bersichern: die deutsch hannoversche Partei will gar keinen Krieg, sie will mitarbeiten an allen Aufgaben des preußischen Staates, aber die Mitglieder wollen nicht ihre Üeberzeugung dahin verseugnen, daß sie an dem, was sie für unrecht halten, 6c beteiligen. Der Minister warf der Partei ferner vor, daß sie einen Unterschled mache zwischen deutschen und preußischen Untertanen; sie habe wohl deutsche, aber keine preußischen Untertanen, . en 86 ich feierlich Verwahrung einlegen. Die Treue bewährt sich im Unglück, und wenn einmal, was Gott verhüten möge, schwere Tage für unser Vaterland kommen sollten, so werden wir zusammenstehen und die Treue aufs neue bewähren. Die deutsch hannoversche Partei hat fi nie eine Verletzung von Ver⸗ rung und Gesetz zu Schulden kommen lassen, aber die preußischen egierungsorgane haben nicht das Recht, uns in der Ausübung unserer verfassungsmäßigen Rechte zu bekämpfen. Ich wende mich an die verbündeten Regierungen und das Haug, uns in diesen unseren Rechten zu schützen. ste Preußischer Minister des Innern Freiherr von Hammer— eln:
Meine Herren! Ich werde demselben Gedankengange folgen, den der Herr Vorredner eingeschlagen hat. Derselbe hat damit begonnen, sich darüber zu beklagen, daß der Vorstand oder der Verbands vorstand der Kriegervereine in Nordhannover seine Mitglieder davor gewarnt hat, sich welfisch zu betätigen, weil das mit den Zwecken und mit dem Charakter der Kriegervereine nicht übereinstimme— Ja, ich kann dem Herrn Vorredner nicht in Auctsicht stellen, meinerseits irgend⸗ welchen Einfluß auf die Leitung der Kriegervereine aus⸗ zuüben, daß diese Warnung abgeschwächt werde. Ich halte diese Warnung für sehr notwendig. Die preußischen Krieger⸗ vereine sind dazu da, die Gesinnung gegen ihren König, dem sie gedient haben, aufrecht zu erhalten und im Leben zu betätigen. (Sehr richtig! rechts) Dieses tun ehemalige Königlich preußische Soldaten nicht, wenn sie sich aktiv beteiligen an welfischen, antipreußischen Demonstrationen und Agitationen. (Sehr richtig! rechts) Das ist der kurze Sinn der Warnung, und diese Warnung ist erlassen im eigenen Interesse der Leute, weil sie, wenn sie sich verfehlen, ausgeschlossen werden müßten aus den Krieger vereinen und, wenn sie ausgeschlossen werden, auch derjenigen Rechte verlustig gehen, welche sie durch die frühere Teilnahme sich erworben haben. Ich hoffe, daß diese Warnung bei den Kriegervereins⸗ mitgliedern ihre wohltuende Wirkung üben wird. ö
Der Herr Vorredner hat dann weiter die Klage gerichtet gegen Organe der Königlich preußischen Regierung und gesagt, er würde schweigen, wenn nicht der Minister des Innern selbst die übrigen Parteien aufgefordert hätte, in dem Kampfe gegen die Welfen zusammenzuhalten. Es könnte ja vielleicht zweifelhaft er⸗ scheinen, ob ich als Königlich preußischer Minister über die Behand⸗ lung, die die Königlich preußische Regierung einer ihrer Provinzen zu— teil werden läßt, hier im Reichstage Rede und Antwort zu stehen habe. Ich antworte dem Herrn Vorredner trotzdem, weil ich an— erkenne und weil gerade auch durch meine Behauptungen, auf die der Herr Vorredner eingegangen ist, festgestellt worden ist, daß eben die Treue zum Reiche, das Verhältnis des Einzelnen zum Reiche bei den welfischen Agitationen stark mit in Frage kommt. Unrichtig ist es, wenn der Herr Vorredner sagt, daß ich, als ich in der Versammlung in Hannover gesprochen habe, erklärt hätte: „aufs neue“ sei der Krieg erklärt. Wenn ich mich recht entsinne und wie ich mich eben noch überzeugt habe aus der Darstellung meiner Rede, die das welfische Organ gebracht hat, habe ich nicht gesagt: „aufs neue“, sondern: „noch immer“ (Widerspruch aus der Mitte); noch immer“, bitte!:
Schulter an Schulter zusammenzustehen gegen eine Partei, welche noch immer und heute unverhüllter als jemals dem preußischen Staate den Krieg erklärt, das ist die welfische Partei. Das ist das Referat der „Deutschen Volkszeitung“, also desjenigen Organs, auf das der Herr Vorredner vielleicht am meisten Gewicht legt.
Abgesehen von diesem kleinen Irrtum, der übrigens ohne wesent— liche Bedeutung ist, kommt es doch auf die Sache an, und da bleibe ich bei meiner Behauptung in Hannover vollständig stehen. Ich habe, wie ich auch im Abgeordneten hause erklärt habe, diese Worte in Han⸗ nover mir sehr reiflich erwogen und habe es für notwendig gehalten, das einmal in Hannover selbst auszusprechen. Es ist in der Tat ganz eigentümlich, daß noch heutigen Tags im Deutschen Reichstag von einem Mitglied desselben ohne Einspruch gesprochen werden kann von einem Protest gegen den Rechtsbruch und die Gewalt, welche im Jahre 1866 dem Lande Hannover geschehen wäre. (Sehr richtig! rechts.) Dieser Rechtsbruch und diese Gewalt wäre einmal durch den Ablauf von 388 Jahren gewissermaßen schon Recht geworden (Wider⸗ spruch von den Welfen); aber es ist kein Rechtsbruch, es war eine Kriegsentscheidung, und der Krieg ist ein Gottesgericht, und in diesem Gottesgericht ist Hannover unterlegen. (Sehr wahr! rechts.)
