Talfahrt, daß nämlich der Fahrplan selbst ein Hindernis bildet, namentlich, wo er sehr dicht ist, wo die Strecke stark mit Zügen be— legt ist, da kann es leicht vorkommen, daß in der einen Fahrt— richtung im Fahrplan eine Treppe entsteht, wenn ich mich graphisch ausdrücken darf, die in der anderen Richtung nicht nötig ist, weil in dieser eben die Strecke frei ist und man einen glatten Fahrplanstrich machen kann. Soweit aber solche Verhältnisse nicht vorliegen, wird selbstverständlich bei der Fahrplankonstruktion darauf gerücksichtigt, daß Züge auf derselben Strecke im wesentlichen die gleiche Fahrzeit haben.

Es ist nun nech der Wunsch auf Einführung von Sonntags— fahrkarten für verschiedene Strecken ausgesprechen worden. Meine Herren, da muß ich zu meinem Bedauern erklären, daß ich nicht die Absicht habe, um mit meinem verehrten Herren Amtsvorgänger zu sprechen, das Ungeziefer der Fahrkartenausnahmen“ zu erhöhen. Ich lasse, obwohl ich es zum Teil nicht für richtig halte, die Sonntags fahrkarten, soweit sie jetzt da sind, noch bestehen. Ich beabsichtige aber nicht, sie zu vermehren, weil in allen Kreisen des Landes auf eine Vereinfachung des Fahrkartenwesens hingewirkt wird und die Vereinfachung doch nun nicht darin bestehen kann, daß wir jetzt noch neue Ausnahmefahrkarten einführen. Ja, ich bemerke, daß überhaupt die sogenannte Personentarifreform gerade deshalb Schwierigkeiten hat, weil nirgends zugestanden werden soll, daß an irgend einer Stelle eine Preiserhöhung für irgend eine Fahrt eintritt, wenn man grundsätz lich eine Vereinfachung und auch im wesentlichen eine Herab— setzung des Normaltarifs eintreten läßt. Das ist eine große Schwierig⸗ keit, die einer Tarifreform entgegensteht. Ich glaube, meine Herren, Sie könnten selbst mitarbeiten, wenn Sie im Lande darauf hinwirkten, daß man große Reformen nur erreichen kann, indem man einheitliche Gedanken energisch durchführt, selbst wenn hier und da an einer einzelnen Stelle ein kleiner Nachteil entstehen sollte.

Hinsichtlich des gewünschten Schnellzuges Stettin Stralsund

möchte ich bemerken, daß er im Sommerfahrplan vorhanden sein wird.

Die Wünsche, die hier ausgesprochen sind, kann ich aber zum

Sommerfahiplan, der am 1. Mai beginnt, nicht erfüllen, soweit sie nicht schon darin enthalten sind, weil ein Fahrplan großer zeitraubender Vorbereitungen bedarf und der Fahrplan für den Sommerverkehr im wesentlichen als abgeschlossen anzusehen ist.

Darauf werden die Einnahmen bewilligt, und das Haus

wendet sich den dauernden Ausgaben zu. ;

Zu dem Kapitel „Besoldungen der Beamten“ hat er Abg. Schmidt-Warbhurg (Sentr. einen Antrag auf lnrechnung einer die Dauer von 5. Jahren überschreitenden Zeit diätarischer Beschäftigung der Eisenbahnbau⸗ und betriebs⸗ inspektoren sowie der Maschineninspektoren bei der Festsetzung

Nach persönlichen Be⸗

Bahnsteigschaffner und andere notwendig.

ihres Besoldungsdienstalters gestellt, der ohne Debatte der Budgetkommission überwiesen wird.

Berichterstatter Abg. Schmieding referiert sodann über die Kommissionsverhandlungen und über die Vermehrung der Beamten stellen. Die einzelnen Wünsche der Beamten sollten erst an der Hand der eingegangenen Petitionen erörtert werden. In der Kommission seien bisher nur die Verhältnisse der böheren und der mittleren technischen Beamten besprochen worden. Die höheren technischen Be— amten ständen noch immer hinter den juristischen Verwaltungsbeamten zurück; eine Verbesserung hierin sei wünschenswert.

Abg. Busch (Zentr.) bedauert, daß auf ein Gesuch von Subalternbeamten vom 20. Januar 1903 um Gehaltserhöhung über⸗ haupt keine Antwort von der Verwaltung erteilt worden sei. Wenn auch bei einer Erhöhung der Besoldungen die Finanzlage in Berück— sichtigung gezogen werden müsse, so müsse man doch immer wieder die berechtigten Wünsche der Beamten vertreten. Namentlich seien die Gehälter der Lokomotivführer, der Zugführer und der Schaffner zu niedrig.

