erstere für den Saisonarbeiter für die ganze Zeit einen Tagelohn von — ich will einmal sagen — zwei Mark neben entsprechender Ver pflegung ausgemacht hat, ist es zweifellos, daß der andere während der Erntezeit einen viel höheren Tagelohn ausgeben kann. Und nun, meine Herren, tritt die Verlockung ein: ohne daß der Arbeitgeber auch nur das Geringste weiß, erscheint an einem Sonntage im Kruge ein Vermittler, der dafür natürlich von seinem Auftraggeber ein ge⸗ wisses Entgelt erhält, und redet den Leuten vor: geht nur zehn Meilen weiter, dort bekommt ihr alle Tage drei Mark Lohn! Meine Herren, dem Arbeiter verdenke ich es nicht; es ist ja ganz naturgernäß, daß er sich sagt: hier bekomme ich nur so viel, dort bekomme ich drei Mark, reisen wir morgen abend ab! Weg sind vie Leute, meine Herren. Der andere Besitzer kann für die Zeit der Ernte, während des Getieideschnitts und namentlich bei schlechten Witterungeverhältnissen sehr gut drei Mark ausgeben für die Leute, denn er hat keine Reisekosten, hat keine Vorschüsse den Leuten gegeben, er hat nicht die Leute zu unterhalten und zu bejahlen gehabt während der Zeit, wo sie mit ihrer Arbeit eigentlich den ver⸗ einbarten Satz nicht verdienten. (Sehr richtig) Diese Momente, meine Herren, muß ich gerade den Gegnern des Gesetzentwurfs vor— halten. Meine Herren, wenn Sie in diese ländlichen Verhältnisse eindringen, so wird Ihnen klar werden, wie es möglich ist, daß die Leute zum Kontraktbruch verleitet werden; den Arbeitern kann ich es nicht verdenken, wenn sie kontraktbrüchig werden, da ihnen so viel Geld mehr geboten wird, ich muß es aber sehr bedauern, daß die Gesetzgebung bisher nicht die Handhabe bietet, gegen solche Vermittler einzuschreiten.
Meiner Ansicht nach müssen sowohl die Vermittler als auch die Arbeitgeber getroffen werden, die dieser Vermittler sich bedienen. Meine Herren, ich möchte diese Landwirte als solche Leute be⸗ zeichnen, die ernten wollen, ohne zu säen. (Sehr richtig!) Darum, meine Herren, richtet sich ja auch dieses Gesetz tatsächlich nicht gegen die Arbeiter, wie immer versucht wird darzustellen, sondern es soll sich lediglich richten gegen die von mir bezeichneten zwei Kategorien, d. h. einerseits gegen die Vermittler, welche die Leute veranlassen wollen, den Dienst zu verlassen, meistens ohne Grund, lediglich aus den von mir geschilderten Ursachen heraus, andererseits gegen die Landwirte, die gewissermaßen Raubbau treiben, wenn ich es so bezeichnen soll.
Meine Herren, ich habe bisher von dem größeren Grundbesitz gesprochen, Sie wollen sich aber in die Lage unserer Bauern versetzen, derjenigen kleineren Besitzer, welche nicht allein mit ihrer eigenen Arbeit auskommen, sondern gezwungen sind, mit fremden Arbeitern ihre Wirtschaft zu betreiben. Diese kommen bezüglich ihrer Knechte und Mägde in die gleiche Lage. Heute lebt ein solcher Mann in vollem Frieden mit seinem Knechte und mit seiner Magd. Da be⸗ kommt ein Vermittler von jemandem einen Auftrag: schaffe mir schnell Leute! Nun bricht der Vermittler da ein, verspricht goldene Berge, wenn die Beschäftigung auch meistens nur auf kurze Zeit ist. Dadurch werden die Leute veranlaßt, heimlich den Dienst zu ver⸗ lassen, und wie tief das in die Verhältnisse eines Besitzers eingreift, wollen Sie sich daran vergegenwärtigen, wenn, wie ich aus den verschiedenen Berichten ersehen habe, ein Bauer des Morgens aufsteht und plötzlich sieht, daß weder Knecht noch Magd da ist, daß kein Mensch da ist, der seine Pferde füttert und seine Kühe melkt. Diese Verhältnisse sind tatsächlich eingetreten, und sie be⸗ dürfen nach Ansicht aller ländlichen Kreise unbedingt der Abhilfe. (Sehr richtig) Es besteht eben ein wesentlicher Unterschied zwischen der Arbeit in der Industrie und den Arbeitsverhältnissen in unsern ländlichen Kreisen.
Es ist von verschiedenen Seiten, und ich glaube auch in der Presse darauf hingewiesen worden, daß die Reichsgesetzgebung es nicht zulasse, daß auf diesem Gebiete landesgesetzlich vorgegangen werde. Ich erlaube mir darauf hinzuweisen, daß mehrere deutsche Staaten be⸗ reits auf diesem Gebiete ziemlich ähnliche Bestimmungen erlassen haben, und daß zweifellos das Ausführungegesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch auch Preußen gestattet, diese Materie durch Landesgesetz. gebung zu ordnen, sofern nicht etwa eine reichsgesetz liche Regelung auf diesem Gebiete stattgefunden hat, was nicht der Fall ist.
Weiter ist, wie ich glaube, auf den 8§ 626 des Bürgerlichen Gesetzbuchs hingewiesen worden. Der Herr Justizminister, der ja auch hier ist, wird eventuell auf diese Frage näher eingehen können. Ich glaube, ob ein wirklicher Grund dafür vorliegt, ohne Kündigung die Arbeit zu verlassen — davon handelt dieser Paragraph — das wird das Gericht zu entscheiden haben. Das liegt ja aber auf einem ganz anderen Gebiete.
