1904 / 113 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 14 May 1904 18:00:01 GMT) scan diff

Dentscher Reichstag. 90. Sitzung vom 13. Mai 1904. 1 Uhr.

Auf der Tagesordnung steht zunächst die dritte Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Entschädigung für un⸗ schuldig erlittene Untersuchungshaft, auf Grund der Beschlüsse zweiter Lesung.

Ueber den Anfang der Sitzung wurde in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet.

Nach dem Abg. Thiele (Soz.) nimmt das Wort der

Abg. Dr. Müller⸗Sagan (fr. Volksp.): Den Angriff des Vorredners auf den uns befreundeten Vertreter der Volkspartei, Herrn Storz, muß ich doch abwehren. Jede Resolution stellt eine einseitige Willensäußerung des Reichstags dar, die die Regierungen nicht verpflichten kann; von einer solchen Verpflichtung der verbündeten Regierungen, die durch die Resolution gegeben ware, hat auch der Kollege Storz nicht gesprochen. Wir stimmen trotz schwerer Bedenken für die Beschlüsse jweiter Lesung, weil wir meinen, die Vorlage bedeute auch so noch einen Fortschritt auf dem Wege, den wir gehen wollen.

Nach einer kurzen Entgegnung des Abg. Thiele schließt die Generaldiskussion.

In der Spezialdiskussion wird der 5 1 ohne Debatte an— genommen.

Zum § 2 wird ein Antrag der Abgg. Dr. Bär⸗ winkel (nl) und Genossen nach Empfehlung durch den Abg. Burlage (Zentr.) angenommen, nach welchem auch auf Grund des 8 1812 (des sogenannten Zuhälterparagraphen) der Anspruch auf Entschädigung ausgeschlossen werden kann, wenn innerhalb der letzten 2 Jahre auf Ueberweisung an die Landespolizeibehörde rechtskräftig erkannt ist.

Im §z 4 soll der auf Antrag des Abg. Dr. Müller— Meiningen (fr. Volksp.) beschlossene Zusatz:

„Den Unterhaltsberechtigten des Verhafteten ist der Be— schluß durch Zustellung besondets bekannt zu machen, sofern ihr Aufenthalt dem erkennenden Gericht bekannt ist“ .

nach einem Antrage Burlage-Müller⸗-Meiningen wie folgt gefaßt werden:

„Wird die Entschädigungsverpflichtung der Staatskasse aus—⸗ gesprochen, so soll der Beschluß auch den Unterhaltsberechtigten, die nicht dem Hausstande des Verhafteten angehören, mitgeteilt werden, sofern ihr Aufenthalt dem Gericht bekannt ist“.

Nachdem der Abg. Burlage die neue Fassung kurz empfohlen, wird der S4 mit dieser Modifikation angenommen.

Der Rest des Gesetzes und die Vorlage im ganzen werden darauf ohne weitere Debatte endgültig angenommen.

Ebenso gelangt die folgende von der Kommission vor— geschlagene Resolution zur Annahme:

„Die verbündeten Regierungen zu ersuchen, in den einzelnen Bundesstaaten dafür Sorge zu tragen, daß aus den bereit gestellten Mitteln denjenigen im staatsanwaltschaftlichen Ermittelungs— verfahren unschuldig Verhafteten, welchen nach diesem Gesetz ein Entschädigungsanspruch nicht zusteht, unter Anwendung der Grund sätze dieses Gesetzes nach Billigkeitsrücksichten eine gleichwertige Entschädigung gewährt werde; sowie bei der bevorstehenden Reform der Strafprojeßordnung darauf Bedacht zu nehmen, daß die Ent— schädigungspflicht des Staats auch auf die vorbezeichneten Ver— hafteten ausgedehnt werde.“

Darauf wird die dritte Beratung des Reichshaushalts— etats für 1904 fortgesetzt. .

Zum Etat der Reichsjustizverwaltung liegt folgender Antrag der Abgg. Auer (Soz.) und Genossen vor:

„Den Reichskanzler zu ersuchen unbeschadet der Vorlegung eines Reichsstrafvollzugsgesetzes —, bei den verbündeten Regierungen dahin zu wirken, 1) daß in den Gefängnissen und Strafanstalten schleunigst Maßnahmen getroffen werden, welche geeignet sind, die rechtzeitige Feststellung von körperlichen und geistigen Erkrankungen der Gefangenen sowie die Hilfeleistung in Erkrankungsfällen zu sichern; 2) daß die Verhängung von schwereren Dieziplinarstrafen unter Rechtsgarantien gestellt wird; 3) daß dem Reichstag jährlich eine Nebersicht über Zabl, Art und Anlaß der in den Gefangnissen und Strafanstalten verhängten Disziplinarstrafen vorgelegt wird.“

