und Maßregelungen ausgesetzt. (Redner führt einzelne Fälle, die diese Behauptung beweisen sollen, an) Man follte es nicht fur möglich halten, daß Kaiserliche Beamte Arbeiter zur Läge und zum Betrug verleiten; gegen den Korvettenkapitän Simon muß man aber in dem Falle des Werftarbeiters Gebauer auf der Danziger Werft diesen Vorwurf erheben. Jeder andere wäre, wenn er sich solcher Hand⸗ lungen schuldig gemacht hätte wie dieser Beamte, unter Anklage ge— siellt worden. Bie Kaiserliche Werft in Danzig steht ganz unter der Oberaufsicht der Polizei. Auch für diese Werft sollte doch das Kaiser— siche Wort von der Musteranstalt gelten. Aber die Spitzelei auf der Werft muß schließlich jeden Funken sittlichen Gefühls in den Werftarbeitern ersticken. Von der liebenswürdigen Behandlung der Arbeiter durch die Obermeister dort läßt sich auch ein Lied singen. Einer dieser Dbermeifter hat sich als Prügelheld bewährt er nahm einen fünfzig⸗ jährigen Arbeiter bei den Ohren wie einen Schuljungen, sodaß dieser ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen mußte. Als ihn die Krankenkasse für die Kosten regreßpflichtig machte, zahlte er anstandélos und ließ es nicht erst auf einen Prozeß ankommen. Leider hat sich der geprügelte Arbeiter durch ein Schmerzensgeld bewegen lassen, den gestellten Straf⸗˖ antrag wieder zurückzuziehen. Dieser Prügelobermeister übt heute noch sein Prügelrecht auf der Werft aus. Der Mann gehört ebensowenig auf die Danziger Werft wie der Korvettenkapitän Simon, der die Arbeiter zu Gesinnungslumpen erzieben will.
Kommissar des Bundesrats, Geheimer Admiralitätsrat Harms: Die Bemängelungen der Lohntabelle durch den Abg. Zabeil richten sich gegen die Durchschnittsangaben. eberstunden und Sonntagsverdienste mit einzurechnen gewesen. Die Ücberstunden und Sonntagsarbeit sind immer weiter vermindert worden, und die Verwaltung ist mit dieser Maßnahme an die äußerst mög⸗ liche Grenze gegangen. In Danzig werden niedrigere Löhne als in Kiel und Wilhelmshaven gezahlt, weil die Lohnverhältnisse im Osten im ganzen niedriger stehen als im Westen, weil das Durchschnitts⸗ dienstalter in Danzig geringer ist, und Qualitätsreparaturarbeiten seltener vorkommen. Die Danziger Lohnverhältnisse nähern sich aber allmählich den allgemeinen, und diese Bewegung ist im Fortschreiten begriffen. Der Erlaß einer Werftdirektion be⸗ züglich der Prämien für Afkordarbeiten ift zu Unrecht angegriffen worden. Daß die Arbeiter nicht zufrieden sind mit der Verteilung
verdient, wie diejenigen, die eine solche erhalten häben, glaube ich gern; daran werden wir aber nichts ändern können. Von Gesinnungs— riecherei kann keine Rede sein; wir bekümmern uns nicht um die Ge⸗ sinnung der Arbeiter; nur dürfen die Arbeiter, die wir einstellen, keine sozialdemokratischen Aagitatoren noch Leute sein, von denen an⸗ genommen werden müßte, sie würden den Frieden auf den Werften stören. Den Fall Gebauer anlangend, so weiß das Reichsmarineamt pon diesem nichts. Wenn Kündigungen vorgenommen werzen müssen, weil wir kein Geld mehr haben, oder der Reichstag es nicht bewilligt hat, so kommen zunächst die jüngeren, Arbeiter heran. So weit⸗ gehende Kündigungen, auch älterer Arbeiter, wie behauptet worden, sind nicht erfolgt. Uebrigengz hat uns der Vorredner mit seinen Freunden noch nicht die geforderten Mittel bewilligt, und ich muß mich wundern, daß diese Ausftellung gerade von seiner Seite erfolgt.
Abg. Mommsen (fr. Volksp): Ich habe schon gestern das Mißverhältnis zwischen den Löhnen auf den drei Kaiserlichen Werften hervorgehoben. Ich hoffe, daß mit dem festgestellten geringen Fort⸗ schreiten der Löhne in Danzig' die gute Absicht der Verwaltung, die Danziger Arbeiter besser zu bezahlen, noch nicht ihr Ende erreicht hat. Das Material, das Herr Zubeil vorgetragen hat, stand mir zum größten Teil auch zur Verfügung; ich habe es auch in einer Konferenz mit Arbeitern in Danzig, allerdings nicht in öffentlicher Versammlung, wie Herr Zubeil, dort in voriger oche erörtert. Es eignet sich aber nicht zur Verhandlung im Reichstage. Wäre alles
zutreffend, so würde gewiß der Staakssekretär der erste sein, der Ordnung schaffte; aber die Tatsachen sind noch nicht authentisch fest⸗ gestellt. Ist das geschehen, so darf man vertrauen, daß die Ver⸗ waltung einschreitet. Der neue Akkordtarif der Danziger Weift hat sehr viel mehr Arbeiter als früher in den Genuß von Akkordlöhnen treten lassen, und der einzelne Mann verdient jetzt sehr viel mehr als früher; 70 6 aller Arbeiter arbeiten in Danzig in Akkordlöhnen, in Wilhelmshaven nur 30 0
Abg. Legien (Soz): Die Akkordsätze für eine und dieselbe Arbeit sind in Danzig 20 — 35 60 niedriger als in Wilhelmshaven and Kiel. Wenn man? das verteidigt, beurteilt man die Sache ganz falsch. Auch in Kiel hat man im letzten Jahre versucht, die Akkord. saätze herunterzubringen. Herr Mommsen vertritt die Interessen der Danziger Akkordarbeiter nicht, wie er es müßte, wenn er es richtig sindet, daß die dortigen Arbeiter weniger bekommen als die in Wilhelmshaven und Kiel. In Danzig besteht zweifellos das Schmarotzer und Denunziantenfystem, wie es der Abg Zubeil vorher geschilderr hat. Ich muß bestreiten, daß die Reichstagstribüne nicht der richtige Ort wäce, Ihnen einzelne Fragen vorzubringen. Durch die öffentliche Kritik des einzelnen Falles foll ermöglicht werden, daß künftig Jolche Dinge vermieden werden. Die Verwaltung hat es ja in der Hand, sich darüber Gewißheit zu verschaffen. und bei gutem Willen wäre es eine Kleinigkeit, solchen Vorkommnissen vorzubeugen. Merkwürdig ist, daß die Kündigungen regelmäßig sich wiederholen, wenn der Reichstag bevorsteht. Das kann nur den Zweck haben, einen Druck auszuüben, ja keine Abstreichung des Etats vorzunehmen. Das sst eine keineswegs lobenswerte, Handlung. Der Regierungs⸗ vertreter wunderte sich, daß wir diese Dinge kritisierten, ohne die Mittel für den Marineetat zu bewilligen.
