der Revision ausfallen, auch in dem materiellen Effekt zu Gunsten des Revislonsklägers ausfallen. Das ist keineswegs der Fall, denn in vielen dieser Prozesse ordnet das Reichsgericht die Revision als be— gründet an, weil prozessuale oder andere ähnliche Rücksichten ihr zur Seite stehen, die aber schließlich nicht in allen Fällen zu einer Aende— rung der materiellen Entscheidung, die zwischen dem Kläger und Be— klagten gefallen ist, führen. Nach unserer Schätzung, die, wie ich glaube, vorsichtig gehalten ist, darf man sagen, daß etwa 30 0 aller Urteile, die ju Gunsten des Revisionsklägers ausfallen, dennoch im materiellen Effekt keine Aenderung der Entscheidung für ihn mit sich bringen. Was heißt das? Das heißt: daß von den hoo Urteilen des Reichsgerichts, in denen die Entscheidung zweiter Instanz umgeworfen wird zu Gunsten des Revisionsklägers, dennoch nur 330 zu einer anderen materiellen Entscheidung für beide Parteien führen. Nun machen wir Ihnen einen Gesetzesvorschlag, nach welchem wir schätzen, daß etwa 23 bis 26 0½o der Revisionsfälle aus der Kompetenz des Reichsgerichts aus— Angewandt auf diese Zahlen z30 Urteilen, die das Reichsgericht jährlich fällt zu Gunsten eines materiellen Anspruchs, sollen 75 big 80 Urteile Diese 75 bis 80 Prozesse sind es, um die sich der ganze Streit bewegt, und die Frage, richtig gestellt, ist die, will das hohe Haus anerkennen, daß die Schwierigkeiten der Geschäftslage beim Reichsgericht so sich entwickelt haben, daß man dem Volke zumuten darf, in 75 bis 80 Pro⸗ zessen auf eine andere Entscheidung zu Gunsten des Revisionsklägers, also zu Gunsten des in der zweiten Instanz Unterlegenen zu verzichten, oder ist der Wert dieser 75 bis 80 Prozesse, an denen doch immer nur jwei Parteien so beteiligt sind, so erheblich, so durchschlagend, daß das Volk den Weiterbestand der jetzigen Verhältnisse beim Reichs⸗ gericht, obwohl sie die Rechtspflege im allgemeinen gefährden, dennoch dulden will? Aus den Zahlen, die ich Ihnen mitgeteilt habe, werden Sie zu— gleich ersehen, worin denn die eigentliche Aufgabe des Reichsgerichts liegt. Sie liegt, abgesehen von den wenigen Fällen, in denen eine andere Entscheidung als in der zweiten Instanz zwischen den Varteien erfolgt, keineswegs auf dem Gebiete der materiellen Gerechtigkeit. Das Reichsgericht hat nicht die Aufgabe, in möglichst vielen Fällen materielle Gerechtigkeit unter den Parteien zu schaffen. Die Haupt⸗ funktion des Reichsgerichts, so wie sie auch gedacht wurde bei dem Erlaß der Justizgesetze aus den 70er Jahren, ist die, eine Rechts kontrolle auszuüben, zu prüfen, ob in den einzelnen Rechtsfällen, die an das Reichsgericht kommen, nach Maßgabe des materiellen Rechts und unter sorgfältiger Anwendung der prozessualen Vorschriften ent⸗ schieden wurde. Diese Rechtskontrolle übt das Reichsgericht aber nicht aus allein zu Gunsten der wenigen Prozesse, die überhaupt in diese Instanz gelangen, sondern übt sie auch aus mit praktischer Wirk-⸗ samkeit für alle übrigen Prozesse, die im Jahre innerhalb des deutschen Rechtsgebietes überhaupt vorkommen. Sie übt sie aus zu Gunsten der landgerichtlichen Prozesse, kommen können, weil es sich um ein Objekt handelt, das nicht die revisionsfähige Grenze erreicht; sie übt sie aus zu Gunsten der amts— gerichtlichen Prozesse, denen überhaupt der Weg zum Reichsgericht ab⸗ Und zwar wird diese Rechtskontrolle zu Gunsten der Rechtspflege des ganzen Landes geübt auf Kosten der kleinen Schicht der Bevölkerung, die an den Prozessen vor dem Reichsgericht teil⸗ nimmt. Es ist schon bei der Beratung der Reichsjustizgesetze lebhaft und unzweideutig betont worden, daß darin die Hauptaufgabe des Reichsgerichts besteht, und daß für die deutsche Nation der Wert des Reichsgerichts keineswegs darin liegt, daß eine richterliche Tätigkeit zugeteilt ist, die auch zur materiellen Korrektur früherer Ent⸗ scheidungen führen kann. Auch darüber einige erläuternde Zahlen. Sie beweisen am besten den klaren Sachbestand, wie er hier in Be⸗ tracht gejogen werden sollte. Die Zahlen stammen aus der Statistik vom Jahre 1901: Die Zahl der vermögensrechtlichen Prozesse in Deutschland betrug in diesem Jahre bei den Amtsgerichten rund 2012000, abgesehen von den amtsgerichtlichen Mahnsachen, die für unsere Frage keine Bedeutung haben. Die Zahl der Prozesse bei den Landgerichten betrug 314 000, die Zahl der oberlandesgerichtlichen Entscheidungen 25 000, die Zahl der Entscheidungen des Reichs gerichts 2400. Nun, meine Herren, konstatiere ich, was gewöhnlich nicht beachtet wird, wenn man diese Frage erörtert, daß den 23265 000 Urteilen, welche bei den Amtsgerichten und Landgerichten gefällt werden, nur 330 Urteile des Reichsgerichts gegenüberstehen, die eine reformatorische Bedeutung in der Sache haben. Von diesen 330 Urteilen wollen wir 70 bis 80 Urteile ausscheiden, und die Frage ist: welche Bedeutung legen Sie diesen 70 bis 80 Urteilen bei gegenüber den 2 326 000 Ur. teilen, die überhaupt zwischen Parteien in Deutschland gefällt werden?
Meine Herren, die verhältnismäßig geringe Bedeutung der Tätigkeit des Reichsgerichts für die materielle Entscheidung kann, glaube ich, nicht schärfer ausgedrückt werden als durch die Zahlen, die ich Ihnen hier angeführt habe. Wenn man so viel und so leichthin von dem plutokratischen Charakter der vorgeschlagenen Maßregel spricht und auch Ihnen gegenüber ihn betonen sollte, dann, bitte ich, erinnern Sie sich gütigst der Zahlen, die ich Ihnen vorgelegt habe.