Abg. Dr. Gradnauer (Soz.): Ueber den Strafvollzug sind in den letzten Monaten Tatsachen bekannt geworden, deren Furcht— barkeit sich kein einziger entziehen kann. Seit drei Jahrzehnten wird von der Regierung und auch vom Reichstag die Reform des Strafvollzuges unter nichtigen Vorwänden verzögert. Das eigentliche Problem der Strafrechtspflege beginnt erst mit dem Augenblick, da sich hinter dem Verurteilten die Pforten des Kerkers schließen. Es hat bisher ein großes Stillschweigen über dieser vergrabenen Welt der Nacht und des Grauens ge⸗ legen. Das im vorigen Jahre erschienene Buch von Hans Leuß, ein Kulturbuch ersten Ranges, bat einiges Licht über das Gefängnis— wesen geworfen, es zeigt, wie verkehrt die bisherige Strafmethode ist, die Gefangenen zu peinigen, zu schrecken und niederzuwerfen. Ich meine, wir hrauchen nicht erst eine Neuregelung dez Strafprozeß— verfahrens abzuwarten, wir können schon auf dem Boden des jetzigen Strafvollzugs auf dem von unserem Antrag berührten Gebiet Wandel schaffen. Die in der „Zeit am Montag“ und im Vorwärts“ veröffentlichten, von der Regierung nicht be— strittenen Fälle über den Straspollzug in Plötzensee bieten uns den äußeren Anlaß zu unserem Vorgehen. Die Presse hat sich zum Teil mit diesen Veröffentlichungen beschaͤftigt, letzthin sogar die Kölnische Zeitung“. Diese Veröffentlichungen zeigen deutlich, daß selbst gesunde Personen durch die Gefängniseinrichtungen erkranken, ja dem Tode entgegengeführt werden. (Redner führt zu⸗ nächst zwei Fälle an, die in den Jahren 1895 und 1901 vorgekommen sind. In dem einen Falle nahm der Arzt Simulation an. Der Gefangene wurde mit 5 Tagen Dunkelarrest bestraft, nachher ins Lazarett gebracht, wo er starb. Der Arzt stellte fest, daß seine Leber vom Krebs jerfressen war. Wissen Sie, was Dunkelarrest bedeutet? Gegenüber einem schwerkranken Menschen ist er geradezu ein Verbrechen. Aehnlich liegt ein anderer Fall, wo das Disziplinar— verfahren ebenfalls zum Todesurteil wurde. (Redner führt außer Fällen aus Celle und Plötzensee weitere Fälle aus Brandenburg an.) Ein anderer Fall passierte in Lichtenberg im Kreise Torgau. Der Gefangene wurde wegen Faulheit wiederholt mit Dunkelarrest bestraft und ihm vom Direktor Peitschenhiebe angedroht, wenn er nicht sein Pensum lieferte. Diese Androhung war ein Glück für ihn, denn er wurde ärztlich untersucht, wobei sich herausstellte, daß er augenkrank war. Der Mann bat aber während der ganzen Zeit nicht weniger als 200 Tage im Dunkelarrest gesessen. Höchst empörend sind die Zustände in Plötzensee. Dr. Pfleger, der von den Gefangenen den Spitznamen Doktor Un— bedenklich erhalten hat, hat gegen die Verhängung des Dunkelarrests keinen Einspruch erhoben. In einem Fall sah sich Dr. Pfleger das kranke Ohr eines Gefangenen zwar an, aber er überließ die weitere Behandlung ruhig einem Lazarettaufseher. Durch die wiederholte Einführung der Ohrenspritze wurde das Uebel immer schlimmer; schließlich wurde der Kranke in die Charits gebracht, wo er ohne Operation nach wenigen Tagen gestorben ist. Da kann man doch den Gedanken nicht unterdrücken, daß in den Gefängnissen geradezu leichtfertig, verbrecherisch mit Menschenleben umgegangen ist. Grauen⸗ hafter ist aber die Behandlung offenbar Geisteskranker in den Ge— fängnissen. Ich habe schon früher gesagt, daß der Fall des Prinzen von Arenberg nicht allein steht, sondern daß es eine ganze Menge von Geisteskranken in den Gefängnissen gibt, die daraus nicht befreit werden können. Man kann annehmen, daß unter den Ge— fangenen 5 o /o Geistes kranke sind. Die Richter sind viel zu wenig Cet den geistigen Zustand der Angeklagten prüfen zu lassen.

on der Möglichkelt des Wiederaufnahmeverfahrens aus solcher Ver⸗

anlassung wird noch viel ju wenig Gebrauch gemacht. Schon 1899 hatte der Sanitätsrat Baer, der aͤrzliche Leiter von Plötzensee, fest gelteht⸗ daß der jugendliche Mörder des Justizrats Lepy, Grosse, am