Ich komme nun auf die Frage — das ist ja vielleicht diejenige, die manche Sorge macht — der sogenannten Vermittler. Man hat gesagt, die bezügliche Bestimmung des Entwurfs enthalte einen Ein— griff in die Gewerbeordnung. Ich glaube, es liegt hier lediglich eine Einschränkung ihrer Tätigkeit dahin vor, daß es dem Vermittler untersagt ist, zum Kontraktbruch zu verleiten, was ich für unbedingt notwendig halte. Ich möchte aber immer wieder hervorheben — und zwar besonders auch deshalb, weil von sozialdemokratischer Seite immer das Moment hervorgehoben wird: Ihr ländlichen Arbeiter, bedenkt, wie man euch eure Rechte nehmen will! — meine Herren, um die ländlichen Arbeiter, die ständig bei uns sind, braucht sich weder die Sozialdemokratie noch irgend einer zu sorgen! ((Sehr richtig! Diese Leute finden in dem festen Arbeitsverhältnis, welches zwischen ihnen und den Arbeitgebern auf dem Lande besteht, ihre volle Be⸗ friedigung und werden auch nie von diesem Gesetze betroffen und berührt werden. (Sehr richtig! rechts) Meine Herren, es handelt sich hier um ganz andere Glemente, in der Hauptsache um unsere Saisonarbeiter, d. h. um Leute, die zum großen Teil gar nicht einmal unserem Vaterlande angehören, die also, in ganz anderer Situation groß geworden, nicht die gesetzlichen Verhältnisse unseres Landes zu übersehen vrrmögen und die eben durch vage Versprechungen meiner Ansicht nach auf falsche Bahnen gelenkt werden. (Sehr richtig! rechts) Da gilt es vor allem, daß wir dagegen vorgehen.
Ebenso liegt die Frage bei dem Gesinde. Meine Herren, bezüglich dieser muß ich sagen, es ist unbedingt notwendig, daß wenigstens die Möglichkeit geschaffen ist, gegen solche Vermittler vorzugehen, die die Leute veranlassen, heimlich, ohne jeglichen Grund, ihre Arbeit zu verlassen. Es liegt also — das möchte ich immer wieder betonen — in dem Gesetz lediglich die Absicht vor, gegen Vermittler, falls sie zum Vertragsbruch verleiten, vorgehen zu können; es liegt in dem Gesetz ferner die Absicht vor, gegen die Arbeitgeber vorzu—⸗ gehen, die Situatio nen sich nutzbar machen, welche nach der Auf⸗
fassung weiter Kreise nicht Rechtens sein können und nicht Rechtens sein dürfen.
Man wird mir ja vielleicht entgegenhalten: wie ist es möglich, daß die Landwirte nicht selber durch sich die Ordnung schaffen? Ja, meine Herren, oft sind die momentan vorliegenden Verhaͤltnisse stärker — wenn ich es so bezeichnen darf — als das Anstandsgefühl des be⸗ treffenden Mannes, und außerdem gibt es leider auch viele Leute, die, möchte ich sagen, aus diesen traurigen Verhältnissen unserer Land— wirtschaft für sich, also aus Eigennutz, Vorteil zu ziehen versuchen. Darum, meine Herren, ist die Absicht des Gesetzes, nach dieser Rich⸗ tung hin einen wichtigen Riegel vorzuschieben.
Nun möchte ich noch auf einige Punkte eingehen, die der Herr Vorredner berührt hat.
Zunächst sagt er: das Gesetz sei viel weiter gegangen als die Resolution, die damals hier im hohen Hause zur Annahme gelangt sei. Meine Herren, nach Ansicht der Regierung liegt es gerade um⸗ gekehrt; der Passus der Resolution: .. . . während der Dauer dieser Venpflichtung im Dienst behält, sofern nicht vier Wochen seit seiner unrechtmäßigen Lösung verstrichen sind' geht weiter als das Gesetz. Wenn die Herren 51 sub 1 nachlesen, so heißt es da:
Wer Dienstboten (Gesinde) oder landwirtschaftliche Arbeiter, von denen er weiß oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt wissen muß, — Also es ist entscheidend der Moment, wo der Betreffende das Arbeits- verhältnis eingeht. Es liegt also hier meiner Ansicht nach eine Ab⸗ schwächung gegenüber der Resolution vor. Wir wollten nicht so weit gehen, wie die Resolution.
Ebenso, meine Herren, war noch in der Resolution des Abgeordnetenhauses die Staatsregierung aufgefordert, auch den Arbeit- geber zu bestrafen, der vertragsbrüchige Arbeiter nach erlangter Kenntnis der entgegenstehenden Verpflichtungen im Dienst behält. Die Staatsregierung hat indes von der Einführung einer solchen Straf⸗ bestimmung aus folgenden Erwägungen Abstand genommen.
Eine Strasbestimmung der gewünschten Art müßte zur Voraus⸗ setzung haben, daß der Arbeitgeber auch zivilrechtlich zur sofortigen Entlassung des vertragsbrüchigen Arbeiters berechtigt ist. Das vertrag⸗ liche Verhältnis zwischen dem Arbeitgeber und dem landwirtschaft⸗ lichen Arbeiter ist nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch zu beurteilen. Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt die Begehung eines Vertragsbruchs nicht als besonderen Entlassungkgrund, sondern bestimmt in § 625 lediglich, daß ein Dienstverhältnls von jedem Teil ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann, wenn ein „wichtiger Grund“ vorliegt. Was aber als wichtiger Grund anzusehen ist, muß im Einzelfalle der richterlichen Würdigung überlassen bleiben. Es erschien deshalb bedenklich, landes⸗ gesetzlich die Entlassung eines vertragsbrüchigen Arbeiters unter An— drohung von Strafe zu fordern, während die Entscheidung der Frage, ob diese Entlassung zivilrechtlich erfolgen durfte, nach Reichsrecht zu beurteilen ist und unter Umständen hätte verneint werden können.
Also, meine Herren, hier hat die Staaatsregierung in bezug auf die Resolution eine Einschränkung vorgenommen, und ich möchte auch darauf hinweisen: aus verschiedenen Verhandlungen landwirtschaftlicher Kreise ist mir bekannt geworden, daß man der Staatsregierung bezw. mir den Vorwurf macht, es sei ein sehr zahmer Gesetzentwurf schließ⸗ lich entstanden. Da möchte ich das hohe Haus doch bitten, zu er— wägen, daß wir uns nicht auf Gebiete begeben dürfen, wo wir unter Umständen mit der Reichsgesetzgebung in Kollision kommen können, während dieses Gebiet, auf dem der Entwurf sich bewegt, zu bestrafen den Vermittler, den Arbeitgeber, nach der jetzigen Lage der Gesetz—⸗ gebung lediglich der preußischen Gesetzgebung unterliegt.
