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werden. Dieser fiskalische Gesichtspunkt, der bei uns zu einer Erhöhung auf 20 , geführt hat, ist allein die Ursache des Aufblühens dieser Sumpfpflanze, oder, wie der Minsster sagte, dieses Mist⸗ gewächses. Die Begründung klagt auch noch darüber, daß vor 1896, vor Einführung der Steuer, die Rennvereine mehr als jetzt für Rennprämien ausgeben konnten, aber trotz alledem stehen die Renn⸗ vereine bei uns noch garnicht schlecht. Die Vorlage hätte doch auch etwas davon reden sollen, was inzwischen zur Förderung der Renn— vereine und der Rennprämien geschehen ist. Die preußischen Staats—⸗ fonds dafür sind allein im Ordinarium um 500 000 MS erhöht. Das Vorgehen der Regierung ist ein ganz merkwürdiger eirculus vitiosus. Zunächst hat man die Staatssteuer von 10 auf 20 0 erhöht, und zwar, weil man einigermaßen den Betrieb des Totalisators einschränken wollte; nachdem diese Einschränkung eingetreten ist, verlangt man zur Deckung des Ausfalles erbebliche Zuschüsse, die das Abgeordneten haus auch bewilligte; jetzt aber kommt die neue Vorlage. Wenn je, so liegt hier ein Zickzackkurs vor. Wir werden uns also dieser Vorlage gegen— über mit Recht ablehnend verhalten dürfen. Nach meinem Dafür— halten ist der Totalisator eine durchaus unsittliche Einrichtung, und der Staat daif sich nicht zum Mitschulͤdigen einer Einrichtung machen, die darauf ausgeht, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Der Totalisator ist noch nicht alt, er wurde erst 1875 eingeführt; aber schon 1882 wurde er verboten, und zwar weil das Verwaltungsgericht und das Reichsgericht ihn als eine besonders gefährliche Form des Glücksspiels bezeichneten. 1886 wurde er leider wieder zugelassen. Worin der Unterschied gegen andere Spiele, zB. gegen Meine Tante, deine Tante', liegt, kann ich nicht erkennen, vielleicht belehrt uns der Minister darüber. Nun machte sich zu meinem großen Erstaunen der Kollege Hagemann das Argument zu eigen, daß man dem Spieltriebe des Deutschen einiger— maßen Rechnung tragen müsse. Man soll in dieser Hinsicht doch nicht auf die alten Germanen zurückgreifen; Tacitus hat mit Recht gesagt, daß deese Spielsucht eine der schlimmsten und ekelhaftesten Eigenschaften der alten Germanen war. Ueber das Börsensriel als eine der größten Unsittlichkeiten waren neulich alle Parteien einig; ginge es an, es zu verbieten, wir wären dabei. Aber man soll Ten Teufel nicht duich Beelzebub austreiben. Man sagt jetzt, das bißchen Totalisator habe nichts auf sich, darüber muß ich doch mein allerhöchstes Erstaunen ausdrücken. Was man an der Börse tadelt, nimmt im vorliegenden Falle der Staat in seinen Schutz Sehen wir uns doch das Publikum an, das zumeist den Totalisaror freguentiert. Vielfach sind es kleine Leute, Handwerker, Geschäftsleute, kleine Beamte, die ihre sauer verdienten Spargroschen im Spiele anlegen, der gewerbsmäßige Spieler, die ihre derangierten Verbältnisse durch einen Gewinn in Drdnung bringen wollen; dazu kommen die internationalen Hochstapler, die Abenteurer, und nicht zum wenigsten die Verhältnisse, bon denen ja auch der Staatsminister ge— sprochen hat. Jedem Offizier ist es untersagt, zu spielen; trifft das zu, so doch nur, weil es sich für einen anständigen Offizier nicht schickt, zu srielen; dann aber schickt es sich für einen anständigen Bürgersmann erst recht nicht. Unser moralischer Standpunkt wiegt schwer genug, um hier entscheidend mit in Betracht zu kommen. Die Pferdezucht soll den Totalisator nicht entbebren können. Ich glaube das; aber die notwendige Unterstützung wird doch immer noch auch aus Reichs oder Staatsmitteln auf legalem Wege dafür zu erlangen sein. Sind zwei Millionen unbedingt notwendig für solche Zwecke, so müssen sie eben beschafft werden. Die Rennvereine müssen, wenn sie etwas auf sich balten, das Geschenk, das ihnen hier geboten wird, zurückweisen, denn schließlich ist das Wetten eine Spekulation auf die, „die nicht alle werden“. Man schafft hier einen Scheingrund für die Beibehaltung der Rennvereine, indem man ihnen einen Beitrag für einen idealen Zweck gibt. So war es seinerzeit auch bei den Spielbanken. Damals sträubten sich auch die Gemeinden, weil die Spielbanken einen Teil ihrer Einnahmen für öffentliche Zwecke verwendeten. Wir haben gar kein Recht, auf Monaco zu schimpfen, wenn wir diese Vorlage an— nehmen. Man sollte zwei Gesetzesparagraphen annehmen: i) der Totalisater ist verboten, 2 jeder erwerbsmäßige Wettbetrieb wird streng bestraft. Videant consules, ne quid detrimenti ecapiat
res publica. . ; . = ö. . ; Abg. Dr. Pachn icke (fr. Vgg.): Man könnte sich lediglich auf die Annahme des Absatzes 1 des 35 beschränken, der lautet: Das
geschäftsmäßige Vermitteln von Wetten für öffentlich veranstaltete Pferderennen ist nicht gestattet. Damit ware der Totalisator untersagt. Aber auf dem Stempel ist nun einmal die Reichs— einnahme radiziert, und so läßt sich hier nichts machen. Ich bin jedoch entschieden dagegen, daß die Hälfte der Einnahmen den Vereinen überwiesen wird. So etwas ist bisher Privaten nicht gewährt worden, zumal in einem Betrage von etwa 14. Millionen. Außerdem ist die Förderung der Pferdezucht Landes sache, nicht Reichs sache. Man untersckeidet doch sonst so scharf zwischen dem, was den Einzelstaaten und dem, was dem Reiche gebührt. Warum nicht hier? Preußen ist in dieser Beziehung nicht laͤssig ge⸗ wesen. Im Etat für 1904 sollen 235 600 S mehr als bisher für diese Zwecke verwendet werden. Im Gestütsetat sind 250 000 (6 mehr als früher zum Ankauf von Pferden ufw. ausgeworfen, ganz ab— gesehen von anderen Zuwendungen. Die jetzige Finanzlage des Reichs und der Bundesstaaten legt uns Sparsamkeit auf, sodaß wir hier den Boden der Vollage nicht betreten können.
