1904 / 134 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 09 Jun 1904 18:00:01 GMT) scan diff

Deutscher Reichstag. 93 Sitzung vom 8. Juni 1904. 1 Uhr.

Auf der Tagesordnung steht zunächst die Fortsetzung ber

zweiten Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend Aenderung es Münzgesetzes. ; .

Ueber den . der Sitzung wurde in der gestrigen Nummer des Blattes berichtet.

Abg. Dr. Pachnicke (fr. Vgg', fortfahrend): Mit solchen Im⸗ provisatlonen sind sehr ungünstige Erfahrungen gemacht worden: das goldene Fünfmarkstück, das Nickel⸗Zwanzigpfennigstück haben wieder eingezogen werden müssen, weil . sich nicht bewährten; Grund genug, uns vor weiteren Mißgriffen zu hüten oder doch wenigstens gründlichere Vorprüfung eintreten zu lassen. Die Ge—= schäftswelt 9 ein Recht darauf, gehört zu werden. Scheuen Sie etwa die Ergebnisse einer Enquete? Wir können das Dreimarkstück nicht wollen, weil es einem praktischen Bedürfnis nicht entgegenkommt, und weil es dem Dezimalsystem nicht entspricht Recht haben Herr Dfel und Herr Arendt darin, daß das Dreimarkstück kein bimetallisti⸗= sches Kunstftuͤck ist. Der alte Taler war es, der bisher die Durch= führung der reinen Goldwährung verhinderte. Verzichten jetzt die Herren darauf, so ist das ein Zeichen für die Aussichtslosigkeit des Bimet gllis mus

Abg. Kirsch (Zentr): Auf das währungspolitische Gebiet möchte ich dem Vorredner nicht folgen. Seine Einwände gegen das verlangte neue Dreimarkstück sind nicht stichhaltig. Die Reichsbank hat große Bestände an Talern, weil eben große Beträge von Talern eingezogen worden sind; die Fünfmarkstücke werden immer wieder ausgegeben. Das würde alles anders, wenn an Stelle des Talers ein vollgültiges Breimarkstück tritt. Eine Improvisation war auch das Zweimarkstück und es hat sich bewährt; dasselbe dürfen wir von dem Dreimarkstück hoffen, das fowohl das Fünfmarkstück als auch das Zweimarkstück ersetzen kann. Vor einer Enquete scheut sich niemand. Wir wissen bis jetzt nur das Eine positiv, daß Bayern sich im Bundesrat gegen das Gesetz aussprechen wird, wenn es mit den Dreimarkstück belastet ist. Ich bitte, für den Kommissionsgntrag zu stimmen.

Äbg. Raab (wirtsch Vgg): In der Debattierkunst können wir wirklich vom Bundesrat lernen. Der Staatssekretär wandte sich sowohl gegen den Kommissionsbeschluß als gegen einen Artikel der Kreuzzeitung“, der allerlei Uebertreibungen enthielt. Derselbe sieht fo aus, als ob ein Mitglied des Bundesrats ihn verfaßt hätte, um dem Kommissionsbeschluß ein Bein zu stellen. Der bayerische Ver—⸗ treter hat unz auf den Weg der Resolution verwiesen. Was erreichen wir damit? Resolutionen läßt sich der Bundesrat ganze Waschkörbe voll überreichen, er verspricht amtliche Ermittelungen, und schließlich wird nichts aus der Sache. Darauf wollen wir nicht hineinfallen. Ich muß der Behauptung widersprechen, daß die Goldmwährung sich Bewährt habe. Warten wir doch einmal eine Krisis ab und sehen wir dann, wie wir unseren Zahlungspflichten nachkommen wollen. Als praktischer Geschäftsmann weiß ich, wie die Dinge liegen. Die Kassenbeamten sind gegen die Taler, die Geschästswelt ist es nicht. Alte, liebe Gewohnheiken sollte man doch nicht dem Volke aus der , nehmen. Der Taler hat im Volke und hier die große Mehr⸗

eit für sich, während man das goldene Fünfmarkstuͤck und das silberne Zwanzigpfennigstück sehr bald als unpraktisch erkannte. Eine handliche, beliebte und unentbehrliche Münze muß erhalten werden.

Abg. Sartorius (fr. Volksp.): Wie kann man von alten, lieben Gewohnheiten sprechen gegenüber Süddeutschland, wo man den Taler gar nicht hatte? Daß jetzt auf einmal in Süddeutschland die Sympathie für den Taler gewachsen sei, muß ich dem Abg. Osel be⸗ streiten. Das Zeugnis des bayerischen Regierungsvertreters fällt für mich schwerer ins Gewicht. Gefreut hat es mich, daß auf der rechten Seite mit einem Male ein so demokratischer Geist sich geltend macht, indem man sich auf die Volksstimmung beruft. In einer anderen Frage trägt man der Volksstimmung nicht Rechnung. Es liegt kein Grund vor, das wohldurchdachte und wohleingeführte Dezimalsvstem zu durchbrechen. Ich bitte Sie, dem Antrage Blell zuzustimmen.

Abg. Bartling (ul.): Wer mitten im Geschästsleben steht, Lohn ausgejahlt hat, ist sich klar, daß das Dreimarkstück durchaus wünschenswert ist. Daß das Fünfmarkstück noch Verteidiger findet, liegt daran, daß die Kassenbeamten es für ihre Zwecke bequemer finden. Eine Enquete unter den kleinen Geschäftsleuten und Arbeitern würde ergeben, daß das Dreimarkstück in der Tat die Mehrzahl für sich hat. Die Bedürfnisse des kleinen Verkehrs müssen doch beruͤck⸗ sichtigt werden. .

Abg. Dr. Arendt (Rp.): Dem Abg. Pachnicke ist es vor—⸗ behalten geblieben, auf das Währungsgebiet in einer Weise einzugehen, die mich leider zwingt, zum zweiten Male das Wort zu nehmen. Die gewaltige Zunahme der Goldproduktion hat die Uebelstände der Goldwährung zurücktreten lassen, und darum haben wir unsererseits den Kampf eingestellt. Für uns war das Maßgebende, daß durch die Währung Einfluß geübt wird auf die Gestaltung der Preise für alle menschlichen Erzeugnisse, und darum glauben wir, daß es nicht richtig ist, einem Metall eine Monopolstellung zu geben zu Ungunsten der produktiven Arbeit. Die Einstellung der Silberverkäufe im Jahre 1879 hat sich als eine durchaus richtige Maßregel erwiesen. Den arbeitenden Klassen mit dem Fünfmarkstück eine vollwertige Münze in die Hände geben zu wollen, wie der Abg. Pachnicke meint, ist eine sonderbare Forderung, denn das Fünfmarkstück hat nur einen Wert von 1,490 Hier steht nur das Interesse des Geldumlaufs in Frage, und ich verstehe nicht, wie sich die Regierung dem Wunsche des Volkes, das Dreimarkstück zu behalten, entgegenstellt. Die rechte Seite nimmt auf die Volksstimmung stets Räücksicht. Ein Referendum würde eine erschreckende Mehrheit für das Dreimarkstück ergeben. Darum bitte ich, an dem Beschluß der Kommission festzuhalten und die Prinzipienreiterei für das Dezimalsystem fallen zu lassen.