Es ist überhaupt Grundsatz für alles Prozeßwesen innerhalb Deutschlands und im Auslande — ich möchte sagen: es ist ein Natur⸗ gesetz —, daß die höheren Instanzen nicht mit demselben Material belastet werden dürfen wie die unteren Instan Parteien wünschen sollten, Instanz zu treiben. Dieser Grundsatz führt unvermeidlich dahin, daß eben die kleineren Sachen zurückstehen müssen gegenüber den größeren, um den höheren Instanzen eine fruchtbare Tätigkeit zu er= möglichen. Dies kommt auf allen Gebieten, im amtsgerichtlichen, im landgerichtlichen Prozeß zum Ausdruck; ich mochte sagen: eg ist ein um überhaupt höhere Instanzen auf prechung zu einer rationellen Wirksamkeit ge⸗
Notstand vorlag, sondern man ist auch nach sorgfältigster Prüfung aller Wege, die sonst etwa gegeben sein könnten, um Abhilfe für den Notstand zu schaffen, zu der Erkenntnis gekommen, daß der von der Regierung ge⸗ machte Vorschlag der einzig wirksame und der wenigst bedenkliche sei. Freilich und leider hat sich das Plenum des Reichstags damals für den Beschluß seiner Kommission nicht ausgesprochen, es hat den Vor— schlag der Regierung abgelehnt unter dem Gewicht der Strömungen, die, für die verbündeten Regierungen auch nicht unbekannt, in einer Volksvertretung bei solchen Gelegenheiten immer berrschen werden. In einem unglücklichen Optimismus, in dem der Reichstag sich damals befand, wurde der Vorschlag abgelehnt; man ließ sich von der Hoffnung leiten, daß in den weiteren Jahren andere Mittel sich finden würden, die damals noch nicht gefunden waren, um dem Uebelstande abzuhelfen, auch von der Hoffnung, daß die Uebelstäͤnde sich nicht weiter so ent⸗ wickeln würden, wie die verbündeten Regierungen es damals pro⸗ gnostizieren mußten.
Meine Herren, dieser Optimismus ist erledigt durch die Er— fahrungen, die in der Zwischenzeit gemacht worden sind. Wir haben trotz aller Erwägungen, die von uns, von der gerichtlichen Praxis und von der Wissenschaft angestellt worden sind, keinen anderen Weg finden können, uns die Lage beim Reichsgericht zu erleichtern, als einen derjenigen Wege, die bereits früher in Betracht gekommen sind, und die Zustände beim Reichsgericht, meine Herren, haben sich nicht verbessert, sie haben sich entschieden berschlechtert. Sie haben sich so verschlechtert, daß die verbündeten Regierungen die Verantwortlichkeit für die weitere Entwickelung der Verhaͤltnisse nicht allein tragen können, daß sie den Reichstag dafür mit in Anspruch nehmen müssen. An
heißt das:
für die Zukunft ausscheiden.
bedenklichen sich weiter Meine Herren, das Mittel, das wir Ihnen in Vorschlag bringen, ist dasselbe Mittel, das auch im Jahre 1898 vorgeschlagen worden ist, d. h. die Erhöhung der Wertsumme für diejenigen Sachen, die an das Reichsgericht überhaupt kommen sollen.
Ich werde mich in der beuligen Verhandlung auf die Spezialitäten
dieser Frage, die ja überhaupt außerhalb der juristischen Kreise ein großes Interesse nicht erregen, nicht einlassen. Ich möchte nur konstatieren, daß wir wiederum auf das sorgfältigste, und ich darf auch sagen auf das gewissenhafteste alle anderen Wege einer Prüfung unterzogen haben, die in Betracht kommen könnten, um den Uebel ständen beim Reichsgericht Abhilfe zu schaffen. Wir sind in allen diesen Beziehungen wiederum zu einem negativen Resultat gekommen; wir sind genötigt, unbedingt gezwungen gewesen, auf den Weg zurückzugreifen, den wir im Jahre 1898 eingeschlagen hatten. Meine Herren, es ist vielleicht unhöflich, wenn ich das sage, aber ich möchte es doch sagen: ich bedaure es, daß bei dieser Frage voraussichtlich, wenn nicht aus⸗ schließlich, doch gan überwiegend Juristen mitsprechen werden. Juristen haben bekanntlich, wie der Volksmund sagt, immer verschiedene Mei⸗ nungen und es ist sehr schwer, sie unter einen Hut zu bringen. (Sehr richtig! Heiterkeit) Ich gebe mich zwar der Hoffnung hin, daß das Gewicht der Darlegungen der verbündeten Regierungen auch einen Teil der Juristen dieses hohen Hauses mindestens zweifelhaft machen wird, und vielleicht werden die Herren dann geneigt sein, in ihrem Zweifel doch einiges Gewicht zu legen auf die Autorität derjenigen, die für diese Vorlage eingetreten sind, ohne irgendwie durch ein greif⸗ bares Interesse, das in der Sache nicht begründet wäre, bei ihren Auf⸗ fassungen geleitet zu sein.
Das Reichsgericht, meine Herren, steht seit 10 Jahren auf dem Boden, den wir hier vertreten, und es muß doch selbst am besten wissen, was ihm und der deutschen Rechtspflege frommt. (Zuruf bei den Sozialdemokraten Die Rechtsanwaltschaft beim Reichsgericht steht, obwohl es den einzelnen vielleicht zu ihrem Nachteil gereichen wird, auf Grund ihrer Erfahrungen lediglich wegen des allgemeinen Interesses auf demselben Standpunkt. Die Reichsjustizverwaltung, meine Herren, die seit dem Augenblick, als ich die Ehre hatte, mein Amt zu übernehmen, mit größter Sorge die Entwickelung des Reichs⸗ gerichts verfolgt hat, ist gleichfalls dieser Ansicht, und die verbündeten Regierungen, die doch wahrhaftig von einseitigen Standpunkten in nicht leiten lassen können, Diese verschiedenen autoritatiben Stellen, meine Herren, möchte ich doch bitten, mit in Betracht zu ziehen, wenn bei der Meinungen sich ein Zweifel ausbildet und er unschlüssig wird, welchen Weg er gehen soll. Ich glaube, diese Herren werden doch gut tun, den ver— bündeten Regierungen zu folgen.
Meine Herren, die entscheidende Frage nicht bloß für den Juristen, sondern auch für die Allgemeinheit ist die: wird der Vorschlag der verbündeten Regierungen in der Tat für die Rechtspflege im allgemeinen von Nachteil sein? Diese Frage müssen wir beantworten und mit ihrer Beantwortung ist die Sache eigentlich erledigt; und da möchte ich Ihnen, meine Herren, einige Zahlen anführen, die Ihnen vielleicht besser als sonstige Ausführungen und, wie ich glaube, objektiver den Effekt klarlegen konnen, den eine Maßregel, wie die von den ver⸗ bündeten Regierungen Ihnen vorgeschlagene, auf das Rechtaleben dez deutschen Volks ausüben wird.