Abg. von Oertzen (Rp): Ich darf der Freude Ausdruck geben, daß von keiner Seite, auch der Linken nicht, behauptet wurde, daß die Förderung der Pferdezucht, auch der Vollblutzucht, nicht im Interesse des ganzen Landes liege. Man hat gemeint, die Vorlage sei lediglich im Interesse der Agrarier gemacht. In meiner Eigenschaft als Voll— blutzüchter, Rennpferdezüchter und Mitglied einer deutschen Kom. mission zur Regelung aller diefer Angelegenbeiten habe ich mich sehr eingehend mit dieser Sache beschäftigt. Außer mir gibt es nur wenige Landwirte, die Vollblutzucht betreiben. In der Regel tun es die reichen Leute, die Freude am Sport haben. Im Interesse unserer Militärpferde ist es unbedingt notwendig, Taß die Vollblutzucht und die Rennen gefördert werden. Das Halten von Vollblutpferden ist mit sehr großen Kosten verknüpft, und wenn die Herren nicht die Hoffnung hätten, einen Teil in den Renn— veieinen zurückiubekommen, so würden sie sehr bald den Sport auf— geben. Als 1870 sich die Ueberlegenheit des deutschen Vollblutpferdes zeigte, hat Frankreich große Anstrengungen gemacht, um uns gleich zukommen. Dies ist ihm auch gelungen, ja es ist uns sogar jetzt über⸗ legen. Ich erinnere nur an seinen Ppferdeexport. Die Rennpreife sind keine Liebesgaben für unsere Rennxpferdebesitzer; sie sollen nur ein kleiner Ansporn für sie sein. Die Vorlage will nicht das Wetten er— leichtern, sondern nur sorgen, daß das Geld nicht bei den Wett— kureaus angelegt werde, sondern bei den staatlichen Wettmaschinen. Daß die Wettbureaus ein Ftrebsschaden sind, wird kein Wensch be— streiten. Sie haben sich erst entwickelt, als die Steuer erhöht wurde. In England und Oesterreich hat man schon früher dem ÜUnwesen der Wettbureaus ein Ende gemacht. Man sagt, daß die Wetten an fich etwas Unmoralisches wären. Ich muß offen gestehen, ich halte das Wetten nicht für eine so unmoralische Handlung. Ich habe in meinem Leben sehr oft gewettet, und ich tue es auch noch, wenn ich Chancen habe. Ich habe eine Einbuße an meinem moralischen Charakter nicht erlitten. Ich kann auch nichts darin finden, wenn jemand in Gottes frische Natur geht, sich an den Pferden erfreut und mit ein paar Mark Einsatz seiner Ansicht über das beste Pferd Ausdruck gibt. Von einem Hasardspiel im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann bier keine Rede sein; es kommt doch auf die Geschicklichkeit des Reiters usw. an. Unmoralisch ist nur, wenn Personen, die nichtz von Pferden verstehen, sich mit Summen an den Wetten beteiligen, die über ihre Verbältnisse gehen. In dieser Beziebung trifft die Vorlage sehr segensreiche Abwehrmaßregeln. Ich bitte Sie, diesen Gesetz— entwurf schnell anzunehmen, damit die Wettbureaus möglichst bald aus der Welt geschafft werden, und eine Handbabe zur Förderung der Pferdezucht gegeben ist. Mit der Annahme des Gesetzes würden Sie sich ein Verdienst um das ganze Volksleben erwerben
Abg. Graf von Bernstorff (b. k. F): Vor
n den heutigen An⸗
griffen hat mich vor allem der Hieb auf die Reichsre .
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gierung gefreut, hren auch mit
der ihr dafür versetzt wurde, daß sie vor acht I
moralischen Gründen die Einführung der Steuer begründete, während doch nur ein fiskalisches Interesse vorlag. Es steht bombenfest, daß das Wetten nicht aus der Welt geschafft werden wird; anderseits ist die Hebung der Landespferdezucht ein dringendes Interesse. Relativ ist also immerhin der Totalisatorbetrieb vorzuziehen. Herr Pachnicke meint, wir könnten für den 8 5 nicht stimmen, weil wir damit in die Landesgesetzgebung eingriffen. Das ist tichtig; aber die Landespferdezucht hängt von der Vollblutzucht ab. Die Rennvereine haben die Pferdezucht immer sehr wesentlich unterstützt; wir müssen ihnen also zu Hilfe kommen. Auch die Rennvereine haben stets gemeinnützige Einrichtungen gepflegt; jetzt aber sind sie dazu auf dem Gebiete der Pferdezucht nicht mehr imstande. Die Produktion schwerer Pferde darf nicht beeinträchtigt werden; wir müssen auch unsere Remontestutenstämme erhalten, sonst geht unsere Remontezucht zu Grunde. Wollen Sie mehr für unsere Remonten ausgeben, einen Durchschnittspreis von 1300-1350 „ anlegen, so brauchten wir die Vorlage nicht. Aber es würde ein Sturm der Entrüstung entstehen, die Buxdgetkommission würde sich alle Haare einzeln ausraufen, wenn eine solche Forderung von 4 bis 5. Millionen jährlich mehr gestellt würde.