Wenn nun der Herr Vorredner und mit ihm die Mitglieder der Hannoverschen Partei glauben, daß sie mit ihren Worten, daß sie keinen Krieg wollen, daß sie mitwirken wollen auf allen Gebieten des staatlichen Lebens, nur nicht begeistert mitwirken wollen, daß sie treue Untertanen auch Preußens sein wollen, treu dem deutschen Vaterlande, so sind das Worte, die durch die Taten meines Erachtens nicht Unterstützung finden. (Zuruf von den Welfen. Jede Zeitung, welche es sei, jedes Partei⸗ organ, jede einzelne Kundgebung der Partei fußt darauf und erklärt ganz offen: wir wollen die Herstellung des Königreichs Hannover! Ist das richtig oder ist das nicht richtig? (Zustimmung von den Welfen) Und wenn Sie das erklären, so müssen Sie annehmen, daß eine solche Wiederherstellung nicht anders möglich ist als durch einen großen Krieg (Widerspruch von den Welfen) gegen Deutschland und Preußen. Ich halte Sie nicht für Träumer und Phantasten, sondern für Politiker; aber wenn Sie Politiker sind, so können Sie niemals den Gedanken fassen, daß ein mächtiges Deutsches Reich, daß ein so mächtiger Staat wie Preußen eine seiner im Kriege erworbenen Provinzen wieder aufgeben könne, um einigen Leuten zu gefallen, die an alten Erinnerungen fest⸗ halten!
Meine Herren, Sie behaupten, in Ihrem Wunsche, Preußen zu verkleinern zu Gunsten von Hannover, liege eine Stärkung Preußens. Das hat der Herr Vorredner ausgesprochen. Ich glaube, mit diesem Ausspruch steht doch wohl der Herr Vorredner allein. Vielleicht findet er bei den Polen Gegenliebe! Auf Grund der ersten Er— widerung auf meine hannöversche Rede habe ich dann auch in einem Blatte gelesen, es hätten vielleicht auch andere Provinzen von vielen Jahrhunderten her Ansprüche auf Selbständigkeit.
Die Zeitgeschichte geht aber unaufhaltsam voran, und wir im Reichstag und im Deutschen Reich haben es zu tun mit dem Wesen
und dem Gebilde, das die Geschichte geschaffen hat, mit de m Deutschen Reich wie es entstanden ist, begründel durch die Verträge der deutschen Fürsten und aufgebaut durch die zwischen den deutschen Fürsten und den Vertretern des deutschen Volks vereinbarte Verfassung! Und in dieser Verfassung ist Preußen sein Anteil gegeben, und wer an diesem Anteil Preußens rüttelt, der rüttelt an dem Bestand des preußi⸗ schen Staats und an dem Bestand des Deutschen Reichs! (Sehr wahr! rechts.)
Meine Herren, ich komme dann mit einigen Worten auf meine persönliche Stellung, die auch der Herr Vorredner erwähnt hat. Es wird Sie ja vielleicht im großen ganzen wenig interessieren; aber mir liegt daran meinen Landsleuten in Hannover gegenüber, daß die Worte, die ich hier spreche, auch in meiner hannoverschen Heimat vollständig bekannt werden.
Meine Herren, der innere Kampf, den ein jeder von uns Aelteren, der früher dem Königreich Hannover angehört hat, wie ich auch und der nun mit Freude und ganzer Hingebung dem Königreich Preußen und dem Deutschen Reich dient, dieser Kampf ist auch mir nicht er⸗ spart geblieben und er ist vielleicht viel, viel härter gewesen als die Gewissensbewegung, welche die jüngeren unter den welfischen Agitatoren auch gehabt haben, die von der alten Zeit überhaupt nur von Hörensagen etwas wissen. Wer sich von uns Aelteren noch der Zeit erinnert vor 1866, der Zerrissenheit des Vaterlandes, der politischen Ohnmacht ganz Deutschlands und jedes einzelnen Staats für sich, der hatte damals sich in seinem Herzen Ideale gemacht für die Einigung des Vaterlandes, für ein neues deutsches Kaiser⸗ reich. Ich glaube, keiner von den Aelteren ist ohne solche Ideale in das Leben hinausgegangen. (Sehr richtig! rechts; Wenn nun im heißen Ringen in einer großen erhebenden Zeit alle Stämme Deutsch⸗ lands einig sich erhoben haben gegen den auswärtigen Feind nnd dort mit Blut und Eisen das neue Deutsche Reich gezimmert haben, so ist das etwas so Großes, so Erhabenes, daß das allen, die damals gelebt haben und damals das mit erfahren haben, hingerissen und erfüllt hat mit Freude über das, was erreicht ist. (Sehr richtig! rechts und bei Nationalliberalen.)
Meine Herren, und nun der Erfolg! Gehen Sie doch hinaus und schauen Sie auf unser hannoversches Heimatland. Wie sah es da aus vor 40 Jahren und wie sieht es heute aus! Die Städte blühen und wachsen, Handel und Wandel gedeihen, der Landwirt baut im Frieden seine Scholle, es giebt keine Provinz, die so ausge⸗ zeichnete Verkehrsverhältnisse hätte wie gerade die Provinz Hannover. Man wird auf dem Gebiete des öffentlichen Lebens allen Bedürfnissen gerecht, und nur, was in dieser meiner Heimat mangelt, das ist der innere Friede. Und diesen inneren Frieden möchte ich, so viel an mir liegt, dieser meiner Heimat geben. Mein Herzblut würde ich ver⸗ spritzen, wenn es mir gelänge, eine Versöhnung herbeizuführen zwischen Vergangenheit und Zukunft. Aber diejenigen, welche dieser Ver⸗ söhnung am meisten Widerstand leisten, welche am meisten eine solche Versöhnung hindern, sind die Agitatoren der welfischen Partei (sehr richtig ), der welfischen Partei, welche heute noch nichts gelernt hat trotz aller der betonten Treue zum preußischen Staat, in öffentlichen Versammlungen heute noch erklärt und ausruft:
Wir beginnen unsere Verhandlungen — so hat man in einer Sitzung eines Wahlvereins noch vor kurzem gesprochen —
indem wir unserem Herrscher, dem Herzog von Cumberland, ein
Hoch bringen. Ja, meine Herren, der Herzog von Cumberland ist eine hochachtbare Person, ein Mann, vor dem man sich wirklich beugen kann in Ehr⸗ furcht; aber der Herrscher Hannovers ist er ganz gewiß nicht! (Zuruf bei den Welfen.) Bitte, ausdrücklich ist es in Ihrem eigenen Bericht gesagt. Bei einem festlichen Anlaß wird ein Festredner aus Hamburg geholt, ein Pastor noch dazu, und ausdrücklich versprochen, daß man lediglich dieses Familienfest des Herzogs von Cumber— land feiern und nicht zu politischen Agitationen benutzen wolle.