ande der Geistes krankheit stehe. Später kam Grosse in den Ver—= dacht der Simulation; nachher aber ist unwiderleglich festgestellt, daß er völlig verblödet ist, wie aus von ihm geschriebenen Briefen hervorgeht. Trede wird er nach wie vor in der Strafanstalt be halten, nicht in ein Irrenhaus übergeführt. Muß man denn reiche oder einflußreiche Verwandte haben, die sich ins Mittel legen können, um aus der Strafanstalt herguszukommen? Ein äußeist schlimmer Fall betrifft einen russischen Juden, der in Plötzensee angeblich nicht arbeiten wollte. Seine Angaben, er sei krank, wurden vom Anstalts« arzt Pfleger nicht bestätigt; er wurde mit längeren Arreststrafen, mit Entziehung der Mittagssuppe bestraft, we en immer wiederholter Verweigerung der Arbeit zu drei und zu vier Wochen Arrest verurteilt; endlich kommt er ju ärztlicher Beobachtung, es stellt sich heraus, daß er sich auf eigenen Füßen nicht mehr halten kann. In der Zeit vom 22. März bis 20. Mai ist der Mann zu 74 Tagen Arrest verurteilt worden und hat davon in Wirklichkeit 660 Tage verbüßen müssen. Jetzt kommt er nach Ebetswalde in die Irrenanstalt. In einem anderen Falle klagte ein jugendlicher Gefangener in seinem Lebenslaufe sich der schlimmsten Verbrechen und eines Totschlags an; eg war Wahnvor— stellung. Obwohl seine Geisteskrankheit hiernach feststand, wurde er einfach nach Verbüßung seiner Strafe entlassen. Nach vier Wochen wurde er an einer alten Frau wirklich zum Mörder, wurde gefaßt, seine Geistes— krankheit wurde jetzt offiziell festgestellt; man machte ihm gar nicht erst den Proieß, sondern übergab ihn einer Irrenanstalt. Alle diese Er— scheinungen zu charakterisieren, wie sie es verdienen, dazu seblen mir die Worte. Es handelt sich um geradezu fürchterliche Erscheinungen, denen gegenüber Staat und Volk nicht länger gleichgültig beiseite stehen können. Es ist nur ein wahrer Zufall, daß wir von diesen Dingen überhaupt Kenntnis erhalten; wenn nicht irgend ein Schreiber sich die Akten ausgeschrieben hätte, wüßte man nach wie vor von nichts. Und was mag nicht noch alles geschehen, wovon wir nichts er— fahren! Alles, was ich vorgetragen habe, stammt aus den Akten des Strafgefängnisses Plötzensee. Wir fordern eine jäbrliche Uebersicht über Zahlen, Art und Anlaß der in den Gefängnissen verhängten Disziplinarstrafen. Ich schiebe nicht den Personen, von denen ich einzelne namhaft machen mußte, die ganze Verantwortlichkeit zu. Auch hier muß natürlich das soziale Milieu berücksichtigt werden; auch diesen Personen kommen dadurch mildernde Unstände u gute. Der Urgrund scheint mir in der falschen Grund— auffassung vom Wesen des Verbrechens zu liegen. Die Art der Behandlung der Gefangenen, die Einsperrung, die Kost, die ein— tönige Art der Beschäftigung, alles das muß darauf hinwirken, daß die Insassen der Strafanstalten immer mehr geistig verkümmern und verblöden müssen; sie befinden sich in einem Zustande geistiger Abtötung, lebendiger Verwesung. Auf der verkehrten Auffassung, daß man Verbrecher nicht strenge, nicht grausam genug niederdrücken kann, beruhen diese Erscheinungen. Aber neben diese falsche Auffassung vom Verbrechen, neben diese Abschreckungstheorie stellen sich eben— bürtig Fiekalismus und Bureauktatismus. Die Gefängnisbauten, die Gefängnisarbeiten, alles ist auf möglichst geringe Kosten zuge⸗ schnitten; auf dieselbe Sparsamkeit ist die Besetzung des Personals und der Verwaltung, sogar die ärztliche Versorgung zugeschnitten. In Celle ist ein Arzt auf 600 Gefangene im Nebenberuf tätig. Ob zwei Aerzte für die große Anstalt Plötzensee genügen, muß ich ganz dahingestellt sein lassen. Jedenfalls finden die vorgeschriebenen Monatsbesuche bei jedem Insassen nicht statt; Redakteure haben dort bis zu einem halben Jahre zugebracht, ohne auch nur einen einzigen Besuch empfangen zu haben. Solche Posten dürfen nicht im Nebenberuf wahrgenommen werden; hat der Arzt noch eine große Privatpraxis, dann kann er ja nicht anders, als die Ge— fangenen als Nebensache behandeln. Am schlimmsten steht es mit der ärztlichen Aufsicht bezüglich der Geisteskrankheiten; in dieser Beziehung werden die Anforderungen, die der Geheimrat Krohne in seinem Werke an die psychiatrische Vorbildung der Anstalts— ärzte stellt, in der Wirklichkeit durchaus nicht erfüllt. Die Aerzte müßten bei jeder Verhängung einer schweren Disziplinar— strafe zugejogen und gehört werden. An den von mir erwähnten Fällen sind die Beamten mitschuldig gewesen. Ich bedauere jeden Strafanstaltsdirektor, der mit so ungenügend vorgebildetem und aus— gelesenem Personal wirken muß. Der ganze Beruf wird als minder⸗ wertig angesehen, und darum gehören die Gefängnisbeamten zu jenen, die sich in anderen Stellungen nicht als geeignet erwiesen haben. Ich denke, für einen so schweren Beruf sind die besten Beamten gerade gut genug. Der Direktor müßte eine ausgedehnte Kenntnis der Gesängniswissenschaft besitzen. Die Unterbeamten haben einen zu langen Dienst. Unter der schlechten Behandlung haben nicht etwa die geriebenen Verbrecher zu leiden, sondern gerade die besseren Elemente. Der Geheimrat Krohne hat selbst einmal geschrieben, daß seine Kollegen zu leicht zu Autokraten werden. Gegen dieses Autokratentum gibt es keine Garantien. Das Beschwerderecht der Gefangenen ist gleich Null. Die Beschwerden werden überhaupt erst erledigt, nachdem die Strafe verbüßt ist. Die heutigen Zustände sind also unhaltbar. Ich frage den Staatssekretär, ist, seitdem jene Fälle bekannt geworden sind, etwas geschehen? Ich weiß nur, daß gegen den, der die Aktenstücke veröffentlicht hat, versucht ist, einen Straf— antrag zu stellen. Dann hat man ihn aus dem Bereiche von Berlin ausjuweisen versucht. Die Ausweisung ist durch den Oberpräsidenten wieder aufgehoben worden. Ich hoffe, daß über unsere Resolution hinaus die Veröffentlichung dazu beitragen werde, daß in den nächsten Jahren die Frage des Strafvollzuges von der Oeffentlichkeit mit einem ganz anderen Interesse verfolgt werde als bisher, daß der soziale Gedanke, der auch das Ver—= brechen erklärt, immer mehr zum Bewußtsein kommt. Der Armee der Verbrecher gegenüber, die auf die Menschheit losgelassen wird, hat der christliche Staat die Pflicht, ganz andere Maßregeln zu ergreifen als bisher. Jesus hat gesagt nicht 7, sondern?7 mal 70 mal soll man dem Bruder verzeiben. Die Theorie der grausamen Rache an dem Verbrecher muß beseitigt werden. Es muß eine Umkehr stattfinden. Ich möchte Sie jetzt mindestens bitten, auf den Boden der Resolution zu treten. Diese schlimmste Schande unserer Zeit muß beseitigt werden.

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat in seinen sehr ein— gehenden Ausführungen etwa sieben oder acht Fälle aus der preußischen Gefängnisverwaltung angeführt, Fälle, die zum teil nicht mehr neu sind, sondern recht weit zurückliegen, die zurückreichen in eine Zeit, in der ein anderes Regime bei der Gefängnisverwaltung bestand; andere Fälle wieder, bei deren Erörterung starke Uebertreibungen, zum teil auch tatsächliche Unrichtigkeiten gröbster Art mit obwalten, sür die ich den Herrn Vorredner natürlich nicht verantwortlich mache. Mit Hilfe dieser wenigen Fälle, die sich auf eine längere Reihe von Jahren erstrecken, kat er ein Bild der preußischen Gefängnis— einrichtungen gezeichnet, das, wenn es richtig wäre, zu der Annahme jwingen müßte, es herrsche dort eine vollständige Verwahrlosung der Einrichtungen und eine tiefgreifende Verwilderung des Beamten— personals.