Abg. Dr. Udo Graf zu Stolberg Wernigerode (d. kons.): Ich beschränke mich nach der eingehenden Debatte auf die Zurückweisung des Vorwurfs, daß wir uns wieder durch agrarische Inỹeressen leiten ließen. Herr Singer meinte, wir verständen aus allen Blüten Honig zu saugen; wir interessierten uns für den Totalisator, weil die Pferde⸗ zucht im agrarischen Interesse liege. Es handelt sich lediglich um militärische Interessen, nicht um agrarische. Die Anforderungen an die Leistungssähigkeit unserer Kavalleriepferde sind unausgesetzt ge—
985 ee, ; stiegen; wir brauchen ein tüchtiges Halbblutpferd, das nur durch ein
töüchtiges Vollblutpferd erhalten wird, und dieses können wir nur in
Rennen erlangen. Die heutige Debatte hat diese Lehrfätze durchaus bestätigt. Im preußischen Abgeordnetenhause wurde den Miniftern immer vorgeworfen, daß sie bei der Auswahl der Deckhengste zu viel Rücksicht auf das Militärische, zu wenig auf das Landwirtschaftliche nähmen, es handelt sich also wirklich nicht um ein agrarisches Interesse. Wenn wir nicht Remonten ziehen wollten, brauchten wir ganz andere Deckhengste. Die Kommission bitte ich, die Vorlage schleunig zu er— ledigen und sie hauptsächlich unter dem Gesichtspünkt zu betrachten, daß durch sie die Winkelwettbureaus beseitigt werden. Die Vorlage geht an die Budgetkommission.
Es folgt die zweite Lesung des Gesetzentwurfs, betreffend die Entschädigung für unschuldig erlittene Unter⸗ suchungshaft, auf Grund des Berichts der VII. Kommission. Referent ist der Abg. Burlage Zentr.).
Der 81 lautet nach den Beschlüssen zweiter Lesung in der Kommission:
Personen, die im Strafverfahren freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt sind, können für erlittene Untersuchungsbaft Ent— schädigung aus der Staatskasse verlangen, wenn das Verfahren ihre Unschuld ergeben hat; Unschuld liegt auch dann vor, wenn kein dringender Verdacht mehr bestebt. Der Untersuchungshaft steht gleich die vorläufige Fest— nahme und die Vorführung.
Außer dem Verhafteten haben diejenigen, denen gegenüber er kraft Gesetzes unterhaltungsxrflichtig war, Anspruch auf Entschädigung. Dieser Anspruch wird dadurch nicht ausgeschloffen, daß der Verhaftete stirbt, bevor er freigesprochen oder außer Verfolgung gesetzt ist.“
Die gesperrten Sätze sind Zusatz der Kommission; die Worte „Unschuld liegt auch dann vor usw.“ bis zum Schluß des ersten Absatzes lauteten in dem Entwurf: „oder dargetan hat, daß gegen sie ein begründeter Verdacht nicht vorliegt“.
Die Abgg. Auer (Soz. und Genossen beantragen folgende Fassung des ersten Absatzes:
»Personen, gegen welche Untersuchungshaft verhängt war oder die sistiert, vorläufig festgenemmen oder vorgeführt worden sind, können Entschädigung beanspruchen, wenn sie rechtskräftig frei— gesprochen oder außer Verfolgung gesetzt sind.“
Stellrertretender Bevollmächtigter zum Bundesrat, Großherzoglich sächsischer Geheimer Legationsrat Dr. Pauls sen stellt einen dom Abg. Müller⸗Meiningen in erster Lesung mitgeteilten Fall richtig, nach dem ein Gerbermeister, der wegen Brandstiftung zu Zuchthaus verurteist und später im Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen worden, durch die Untersuchungshaft geschäftlich zu Grunde gerichtet worden sein sollte. Die gerichtlichen Feststellungen hätten ergeben, daß der An— geklagte schon vorher sich im Vermögensverfall befunden habe, er fei außerdem auch wegen Wechselfälschung verurteilt worden. Nach Lage der Gesetzgebung hatte nur der durch die Strafpollstreckung entstandene Schaden ersetzt werden können.
Abg. de Witt (Zentr.): Wir werden dem Gesetzentwurf in der Fassung der Kommission zustimmen. Wir hatten in der Kommission beantragt, die Worte in z 1: durch Beschluß des Gerichts“ zu streichen, um den Kreis der Personen zu erweitern, denen die Wohltat
des Gesetzes zu gute kommt. Leider haben aber die verbündeten Re.
gierungen, nicht die Kommission, dagegen einen sehr lebhaften Wider— sLruch erhoben. Wir waren also in dem Dilemma, an unserem Vor— schlage festzuhalten und, das ganze Gesetz zu Falle zu bringen, oder darauf zu verzichten. Die Entscheidung konnte für uns nicht zweifel⸗ haft sein. Auch ohne diese Bestimmung bleibt das Gesetz noch ein Fortschritt gegenüber dem jetzigen Zustand. Wir wollen damst die Frage nicht endgültig begraben, sie wird vielmehr bei der Strafproʒzeß⸗ ordnung wieder aufgenommen werden.
Abg. Him burg (d. kons.): Auch wir sind uns klar, daß durch die Kommissionsfassung alle unsere Wünsche nicht erfüllt werden. Immerhin ist hier Vorsicht geboten, da es sich um ein ganz neues gesetzgeberisches Gebiet, handelt. Haben wir erst Erfahrungen ge— sam melt, so werden wir weiter gehen und weiter gehen müssen unker dem Druck der öffentlichen Meinung. In bezug auf das Ziel, das wir erstreben, sind wir ja alle einig. Die verbündeten Regierungen haben auch selbst das Bestreben, Abhilfe zu schaffen, eweit es möglich ist. Wir werden also für die Kommissionebeschlüsse ftunmen und famt' liche Abänderungkanträge ablehnen, soweit sie von Erheblichkeit sind.
Abg. Hagemann (nl): Auch meine politischen Freunde stimmen den Kommissionsbeschlüssen zu. Es wäre nicht angezeigt, und ein Unrecht, zu dem ganzen Gesetze nein zu sagen, nur weil es nicht alle Wünsche erfüllt. Durch das Gesetz werden 3 aller in Untersuchungs— haft Genommenen sichetgestellt. Für das übrige Sechstel, die auf die Gnade angewiesen sind, werden die Einzelstaaten sorgen wie bisher. Es wird sich auf Grund der zu sammelnden Erfahrungen unschwer eine Bestimmung aufstellen lassen, durch die auch denjenigen eine Entschädigung zu teil wird, denen sie jetzt versagt bleibt. Ab— änderungtantraͤge werden wir, so weit sie nicht ganz unerheblich sind, ablehnen.