In diese sind natürlich auch die
ist etwas schöner zu machen?
gestellt, die er durch nichts bewiesen hat. Was zunächst die Denk⸗ schrift anbetrifft, die von einem Angestellten des Metallarbeiter⸗ verbandes verfaßt worden ist, so habe ich allerdings einen ganz anderen Eindruck gehabt als der Herr Abg. Legien. Ich finde, wenn man eine große Enquete durch einen Angestellten macht und 15 000 Menschen befragt, und es kommt nicht mehr heraus als das, da habe ich un— willkürlich den Eindruck gehabt: na, da muß es doch bei uns ganz gut sein. (;urufe bei den Sozialdemokraten) Und wenn man, wie es hier geschehen ist, an 7000 Arbeiter einen Fragebogen richtet und fragt: was habt Ihr für Beschwerden? habt Ihr etwas auszusetzen? und es antworten von den 7000 nur 300, so, glaube ich, ist das ein Zeichen für das gute Verhältnis, das wenigstens bisher zwischen der Marineverwaltung und ihren
Arbeitern bestand, wie es besser überhaupt nicht gedacht werden kann.
(Sehr richtig! rechts)
Meine Herren, was die Kommunikation zwischen Kiel und Baarden betrifft, so liegen allerdings die Verhältnisse ungünstig, und zweifellos hat die Marineverwaltung ein außerordentliches Interesse daran, auch mit Rücksicht auf ihre Arheiter und ihr ganzes Personal, welches in Gaarden stationiert ist, diese Verhältnisse zu bessern. Es finden auch über Brücken, Fähren und mehrere andere derartige
Projekte Verhandlungen statt zwischen den Vertretern der beteiligten
Behörden und der Stadt; die sind aber noch nicht so weit vorge— schritten, daß ich es für richtig und angezeigt erachten könnte, hier näher darauf einzugehen.
Bezüglich der Bestimmung des 8 616 des Bürgerlichen Gesetz⸗ buchs kann ich nur nochmals sagen, daß die Werften den strikten Befehl bekommen haben, danach zu verfabren. Ich muß also von vornherein annehmen, daß der Befehl befolgt worden ist; ich muß es ablehnen, anzunehmen, daß die Werften meinen strikten Befehl nicht
42 a. ; * ö ? s lung f haben. S irgendwie bei on Bezah Miß ker Summe, daß einige vermeinen, sie hätten ebensogut eine Prämie befolgt haben. Sollten irgendwie bei den Bezahlungen noch Miß
verständnisse der betreffenden Beamten untergelaufen sein, so würden selbstverständlich die Arbeiter das nachgezahlt erhalten, das ist ganz
selbstverständlich; denn bisher werden die Befehle eines Vorgesetzten
bei uns immer noch befolgt.
Nun, meine Herren, hat der Herr Abg. Legien die Behauptung
aufgestellt, daß die Arbeiter sich nicht beschweren dürften, und auf diese Weise ein vollständiges Schmarotzersystem erzeugt wird. Er hat diese Behauptung durch nichts begründet, und tatsächlich muß ich dem
direkt widerstreiten.
Das ist nicht richtiz und entspricht nicht dem tatsächlichen Verhältnis zwischen den Arbeitern und uns. Außerdem ist in der Arbeitsordnung eine ganz bestimmte Vorschrift darüber, durch welche diese Frage der Beschwerde geregelt ist. Sie werden mir er— lauben, diesen Paragraphen vorzulesen. Es heißt hier:
Wünsche und Beschwerden in allen seinen Dienst betreffenden Angelegenheiten hat der Arbeiter bei seinem nächsten Vorgesetzten mündlich oder schriftlich anzubringen. Wer sich bei dem Bescheide des ersten entscheidenden Vorgesetzten nicht begnügt, ist berechtigt, sich an den nächsthöheren Vorgesetzten bis zum Leiter der Behörde hinauf zu wenden.
Meine Herren, ich glaube, daß es genügend bekannt ist, daß eine gerechte Beschwerde, wenn sie bis an mich gelangt, auf das genaueste untersucht wird und Abhilfe geschaffen wird, und ich glaube auch, daß im großen Ganzen die Arbeiter unserer Werften das entsprechende Zutrauen zu mir und zu der Verwaltung der Marine im allgemeinen haben. Meine Herren, die ganze Bemühung des Herrn Abg. Legien, hier einen Zustand auf unseren Werften zu kon— struieren, der ja horrend ist, aber der den Tatsachen auf das direkteste widerspricht, wird ja widerlegt durch den ungeheueren Zudrang, den wir baben. Wir bedauern ja, nicht mehr Arbeiter annehmen zu können, als uns nach den Mitteln möglich ist. Dieser ungeheuere Andrang wäre bei schlechten Verhältnissen doch nicht vorhanden und ist doch der positivste Beweis gegen die ganzen Behauptungen des Herrn Abg. Legien ssehr richtig! rechts); einen besseren Beweis kann man doch überhaupt nicht geben.