Meine Herren, in Preußen ist allein im Bereich der Zuchthaus— verwaltung für mehr als 23 000 Sträflinge zu sorgen; diese verteilen sich auf mehr als 50 Gefängnisse, die eine Belegung von mindestens 500 Köpfen gestatten. Wer sich das Bild dieser großen Verwaltung vergegenwärtigt, der wird anerkennen müssen, wenn er auch nur einigermaßen die Fähigkeit und die Neigung hat, Verhältnisse objektiv zu würdigen, daß eine solche Verwaltung, ohne sofort zu den schärfsten, zu den schlimmsten Räckschlägen zu führen, nicht bestehen kann, wenn in ihr nicht die strengste Ordnung und eine gewissenhafte Auf sicht beständen. Ueber die Anordnungen, die in dieser Beziehung

in der preußischen Strafanstaltsverwaltung bestehen, ist der Herr Vorredner augenscheinlich nicht näher unterrichtet; denn sonst hätte er nicht Behauptungen ausstellen können über die Ein⸗ richtungen des Krankenwesens und die Disziplinarbehandlung der Ge⸗ fangenen, die mit dem, was in den maßgebenden Vorschriften sich befindet, in direktem Widerspruch steht. Ich glaube, der Herr Vor⸗ redner hätte sehr wohl getan, wenn er nicht nur die sensationellen Mitteilungen in den Zeitungen die ja, je sensationeller sie find, desto unwahrer werden (sehr richtig! rechts) verfolgt hätte, sondern sich auch die bestehenden Vorschriften und die in die Oeffentlichkeit gelangenden Berichte der Verwaltung über die Einrichtungen und den Betrieb der Strafanstalten naher angesehen hätte. Er würde viel- leicht sich dann auch die Frage vorgelegt haben, ob denn das alles wahr sein könne, was ihm durch Zeitungen oder auf anderem Wege zugetragen worden ist.

Meine Herren, in Preußen besteht seit dem Jahre 1902 eine neue Ordnung des gesamten Dienstes in den Zuchthäusern das ist ja der wichtigste und auch der am schwierigsten zu behandelnde Teil der Strafanstalten —. Diese Bestimmungen sind erlassen worden lauf Grund der Vereinbarungen, die auch der Herr Vorredner berührt hat, die zwischen den Bundesregierungen getroffen worden sind über die gleichmäßige Behandlung der Strafgefangenen in allen deutschen Staaten. Diese Vorschriften, meine Herren, sind außerordentlich eingehend. Jeder von den geehrten Herren wird in der Lage sein, sie hier in der Bibliothek einzusehen. Ich kann dem Herrn Vor— redner nur dringend empfehlen, die Pfingstlage zu einem Studium dieser Vorschriften zu verwenden, er wird dann vielleicht eine wohlwollendere Auffassung von den bestehenden Einrichtungen gewinnen. (Heiterkeit) Ich sage, diese Vorschriften sind außerordentlich eingehend; sie ent⸗ halten Anordnungen über die Behandlung der Kranken, Anordnungen insbesondere auch über die Behandlung der Irren, sie enthalten Be— stimmungen über die Stellung und die Pflichten der Aerzte und über die Aufgaben des Wärterpersonals. Auf das genaueste sind geordnet die einzelnen Disziplinarmittel, ihre Zulässigkeit, die Modalitäten und Kautelen, unter denen sie angewendet werden dürfen, streng und klar ist geregelt das Beschwerdewesen. Nach allen Richtungen der Verwaltung hin ist nach meiner Meinung durch diese Vorschriften gesorgt, sodaß auch die schönste Strafvollzugsordnung, die wir einstmals im sozialdemokratischen Staat bekommen werden, nicht mehr enthalten kann, als hier gegeben ist. (Zurufe von den Sozial demokraten.)

Meine Herren, die Vorschriften beziehen sich auch auf die Be⸗ rufung der Aerzte. Der Herr Vorredner hat unter anderem zu diesem sehr wichtigen Punkt erwähnt, die Aerzte befänden sich in keiner festen Stellung, sie hätten vielfach Nebenpraris, und hat sich dafür auf die Anstalt in Plötzensee berufen, was nicht richtig ist: die Aerzte haben dort keine eigentliche Privatpraxis; darin irrt sich der Herr Vor⸗ redner, und solche tatsächliche Irrtũmer, will ich nebenbei bemerken, hat sein Vortrag in großer Anzahl enthalten. Solche Detailgaben geben dem Vortrag ein gewisses Lustre; aber, meine Herren, ich bitte Sie, vorsichtig zu sein; derartige Angaben verführen dazu, ein gan; falsches Urteil über die Dinge sich zu bilden! Also diese Dienst— vorschriften und ihre Ergänzungen enthalten genaue Bestimmungen üner die Berufung der Aerzte, auch über ihre Vorbildung, insbesondere über ihre Vorbildung in der Psychiatrie, über die Tätigkeit der Aerzte im Anstaltsbetriebe, namentlich wie lange Zeit sie täglich auf den Krankenbesuch verwenden sollen, über die Unabhängigkeit der Aerzte gegenüber den Anstaltsvorstehern, sodaß sie in ihrer ärztlichen Thätigkeit und in ihrem Gewissen nicht beeinträchtigt werden können durch Maßnahmen des Anstaltsdirektors.

Ich glaube, meine Herren, wenn diese Vorschriften wirklich in allen Fällen, wie die Regierung wünschen muß, und wie dies von der Verwaltung der Anstalten auf das Bestimmteste verlangt werden darf, streng und gewissenhaft befolgt werden, dann können irgend welche Verstöße schwererer Art in den An⸗ stalten nicht vorkommen (Zurufe von den Sozialdemokraten), wenn sie streng und gewissenhaft befolgt werden! Gewiß, meine Herren, es versteht sich doch von selbst, daß ich diesen Vor— behalt machen muß, denn überall kommen Verstöße gegen die zu beachtenden Voischriften vor, und sogar die Herren Sozial demokraten werden sich solche Verstöße wohl hier und da einmal zu Schulden kommen lassen; sie sind Menschen wie wir auch! Also, meine Herren, ich sage, wenn diese Vorschriften streng beachtet werden mehr kann die Verwaltung nicht tun und für mehr kann die Volksvertretung die Regierung nicht verantwortlich machen, auch im Reichstage nicht, sobald einmal dies Verwaltungsgebiet reichs— gesetzlich geregelt sein wird wenn diese Vorschriften beobachtet werden, dann können Verstöße irgend welcher groben Art nicht vor— kommen. Kommen sie vor, meine Herren, und kommen sie zur Kenntnis der Aufsichtsverwaltung, so können Sie sicher sein, daß sie gebührend geabndet werden.