Abg. Dr. Müller. Meiningen (fr. Volksp.): Ich will auf die Aus⸗ führungen des sächsischen Regierungsvertreters nicht eingeben, ich müßte sonst die fünf Bände Akten dieser Kriminaltragödie vorlesen. Ich babe meine Information von einem durchaus zuverläfsigen Gewährsmann erhalten, dem Verteidiger des Angeklagten, und muß alles aufrecht. erhalten. Der Prehm ist durch die Untersuchungshaft um sei Vermögen geko¶mmen. Er wurde erst wegen Brandstiftung ver— haftet, wegen Wechselfälschung erst später. Der Konkurs war nicht früher eröffnet worden, vielmehr ein Jahr nach der Untersuchung. Sein ganzes Hab und Gut ist ihm fortgeschleppt worden, es war ärger als im Kriege. Darf das in einem Rechtsstaat vorkommen? Ich erwarte vor allem den Beweis von dem Regierungevertreter, daß diese ungesetz⸗ liche Plünderung nicht vorgekommen ist. Es wäre die verdaminke Pflicht und Schuldigkeit des Staats, dem Mann volle Entschädigung Der vollgültigste Beweis für die Unrichtigkeit der wesen:⸗ lichen Behauptungen des Regierungskommissars ist niedergelegt in dem Beschluß des Oberlandesgerichts Jena, durch den das Wiederausnahmever fahren beschlessen wurde, und daß in einer so sorgfältigen Weise vorgegangen ist, daß der Regierungs—
kommissar nicht befugt ist, mit einem gewissen Hohn zu sagen, das sei ja nur der Beschluß des Wiederaufnahmeverfahrens. Es sollte sogar ein Disziplinarverfahren gegen meinen Gewährsmann eingeleitet werden, weil er mir ungenaue Mitteilungen gemacht habe, während er mich nach bestem Wissen und Gewissen unterrichtet hat. Glauben Sie nicht, daß derartige Fälle in den Orten, wo sie vorkommen, geradezu aufreizend wirken? ᷣ
Stellveitretender Bevollmächtigter zum Bundesrat, Großherzoglich sächsischer Geheimer Legationsrat Dr. Paulsen: Ich hätte er⸗ wartet, daß der Herr Abg, Müller⸗Meiningen sich, zumal in seiner Eigenschaft als Richter, überzeugt hätte, daß in dem Prozeß alles richtig zugegangen ist. Es ist allerdings richtig, daß gegen den Rechtsanwalt das Disziplinarverfahren eingeleitet werden sollte, weil sich in dem Stenogramm der ersten Rede des Abg. Dr. Miller eine Fülle von Uniichtigkeiten fand. Der Rechtsanwalt wird sich wohl dafür zu verantworten haben. Wie der Abg. Dr. Müller sagen kann, ich hätte meine Behauptungen nicht bewiesen, ist mir unklar, ich habe alle meine Behauptungen durch Verlesung von Schriftstücken belegt. Nun ist der Regierung ein Voræurf gemacht, daß dem Manne seine Sachen fortgeschleppt wären, es ist aber durch Zeugen bestätigt, daß die Sachen, die übrigens hauptsächlich von den Verwandten entführt waren, wieder hingebracht sind, und daß der Betreffende selber nicht angeben konnte, was noch fehlte. Er hätte ja das Recht gehaht, den Fiskus zu verklagen, es handelt sich aber in diesem ganjen Prozeß lediglich um die Entschädigung für die Strafvollstreckung. Die von mir verlesenen Ausführungen darüber finden sich ebenfalls in einem Urteil des Oberlandesgerichts Jena, und zwar in einem Zivilprozeß. Der Fehler ist vom Schwurgericht ge— macht worden, und ich selbst hätte den Prehm mangels Beweises auch freigesprochen, es lagen aber doch sehr schwerwiegen de Belastungs⸗ memente vor. Was die Vermögensverhältnisse anbetrifft. so ist nicht außer acht zu lassen, daß der Mann auch wegen Wechselfälschung ver= urteilt war, und wer Wechsel fälscht, lebt gewöhnlich nicht in glänzenden Vermögensverhältnissen.
Abg. Prüschenk von Lindenhofen (Rr) erklärt namens seiner Fraktion, daß auch diese sich auf die Beschlüsse der Kom mission zurückriehe und allen weitergehenden Abänderungen ihre Stimme nicht geben werde. Das Gesetz werde an sich bald eine Erweiterung er—⸗ fahren, denn die öffentliche Meinung werde nicht erlahmen, zu ver— langen, daß das letzte Sechstel der Unglücklichen auch der Ent⸗ schädigung teilhaftig werde. Jedenfalls mache man mit dem Gesetz einen ganz erheblichen Fortschritt. . =
Abg. Momm sen (fr. Vgg): Die zugestandene Tatsache, daß gegen den betreffenden Rechtsanwalt als Gewährsmann des Abg. Müller wegen angeblich falscher Mitteilung das Disziplinar- verfahren eingeleitet worden ist, läßt doch die Vermutung auf— kommen, daß der Kollege Müller mit seinen Angaben im Rechte ist, sonst wäre diese höͤchst eigentümliche Maßnahme doch nicht getroffen worden. Wir müssen sehr bedauern, daß in der zweiten Lesung der Kommissien alle Verbesserungen, die diese in die Vorlage hineingebracht hatte, wieder beseitigt worden sind. Die Gründe für die Vorenthaltung der Entschäͤdigung an diejenigen, die durch den Staatsanwalt wieder außer Verfolgung gesetzt wurden, hatten nichts Ueberzeugendes; wir hörten nur das reine Nein des Staatssekretärs und die Erklärung, daß das Gesetz an dieser Aenderung scheitern würde. Wenn das Zentrum der Regierung mildernde Umstände für diese Haltung zuspricht, so muß beachtet werden, daß es selbst von der ersten zur zweiten Lesung auch umgefallen ist. Die Vertröstung auf die Zeit, wo die Reform des Strafprozesses gekommen sein wird, ist dech sebr nebelhaft. Die verbündeten Re⸗ gierungen sollten wenigstens dafür sorgen, daß eine ausreichende Statistik seitens der Einzelstaaten vorliegt, wenn wir abermals uns mit der Materie zu beschäftigen haben werden. Wir müssen hier freilich auch nehmen, was wir kriegen können; gerade größere Parteien hätten die Kraft und Macht gehabt, die Regierung zu zwingen, ihr Gesetz in einer verbesserten Gestaltung anzunehmen.
Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nie berding:
Meine Herren! Wenn der Herr Vorredner in seinem Schlußwort andere Parteien des Hauses darauf aufmerksam gemacht hat, daß es ganz in ihrer Hand gelegen hätte, die Regierungen dazu zu zwingen, dies Gesetz in einer Form anzunehmen, die ich meinerseits ermächtigt war, in der Kommission für unannehmbar zu er— klären, so kann ich nur darauf erwidern, daß er sich darin irrt. Die verbündeten Regierungen haben sich sehr wohl überlegt bei Ein— bringung dieses Entwurfs, wie weit sie ohne Bedenken gehen können . Sie haben sich von vornherein schlüssig darüber gemacht, daß sie die Grenzlinie, die sie damals als in der Sache gegeben anerkannten, nicht überschreiten würden. Sie haben diese ihre Auffassung in der Kommission, die mit der Vorberatung dieses Gesetzentwurfs betraut war, ungeschminkt zum Ausdruck gebracht, und sie wären zweifellkos in die auch für sie sehr bedauerliche Lage gekommen, dem Besetzentwurf ihre Zustimmung zu versagen, wenn ihren Bedenken zu 8§ 1, wie es in der Kommission ja glücklicherweise nun doch geschehen ist, nicht Rechnung getragen worden wäre. Ich kann also in dieser Beziehung den Herrn Vorredner durchaus beruhigen: die Kommission hat da nichts versäumt.
Nun, wenn trotzdem von allen Seiten des hohen Hauses, von
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denen bis jetzt Stimmen laut geworden sind, dem Be— dauern darüber Ausdruck gegeben ist, daß die verbündeten Regierungen keine Zugeständnisse gemacht haben, und wenn
die Erklärungen allerseits dahinlauten, daß die einzelnen Parteien nur ungern dem Entwurf in der Beschränkung, wie er jetzt vor Ihnen liegt, zustimmen, so muß ich doch, um auch die andere Seite der Sache zu ihrem Rechte kommen zu lassen, hier in der zweiten Lesung, wie ich dies bereits in der ersten Lesung getan habe, hervorheben, daß die Regierungen nur nach sehr schweren Bedenken sich entschlossen haben, den Schritt zu tun, der zu dieser Vorlage geführt hat.
Meine Herren, es ist bereits hervorgehoben worden, daß die gegen= wärtige Vorlage praktisch eine ungleich weitere Tragweite besitzt als das Gesetz vom 20. Mai 1898 über die Entschädigung bei Strafhaft, mit dessen Erfahrungen wir vorläufig allein zu rechnen haben. Ueber die Wirkungen, die dieses neue Gesetz haben wird, wenn es in der vor— liegenden Gestalt angenommen wird, kann man wohl Mutmaßungen hegen, aber eine irgendwie bestimmte Meinung kann man darüber nicht aussprechen. Die verbündeten Regierungen bleiben auf dem Stand— punkt, daß bei diesem ersten Schritt auf einem neuen ganz unbetretenen Wege mit der größten Vorsicht gewaltet werden muß, daß für die Zukunft den gesetzgebenden Faktoren des Reichs vorbehalten bleiben muß, den gesetzgeberischen Gedanken weiter, als dieser Entwurf es tut, zu entwickeln, sofern in der Tat die praktischen Er— fahrungen als günstig sich herautstellen werden, wie ich das allerdings hoffe.
(Schluß in der Zweiten Beilage) ;
zum Deutschen Reichsanzeiger und Köni
2 106.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Ich muß aber doch gleich dem Herrn Vorredner, der darauf Bezug nahm, daß ich mich bereit erklärt hätte, für einen weiteren Ausbau dieses Gesetzes ohne weitere Vorbedingungen demnächst meine Mitwirkung eintreten zu lassen, erwidern, daß ich solches nicht gesagt habe, und mir die verbündeten Regierungen auch nicht die Ermächtigung gegeben haben, in dieser Be— ziehung etwas zu versprechen. Was ich gesagt habe, ist das, daß im Laufe der Zeit und namentlich bei Beratung der Strafproʒeß⸗ ordnung sich genügsam die Gelegenheit ergeben werde, diesen Gegen— stand von neuem zu erörtern, und daß dann die Bedenken, die von seiten der verbündeten Regierungen jetzt als hindernd für ein weiteres Vorgehen angeführt worden sind, nochmals zur Dikkussion kommen, und daß wir dann sehen werden, was sich aus den tat— sächlichen Erfahrungen ju Gunsten einer Gesetzesrevision ergibt. Weiter bin ich in meinen Erklärungen nicht gegangen. Wenn ich auch überzeugt bin, daß die verbündeten Regierungen dem gesetzgeberischen Grundgedanken der Vorlage zu Gunsten seiner weiteren Ausgestaltung in der weiteren Zukunft durchaus wohlwollend gegen⸗ äberstehen werden, so muß ich doch mit aller Reserre feststellen, daß ibrerseits ein Obligo für einen weiteren Ausbau dieses Gesetzes zur Zeit nicht übernommen werden kann. Ich sage das nur, um klar iu sein. Ich will Sie in keine falschen Hoffnungen wiegen; ich er⸗ kläre das, was ich halten kann, ich lehne offen das ab, was mir zu⸗ gemutet wird, wenn es von mir nicht übernommen werden kann. Aber Sie brauchen daraus nicht zu schließen, daß irgendwie die Aus— sichten für einen weiteren Ausbau des Gesetzes, wenn die Erfahrungen sich günstig gestalten, hoffnungslos seien.