Abg. Prietze (nl): Das Wohnungsgeld reicht nicht aus, um den Beamten eine angemessene Wohnung zu beschaffen. Ich bitte deshalb den Minister, in der Errichtung von Dienstwohnungen kraͤftig fortzufahren. Nur 205 der Eisenbahnbeamten haben Dienstwohnungen. Der frühere Handelsminister von Berlepsch hat an die Bergbebörden einen Erlaß gerichtet, in dem er den Wunsch ausgesprochen, daß alle Beamten Dienstwohnung erhielten. Dieser Wunsch geht zwar sehr weit, aber in der Bergverwaltung haben doch schon 40 69 der Beamten Dienstwohnung. Es ist über die Konkurrenz, welche die Konsumvereine den Bäckern, Schlächtern und anderen Gewerbetreibenden machen, geklagt worden; aber man darf nicht vergessen, daß die Konsum vereine für die Beamten und Arbeiter eine wesentliche Hilfe bedeuten. Die Konsumvereine haben auch darin eine große Bedeutung, daß sie das Borgsystem ein« schränken. Aber eine weitere Ausdehnung der Konsumvereine will ich doch nicht empfehlen. Einen großen Nachteil für die Gewerbe treibenden haben die Konsumvereine jedenfalls nicht zur Folge. Eine Aufbesserung ist besonders für die untersten Beamten, die Portiers, Wir müssen wissen, wie viele der Beamten das Höchstgehalt erreichen, wie lange alf die Beamten im Dienst bleiben. Leider fehlt darüber eine Statistik. Von den Lokomotivführern ist wohl anzunehmen, daß sie nur sehr selten ein Dienstalter von 20 Jahren erreichen. Ferner ist es wünschenswert, daß die Beschäftigung von Stations und anderen Gehilfen der Eisenbahnverwaltung aufhört, die wohl noch ein Ueber bleibsel aus der alten Zeit der Privatbahnen ist. Die höheren technischen Eisenbahnbeamten rücken viel später auf als die Ver— waltungsbeamten. Dadurch wird das Zusammenarbeiten der beiden Beamtenklassen nicht gefördert. Es muß hierin eine Aenderung durch Vermehrung der Stellen geschaffen werden, damit jene schneller auf— rücken können. An die Spitze der Direktionen sollte man auch technische Beamte stellen.