Meine Herren, ich bin mir sehr wohl bewußt, daß dieser Gesetz⸗ entwurf, falls er die Billigung des hohen Hauses finden sollte, die traurigen Arbeitsverhältnisse nicht plötzlich ändern, nicht plötzlich gute Verhältnisse schaffen wird. Aber ich glaube, wir müssen auf diesem Gebiete vorgehen; sonst entwickeln sich nach der bisherigen Erfahrung immer traurigere Verhältnisse gerade in der Landwirtschaft. Meine Herren, ich möchte darauf hinweisen — das wird mir jeder der Herren aus dem hohen Hause, ich glaube, selbst von der äußersten Linken, zugeben — : es ist sehr traurig, wenn wir heute in unserer Landwirtschaft große Landstrecken nicht mehr bestellen können, weil es an den Arbeitern fehlt. Ich las dieser Tage einen Aufsatz in einem großen Blatt, wo immer wieder gesagt wird: ihr Landwirte könnt ja das Gebiet, auf dem ihr bestellt, gar nicht erweitern. Ich möchte den betreffenden Artikel⸗ schreiber doch mal bitten, mit hinauszukommen, um sich zu überzeugen, wie weite Flächen unseres Vaterlandes der landwirtschaftlichen Kultur noch erschlossen werden könnten, wenn wir die Arbeiter dazu hätten, und wie auf der anderen Seite — speziell sind mir die Fälle vom Elsaß bekannt — Leute, die einen größeren Bezirk haben, die Land⸗ wirtschaft aufgeben mußten, weil sie tatsächlich nicht in der Lage waren, ihren Weizen einzuernten, sondern sehen mußten, wie die Frucht, die der liebe Gott ihnen hat wachsen lassen, schließlich dem Verderben anheimgegeben war.
Aus allen diesen Erwägungen heraus möchte ich Sie bitten, doch diesem Entwurf Ihre Zustimmung zu geben, und möchte immer erneut das hervorheben: es handelt sich tatsächlich nicht um die Arbeiter, sondern es handelt sich um diejenigen, welche die Arbeitsgelegenheit geben, um diejenigen, die vermitteln, daß Arbeiter auf die bezügliche Stelle kommen. Ich glaube, am Schluß meiner Rede nochmals hervorheben zu sollen, daß gegen unsere eingesessene ländliche Arbeiter⸗ bevölkerung dieser Entwurf wahrlich nicht gerichtet ist, sondern tat— sächl ich nur gegen die vagierende Bevölkerung, die heute, veranlaßt aus den verschiedensten Ursachen, ihren Dienst ohne Grund, ohne Er— wägung aller Verhältnisse verläßt und damit in Frage stellt, ob der betreffende Besitzer überhaupt noch sein Vieh süttern und seine draußen auf dem Felde stehende Ernte einbringen kann. Darum bitte ich das Haus, aus diesen Erwägungen heraus in eine Prüfung des Gesetz⸗ entwurfs einzutreten und nicht dem Herrn Vorredner zu folgen, der ein absolutes non possumus entgegenstellt, vielmehr durch eine ein— gehende Prüfung der einschlägigen Verhältnisse dazu beizutragen, daß für unsere Landwirtschaft auf diesem Gebiete etwas geschieht, was nach Ansicht weiter ländlicher Kreise ein unbedingtes Erfordernis ist. (Lebhafter Beifall.) ;
Abg. Reinecke⸗Sagan (freikons.: Seit 1890 ist 11 mal die Forderung nach einer derartigen Ausgestaltung unserer Gesetzgebung erhoben worden. Die Bedenken, die der Abg. Wolff⸗Lissa geltend ge⸗ macht hat, kann ich als alter Landwirt und Praktiker nicht anerkennen. Meine politischen Freunde sind mit mir der Staatsregierung sehr
dankbar dafür, daß sie uns diesen Entwurf gebracht hat, von dem wir hoffen, daß er Gesetz wird. Die treffenden, klaren Ausführungen des
Ministers kann ich durchweg unterschreiben. Von dem skrupellosen
Vorgehen der Agenten und Vermittler, die Arbeiter widerrechtlich zun
Verlaffen des Tlenstes zu verleiten und zu verführen, lassen sich die krassesten Beispiele anführen. . ; Abg. Kuntze (kons. ); Die Vorlage ändert an der bisherigen Gesetzgebung, die sich mit dem Kontrakibruch befaßt und sich die Arbeitnehmer richtet, nichts: es sollen hier die Arbeitgeber ge.
troffen werden. J hl. nur wenig bietet und wir gewünscht hätten, es wäre eine völlige Einheitlichkeit auf diesem Gebiete zu erreichen gewesen. Jeder Arbeit. geber kann sich sichern und erfahren, ob ein Arbeiter kontraktbrüchig sst oder nicht. Daß die Vermittelung von Arbeit für einen lontrakt, brüchigen Arbeiter ohne Antrag bestraft werden soll, ist durch— aus gerechtfertigt.
kontraktbrüchige Arbeiter angenommen hat und detzwegen schon auf
Grund dieses Gesetzes bestraft worden, ist , . . age d au
stimmung der Vorlage. Wir stehen al wohlwollend gegenüber und hoffen, daß sie zur Annahme gelangen wird. Wir glauben, re n m r Glaube und das Rechtsbewußtsein durch dieses Gesetz gestärkt werden. . ö. ch h Sl h wn (fr. Volksp): Schon im Jahre 1879 hat eine Konferenz unter dem Landwirt chaftsminister Königsmarck sich mit diesem Gegenstande befaßt, ist aber zu der Entscheidung ge—
kommen, daß die Bestrafung des Kontraktbruchs nur reichẽgesetzlich ge«
regelt werden kann. Auch später hat die Regierung erklärt, daß diese Frage zur Reichskompetenz gehört. Wie kommt nun der Landwirt.