Ich muß vorausschicken, meine Herren, daß ja für die Prozesse, die sich auf den Gebieten des Personenrechts und des Familienrechts bewegen, die Vorlage überhaupt keine Bedeutung hat. In dieser Be⸗ ziehung bleibt alles beim alten; auf dem Gebiet der Personen⸗ und Familienrechtsstreitigkeiten wird auch nach der Annahme dieser Vorlage nichts geändert. In Frage kommen bloß diejenigen Prozesse, die sich um Vermögensrechtsobjekte drehen; und die Frage ist für uns die: welchen Effekt wird in dieser Beziehung auf das Rechtsleben der Nation ein. Gesetz wie das vorgeschlagene ausüben. Nun, meine Herren, wenn
zur Revision
geschnitten ist.
der Auffassung.
zen, auch wenn die die höhere
Opfer, das gebracht werden muß, dem Gebiet der Rechts langen zu lassen.
Nirgends ist wohl die Notwendigkeit, die hierin zum Ausdruck kommt, schärfer zum Ausdruck gebracht als in Frankreich. Frankreich, welches von je her unter den Kulturnationen durch die glänzende Rechtsprechung hervorragte, Frankreich, in welchem das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz mehr als in allen anderen Ländern dag Volksgemüt durchzieht und demokratische Anschauungen saͤmtliche öffentliche Institutionen beherrschen, Frankreich sucht in unerbittlicher Schärfe zu Gunsten einer fruchtbaren Tätigkeit seines obersten Gerichtshofes alle weniger erheblichen Prozesss von dem obersten ihm abzuweisen
zugänglich ist, so ergibt sich, daß das Reichsgericht in vermögensrecht⸗ lichen Prozessen jährlich 2400 Urteile fällt. Nach den Erfahrungen, die in der begründenden Denkschrift ja auch auf einer Tabelle im Anhang mitgeteilt sind, werden vom Reichsgericht ungefähr 79 0 / aller Revisionen zurückgewiesen, nur 21 0½0 haben einen Erfolg. Das heißt in die wirklichen Zahlen übersetzt: von den 2400 Urteilen, die das Reichsgericht in vermögengrechtlichen Streitigkeiten fällt, gehen 1900 auf eine Zurückweisung der Revision und nur 500 bedeuten eine Anerkennung des vom Rerisionslläger geltend gemachten Revisions⸗ grundes. Nun, meine Herren, wäre es aber unrichtig, zu sagen, daß 500 Erkenntnisse
Reichsgerichts, Gerichtshof fernzuhalten,
Umfang, wie wir eg in Deutschland gar nicht unter— nehmen würden. So kommt Frankreich bei kaum 40 Millionen Einwohnern für seine Zivilentscheidungen in der obersten Instanz mit einem Zivilsenat aus, der mit 16 Richtern besetzt ist; wir brauchen jetzt schon7 Senate mit mehr als 50 Richtern. In Frankreich ist der einzelne Richter im Jahre belastet mit noch nicht 20 Sachen; wir müssen trotz der starken Besetzung unseres Reichsgerichts jeden der obersten Richter mit mindestens und mehr als 50 Sachen belasten. Und was ist das Ergebnis dieses Zustandes? Die Urteile von Frankreichs höchstem Gerichtshofe sind in der ganzen Welt in einer Weise anerkannt, um welche andere Länder Neid empfinden dürfen. Die Autorität des französischen Kassationshofes ist immer noch von einer Bedeutung, der die Autorität keines anderen Gerichtshofes außerhalb Frankreichs — das müssen wir gestehen — zur Seite gestellt werden kann. Das ist ein sehr wichtiger politischer Faktor. Darin ist der Weg zu einer Ueberleitung französischer Rechtsanschauungen und französischen Lebens- anschauungen auf die anderen Nationen gegeben, und die Bedeutung dieses Moments darf man wahrlich nicht unterschãͤtzen.
Wir baben unsererseits, als wir hier unser gemeinsames bůrger⸗ liches Recht schufen, die Vorbedingungen für eine Stellung unseret obersten Gerichtshofes wie in Frankreich geschaffen; aber nur die Vor⸗ bedingungen. Es gehört doch auch noch mehr dazu. Solange wir mit der Gefahr zu kämpfen haben, daß in unserem Gerichtshofe nicht nur die Elite unserer Richterwelt Aufnahme findet, sondern daß wir genötigt werden könnten, auch Kräfte zweiter Ordnung in den Ge⸗ richts hof aufjunehmen, solange die Möglichkeit besteht, daß die Richter nicht mehr die Zeit finden, sich mit allgemeinen Fragen außerhalb ihrer engsten Richtertätigkeit zu beschäftigen, mit Fragen wissenschaftlicher, wirtschaftlicher, künstlerischer Art, die doch auch ihre Rückwirkung äußern und äußern sollen auf eine wirklich praktische, lebendige Arbeit in der Rechtsprechung, solange wir mit der Mög⸗ lichkeit zu rechnen haben, daß unsere Richter schließlich untergehen in einem banausischen Aktenleben, das den realen Verhältnissen ferner und ferner tritt, solange die Gefahr besteht, daß unsere Senate untereinander allmählich die Fühlung verlieren, daß damit eine geistige Zerrüttung in unserem obersten Gericht Platz greift, die ihn nicht mehr erscheinen läßt als einen einheitlich geschlossenen, von gleichen Rechtsgedanken durchdrungenen, in gleichem Sinne arbeitenden Körper, — so lange werden wir das, was Frankreich längst erreicht hat, nicht zu erreichen vermögen.
Meine Herren, ich bin der Meinung, daß unser höchster Gerichtshof bis jetzt auf einem guten Wege gewesen ist, daß wir stolz auf ihn sein dürfen. Die Vorlage der ver⸗ bündeten Regierungen hat den Zweck, ihm seinen bisherigen Weg auch weiter offen zu halten. Ich möchte das hohe Haus bitten: unterstützen Sie in diesem Ziel und in dieser Absicht die Regierung, schützen Sie das Reichsgericht vor der Gefahr, auf eine abschüssige Bahn ju kommen, die seine moralische Stellung untergräbt und seine Autorität im nationalen Leben mehr und mehr schwinden macht. Sie werden das tun, meine Herren, wenn Sie der Vorlage der verbündeten Regierungen wohlwollend gegenübertreten, und nur darum habe ich Sie in diesem Augenblick zu bitten.
