Aichtamtliches.
Deutsches Reich.
Preußen. Berlin, 13. Juni.
Seine Majestät der Kaiser und König hörten am Sonnabendnachmittag im Neuen Palais bei Potsdam den Vortrag des Ehefs des Marinekabinetts, Admirals Freiherrn von Senden⸗Bibran. Im Laufe des Sonntagvormittags trafen beide Kaiserliche Majestäten in Berlin ein, besichtigten den Dombau und begaben Sich Nachmittags auf der Dampfjacht „Alexandria“ nach Grünau, 3 früh begaben Sich Seine Majestät zu einer Truppenbesichtigung nach Döberitz.
Der Bundesrat versammelte sich heute zu einer Plenar⸗ Hnr. vorher hielt der Ausschuß fur Rechnungswesen eine Zitzung.
In den weiteren Sitzungen der Eisenacher Konferenz der deutschen evangelischen Kirchenregierungen am 6., 7. und 8. Juni wurde
JI. auf Grund des in der Sitzung am 6. Juni erstatteten Referats des geistlichen Vizepräsidenten des preußischen evangelischen Oberkirchenrats Freiherrn von der Goltz über Maßnahmen gegen die Umgehung der Trauungsordnungen einstimmig beschlossen:
I) denjenigen Kirchenregierungen, in deren Bereiche dem Konferenzbeschlusse vom Jahre 1886 noch nicht oder doch nicht vollständig Rechnung getragen worden ist, wiederholt zu empfehlen, „geeignete Vorkehrungen zu treffen, durch welche verhütet werde, daß Nupturienten, von denen kein Teil der Landeskirche angehört und welche die Trauung nur behufs Umgehung der Ordnung ihrer Kirche nachsuchen, diese erlangen“,
Y diese Kirchenregierungen zu ersuchen, von den getroffenen Maßnahmen oder den Hindernissen solcher dem Kirchenausschuß behufs Mitteilung an die anderen deutschen Kirchenregierungen Kenntnis zu geben.
IH. Prälat D. von Sandberger⸗ Stuttgart und Generalsuperintendent, Konsistorialrat Moldenhauer⸗ Wolfen⸗ büttel referierten über das Thema Welche Stellung hat die Kirche und das geistliche Amt zur Gemeinschafts⸗ bewegung unserer Tage einzunehmen?“ Nach ein⸗
ehender Beratung, welcher die unten mitgeteilten Leit⸗
. der beiden Referenten zu Grunde ge.legt wurden, wurde in der Erwägung, daß die Leitsätze beider Referenten grundsätzlich nicht miteinander in Widerspruch stehen, die von dem Vizepräsidenten D. Freiherrn von der Goltz⸗Berlin vorgeschlagene Resolution in folgender Fassung angenommen:
„Mit Dank für die aus den beiden Referaten empfangenen Anregungen Üüberweist die Konferenz die beiden Gruppen von Leitsaͤtzen den Kirchenregierungen mit dem Ersuchen, die Ge⸗ meinschaftsbewegung mit ihrer wachsenden Organisation und Agitation wachsam im Auge zu behalten, je nach den beson⸗ deren Zuständen ihres Aufsichtsgebiets die Geistlichen anzuregen und anzuleiten, dem in ihren Gemeinden vorhandenen Be⸗ dürfnis der Gemeinschaftspflege im engeren Kreise näher zu treten, aber auch die reine Lehre des Evangeliums, die Vertrauensstellung des geistlichen Amtes und die innere Gesundheit des Gemeindelebens gegenüber den vom Auslande ungünstig beeinflußten und zur e, n, , e., führenden Strömungen unserer Tage mit Nachdruck zu schützen.“
III. Anläßlich eines Antrags des Prãsidenten des evangelischen Oberkirchenrats zu Schwerin Giese auf jähr⸗ liche Tagung der jetzt statutenmäßg nur alle zwei Jahre zu⸗ sammentretenden Eisenacher Kirchenkonferenz bezw. auf Ein⸗ berufung einer Konferenz auch für das Jahr 1905 wurde nach lebhafter Besprechung der nachfolgende Antrag des Präsidenten des Landeskonsistoriums zu Dresden von Zahn einstimmig angenommen: ⸗ . ö
„In der Etwartung, daß der Kirchenausschuß nicht an⸗ stehen wird, sobald er dies nach der Geschäftslage für angezeigt und den voraussichtlichen Wünschen der Kirchenkonferenz entsprechend hält, bei dem Vorstand der Konferenz deren Ein⸗ berufung zu einer außerordentlichen Tagung im nächsten Jahre zu beantragen, sieht die Konferenz zur Zeit von einer Aenderung ihrer Geschäftsordnung ab.“
IV. Weiter wurde die Frage des Einzel kelchs bei der Feier des heiligen Abendmahls zur Sprache gebracht und folgender Antrag des Präsidenten des preußischen evangelischen Oberkirchenrats Voigts, unter Stimmenthaltung einiger Mitglieder, angenommen: .