Abg. Dr. Mül ler⸗Sagan (fr. Volksp. ; Es würde leichter sein, einen Mohren weiß zu waschen, als Herrn Arendt von seinen Ideen zu heilen. Ich möchte nur erklären, daß meine politischen Freunde Wert darauf legen, daß eine so wichtige Frage vor einem beschluß⸗ fähigen Hause entschieden wird.

Abg. Osel (Zentr): Wenn davon gesprochen ist, es sei kein Be⸗ dürfnis für die Taler nachgewiesen, und auch durch die Reichsbank sei das festgestellt, so kommt das mir so vor, als ob man sich hier ab sichtlich die Augen zuhalte. Von der Reichsbank gelangt der Taler doch immer höchstens bis zu einer Zwischenstelle, aber gar nicht bis an das Publikum. Die Herren auf der Zwischenstelle sind viel zu bequem und lassen die Taler immer wieder an die Reichshank zurück⸗ wandern. Wir in Süddeutschland sehen fast nie Fünfmarkstücke. Der Reichstag möge sich doch nicht zum Dezimalsystemfex machen, sondern beschließen, was mit den Wünschen des Volks übereinstimmt. Wir alle wollen das Dreimarkstück als Scheidemünze wieder haben.

Abg. Gothein (fr. Vgg ): Wenn mein Freund Pachnicke geahnt hätte, daß er mit seinen Ausführungen dem Abg Dr. Arendt Gelegen heit geben würde, über allgemeine Währungsfragen zu sprechen, so würde er sich wohl gehütet haben, den schlafenden Silberlöwen zu wecken. Wnsichtlich des Verkehr mit den Talern an der Reichsbank liegt die Sache ganz anders, als sie der Abg. Osel dargestellt hat: die Zwischenstellen haben sich die größte Mühe gegeben, die Taler his an die letzte Stelle zu bringen, die Reichsbank hat den einzelnen Werk— kassen gegen ihren Wunsch die Taler für die Lohbnzahlungen auf⸗ gedrängt. Nehmen Sie ruhig den Kommissionsbeschluß an, vielleicht findet er nicht die Zustimmung des Bundesrats.

Hierauf wird der Kom missionsvorschlag bezüglich der neu auszuprägenden Dreimarkstücke mit großer Mehr⸗ heit angenommen. Der Rest der Vorlage wird ohne weitere Debatte nach den Vorschlägen der Kommission an— genommen.

Die Abag. Blell und Eickhoff (fr. Volksp.) haben folgende Resolution beantragt:

„Der Reichstag wolle beschließen, die verbündeten Regierungen zu erfuchen, die neu auszuprägenden Fünfzigpfennigstücke zur besseren

Unterscheidung von den Fünfpfennigstücken auf der Rückseite mit

einem kleineren Reichtzadler, umgeben von einem Eichenkranz, her— stellen zu lassen.“ Die Resolution wird vom Abg. Blell begründet.

Abg. Kirsch (3entr.): Es wäre doch richtiger, auf dem Fünf⸗ , als der ö Münze, einen kleineren Adler herstellen zu lassen.

bg. Dr. Arendt (Rp.): Ich kann mich dem Vorredner nur anschließen. Ich gebe die Hoffnung noch immer nicht auf, daß es einmal gelingen wird, Unkerschiede herzustellen, die auch der kleine Mann wahrnehmen kann, der nicht auf die Prägung sieht, sondern Ünterschiede braucht, die mit der Hand greifbar sind.

Staatssekretär des Reichsschatzamts Freiherr von Stengel:

Meine Herren! Bei dem Fünfsigpfennigstück, das im Jahre 1877 neu geprägt worden ist, hatte man es für nötig befunden, einen Kranz auf der Rückseite um den Adler herum anzubringen. Es ist das damals angeordnet worden, weil die Gefahr der Verwechselung dieser Fünfzigpfennigstücke mit dem Zehnpfennigstück allerdings eine sehr große war, und man sich damals der Hoffnung hingegeben, daß dadurch diese Gefahr tunlichst vermindert werden würde. Die Erfahrungen haben nun allerdings gelehrt, daß das Mittel ein ganz taugliches nicht gewesen ist. Das Mittel hat nicht ausgereicht, um den Verwechselungen des Fünfzigpfennigstücks mit dem Zehnpfennigstück einen Riegel vor— zuschieben. Bei dem Muster, das wir dem hohen Hause unlängst vorgelegt haben für das neue Fünfzigpfennigstück, das künftig geprägt werden soll, sind wir davon ausgegangen, daß die Unterschiede dieser neuen Münze gegenüber dem Zehnpfennigstück ohnehin schon so große seien, daß es nicht erforderlich scheine, auch noch auf der Rückseite der Münze ein Unterscheidungszeichen gegenüber dem Zehn, oder auch gegenüber der kleineren Münze, dem Fünfpfennigstück, wenn Sie wollen, anzubringen. Wir haben deshalb also geglaubt, daß bei dem künftigen neuen Fünfzigpfennigstäck auf den Eichenkranz auf der Rück— seite verzichtet werden könne, und das um so mehr, als wir davon ausgegangen waren, daß die neue Münze lediglich darstellen sollte ein Markstück in einer auf die Hälfte verkleinerten Gestalt, und wie das Einmarkstück auf der Rückseite mit einem Eichenkranz nicht versehen ist, so sollte letzterer auch auf dem neuen Fünfzigpfennigstück in Wegfall kommen. Sollte indessen der Reichstag in seiner Mehr— heit etwa den Wunsch aussprechen, daß auf dem neuen Fünfzig⸗ pfennigstück die Rückseite mit einem solchen Eichenkranz versehen werde, so wird der Bundesrat, der ohnehin ja sich erst schlüssig machen muß über die Form des neuen Fünfzigpfennigstücks, auch einen solchen Wunsch des Reichstags jedenfalls seinerzeit der sorgfältigsten Erwägung und eingehendsten Prüfung unterziehen.