Abg. Hagemann (nl.) befürwortet seinen Antrag. Er danke dem Staatz sekretãr, daß er dem Reichstag so schnell entgegengekommen sei und diese Vorlage eingebracht habe. Alle Parteien wären darin einig, daß das Reichsgericht entlastet werden 3 daß es nicht so weiter gehen könne wie bisher. Seine politischen Freunde ständen der Vorlage im n, und ganjen sehr wohlwollend gegenüber, wenn sie es auch für zwe mai gehalten hätten, die Rebistonsfumme gleich don bornherein auf 3000 66 heraufzusetzen. Von einem pluto— kratischen Charakter der Vorlage könne nicht die Rede sein, denn es seien nicht die Minderbegüterten, deren Projesse auggeschaltet werden sollten. Das Reichsgericht sei eigentlich nicht dazu ba, um materiell in eine Prüfung der Rechtsmaterie einzutreten und materielles Recht zu schaffen, dazu seien schon zwei Instanzen vorhanden. Das Reichsgericht solle nur einheitliches Recht schaffen. Durch eine eraufsetzung der Revisionssumme werde dag Vertrauen zu dem ne, , . gewiß nicht geschäͤdigt werden. Sache der Kommission, deren Cinsetzung er beantrage, werde es sein, die Einzelheiten der Vorlage zu prüfen. Freudig sei zu begrũßen, . der Einspruch een das Versãumnizurteil des Reichsgerichts abgeschafft werden olle. Die Belastung des Reichsgerichts sei aber nicht nur im Zivil⸗ prozeß, sondern auch im Strafprozeß vorhanden, und darum habe er und andere den vorliegenden Antrag eingebracht. Eine Strafe wirke nur dann erzieherisch und sühnend, wenn sie i li hn bald der Straf⸗ handlung folge. a aber jögen sich die Strafen 6, 8. 19 12 Monate hin Ein Mittel dagegen wäre die ‚106* Olshausen“, die Erweiterung der Kompetenz der chöffengerichte. Damit würde dem Angeklagten nur ein Vorteil erwachsen. Der Antrag decke sich im großen und ganzen mit der „lex Olshausen“, in einigen Punkten gehe er aber weiter. Er bitte, beide Vorlagen einer Kommission von 21 Mitgliedern zu überweifen.
Abg. Him burg (. kons.): Wir haben nur in einem Punkte etwas gegen die Vorlage: gegen die Abänderung des 5 546 der Zivil⸗ rozeßordnung. Ein Teil meiner Freunde hält es für gänzlich ver⸗ ehlt, eine Besserung herbeizuführen durch eine Aenderung der Repssions⸗ umme. Ein Teil ist dafür, wenn ein anderer Weg nicht . ist. Meine Freunde können sich nicht davon überzeugen, daß es undurch⸗ führbar sein soll, die Zahl der Senate des Reichsgerichts und die Zahl seiner Richter zu erhöhen. Unser Antrag hängt mit dem Regierungs⸗ entwurf nicht unmittelbar zusammen. Dleser würde eine Mehrbelastung der Amtsgerichte zur els⸗ haben. Die Vermehrung der amtsrichter⸗ lichen Pflichten hat bis jetzt nicht Schritt gehalten mit den amts—⸗ richterlichen Lasten. Ich miöchte den Staalgzfekretär bitten, dahin zn 3 daß in dieser Beniehung in den Einzelstaaten das Noͤtige geschieht.
Abg, Dr. Rintelen Zentr.): Ich gebe ohne weiteres zu, daß das Reichsgericht überlastet ist, und daß eine Entlastung 6. en muß. Es fragt sich nur, wie sie erfolgen ei Auf jeden Reichs⸗ richter kommen jetzt 48 Ürteile, während früher auf jeden Richter des Qbertribunals 75 bis 80 fielen. Redner wirft einen historischen Rückblick auf die früheren Bestrebungen auf diesem Gebiete und spricht sich gen die Erhöhung der Revisionssumme aus, welche die Einheit der Nechtsprechung nicht erhöhen, wobl aber die Difformitãt bei den nicht rebisiblen Prozessen in den Oberlandeggerichten ver⸗= mehren werde. Eine Einheit der Rechtsprechung sei ohnehin schon jetzt beim Reichsgericht nicht vorhanden; die einzelnen Senate wechselten ihre Meinungen, da die Personen wechselten usw. Durch die Er= höhung der Revistonssumme werde der Zustand noch verschlimmert werden. Im Vordergrunde der heutigen Erörterung der Zeitfragen stehe das sozialpolltische Moment, von diesem Standpunkt aus müffe der Rechtsoschutz gerade der kleinen Leute verlangt werden. Die Gründe der Vorlage hätten ihn nicht überzeugen konnen, daß diesem Grund— gtz in der Vorlage Rechnung getragen werde. Bas e, , ublikum habe an dem abstrakten Gedanken der Einheit der Recht. prechung nur ein verschwindendes Intereffe, um so größeren Wert lege es auf die soziglpolitische Seite. Redner läßt im weiteren Verlauf seiner Ausführungen feine Stimme fo sinken, daß von e Kritik des Entwurf und bon seinen eigenen positiven Vorschlägen, 1 er — machen scheint, auf der Journalistentribüne nichts zu ver ehen ist.
Gamp: Der Staatzsekretär hat die Beteiligung von . tern an der Diskussion als erwünscht beieichnet; ich erblicke darin für mich eine Entschuldigung, wenn ic in die Erörterun eingreife. babe mich stets ziemlich mers gegen die Herauf⸗ setzung der evisionssumme ausgesprochen. enn ich beute eine etwas veränderte Stellung einnehme, so bin ich deshalb noch nicht auz einem Saulus ein an n geworden; ich kann mich aber dem immer stärker werdenden Verlangen nach einer Radikalkur nicht mehr verschließen. Ich erhöhe die Revisionssumme sehr ungern, weil ich weiß, daß das Reichsgericht sich stets Mühe gegeben hat, dem ge— unden Menschenverstand ju seinem Recht zu verhelfen, während in den anderen Instanzen eine bureaukratische Auffassung herrscht. Diese meine Hochachtung vor dem Reichsgericht macht es mir besonders schwer, seine Kompetenz zu beschneiden; man wird indessen in diesen saueren Apfel beißen müssen. Ich bitte aber die Kommission, sehr ernstlich auch alle anderweiten Vorschläge zu prüfen; ich selbst möchte dazu einige beisteuern. In 4090 Rechtsstreitigkeiten in einem Jahre hat der Anwalt auch nicht ein Wort der Begründung der be, ,, ugefügt; monatelang hat sich der . mit den Sachen befaßt, ih e ich wird die Revision zurückgejogen. Solche Rücksichtslosigkeiten müffen verhindert werden; es muß ein Begrundungsjwang für die Reviston eingeführt werden; der Anwalt muß das Material felbst durcharbeiten. 75 o/o der Revisignen haben leinen Erfolg; beim Begründungsiwang werden die Anwälte sicherlich auch von diesen FöösJ 20 =25 0 ermitteln, wo die Einlegung der Revision gus— sichtslos ist. Bei Rechtsstreitigkeiten um lediglich landesgesetzliche Bestimmungen sollen nicht alle Senate mitzuwirken brauchen, da dürfte die Entscheidung durch den einzelnen Senat genügen. Nicht nur anbei lich sondern juperlässige und richtige Rechtsprechung ist, was wir brauchen. Die Einheitlichkeit wird durch Heraufsetzun det Revistonssumme vermindert, nicht erhöht. Wir haben Do 25 Oberlandesgerichte, deren verschiedenartiger und jwiespältiger Ent⸗ scheidung durch die Erhöhung der Revisionssumme lediglich weiterer Spielraum gegeben wird. Schon jetzt fehlt es in einer ganzen Reihe pon Rechtsgebieten an jeder einbeitlichen n,, weil das Objekt ju niedrig ist, so in Alimentensachen, Fragen des Gesinderechts und dergleichen. Weshalb die Stempelsachen revisionsfäbig sind, sehe ich jetzt . nicht recht ein. Bei manchen Materien ist andererseits die Zahl der reichsgerichtlichen Entscheidungen schon jetzt so gering, daß sie bei Erhöhung der Summe aus der Judikatur des Reichs- gericht gäͤnilich ausscheiden könnten, so die Haftpflichtsachen. Werk bertragssachen u. a. m. Das würde sehr erwünscht sein. Alles in allem stimmen wir nur hböchst widerwillig diesem Entwurfe ju, und wir gewärtigen den 6 daß sich das Erstrebte auf anderem
icht erreichen läßt. .