„Nachdem in der Konferenz seitens der bayerischen Ab⸗ geordneten die Kelchfrage zur Sprache gebracht ist, hält die Ronferenz es für geboten, in dieser wichtigen, das evangelische Deuischland gegenwärtig tiefbewegenden Frage erst Stellung zu nehmen, nachdem sie ordnungs⸗ mäßig und ausreichend vorbereitet ist. Die Konferenz wünscht tunlichste. Beschleunigung des Vorgehens in dieser Richtung und ersucht ihren Ilusschuß, dementsprechend das r, , . zu veranlassen. Inzwischen aber nimmt sie keinen Anstand, sich schon heute dahin auszusprechen, daß das Abweichen einzelner Gemeinden und ihrer Geistlichen von der bestehenden Kirchenordnung wie von der, evangelischen Gemein⸗
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sitte den ernstesten Bedenken unterliegt.“
V. Präsident D. von Zahn-Dresden und Vizepräsident Freiherr von der Goltz berichteten über die erfreuliche Eni⸗ wickelung des in Jerusalem neu eingerichteten „deutschen evangelischen Instituts für n, , , des heiligen Landes“. Die Rechnung für 1902 wurde vorgelegt, der Etat für 1904 und 1905, ge⸗ nehmigt. n Slelle des verstorbenen Präsidenten, Wirklichen Geheimen Rats D. Dr. Barkhausen wurde der Präsident des evangelischen Oberlirchenrats Voigt s⸗Berlin zum ordentlichen Mitglied und zugleich zum Vorsitzenden des Stiftungsvorstands, an Stelle des ausgeschiedenen Geheimen Kirchenrats PD. Nicolai⸗ Weimar der Geheime Oberkirchenrat D. Hansen⸗QOldenburg um stellvertretenden Mitgliede des Stiftungsvorstandes ein⸗ en gewählt. . .
Nach weiteren geschäftlichen Mitteilungen wurde die dies⸗ jährige Konferenz geschlossen.
Sätze über die Stellung der Kirche und Fes geist lichen mts zu der Gemeinfchaftsbewegung unserer Tagen.
(Von dem Prälaten D. von Sandberger in Stuttgart.)
1) Unter den Gemeinschaften, die für unsere Erörterung in Betracht kommen, verstehen wir rellgiöse Vereinigungen von Kirchen⸗ enoffen, die in kleineren, frei zufammentretenden Kreisen mit eigenen räften in selbständiger Weise gemeinsame Erbauung . Ver einigungen von Gemeindegenossen, die nur vorübergehend zur An⸗ hörung zeitweise einkehren der Reiseprediger stattfinden tragen nicht mit vollem Fecht den Namen von Gemeinschasten. Religihse Ver einigungen, die auf eigene Kirchenbildung ausgehen, sind nicht unter die Gemeinschaften zu rechnen.
3) Von den bis auf die Zeiten Speners, Zinzendorfs. Bengels, Terstegens zurückreichenden alten Gemeinschaften, die in vielen Landes- firchen' heute noch bestehen, find zu unterscheiden die neueren Gemein- schaften, die erst auf eine etwa 460 jährige Geschichte zurücksehen, aber zur Zeit fast durch alle deutschen Landeskirchen verbreitet sind und eine „bedentsame, der. Beachtung werte ECrscheinung in der neuesten deutsch⸗ evangelischen Kirchengeschichte darstellen. .
3) Bie neuere Gemeinschaftzbewegung schließt je nach ihrem Ausgangspunkte, nach den leitenden Kreisen, won denen sie bestimmt wird, auch je nach der Eigentümlichkeit des Stammes und der Landes⸗ kirche, in der sie wurzelt, je nach Auffassung und Ausprägung christlichen Glaubens und Lebens eine bunte Mannigfaltigkeit von ichtungen und Strömungen in sich. Während die alten Gemeinschaften in der Stille (ine an Wort Gottes und kirchlichen Glauben gebundene Vertiefung und Verinnerlichung ihres perfönlichen Glaubenslebens suchen, ist der neueren Gemeinschaftzbewegung ein auf die Wirkung ins große und auf die Mengen , Ausbreitungssinn und ein tat— kräftiger Organisationgtrieb eigen, getragen und beseelt von einem stark * ausgeprägten Subjektivlzmuß, der sich besonders bekundet I in einer bedenklichen Verschiebung, des Verhältniffes von Wort und Geist, 2) in einer einfeitigen Wertschätzung des Frlebnisses der Bekehrung und ebendamit der Erfahrung und des Gefühls, 3) in einer von dem Begriffe des kirchlichen Heils— glaubens abweichenden Fassung des Glaubens einerseits als einer Heilkraft, andererseits als eines gesteigerten Erfahrungsbewußtseins, d) in einem hochgespannten Heiligungs- und Vollkommenheitsbegriff, 5) teilweise in einer mit Vorliebe gepflegten Spannung der eschato⸗ logischen Erwartungen. .