schafisminister zu der entgegengesetzten Auffassung? Noch 1899 hat ber ö
Vertreter des damaligen Landwirtschaftsministers von Hammerftein hier in der Kommission erklärt, daß eine Verschärfung des Kontraktbruchs die landwirtschaftlichen Arbeiter erst recht in die Industrie treiben würde. Jetzt macht dagegen der Minister von Podbielski diese Vonlage, aller⸗ dings wohl mehr der Not gehorchend als dem eigenen Triebe; denn er fazte felbst, daß eine große Mehrheit die Vorlage verlangt habe. Unsere Minister sind ja konstitutionell und richten sich nach der Mehrheit des Parlaments. Die Vorlage widerspricht aber dem Rechtsbewußtsein und der Reichsgewerbeordnung. Die Landeggesetz. gebung kann das Recht des Arbeitgebers zur Annahme von Arbeitein nicht beschränken. In den S§ 34 und 38 der Gewerbeordnung sind die Befugnisse der Landesbehörde egenüber den Arbeits, vermittlern geregelt. Danach hat die Landesgesetzgebung nicht das Recht, folche Strafen für Arbeitsbermittler festzusetzen. In der Mißkilligung des Kontrakibruchs stimmen wir mit dem ganzen Hause überein, aber wir bestreiten, daß die Einzelstagten das Recht haben, ein solches Gesetz zu erlassen. In der modernen Zeit können wir nicht mehr Gesetze erlassen, die ein schweres Unrecht früherer Gesetze in bezug auf die landwirtschaftlichen Arbeiter verallgemeinern. Die „Köln. Volksztg.“ nennt diese Vorlage ein Ausnahmegesetz gegen die landwirtschaftlichen Arbeiter. Die noch bestehenden Gesindeordnungen
stammen zum Teil aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die feit 1810. Diese ganze echt ⸗· materie und besonders die Rechtsunsicherheit in den einzelnen Staaten
preußische Gesindeordnung besteht
bedarf dringend einer Revision. Die Arbeiter verlangen die Ablehnung dieser Vorlage, ich beziehe mich besonders auf den Beschluß des
15. Verbandstages der deutschen Gewerkvereine, der die volle
Koalitiossfreiheit für die ländlichen Arbeiter und ihre Gleichstellung
mit den gewerblichen Arbeitern verlangt hat, und auf die West⸗
deutsche katholische Arbeiterzeitung', welche diese Vorlage als eine
Ungeheuerlichkeit bezeichnet. Die . Deutsche Gärtnerzeitung“ hat di:
Vorlage eine böse Entgleisung der preußischen Regierung genannt.
Schon die Ueberschrift der Vorlage ist verkehrt, sie hätte heißen
müssen: Gesetzentwurf zur Vermehrung der Landflucht. Die Vorlage
wird noch mehr Arbeiter aus dem Osten in die Szädte sühren. Man sagt, dieses Gesetz treffe nur die ausländischen Arbeiter und die Arbeitgeber, die ausländische Arbeiter beschäftigen. Warum sagt man das nicht deutlich in dem Gesetz selbst? Die Vorlage wir? auf alle landwirtschaftlichen Arbeiter Anwendung finden, gleichviel ob es deutsche oder fremde sind. Man verwendet große Snnmen zur Stärkung des Deutschtums im Osten. Gibt es aber eine größere Gefahr für das Deutschtum, als wenn man einen so starken Import fremder Arbeiter herbeiführt, wie es unsere Landwirtschaft im Osten tut? Sie treiben den letzten deutschen Arbeiter mit solchen Maß— regeln wie diesem Gesetzentwurf aus dem Osten und aus der Land⸗ wirtschaft, in der er keine Arbeit mehr finden kann. Meine Freunde sind nicht bereit, diese Wege zu beschreiten, die man uns hler vor schlägt. Schuld an der Einbringung dieses Gesetzentwurfs ist eigentlich das Zentrum, dessen Nedner, der Abg. Herold, am 10. Februar für ein solches Gesetz eingetreten ist Aber das Zentrum verleugnet seine Vergangenheit, wenn es dieser Vorlage zustimmt. Die Vorlage kann in der Kommission auch nicht verbessert werden; sie ohne Kommissionk— beratung abzulehnen, wäre ihr verdientes Schicksal. Nach der Stimmung in der Bevölkerung hoffe ich, daß auch das große Zentrum sich gegen die Vorlage wendet. Mit solchen Strafen kann man Treu und Glauben nicht stärken. Sie könnten selbst mit der Todesstraße den Kontraktbruch nicht beseitigen. Wenn dieses Gesetz die Leutenot noch verschlimmert haben wird, werden die Landleute mit uns sagen: das Gesetz ist nicht das Papier wert gewesen, auf dem es gedruckt ist.
Justizminister Dr. Schönstedt:
Meine Herren! Auf die wirtschaftliche Seite des Ihnen vor— gelegten Gesetzentwurfs, auf die Verteile, die die Landwirtschaft von ihm erhofft, auf die Gefahren, die auf anderer Seite von seiner Ein— führung befürchtet werden, lasse ich mich nicht ein; ich glaube, das berufeneren Stellen überlassen zu müssen. Vorläufig stehen die Ver— treter der Landwirtschaft auf dem Standpunkte, daß für die Gesun— dung der landwirtschaftlichen Verhältnisse dieser Gesetzentwunf wesent— liche Besserung verspricht, und da die Herren von der Landwittschast
so möchte ich mich jedenfalls nicht mit ihnen in Widerspruch setzen und nicht auf den Boden des Herrn Abg. Goldschmidt treten. Die Resolution, die zu dieser Gesetzesvorlage geführt hat, ist ja vor wenigen Monaten von einer überwältigenden Mehrheit dieses Hauses angenommen worden. Der Gesetzentwurf hält sich im Rahmen dieser Resolution; er hat eine Bestimmung, wie schon der Herr Landwirt— schaftsminister gegenüber den Ausführungen des Herrn Abg. Wolff ausgefährt hat, gemildert, er enthält aber in keiner Bestimmung etwa was von der Resolution des hohen Hauses abginge.