Und wenn dessen ganze Rede oder Predigt gespickt ist mit politischen
Partei, und alle diese Dinge säen Unfrieden. Meine Herren, ich will ausdrücklich einige Worte vorlesen von
dem Pastor Budde. Er sagt unter anderem im salbungspollen Ton:
Ein großes Ziel hat das Fürstenhaus des Herzogs von Cumberland. Dieses Ziel ist die Residenzstadt Hannover,
Und weiter:
Gott fahre das Königliche Haus bald zurück in das Land seiner Väter!
Und endlich das Prägnanteste:
Wenn Gottes Gerichte einmal kommen werden über die von Gott abgefallenen Völker, wenn die Mächte des Umsturzes versuchen werden, die Altäre und Throne zu stürzen, dann wird die Zeit des treuen hannoverschen Volkes gekommen sein. (Hört! hört! rechts)
Warten sie etwa auf den Umsturz, um dann im Trüben zu fischen? Oder sollte das Gegenteilige betont sein: wir wollen den König von Preußen und das deutsche Vaterland erst dann verteidigen, wenn es in Unglück und Not ist? Beides ist falsch.
Ich erkläre noch einmal, wie ich in Hannover erklärt habe: es ist ein Sophismus, eine Selbsttäuschung vielleicht, wenn die Partei glaubt, sie könnte die Treue gegen das Reich halten und hätte die Treue gegen den Herrscher, den Gott ihr gegeben hat, nicht nötig, weil beide in Preußen und Deutschland unauflöslich miteinander verbunden sind. Diese Partei wird es sich selbst zuzuschreiben haben, wenn, solange sie im Widerstande gegen den König verharrt, den der liebe Gott ihr gesetzt hat (Heiterkeit und Zuruf links), die Königlich preußische Re— gierung ihr mit aller Entschiedenheit entgegentritt. Ich habe nicht gesagt: das sei politische Heuchelei, wenn einzelne Leute im Lande die Verhältnisse so darstellen, als ob sie mit ihrer Ansicht eigentlich im Sinne der Regierung, im Sinne Seiner Majestät handelten; diesen Ausdruck überlasse ich dem Herrn Grafen von Bernstorff. Aber daß die Herren das tun, dafür haben wir doch auch aus dem aller— letzten Wahlkampf in Lüneburg einen Beweis. Einer der Herren Abgeordneten, der hier sitzt, hat in einer Wahlversammlung aus— drücklich gesagt:
Wir haben Beweise von der Gerechtigkeit unseres Kaisers; er wird uns helfen, wenn es uns nur gelingt, sein Ohr zu erreichen. Er wird an seinem Teil beitragen, das wiederherzustellen, was wir wünschen; dessen sind wir gewiß und deshalb hören wir nicht auf zu schreien.
wie ein Deutschland irgendwie bekümmerlich sein sollte.
Das wird den Leulen im Lande vorgespiegelt; als ob Seine Majestãt der Kaiser und König von Preußen in irgend einer Weise den Wünschen der Welfen, der welfischen Partei in der Provinz Hannover auf Wieder. herstellung der Selbständigkeit entgegenkommen und entsprechen könnte. Das ist eine Täuschung meiner armen Landsleute, und vor derartigen Täuschungen möchte ich sie gern bewahren. Das, was ich wünsche, ist Frieden im Lande, Frieden auch im Herzen und der Friede besonderz in meiner hannoverischen Heimat, der aber erst dann vollständig sein wird, wenn die Herren, die dort einen Einfluß ausüben auf einen größeren Kreis der Bevölkerung, diesen Einfluß ausüben zum Nutzen von Kaiser, Vaterland und Reich. (Bravoh ö
Präsident Graf von Ballestrem: Der 4 Bundesbevoll. mächtigte hat vorhin mit einem bezeichnenden Blick auf diese Stelle gesagt, daß es dem Abg. Grafen von Bernstorff ohne Korreftur durch⸗ gegangen wäre, daß er von einem Treubruch, von einer Vergewaltigun t. J. 1866 gesprochen hätte. Das hat der Abg. Grgf von Bernstor nicht getan. Er hat das Jahr 1856 gar nicht erwähnt. Er hat eh nur als ein Prinzip seiner Partei hingestellt, daß sie sich gegen Treu⸗ bruch und Vergewaltigung wende. Was er sich dabei gedacht hat lann ich nicht wien. Ich richte über Worte, nicht über Gedanken Wenn er das Jahr 1866 erwähnt hätte, so hätte ich das nicht durch- gehen lassen wie ich es auch früher nicht getan habe. Das wollte ich dem Herrn Bundesbevollmächtigten nur sagen.