Das, meine Herren, sage ich im allgemeinen. Aber ich möchte doch noch erwähnen gerade mit Bezug auf das wenn“, das die Herren in meinen Ausführungen beanstanden: die Verwaltung hat nicht bloß genaue Vorschriften über die Einrichtung und den Betrieb der Anstalten erlassen; sie hat auch Vor⸗ sorge dafür getroffen, daß eine laufende Kontrolle über die Durchführung der Vorschriften stattfindet. Allvierteljährlich muß der Departementsrat des Gefängniswesens bei der Regierung jede dieser Anstalten besuchen und jährlich muß der Regierungsmedizinalrat die Anstalten auf ibre hygienischen und medizinischen Verhaͤltnisse einer Prüfung unterziehen. Auch nach dieser Richtung hin, meine Herren, ist alles geschehen, wofür einer parlamentarischen Versammlung gegen⸗ über die Regierung überhaupt haften kann.

Nun, meine Herren, hat sich der Herr Vorredner auf eine An— zahl von Fällen berufen, für die wir in der Reichsverwaltung natür—⸗ lich schon deshalb nicht verantwortlich gemacht werden können, weil wir mit dem Gefängnifkwesen nur insoweit zu tun haben, als die Reichsgesetzgebung nach dieser Richtung hin schon Bestimmungen ge⸗ troffen hat. Ich bin ohnehin außerstande, auf alle diese einzelnen Fälle einzugehen. Ich bebalte mir vor, Einzelnes ju berühren. Sonst würde ich erwarten müssen ich habe das jener Seite des Hauses gegenüber immer wieder ju sagen daß wir vorher Kenntnis von den einzelnen Beschwerdefällen erlangen, und wenn es den Herren, wie ich annehme, darum zu tun ist, diese Sachen vollständig aufzuklären, ich glaube, dann würden Sie gut tun, uns vorher Kenntnis von Ihren Beschwerden zu geben; wir würden bereit sein, über alle Einzelheiten objektiv dem Hause Rechenschaft zu geben. (Sehr gut! und Beifall.)

So aber, meine Herren, wie die Fälle von dem Herrn Vorredner vorgetragen worden sind, können wir sie nicht vollständig kontrollieren. Das darf ich aber wohl sagen: in einem Teil dieser Fälle sind die Tatsachen unrichtig vorgetragen. In dieser Beziehung möchte ich nur einige Beispiele anführen. Der Herr Vorredner hat sich bezogen auf das bekannte Buch von Leuß und behauptet, es seit dort ein Fall erwähnt, daß ein Kranker durch die falsche Behandlung des Anstaltsarztes schließlich zu Tode gekommen sei, oder so ähnlich waren die Ausführungen. Meine Herren, der Vorgang, auf den der Herr Vorredner hier Bezug nimmt, ist folgender: Als der Herr Leuß die Strafanstalt ver— ließ, hat er der Staatsanwaltschaft die Mitteilung zugehen lassen, daß nach seinen Beobachtungen in dieser Strafanstalt mehrfach eine Behandlung der Gefangenen stattgefunden habe, die zum Tode der Gefangenen oder doch zu einer erheblichen Verschlimmerung ihrer Leiden geführt habe. Er hat fünf solcher Fälle und darunter auch denjenigen, den augenscheinlich der Herr Vorredner im Auge gehabt hat, der Staatsanwaltschaft mitgeteilt. Die Staatsanwaltschaft bat nicht gesäumt, sofort die Ermittelungen eintreten ju lassen, die nötig sind, um ein strafrechtliches Verfahren in die Wege zu leiten. Da hat sich dann ergeben, meine Herren, daß vier dieser Fälle überhaupt gar keinen Anlaß zu näheren straf— gerichtlichen Maßnabmen bieten konnten. In einem Fall und das ist der des geehrten Herrn Vorredners, lag der Fall so, daß die Diagnose des Arztes nicht zutreffend gewesen ist, aber ohne daß dies nach dem Urteil medizinischer Autoritäten irgend einen Einfluß auf den Verlauf der Krankheit des Betreffenden gehabt hat. Die medizinischen Autoritäten haben erklärt, es handelte sich in dem Fall um Krebs des Bauchfells; es sei das eine seltene und nicht leicht zu diagnostizierende Eischeinung, und wenn ein Arzt bei dieser Diagnose einmal irre, sei ihm ein Vorwurf deshalb nicht zu machen. Das ist die Tatsache. Sie können hieraus meine Herren auch gleich entnehmen, wie begründet alle die angeblichen Erfahrungen wohl sein mögen, die Herr Leuß in seinem Buch verwertet hat. Wenn alle diese angeblichen Erfahrungen die wirkliche objektive Prüfung, wie sie hier durch den Staatsanwalt stattgefunden hat, so wenig aushalten wie der Fall, den der Herr Vorredner angeführt bat, und die vier anderen Fälle, die nebenher gegangen sind, so ist auf die tatsächlichen Anführungen des Verfassers dieses Buches nicht viel zu geben. .

Der Herr Vorredner hat dann einen Fall angeführt, betreffend einen gewissen Höhne. Dieser Höhne hat in der Strafanstalt in Celle seine Zuchthausstrafe verbüßt; er will dort an starkem Zittern der Hände gelitten haben. Nun, meine Herren, liegt der Fall derart, daß die Verwaltung bis jum letzten Augenblick, als dieser Mann das Zuchthaus wieder verließ, auf dem Standpunkt gestanden hat, daß der Mann mit seinem Händezittern ein Simulant sei. (Heiterkeit links.)

Warten Sie, meine Herren, es kommt noch das Wichtigste. Der

Mann kam in die Freiheit zurück. Er wurde dann wieder wegen Meineids zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Er betrat wieder das Zuchthaus, aber eine andere Anstalt hier war nun das Zittern der Hände, das in der früheren Anstalt dem Mann vielleicht nützlich erschienen war, vollständig verschwunden. Das ist der zweite Fall, auf den der Herr Vorredner Gewicht legt. Er beweist, wie nötig es ist, Simulanten gegenüber streng und vorsichtig zu sein, und daß man Behauptungen in dieser Beziehung von seiten der Gefangenen, wenn sie die Anstalt verlassen haben, nicht ohne weiteres Glauben schenken darf.

Ein dritter Fall ist der eines gewissen Kreiser. In der Zeitung wird dieser Fall mit besonderer Sympathie behandelt, als wenn es sich hier um einen Märtyrer handele. Es wird erwähnt, er sei ver— urteilt worden zu Zuchthaus, weil er ein 30jähriges Mädchen un— jüchtig berührt habe. Die Dinge liegen nun so, daß dieser Mann verurteilt worden ist zu 15 Jahren Zuchthaus wegen Meineids, dann verurteilt wegen unzüchtiger Handlung an Kindern zu einem Jabre Zuchthaus und noch einmal verurteilt wurde wegen unzüchtiger Hand— lungen an Kindern zu einem Jahre Zuchthaus.