Als meine Aufgabe betrachte ich es lediglich, die juristische Seite der Sache mit einigen Worten zu erörtern. Es ist an erster Stelle die Behauptung aufgestellt, und zwar mit besonderer Schärfe von dem Herrn Abg. Goldschmidt, daß zu dem Erlasse des in Aucssicht ge— nommenen Gesetzes die Landesgesetzgebung überhaupt nicht zuständig sei, daß die Materie ausschließlich der Reichsgesetzgebung vorbehalten sei. Der Herr Abg. Goldschmidt hat sich dabei berufen auf historische Vorgänge aus den 1870er Jahren, die fast gleichlautend bereits im Jahre 1902 von dem Herrn Abg. Dr. Barth in der Sitzung vom
4. Juni hier vorgetragen sind. Es ist richtig, daß anfangs der 1870er
Jahre — ich glaube, im Jahre 1873 — die Reichsregierung einen dieselbe Materie betreffenden Gesetzentwurf an den Reichstag gebracht hat. Dieser Gesetzentwurf ist nicht zur Verabschiedung gelangt; es ist zu einer Verständigung über ihn nicht gekommen, man hat sich darüber nicht einigen können.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
gegen
Wir werden der Vorlage zustimmen, obwohl sie .
Bie stärkere Bestrafung desjenigen, der wiederholt
M H34.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Demnächst haben — wie der Herr Abg. Goldschmidt angeführt hat — Beratungen im Landwirtschaftlichen Ministerium über Aufstellung anderer, neuerer Gesetzentwürfe stattgefunden, und zwar soll sich in dem Protokoll oder in einem Bericht, der darüber erstattet ist, der Satz finden: ‚daß Strafbestimmungen gegen die Verleitung zur Arbeitseinstellung und gegen Kontraktbrüchigkeit der Arbeitgeber und Arbeitnehmer nur im Wege der Reichsgesetzgebung erlassen werden können“.
Meine Herren, dieser Bericht ist mir nicht bekannt. Die Be⸗ deutung und Tragweite dieses Satzes wird sich nur beurteilen lassen, wenn man den ganzen Bericht zur Hand hat und sieht, in welchem Zusammenhange sich der Satz dort findet. Ich bin zunächst zu der Annahme geneigt, daß man nur deshalb die Reichs⸗ gesetzgebung als ausschließlich für diese Materie anzurufen angesehen hat, weil damals eben die Absicht bestanden hat, diese Materie ein⸗ heitlich für das ganze Deutsche Reich, also nur im Wege der Reichs⸗ gesetzgebung, zu regeln; und daß die einheitliche Regelung dieser Materie für das ganze Deutsche Reich wünschenswert wäre, darüber wird eine Meinungsverschiedenheit, glaube ich, nicht bestehen. Auf demselben Standpunkt hat dann offenbar noch der Herr Landwirt⸗ schaftsminister, der Ende der 70er Jahre dieses Ressort inne hatte, gestanden, indem er in seiner Denkschrift den gleichfalls vorgelesenen Satz ausgesprochen hat:
Strafbestimmungen gegen den widerrechtlichen Kontraktbruch könnten in dem vorzuliegenden Gesetzentwurf keine Aufnahme finden. Es bedürfe das keiner weiteren Ausführung; denn dieser Gegenstand sei sozusagen rechtshängig bei den zur Reichsgesetzgebung kompetenten Instanzen, und es werde schon um deswillen die Partikulargesetz⸗ gebung darauf verzichten müssen, der Reichsgesetzgebung zu prä⸗ judizieren.
Meine Herren, dieser Satz hätte keinen rechten Sinn und würde nicht zu verstehen sein, wenn man ihm eine andere Bedeutung unter— legte als die, daß die Landesgesetzgebung sich deshalb nicht mit der Materie befaßt habe und befassen wolle, weil die Reichsorgane noch mit derselben Materie beschäftigt seien, weil sie dort eben anhängig sei. Nur so läßt sich auch der Schlußsatz erklären, in dem es heißt: Aber aus diesem Grunde, wegen der sozusagen Rechtshängigkeit müsse die Partikulargesetzgebung darauf verzichten, der Reichs⸗ judikatur zu präjudizieren; denn darin ist doch ganz deutlich ausgesprochen, daß der damalige Herr Landwirtschaftsminister an und für sich die Zuständigkeit der Landesgesetzgebung zu einer solchen Präjudizierung anerkannte; sonst hätte er den Satz garnicht aussprechen dürfen. Er hat aber mit Rück— sicht auf die damalige Lage der Sache davon abgesehen.
Nun, meine Herren, habe ich in den Ausführungen des Herrn Goldschmidt eine nähere Begründung dafür vermißt, weshalb denn diese Materie nur reichsgesetzlich geregelt werden könne. (Abg. Gold⸗ schmidt: 55 34 und 38 der Reichsgewerbeordnung) — Die Be⸗ stimmungen der Reichsgewerbeordnung bilden nicht einen Teil der Reichsverfassung, und aus ihnen wird sich eine verfassungsmäßige Unzulässigkeit dieser Gesetzgebung nicht herleiten lassen. An und für sich liegt die Sache so, daß es sich hier um eine strafrechtliche Materie handelt, die im Strafgesetzbuch ihre Erledigung nicht ge⸗ funden hat, die dort offen geblieben ist, und die deshalb von der Landesgesetzgebung ergriffen werden darf. (Sehr richtig! rechts.) Wenn nun der Herr Abg. Goldschmidt mich jetzt wiederholt auf die F§§ 34 und 38 der Gewerbeordnung aufmerksam macht, von denen er ja mit ziemlich großem Selbstvertrauen behauptet hat, daß sie offen⸗ bar den Herren, die das Gesetz verfaßt hätten, niemals zu Gesicht ge⸗ kommen wären — es ist ja eine ziemlich kühne Behauptung; ich will sie nicht zurückgeben —, dann, meine Herren, glaube ich, befindet er sich, gelinde gesagt, in einem starken Irrtum.
§z 34 der Gewerbeordnung befaßt sich nur mit der Frage der Zulassung der Stellenvermittler zum Gewerbebetriebe, die nur versagt werden kann aus besonders wichtigen Gründen. Mit dieser Zulassung beschäftigt sich aber der vorliegende Entwurf nicht. Wozu die gewerbs⸗ mäßigen Vermittler in ihrem Geschäftsbetriebe befugt sind, darauf bezieht sich allerdings 5 38 der Gewerbeordnung; aber er enthält nicht das, was der Herr Abg. Goldschmidt herausgelesen hat. Denn 5§5 38 lautet in seinem ersten Absatz dahin:
Die Zentralbehörden sind befugt, über den Umfang der Befugnisse und Verpflichtungen sowie über den Geschäftsbetrieb der Stellenvermittler
— ich übergehe die anderen Kategorien — soweit darüber die Landesgesetze nicht Bestimmungen treffen, Vorschriften zu erlassen.