2 7 i n (Soz.): Solange die gelehrte Rechtspflege besteht, kann ich die Absicht, die Befugnis des obersten Gerichts ju beschränken und einer Reihe von Leuten die Möglichkeit zu nehmen, an das Reichsgericht zu geben, schlechterdigs nicht begreifen. Es handelt sich bier um ein ganz mechanisches, grobez, rohes, bureau⸗ kratisches und plutokratisches Mittel. Warum bei 2000 oder 3000 4 steben' bleiben, warum nicht bis 290 000 oder 100 000 t geben? Man könnte ganz ernsthaft tg en ob man nicht lieber die größeren Sachen obne den höchsten Rechtsschuß lassen könnte. Durchgus verderblich ist es, wenn nach der Vorlage ein Cinspruch gegen Ver⸗ säumnisurteile nicht zulässig sein soll. Darin stimme ich allerdings zu, daß es richtiger wäre, das 3 Verfahren ju ändern als die Revisionssumme zu ändern. ir halten eine einheitliche Recht⸗ sprechung über den Arbeitsvertrag für viel dringlicher. Wir haben jetzt darüber so viele Entscheidungen als wir Amts, Land. und Ge— werbegerichte haben. Wir brauchen , , Rich in Strafsachen. Was der Antrag vorschlägt, ist nur Flickwerk. Ich hoffe, daß in der Kommission der Gedanke zurückgewiesen wird, daß nur reiche Leute bei dem Reichsgericht Schutz inden. ö —
Abg. Pohl (fr. Xin, z Die Frage, ob in einem Staat eine gute heck l e besteht, ist in hohem Grade politisch. Herr Gamp ist gar nicht Laie, sondern nach seiner Vorbildung ein zünftiger Jurist. Bei einem solchen Gesetz wird man auf das Urteil der Anwälte ju achten baben, die die Interessen des Publikums wahrnehmen. 1895 haben sich die Anwälte gegen eine Abänderung der Revisiong⸗ summe erklärt. In meiner ö Schlesien hat sich eine hoch- radige Erregung über die Vorlage geltend gemacht, die in einem e fn der Anwaltskammer jum Ausdruck gekammen ist, in der keineswegs nur Fortschrittler sitzen. Es bandelt sich hier eben nicht um eine parteipolitische Frage. Der Staatesekretär hat darauf hin— ewiesen, daß in 75 60 eine Abweisung der Beschwerde beim er rich erfolge. Im Reichsjustizamt scheint doch eine sonder⸗ bare Auffassung über die Sache ju herrschen. Die Anrufung des Reichsgerichts soll doch keine Strafe, sondern eine Wohltat sein. Die Beamten und der Fiskus haben dat doch selbst bekundet. Daz Reichsgericht fällt ja mitunter recht mäßige Urteile; aber es ist auch e ger, daß es hervorragende a, . hat, und daß es das beste Gericht ist, daz wir haben. Die Ueberlastung des Reichs⸗
erichts kann nicht bestritten werden. Dagegen gibt es nur ein er, die Vermehrung der Richter. Die Einheitlichkeit der Recht- svrechung braucht darunter nicht zu leiden. Man könnte den Richtern die Arbeit erleichtern durch eine Teilung der Materien, sodaß die Richter sie besser beherrschen können. Einer Beschränkung der Revision beim Reichsgericht, wie es der Abg. Gamp vorgeschlagen hat, muß ich im Interesse des rechtsuchenden Publikums durchaus wider⸗ Prechen. Heutzutage läuft ja obnehin alles der Macht und dem Henn nach. Es ist jetzt die Zeit der Nervosität, und nervöse Hast macht sich jetzt auch el den 3 geltend. Man schaͤtzt die Fixigkeit viel höher als die Richtigkeit. Suchen wir Anwälte richtige Urteile berbei⸗ zuführen, so nennt man das eine chikansse Ausnutzung der Machtmittel der Anwälte. Eg kommt doch darauf an, daß das Publikum Ver⸗ trauen hat zu unserer Rechtsprechung. Wir dürfen nicht eine einzige Rechtsgarantie aufgeben, die wir haben. Der Herr Oberlandesgerichts. rat Burlage befindet sich im Irrtum, wenn nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch und dem Handelsgesetzbuch der Richter nicht nach dem Buchstaben des Gesetzes urteilen soll. Präsident Graf von Ballestrem:
err Abgeordneter, es ist hier nicht üblich, die Kollegen bei ihrem itel ju nennen, hier gibt es nur Abgeordnete) Bel dem Natio—- nalitätenhaß usw. müssen wir die bestehende Rechtskontrolle aufrecht erhalten. ir erweisen dem Vaterlande einen Dienst, wenn wir jeder Verschlechterung der Rechtsprechung entge enarbeiten.