Auf die Details der Lohnfragen wird der Herr Geheime Rat Harms noch näher eingehen.
Kommissar des Bundesrats, Geheimer Admiralitätsrat Harms
bestreitet in ausfübrlichen Darlegungen die Richtigkeit der Schilderungen ö 1
des Abg. Legien. Das Denunziantenspstem bestebe nicht in dem Umfange, wie der Abg Legien behauptet habe, und durch Ueberstundenarbeit allein
ließen sich die Arbeiten auf den Werften nicht bewältigen. Es müßten
in der sogenannten Eispeciode, von Mitte Dezember bis 1. März etwa 8 s 3 De,
Wir bewilligen diese Heeres und
Marineforderungen nicht, weil, wir darin kulturwidrige Maßnahmen sehen, und weil die Mittel für diese Zwecke aus den Zöllen und in⸗
birekten Steuern genommen werden, die nicht die besitzenden Klassen, sondern die Arbeiter vorwiegend zu tragen haben. Solange Sie diese Blutsteuer aufrecht erhalten, . und Aermften auch nur einen Pfennig für Heer und Marine eisten. und Marsneverwaltung haben, als, ihre Beschwerden mit Entlassung beantwortet werden. Redner kritisiert dann die Lohnverhältnisse auf ter Kieler Werft. Die Lage der Arbeiter Kiels sei jetzt wesentlich ungünstiger als vor einem Jahrzent. Schmarotzertum groß. Diejenigen Arbeiter, die auf ihre Menschen⸗ würde halten, erhielten nicht Akkordarbeit und müßten sich mit dem niedrigen Lohn begnügen. Man sollte die große Zahl der Lohnklassen aufheben und ausreichende Löhne einfübren. Er nenne die Namen pon Meistern, die sich hätten bestechen lassen, um Arbeitern die beste Aftfordarbeit zuzuweifen, nicht, in der Hoffnung, daß der Hinweis darauf allein genügen werde, hier Wandel zu schaffen. Die Ver⸗ waltung fuche in ihrem Spareifer die Löhne ständig herabzudrücken. Wenn smnan an richtiger Stelle sparte, könnte man die Löhne erhöhen. So seien auf mehreren Kreuzern Konstruktionsfehler gemacht worden, deren Abstellung große Kosten verursacht habe. Die Verwaltung stelle eben nicht nach der Befähigung, sondern nach Gunst die Arbeiter an. Seit einem Jahrjehnt habe er, Redner, die Verwaltung gebeten, daß auf der Kieler Werft die Mittagszeit von 1 auf 2 Stunden erhöht werde, leider vergeblich. Es wäre wirklich an der Zeit, diese be⸗ rechtigten Wünsche zu erfüllen. Ferner bitte er den Staatssekretär, öffentlich bedingungslos zu erklären, daß kein Vorgesetzter auf den Werften das Recht habe, gegen Arbeiter etwas zu unternehmen, die sich einer gewerkschaftlichen Organisation anschließen.
Staatssekretär des Reichsmarineamts, Admiral von Tirpitz:
Meine Herren! Der Fall, daß die Marineverwaltung den Arbeitern Schwierigkeiten gemacht hat, ihren Berufevereinen nachzugehen, ist tat- sächlich nie akut geworden und an mich nicht herangetreten. Ich möchte aber noch dem Herrn Vorredner bemerken, daß diese Art, Mißtrauen zwischen der Verwaltung und unseren Arbeitern zu säen, gerade nicht sehr geeignet ift, das gute Verhältnis zwischen der Werft und ihren Arbeiten zu fördern. (Sehr richtig! bei den Nationalliberalen.) Der Herr Abg Legien hat hier eine Reihe von Behauptungen auf⸗
Staatsminister,
können Sie nicht verlangen, daß die
wo die Reparaturen an den Schiffen auszuführen seien, noch Hilfskräfte eingestellt werden, denen man aber ausdrücklich vorher sage, daß sie mir ihrer Entlassung im März rechnen müßten. Die Tarifierung der Akkordsätze für längere Zeit bringe es mit sich, daß die Sätze auch nicht erköht werden ißnnten. Das ganze Bestreben der Marine— verwaltung sei darauf gerichtet, daß die Leute mehr Lohn und weniger Arbeitszeit bekommen. Gegen die Arbeiter, die einmal einen Fehler
machten, sei die Behörde sehr nachsichtig. Die Frage der Verlängerung
Die Arbeiter müssen so lange Mißtrauen gegen die Werft⸗ worden.
hätte sich
Das Akkordsystem ziehe das
der Miltage vause auf der Kieler Werft sei wiederholt aufgeworfen Die Mehrheit der Arbeiter, die verschiedentlich befragt sei,
jedem a für die L stündige Pause ausgesprochen. Die Marinevérwaltung habe kein Interesse daran. Wollten die Arbeiter zwei Stunden Pause machen, so habe sie gar nichts dagegen.
Abg. Zubeil setzt sich nochmals mit dem Abg. Mommsen aus— einander; er rechne nicht auf Dank, sondern er stehe für die Interessen der Arbeiter pflichtgemäß ein.
Abg. Legien erklärt, er stelle fest, daß der Staatssekretär die von ihm Redner verlangte bedingungslose Erklärung, daß die Arbeiter in ihrem Anschluß an Gewerkschaften durch die Vorgesetzten nicht ge⸗ hindert würden, nicht abgegeben habe. Mit dem Beschwerderecht der Werftarbeiter sei es nach der Verlesung des Stagtssekretärs nicht um ein Haar besser bestellt wie mit demjenigen des Soldaten.
Damit schließt die Diskussion.
Die Kommissionsbeschlüsse werden mit knapper Mehrheit angenommen.
Die erste der beiden Resolutionen gelangt zur Annahme, die zweite wird mit großer Mehrheit abgelehnt.