Abg. Goldschmidt (fr. Volksp.): Die Frage des Koalitiont⸗ rechts der Eisenbahnarbeiter ist im vorigen Jahre hier eingehend be— handelt worden, und der Minister hat sich im Reichstage und im Herrenhause sowie in unserer Kommission sehr scharf darüber aus— gesprochen. Das Koalitionsrecht der Arbeiter in den Eisenbahn— werkstätten ist ein reichsgesetzlich garantiertes Recht Der Minister bat aber gegen eine bestimmté Klasse von Organisationen in scharfer Weise Stellung genommen. Ich habe immer auf dem Standpunkt gestanden, daß die Organisation der Arbeiter zur Erringung besserer Arbeitsbedingungen politisch neutral sein muß. Ich will deshalb die Stellungnahme des Organs des Eisenhahnarbeiterberbandes nicht ver— teidigen. Unter den Arbeitern der Eisenbahnwerkstätten berrscht ein ebenso guter Geist, wie er den Lokomotivführern nachgerühmt worden ist. Hunderte von diesen Arbeitern sind gar nicht sozialdemokratisch. Aber außerhalb des Dienstes können die Arbeiter der politischen Meinung folgen, welcher sie wollen. Der Minister sagte im Herren⸗ hause, er dulde im Eisenbahnbetrieb keinen Sozialdemokraten. Würde es sich nur um die Betriebsbeamten handeln, so wäre das vielleicht zu verstehen. Aber der Minister hat in Altong 27 Arbeiter entlassen, die in einer Liste eines sozialdemokratischen Vertrauens mannes auf— geführt waren, der wegen Diebstahls verfolgt wurde, und bei dem ein Notizbuch mit dieser Liste gefunden wurde. Die Arbeiter müfsen bei ihrer Annahme unterschreiben, daß sie sich von staats⸗ und ordnungs⸗ feindlichen Bestrebungen fernhalten. Die einzelnen dürfen aber für den Verband nicht verantwortlich gemacht werden. Wir bekämpfen die in= toleranten sozaldemokratischen Arbeiter, aber eine solche Entlassung von Arbeitern muß, auch wenn der Minister nur ein Exempel statuseren wollte, um die Arbeiter zu warnen, doch eine solche Erbitterung erzeugen, daß die Arbeiter veranlaßt werden, einen sozialdemokratischen Stimmzettel ab⸗ zugehen. Wir müssen die Arbeiter zu fleißigen, tüchtigen Arbeitern in den Werkstätten erziehen; aber durch diese Art des Vorgehens erzieht der Minister sich nur Speichellecker. Die Gründung des neuen Ver— bandes in Cassel ist wünschenswert, da die bisherige, nicht genügende Fürserge für die Beamten und ihre Relikten durch diefen' Verband im, Wege der Selbsthilfe ergänzt werden soll. Wenn aber der Minister den Beamten zum Besuch des Verbandstages freie Fahrt und Diäten gewährt hat, so geht das zu weit. Ein Urlaußs— ordnung sollte erlassen werden; die Zätungenachricht, daß es eine solche gibt, ist falsch gewesen. Dem Werkflättenarbeiter müßten auch ein paar Tage Urlaub gegeben werden, wie ihn Berlin für seine Arbeiter eingeführt hat. Ich freue mich, daß der Minister die Militärdienstzeit auf dag Lohndienstalter angerechnet hat. Es ist aber aus dem Erlaß des Ministers nicht zu ersehen, wie es gehalten wird, wenn ein Arbeiter nach einem anderen“ Direktionsbesirk übergeht. Ein Wunsch der Arbeiter ist es ferner, gelegentlich einen vollen freien Tag zu erhalten. Der Minister hat die Ver— wendung von 2.8 Millionen für Lohnerhöhungen zugesagt. Diese Summe ist noch zu klein; denn die Löhne dürfen hinter denen in der Privatindustrie nicht zurückbleiben. Die unterste Tobnklasse hat täglich erhalten 1900 2, 94 6, 1901 295 6, 1902 2 39 S; die Werkstãttenvorarbeiter erhielten 4,19 4, 4,25 S und 4,31 υ in diesen Jahren, die Handwerker 3 45 6, 3,50 und 3,52 M6 Im Stücklohn ist aber der Verdienst von 420 1 (1900) auf 4, 15 M (1802) zurückgegangen. Die Verhaäͤltnisse der KÄrbeiter sind also schlechter geworden. Ein Arbeiter in Gleiwitz hat mic eine minutiöse Statistik über jeden Pfennig seiner Äusgaben eingeschickt. Sein Jahresbudget schließt mit 877 66 Einnahme ab, die Ausgaben waren um 10 4 höher. Für Fleisch hatte diese Familie nur 51 M aug. gegeben, für Fleisch und Fett 180 4 Die Autgaben für geistige Ge— tränke das mag Graf Douglas interessieren betrugen für Arrak 020 4, für schlesischen Korn O 6h , für Bier 11,86 6, fär Abstwein 2, 90 6, ferner für Tabak G50 AM, für Zigarren 2, 00 4M So muß eine Arbeiterfamilie einer Königlichen Eisenbahnwerkstätte leben. Hoffentlich veranlaßt diese Aufstellung den Minister zur Ver⸗ sesserung dieser Venhältnisse. Der Minister hat Ueberräschungte— kommjissionen eingesetzt; deren Erfolg würde größer sein, wenn sie mit dem Arbeiterausschuß allein und nicht in Gegenwart der Vorgesetzten verhandeln würden. Die Arbeiter halten fonst mit ihren Wäünschen zurück, aus Furcht, sich den Verdacht sozialdemokratischer Gesinnung zuzu⸗ ziehen. Man soll nicht gleich ungehalten fein, wenn die Arbeiten einen Wunsch aussprechen, sonst verlieren sie den Mut dazu. In der Wagen⸗ abteilung der Berliner Werkstätten müssen die Arbeiter faglich, ich sage täglich Ueber stunden machen. Die Arbeiter machen gern ÜUeb'rftunden, aber dieser Zwang geht zu weit. Ueber die Pensionskasse, die Kranken⸗ kasse usw hat der Heir Geheime Rat Wesener eine vortreffliche Arbeit veröffentlicht. Die Penstonssatze sind zu niedrig, sie mäffen erhöht werden., Das ist möglich, da das Vermögen der Kässe fländig gestiegen ist. Die Werkstättenwerkführer haben ihre Wünsche dem Minister durch eine Deputatien mitteilen wollen; der Minister hat ihren Empfang abgelehnt, während er andere Deputationen empfangen hat. Die Werkführer wünschen Gleichstellung im Gebalt mit den Lokomotiv⸗ sübrern Erhöhung des Wohnungögeldes und Anrechnung der Vor— arbeiterdienstzeit auf das pensionsfähige Dienstastr. Diese Wünsche scheinen mir berechtigt zu sein.