Abg. Graf zu Reventlow (wirtsch. Vgg.): Wenn wir auch schließlich dem Reichskanzler sein Gehalt bewilligen werden, so soll damit nicht gesagt sein, daß wir ihm in irgend einer Beziehung unsere Anerkennung zum Auedruck bringen wollen; wir find ing⸗ hesondere nach seinen gestrigen Auseinandersetzungen dazu nicht in der Lage. Vorweg richte ich an ihn die dringende Bitte, dem fo oft ge⸗ faßten Reichstagsbeschluß auf Gewährung von Tagegeldern endlich Geltung zu verschaffen. Ich will auf den materiellen Inhalt der Aufhebung des 82 des Jesuitengesetzes nicht eingehen, aber ich muß erklären, daß wir in Uebereinstiinmung mit den bedeutendsten Staatsrechts. lehrern den Beschluß der Zustimmung zu einem Beschluß esnes früheren Reichstags für verfassungswidrig halten; wir halten es nicht für statthaft, daß man sich die Beschlüsse des Reichstags gewissermaßen auf Vorrgt hinlegt und daraus nach Belieben dleses oder jenes herausgreift. Wir müssen ferner den dürftigen und ungenügenden Nachrichtendienst aus Südwestafrika bemängeln. Sodann muß ich die Aufmerksamkeit des Kanzlers auf die Beziehungen lenken, in denen das Reich zum „Wolffschen Telegraphen-Bureau“ steht. Ich darf als bekannt voraussetzen, daß das „Wolffsche Telegraphen— Bureau“ anfangs nur eine Ergänzung und Verbesserung deg Nach— richtendienstes enthielt; es diente dem Zwecke, solche Nachrichten zu verbreiten, auf deren Verbreitung die Regierung Wert legte, und es wurden dem „Wolffschen Telegraphen⸗Bureau“ zugegangene Nach⸗ richten von den zuständigen Behörden auf ihre Richtigkeit geprüft und eventuell korrigiert. Daß war eine wünschenswerte Verbesserung des gesamten Nachrichtendienstes. Die Sache hat aber inzwischen eine andere Gestalt dadurch angenommen, daß das „Wolffsche Telegraphen⸗ Bureau“ zugleich ein rein geschäftliches Unternehmen geworden ist. Redner behauptet, daß das W. T. B.“ durch den Ankauf eines der bedeutendsten parlamentarischen Berichterstattungsbureaus die ganze parlamentarische Berichterstattung schon heute beherrsche und seinen Abnehmern der Nachrichten in mehr oder minder zwingender Weise nahelege, auch die Parlamentsberichte des W. T. B.“ zu nehmen. Er könne einer Verbreitung der Wolffschen Nachrichten keinen erheblichen Wert beimessen; das . W. T. B. tue dies auch selber nicht, denn es verkaufe seine parlamentarischen Berichte und die Stimmungesbilder zu Schundpreisen, zu 258 und 50 5. Es würden dem W. E. B.“, wie Redner weiter behauptet, direkte Vermögenszuwendungen aus Reichsmitteln gemacht, zu denen die anstaͤndigen, ordentlichen Journalisten, deren Mörder das Bureau sei, doch auch bei—⸗ trügen. Seine Depeschen würden zu dem Preise einfacher Depeschen als dringliche befördert; setze das Bureau einer Depesche noch ein ‚a. c.“ vor, so würden diese sogar vor allen anderen dringlichen Depeschen befördert. Ferner genieße das Bureau die Vergünstigung, daß es ein Telegramm an sämtliche in Betracht kommenden Orte einer Telegraphenlinie gleichzeitig telegraphieren könne. Ferner genieße es auch noch gewisse Vorrechte hinsichtlich des Ferndruckapparats, die bisher nicht genügend aufgeklärt seien. Ferner stellt Redner die Behauptung auf, daß das W. T. B.“, das über die Hälfte der sämtlichen täglich in Deutschland erscheinenden Zeitungen beeinflusse, niemals geneigt sein würde, sich in irgend welchen Wider⸗ spruch zur Regierung zu setzen, daß auf diesem Wege also die ganze öffentliche Meinung mehr oder weniger offiziös gefärbt, daß sie zu einem offiziös abgestempelten Massenfabrikat des W. T. B. gemacht werde. Redner wendet sich sodann zu den gestrigen Ausführungen des Reichs- kanzlers über die auswärtige Politik. Soweit diese die marokkanische
Anspielungen und mit politischen Invektiven gegen Preußen, so ist Frage betroffen hätten, hätten sie eine tiefe Niedergeschlagenheit ber—
das nicht auf den Pastor zurückzuführen, sondern auf die welfische ; 4 ö . . f Dal z Hufunhren, sondern auf die welfische aufrechnen gegen Marokko, und daß so eine Reibungsfläche weniger zwischen diesen beiden Staaten bestehe. Er könne nicht anerkennen, daß
vorgerufen. Der Vorgang sei der, daß England und Frankreich Aegvpten
es der Beruf einer Großmacht sei, stets nur sich zu freuen, wenn irgendwo in der Welt eine Reibung oder ein Zusammenstoß vermieden werde; die Großmächte könnten auch den Beruf haben. Zusammen⸗ stöße für wünschenswert zu halten, und er vermöge nicht einzusehen, Zusammenstoß zwischen England und Frankreich für Wenn man die Auf— gabe der auswärtigen Politik darin sähe, die Reibungsflächen zu vermindern, so sollte man lieber dieses Handwerk der Frau von Suttner in die Hände legen. Man könne überhaupt die politische Entwickelung nur mit Betrübnis ansehen. Dieses schwäch- liche Nachjagen nach der Gunst des Auslands, fährt der Redner fort, sinden wir namentlich zum Ausdruck gebracht in unserem Ver— hältnis zu (Ruf bei den Sozialdemokraten: Rußland!) nein, zu England. Unser Verhältnis zu Rußland überlasse ich den auf jener Seite (links) sitzenden Autoritäten. Ich will hier nicht etwa eine Hetzrede gegen England halten, aber etwas mehr Selbst— bewußtsein müßten und müssen wir fordern. Den deutschen Reichs⸗ angehörigen in Transvaal ist der deutsche Schutz zugesagt worden, aber nur ein Zehntel der Schadensersatz forderungen hat Berücksichti⸗ gung gefunden. Woran liegt das? In einer ganzen Reihe von Fällen ist ein offensichtliches Unrecht geschehen, wie ich aktenmãhig nachweisen kann. Ein Deutscher namens Thiel wurde geschädigt durch englische Requisitionen; 2800 Pfund wurden ihm an Wert ruiniert. Er kann nicht den allermindesten Ersatz erwirken, weil er ohne sein Wissen und Wollen in Sudafrtika in irgend eine Wählerliste eingetragen