Meine Herren, wenn Sie einmal schuldige Leute heraussuchen wollen, um für sie einzutreten, so würde ich dringend bitten, suchen Sie sich andere Leute heraus als diese. (Zuruf links) Gewiß, die Verhandlung zeigt doch, daß dieser Mann nach seinem früheren Leben strenge Behandlung verdiente. (Zurufe links.) Unterbrechen Sie mich nicht, ich werde Ihnen ruhig und objektiv die Sachlage auseinandersetzen. Also es ist dieser Mann und darauf bezieht sich die Beschwerde des Herrn Vorredners wiederholt zu Dunkelarrest verurteilt worden. Das ist ja eine sehr schwere Strafe, der Herr Vorredner hat aber nicht angeführt er weiß es wohl nicht daß in der Art wie damals, als dieser Mann im Zuchthaus saß, der Dunkelarrest jetzt nicht mehr verhängt werden darf und daß eine Häufung der Arreststrafen, wie sie damals noch formell nach dem Buchstaben der Vorschriften julässig war der Fall stammt eben nicht aus der neueren Zeit —, jetzt nicht mehr zu— lässig sein würde. Würde der Mann in den letzten Jahren seine Strafe abgesessen haben, so darf ich behaupten, daß eine der⸗ artige Häufung von Dunkelarreststrafen nicht vorgekommen sein würde. Der Fall liegt aber nicht in der Gegenwart, und für Dinge, die in der Vergangenheit unter der Geltung veralteter Vorschriften ver— schiedentlich vorgekommen sein mögen, wird er uns jetzt nicht ver⸗ antwortlich machen können. Will der Herr Vorredner aber diesen Fall ju einer objektiven Beurteilung bringen, so muß er doch alle wichtigen Tatsachen anführen, er muß sagen, was für ein Menschen— kind der Mann war, in welcher Zeit er im Zuchthause gesessen hat, und hervorheben, daß dies Disziplinarmittel damals zulaäͤssig war und jetzt nicht mehr in gleicher Art gestattet ist. Das hat der Herr Vorredner aber nicht getan, und diese Unterlassung ist allerdings geeignet, die richtige Auffassung des Hauses über den Fall zu erschweren. Der Fall ist wieder ein Beispiel zu zeigen, daß man auf solche vereinzelte Tatsachen, wie sie der Herr Vorredner sich gewiß genau vorher angesehen hat, sich dennoch nicht immer verlassen kann, und daß es für die richtige Beurteilung vielleicht nũtzlicher gewesen wäre, wenn der Herr Vorredner sich mit ung in Verbindung gesetzt hätte. Wir hätten ihn gern in den Stand gesetzt, alle diese Fälle nach ihrer Gesamtlage zu beurteilen, und dann wäre sein Urteil wohl etwas anders ausgefallen, als es jetzt hier vorgetragen wurde, denn ich nehme an, daß er bei seinen Ausführungen keinen anderen Zweck hat, als der Gerechtigkeit in ihrem Rechte zu verhelfen. z

Nun sind aber jahlreiche Vorwürfe erhoben gegen die Anstalt in Plötzensee, und da dies eine der hervorragendsten Anstalten in der

preußischen Gefängnis verwaltung ift, werden Sie mir gestatten, einige Worte dazu ju sagen. Die Mitteilungen des Herrn Vorredners, die auch in der Presse eine starke Verbreitung gefunden haben, der Herr Vorredner hat allerdings, wie ich gern anerkenne, sich objektiv autgesprochen, während die Blätter, namentlich die seiner Partel, daraus alles mögliche Kapital geschlagen haben sind, wie er selbst sagt, entnommen den Angaben eines früheren Gefangenen und seinem Material. Dieser Gefangene hat in Plötzensee gesessen. Durch ein besonderes Wohlwollen des Direktors der Anstalt wurde es ihm möglich, seine Arbeiten nicht in der Zelle, sondern im Bureau der Anstalt auszuführen, ein besonderes Wohlwollen des Anstaltleiters, das dieser Mann damit vergolten hat, daß er ihm passende Notizen beimlich aus den Akten ausgeschrieben hat (hört! hört! rechts) und dieses nachher gegen die Anstalt verwertete. Ich erwähne das nicht, um nun diese Mitteilungen zu die kreditieren; uns ist jede nicht völlig un⸗ zuverlässige Mitteilung über vorgekommene Ordnungswidrigkeiten recht, wir werden jede annehmen, woher sie auch kommen mag, und auf Grund ihrer Prüfung das Nötige tun, um Ordnung und Gerechtigkeit in der Anstalt aufrecht zu erbalten, oder wenn diese geschädigt sind, sde wiederherzustellen. Aber für die Beurteilung der Mitteilungen ist doch der von mir erzählte Vorgang nicht ohne Bedeutung, aus unlauteren Quellen kemmt gewöhnlich kein reines Wasser. (Unruhe und Zuruf links) (Glocke des Präsidenten.)

Meine Herren, von unlauteren Quellen darf man allerdings reden, wenn jemand unter Mißbrauch des ihm geschenkten Vertrauens aus einem Bureau ohne Wissen des Bureauinhabers den Inhalt fremder Aktenstücke sich aneignet. Das ist unlauter! Also, meine Herren, bitte ich Sie, auch in diesem Falle mit Ihrem Urteil recht vorsichtig zu sein. Ich werde die einzelnen Fälle, um die es sich bei der Anstalt Plötzensee handelt, nicht weiter berühren. Die Fälle, die ich angefübrt habe, glaube ich, reichen aus, um das hohe Haus jur Vorsicht zu mahnen und zu bestimmen, ein Urteil über die Dinge nicht ju fällen auf Grund des Vortrags des Herrn Abg. Dr. Gradnauer allein. Die Vorfälle, die der Herr Abg. Gradnauer verwertet hat, die in einem ge— wissen Teil der Presse eine sehr ausführliche Beleuchtung gefunden haben, werden anderweitig zur Feststellung kommen. Es ist wegen dieser Vorgänge gegen eine Anzahl Blätter, die sich damit befaßt haben, Strafantrag gestellt worden. (Zurufe links. Sehr gut! rechts.) Ja, das ist der einzige Weg, um zur Wahrheit zu kommen, wie Sie (links) doch auch wünschen. Es ist Straf— antrag gestellt worden gegen die „Zeit am Montag“, gegen den Vorwärts“, gegen die Volksblätter für Hessen“, gegen die Görlitzer Volkszeitung“, gegen die ‚Märkische Volksstimme“, gegen den „Hannoverschen Volkswillen', gegen das „Hallische Volksblatt“, gegen die Magdeburger Volksstimmen und es werden wobl