Meine Herren, es ist von verschiedenen Seiten mit besonderem
Bedauern darauf hingewiesen worden, daß nur ein Sechstel aller un— schuldig Verhafteten, wie wir das ungefähr geschätzt haben, ohne Er tschãdi⸗
gung bleiben würde. Von einigen Seiten ist allerdings darauf hin— gewiesen, daß von seiten der verbündeten Regierungen in? ussicht gestellt wurde, für solche Fälle im Gnadenwege eine Entschädigung eintret iu lassen; aber es ist dies als eine ziemlich untergeordnete Zusage be— handelt worden. Nun, die Motive des Entwurfs haben es aus— drücklich ausgesprochen auf Grund eines formellen Beschlusses der verbündeten Regierungen, der gefaßt wurde im Laufe der Beratung über den Entwurf — ich habe bei der ersten Lesung der Vorlage die Ehre gebabt, ihn vor Ihnen zu wiederholen, ich habe es in der Kommission erklärt und erkläre es hier nochmals, daß die verbündeten Regierungen keineswegs gewillt sind, eine Entschädigung in den Fällen zu versagen, in denen jemand unschuldig verhaftet gewesen ist, aber auf Grund dieses Gesetzes zu einer Entschädigung nicht gelangen kann. Die verbündeten Regierungen werden dann den Verwaltungsweg wählen, um den Verletzten ju der billigen Ausgleichung zu verhelfen, die Sie mit uns ihm gern zuerkennen wollen. Wir können das zur Zeit nicht erreichen auf dem Wege, der für die übrigen Verhafteten eingeschlagen worden ist, und es ist nicht richtik, wenn der Herr Vorredner gesagt hat, daß wir in dieser Beziehung in der Kommission stets nur mit dem einfachen Nein“ dagewesen wären. Ich kann die geehrten Herren nur bitten, die Kommissionsverhandlungen einzusehen; ich habe die Gründe, die die verbündeten Regierungen für sich als zwingend anerkennen, aus⸗ führlich dargelegt, und ich kann nicht zugeben, daß diese Gründe sich reduzieren lassen auf ein einfaches „Nein“.
Meine Herren, ich erkenne mit dem Herrn Vorredner an, daß für die Verwertung unserer Erfahrungen über ein Gesetz, wie wir es Ihnen vorgelegt haben, und für die Frage des weiteren Ausbaues dieser Gesetzgebung von ganz besonderer Wichtigkeit statistische Ermittelungen sind. Ich bedauere es auch meinerseits, daß wir nicht in der Lage gewesen sind, ausgiebige Ermittelungen dieser Art dem Hause vor⸗ zulegen. Ich muß offen gestehen: bei dem großen Entgegenkommen,
das nach unserer Auffassung in der Vorlage diefes Gesetz⸗ entwurfs gegenüber den früheren Wünschen des Reichstags
enthalten ist, haben wir es nicht für nötig gehalten, da noch mit statistischen Zahlen zu kommen. Ich will aber sehr gern dem Herrn Vorredner die Erklärung abgeben, daß die Reichs justizverwaltung sich mit den Justizverwaltungen der einzelnen Bundesstaaten bereitwilligst ins Benehmen setzen wird, um festzustellen, was notwendig und was möglich ist, um zu einem äberzeugenden Zahlenmaterial für die Zukunft zu kommen. Wenn Aufzeichnungen ohne schwere Bedrückung der Justizverwaltung im Bereiche der einzelnen Gerichte sich bewerkstelligen lassen sollten, so werden sie, wie ich annehme, auch bewerkstelligt werden; wir werden ja Gelegenheit haben, uns über diese Frage weiter im Laufe des nächsten Jahres zu unterhalten und dabei zu sagen, in welchem Um⸗ fange es möglich gewesen ist oder nicht, dem Wunsche, dem der Herr Abgeordnete Ausdruck gegeben hat, gerecht zu werden.
Im übrigen, meine Herren, muß ich nochmals wiederholen: bei der nach meinem Gefühl sehr zurückhaltenden Würdigung, die die Verlage hier im hohen Hause gefunden hat, kann ich es nicht unter⸗ lassen, darauf nochmals hinzuweisen, daß bisher kein größerer Staat sich im Besitze einer Gesetzzebung befindet, wie wir sie Ihnen hier in Vorschlag bringen. Das sollte man nach meiner Meinung anerkennen, meinetwegen als einen ersten, aber trotzdem doch auch als einen großen und bedeutsamen Schritt zu neuen Zielen, und man sollte sich nicht immer darauf beschrãnken, das Entgegenkommen der Regierung, daß ihr hier wie in anderen Fragen nicht immer leicht geworden ist, damit zu belohnen, daß man dasjenige, was Ihnen gebracht wird, unfreundlich und abfällig be⸗ handelt. Es ist in der Tat — und wir werden es in einigen Jahren an den Tatsachen erkennen — kein bedeutungsloser Schritt, der von seiten der Gesetzgebung hier getan werden soll.
Stellvertretender Bevollmächtigter zum Bundesrat, Großh erjoglich
sächsischer Geheimer Legationsrat Dr. Paulssfen? Der Abg.
mmsen kann überzeugt sein, daß wir mit dollständig offenen Karten
Zweite Beilage
Berlin, Donnerstag, den 5. Mai
Wir würden nicht vorgegangen sein, wenn wir unserer
gespielt haben. x i Sache nicht sicher gewesen wären. Gegen' den betreffenden Rechte ⸗
anwalt war das Dieziplinarverfahren eingeleitet worden, weil man auf die Vermutung kommen mußte, daß er dem Abg. Müller un— richtige Mitteilungen gemacht hätte. Ein Rechtsanwalt verstößt gegen
seine Vervflichtung, wenn er unwahre Behauptungen einem kankeren mitteilt. Bisher ist nur der Schriftsatz, den der Rechtsanwalt dem Abg. Mäller geschickt hat, beigezogen worden.
Abg. von Damm (b. E. F): Auch wir Deutsch⸗ Hannoveraner lãtten eine Erweiterung des Gesetzentwurfs gewünscht; aber nach der Erklärung des Staatssekretärs wäre es underantrwortlich, das Gesetz zu Fall zu bringen. Die Frage zu untersuchen, wer die Schuld trägt, ift müßig. Unmögliches verlangen wir nicht, um nicht das Gesetz zu Fall zu bringen. . . Hierauf wird um 6 Uhr die weitere Beratung auf Donnerstag, 1 Uhr, vertagt. (Außerdem Rechnungsvorlagen und einige der bei der Beratung des Etats des Reichsamts des Innern zurückgestellten Resolulionen.)
Prenßischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 66. Sitzung vom 4. Mai 1904, 11 Uhr.
Es wird die erste Beratung des Gesetzentwurfs, be— treffend die Herstellung und den Ausbal von Wasser⸗ stratzen, fortgesetzt.
Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:
Meine Herren! Nachdem die Vertreter der drei großen Parteien, die bei der früheren Beratung der wasserwirtschaftlichen Vorlage im wesentlichen einen ablehnenden Standpunkt einnahmen, gestern zum Wort gekoramen sind, schöpfe ich aus den Darlegungen dieser Herren die Hoffnung, daß es gelingen wird, zu einer Verständigung zwischen dem hohen Hause und der Regierung zu gelangen. Denn, wenn auch von den Herren Rednern Bedenken verschiedener Art erhoben worden sind, so habe ich doch zu meiner Freude aus keiner von ihren Aeuße⸗ rungen eine grundsätzliche Ablehnung der Vorlage entnommen. Wir werden uns bemühen, die Bedenken, die im einzelnen erboben worden sind, in der Kommission zu prüfen und, wie wir hoffen, zu wider⸗ legen. Auf einzelne dieser Bedenken werde ich mir gestatten, im Laufe meiner Ausführungen zurückzukommen.
1 von der früheren insofern vorteilhaft unterscheide, als sie nicht die weitgehenden Kompensationen hervorriefe, die das Gefolge de früheren Vorlage waren, und gebrauchte den Ausdruck, daß dadurch der Himmel wesentlich klarer geworden sei. In der Tat ist es diese Frage der Kompensationen, die wesentlich die Regierung mit dazu ver⸗ anlaßt hat, diese ganze Frage einer nochmaligen eingehenden Prüfung zu unterziehen und Ihnen die Vorlage in der beschränkten Form zu machen, wie sie Ihnen jetzt unterbreitet ist.
Che ich auf einzelne Punkte eingehe, halte ich es aber für meine Pflicht, die Vorlage in toto noch nach der finanziellen Seite zu be—⸗ leuchten, nachdem der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten gestern die wirtschaftliche Seite der Frage eingehend behandelt hat. Es sind ja namentlich in der Presse ganz übertriebene Aeußerungen laut ge⸗ worden über die finanzielle Belastung, die die Vorlage mit sich bringt; man sprach von 700 Millionen und ähnlichen Beträgen, und im allgemeinen herrscht noch vielfach die Annahme, daß die Lasten, die aus der Vorlage dem Staat erwächsen, unerträglich hoch seien. Ich halte es deshalb für notwendig, zunächst festzustellen, wie hoch sich die Gesamtausgaben infolge der Vorlage stellen werden, und wie viel von diesen Ausgaben überhaupt zu Lasten der Staatskasse verbleibt.
Was zunächst die Wasserstraßenvorlage betrifft — ich darf diesen Ausdruck kurz gebrauchen, wie ihn der Herr Minister der öffent⸗ lichen Arbeiten gestern auch gebraucht hat —, so stellen sich die Kosten für den Rhein⸗Dortmundkanal auf. ... 70 Millionen Mark, für die Nachbesserungen an der Strecke Dort-
mund eren, nf rundd, J. ö und für den Kanal Bexergern⸗Hannover auf 1204 z ü
In Summa erfordert der Kanal Rhein. Hannover also einen Aufwand von ... Die Herstellung eines Großschiff ahrtsweges Berlin — Stettin bedingt einen Kostenaufwand 1 m . 2 Die Verbesserung der Wasserstraße zwischen Oder und Weichsel mit Einschluß der Warthe k .. ; c Die Kanalisierung der Oder von der Mündung der Glatzer Neisse bis Breslau nebst den Versuchsbauten an der Oder abwärts von Breslau erfordert einen Kostenaufwand von e 61 ö .
Das gibt ins gesamt einen Kostenaufwand von 280 Millionen Mark. Die Vorflutvorlagen oder Vochwasserschutzborlagen, wie Sie sie nennen wollen, die wir in den letzten Tagen der vergangenen Woche beraten haben, erfordern ; . n, , e . mannonan Mark,
ö — ö ö 1 104 . = daju treten die Aufwendungen für die obere
und mittlere Oder, die in masimo auf. . 60 ö .
festgesetzt sind, sodaß diese Hochwasserschutz =
vorlagen einen Kostenaufwand von.... 1283 Millionen Mark in sich schließen. Die Gesamtkosten der beiden Vorlagen stellen sich also so, daß die Wasserstraßenvorlage ... 2804 Millionen Mark
erfordern, die Hochwasserschutzzorlagen .. 128 . ö in summa. . . 409 Millionen Mark. Diese Aufwendungen, meine Herren, bleiben aber, wie Ihnen ja bekannt und in den Verlagen eingehend nachgewiesen ist, nicht aus—
glich Preußischen Staatsanzeiger
1904.
schließlich zu Lasten des Staats, sondern werden zu einem großen Teil von den Interessenten getragen und, wie ich schon bei den Hochwasservorlagen ausführte, so kann ich auch hier nur wiederholen, daß ich diese Heran⸗ ziehung der Interessenten für einen ganz wesentlichen, ja unerläßlichen Teil der Vorlage halte. Denn diese Beteiligung der Interessenten an den Gesamtkosten gibt in der Tat die Bürgschaft dafür, daß von den Wasserstraßenvorlagen so erhebliche wirtschaftliche Vorteile zu er⸗ warten sind, wie sie von den Interessenten angegeben werden. Herr Dr. am Zehnhoff hat auch ganz richtig darauf hingewiesen, daß die Beteiligung der Interessenten ein Prüfstein für die Wirtschaftlichkeit der ganzen Vorlage bilde.
Herr Graf zu Limburg-Stirum wandte gestern ein, ob die Interessenten auch in der Lage sein würden, diese Kosten zu tragen, ob nicht nachher an den Staat das Ansinnen gestellt würde, auch noch die Interessentenbeiträge zu übernehmen. Meine Herren, in dieser Beziehung hege ich keinen Zweifel; denn wir erfordern derartige Beiträge ja nicht von beliebigen einzelnen Privatinteressenten, sondern von großen leistungs fähigen Korporationen, im allgemeinen von Provinzen, in einzelnen Fällen auch von Städten und Kreisen, kurz von Organen, die genau wissen, was sie tun, wenn sie derartige Verbindlichkeiten übernehmen, und selbstverständlich werden wir sie an den Verbindlichkeiten festhalten, die sie einmal eingegangen sind.