war. Selbst eine an eine englische Behörde gezahlte Kaution von 1000 M ist ihm vorenthalten worden. Dieses Verfahren grenzt doch sehr nahe an gewisse Eigen tumsvergehen. Unsere Regierung hätte doch alle Ursache, diesen Mann, guch wenn es sich nicht um Venezuela handelt, zu schützen. Einem Arzt namens Thielmann wurde sein Ambulanzwagen fort⸗ genommen. Manche Deutsche sind durch die Eigenartigkeit des eng⸗ lischen Verfahrens mürbe gemacht worden und haben auf die Weiter⸗ verfolgung ihrer Ansprüche verzichtet; sie erklären, es würde ihnen besser gehen, wenn ihre Vertreter Vertreter einer anderen Macht wären, aber ihre Vertreter seien nur bei Festlich- keiten, bei Kaisersgeburtstagsfeiern zu finden, sonst nicht. Ich bitte den Kanzler, die zuständigen Behörden zu erhöhter r ff anspornen zu wollen. Wir bitten ihn auch, daß unsere Konfuln etwas mehr sich ihrer Verpflichtung bewußt werden, daß sie ch auch Deutschen gegenüber deutscher Sprache, deutscher Stempel usw. bedienen. Der deutsche Konsul in Dover kann kein Wort Deutsch sprechen.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
zum Deutschen Neichsan
M GSG.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Auch diplomatisch ist das Deutsche Reich nicht überall so vertreten, wie es sein sollte. Ich weise da besonders auf den deutschen Bot⸗ schafter bei den Pereinigten Staaten hin. Wenn unfer Botschafter dort zum Gaudium amerikanischer Reporter Bismarcksche An— schauungen für veraltet erklärt, wenn er auch amerikanische Interessen vertreten zu wollen erklärt, wenn er noch im Dejember aussprach, daß die deutschen Beschwerden über Zollschikanen über- trieben seien, wie ich dem halb oder ganz offiziösen „Berliner Tage⸗ blatt! entnehme, so möchte ich doch anregen, die Vereinigten Staaten zu veranlassen, die Hälfte des Gehalts für diesen Botschafter auf ihre Rassen zu übernehmen. Unter den drei Kommissaren für die St. Louis Ausstellung hätte sich auch wenigstens ein rein deutscher Mann be— finden können. Unser geterum censeo ist: Jede Spur von Ver— trauen zu wirtschaftspolitischen Zusagen der Regierung ist längst ver⸗ schwunden; nur wenn endlich den Versprechungen Taten folgen, wird etwas von diesem Vertrauen wiederkehren. Auf die Kassandrarufe des Herrn Gothein über die Agrarier und Herrn von Kardorff gehe ich nicht näher ein; aber das stelle ich fest, daß Herr von Ficht, hofen uns keine ausreichende Auskunft gegeben hat. Er meint, der neue italienische Handelsvertrag sei vorzüglich. Die italienische . ist ganz derselben Meinung. Sie würden unsere Unterhändler nicht loben, wenn Italiens Interessen nicht zu ihrem Recht gekommen wären. Herrn von Richthofen soll es ja auch nicht vergessen sein, daß er in der Zoll⸗ tarifkommission die Interessen der ir g Gemüsebauern und Weinbauern energischer vertrat, als die der deutschen Landwirtschaft. Die anderen Aufklärungen gipfelten darin, daß wir Unterhandlungen mit zahlreichen Staaten führten, daß viel Arbeit und Papier verbraucht werde. Damit wissen wir denn recht genau Bescheid über den Stand der Dinge. Wir müssen befürchten, daß man die deutsche Viehzucht wie den deutschen Kornbau zu Grunde richten wird. Wir haben zu ihm das feste Vertrauen, daß in diefer Beziehung alles mögliche geleistet werden wird. Es sst der Wendepunkt ge⸗ kommen, wo entschieden werden soll, ob ein gesunder Mittelstand noch weiter auf dem Lande bestehen können soll (Zuruff über den gewerblichen Mittelstand sind wir ja schon aufgeklärt, nachdem Graf von Posadowsly die Versicherung des Handwerks weit von sich gewiesen hat. Auf die Dauer können wir nicht von Zusagen für die Landwirtschaft leben, auch muß den Herren von der Regierung diefes ewige Einerlei der Versprechungen langweilig werden. Weitere zehn Jahre kann die Landwirtschaft den Caprivijammer nicht ertragen. Wenn der Kanzler den deutschen Wünschen und Bedürfnissen ver— stärkten Nachdruck geben will, auch auf dem Gebiet der Wirtschafts⸗ politik, dann wird er sich den unvergänglichen Ruhm erwerben können, ein großes, Deutschland erhaltendes Werk geleistet zu haben. Staats männer sind doch nicht dazu da, alle gegebenen Sachlagen als un— veränderlich hinzunehmen. Auf die Dauer wird der Reichskanzler nicht ausschließlich mit dem Zentrum regieren können, selbst dann nicht, wenn er sich beständig auf die ganze Linke verlassen sollte, selbst dann nicht, wenn diese sich nach fünf Jahren so ver— ändert hat, daß sie aus 110 Sozialdemokraten und anderthelb Freisinnigen besteht. Er kann aber eine Mittelstandspartei her⸗ stellen, wenn er eine ersprießliche Politik für diese in Szene setzz; und dann wird er auch eine Mehrheit haben. Nicht dem Kanzler geben wir die Schuld an dieser Sachlage; wir bitten ihn aber, sie einheitlicher und ersprießlicher umgestalten zu wollen, dann werden wir ihn mit Freuden als den ersten Nachfolger Bismarcks begrüßen. Sollte er diese Aufgabe nicht erkennen, dann wird die Geschichte von dem Kanzler sagen, daß er da, wo et ihm noch möglich war, den Mittelstand am Leben zu erhalten, die letzte Schaufel Erde auf sein Grab geworfen hat.
Darauf wird Vertagung beschlossen.
Schluß 61 / Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr. Fortsetzung der Beratung; Etat des Auswärtigen Amts; Interpellation Oriola; Etat für die Expedition nach Ostasien; Invalidenfonds; allgemeiner Pensionsfonds.)
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 51. Sitzung vom 13. April 1904, 11 Uhr.
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden. .
Das Haus setzt die zweite Beratung des Staats⸗ haushaltsetats für das Rechnungsjahr 1904 im Etat des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinalangelegenheiten bei dem Kapitel „Höhere Lehranstalten“ fort.