inzwischen noch einige andere Blätter hinzugekommen sein. (Große

Heiterkeit links.) Sie sehen, es ist uns ernstlich darum zu tun, den

Blättern und deren Redakteuren ausgiebige Gelegenheit zu geben, die Wahrheit über die erörterten Zustände ju bekunden, über die sie so viel Klagen laut werden lassen. (Zurufe links. Sehr gut! rechts.) Es wird sich aus den Verhandlungen vor Gericht ergeben, was an den Dingen ist. Ist das alles richtig, was in den Blättern stebt, dann wird die Verwaltung ihre Pflicht jzu tun wissen. (Zurufe links.) Vielleicht und deshalb möchte ich Ihnen Vorsicht in der Mit— teilung solcher Dinge anempfehlen ist doch nicht alles richtig, und dann wird sich herausstellen, was der Richter im Wege des Gesetzes beschließt. (Erneute Zurufe links. Glocke.)

Also Sie ersehen aus dieser Mitteilung den Ernst der Ver— waltung es ist im allgemeinen der Verwaltuhg nicht angenehm, daß solche Sachen, unter denen es natürlich auch schmutzige Wäsche gibt, in die Oeffentlichkeit gebracht werden, die Verwaltung hat es aber vorgezogen, in diesem Falle den Weg gerichtlicher Ermittelungen zu wählen, um vollständig die Wahrheit ans Licht zu bringen gegen— über den Mitteilungen einer Presse, die sensationell und tendenziös die bestehenden Einrichtungen in unverantwortlicher Weise herabzieht. (Bravo! rechts.)

Der Herr Abg. Dr. Gradnauer hat nun auch auf diese Ischrecklichen Anstalten besonders hingewiesen ich glaube, diese Bezeichnung brauchte er, als er die Zustände in Plötzensee behandelte. Er hat mich gefragt, was denn amtlich geschehen sei infolge der Ent— hüllungen der Presse. Zunächst ist das geschehen, was ich schon die Ehre batte anzuführen (Heiterkeit links): es ist den Blättern Gelegen— heit gegeben, die Wahrheit ihrer Enthüllungen vor dem Gericht dar- zutun. (Sehr gut! rechts.) Dann hat die Verwaltung Veranlassung genommen, namentlich Plötzensee einer eingehenden administrativen Untersuchung zu unterwerfen. Da insbesondere auch von der Presse Vorwürfe erhoben sind gegen den ganzen Betrieb der Anstalt, wie namentlich gegen das Wasser und gegen die Beschaffenheit der Zellen u. dgl.,, so hat der Herr Justizminister, dem diese Anstalt untersteht, in Verständigung mit dem Herrn Kultusminister Anordnung dahin ge— troffen, daß durch einen hervorragenden medizinischen Sachverständigen ganz unerwartet die Anstalt in Plötzensee einer medizinischen Revision unterzogen wurde. Es wäre das eigentlich schon nicht mebr nötig gewesen nach der vorhergegangenen Prüfung gewisser Preß— auslassungen; diese hatten u. a. mit einem gewissen Ent— setzen sich darüber aufgehalten, welch ekelerregendes Wasser die Gefangenen in Plötzensee genießen müßten. Nun liegt die Sache so, daß das Wasser, welches die Gefangenen in Ploͤtzensee bekommen, auch von den Beamten und ihren Familien genossen wird da ist kein Unterschied und daß bisher von den Beamten familien keine Beanstandung dieses Wassers erfolgt ist, daß auch irgendwie Krankheiten, die auf das Wasser zurückgeführt werden könnten, in der Anstalt nicht hervorgetreten sind. Trotzdem aber ist dieses Wasser einer ärztlichen Prüfung und einer chemischen Unter— suchung im hygienischen Institut der biesigen Universität unterzogen worden. Dabei hat sich ergeben, daß das Wasser vollständig einwandsfrei ist. (Hört! bört! rechts.) Sie sehen, meine Herren, wie der Gefängnisklatsch wirkt; drst spricht ein unzufriedener Gefangener, der sich vielleicht den Magen verdorben hat, über das schlechte Wasser, dann geht das als Klatsch im Gefängnis herum, dann wird es verbreitet in Stadt und Land, es kommt in die Zeitungen und bekommt natürlich mit jedem Schritt weiterer Verbreitung ein schlimmeres Aussehen.

Nun hat also dessenungeachtet der Herr Justiiminister Veranlassung genommen, die Einrichtung dieser Anstalt ganz unerwartet niemand von dem Anstaltspersonal wußte davon, daß eine solche Untersuchung stattfinden sollte einer näheren medizinischen Besichtizung zu unterwerfen. Diese

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Prüfung ist vorgenommen von dem Geheimen Obermedizinal⸗ rat Kirchner, der mit der Anstalt sonst in gar keiner Beziehung steht. Es ist alles in der Anstalt untersucht worden: die Zellen, die Aborte, die Küchen, die Waschanstalten, alle Räume sind sorgfältigst in Augen- schein genommen worden; der Herr Sachverständige hat ein ausführ⸗ liches Gatachten darüber verfaßt, dessen nähere Ausführungen ich Ihnen nicht vorzulesen brauche. Ich glaube, dem hohen Hause wird es genügen, wenn ich das Gesamtresums dieses Gutachtens mitteile. Da beißt es: Fasse ich nun den Gesamteindruck zusammen, so ist es der, daß

die Gefangenen den modernen Anforderungen der Gefängnishygiene

entsprechend untergebracht sind, gut verpflegt werden, sauber gehalten

sind und nicht überanstrengt werden. (Hört! hört! rechts)