Eins möchte ich zum Schlusse nur noch bemerken gegenüber dem Herrn Abg. Kirsch. Für zweckmäßiger würde ich es immer noch halten, wenn man die Unterscheidung vornimmt auf der Rückseite des neuen Fünfzigpfennigstücks und nicht etwa auf der Rückseite des Fünfpfennig⸗ stücks. Dafür spricht schon der eine praktische Grund, daß wir die Fünfzigpfennigstücke ohnehin neu prägen müssen, während doch nicht in Aussicht genommen ist, die im Betrage von fast einer halben Milliarde im Umlauf befindlichen Fünßspfennigstücke oder die Zehn— pfennigstücke, die auch im Betrage von fast einer halben Milliarde umlaufen, einer Umprägung zu unterziehen.

Abg. Raab: Ich kann in dem Vorschlag des Abg. Blell keine Verbesserung seben; was als Probemünze bis jetzt gezeigt worden ist, wird ganz gewiß nicht den Wuͤnschen und Interessen der Bevölkerung entsprechen. Die Verantwortung für die Form und Größe der Münzen kann aber lediglich in Zukunft den Bundesrat treffen. Er hat es abgelehnt, unter Bezugnahme auf das Münzgesetz, irgend etwas von feinen Kompetenzen zu opfern. Wenn also das Volk, was ich vor⸗ aussehe, mit der neuen Münze unzufrieden ist, so trägt einzig der Bundesrat die Schuld, nicht der Reichstag.

Hierauf wird die Resolution Blell abgelehnt.

Das Haus wendet sich dann zur zweiten Beratung des Gesetzenkwurfs, betreffend Kaufmannsgerichte, auf Grund des Berichts der VI. Kommission. Referent ist der Abg. Dr. Hieber (nl.) ; r 2.

Nach 51 der Vorlage können bei vorhandenem Bedürfnis Kaufmannsgerichte errichtet werden, und zwar für den Bezirk einer Gemeinde durch Ortsstatut nach Maßgabe des 5 142 der Gewerbeordnung. Die höhere Verwaltungsbehörde hat binnen 6 Monaten Entscheidung über die Genehmigung des Statuts zu treffen. Auch gemeinsame Kaufmannsgerichte für mehrere Gemeinden sind zulässig. ;

Ein Antrag der Abgg. Auer und Genossen (Soz.) will zur Entscheidung von Streitigkeiten aus dem Dienst⸗ oder Lehrverhältnisse zwischen Kaufleuten einerseits und ihren Handlungsgehilfen oder Handlungslehrlingen anderseits Kauf⸗ mannagerichte obligatorisch eingeführt und die entgegenstehenden Bestimmungen des § 1 beseitigt wissen.

Referent Abg. Dr. Hieber giebt einen längeren Ueberblick über die Generaldebatte in der Kommission, die mit der Ablehnung des Antrags auf Angliederung der Gerichte an die Amtsgerichte und mit der Angliederung an die Gewerbegerichte geendet hat. Der Antrag der en n , sei mit allen gegen 5 Stimmen abgelehnt worden.

Abg. Lipinski (Soß): Das Bedürfnis obligatorischer Kauf mannsgerichte ist durchaus vorhanden, Nach der Vorlage, bezw. nach den Kommissionsbeschlüssen sollen diese aber nur sakultativ errichtet werden; nur in Gemeinden von mehr als 20 000 Einwohnern müssen sie errichtet werden. Alles ist in das Belieben oder die Bereitwillig⸗ keit der Gemeindevorstände in den Gemeinden unter 20 900 Seelen gestellt; diese kleinen Gemeinden werden also meistens einer solchen ö entbehren. Wir bitten Sie daher, unserem Antrage zuzu— timmen.

Abg. Trimborn (Sentr): Es gibt viele Gemeinden, ja ganze Regierungsbezirke, wo ein solches Bedürfnis nicht besteht; die Kom⸗ mission hat mit ihrem Beschluß, die Gerichte für die Gemeinden von 20 600 Seelen (statt 50 000 nach der Vorlage) obligatorisch zu machen, dem wirklichen Bedürfnis entsprochen. Harüber hinaus bleibt ja immer noch die fakultative Errichtung. Die Gemeinden müssen doch auch den Kostenpuntt in dem Maße in Erwägung ziehen, je weniger das Bedürfnis nachzuweisen ist. . ;

ÄAbz. Beck Heidelberg (nl) erklärt namens der großen Mehr— heit feiner Partei, daß diese das Gesetz zu einem guten Abschlusse zu bringen bemüht sein werde. Sie habe sich deshalb von vornherein auf den Boden des Entwurfs gestellt Ueber die Bedürfnisfrage habe der Abg. Trimborn durchaus Zutreffendes geäußert. Der Entwurf entspreche nach der Fassung der Kommissien völlig dem nachgewiesenen Bedürfnis und trage den berechtigten Ansprüchen durchaus Rechnung; der Antrag Auer sei daher abzulehnen. .

Abg. Dove (fr. Vgg.): Auch wir werden für die Vorlage ein treten, wenn uns auch der Anschluß an die Amtsgerichte lieber ge— wesen wäre. Den Antrag Auer lehnen wir ehenfalls ab. Wir sind auch für die Ausdehnung der obligatorischen Gerichte auf die Ge⸗ meinden von 20 000 Einwohnern. Unsere , , Stellungnahme wird von den weiteren Beschlüfsen zu den Einzelheiten abhängen; . Verschlechterungen würden uns die Zustimmung unmglich machen.

Abg. Lattmann (wirtsch. Vgg. ): Wir stimmen dem Antrage Auer zu, der sich dem Wortlaut nach ungefähr mit dem von uns seinerzeit eingebrachten n,, der heute mit zur Verhandlung steht, deckt. Wir haben unseren Antrag nicht wieder aufgenommen, weil die Regierung ihm ein „Unannehmbar“ entgegensetzte, und weil wir die Herabsetzung von 50 O00 auf 20 000 Seelen für einen sehr großen Fortschritt hahbn; aber um unsere ,, Stellung nahme zu bekunden, stimmen wir für den Antrag Auer.