Abg. Viereck (freikons.) erörtert einge zend die gesetzlichen Be⸗ stimmungen über die Anrechnung der Wartezeit bei der Pensionierung und bezweifelt die Rechtsgültigkeit der Ministerialverfügung von 1896, z'denfalls müsse gegen dieselbe der Rechtsweg offen gelassen werden. Die Rechtsgültigkeit solle einmal gerichtlich festgestellt werden, denn eie jetzige Unsicherheit sei das schlimmste. Der Andrang der Kandidaten habe die Wartezeit in den einzelnen Provinzen ganz ver⸗ schieden gestaltet. Es sei auch zu bedenken, daß der Kandidat selbst keinen Einfluß auf die Länge der Wartezeit habe, sondern diese ganz bon dem Ermessen der vorgesetzten Behörde abhänge. Der Redner tritt ferner für eine Gleichlegung der Schulferien mit den Gerichts⸗ ferien und für eine einheitliche Regelung in der ffn Monarchie ein.
Abg. Strosser (kons.): Der Abg. Eickhoff ist ein begeisterter Apostel der Reformschule. Meine Freunde betrachten dagegen die Reformschule vorläufig lediglich als einen Versuch, der noch längst nicht abgeschlossen ist. Auch ein großer Teil meiner
reunde steht auf dem Standpunkt, daß die humanistischen Fymnasien zweifellos die beste Grundlage aller höheren Bildung sind. Ich glaube behaupten zu können, daß das humanistische vmnasium mehr als jede andere Anstalt in der Lage istz den Idealismus zu pflegen, den wir heute ganz besonders nötig haben. ie Ferienfrage ist für meinen Wahlkreis Breslau besonders rennend geworden. Die Gleichlegung der Ferien der Volksschule und der höheren Schule hat das Haus bereits 1901 beschäßftigt, aber trotz mehrfacher Eingaben von Breslau hat sich nichts geändert. Die Gleichlegung der Ferlen der Volksschulen und der höheren Schulen ist für die großen Städte wichtig, weil eine große Zahl von Eltern ein Interesse daran hat, daß ihre Kinder, die teils die Volksschule, leils die höhere Lehranstalt besuchen, zu gleicher Zeit die Sommer— rische genießen können. Die Rekloren der Volksschulen erhalten stets bor Beginn der Sommerferien eine rohe Zahl von Gesuchen um rühere Beurlaubung. Es ist für die Leiter der Schulen immer chwierig, diese Gesuche zu genehmigen oder abzulehnen. Es handelt ch hauptsächlich um die Sommer und Herbstferien. In den Volks⸗ chulen in die Schüler sowohl als auch die Lehrer und Lehrerinnen benso erholungsbedürftig wie in den höheren Lehranstalten. Im Jahre 1961 wurde hier erklärt, daß bereits eine Anzahl von Städten die Gleichlegung der Ferien vorgenommen habe. Warum ist man in Städten wie Stettin und Breslau weniger schnell damit vorgegangen?
Zweite Beilage . zeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
Berlin, Donnerstag, den 14. April
Auch die Fortbildungsschulen bereiten der Legung der Ferien Schwierig, leiten, da hier Lehrer sowohl der Volksschulen als auch der höheren Schulen beschäftigt werden. Und wieviel Zeit kommt eigentlich in Betracht? Bei den Sommerferien vier, bei den Herbstferien zwei Tage. Das ist so wenig, daß man wohl den Wünschen der Eltern nach Gleichlegung der Ferien entgegenkommen könnte. . eins. Unsere schönsten Erinnerungen aus der Schülerzeit sind die Erinne—⸗ rungen an die Turnfahrten. Diese Turnfahrten sind in der letzten Zeit sehr beschnitten worden. Die paar Tage könnte man doch frei— geben. Ist es denn wirklich so schwer, dle Beschwerden zu berück⸗ sichtigen? Solche Fahrten dienen doch der körperlichen Erholung, und es bleibt immer wahr das alte Wort: mens sana in corpore Sando.
Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Studt:
Meine Herren! Seitens zweier der geehrten Herren Vorredner ist die Frage der Ferienordnung berührt und dabei befürwortet worden, daß eine einheitliche Regelung der Ferien durch die ganze Monarchie erfolgen möge, und zwar nicht nur für die höheren Schulen, sondern auch für die Volksschulen. Ja, meine Herren, in diesem Umfange ist die Forderung unerfüllbar. (Sehr richtig) Man muß den besonderen Verhältnissen der einzelnen Provinzen Rechnung tragen (sehr richtig), den historischen wie den klimatischen. Nimmt man alles dies zusammen, so kommen so verschiedene Ver— hältnisse heraus, daß ich glaube: der Wunsch nach einer ganz einheit lichen Schablone für sämtliche Kategorien der Unterrichtsanstalten wird niemals in Erfüllung gehen können. (Sehr richtig) Im übrigen beschäftigt sich die Unterrichtsverwaltung mit dieser Frage in erhöhtem Maße aus Anlaß von Anträgen, die namentlich in dem Sinne gestellt sind, daß eine Uebereinstimmung der Ferien mit den Gerichtsferien erfolgen möge. (Bravoh Ja, meine Herren, so viel als möglich ist den Wünschen der Beteiligten schon entsprochen worden; aber es ist immerhin notwendig, die Wünsche, die von seiten der Eltern und gewisser Berufsstände usw. kund gegeben werden, mit dem Schulinteresse tunlichst in Einklang zu bringen. Die Verhandlungen schweben noch; sie sind auch auf die Frage ausgedehnt worden, inwieweit aus Gesundheitsrücksichten für die Schüler eine anderweitige Ordnung erforderlich sein würde, und darüber hat sich die Medizinalabteilung des mir unterstellten Ministeriums noch eingehend zu äußern. Ich verfolge diese Sache mit großem Interesse und hoffe, daß ich zu einem be— friedigenden Ergebnis gelangen werde. Zur Zeit bin ich nicht in der Lage, ahgesehen von der bestimmten Erklärung, die ich schon dahin abgegeben habe, daß eine einheitliche Schablonisierung durch die ganze Monarchie untunlich erscheint, eine andere Zusicherung als die zu geben, daß die Sache seitens der Unterrichtsverwaltung mit Sorgfalt verfolgt und daß darauf Bedacht genommen wird, bald zu einer Ent⸗ schließung zu kommen.