Auch die Lajaretteinrichtungen und die Krankenbehandlung sind das möchte ich dem Herrn Vorredner gegenüber noch ganz besonders hervorheben, weil sein Vorwurf sich gerade nach dieser Richtung bin wendet

abgeseben von dem einen vorher gerügten Monitum, gut. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.) Das Monitum, welches der Sachverständige gezogen hat, bestand darin, daß nach seiner Ansicht die bebandelnden Aerzte die Journale über die Kranken nicht so aus⸗ führlich fübrten, als es erwünscht erscheint, damit der Arzt, der die Anstalt besucht, sofort über den Verlauf einer Krankheit sich genau unterrichten kann. Etwas weiteres hat der Sachverständige nicht moniert. Also die Tatsache ist die, daß von einer, wie ich glaube, von niemandem bezüglich der Autorität und Unbefangenheit zu be— streitenden Seite aus die Einrichtungen in Plötzensee als gut befunden sind. Ich glaube, es genügt das, um den Herren klar zu machen, mit welchen Uebertreibungen in der Oeffentlichkeit

Ich glaube, meine Herren, den meisten, welche über solche Ein— richtungen urteilen, wird es schwer sein, sich richtige Vorstellungen darüber zu bilden, weil sie gar nicht in der Lage sind, von den Ein— richtungen einer Strafanstalt Kenntnis ju nehmen. f Heiterkeit) Ja, meine Herren, was wollen bin häufig in Strafanstalten gewesen, ich habe Einrichtungen angesehen; das ist doch keine über die man zu lachen braucht. Also, meine Herren, ein Urteil darüber zu gewinnen, doch von einem gewisse sehen, wie alles in einer solchen Anstalt beschaffen ist. Justizminister bat mich ausdrücklich ermächtigt, Ihnen mitzuteilen, daß es ihm ein Vergnügen sein werde, den Herren, dafür interessieren, Zutritt zu den Räumen in stalt zu veischaffen (Heiterkeit, um sich zu überzeugen Dinge wirklich liegen. Ich möchte den Herren empfehlen, ihrem Besuche die betreffenden Nummern des „Vorwärts“ nehmen, um sich ein richtiges Bild von der Wirklichkeit dem, was dort geschildert ist, zu machen. (Bravo! rechts.)

Meine Herren, ich glaube, ich habe damit die tatsächlichen Ausführungen des Herrn Vorredners im wesentlichen erledigt. Ich habe mich nur noch mit einigen Worten auszusprechen über den Inhalt der Resolution.

In der ersten Nummer der Resolution wird verlangt, daß die erbündeten Regierungen Einrichtungen treffen sollen, welche für eine zessere, zuverlässigere Behandlung der Kranken und Itren in den An— stalten Garantie gewähren. Darin liegt ganz offenkundig die Unter— stellung für die verbündeten Regierungen, daß das Verlangte bishe nicht geschehen sei. Diese Unterstellung muß ich weisen, und nach dem, was ich die Ehre hatte Ihnen über die Zustände, wie sie tatsächlich sind, gegenüber dem, was in der Presse geschildert wird, glaube ich, werden Sie mir zugeben, daß kein Anlaß vorliegt, den verbündeten Regierungen eine Resolution zu bringen, die einen Vorwurf so schwerer Art für sie enthält. (Sebr

ruf.

* Zu

S

richtig) Meine Herren, für die Kranken und

den einzelnen Strafanstalten durchaus ausreichend eine Resolution dieser Art würden die Zustände wahrhaftig bessert werden.

Die Resolution wünscht dann unter Nr. 2, daß die bebandlung der Gefangenen unter Rechtsgarantien gestellt werde. heißt Rechtsgarantie in Gefängnissen? Wie ist das gemeint?

Herr Vorredner hat sich darüber nicht ausgesprochen; wenn

die Güte haben will, einmal die Dienstordnung für die Strafanstalten Preußens anzuseben, so wird er mir vielleicht nachher sagen, was ihm in dieser Beziehung noch zu feblen scheint. Es ist in dieser Dienst«— ordnung ganz ausführlich bestimmt, welche Disziplinarstrafen in den einjelnen Fällen verhängt werden dürfen, unter welchen Voraus— setzungen sie verhängt werden dürfen, welcher Kontrolle die Verhängung unterliegt, welchen Beschwerdeweg die Gefangenen haben. Alle schweren Strafen können überhaupt von dem Vorsteher allein der Herr Vorredner hat ihn als den mächtigsten Mann bingestellt Zustimmun einer Konferenz der höheren Anstaltsbeamten ziehung Anstaltegeistlichen und Arztes, und in gewissen Fällen nebmigung der Aufsichts behörde. Die Schilderung, die de redner in dieser Beziehung gemacht bat, war durchaus ur (Hört, hört!)

Also, meine Herren, dieser Nr. 2 der Resolution liegt eine unrichtige Auffassung der tatsächlichen Verhältnisse zu Grunde, eine Unrichtigkeit, von welcher der Herr Vorredner sich auch nicht über— zeugen kann, wenn er sich die Dienstordnung ansieht, auf die ich eben Bezug genommen babe. Ich hoffe, daß das bohe Haus nicht geneigt sein wird, eine Forderung an die verbündeten Regierungen zu stellen, die auf tatsächlich unrichtigen Voraussetzungen berubt.

Die dritte Forderung, die die Resolution stellt, geht darauf hin, statistische Erhebungen anzustellen und dem hohen Hause vorzulegen. Meine Herren, zu den vielen Büchern, die ich dem Herrn Vorredner empfohlen habe, empfehle ich ihm auch das Studium dieses dicken Buches in meiner Hand hier, das jährlich von der preußischen Straf⸗— anstaltw verwaltung herausgegeben wird. Dort findet er eine Zu⸗ sammenstellung über die verschiedenen Strafen, über die Anstalten, in denen sie verhängt sind, über die Häufigkeit der Verhängung. Und wenn ihm eine so umfassende Zusammenstellung noch nicht genügen sollte, dann möchte ich fragen: was will er denn noch für ein Werk, das hergestellt werden soll für ganz Deutsch⸗ land, noch umfänglicher als dieses, das zu studieren die Herren aus dem Hause schwerlich die Muße haben würden? Diese Statistik bezieht sich zunächst nur auf die Strafanstalten, die unter Verwaltung des preußischen Ministeriums des Innern stehen. Eine ähnliche Jahresstatistik ist jetzt in Vorbereitung für diejenigen Ge⸗

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