Abg. Henning (d. ö Wir erkennen einen vorhandenen Notstand an und wollen ihm abhelfen, aber der fakultative Charakter wird allerdings schon durch den 2 sehr beeinträchtigt, wo für Gemeinden mit 20 9900 Einwohnern die , Einrichtung vorgeschrieben wird. Aber wir wollen um des Bedürfnisses willen darüber hinweg⸗

gehen.

Abg. Dr. Müller Meiningen (fr. Volksp.): Auch wir treten für das Gesetz ein, müssen aber gegen eine weitere Atomisierung der Gerichte entschieden Einspruch erheben. Auch der Staatssekretär hat in der Kommission ein „bis hierher und nicht weiter“ gesprochen. Wir hoffen, es wird sich nur um ein Provisorium bis zur Einführung der revidierten Zivilprozeßordnung handeln. Gegen eine weitere 8 unserer Rechtspflege wüssen wir Verwahrung einlegen.

en Antrag der Sozialdemokraten müssen wir verwerfen, weil er k der Prozesse in den kleinen Orten zur Folge haben würde.

Abg. Dr. Semler (nl.): Der in der Kommission gestellte An⸗ trag wegen Angliederung der Kaufmannsgerichte an die Amtsgerichte stammt von mir. Waß ist in der Kommission für die Vorlage und für ihr Bedürfnis zahlenmäßig, angeführt worden? So gut wie nichts. Wie man hier von einem „Notstand' sprechen kann, ist mir unerfindlich. Zuzugeben ist, daß die Agitation der Handlungs⸗ angestellten für die Vorlage geschickt inszeniert worden ist. (Zwischen⸗ ruf bei den Sozialdemokraten.) Der Staatssektetär hat in der Kom mission gesagt: „bis hierher und nicht weiter. Ich frage: warum denn gerade bis hierher? Der ganze deutsche Richterstand, der Juristen⸗ stand, der Handelstag haben sich für die Angliederung der Kaufmanns gerichte an die Amtsgerichte ausgesprochen. Der vreußische Justiz⸗ minifter hätte mit einer etwas größeren Energie für diesen Gedanken eintreten sollen. In der Kommission wurde mir gesagt, die Durchführung dieses Gedankens sei leider nicht gelungen. Weshalb?. Weil die Einzelstaaten das Geld nicht bewilligen wollten. Ich frage: hat man je etwas von Streiks unter den Handlungs— gehilfen gehört? Man erwidert: die können kommen. Ich frage Sie: halten Sie es für ein Glück, daß die jungen Handlungsgehilfen ihr Recht bis aufs äußerste verfolgen? Auch ich will nicht aus den jungen Leuten Lakaien machen Dies Gesetz führt aber schließlich zu einer Auflösung unserer jetzigen Gerichtsverfassung. Werden nicht auch bäuerliche Sondergerichte gefordert werden? Früher half dem Handlungsgehilfen der Amtsrichter, jetzt wird er zum Ortsvorsteber schon an sich nicht gern hingehen wollen. Wie steht es mit dem Recht der Mädchen, der Frauen nach diesem Gesetz? Künftig sollen sie sich ihr Recht holen von Männern, die fast ausschließlich ihre schärfsten Konkurrenten sind; man hat damit den Bock zum Gärtner gemacht. In der Frage der Konkurrenzklausel ist nicht der Angestellte sondern der Prinzipal der wirtschaftlich Schwache; denn der Kunde verkehrt mit dem Reisenden, nicht mit dem Peinzipal. Es ist eine Verschlechterung des Rechts, wenn fortan bezüglich der Entscheidung über die Konkurrenzklausel nur noch eine erste Instanz bestehen soll. Wo bleibt der Schutz der kleineren und auch der großen Kaufleute? Der Entwurf in der Kommissionsfassung ist durchaus antiliberal.

Staatssekretär des Innern, Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky⸗Wehner:

Meine Herren! Die Ausführungen des Herrn Vorredners haben mich an eine kürzlich gefallene Aeußerung eines Abgeordneten in einem nichtdeutschen Parlament erinnert. Es wurde dort eine ähnliche Rede

gehalten, die eine Vorlage der Regierung und den Beschluß einer

Kommission in Grund und Boden reden sollte. Darauf erklärte ein Verteidiger dieser Vorlage, es sei für einen Redner in einem Par— lament immer sehr klug, nicht alle seine Gründe auszusprechen, die er gegen ein Gesetz zu haben glaube; denn sonst komme er leicht in Gefahr, daß ein Grund den anderen totschlage, und

der Herr Vorredner wolle mir das nicht übelnehmen ich habe bei seiner Rede auch den Eindruck gehabt, daß eine Anzahl der Gründe, die er gegen das Gesetz angeführt hat, nicht miteinander zu vereinbaren sind. Zunächst, muß ich erklären, habe ich über die Aufgaben der Justizverwaltung eine wesentlich andere Auffassung wie der geehrte Herr Vorredner. Ich meine, die Justizverwaltung und Justizverfassung ist nicht Selbstzweck, sondern ihr Zweck ist, Recht zu geben möglichst schnell und möglichst zutreffend. (Sehr richtig! rechts.)

Nun hat sich doch, meine Herren, ganz unzweifelhaft gezeigt, und ich meine, dafür ist in der Kommission ein reichliches Material bei—⸗ gebracht worden, daß unser amtsgerichtliches Verfahren zum Teil ein so langsames ist, ein so schleppendes es fällt das nicht den Richtern zur Last, sondern dem Gesetz —, daß in der Tat damit für die Kreise, die auf ihren Arbeitsverdienst unter wechselnden örtlichen Verhältnissen angewiesen sind, unter Umständen schwere Schädigungen verbunden sind. Diese Erkenntnis hat zu dem Gewerbegerichtsgesetz geführt, und diese Erkenntnis hat auch zu der Vorlage geführt. Denn das ist unzweifelhaft, daß ein Handlungsgehilfe, der häufig in demselben Ort gar keine Stellung finden kann kei der Spezialität seines Geschäfts, der vielleicht 50 bis 60 Meilen weiter gehen muß, um überhaupt ein Unterkommen in seinem Geschäftszweig zu finden, das dringendste Interesse hat, daß die Ansprüche zwischen ihm und seinem Prinzipal im schnellsten Verfahren geregelt werden. Wenn das nicht der Fall ist, so kann geradezu die wirtschaftliche Exlstenz des Mannes in Frage gestellt werden.