Die Ausgabekapitel „Waffenwesen und Befestigung/, „Kaffen- und Rechnungswesen“, Küsten⸗ und Vermessungs— wesen , „Zentralverwaltung für das Schutzgebiet Kiautschoüu“ werden ohne Debatte nach hen Antrage der Budgetkommission bewilligt.
Es folgt das Extraordinarium.
Ohne Debatte werden gemäß den Kommisfionganträgen, als dritte und Schlußrate züm Ginbgu von Kühlanlagen für die Munitionsrãume' der Schiffe statt 2720 0090 MC nur 2 Millionen bewilligt.
Die geforderte erste Rate von 800 000 M zum Bau des Kanonenbootes O wird gestrichen. —
ür den Bau eines Ver e fun gsschiff⸗ werden statt 750 000 nur 000 M bewilligt.
Die vierte Rate von 11 Millionen zur Beschaffung von Munition, die dritte Rate von A /I Millionen zur artilleristischen Armierung des Linienschiffs Preußen“ und die dritte Rate von A, Millonen zur artilleristischen. Armierung des Linienschiffs „Hessen“ werden um je 1“ Million gekürzt. Von den ersten Raten von je 116 Millionen zur arlilleristischen Armierung der Linienschiffe ( und P werden je 500 00 M6 abgesetzt.
Zur artilleristischen Armierung des großen Kreuzers werden als erste Rate 1300 000 6, des kleinen Kreuzers N 100 000 6, des kleinen Kreuzers Ersatz „Alexandrine“ 400 009 und des kleinen Kreuzers Ersatz, Meteor“ ebenfalls 400 000 4 gefordert. Bewilligt werden nur ] Million und je 300 000 4
Die erste Rate von 160 009 6 zur artilleristischen Armierung des Kanonenboots 0 wird gestrichen.
Von den geforderten 300 000 66. zur artilleristischen Armierung eines Tenders für das Artillerieversuchs⸗ und Schulschiff wird nur die Hälfte als erste Rate bewilligt.
Zur Erweiterung des Bureaugebäudes für das Maschinen⸗ bauressort in Wilhelmshaven werden statt 136 900 ½ nur 100 060 M als erste Rate bewilligt.
Die erste Rate zum Bau eines Bootsmagazins ebendaselbfst einschließlich der inneren Einrichtung wird von 300 000 auf 130 6060 „ ů vermindert, die Forderung von 180 000 „ zum Bau einer Anlage zur Herstellung von destilliertem Kesselwasser für Torpedoboote gesirichen.
Zur Beschaffung von kleineren Betriebsfahrzeugen wird eine erste Rate von 100 000 46 (statt 200 000 46) bewilligt.
Die angeforderte erste Rate von 150 000 S6 zur Ver⸗ besserung des Kranmaterials der Werften wird um 50 000 ( gekürzt.
Die Forderung von 600 000 MS zur Beschaffung von Hand⸗ waffen, sowie zur Aenderung der zugehörigen Ausrüstung erfährt eine Verkürzung um die Hälfte.
Gestrichen wird ferner die Forderung von 47 500 e zum Neubau des Inventarienmagazins sowie der Versetzung des Krans einschließlich Verlegung der Gleise auf dem Artillerie⸗ depot in Geestemünde.
Als zweite Rate zum Bau eines Kasernements sür die zweite Torpedoabteilung werden statt 600 000 nur 500 000 M bewilligt.
Die Posten von 76 000 4 zum Neubau der Marine⸗ signalstelle Kiel-Düsternbrosk und von 30 000 M6 zum Neubau bes Dienstwohngebäudes für den Schiffsarzt des Marine⸗ lazaretts zu Yokohama werden gestrichen. Statt 25 000 werden nur 15 000 S zur Beschaffung von Instrumenten und Lehrmitteln für Vermessungszwecke bewilligt.
Gestrichen werden ferner 100 000 6 zur Beschaffung eines Peilbootes für Küstenbezirksämter und 30 000 M zum Bau eines Lagerschuppens in Kamerun.
Zu Versüchen der Flotte im Kohlennehmen auf See werden statt 200 000 6 nur 150 000 6 bewilligt, und an der Forderung zur Verstärkung der Kriegsbekleidungsvorrãte von 200 000 M 100 000 „6 abgesetzt.
Die Abstriche betragen im ganzen beim Extraordinarium
s ordentlichen Etats 6 690 400 46 ;
Im außerordentlichen Etat hat die Kommission im ganzen
Millionen abgesetzt. .
Zum Bau von drei großen Trockendocks auf der Werft zu Wilhelmshaven werden statt 31 / Millionen nur 1 800 000 6, zur Erweiterung der Werft in Wilhelmshaven als vierte Rate statt /. Millionen nur 3 Millionen, zur Erweiterung der Werft zu Kiel als vierte Rate statt 3 Millionen nur 700 000 M bewilligt und die zweite Rate zum Ausbau der Werft zu Danzig einschließlich Grunderwerb von 900 000 auf 650 900 c herabgesetzt.
Abg. Mom msen kommt bezüglich des zuletzt angeführten Abstrichs auf die Acußerungen des Berichterstatters Abg. Freiherrn von Thũne feld in voriger Sitzung zurück. Dieser habe die Kommijsion gegen die Kritik zu verteidigen versucht, die er, Redner, an dem Zustandekommen der Abstriche geübt habe. Damit habe er als Berichterstatter seine Besugnisse überschritten. Diese im übrigen sehr dankenswerte Be⸗ lehrung hätte er nur als Abgeordneter geben dürfen.
Präsident Graf von Ballestrem: Zu beurteilen, ob der Be—⸗
richterstatter feine Befugnisse überschreitet, ist lediglich meine Sache. Ich muß dem Berichterstatter durchaus beipflichten. Auf eine Erwiderung des Abg. Mommsen erklärt der Präsident: Ich glaube sehr gerne, daß es der Abg. Mommsen viel besser machen würde, wenn er den Präsidentenstuhl einnehme; aber so lange ich an dieser Stelle ftehe, muß es bei meiner Ent⸗ scheidung verbleiben.