Von einem der Herren Vorredner ist betont worden, daß die Unterrichtsverwaltung durch eine angeblich einseitige Begünstigung der sogenannten Reformanstalten die Gefahr hervorgerufen habe, daß eine Zersplitterung in dem allgemeinen System der höheren Unterrichts anstalten eintreten werde, welche namentlich den Aufgaben des humanistischen Symnasiums nachteilig sein werde. Ich muß diesen Vorwurf mit voller Bestimmtheit zurückweisen. Aus den Zahlen, welche ich die Ehre haben werde, Ihnen vorzutragen, wird sich ergeben, daß die Unterrichtsverwaltung, wie auch der letzte Herr Vorredner betont hat, ganz in dem Sinne einer vorsichtigen Erwägung der an sie herantretenden Wünsche und einer vorsichtigen Prüfung der ob— waltenden Verhältnisse vorgeht, ohne den Reformgedanken aufzugeben, den sie vorläufig nur als eine Art von Versuch ansieht.
Was die dabei in Betracht kommenden Zahlen betrifft, so be—⸗ standen 1892 273 humanistische Gymnasien, im Jahre 1900 287 und 1803 299. Sie sehen also, daß unter der Herrschaft des gegen—⸗ wärtigen Regimes auf Grund des Allerhöchsten Erlasses vom 26. No⸗ vember 1900 sogar noch eine Vermehrung der humanistischen Gymnasien stattgefunden hat. Ich glaube auch nachweisen zu können, daß meine frühere Behauptung, die durch die Allerhöchste Ordre eingeleitete Reform habe nicht zu einer Benachteiligung des Systems der humanistischen Gymnasien, sondern zu einer Stärkung ihrer Eigenart geführt, sich durch den Lauf der Ereignisse bestätigt hat. (Sehr richtig) Ich habe ron keiner Seite gehört, daß das humanistische Gymnasium in seiner Aufgabe und Wirksamkeit durch die veranlaßte Reform erschüttert sei; im Gegenteil, es hat eine Vervollkommnung in der Erreichung der Ziele des humanistischen Gymnasiums statt— gefunden lsehr richtig!), die auch aus diesem hohen Hause von ver— schiedenen Seiten mit Dank begrüßt worden ist.
Die Zahl der Reformanstalten verhält sich nach dem Stande vom 1. April d. J. zu der der humanistischen Gymnasien wie folgt: im ganzen sind 324 Gymnasien vorhanden; von diesen haben den all— gemeinen Lehrplan 309 und den Lehrplan der Reformanstalten nur 15. Die Progymnasien haben ausschließlich den Lehrplan der humanistischen Gymnasien, sodaß also an Reformanstalten überhaupt nur 4,1 — rund 40,9 — der Gesamtsumme der humanistischen Gymnasien vor⸗ handen sind. Selbstverständlich war es die Aufgabe der Unterrichts verwaltung, in dieser Beziehung eine Art von juskitia distributiva dahin zu üben, daß wo möglich auf die einzelnen Provinzen mindestens je eine Reformanstalt kommt, um einen Maßstab zu haben, wie sich in den einzelnen, verschieden gearteten Landesteilen das Re⸗ formsystem bewähren würde. Die Erfahrungen, die mit ihm bisher gemacht worden sind, sind nicht ungünstige. (Hört, hört) In ein zelnen Städten, wo ein besonderes Schüler⸗ und Lehrermaterial zur Verfügung stand, können sie sogar als günstige bezeichnet werden. Trotzdem ist auf Grund der bisherigen Erfahrungen ein vorsichtiges Tempo geboten und wird auch sseitens der Unterrichtsverwaltung nach wie vor inne gehalten werden.
Wenn es die Herren weiter interessiert, noch einige Zahlen über die Realgymnasien und deren Entwickelung, über die Realprogymnasien und Realschulen zu hören, so gestatten Sie mir, Ihnen diese Zahlen vorzuführen.
Realgymnasien waren im Jahre 1892 85, im Jahre 1900 78 und am Schlusse des Schuljahres 1903 82 vorhanden. Eg hat also seit 1900 eine Zunahme von nur 4 derartigen Anstalten stattgefunden. Die
1904.
Zahl der Realprogymnasien, deren es 1892 noch 86 gab, ist bedeutend gesunken infolge der weiteren Ausgestaltung der Oberrealschulen und Realschulen: sie haben 1892 noch 86 betragen, 1900 nur noch 28 und 1903 26.
Was die Oberrealschulen betrifft, so weisen sie — das war die naturgemäße Folge der Gleichwertigkeit der Ziele der drei Schul- arten — so weisen sie 1892 die Zahl von 10 auf, 1900 die Zahl von 31 und nunmehr 1903 die Zahl von 42. Es hat also in den letzten drei Jahren eine Vermehrung um 11 Anstalten stattgefunden. In gleicher Weise ist eine Vermehrung der lateinlosen Realschulen eingetreten, deren Zahl 1892 nur 54 betragen hat; sie ist 1900 auf 140 gestiegen und betrug 1903 152, sodaß unter der Herrschaft des neuen Systems auch die Vermehrung der Realschulen recht beträcht⸗ lich ist.
Wenn ich nun noch die Schülerzahlen erwähnen darf, so ergibt sich für die humanistischen Gymnasten im Jahre 1892 eine Gesamt⸗ schülerzahl von 79 106, im Jahre 1900 von 94 321 und im Winter 1902‚13 von 97 674. Es ist also im Vergleich zu der Gesamt⸗ zahl der Schüler von 132275, bezw. 1653 685 und 174 603 der Prozentsatz der Schüler an humanistischen Gymnasien von 58 o, im Jahre 1892 auf 58 / im Jahre 1900 und auf 56 0 im Jahre 1903 zurückgegangen. Die Besorgnis also, daß die humanistischen
gerechtfertigt.
Was die Verteilung der Gesamtzahl der Schüler auf die ver— schiedenen Schularten betrifft, so sind die humanistischen Anstalten im Jahre 1903 von 56 o, die lateintreibenden Realanstalten von 15 0½ und die lateinlosen Anstalten von 29 0j aller Schüler besucht worden. Wie Sie aus diesen Darlegungen wohl entnehmen können, haben sich die Besorgnisse, welche in bezug auf das System der Gleichwertigkeit der Anstalten hier geäußert worden sind, nicht bestätigt.