Die Gewerbeordnung sieht also ganz ausdrücklich den Fall vor, daß über den Umfang der Befugnisse und der Verpflichtungen der Stellenvermittler die Landesgesetze Bestimmungen treffen können. (Zuruf links: Umfang) Ueber den Umfang! Was tut nun das vor⸗ liegende Gesetz? Es beschäftigt sich an und für sich gar nicht mit den gewerbemäßigen Stellenvermittlern als solchen, sondern mit der Stellenvermittelung im allgemeinen, und zwar mit der in gewinn— süchtiger Absicht unternommenen, und stellt unter Strafe eine in ge⸗ winnsüchtiger Absicht unternommene Stellenvermittelung unter den im Gesetz ausgesprochenen Voraussetzungen. Es ist also eine allgemeine Strafandrohung, die jeden — auch den Nichtgewerbetreibenden — trifft, und es ist ein anerkannter Grundsatz, daß auch für den Bereich der Gewerbegesetzgebung die Gewerbefreiheit nicht das Recht gibt, ein Gewerbe in Widerspruch mit allgemeinen strafgesetzlichen Be⸗ stimmungen zu betreiben. Das ist bei der Entstehung der Gewerbeordnung ausgesprochen, das findet man in den Motiven und wird von sämtlichen Kommentatoren anerkannt; das ist auch in der Rechtsprechung außer allem Zweifel. Es wäre ja auch ein wunderbarer Rechtszustand, wenn eine an und für sich und allgemein für strafbar erkannte Handlungsweise deshalb nicht mit Strafe bedroht werden könnte, weil die Tätigkeit gewerbemäßig be⸗
Zweite Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.
Berlin, Donnerstag, den 9. Juni
trieben wird. Vorschriften, die für jedermann gelten, binden eben auch den Gewerbetreibenden, und ich glaube, der Herr Abg. Gold- schmidt würde zu einem anderen Ergebnis kommen als dem von ihm ausgesprochenen, wenn er die Güte hätte, diese 55 34 und 38 der Gewerbeordnung noch etwas genauer zu prüfen.
Es ist dann weiter behauptet worden, der Gesetzentwurf sei des—⸗ halb unzulässig, weil die Arbeitsverhältnisse ja in der Gewerbeordnung ihre Erledigung gefunden hätten. Insbesondere hat der Herr Abg. Goldschmidt auf die 55 124 und 125 der Gewerbeordnung hingewiesen, dabei aber vollständig übersehen, daß diese Bestimmungen — wie die Gewerbeordnung überhaupt — sich nur mit gewerblichen Arbeitern beschäftigen und nicht mit den landwirtschaftlichen. (Sehr richtig! rechts) Also auch damit ist nichts zu machen! Wären die Ausführungen des Herrn Abgeordneten richtig, so0 müßte auch das Gesetz vom 24. April 1854 seine gesetzliche Gültigkeit verloren haben; denn das beschäftigt sich ja auch mit dem Kontraktbruch landwirtschaftlicher Arbeiter und droht hier unmittelbar Strafen an. Widerspräche das der Reichsverfassung oder anderen Reichsgesetzen, so könnte das Gesetz nicht mehr angewandt werden. Es besteht aber in der gerichtlichen Praxis kein Zweifel, daß das Gesetz noch in voller Gültigkeit ist; das ist im Jahre 1902 durch ein Urteil des Kammergerichts, das ich Ihnen vorlegen könnte, aner⸗ kannt worden. Ebenso ist für ein ähnliches Gesetz, das für das Herzogtum Anhalt erlassen worden ist, die Rechtsgültigkeit gegenüber der Reichsgesetzgebung durch ein Urteil des Oberlandesgerichts in Naumburg anerkannt worden. Ich glaube deshalb nicht, daß diese Bedenken irgend jemand bestimmen können, von der Mitwirkung an der landesgesetzlichen Regelung der vorliegenden Materie abzusehen.
Meine Herren, ich gebe ja zu, daß die Fassung des Gesetz⸗ entwurfs vielleicht nicht vollkommen unanfechtbar ist, und daß mög—⸗ licherweise Dinge herausgelesen werden können, die, wie aus der Be— gründung klar hervorgeht, seitens der Königlichen Staatsregierung nicht beabsichtigt worden sind. Deshalb bin ich — in diesem einen Punkte stimme ich dem Herrn Abg. Goldschmidt bei — der Ansicht, daß es rätlich sein würde, das Gesetz einer Kommission zu überweisen, um es dort in seinen Einzelheiten noch nachzuprüfen.
Es ist weiter gesagt worden, das Gesetz richte sich tatsächlich gegen die Arbeiter und nicht gegen die Arbeitgeber. Das ist insoweit richtig, als in dem Gesetze ein Mittel erblickt wird, wie schon aus der Ueber⸗ schrift hervorgeht, den Kontraktbruch der Arbeiter zu erschweren. In—⸗ soweit ist allerdings eine mittelbare Wirkung des Gesetzes beabsichtigt.
Nun ist darauf hingewiesen worden, daß aus der Anwendung der Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs sich besondere Schwierig⸗ keiten ergeben könnten; es ist hingewiesen worden auf den § 630 B. G. B., wonach bei Beendigung eines Dienstverhältnisses der ausscheidende Arbeiter das Recht hat, ein schriftliches Zeugnis des Arbeitgebers über das Dienstverhältnis und dessen Dauer zu ver— langen, und es ist gesagt worden, es sei sehr wohl denkbar, daß nun, obwohl ein wichtiger, gesetzlich zulässiger Grund zur vor— zeitigen Aufhebung des Dienstverhältnisses vorgelegen hat, der Arbeit⸗ geber das Zeugnis verweigert, und nun ein anderer Landwirt sich schwer entschließen würde, auf die Gefahr hin, sich selbst der Be⸗ strafung auszusetzen, einen solchen Arbeiter in Dienst zu nehmen. Ich gebe zu, daß dieser Punkt eingehender Prüfung und Erörte— rung bedarf.