Abg. Gamp (Rp.): Wir können nur dankbar die Leistungen des Referenten für den Marineetat anerkennen, und auch der Abg. Mommsen könnte ihm dafür dankbar sein und ebenso für die Belehrung, denn er brauchte sie.
Abg. von Böhlendorff-Kölpin (d kons. ) Es ist eine Ver legung der Artillerieschulschiffe von der Kieler Föhrde nach Sonder⸗ burg in Aussicht genommen. In Swinemünde hatte man sehr stark gehofft, bei dieser Verlegung bedacht zu werden. Ich bitte die . vorkommenden Falls Swinemünde später nicht zu übergehen.
Staate sekretär des Admiral von Tirpitz:
Meine Herren! Von seiten der Marineverwaltung und von meiner Seite persönlich sind immer noch lebhafte Sympathien aut der preußischen Zeit der Marine gerade für Swinemünde vorhanden, und sie haben sich durch die zahlreichen Besuche und Uebungen fort— gesetzt, die wir von Swinemünde aus gemacht haben.
Bei der speziellen Frage der Verlegung der Artillerieschiffe aber ist es leider nicht möglich gewesen — obgleich ich gerade diese Frage besonders studiert habe —, die Verlegung der Artillerieschulschiffe nach Swinemünde zu bewirken, weil die Seeverhältnisse dort nicht günstig sind. Wenn die Schiffe schießen und schlechtes Wetter auf⸗ kommt, was in Swinemünde leicht möglich ist, können sie die Scheiben und ihr Material und die Boote nicht genügend bergen; es ist zu gefährlich. Wir gehen eigens nach der Reede von Swine⸗ münde, wenn wir Seegangsübungen abhalten wollen. Das können wir aber für die Zwecke der Artillerieschulschiffe leider nicht ge⸗ brauchen, und daher mußte zu meinem Bedauern die Verlegung der Artillerieschiffe nicht nach Swinemünde, sondern nach Sonderburg stattfinden. Sollte sich aber im Laufe der weiteren Entwickelung der Marine ein Anlaß bieten, Swinemünde zu bedenken in der Art, wie der Herr Vorredner es gedacht hat, so wird es mir eine Freude sein darauf eingehen zu können. (Bravo! rechts und links. Heiterkeit.)
Abg. Dr. Arendt (Rp) gibt hierauf der Hoffnung. Ausdryck, daß ae Sympathie für Swinemünde bald praktische Betãtigung finden werde. Auch in weiteren Kreisen bestehe der Wunsch, Swine ⸗ münde in dieser Beziehung tunlichst zu fördern.
(Schluß in der Dritten Beilage)
Reichsmarineamts, Staatsminister,
—
(Schluß aus der Zweiten Beilage.)
Ueber die Petitionen wird nach den Kommissions⸗ anträgen beschlossen. Damit ist die Beratung des Marineetats erledigt.
Präsident Graf von Ballestrem schlägt vor, in einer neuen Sitzung um 5. Uhr die dritte Beratung des zweiten Nachtrags zum Gtät (Forderungen für Südwestafrika) abzuhalten.
Auf Anfrage des Abg. Dr. Sattler (nl. bestätigt der Präsident Graf von Ballestrem, daß er beabsichtige, nach Erledigung dieses Gegenstandes die Vertagung des Reichstages bis nach Ostern vorzu⸗ schlagen. Das sei ein öffentliches Geheimnis. .
Abg. Sr. Sattler: Ich möchte doch an dieser Stelle bervor⸗ heben, daß wir von dieser Absicht überrascht sind. Für uns ist dies abfolut kein öffentliches Geheimnis, sondern ein Geheimnis überhaupt. Erst gestern hörte ich davon und hielt diese Nachricht lediglich für ein Gerücht. Wir unserseits waren entschlossen und hatten unsere Dis⸗ positionen danach getroffen, noch drei Tage in der nächsten Woche ein- gehend zu verhandeln und die Etatsberatung, deren geringe Fortschritte vir sehr bedauern, möglichst zu fördern.
Präsident Graf von Ball est rem: Wenn ich in der Beratung jetzt nicht weiter fortfahren will, so habe ich dazu sehr triftige Gründe. Ich wollte erst noch die nächsten drei Wochentage Sitzungen abhalten, Fabe aber eingesehen, daß die Mifere der Beschlußunfähigkeit, die schon jetzt schwer auf dem Hause lastet, nach dem dazwischen liegenden Sonntag schrecklich werden wird, Der Präsident muß sich nach allen Seiten bin orientieren. Ich wiederhole, daß ich die allertriftigsten Gründe für meinen Vorschlag habe. ö
Abg. von Normann (d, kons.): Auch wir hätten gern noch einige Tage weiter verhandelt, haben aber von vornherein an⸗ genommen, daß es sich um einen wohlüberlegten Vorschlag des Herrn Präsidenten handelt, und es ist nicht unsere Gewohnheit, solchem Vor⸗ schlage zu widersprechen. ; .