Der Herr Vorredner hat demgegenüber erklärt, die ganze Vor— lage wäre nur hervorgegangen aus der Agitation. Meine Herren, das ist so eine Sache mit der Agitation; wenn wir da näher forschen« dann sind vielleicht viele Vorlagen, auch solche, die der Herr Vor— redner und seine Freunde sehr warm vertreten haben, aus einer weit⸗ verbreiteten öffentlichen Meinung hervorgegangen, die sich in Form der Agitation geltend gemacht hat. (Sehr richtig! rechts und in der Mitte) Aber es ist nicht die Agitation im Lande, sondern es sind die Stimmen gewesen, die sich auch hier im hohen Hause haben nachdrücklich hören lassen und zwar aus den verschiedensten Parteien die die Anregung zu dem Entwurf gegeben haben, und da halte ich es doch für gefährlich, wenn ein Mitglied dieses hohen Hauses die An— träge auf eine anderweitige Regelung des Verfahrens zu Gunsten der Handlungsgehilfen, diese Geburtsurkunde der Vorlage sozusagen, als agitatorisch bezeichnet.

Ich hätte es auch darin hat der Herr Vorredner ganz rech' und ich habe daraus auch nie ein Hehl gemacht für viel richtig und besser gehalten, wenn man das amtsgerichtliche Verfahren, us namentlich das Verfahren für alle Ansprüche aus di Arbeitsvertrag wesentlich und vor allen Dingen so umgesttet hätte, daß eine schnellere Entscheidung erfolgen könnte. (ehr richtig! rechts) Aber als diese Frage näher geüft

wurde, ergab sich, daß diese anderweitige Regelung des amtsgericht lichen Verfahrens auf dem ganzen Gebiete der Justizverwaltung und des Verfahrens überhaupt sehr weitgehende Folgen nach sich ziehe, und daß man nicht absehen konnte, wann und unter welchen Be— dingungen eine solche Gesetzegänderung zustande kommen werde.

Ferner allerdings muß und mußte bei den Finanzverhältnissen, in denen wir uns namentlich jetzt befinden, auch die Frage er⸗ zrtert werden: können wir eine solche Aenderung, wenn sie den Wünschen, die in dem hohen Hause in dieser Beziehung geäußert sind, entsprechen soll, unter den jetzigen Verhält⸗ nissen ohne weitere Gefährdung unserer Finanzen vornehmen? Da die Sache so lag, so entschlossen sich schließlich die ver⸗ bündeten Regierungen, den Weg zu gehen. den die Vorlage zeigt, weil sie die sachliche Notwendigkeit zur Beschleunigung des Ver fahrens anerkannten und aus formalen Gründen die Erfüllung dieser Forderung nicht weiter verschieben wollten. Meine Herren, ich bin eben auch darin kann ich dem Herrn Vorredner Recht geben ebenfalls der Ansicht, man darf auf diesem Wege nicht weiter gehen, sondern das nächste Ziel muß sein eine grundsätzliche Aenderung des amtsgerichtlichen Verfahrens, die uns ein für alle Male der Notwendigkeit überhebt, solche Einzelgerichte und Standes— gerichte zu schaffen. (Sehr wahr)

Der Herr Vorredner hat behauptet, mit dem Gesetze hätlen wir die Staatshoheit preisgegeben. Ich glaube, aus seinen Verhältnissen heraus, hat er doch diese Frage für andere Staaten nicht zutreffend beurteilt. Unsere ganze Selbstverwaltung in Preußen, wenn ich auf diesen Staat besonders bezug nehmen darf, würde nach dieser Auffassung auf eine Preisgabe der Staats— hoheit hinauslaufen. (Sehr richtig) Der Staat kann in seiner Zentralinstanz nicht mehr alle Aufgaben des modernen Lebens lösen; er überträgt sie deshalb auf andere Verbände, die im Namen des Staats und als Auftraggeber des Staats handeln. Damit ist aber die Staatshoheit nicht preisgegeben, sondern die Rechte des Staats sind nur auf andere Körperschaften übertragen. (Sehr richtig Das ist der Grundsatz der gesamten Selbstverwaltung in allen deutschen Staaten, und das ist schließlich auch der Grundsatz, der hier Platz greift.

Der Herr Vorredner hat dann ein schreckliches Bild gemalt von den Folgen, die dieses Gesetz mit sich bringen würde. Meine Herren, wenn man gewöhnt und venpflichtet ist, so viele alte Parlaments⸗ verhandlungen zu lesen wie ich und dabei ersieht, was für schreckliche Folgen schon bei den verschiedensten Gesetzentwürfen von den verschiedenstin Parteien mit tödlicher Sicherheit prophezeit worden sind (Heiterkeith, und wenn man ferner sieht, daß all diese düsteren Voraussagen nachher nicht ein— getroffen sind und die Welt sich noch immer um ihre Achse dreht, so nimmt man solche tragische Erklärung nicht mehr allzu schwer. Der Herr Vorredner sagt, es läge in dem Gesetz. entwurf eine Preisgabe der Staatshoheit, gleichzeitig aber erklärt er, wenn der Landrat den Vorsitz führte was übrigens wenigstens in Preußen nicht eintreten dürfte —, oder der Assessor, so würden das für den Kaufmann Zustände sein, die unerträglich wären, ebenso un— erträglich wäre es aber, wenn in den Städten unter 20 000 Seelen ein Handlungsgehilfe vorläufig Recht nehmen sollte vor der Polizei. Ja, da frage ich den Herrn Vorredner, ist der Landrat, der Assessor nicht auch Vertreter der Staatshoheit? Aber da plötzlich soll die Staatshoheit nicht genügend gewahrt sein. Darin scheint mir doch ein wesentlicher Widerspruch in den Ausführungen des Herrn Vorredners zu liegen. (Zuruf) Auf die Justizhoheit kann es da nicht ankommen, sondern auf die Staatshoheit kommt es an. Wenn Sie nur die Justizhoheit gelten lassen, müssen Sie die ganze Polizei ausschalten, die sehr häufig auch namens des Staats in erster Instanz Recht entscheidet.