Wie stellt sich nun die Kostenverteilung zwischen Staat und Interessenten? Vom Rhein —Dortmund⸗Kanal, der 709 Millionen erfordert, entfallen auf den Staat 47 Millionen, auf die Interessenten 235 Millionen. Die Verbesserungsarbeiten an der Strecke Dort⸗· mund — Bevergern trägt der Staat allein mit 6 Millionen, weil es sich um die Nachbesserung einer bereits bestehenden Wasserstraße handelt, und für den Kanal Bevergern— Hannover mit einem Gesamt⸗ aufwande von 1203 Millionen entfallen auf den Staat 763 Millionen, auf die Interessenten 44 Millionen. Von dem Gesamtbedarf des Kanals Rhein — Hannover mit 197 Millionen verbleiben also zu Lasten des Staats 1285 Millionen, während die Interessenten 67 Millionen zu tragen haben. Berlin — Stettin erfordert 433 Millionen, von denen der
Staat 29 Millionen trägt, die Interessenten 144 Millionen. Bei der Oder — Weichsel⸗Wasserstraße mit Einschluß der W Gesamtkostenaufwand von 21 Millionen derartig verteil Staat 15 Millionen entfallen, auf die Interessenten 6 Millionen. Was endlich die Kosten der Kanalisierung der Oder von der Neisse⸗ mündung bis Breslau anbetrifft mit einem Kostenbedarf von 19 Millionen, o soll der Staat 14 Millionen tragen, die Interessenten 5 Millionen. Von dem gesamten Kostenbedarf des Ausbaus der Wasserstraßen mit 280 Millionen entfallen also auf den Staat 187 Millionen, auf die Interessenten 93 Millionen.
Meine Herren, dieses Rechenerempel siellt sich aber noch wesent⸗ lich günstiger für den Staat, wenn man die jährliche Belastung ins Auge faßt. Die dauernde Belastung des Staats wird bei dem Wasserstraßenausbau deswegen verhältnismäßig wesentlich geringer, weil die Betriebs, und Erhaltungskosten mit den geringen Mehr⸗ kosten, die die Strecke Bevergern Dortmund erfordert, ganz von den Interessenten übernommen werden sollen. Diese Betriebs— und Unterhaltungskosten sind auf rund 3 Millionen jährlich ver⸗ anschlagt. Die Verzinsung der zu Lasten des Staats verbleibenden Baukostenrate von 188 Millionen mit 30, und die Amotti— sation mit po gibt eine jährliche Belastung des Staat s von etwa 6 600 000 4M, während die Interessenten unter Zugrundelegung des gleichen Verzinsungs⸗ und Amortisationssatzes von ihrem Kostenbedarf von 93 Millionen rund 3 200 000 SP entfallen. Hinzu treten die Unterhaltungskosten, die, wie ich eben angegeben habe, etwa 3 Millionen Mark betragen, sodaß die Gesamtleistung der Interessenten 6 200 0090 40 beträgt gegenüber der Leistung des Staats von 6 600 000 . Die Leistungen der Interessenten kommen also annähernd denen des Staats gleich.
Diese Leistung, meine Herren, von 6 600 000 46 wind aber tat⸗ sächlich zu einem wesentlichen Teil durch die Schiffahrtsabgaben ge—⸗ deckt weiden. Denn es kann keinem Zweifel unterliegen, daß jeden⸗ falls ein Teil der Kanäle, namentlich der Kanal von Dortmund nach dem Rhein, alsbald seine Verzinsung bringen wird und auch die anderen Kanäle, nachdem sie sich entwickelt haben, jedenfalls einen Teil der Verzinsung und Amortisation aufbringen werden. Vor⸗ übergehend bis zur Entwickelung des Verkehrswesens werden allerdings staatsseitig Opfer zu bringen sein. Die Herren finden in den Materialien, die Ihnen vorgelegt sind, eingehende Darlegungen darüber enthalten. Es ist angenommen, daß beispielsweise der Kanal vom Rhein bis Hannover nach der Eröffnung eine 30 dige Ver⸗ zinsung noch nicht erreicht, wohl aber, nachdem er 10 Jahre in Betrieb ist, also im Jahre 1922. Egs ist angenommen, daß, nachdem der Kanal 10 Jahre lang in Betrieb ist, sich die Teil⸗ strecke Dortmund —Rheinkanal mit 48 0 verzinst und einen Ueberschuß von 1245 000 „ liefert; dann wächst der Strecke des jetzigen Dortmund — Emkkanals, Dortmund — Bevergern, ja ein sehr erheblicher Verkehr zu, sodaß sich dort ein Ueberschuß von 1973 000 Mνιν ergibt. Der Kanal von Bevergern nach Hannover allerdings wird zunächst nur eine Verzinsung von 1,6 C60 ergeben und also ein Defizit gegenüber einer dreiprozentigen Verzinsung darstellen. Aber dieser Fehlbetrag an einer dreiprozentigen Verzinsung von 1L 693 000 M wird weitaus gedeckt, wie ich mir anzuführen erlaubt habe, durch die Verzinsung, die die Strecken Rhein —oörtmund und Dortmund — Bevergern voraussichtlich ergeben.
Meine Herren, diese Berechnungen sind natürlich nicht bis auf das letzte zu garantieren, aber daß der Kanal Dortmund — Rhein eine erhebliche Verzinsung ergeben wird und daß die Zuführung des großen Verkehrs über die Strecke Dortmund — Bevergern dem Dortmund⸗ Emskanal eine weit höbere Rentabilität gewähren wird als gegen wärtig, unterliegt, glaube ich, keinem Zweifel. Anlangend die öst- lichen. Wasserstraßen, meine Herren, so erfordert zunächst die Strecke Stettin — Berlin eiren jährlichen Aufwand von 1 960 000 SC, und es
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ist angenommen, daß dieser Kanal schon im ersten Betriebs jahre Ein⸗
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