Ein gewisses Korrektiv bietet ja der von dem Abg. Kuntze schon erwähnte § 3, der den Arbeitgeber, der in rechtswidriger Absicht die Erteilung eines solchen Zeugnisses versagt, mit Strafe bedroht. Diese Bestimmung wird den Arbeitgeber, der nicht vollständig davon durch⸗ drungen ist, daß ein rechtswidriger Kontraktbruch vorliegt, veranlassen, in zweifelhaften Fällen lieber dem abziehenden Arbeiter das Zeugnis zu geben, als es zu versagen; denn er setzt sich, wenn nachher für fest—⸗ gestellt erachtet würde, daß der Arbeiter gesetzlichen Grund hatte, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, nicht nur unter Unmständen der Bestrafung, sondern auch einem Schadensersatzanspruche aus, der recht erheblich sein kann. Allerdings kann von diesem möglichen Ersatzanspruche der Arbeiter, solange er nicht eine andere Stelle gefunden hat, nicht leben, und vielleicht ist auch der Trost nicht ganz ausreichend, den der Herr Abg. Kuntze ihm ge⸗ geben hat, später werde ihn der frühere Arbeitgeber dafür entschädigen müssen, daß er, weil ihm der Abkehrschein fehlte, nicht alsbald wieder eine andere Arbeit habe finden können. Damit ist ihm nicht viel ge⸗ holfen, und ich würde es für eine Verbesserung des Gesetzes halten, wenn noch eine Fassung gefunden würde, die eine etwas größere Ge—
währ dafür gibt, daß der Landwirt, der einen solchen Arbeiter in
seine Dienste nimmt, nicht der Gefahr ausgesetzt ist, sich in dem Um⸗ fange, wie es der Wortlaut des Gesetzes vielleicht tut, selbst strafbar zu machen. Ich halte es nicht für unmöglich, eine solche Fassung mit diesem hohen Hause noch zu vereinbaren, und wenn dieser Erfolg erreicht würde, würde ein Teil der Bedenken, die von anderer Seite gegen das Gesetz erhoben worden sind, seine Berechtigung verlieren.
Meine Herren, das ist das, was ich für heute über die rechtliche Zulässigkeit des Gesetzes ihnen zu sagen habe.
Zu den Einwendungen, die im Hause selbst angeführt sind, gehört noch eine, die der Herr Abg. Wolff vorgebracht hat. Er hat, offen bar in Anknüpfung an einen Aufsatz des Senatspräsidenten Lindenberg in der Deutschen Juristenzeitung, darauf hingewiesen, daß durch dieses Gesetz eine gewisse Inkongruität herbeigeführt werde gegenüber dem Gesetz von 1864, daß insbesondere nach dem letzteren Gesetze die er= folgreiche Anstiftung zum Kontraktbruch mit geringerer Strafe be⸗ droht sei, als der gegenwärtige Entwurf für die versuchte Verleitung zum Kontraktbruch androhe. Er meint, das würde für die Gerichte zu Schwierigkeiten führen. Ich möchte die Befürchtung nicht in dem Maße teilen. Der Fall ist ja keineswegs selten, daß ältere und neuere Gesetze abweichende Vorschriften treffen und daß das jüngere Gesetz keine ausdrücklichen Bestimmungen darüber enthält, inwieweit die Bestimmungen des älteren Gesetzes neben ihm noch in Gültigkeit sein sollen. Solche Widersprüche haben sich auch in der Praxis schon
1904.
ergeben zwischen dem Gesetz von 1854 und der preußischen Gesinde⸗ ordnung. Der Strafsenat des Kammergerichts, dessen Vorsitzender der Senatspräsident Lindenberg ist, hat nach dieser Richtung hin eine Entscheidung erlassen, in der gesagt ist:
Es gilt die allgemeine Rechtsregel, daß das ältere Gesetz durch das jüngere beseitigt wird, vorausgesetzt, daß bei beiden der Tat- bestand derselbe ist, und daß die neue Ordnung von der alten ab— weicht oder sie deckt.
Auf der Grundlage dieser Rechtsregel hat das Kammergericht an⸗= genommen, daß die mit dem Gesetze von 1854 in Widerspruch stehenden, den gleichen Tatbestand betreffenden Bestimmungen der Gesindeordnung von 1810 durch diese neuere Bestimmung tatsächlich aufgehoben worden sind. Im vorliegenden Falle würde sich nach meiner rechtlichen Ueberzeugung die Sache ebenso stellen. Soweit das neue Gesetz denselben Tatbestand, den das Gesetz von 1864 mit anderen Strafen bedroht, jum Gegenstand der Strafandrohung macht, würde das neuere Gesetz den Vorzug haben vor dem älteren; das ältere würde nicht mehr in Anwendung kommen können. Ich meine, daß dadurch der Widerspruch seine Erledigung finden würde.
Das sind, meine Herren, die Bemerkungen, die ich vom juristischen Standpunkt aus zu diesem Entwurf zu machen habe. (Bravo! rechts und im Zentrum.)