Abg. Engelen Zentr.): rr Dr. Spahn ist leider heute ver⸗ hindert, der lh beizuwobnen, da er an einer Senatgsitzung des Reichsgerichts , . muß; wir müssen das um so mehr bedauern, als Herr Spahn die ng mit besonderer Sachkenntnis hätte be- leuchten können. Ueber die Entlastung des Reichsgerichts ist im Reichstage des ausführlichsten gesprochen worden. Für die Erhöhung der Revisionssumme hat sich nicht nur das Reichsgericht selbst, sondern auch nunmehr die Anwaltskammer beim Reichsgericht ausgesprochen, letztere i obne eine bestimmte Summe zu nennen. Die Erhöhung der Revisionssumme ist ja auch von der Kommission des Reichstags 1898 beschlossen worden, und erst das Plenum verwarf sie wieder. Man wollte damals auch degwegen noch nichts davon wissen, weil man erst mit dem neuen Bürgerlichen Gesetz. buch Erfahrungen sammeln wollte. Diese Gelegenheit ist nun bereits bier Jahre geboten gewesen. Alle Ginwände gegen die Erhöhung 62 ohne durchschlagende Kraft. Mit der Ueberweisung an eine Kommission von 21 Mitgliedern bin ich einverstanden.
Abg. Dove (fr. Vgg.): Wir stehen im ganzen auf dem Stand- punkt des Abg. Hagemann, weichen aber in Einzelheiten ab. Die Verlage erscheint uns als eine Ärt Notgesetz, das mit ,,. aufgenommen werden muß; es llt von verschiedenen Ueheln das
einste ju wählen. In den bisherigen Erörterungen ist viel ach eine gewisse Ueberschätzung des Instanzenzuges hervor= getreten. Herr Pohl ist nicht für die Fixigkeit; aber im all. i,, legt doch dag Publikum ebenso auf schnelle wie auf illige Erledigung seiner Rechtsangelegenheiten den Hauptwert. Die Gründlichkeit darf darunter nicht leiden; aber der Instanzenzug ver= bürgt diese Gründlichkeit nicht unter allen Umständen.
Unterschied nicht zu bestehen. Allerdings bringt diese Erhöhung eine gewisse Verteuerung der Rechtspflege überhaupt mit sich, indessen würde ich bei dem vorliegenden Notstand auch diesen noch nicht be⸗ rübrten Nachteil in den Kauf nehmen. Im gesamten Ausland ist die . . obersten Instanz der Rechtsprechung an viel höhere Summen gebunden. -
Abg. Sch midt⸗Warburg (Zentr.): Ich muß sebhr beklagen, daß ich in einer so wichtigen Sache erst um 6t Uhr zu Worte komme, wo schon alles drängt, in die Ferien zu gehen; ich bitte Sie aber, mich noch wenigstens ein Viertelstündchen anzuhören, ich bin bereit, auf das e r . des Präsidenten aufzuhören. Ich bin nach wie vor absoluter Gegner der Erhöhung der Revisionssumme, hauptsächlich aus sojialpolitischen Rüchichten. Der arme Mann hat keine 3000 einzusetzen, um jur Revision zu gelangen; das ist früher auch seitens der Bundesregierung anerkannt worden, daß wir dann nur einen obersten Gerichtghof für die Reichen haben würden. Wenn das oer, . weiter keine Gründe hat, als sie uns in der Begründung der Vorlage mitgeteilt sind, so ist das in der Tat schwach.
Damit schließt die Generaldiskussion. Die Vorlage und der Antrag Hagemann gehen an eine Kommission von 21 Mitgliedern.
Präsident Graf von Ballestrem wünscht den Mitgliedern eine gute Erholung und ein fröhliches Pfingstfest.
Schluß gegen 68/9 Uhr. Nächste Sitzung: Dienstag, 7. Juni, 2 Uhr. (Zweite Lesung des Reblaus- und des Münzgesetzes.)
Preußischer Landtag. Herrenhaus. 15. Sitzung vom 14. Mai 1904, 12 Uhr.
Das Haus setzt die Spezialberatung des Staatshaus—⸗ haltsetats für das Rechnungsjahr 1904 beim Eiat des Ministeriums des Innern fort.
Berichterstatter Herr Becker, Cöln: Die Finanjlage der Ge—
meinden wird immer schlechter wäbrend der Staat im Gelde schwimmt. Das kommt daher, daß der Staat die Gemeinden bei jeder Gelegen heit heranzieht. Wenn das so weiter geben soll, müssen den Ge⸗ meinden neue Einnahmequellen erschlossen werden. Zunächst wäre es sehr dankenswert, wenn die Minister des Innern und der Finanzen eine Steuerstatistik der Gemeinden aufstellten. Dann würde eine Aenderung des Schuldotationsgesetzes nicht lange auf sich warten lassen. . ö Generalberichterstatter Graf von Königsmarck: Ich kann diesen Ausführungen nur beitreten. Namentlich in unseren kleineren Gemeinden sind die Steuerzuschläge außerordentlich hoch. Nach § 33 des Kommunalabgabengesetzes sind Grundstücke des n. von der Kommunalbesteuerung frei. Sobald z. B. die Ansiedelun ékommission einen Hof kauft, fällt dessen Steuerlast den anderen Besitzern zu. Ebensg werden die Erwerbungen der polnischen Ansiedelungsbanken vom Oberverwaltungsgericht behandelt, weil sie angeblich nicht des Erwerbs wegen kaufen. Ich bitte die Regierung um Abstellung dieser Mißstände. . . ͤ
Unterstaatssekretär von Bischoffshausen: Die Ansiedelungs⸗ güter haben keinen Domänencharakter und sind daher der Besteuerung entzogen. Ich glaube nicht, daß die Ansiedelungsgüter mit Ein kommensteuer belastet werden dürfen. Der Grundsteuer aber unter- liegen sie. Was die generellen Ausführungen des Herrn Oberbürger—⸗ meisters Becker angeht, so hoffe ich, daß die Gemeindelasten sich ver—⸗ mindern werden. Den von Herrn Becker vorgeschlagenen Weg zur Abhilfe, die Aufstellung einer Statistik. hat die Regierung schon ein geschlagen. Die Vorarbeiten sind im Gange. .
Herr Struckmgnn Hildesheim: Für die Aufstellung der Statistit bin ich der Regierung sehr dankbar. Ich bitte, dabei aber nicht nur die Steuerbelastung zu beachten, sondern auch die übrigen Belastungsmomente in Betracht zu jiehen, namentlich die Kanal— gebühren. Eine wirksame Besserstellung der Gemeinden kann nur erfolgen, wenn es gelingt, die etränke mehr heranzuziehen. Billig kann ich es auch nicht finden, daß der Staat z. B. jur Erweiterung von Staatsschulen die Gemeinden heranjieht. Damit kommt man zu dem Prinzip: wer am meisten bietet, erhält den Zuschlagz;⸗.