(Schluß in der Zweiten Beilage)

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Minister der öffentlichen Arbeiten Budde: Meine Herren! Die Herren Vorredner, die bis jetzt zur Frage

der Beamten und Arbeiter gesprochen haben, werden es wohl für

richtig finden, daß ich auf die einzelnen Wünsche erst später ein gehe. Ich bin aber durch den letzten Herrn Vorredner doch ver— anlaßt, einige grundsätzliche Punkte über die Lage der Eisenbahner hier zur Sprache zu bringen und vor allen Dingen auf die Frage des Koalitionsrechts einzugehen.

Meine Herren, mit diesem Schlagwort wird nach meinem Dafür— halten in letzter Zeit reichlich Unfug getrieben. (Sehr richtig! rechts.) Die Eisenbahnverwaltung betreffend, handelt es sich bei den Maß— nahmen, die ich getroffen habe, und die der Herr Vorredner kritisiert und gemißbilligt hat, absolut nicht um die Frage des Koalitionsrecht,s. Ich brauche mich daher auch nicht darauf einzulassen, eine juristische Erklärung des Koalitions rechts zu geben. Ich bin Minister der öffentlichen Arbeiten, der prak— tische Arbeit zu vollführen hat, der das Koalitionsrecht praktisch anzuwenden hat, und da weiß ich, daß ich das Koalitionsrecht niemandem beschränke, ja selbst ein Recht zugebilligt habe, welches den Eisenbahnern in dem zugelassenen Umfange überhaupt nicht zu— steht; denn es existieren, glaube ich, mindestens anderthalbdutzend berufliche Koalitionen unter den Bediensteten der Eisenbahnverwaltung, die alle zugelassen sind, an denen die Beamten und Arbeiter des Betriebsdienstes teilnehmen, denen ja unbedingt ein Koalitionsrecht auf diesem Gebiete nicht zusteht. Meine Herren, das hat die Staats—⸗ eisenbahnverwaltung schon unter meinem Vorgänger getan, und das habe ich auch beibehalten.

Wenn ich nun aber, meine Herren, gegen Koalitionen vorgegangen bin, die mit der Sozialdemokratie zusammenhängen, so ist das etwas ganz anderes (sehr richtig! rechts), und da liegt die Sache sehr einfach: der preußische Beamte hat seinen Treueid geleistet, und an dem Treueide ist nichts herumzudeuteln, der Eid verpflichtet zur Treue gegen König und Vaterland! (Bravo! rechts.) Und der Arbeiter unterschreibt den Arbeitspertrag; in dem ist aus— gesprochen, daß der Staatseisenbahnarbeiter sich an ordnungsfeindlichen Bestrebungen nicht beteiligen darf.

Meine Herren, nun fragt es sich: ist die Sozialdemokratie eine ordnungsfeindliche Bestrebung? Da will ich mich auf weitere Aus—= führungen hier auch nicht einlassen; wir brauchen doch nur die Ver— handlungen vom Dresdener Parteitag zu lesen, über den ich mich ge— freut habe, weil er Licht und Klarheit geschaffen hat über die wahren Ziele der Sozialdemokratie und über die Lage, in der sich die bürger lichen Parteien befinden; wir brauchen nur zu lesen, was täglich im Vorwärts“ und anderen sozialdemokratischen Organen gebracht wird und wir brauchen nur zu hören, was drüben im Reichstage täglich geredet wird. (Sehr richtig! rechts) Meine Herren, damit ist mein Beweis erbracht, daß die Sozialdemokratie vom Standpunkte unserer heutigen Staatsorganisation eine ordnungsfeindliche Partei ist. (Sehr richtig! rechts) Auf Grund dieser Tatsache muß ich es als preußischer Staats⸗ minister für selbstverständlich erklären, daß ein Beamter und ein Arbeiter, der diese ordnungsfeindliche Partei unterstützt, der also Beiträge für die Partei zahlt, die die heute bestehende Staatsorganisation unter— graben und beseitigen will, bei der Eisenbahnverwaltung nicht Dienst finden kann und, wenn er im Dienst sich befindet, entlassen werden muß. (Sehr richtig! und Bravo! rechts)