Abg. Herold (Zentr. ):. Herr Goldschmidt macht das Zentrum verantwortlich. Es ist ja Mode geworden, das Zentrum verantwort⸗ lich zu machen für das, was geschieht, und auch für das, was nicht geschieht. Das Zentrum kann doch nur durch seine Stimmen wirken, kann aber im Reiche nicht Gesetze durchbringen, die der Bundesrat nicht haben will. Daß man immer nach Gründen sucht, um das Zentrum verantwortlich zu machen, zeigt nur, daß es eine unanfecht— bare Politik treibt. Ich wünschte, Herr Goldschmidt würde die Zentrumtzpresse immer so eifrig lesen. Die Verhältnisse in der Landwirtschaft sind andere als in der Industrie. Die Schäden des Koalitiongrechts können in der Landwirtschaft viel größer sein als in der Industrie. Wir sind aber nicht gegen das Koalitions- recht der ländlichen Arbeiter, wenn auf die besonderen Verhältnisse der Landwirtschaft Rücksicht genommen würde. Für das Ge— sinde wünschen wir selbst eine Reform dahin, daß ein Schiedsgericht für die Gesindeverhältnisse eingeführt wird, und verlangen von der Regierung eine solche Gesetzesvorlage. Davon unabhangig ist es aber, daß wir auf dem Gebiete des Kontraktbruchs vorhandene Schäden beseitigen. Diese Vorlage soll nur die Arbeit geber treffen und nicht die Rechte der Arbeiter beschränken; so ver⸗ langte es die Resolution dieses Hauses, und nun wollen wir prüfen, ob der Entwurf dieser Forderung gerecht wird. Das Bedenken be= steht allerdings auch in der Landwirtschaft, daß der Arbeiter durch dieses Gesetz in die Industrie gedrängt werden könnte; wenn wir aber diese Strafbestimmungen auch auf die gewerblichen Arbeiter ausdehnen wollten, wurde der kontraktbrüchige Arbeiter vollkommen boykottiert sein, und das ginge doch zu weit. Die Arbeitsvermittlung für kontraktbrüchige Arbeiter ist ein gemein⸗ schädliches Verfahren, die Bestrafung ff daher vollkommen berechtigt. Die Bestimmung über die Bestrafung der Verleitung zum Kontrakt⸗ bruch geht aber zu weit. Eine solche Verleitung kann aus besten, edelsten Motiven erfolgen. Die Strafe des Arbeiters soll nicht verschärft werden; nach dem Entwurf könnte aber ein Arbeiter be⸗ straft werden, wenn er zu einem andern sagt: Du bist doch eigentlich dumm, daß Du da weiter arbeitest. Die Landwirtschaft sucht mit Recht nach Mitteln zur Beseitigung der Leutenot, der Schwerpunkt kann aber nicht in der Verschärfung der Strafen liegen, sondern in der Forderung der Wohlfahrtspflege auf dem Lande, die dem Arbeiter das Leben auf dem Lande angenehm macht. Die Arbeitgeber müssen die Wohlfahrtspflege sich noch mehr angelegen sein lassen, wenn ich auch nicht verkenne, daß darin schon manches geschehen ist. In der sozialdemokratischen Presse ist aus diesem Anlasse wieder eine voll⸗ kommen unberechtigte Hetze gegen das Zentrum getrieben worden. Ich beantrage die Ueberweisung der Vorlage an eine Kommission von 14 Mitgliedern.
Abg. Glatzel (ul.): Die Agitation aus Anlaß dieser Vorlage kann uns nicht abhalten, sie sachlich zu prüfen. Um der Agitation vorzubeugen, hätte ich allerdings eine andere Ueberschrift des Gesetzes gewünscht, da die gewählte dem Inhalt nicht entspricht. Es handelt sich um ein Gesetz nicht gegen die Arbeiter, sondern gegen die Arbeitgeber. Daß die böswillige Verleitung zum Kontraktbruch bestraft werden muß, wird selbst Herr Goldschmidt zugeben. Herr Goldschmidt hat seine Bedenken so übertrieben, daß er kaum noch verlangen kann, daß 9 richtige Würdigung finden. Wir sind gegen die Bestrafung der beiter wegen Kontraktbruchs, dagegen wollen wir die Arbeitgeber für die Benutzung des Kontraktbruchs strafen. Die Bedenken im einzelnen könnten wir in der Kommission prüfen. Eine lediglich theoretische Aussprache der Arbeiter über die Arbeitsbedingungen darf nicht als Verleitung zum Kontraktbruch bestraft werden; kein Gericht würde übrigens eine solche als Verleitung ansehen. Etwas anderes ist es aber, wenn z. B. ein sozialdemokratischer Agitator die Arbeiter auf⸗ reizt. Die juristischen Bedenken gegen die Kompetenz der Landesgesetz. gebung teile ich nicht, der Minister hat sie bereits widerlegt. Ich schließe mich dem Antrage auf Ueberweisung an eine Kommission von 14 Mitgliedern an.
Abg. Goldschmidt bleibt bei seiner Auffassung stehen, daß die Vorlage mit der Reichsgewerbeordnung nicht vereinbar sei. Es könne dem Arbeitgeber nicht vorgeschrieben werden, welche Arbeiter er an⸗ nehmen dürfe. Am 10. Februar habe Herr Herold dem Antrage zu⸗ gestimmt, und jetzt äußere er allerhand Bedenken gegen die Vorlage, die jene Resolution einfach wiedergebe. Die Verantwortung falle dem Zentrum zu, wenn diese Vorlage angenommen werde. Herr Herold habe ihm geraten, die Zentrumspresse zu lesen; er lese sogar die „Post“ ohne belehrt zu werden. (Abg. Freiherr von 8 und Neukirch: Dummes Gerede Diese Art der Diskussion steh selbst dem Herrn von Zedlitz nicht; wir sollten doch hier so diskutieren, wie es der Würde des Hauses entspricht. .
Abg. Pallaske (kons.) weist nochmals die Bedenken des Abg. Goldschmidt gegen die rechtliche Zulässigkeit landesgesetzlicher Bestim- mungen zurück. Nach der Ansicht des Herrn Goldschmidt dürfe die Landesgesetzgebung auch den Diebstahl nicht bestrafen, wenn die Reichs gesetzgebung ihn nicht schon bestraft hätte. Alle Versuche, dem Gesetze einen arbeiterfeindlichen Charakter zu geben, scheiterten daran, daß si seine Bestimmungen gegen die Arbeitgeber richteten. Den Anspruch au Vorteile aus einer Verletzung von Treu und Glauben dürfe der Arbeiter nicht erheben.
Abg. Herold: Dem Abg. Goldschmidt bemerke ich, daß es sich am 10. Februar nur um eine Anregung an die Staatsregierung handelte; daß man einen Gesetzentwurf vorsichtiger unter die Lupe nimmt, ist selbstverständlich. Der Abg. Goldschmidt wird uns nicht nachweisen können, daß wir gegen eine Revision der Gesinde⸗
ordnung sind. Hierauf wird die Debatte geschlossen. Persönlich bemerkt
Abg. Freiherr von Zedlitz und Neukirch l(freikons.): Der Abg. Goldschmidt hat mich ohne Anlaß angegriffen; aber wenn meine
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