Zum Schluß gestatte ich mir nur noch eine Bemerkung und möchte bei der Gelegenheit gleich auf den 5 2 übergreifen. Die verbündeten Regierungen hatten Ihnen vorgeschlagen, erst bei 50 000 Seelen besondere Gerichte für die Handlungsgehilfen einzuführen. Die Kommission hat diese Zahl auf 20 000 herabgesetzt. Ich sage ganz offen und glaube, daß die Mehrheit der verbündeten Regierungen diese Ansicht teilt, daß hierin eine Verbesserung der Vorlage nicht liegt. Ich habe hier die Tabelle vor mir liegen für die Tätigkeit der Ge⸗ werbegerichte. Danach sind von den Gewerbegerichten in den Städten von 20 - 50 000 Seelen im Jahre 1902 durchschnittlich nur 87 Fälle entschieden. Nun bedenken Sie, daß die Handlungegehilfen vielleicht nur den achten Teil der gewerblichen Arbeiter bilden. Wenn Sie also für kleine Städte oder kleinere Mittelstädte, will ich sagen besondere Gerichte mit solch geringem Geschäftsumfang bilden, so wird der Fall eintreten, der bereits bei den Sondergerichten der Berufsgenossenschaften eingetreten war, nämlich daß diese Ge⸗ richte sich viel zu selten versammeln, um mit der nötigen Schnelligkeit zu entscheiden, und es besteht ferner die Gefahr, daß es diesen kleinen Gerichten an dem usus forensis fehlen wird, der für die Gleichmäßigkeit der Entscheidungen unbedingt not— wendig ist. Aus diesem Grunde sind seinerzeit die Sondergerichte für die Berufsgenossenschaften bekanntlich abgeschafft worden. Ich befürchte, wenn Sie in Städten unter 50 000 Seelen besondere Kaufmannsgerichte schaffen, werden ähnliche Zustände eintreten, wie seinerzeit bei jenen Sondergerichten der Berufsgenossenschaften. Ich halte deshalb diese Abänderung der Regierungsvorlage für keine Verbesserung, und ich möchte dem hohen Hause anheimstellen, ob man nicht besser auf die Vorlage zurückkommt. Wenn der Herr Vorredner besonders scharf betont hat, welche Ungerechtig⸗ keit darin läge, daß man nach dem Beschlusse der Kom⸗ mission den Handlungsgehilfen in Städten über 20 000 Seelen dieses neue Verfahren gebe, die Handlungsgehilfen in Städten unter 20 000 Seelen aber auf die Polizei verweise, so möchte ich ihm doch bemerken, das ist das Kennzeichen unseres ganzen wirtschaftlichen und amtlichen Lebens, daß man gewisse Organisationen nur unter gewissen Voraussetzungen schaffen kann, und das ist auch durchaus berechtigt, weil in kleinen Orten in der Regel die Verhältnisse so unendlich viel einfacher liegen, daß derartige besondere Einrichtungen nicht notwendig sind. Aber zweitens besteht auch eine Grenze der Möglichkeit, bis zu welcher der Staat derartige Organisationen schaffen kann. So hat auch nicht jeder Ort ein Amtsgericht oder eine höhere Ver— waltungsbehörde, und die betreffenden Einsassen sind genötigt, Reisen zu unternehmen, um ihr Recht an anderen Orien zu suchen. Darin liegt auch eine Differenzierung der einzelnen Staatsbürger, die sich

aber nicht vermeiden läßt. Bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts war es ein eigentümlicher Zug der Zeit, die Standesgerichte zu be— seitigen und jeden vor den gemeinsamen ordentlichen Richter zu stellen. Jetzt, möchte ich sagen, zeigt sich eine ent- gegengesetzte Richtung, ein gewisses Streben nach standes— gemäßem Zusammenschluß und demgemäß auch nach Standesgerichten. Ob dieses Bestreben in den tatsächlichen Verhältnissen und unserem zum Individualismus geneigten nationalen Charakter begründet ist, ob, wie manche behaupten, die Bestrebungen, die seinerzeit dahin gingen, die ganze Rechtsprechung in dieser Weise zu nivellieren, von einer theoretischen Auffassung ausgingen, die unserem Volkscharakter nicht entspricht, das will ich hier nicht erörtern. Aber nachdem man und wie ich glaube, aus guten Gründen, den anderen Weg gegangen ist, muß man allerdings an dem allgemeinen Grundsatz festhalten, daß jeder vor dem allgemeinen Richter Recht nehmen muß. Das Gewerbegerichtsgesetz und dieses Gesetz müssen nach meiner Meinung deshalb durch besonders dringende Verhältnisse begründete Ausnahmen bleiben, und das Ziel der verbündeten Regierungen und des hohen Hauses muß es sein, um allen weitergehenden Wünschen wirksam entgegenzutreten und doch die berechtigten Forderungen an die Rechtsprechung zu erfüllen, eine möglichst baldige Reform unseres Amtsgerichtsverfahrens herbeizu⸗ führen. (Bravo!)

Abg. Singer (Soz.): Ich glaube nicht, daß die Amtsgerichte durch die Errichtung der Kaufmannsgerichte zur Untätigkeit verurteilt werden; sie werden nach wle vor genug zu tun haben. Die Amts⸗ gerichte entscheiden aber für die Kaufleute nicht schnell genug. Den Prinzipalen kann es allerdings gleich sein, ob ein Prozeß ein paar Wochen oder Jahre dauert; die Handlungsgehilfen aber sind dem Hunger preisgegeben, wenn die Prozesse sich nicht schnell abwickeln. Die Schwarzmalerei des Abg. Semler fiadet ihren Grund nur in dem Bestreben, das ganze Gesetz zum Scheitern zu bringen. Herr Bassermann wird erschreckt sein, was während seiner Ahwesenheit in seiner Partei alles möglich geworden ist. Agitatorischer Tätigkeit, die Herr Semler in dieser Sache uns vorwirft, ist die Nationalliberale Partei sonst doch nicht abgeneigt, ich erinnere nur an die Flotten⸗ aͤgltation. Um die Staatshohest handelt es sich hier nicht, höchstens um die Hoheit der Amtsrichter. Außerdem entscheiden auch die Sondergerichte im Namen des Staateg. Redner sucht zum Schluß die gegen den Antrag seiner Partei erhobenen Einwendungen zu ent— kräften. Gerade die Handlungsgehilfen in Städten unter 20 000 Ein— wohnern hätten einen Anspruch auf Schiedsgerichte.