Ich habe infolgedessen zu meinem größten Bedauern, wie ich es

schon früher im Herrenhause mitgeteilt habe, zunächst 21 Arbeiter entlassen müssen, und späterhin trat ein neuer Fall ein, der mir auch wieder sebr bedauerlich war; aber ich mußte wiederum ein— greifen. Ein Delegierter der Sozialdemokratie ich nenne ihn als solchen, weil ich hier den Beweis in den Händen habe, daß er die Delegiertenmarlen in sein Werkschaftsbuch eingeklebt hat, die Marken sind ausdrücklich als Delegiertenmarken bezeichnet be⸗ fand sich auf einem Eisenbahngüterboden in Altona bei dem Geschäft, den Satz: „Eigentum ist Diebstahl“ ins Praktische zu übersetzen. (Hört, hört! rechts) Der Güterboden mußte beobachtet werden, weil seit längerer Zeit Beraubungen von Eisenbahngütern dort stattfanden. Man war so glücklich, diesen Mann abzufassen, als er ein Wurstkollo beraubte, und man fand, wie der Herr Vorredner richtig gesagt hat, als er die Flucht ergriff, in einem zurückgelassenen Kleidungsstück ein Notijbuch, in dem 27 Genossen mit den Beiträgen aufgeführt standen, die sie zum sozialdemokratischen Verband gezahlt hatten. Da hat nun der Eisenbahndirektionspräsident, meiner Weisung entsprechend, den Leuten auf 14 Tage ihren Lohn gezahlt und sie entfernt. (Bravo! rechts) Meiner Ansicht nach hat er durchaus recht gehandelt. Die armen Leute tun mir leid; aber ich habe genugsam von dieser und von jeder Stelle aus, wo ich hierzu Gelegenheit hatte, gesagt: ich dulde es nicht, daß einer bei den Sozialdemokraten sich tätig erweist; er muß entfernt werden. Würde ich die Entlassung verfügt haben, ohne daß die Leute vorher gewarnt wären, dann würde der Herr Vorredner recht haben, daß ich zu hart gewesen wäre. Da sie aber von der Eisenbahnverwaltung wiederholt auf das Verbot auf⸗ merksam gemacht sind, so trifft die Schuld der Entlassung die Ver⸗ führer. Sie haben die Entlassenen selbst als Verführte bezeichnet, Derr Abg. Goldschmidt weil die armen Leute dazu gebracht wurden, daß sie der sozialdemokratischen Partei beigetreten sind. (Bravo! rechts) Die Schuld fällt also nicht auf mich. Ich habe, wie gesagt, Mitleid mit den Leuten, aber ich mußte sie entlassen; denn der Eisen⸗ bahner muß wissen, woran er ist. Er verlangt von mir, daß ich die Arbeitswilligen schütze, und die Arbeitswilligen sind die guten Be⸗ amten und Arbeiter, von denen der Herr Abg. Goldschmidt ge⸗ sprochen hat.

Wenn ich gestern das Lokomotivpersonal wegen der bewiesenen Treue erwähnt habe, so bestätige ich gern, daß im großen und ganzen bis auf wenige Ausnahmen die sämtlichen Eisenbahner, in welcher

Zweite Beilage

um Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

Ber lin, Donnerstag, den 10. März

1904.