Abg. Singer (So): Der Vorschlag des Präsidenten trifft aus rein fachlichen und praktischen Gründen heraus durchaus das Richtige, Ez unterliegt keinem Zweifel, daß am Montag kein beschlußfähiges Haus vorhanden sein würde, und es besteht also die hohe Wahrschein⸗ lichkeit, daß wir zwar am Montag noch beginnen könnten, aber dann doch nach Hause gehen müßten. . ;
Abg. Gamp: Ich muß dem widersprechen. Es ist nicht für alle Mitglieder des Hauses gleichgültig, ob sie vor oder nach Ostern, ob sie jetzt noch vor Ostern einige Tage länger sitzen, oder nach Ostern in der Sommerhitze hier sitzen müssen. Namentlich die Landwirte
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würden leber jetzt hier weiter sitzen. Die Verhandlungen sind auch nicht durch die geringe Präsenz verzögert, die Etats beratungen sind gerade in den letzten Tagen außerordentlich gefördert worden. Wenn aber nun der Präsident uns seinen Vorschlag gemacht hat, so kenne ich zwar seine Gründe nicht, aber ich billige sie. . . — Abg. Dr. Sattler erklärt, er bleibe dabei, daß seine Fraktion bis gestern bon dieser Absicht nichts erfahren habe. ; Abg. Schrader (fr. Vgg.) bezeugt, daß die Mehrheit im Hause schon seit einigen Tagen der Heinung sei, am Sonnabend werde ge— schlossen werden. Nach Ostern werde das Haus jedenfalls beschluß⸗ fähiger sein als jetzt Abg. Gröber (Zentr.): Auch die Nationalliberalen sind heute nicht volljählig hier und haben keine Veranlassung, anderen Parteien Vor⸗ wüärfe zu machen. Am Montag würde es lediglich von Herrn Singer und feinen Freunden abhängen, wann wir nach Hause gehen müßten. Präsident Graf von Ballestrem: Schon seit mehreren Tagen habe ich jedem, der mich fragte, gesagt, daß ich nach Erledigung des Marineetats die Vertagung porzuschlagen gedächte. . Abg. Dr. Sattler: Dann kann ich nur. bedauern, daß ich nicht gefragt habe. Ich stelle nochmals fest, daß weder mir noch einem meiner Freunde bis gestern etwas pon dieser Absicht bekannt war. Abg. Sin ger: Herr Gröber hatte nicht das Recht, uns zu unter⸗ stellen, daß wir am Montag die Beschlußunfähigkeit herbeiführen würden. Ich habe nur gesagt, was auch der Präsident gesagt hat. Wenn wir folche schwarzen Pläne hätten, wäre die dauernde Beschluß⸗ unfähigkeit des Hauses schon längst festgestellt worden.
Schluß 4 Uhr 35 Minuten.
63. Sitzung vom 19. März 1904, 5 Uhr.
Zur dritten Beratung stehen die beiden Gesetz entw ürfe, betreffend die Feststellung eines zweiten Nachtrags zum Reichshaushaltsetat und zum Etat für die Schutz— gebiete für 1903. .
Beide Etats werden im einzelnen und dann in der Ge⸗ samtabstimmung endgültig ohne Debatte gegen die Stimmen
der Sozialdemokraten angenommen. . Praͤsident Graf von Bällestrem beraumt die nächste Sitzung an auf Bienstag, den 12. April, Nachmittags 2 Uhr, mit der Tages⸗ ordnung: Erste Lesung der Münznovelle und Fortsetzung der Etats beratung (Etats des Reichskanzlers und der Reichskanzlei und des Auswärtigen Amts) und wänfcht den Mitgliedern des Hauses eine recht gute Erholung während der Osterpause und recht frohe Oster⸗
feiertage. . Schluß 5 Uhr 20 Minuten.
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.
46. Sitzung vom 19. März 1904, 11 Uhr.
Das Haus setzt die Beratung des Etats des Minsisteriums der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinalan elegenheiten und zwar die Erörterung der oberschlesischen Schulverhältnisse im Anschluß an den Titel der dauernden Ausgaben „Gehalt des Ministers“ fort.
Nach dem Abg. Freiherrn von Zedlitz und Neukirch (freikons.) nimmt das Wort der
Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal⸗ angelegenheiten Dr. Studt:
Meine Herren! Den Standpunkt der Königlichen Staats regierung in der oberschlesischen Schulfrage habe ich gestern in diesem hohen Hause mir kurz schon dahin kund zu geben gestattet, daß die Staats⸗ regierung nicht in der Lage sei, von denjenigen Grundsätzen abzugehen, die nun jetzt seit drei Dezennien zur Durchführung gelangen.
Meine Herren, was mich zunächst veranlaßt hat, das Wort zu ergreifen, ist eine Darlegung, die der Herr Abg. Dr. Porsch im Anschluß an eine von mir früher gehaltene Rede bei Gelegenheit der ersten Lesung des Etats am 26. Januar dieses Jahres gab. Er sagte:
Der Herr Kultusminister hat bei seinen früheren Darlegungen uns beweisen wollen, daß schon auf einen früheren Zeitpunkt vor
Dritte Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
1904.
Montag, den 21. März
Berlin,
dem Beginn des Kulturkampfes gewisse staatsfeindliche Bewegungen in Oberschlesien zurückzuführen seien, und er hat nach meiner Er— innerung — ich habe in diesen Tagen nicht die Zeit gehabt, seine damaligen Ausführungen wieder nachzulesen; ich verlasse mich auf mein Gedächtnis, von dem ich aber annehme, daß es mich in diesem Falle nicht trügen wird — seine Ausfährungen hauptsächlich angeknüpft an den Namen eines Regierungs- und Schulrats Bogedain in Oppeln, späteren Weihbischofs in Breslau, von dem er annahm, daß er in einer unsachgemäßen Weise auf das Volksschulwesen im Regierungsbezirk Oppeln eingewirkt habe. Der Herr Kultusminister ist persönlich über die Verhältnisse des späteren Weihbischofs Bogedain jedenfalls nicht vollständig orientiert, sondern er hat offenbar nur referiert auf Grund irgend welcher Akten, die ihm oder seinem Hilfsarbeiter zur Verfügung gestanden haben. Ich erinnere mich nämlich, daß ich in früheren Jahren einem der Amts—⸗ vorgänger des gegenwärtigen Herrn Kultusministers schon einmal bezuglich dieses Weihbischofs Bogedain kurz entgegengetreten bin, und ich möchte den heutigen Anlaß dazu benutzen, um zu sagen, daß die Verdächtigungen, die gegen den hochverdienten früheren preußischen Staatsbeamten, späteren Weihbischof in Breslau, aus den damaligen Ausführungen des Herrn Kultusministers hervor— klangen, durchaus unzutreffend sind. Der Herr Schulrat Bogedain, den ich persönlich zu kennen nicht mehr die Ehre hatte, den ich aber aus den Schilderungen seiner Amtsnachfolger sehr genau kenne und über dessen Persönlichkeit ich nach den Ausführungen des Herrn Kultusministers mit einem noch über— lebenden Amtsgenossen und Freunde des Weihbischofs Bogedain ge— sprochen habe, war ein hervorragender Schulmann, ein staatstreuer Beamter und ein ausgezeichneter Priester, und ich kann, wenn im Kultusministerium etwa Akten existieren sollten, die elwas anderes sagen, nur bedauernd sagen: es wäre das nur ein neuer Beweis für eine frühere Behauptung von uns, daß in diesen behördlichen Akten manche ganz merkwürdige Dinge stehen, die mit der Wirklichkeit bisweilen direkt lontrastieren. (Sehr richtig! im Zentrum.)