Was die Leistungen der Schüler betrifft, so sind die Zahlen auch so beruhigend, daß ich in dieser Beziehung etwaige Befürchtungen als begründet nicht anerkennen kann; es wird namentlich auch seitens der Lehrer bestätigt und derjenigen, die mit der Revision der betreffenden Anstalten von der Zentralstelle beauftragt waren, daß das in der Allerhöchsten Kabinettsorder vom 25. November 1900 in den Vorder grund gestellte Prinzip „non multa, sed multum“ seine guten Früchte getragen hat. Wir sehen also vertrauensvoll in die Zukunft.
Abg. Dr. von Dziembowski⸗Pomian (Pole): Unsere Gym⸗ nasiasten lernen die alte Welt und z. B. die römische Verfassungs⸗ geschichte sehr genau; ganz anders steht es aber mit den Kennt⸗— nissen der heutigen Verfassung unseres Reichg. Die Schüler unserer höheren Lehranstalten müssen besser für das öffentliche Leben vorbereitet werden. In der Weltgeschichte lernen die Schüler allerlei einzelne Taten, aber eine richtige Weltgeschichte, den ganzen Werdegang der Menschheit, der Zivilisation kennen sie nicht. Der heutige Geschichtsunterricht erzielt vielmehr einen Byzantinismus und Chauvinismus. Wenn man die vaterländische Geschichte richtig würdigen soll, muß man die Geschichte anderer Staaten gut kennen. Ferner wird viel zu sehr das Hauptgewicht auf die schrft⸗ lichen Arbeiten gelegt. Im Griechischen und Lateinischen mag das noch angehen, aber wie viele Schüler lernen heute Französisch sprechen, wenn sie auch gute Extemporalien schreiben können! Es muß mehr Wert auf den lebendigen Vortrag gelegt, es müßten Vor— tragskurse eingerichtet werden. Die Eltern werden über die Leistungen ihrer Kinder lediglich durch die Schulzeugnisse unterrichtet; jeder Ordinarius sollte verpflichtet sein, wöchentlich eine Sprechstunde für die Eltern einzurichten. Durch die verschiedene Lage der Schulferien und der Gexichtsferien sind besonders wir Juristen schwer benachteiligt. Wenn der Minister eine einheitliche Regelung nicht für möglich hält, so sollte er doch einen Druck auf die Provinzlalschulkollegien ausüben. Ich habe in allen Fächern den Unterricht polnisch genosfen, trotzdem habe ich mir das Deutsche einigermaßen angeeignet. Daß die polnische Sprache in der Schule zurückgedrängt wird, ist lediglich eine politische Maßregel.
Geheimer Oberregierungsrat Dr. Matthias: Die Verfassungs⸗ und die Kulturgeschichte wird in unseren höheren Schulen sehr sta berücksichtigt, ja es gibt manche, die meinen, daß darin sogar zu viel geschehe. Die schriftliche Arbeit im Französischen beim Abiturtenten= examen ist abgeschafft und an deren Stelle die mündliche Aussprache getreten; es wird darauf gesehen, daß der Schüler sich einigermaßen französisch auszudrücken lernt. Die Beziehungen zwischen Schule und Elternhaus müssen gepflegt werden, darin hat der Vorredner recht. Bei jedem neuen Schulbau wird ein Sprechzimmer vorgesehen, in dem die Eltern den Lehrern ihre Sorgen vortragen können. sind in dem Schulprogramm festgesetzt. — ig. Schule mit dem Elternhaus lediglich durch die Schulzeugnisse in bindung tritt; es finden auch Zwischenmitteilungen an die Eltern statt. Die Eltern könnten auch selbst mehr tun, um sich um die Leistungen ihrer Kinder zu kümmern. Es ist nicht richtig, daß die polnischen Kinder vom fakultativen volnischen Sprachunterricht ausgeschlossen seien; an dem Oberkursus können polnische und deutsche Kinder teil- nehmen. Es genügt aber den polnischen Schülern der oberen Klassen nicht, daß der polnische Unterricht von deutschen Lehrern erteilt wird. Es wird Mißtrauen, um nicht zu sagen Verhetzung, hervorgerufen.
Abg. Dr. von Campe (nl): Ich teile die Auffassung meines Freundes Berndt über die Reformschule nicht. In seinem Auftrage kann ich vielmehr sagen, daß er nur seine eigenen Anschauungen ausgesprochen bat. Meine Fraktion steht entsprechend den früheren Ausführungen des Abg. Beumer auf dem Boden der Reformschule. Bezüglich der An. rechnung der Wartezeit stimme ich dem Regierungskommissar darin bei, daß die sedes materia nicht der S5, sondern der 5 13 der Ver⸗ fügung von 1896 ist; aber die Verfügung beruht doch auf dem Grund- satz des 5 5. Vor 1872 ist die gesamte Wartezeit angerechnet worden. Bei der Verleihung des Professorentitels hat der Minister bereits die Anrechnung der ganzen Wartezeit jugestanden, wozu also bei der
densionierung noch diese Differenz. Beim Professortitel handelt es ich allerdings nicht um einen finanziellen Effekt wie bei der ensionjerung. Mir scheint daber die Schwierigkeit beim a ministerium zu liegen. Ich bitte deshalb den Minister, seinen Einfluß beim Finanzminister geltend zu machen.
Abg. Pleß (Zentr.) tritt für die Einführung der Stenograpbie, und zwar des Gabelsbergerschen Spstems, als Pflichtunterrichts gegen. standes in den höheren Schulen ein. Zur Zelt könne höchstens dag System Stolje ˖Schrey dem Gabelsbergerschen System K werden, aber die neuere Entwickelung sel dem Gabelsbergers n. System besonders günstig, sodaß gerade dieses System für die Schule in Frage komme.
Geheimer Oberregierungdrat Dr. Matthias erwidert, da aus der Pflege der Stenographie durch Vereine noch keine Mißstände ergeben hätten, und daß die Systemfrage noch nicht gelöst sei Se-