der sozialdemokratischen Partei fernstehen. (Bravo! rechts) Aber gerade wegen dieser guten Gesinnung muß ich die Eisenbahner schützen. (Sehr richtig! rechts.) Sie werden brotlos, wenn ich sie nicht schütze. Warum läßt die sozialdemokratische Partei die Eisen⸗ bahnarbeiter nicht in Frieden? Sie läßt sie nicht in Frieden, weil sie die Macht über sie haben will, um diese bei sich darbietender Ge⸗ legenheit auszuüben. Nun hat man mir im vorigen Jahre an dieser Stelle vor— gehalten: warum duldet der Minister keine Koalition? Koalition sei doch Ordnung, und wenn sich die Arbeiter geordnet hätten, so sei besser mit ihnen zu verhandeln, als wenn sie ungeordnet seien und jeder seinen eigenen Willen habe. Meine Herren, auf diese Taktik verstehe ich mich nicht. Ich habe noch im Generalstab unter dem alten Moltke gelernt, und der verstand unter Aufmarsch auch Ordnung, war aber der Meinung, daß man in den Aufmarsch hineinstößt, bevor der Feind geordnet ist. (Bravo! rechts) Und daß hier ein Feind vorhanden ist, daß hier ein schwerer Kampf besteht, darüber kann kein Zweifel sein. Also die Taktik, die ich gelernt habe, sagt: man stößt in den Feind hinein, ehe er sich geordnet hat, ehe er stark geworden ist. (Sehr gut! Bravo! rechts.) Meine Herren, ich habe gesagt: die Sozialdemokratie will die Macht haben, um sie zu geeigneter Zeit ausüben zu können. Ja, die Führer rufen den Sozialdemokraten zu: Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“; und das wissen sie ganz genau, daß das bei der Eisenbahn leicht durchzuführen ist. Vor mir liegen von den letzten Tagen drei Zeitungsausschnitte; der eine ist aus Budapest, und zwei andere sind aus Buenos Aires und Rosario. Da ist ausgesprochen: wenn jetzt nicht bald das bewilligt wird, was von den Eisenbahnern verlangt wird, so wird ein Eisenbahnerstreik ausbrechen. Meine Herren, wie denkt denn der sozialdemokratische Führer selbst darüber? Der Abg. Legien sagt in seiner Reichstagsrede vom 30. Januar d. J., wo auch von dem sogenannten Koalitionsrecht die Rede war: . Glauben Sie, daß, wenn die Eisenbahnarbeiter organisiert sind, es zu einem Eisenbahnstreik kommen würde? Oh nein! Wenn es zu einem solchen Streik kommt, die Unmöglichkeit ist ja nicht gegeben liegt es zweifellos nicht an den Arbeitern. Und was wäre es schade, wenn einmal ein paar Stunden der Eisenbahnbetrieb still steht! Das würde tatsächlich nicht viel ausmachen. Wir haben diese Dinge gesehen in der Schweiz, in Italien. Die organisierten Arbeiter haben die Arbeit eingestellt, und meistenteils nach wenigen Stunden waren die Differenzpunkte ausgeglichen und der Betrieb wieder in vollem Gange. Aber diese Gefahr liegt gar nicht vor. Wenn es dazu kommen sollte, so trifft die Schuld zweifellos nicht die Arbeiter; die Schuld trifft die Arbeitgeber, die Verwaltung, die es nicht versteht, mit den Arbeitern in angemessener Weise über die Differenzpunkte sich zu verständigen.“

Meine Herren, welche Leichtfertigkeit in diesen Ausführungen liegt,

brauche ich wohl nicht erst auszuführen. (Sehr richtig! rechts.)

Wie die sozialdemokratischen Führer das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer grundsätzlich auffassen, geht aus den

letzten Worten hervor, in denen er sagt: die Arbeiter tragen nicht die Schuld an Meinungsverschiedenheiten, sondern stets die Ver— waltung. Ich habe bis jetzt immer gehört, daß man in jedem Streite in der Regel sagt: audiatur et altera pars! und daß das Recht meist auf der Mittellinie zu suchen ist. Aber hier wird direkt gesagt: die Verwaltung trägt in je dem Falle die Schuld.

Meine Herren, was entsteht nun bei einem Eisenbahnstreik? Ich möchte es nicht ausmalen, was entsteht, wenn hier in Berlin die Eisenbahnen einen halben Tag still stehen. Die Versorgung der großen Stadt ebenso trifft dies bei anderen großen Städten zu ist gar nicht möglich; die Städte verhungern; die ganze Arbeits- tätigkeit steht still, das ganze Erwerbsleben steht still. Deshalb habe ich in der Rede des Herrn Vorredners namentlich einen Gesichtspunkt vermißt; das ist die Pflicht des Eisenbahners, für den öffentlichen Verkehr, für die Gesamtheit des Staates zu sorgen. Meine Herren, wer als Beamter oder als Arbeiter in den Eisenbahndienst tritt, übernimmt die heilige Pflicht, seine persönlichen Wünsche zurück— zustellen hinter das Gesamtwohl des Staates bis zu einem gewissen Grade. Wer das nicht will, der soll nicht Eisenbahner werden. Ich darf wohl erwähnen, daß für die 7 Arbeiter, die in Darmstadt ent⸗ lassen werden mußten, weil sie von einem sozialdemokratischen Agi⸗ tator verführt waren, sich 70 Ersatzleute meldeten; in Bromberg wurden 8 Arbeiter entlassen, während im Laufe des Jahres 1000 Arbeiter um Annahme gebeten haben (Hört, hört! rechts) Meine Herren, soll denn die Verwaltung die Arbeitswilligen mit staatstreuer Gesinnung, die um Arbeit bitten, abweisen, um Sozialdemokraten, die genug gewarnt sind, in der Arbeit zu behalten! (Sehr richtig! rechts) Das wäre doch unverständig, das wäre pflichtwidrig.