Abg. Trimborn: Ich muß dabei stehen bleiben, daß es ganze Bezirke, auch Regierungsbezirke geben kann, wo so wenige kauf⸗ männifche Streitigkeiten vorkommen, daß sie ein Sondergericht nicht beschäftigen würden. Wollte man mehrere Nachbarbezirke an entfernt liegende Städte angliedern, wie es die Sozialdemokraten wollen, so würde das so kostspielig und zeitraubend sein, daß der Zweck verfehlt wäre. Folgen Sie nicht den Lockungen der Sozialdemokraten, aber auch nicht dem Staatssekretär; folgen Sie Ihrer Kommission. Ich habe als Anwalt gefunden, daß die Frage, ob die plötzliche Ent laffung eines Handlungsgehilsen berechtigt war oder nicht, sehr schwierig ist, wie überhaupt die Entscheidung der Prozesse oft sehr zweifelhaft ist. Der Bauer sagt ja: ich habe meinen Prozeß verspielt. Die Handlungegehilfen wagen an Kosten oft 100 M, und der Prozeß kann sehr lange dauern. Ist es für solche Fälle nicht ein dringendes Bedürfnis, eine schnelle und wohlfeile Rechts- pflege zu schaffen, vor allem eine Vergleichsinstanz. Schon 1897 hat sich der Reichstag beinahe einstimmig für solche Kaufmanns— gerichte ausgesprochen, und gerade der Abg. Bassermann ist es gewesen, der dafür eintrat, dessen Wiedererscheinen ich heute gewünscht hätte. Auf die Reform der Amtsgerichte können wir nicht warten, ganz ab- gesehen davon, daß sie seht schwer durchzuführen ist. Der juristischen Uuffaffung sind wir in der Kommission sehr weit entgegengekommen dadurch, daß wir bestimmt haben, daß der Vorsitzende des Gerichts in der Regel ein Jurist sein muß. Sollte später einmal das Justiz wesen so reorganisiert werden, daß es schneller arbeitet, so können wir ja auf den Gedanken der Angliederung der Kaufmannsgerichte an die Amtsgerichte zurückkommen. Die Gewerbegerichte haben sich im großen und ganzen bewährt, bei den Kaufmannsgerichten wird es nicht anders sein; die Zahl der Berufungen wird auch bei ihnen geringer sein als bei den ordentlichen Gerichten. Auch wenn die Frauen nicht Beisitzer werden können und nicht ihre Stimme abgeben dürfen, wird man nicht davon sprechen können, daß die Vorlage ein Unrecht gegen die Frauen sei. Sie ist auch keine Ungerechtigkeit gegen das platte Land. Ich hoffe, die Vorlage wird mit großer Mehrheit angenommen werden.

Abg. Latt mann: Wie einseitig Herr Semler heute sich gebärdet hat, konnte man an den verdutzten Gesichtern seiner Fraktionsgenossen sehen, die gewiß wünschen, er hätte lieber die Ire b bendies mit⸗ gemacht und wäre heute nicht unter uns. Ueber die Bedürfnisfrage sst er durchaus nicht unterrichtet. Für die Angliederung an die Amtsgerichte wird wohl außer seiner Stimme keine andere mehr sich erheben.

Abg. Beck Heidelberg: Ich habe Herrn Singer zu erwidern, daß der Geist Bassermanns uns nicht verlassen hat, und daß wir unsere Ueberlieferung nicht verlassen haben. Unsere Stellung als Fraktion zu der Frage ist dieselbe wie früher. Uns beseelt noch derselbe sozial⸗ reformerische Geist wie früher. Unsere Fraktion ist auch nicht de—⸗ generiert; es bestehen in unseren Reihen wohl Meinungsverschiedenheiten, aber die Folgerungen aus der Haltung des Kollegen . für unsere Fraktion lehnen wir ab. Auch der Abg. Bassermann hätte nicht ver= hindern können. daß Herr Semler hier zu Worte kam. Bei uns hat jeder sein Recht, bei den Herren Sozialdemokraten „fliegt“, wer sich nicht fügt. Es sind bei uns nur ganz wenige, die sich dem Standpunkte des Abg. Dr. Semler anschließen; die anderen werden alles versuchen, das Gesetz zustande zu bringen. Auch Herr Semler läßt sich nicht bestimmen durch die Interessen eines einzelnen Standes, der hanseatischen Kaufl ute, sondern nur durch das Interesse der Ge⸗ samtheit; die Vorwürfe gegen ihn nach dieser Richtung muß ich ent schieden zurückweisen.

Abg. Dr. Sem ler: Ich danke dem Vorredner für diese Aus—⸗ führungen. Wenn Herr Lattmann andeutete, ich hätte in der Kom⸗ mission nur eine Rede gehalten und sei dann nur äußerst selten er= schienen, so halte ich ihm das zugute; denn er war damals weit mehr im Wahlkampf Eschwege⸗Schmalkalden tätig als in der Kommission. Ich habe in der Kommission fünfzehnmal gesprochen; ich bin selbst er⸗ schreckt darüber, daß es fo unbescheiden viel gewesen.

Abg. Lattmann behält sich vor, bei der dritten Lesung in dieser Beziehung eine weitere Erklärung abzugeben.

Damit schließt die Diskussion. Der Antrag Auer wird abgelehnt, der § 1 nach der Kommissionsfassung an⸗ genommen.

Der 8 2, der die Festsetzung enthält, daß in Gemeinden von 20 009 Seelen Kaufmannsgerichte errichtet werden 6 wird ohne Debatte angenommen, desgleichen die 88 3 und 4.

Darauf wird gegen 6 Uhr die Fortsetzung der Beratung

auf Donnerstag 1 Uhr vertagt. (Vorher dritte Lesung des Reblausgesetzes.)

Prenßischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 78. Sitzung vom 8. Juni 1904, 11 Uhr.

Auf der Tagesordnung steht die erste Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Erschwerung des Kontraktbruchs landwirtschaftlicher Arbeiter und des Gesindes.

Nach dem Abg. Wolff⸗-Lissa (fr. Vgg.), über dessen Aus⸗ führungen bereits in der . Nummer d. Bl. berichtet worden ist, nimmt das Wort der

Minister für Landwirtschaft ꝛc. von Podbielski:

Seitdem die Industrie in unserm Vaterlande in erheblichem Maße zugenommen hat, seitdem die Arbeitsgelegenheiten in den großen Städten sich in gleicher Weise gemehrt haben, hat zweifellos das erweist unsere Statistik eine Abwanderung ländlicher Bevölkerung nach Industriegegenden, nach städtischen Zentren stattgefunden. Mit dieser Abwanderung, meine Herren, war ohne Zweifel für die Land—⸗ wirtschaft eine große Schwierigkeit entstanden, die nötigen Arbeitskräfte für ihren Betrieb zu erhalten. Seit einer Reihe von Jahren sind aus diesem Grunde aus landwirtschaftlichen Kreisen Anträge hervorgegangen, sowohl in den landwirtschaftlichen Vertretungen als auch hier in dem hohen Hause, daß die Staatsregierung wenigstens nach der Richtung des Kontraktbruchs hin Vorkehrungen treffen solle. Das hohe Haus hat verschiedentlichst gelegentlich der Etatsberatungen diese Angelegen⸗ heit gestreift und in diesem Jahr seine Anregungen in einer Resolution zum Etat ich glaube, es ist Nr. 54 der Drucksachen zu einem Antrag an die Staatsregierung verdichtet, auf diesem Weg vorzugehen. Dieser Antrag hat, soweit ich es zu übersehen vermochte, nicht etwa eine kleine Minderheit gefunden, sondern ich glaube, daß große Parteien dieses hohen Hauses hinter diesem Antrag standen. Als Landwirtschaftsminister habe ich mich darauf verpflichtet gefühlt, nach dieser Richtung hin gesetzliche Vorschläge zu machen, die die Billigung des Staatsministeriums gefunden haben und die dem Hause in dem zur Beratung stehenden Entwurf zur Vorlage gebracht sind. Der Herr Vorredner hat erhebliche Bedenken gegen diesen Gesetz⸗ entwurf geltend gemacht und hat meiner Ansicht nach irrtümlicher weise die Verhältnisse der großen Städte und der Industrie zum Maßstab der Beurteilung dieser rein ländlichen Verhältnisse gemacht. Ich sage irrtümlicherweise“, weil meiner Ansicht nach die Verhält⸗ nisse der Industrie und der Großstädte unmöglich auf unsere ein⸗ fachen ländlichen Zustände Anwendung finden können. (Sehr richtig! rechts Sehen Sie auf die Industrie, so wissen Sie aus Beob⸗ achtungen, die man von verschledenen Seiten angestellt hat, daß die Industrie eigentlich dauernd mit einer Reservearmee von Arbeitern zu rechnen hat, d. h., in den Gegenden der Industrie und in den Groß— städten ist unausgesetzt ein großer Arbeitsmarkt vorhanden, der es Leuten, die im Augenblick in der Landwirtschaft nicht Beschäftigung finden, ermöglicht, Arbeitsgelegenheit und dadurch einen Verdienst zu ihrem Unterhalt zu finden.

Anders in unseren ländlichen Verhältnissen. Dort ist auf dem Doꝛf, wenn der Mann nicht in der Landwirtschaft Verwendung findet, tatsächlich eigentlich keine Arbeitsmöglichkeit vorhanden. Aus diesem Grunde sind die Verhältnisse wesentlich verschieden. Aber noch ein anderes. Die Industrie greift in den Schatz ihrer Reservearmee

hinein und stellt den Arbeiter an; in vielen Fabriken ist, was den Herren gewiß bekannt ist, die tägliche Kündigung Sitte, d. h. ein Mann kommt und wird, wenn Arbeit vorliegt, beschäftigt, kommt er morgen nicht, so geht die Fabrik und die Industrie trotzdem ruhig weiter; der einzelne Mann ist keine Notwendigkeit für die Industrie. Ich möchte hierbei absehen von besonderen Arbeitsgelegenheiten, wie bei großen Eisenbahn- und Kanalbauten ich erinnere an den Nord⸗Ostsee Kanal —, wo Menschen herangebracht werden müssen, wo auch Aufwendungen für ihre Reise gemacht werden müssen. Ganz anders ist es in der Landwirtschaft. In der Land⸗ wirtschaft ist, namentlich was die Saisonarbeiter betrifft, in erster Linie der Landwirt verpflichtet und in die Notwendigkeit versetzt, Reisekosten für diese Leute zu bezahlen. Wir kennen außerdem bei unserem Gesinde und vielfach auch bei anderen Dienstverhältnissen das sogenannte Handgeld oder Mietsgeld, welches immer gezahlt werden muß und bei jedem neuen Dienstantritt verlangt wird. Alle diese Ausgaben fallen der Industrie nicht zur Last.

Das sind Momente, die sehr schwerwiegend eingreifen, gerade in einer Zeit, wo die Arbeitsverhältnisse, die Arbeiterlöhne, einen so tief eingreifenden Einfluß auf die zweifellos nicht gut prosperierende Land⸗ wirtschaft üben und üben müssen. Dies muß ich hier hervorheben gerade mit Rücksicht auf die Vorrede, weil meiner Ansicht nach auch der Herr Vorredner lediglich den Maßstab industrieller Verhältnisse an die Agrarverhältnisse legt. (Sehr richtig! rechts) Die Aufwendungen, die der einzelne ländliche Arbeit⸗ geber für seine Arbeiter, sei es in Form von Reisegeldern, sei es in Form von Vorschüssen, sei es in Form von Mietsgeld machen muß, sind die Veranlassung gewesen, daß bei der Not an Arbeitern sich Verhältnisse entwickelt haben, die wenig erfreulich sind. Weil man diese Not und Schwierigkeit erkannte, haben Gesindevermittler und Arbeitervermittler diese Not wahrgenommen, um immer erneut die Arbeiter zum Eingehen anderer Dienstverhältnisse anzuregen; auf der einen Seite erhalten sie dadurch einen bestimmten Obolus, auf der anderen Seite haben die Leute es sehr gern, weil sie neues Miets—⸗ geld bekommen. Ich muß hier besonders auf die Saisonarbeiter eingehen.

Meine Herren, mit den Saisonarbeitern machen die Landwirte Kontrakte für einen längeren Zeitraum, meistens vom Frühjahr bis zum Herbst. Bei diesen Leuten ist ein Durchschnittstagelohn aus— gerechnet, den die Leute vom ersten Tage ihrer Beschäftiung an bis zum Herbst bekommen. Wer aber ländliche Verhältnisse kennt, wird mir zugeben, daß nicht an jedem Tage eigentlich von dem Arbeiter der gleiche Lohn verdient wird. (Sehr richtig) Wenn die Fruchtbestellung bei uns vorüber ist, wenn z. B. in Rübendistrikten und auf Gütern und Besitzungen, wo Kartoffeln gebaut werden, die Bestellung vorüber und die Hackarbeit beendigt ist, dann tritt bis zur Ernte eine Zeit ein, wo der Landwirt darüber nachsinnen muß, wie er die Leute beschäftigt. (Sehr richtig) Aber, meine Herren, dann tritt die Ernte ein. Denken Sie sich die Situation: der eine Landwirt hat Reisekosten, hat Vorschüsse aus⸗ gelegt; dagegen ist irgend ein Nachbarlandwirt, der vielleicht keine Kartoffeln, keine Rüben baut, sehr wohl in der Lage, den Leuten in

der Zeit der Ernte einen höheren Tagelohn zu zahlen. Während der