UÜnterstaatssekretär von Bischofsfshausen; Die Wünsche be—⸗ züglich der Statistit werden wir berücksichtigen. Ich henutze die Ge— legenheit, um den Herrn Minister ju entschuldigen. Er befindet sich auf einer Dienstreise und bedauert daher, an den Verhandlungen nicht teilnehmen zu können. . .
4 J, führt gleichfalls Fälle an, in denen der Staat die Gemeinden in zu weit gehender Weise herangezogen habe, und bittet, künftig nicht formularmäßig, sondern unter Beachtung des Einzelfalls vorzugehen. ᷣ 33
Herr 3 Der Optimismus der Regierung bezüglich der Gemeindefinanzen ist sehr bedenklich. Ich kann diesen Optimismus nicht teilen, glaube im Gegenteil, daß die Kommunalaufgaben von Jahr ju Jahr wachsen werden. Die Bevölkerung wächst. die Schulen reichen nicht mehr aus, die Armenlasten wachsen. Da ist es klar, daß die Einnahmen nicht mehr ausreichen, denn das Kommunalabgaben⸗ gesetz leistet nicht, was es soll; und daher sollte die Regierung an eine gründliche Aenderung denken. Das Gesetz muß vor allem erweitert werden und den Spielraum gewähren, den es den Städten bereitz auf dem Gebiete der indirekten Besteuerung läßt. Ich bin ein entschiedener Gegner von Brot-, Fleisch⸗ und Getreidesteuer. Aber es gibt j. B. eine Bauholisteuer, wie sie in Frankreich erhoben wird.
reilich bindet das Reich hier die Regierung. Aber gerade deshalb il die Regierung bald auf eine Aenderung der Materie hinarbeiten.
Ein Regierungskomm issar: Hinsichtlich der Getrãän kesteuer sind wir nicht untätig geblieben. Wir sind aber gegenüber den Reichs- organen machtlos. Doch werden wir stetig auf eine Aenderung der Reichsgesetzgebung hinarbeiten. Dem Wunsche nach Aenderung des Kommunalabgabengesetzes muß ich widersprechen. Es hat sich z. B. auf dem Gebiete der Grundsteuer vorzüglich bewährt; auf Grund dieser sind die Städte zur Besteuerung nach dem gemeinen Werte übergegangen und haben so eine Verbilligung der kleinen Wohnungen erreicht. dg auf dem Gebiete der Gewerbesteuer haben wir trotz der Sprödigkeit der Materie erfreuliche Ansätze. In der Wertzusaßz⸗ steuer haben wir ein Beispiel an Frankfurt a. M. Diese Entwicke— lung geht frei vor sich, nur gebunden an die Aufsichtsbehörde. Und diese 6 die Zügel nach Möglichkeit locker gelassen. Herr Zweigert⸗Essen: Die Freiheit der Kommunen ist keines wegs gewahrt. Im Gegenteil! Der. Herr Kommissar hat die Grund⸗ und die re ,. angeführt. Was heißt denn das? Dag beißt: die Regierung hat das onus, Neues ju finden, den Städten überlassen. Ich würde mich freuen, wenn die Regierung jetzt auf dem Gebiete der Umsatzsteuer den Gemeinden eine größere Freiheit ließe. Damit könnten wir uns etwas helfen. Ich meine daher, daß die Revision des nn, namentlich in sozialpolitischer Hinsicht absolut notwendig ist. Was die Statistit angeht, so wird es, glaube ich, richtig sein, die auf den Kopf der Be⸗ völkerung entfallende Belastung zu berechnen. , .
Generalberichterstatter Graf von Königs marck bittet; im Staats- ministerium zu . 1 nicht die Einkommensteuerfreiheit der Ansiedelungsgüter aufheben solle. ;
n K 9 Königsberg bespricht die Verwaltung der Reservefonds der Sparkassen. Der Minister des Innern habe am 18 April einen Erlaß an die Oberpräsidenten ergehen lassen, dem zufolge über die Frage der getrennten oder ungetrennten Verwaltung der Reservefonds Vorschriften nicht gegeben werden sollten. Darin sei die wohlwollende Absicht des Ministers ju erkennen, in die Verwaltung der Sparkassen nicht
der notwendigen Höhe der Reservefonds der Sparkaf haben. Diese letztere sei deswegen von großer Bedeutung, weil we. den gute Ergebnisse erzielenden Sparkassen eine zu weit gehende Fetzsetzung der Höhe des Reservefonds praktisch die Folge haben würde, daß diesen Sparkassen unter Umständen auf Jabrzebnte binauz oder, wenn sie sich in günstiger Lage befinden, überhaupt eine Verwendung zu anderen Zwecken als dem des Reservefonds ver⸗ schlossen sein würde. Wenn man aber bedenke, daß der Reservefonds nicht Selbstiweck sei, müsse man die Ansammlung zu hoher Beträge in toter Hand für nicht empfehlenswert halten. Das Interesse der Garantieverbände an der pfleglichen Förderung ihrer Sparkassen werde auch gemindert, wenn zu sehr beschränkende Bestimmungen getroffen würden. Man müsse den Gemeinden, namentlich armen Gemeinden, die, Möglichkeit geben, Mittel auch für Zwecke, die der alltäglichen Wirklichkeit etwas ferner liegen, zu verwenden. Der Redner bittet den Minister, von der strikten Durchführung des Schlußsatzes seines Erlasses wenigstens da, wo dieser den bisherigen Gepflogenheiten widerspricht, abjuseben. ;
Regierungskommissar, Geheimer Qberregierungsrat von Knebel-⸗ Doeberitz: . die Höhe des Reservefonds ist gesetzlich nichts Positives bestimmt, deswegen haben wir seit längerer Zeit durch Erlasse das Nähere verordnet. Es kann auch nach dem wirtschaftlichen Auf schwunge eine jahrelange wirtschaftliche Depressien eintreten. Des. halb müssen die Zinsen und sonstigen Erträgnisse dem RNeservefonds jugeschrieben werden, bis er die vorgeschriebene Höbe erreicht hat. Der Erlaß vom 18. April ist kein Nopum, er wiederholt lediglich, was wir seit Jahren in der Praxis beobachtet haben.
Herr Struckmann: Eine Sparkasse ohne Ueberschässe würde auf ungenügender Grundlage basieren, Es ist ja richtig, daß die Ueher⸗ schüsse nicht der Hauptzjweck sind. Aber zu gönnen sind die Ueberschüsse den Städten. Die Städte müssen naturgemäß die Kapitalien zum landesüblichen Zinsfuß ausleihen. Gäbe man aber den Einlegern einen ebensolchen Zinsfuß, so würden die Sparkassen große Bank⸗ geschäfte werden. Das haben wir ja zur 3
erlebt. —t die Sparkassen gehören. Sind also die Einnahmen unpermeidlich, so sebe ich nicht ein, warum diese Einnahmen nicht wie jede andere Ein⸗ nahme verwandt werden sollen. Darum bitte ich, an dem status quo nicht zu rütteln. . Bei dem Kapitel „Landrätliche
M 1er“ Aemter
Behörden und tritt ; .