Daß übrigens auch bei der Staatseisenbahnverwaltung tatsãchl ich gar kein rigoroses System besteht, das kann ich Ihnen durch eine Statistik beweisen, aus der der Herr Vorredner auch ersehen wird, daß allerdings einer großen Anzahl von alten Arbeitern Prämien zufallen. Unter den 0 000 Werkstättenarbeitern, die in der preußischen Staatseisenbahn⸗ verwaltung beschäftigt werden, sind 59 o älter als 30 Jahre,

35 9iso älter als 40, 160, alter als 50, 5 o alter als 60 und lÜoso älter als 70 Jahre, ein Zeichen, daß auch die alten Arbeiter

behalten werden, soweit sie noch irgend eine Verrichtung tun

können. Ununterbrochen waren beschäftigt von den Arbeitern

o9oso langer als 5 Jahre, 42 länger als 10 Jahre, 19 90 länger

als 20 Jahre, 12 σ. länger als 265 Jahre, 5 o länger

als 30 Jahre, 10,0 länger als 40 Jahre. Die Beschãftigungs⸗

dauer der Werkstättenarbeiter wird, nach der Erfahrung des letzten

Jahres zu urteilen, durch einen jährlichen Abgang von etwa 15 0 beeinträchtigt. Von diesen 15 bleiben aber im Dienst der Staats⸗ eisenbahnverwaltung 9 oo, in denen sich ihre Verhältnisse verbessern, indem sie in Beamtenstellungen übertreten; weitere 3 0 scheiden aus, um ihrer Militärdienstzeit zu genügen, oder durch Invalidität und Tod.

Stellung sie sein mögen, eine gute staattztreue Gesinnung haben und

Es bleiben also nur noch 3 0½, die aus irgend einer anderen Ursache

ausscheiden. Meine Herren, das ist doch ein Zeichen dafür, daß der Geist unter den Arbeitern sehr gut ist und daß die Behandlung der Arbeiter human sein muß; denn sonst blieben die Leute nicht so lange. Unter den Werkstättenarbeitern befinden sich 7000, das sind 14 0, die Söhne oder Enkel der schon vorhandenen Arbeiter sind, und unter den 2590 Lehrlingen sind 620, aus den Familien der Eisenbahner hervorgegangen.

Ich komme nun auf die Bestrebungen der Sozialdemokratie zurück. Ich hatte Ihnen nur die Gefahren angedeutet, die für den Frieden entstehen. Die Gefahren sind aber viel größer, wenn einmal ein Krieg ausbrechen sollte. Die Eisenbahnen sind das wert⸗ vollste Kriegsmittel, das wir haben (lebhaftes sehr richtig! rechts), um die Armee aufmarschieren zu lassen, um schlagfertig an der Grenze zu stehen, wenn es gilt, das Land zu verteidigen. rechts) Meine Herren, es sind bereits Verbindungen angeknüpft von ö. Seʒialdemokraten ũber die Grenzen hinaus, um internationale Verbände zu schließen, um im gegebenen Falle wieder zu komman— dieren: die Räder stehen still! (Lebhaftes hört, hört!“ rechts. Es ist deshalb eine unbedingte Pflicht für mich, daß ich das Land vor einer derartigen Katastrophe schütze. (Lebhaftes Bravo! rechts.)

Wie leichtfertig aber auch sonst über einen Eisenbahnerstreit geurteilt wird, und wie schwer die Folgen sind,

Notiz aus dem Vorwärts“ zeigen, die se

(Lebhaftes Bravo!

möge Ihnen i mir am 19. Februar in Hände fiel. Da heiß Für die Opfer des Jahres

olländischen Generalstreiks im April vorigen wurde dieser Tage von komitee mit Erlaubnis kollekte abgehalten. Am 31.

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dem Amsterdamer Unterstützungs—⸗ des Bürgermeisters wiederum eine Haupt— Dezember 1903 waren noch 3 Gemaßregelte, davon 145 Eisenbahnarbeiter und 43 Gemeinde⸗ arbeiter, zu unterstützen. Seitdem hat das Verhältnis de Unterstützenden nicht wesentlich abgenommen. Die Untersti sätze sind sehr niedrig. Verheiratete erhalten 76 Cent

für jedes Kind 5 Cent bis zum Maximum von 40 Cent:;