Meine Herren, ich kann diese Ausführungen nicht unwiderlegt lassen.
Ich will zur Charakterisierung des Herrn Schulrats Bogedain vorausschicken, daß ich in meiner damaligen Rede, wie ich glaube, am 14. März 1962 — die hat wohl der Herr Abg. Porsch im Sinn ge— habt — mit keinem Worte etwas gesagt habe, was den Herrn Ab⸗ geordneten zu dem Ausdruck „Verdächtigungen“ gegenüber meinen Aeußerungen berechtigen könnte. Ich habe den Charakter oder die staatstreue Gesinnung des verstorbenen Schul⸗ rats Bogedain in keiner Weise verdächtigt; ich habe damals nur aus— geführt, daß die verhängnisbolle Wendung in der oberschlesischen Schulpolitik, durch welche allein der polnischen Bewegung in Ober— schlesien der Boden für ihre jetzt zutage getretene Entwickelung bereitet worden, erst im Jahre 1848 eingetreten sei. In der früheren Zeit sei in der überwiegenden Mehrzahl der polnischen Schulen Ober⸗ schlesiens die Unterrichtssprache deutsch gewesen. Im Jahre 1827 hätten von rund 800 Schulen nur 70 polnische Unterrichtssprache gehabt, und der damalige Fürstbischof von Breslau habe von der oberschlesischen Geistlichkeit gesagt, sie könne weder richtig polnisch sprechen noch schreiben. Da habe im Jahre 1848 der allgemeine Enthusiasmus für die Polen und ihre Sprache den von Posen nach Oppeln berufenen Regierungs⸗ und Schulrat Bogedain veranlaßt, allgemein das Hochpolnische als Unterrichtssprache mit dem Ziele ein⸗ zuführen, die oberschlesische Bevölkerung von dem Gebrauch des wasserpolnischen Dialekts zu einer Beherrschung des Hochpolnischen überzuleiten.
Daß der genannte Schulrat dabei beabsichtigt habe, die groß⸗ polnische Bewegung nach Oberschlesien zu verpflanzen, habe ich mit keinem Wort behauptet und dessen staatstreue Gesinnung in keiner Weise bezweifelt. Hierzu hätten mir auch die Akten meines Ministeriums keinerlei Anhalt geboten. Wie wenig Bogedain trotz seiner noch näher zu erörternden Stellung zur polnischen Sprachen— frage den politischen Bestrebungen der Polen zuneigte, erhellt schon deutlich aus der Begründung seines Versetzungsgesuchs vom 3. April 1848. Seinen Wunsch, als Regierungs, und Schulrat von Posen nach Oppeln berufen zu werden, begründet er damit, daß es schon längst sein Sehnen gewesen wäre, in seine schlesische Heimat zurück⸗ zukehren. Der Augenblick der Erfüllung dieses seines Wunsches sei durch die bevorstehende polnisch · nationale Reorganisation“ der Provinz Posen gekommen. Er fährt dann wörtlich fort:
Endlich bin ich von der dereinstigen Wiederherstellung Polens vollständig überzeugt, sowie es bei mir keinem Zweifel unterliegt, daß diesem Lande die Unruhen einer republikanischen Verfassung bevorstehen; ich aber will Bürger eines deutschen Staats bleiben und fühle keine innere Verpflichtung, die Geburtswehen einer sich regenerierenden Nation mit zu durchleben.
Hieraus ergibt sich klar, daß Bogedain bei allem bedenklichen Pessi⸗ mismus in der polnischen Frage doch persönlich durchaus deutsch fühlte und weit entfernt war, Oberschlesien als polnisches Gebiet anzuerkennen.
Trotzdem bleibt die Tatsache, daß die von dem Schulrat Bogedain, wenn auch in bester Absicht, getroffenen Maßnahmen, dem Eindringen der großpolnischen Propaganda in Oberschlesien die Wege geebnet haben, voll und ganz bestehen.