Herr Struckmann für eine Beschleunigung. landrätlicher Hilfsbeamten ein und befürwortet es Hilfsbeamte in eine Quasi⸗Beamtenstellung zu übernehmen, wie me es in den Städten auch tue. . Der Etat des Ministeriums des Innern wird genehmigt
bergs nimmt einen so unerfreulichen Gang, daß wir ohne Unler= stüßung der preußischen Minister nicht zu Ende kommen werden. Wir . vom Reichsschatzamt zur Annahme eines Bebauungsplans ge— zwungen werden, der uns nicht ausreichende freie Plätze gibt, um den Ansprüchen der Hogiene zu genügen. Wir wünschen aber zu erhalten, was bisher vom Festungegelände dem Verkehr dient, vor allem die Promenaden auf den Glacis. Das Reichsschatzamt will dies nicht akzeptieren. Das wird dahin führen, daß wir entweder auf die hygienische Ausgestaltung unserer Stadt oder auf die Entfestigung verzichten müssen. Wir bitten die Regierung, dahin zu wirken, daß der Staat einen Teil der Kosten übernimmt, um Königsberg zu ent⸗— lasten. .
Graf von Mirbach; Hier liegt kein Unterschied jwischen Stadt und Land vor, wie ich überhaupt glaube, daß die Interessen beider nicht auseinanderlaufen. So haben wir alle mit Königsberg Mitgefühl und bitten, die Frage schnell und wohlwollend zu lösen. Ich komme noch auf einen anderen Punkt, der damit nicht in Zu— sammenhang stebt: die Naturalverpflegung der Truppen. Die Sätze, die die Militärverwaltung gewährt, sind durchaus unzureichend, und die Lasten, die aus der Einquartierung erwachsen, sind um so drückender, als davon meist das platte Land, die kleinen Städte und die minder Wohlhabenden betroffen werden. Die Leute setzen jwar eine Ehre darein, die Truppen womöglich über ihre Leistungsfähigkeit binaus zu verpflegen. Ob aber dieses gute Verhältnis weiterbestehen wird, wenn nicht die Entschädigungen erhöht werden, erscheint mir zweifel⸗ baft. Ich möchte deshalb das Kriegsministerium bitten, in eine sorg⸗ fältige Prüfung dieser tief einschneidenden Frage einzutreten und dabei auf den Rat der hochgestellten Militärs zurückzugreifen.
Graf von Wartengzleben: Als einer der ältesten preußischen Generale möchte ich auch eine höhere Bemessung der Entschädigung befürworten. Es ist ja erfreulich, daß Truppeneinquartierungen immer noch gern und willig aufgenommen werden, daß das zweierlei Tuch noch immer Sympathie hat. Deshalb muß aber auch in der angeregten Richtung etwas geschehen. Für die Offiziere könnte es allerdings bei dem Satz von 2,59. „ bleiben. Eine Einquartierung ohne Naturalverpflegung könnte ich nicht gutheißen. Viel wichtiger aber, als die Erhöhung der Einquartierungsgelder, erscheint mir die Fürsorge für die Kriegsveteranen. Für diese sollte etwas geschehen, nachdem so viel davon gesprochen ist, und der Kreis der Veteranen sollte nicht so eng bemessen werden, daß der äußerste Grad der Be—⸗ dürftigkeit Voraussetzung ist. Das würde auch eine Stärkung im Kampfe gegen den Umsturz sein. ö
6. *r. Soetbeer- Glogau: Die Stadt Glogau befindet sich in ähnlicher Lage wie Königsberg. Auch Glogau ist bei der Ent— festigung vom Kriegsministerium bezw. Reichsschatzamt bedacht worden.
Graf von Haeseler hält es vom militärischen Standpunkt aus für unzweckmäßig, höhere Finguartierungsentschädigungen zu zahlen.
Prinz zu Schönaich-Carolath: Seit Jahren bemühe ich mich, die Forderung der dauernden gänzlichen Erwerbsunfähigkeit aus dem Militärinvalidengesetz zu entfernen. Wir hoffen, daß nach den wiederholten Beschlüssen des Reichstags es gelingen wird, unseren alten Freunden, den Soldaten, die des Reiches Größe mitgeschaffen haben, endlich gerecht zu werden. Nachdem der Antrag auf Ge— währung von Pensionen an die Kriegsteilnehmer von 1854 in der Tommission angenommen ist, werde ich, wenn der Antrag . z Plenum gekommen sein wird, hier einen gleichen Antrag einbringen.
Graf von Schlieben hält im Gegensatz zum Grafen Haeseler die Verpflegung durch die Quartiergeber bei erhöhten Quartiergeldern für das beste. . .
Graf von Haeseler tritt auf Grund seiner Erfahrungen als Korpskommandeur für die Magazinverpflegung ein, bei der jeder Mann seine gute Portion Reis und Fleisch im Tornister habe.
Der Etat des Kriegsministeriums wird bewilligt.
Beim Etat des Finanzministeriums beklagt .
Graf von Mirbach die ungünstige wirtschaftliche Lage Oft⸗ preußens. Es möge ihr durch Verstaatlichung der Volksschulen und Wiedereinführung der Staffeltarife entgegengewirkt werden.
Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:
Meine Herren! Die Entwickelung, die Ostpreußen in den letzten Jahren genommen hat, muß auch meines Erachtens bei jedem Vater⸗ landsfreunde in der Tat Bedenken erregen. (Hört! hört!)
Wir haben ja allgemein in den östlichen Provinzen mit dem schweren Niedergange der Landwirtschaft zu kämpfen. In dieser Be⸗ ziehung ist Ostpreußen ebenso anzusehen wie die anderen östlichen Provinzen. Es kommt aber ein Moment hinzu, was die Situation für Ostpreußen besonders bedenklich erscheinen läßt: das ist die bereits von dem Herrn Grafen von Mirbach erwähnte Abnahme der Be⸗ völkerung. Bei der vorletzten Volkszählung wurde auch schon in den ländlichen Bezirken eine Abnahme der Bevölkerung konstatiert; sie
obne Not einzugreifen. Die am Schlusse dieses Erlasses gemachten
nr ; 1500 und 2006 M Revistongsumme scheint mir doch ein erheblicher
behalte hinsichtlich der gesonderten Behandlung der Iinsen der ö 5 coc ihren Anlaß in der Kilt anden
wurde aber ausgeglichen durch eine gewisse Zunahme in den ost⸗ preußischen Städten. Bei der letzten Volkszählung ist auch dies letzte,