können höchstens 3,966 Gulden pro Woche erhalten. Meine Herren, noch nicht 7 für die Woche! Das ist das Resultat eines frivol vom Zaune gebrochenen Streiks in Holland und das wird hun als eine Glanzleistung von der Sozialdemokratie bezeichnet, auch in ihrem historischen Kalender. Und die armen Arbeiter, die damals verführt worden sind es handelte sich noch nicht einmal um einen Streit zwischen den Eisenbahnern und ihrer Verwaltung, sondern es handelte sich lediglich um ein Einspringen der Eisenbahnarbeiter für die Hafenarbeiter die armen Eisenbahner müssen darunter leiden, daß sie den Verführern folgten. Deshalb habe ich wohl recht, daß ich die gut gesinnten Eisenbahner davor schütze, daß die sozialdemokratischen Agitatoren sie nicht verführen und ins Unglück bringen; denn in dem Moment, wo die Staatseisenbahn= verwaltung den geordneten Betrieb und Verkehr nicht aufrecht— erhalten kann, in dem Moment, wo das wirtschaftliche Leben gestört wird, leiden alle Schaden: die Arbeiter, die Beamten und das gesamte Erwerbsleben! Im vorigen Jahre drohte ein Streik auszubrechen ich glaube, er war sogar ausgebrochen in Bremerhaven bei Entladung von Baumwollschiffen. Da bekam ich aus den verschiedensten Teilen des Landes telegraphische Bitten, ich möchte mit Eisenbahnarbeitern einspringen, um die Schiffe zu ent— lasten, da, wenn die Baumwolle nicht bald die Fabriken erreichte, diese still gelegt werden würden, wodurch Tausende von Arbeitern brotlos würden. Das bedeutet ein Arbeiterstreik, und ich möchte dringend bitten, daß die bürgerlichen Parteien sich klar machen, welche

U

Schädigungen ihnen durch diese sozialdemokratische Agitation gebracht

werden.

Aber noch etwas anderes mögen die bürgerlichen Parteien be—= denken: Wenn bei jeder Gelegenheit der Regierung gesagt wird, wenn dies und jenes nicht geschieht, wenn nicht die gewünschte Eisenbahn gebaut wird, wenn nicht die ausgesprochenen Verkehrswünsche erfüllt werden, gehen die Wähler zur Sozialdemokratie über meine Herren, die⸗ jenigen bürgerlichen Parteien, und diejenigen Bürger, die hiermit drohen, tun ein großes Unrecht. (Sehr richtig! rechts) Denn wenn den Wählern das ein paarmal gesagt wird, dann können sie sagen: unser Abgeordneter hat es uns ja selbst gesagt, daß wir das Recht hätten, Sozialdemokraten zu werden, wenn unsere Wünsche nicht erfüllt werden. Nun werden sie nicht erfüllt, ergo dürfen oder müssen wir Sozialdemokraten werden. Wenn die bürgerlichen Parteien nicht wissen, daß sie dann den Ast absägen, auf dem sie sitzen, daß sie sich selbst schädigen, dann sind sie wert, daß sie zu Grunde gehen. (Lachen bei den Freisinnigen.)

Nun wird von verschiedenen Seiten behauptet, ich schaffte neue Sozialdemokraten dadurch, daß ich die Verführten entließe. Ich bin anderer Ansicht; wenn das der Fall wäre, so wären ihnen die Entlassungen der Genossen nicht so unangenehm, wie es tatsächlich der Fall ist. Sie lieben die Belastung ihrer Kassen nicht; sie müssen aber, um keinen Mißerfolg zu haben, den Verführten Unterstützung gewähren. Ich muß aber die Entlassungen auch deshalb ausführen, weil die Agitatoren ständig mit Unwahrheiten, falschen Beschuldigungen, mit böhnischen Auslassungen über die Verfügungen der Behörden vorgehen, und wenn die Eisenbahner nicht sehen, daß mit fester Hand eingegriffen wird, so müssen sie zu dem Schluß kommen, daß ich nichts gegen diese Ver— hetzungen zu sagen hätte. (Sehr richtig! rechts)

Was der Herr Vorredner über den Casseler Eisenbabnerverband gesagt hat, stimmt teilweise mit dem überein, was der Vorwärts‘ hierüber brachte (hört, hört! rechts): Nach dem „Vorwärts“ handele es sich bei dem Verbande kaum um die Lösung wirtschaftlicher Fragen, sondern er wäre lediglich ein Verband, wie höhnisch betont wird, um das gute Einvernehmen zwischen den Beamten und niedrigsten Arbeitern festzulegen. Demgegenüber bemerke ich, daß der Eisenbahnerverband den Zusammenschluß von Vereinen be⸗ deutet, die innerhalb von 10 Jahren in den einzelnen Direktions. bezirken auf Wunsch der Arbeiter und Beamten gebildet wurden. Die Vereine umfassen nicht nur die Arbeiter, sondern auch die Beamten, und die Eisenbahner haben sich nun den Verband gegründet, um für