Der Bildungszustand der oberschlesischen Bevölkerung, wie ihn Bogedain bei seinem Amtsantritt in Oppeln vorfand, war nach seinen eigenen Berichten ein sehr niedriger. Mangel an geeigneten Lehrern, Ueberfüllung der Schulen, wirtschaftliche Not der Be⸗ völkerung und ein sehr unregelmäßiger Schulbesuch hatten auf die Volksbildung in jenem Bezirke böchst ungünstig eingewirkt. Mit den im ganzen mangelhaften äußeren Schuleinrichtungen den Kindern eine bessere allgemeine Bildung und zugleich eine ausreichende Kenntnis der deutschen Sprache beizubringen, erschien ihm aussichtslos. Dabei hielt er, wie er wörtlich sagte, für die polnische Bevölkerung
eine tüchtige menschliche Bildung für bei weitem notwendiger als die Kenntnis der deutschen Sprache“. Andererseits betrachtete er es als unmöglich, diese allgemeine Bildung der Schuljugend in dem damals in Oberschlesien allein . gebräuchlichen Dialekt, dem sogenannten Wasser⸗ polnisch, zu vermitteln. Er fand es daher in erster Linie notwendig, die Kenntnis des Hochpolnischen unter der Lehrerschaft Oberschlesiens zu verbreiten und dementsprechend an das neu errichtende Lehrer⸗ seminar in Peiskretscham nur Lehrkräfte aus der Provinz Posen zu berufen. Diesen Vorschlag begründete er mit folgenden bemerkens⸗ werten Ausführungen:
„»In den Reihen schlesischer Lehrer habe ich mein Kandidaten nicht suchen können, indem mir unter den selben geeignete Männer, welche der Sprache bis zum sprachrichtigen Gebrauch wären, nicht bekannt geworden sind. s ist mir in Schlesien — und das ist eine vollständige Charakteristik der Zustände — kaum der eine oder andere der Geistlichen und Lehrer zu Gesicht gekommen, der imstande wäre, auch nur eine Zeile in seiner Muttersprache orthographisch richtig zu schreiben, und doch ist die polnische Orthographie ganz einfach. Ja, es läßt sich ohne Mühe bis zur unleugbaren Evidenz nachweisen, daß Geistliche und Lehrer in Ober schlesien die polnische Sprache korrumpiert haben.“
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Meine Herren, diese Begründung ist ein si Abg. Porsch überzeugender Beleg für die Richtigkeit meiner Be— hauptung, daß bis zum Amtsantritt des Herrn Bogedain in Oppeln von einem nennenswerten Betrieb des Hochpolnischen in den ober— schlesischen Volksschulen gar keine Rede wär. Bogedain hielt sich aber für verpflichtet, die von ihm selbst als Bauerndialekt ) bezeichnete oberschlesische Mundart durch Einführung des Hochpolnischen in den Schulen zu „veredeln“. Auf einen Angriff des Abg. Schaff raneck in der Zweiten Kammer am 18. April 1849 erwiderte er:
„Ich habe es zur Aufgabe meines Lebens und Wickens gemacht, gerade die sprachlichen Rechte des Volks zu vertreten. Oberschlesien hat gerade von mir zu fordern und zu erwarten, daß ich seine Rechte in dieser Beziehung zur Geltung bringen und die sprachlichen Elemente,“ die dort im Volksleben keimen, pflegen werde. Ich betrachte dies als die größte und schönste Aufgabe meines amtlichen Wirkens.“
Und an der Erfüllung dieser Aufgabe, durch Ausbildung der Lehrer im Hochpolnischen und entsprechenden Unterricht in den Schulen den oberschlesischen Dialekt der Bevölkerung zur hochpolnischen Schrift— sprache zu veredeln, hat er sich weder durch die Warnungen der Kollegen, noch durch die Erlasse des Ministers irre machen lassen.
Es fehlte schon damals keineswegs an Männern, welche die Gefahr der Durchführung der Bogedainschen Theorie erkannten. So berichtete bereits unter dem 17. Mai 1849 das Provinzialschulkollegium zu Breslau an den Minister:
Wir können eine urplötzliche Veredelung des Schlesisch⸗ Polnischen zu einer Zeit, wo im oberschlesischen Dialekte noch ge⸗ predigt und im gesamten Leben verkehrt wird, nicht als die eigent⸗ liche Aufgabe des Seminars betrachten; noch weniger können wir es als eine Pflicht der Regierung anerkennen, die polnisch redenden Oberschlesier noch volnischer zu machen, statt sie neben und mit ihrer Muttersprache zum Gebrauch der Landessprache überzuleiten.“
Mein damaliger Amtsvorgänger von Ladenberg glaubte, den von den Provinzialbehörden vorgebrachten Bedenken urch genügend Rechnung zu tragen, daß er in seinem Erlasse, welcher die Bildung der Lehrer neben dem Deutschen auch im Polnischen vorschrieb, hinter den Ausdruck ‚polnische Sprache“ überall setzte: resp. den oberschlesischen Dialekt“).
Dieser Ausweg befriedigte keine der beiden Parteien. Der Schul⸗ rat Bogedain widersprach der Behauptung, daß das Hochpolnische eine andere Sprache sei als das Oberschlesische, und verteidigte ausführlich die Berufung aus Posen stammender, also nur des Hoch⸗ polnischen mächtiger Lehrer an das Seminar; die Provinzial⸗ behörden, an ihrer Spitze der Oberpräsident, vertraten dem- gegenüber mit Entschiedenheit die Befürchtung, „daß mit der Pflege der großpolnischen Sprache die Oberschlesier auch der polnischen Nationalität und großpolnischen Tendenzen zugeführt würden“.
Bei der großen politischen Bedeutung der Frage glaubte der Kollege Bogedains, der Regierungs= und Schulrat Bartel, sich nicht auf die amtlichen Berichte in dieser Sache beschränken ju sollen, sondern erhob seine Warnungen auch noch in einem ausführlichen Privatbriefe an den damaligen Ministerialreferenten. Er schrieb damals unter anderem:
„Dadurch, daß die Leute ihr Oberschlesisch⸗Polnisch mit dem Hochpolnischen vertauschen und sich die Finessen der neueren polnischen Grammatiker aneignen sollen, wird zunächst in die Seminare und dann in die Elementarschulbildung der polnischen Kreise eine völlig schiefe Richtung gebracht. Die Seminaristen und dann die Schulkinder werden zwischen dem Hochpolnischen, ihrer Muttersprache und der deutschen Sprache hin und her gezerrt, und das bei der in den Landschulen so knapp zugemessenen Schulzeit.“
„Ich schaudere', fährt er fort, bei dem Gedanken, daß unsere oberschlesische Bevölkerung, die von den Großpolen selbst auf⸗ gegeben ist, weil sie polnische Nationalität bereits verloren hat, dem entschiedenen Einfluß der deutschen Sprache und der deutschen Kultur wieder entrückt, daß in sie ein so bedenkliches Element, mit der hochpolnischen Sprache auch die polnische Nationalität, gebracht und dabei den Lehrern eine über ihre Kräfte gehende Arbeit aus falsch verstandenen Rücksichten aufgebürdek werden soll.“
Ich will nicht des formalen Zweckes willen“, schreibt er weiter,
außer dem Oberschlesisch⸗Polnischen und dem Deutschen noch ein