I Auch in der Stellung der Gemeinschaften zu der Kirche finden weitgehende Unterschiede statt. Während die einen den ausgesprochenen Willen haben, innerhalb der Kirche zu bleiben und ihr in ihrer Weise zu dienen, sind andere gegen den Zerfall mit der Kirche wenig empfindlich, fühlen sich zur Rückfichtnahme auf Kirche und kirchliché Srdnung kaum verpflichtet und sprechen sogar die Erwartung aus, daß „bald die noch in den Landeskirchen stehenden Gläubigen sich zu den rein biblischen, d. h. von der Landes⸗ kirche befreiten Gemeinschaften zusammenschließen werden. .
5) Ünleugbar bestehen zwischen Gemeinschaft und. Kirche tiefe prinzipielle Unterschiede, die den Keim von Mißverständnissen und Reibungen in sich schließen. Gleichwohl vermag die Kirche das Berechtigte und Segensreiche der Gemeinschaften anzu⸗ erkennen, ohne das Auge gegen die, bedenklichen Abweichungen von dem objektiven Typus der christlichen Glaubens, und Lebens⸗ auffassung der ir . zu berschließen. Sie wird deshalb der Gemein⸗ schaftsbewegung nicht verurteilend und abwehrend entgegentreten, viel⸗ mehr ihrer felbständigen Entfaltung Prüfend Raum gewähren und darauf Bedacht nehmen, in richtiger Würdigung ihrer Bedeutung sie in kirchlichen Bahnen zu erhalten und ihr als einem heilsamen Gliede in dem lebendigen Organismus der Kirche fördernde Verwertung zu geben. Die Kirche wird aber auch durch zweckentsprechende Erhöhung und Steigerung der Arbeit ihrer eigenen Organe das kirchlich christ⸗ liche Leben der Gemeinden zu heben bemüht sein. ;
6) Wenn die Kirche den Gemeinschaften Verständnis und Wür⸗ digung entigegenbringt, so darf sie ihrerseits auch die Erwartung aus⸗ sprechen, daß die Gemejnschaften es sich zum Grundsatze machen, den Zusammenhang mit der Kirche fe Buhl, an ihren Glaubensschätzen sich zu nähren, an den Gottesdiensten und den Gnadenmitteln teilzunehmen, auf dat kirchliche Amt und die kirchliche Ordnung gebührende Rücksicht nehmen, namentlich in Bestellung von Gemelnschaftssprechern und Leitern, auch von Reisepredigern auf reife und er ahrene, besonnene und bewährte Männer Bedacht nehmen, die Jugend nicht der Kirche entziehen und entfremden und sich harter und berleßzender Urteile, wie sie vielfach den Mangel an geschichtlichem Verständnis entspringen, über die Kirche und 6. Ordnungen sich enthalten.
7) Das Pfarramt, dem in der Stellungnahme der Kirche zu den Gemeinschaften die schwierigste und entscheidenste Aufgabe zukommt, wird die kirchliche Ordnung seiner Gemeinde pflichttreu wahren, sich um ihre Förderung und Belebung duch Predigt, Jugendunterweisung, Seelsorge und, wo eg die Verhältnisse gestatten oder erfordern, duch Vereinstätigkeit gewissenhaft bemühen, darin aber zugleich die innere Freiheit und Berechtigung gewinnen, der Entstehung und Bildung von Gemeinschaften in der Gemeinde, frei von Vor urteil und ohne Hervorkehrung eines gesteigerten Amtsbegriffs, mit wohlwollender Aufmerksamkeit zu beobachten, ihnen die innere Be— wegungsfreiheit und Selbständigkeit zu gönnen, nach Umständen in perfönliche Teilnahme und Mitarbeit einzutreten, dabei wird aber das Pfarramt sich bewußt bleiben, daß das Amt den Geistlichen an die Hdemeinde und sie an ihn weist und daß sein Dienst unparteiisch allen Gemeindegenossen zugehört. . —
8) Bei ernstlichen, auf die große Hauptsache gerichteten Be⸗ mühungen um gegenseitig richtiges Verhalten, wie evangelischer Glaube und christliche Liebe es eingeben, werden die , daß die Gemeinschastebewegung „einen Beitrag zur Auflösung unserer Landes kirche liefere, zu überwinden sein und werden Kirche und Gemein- schaft zur Vertiefung und Stärkung des edangelischen Glaubenslebens in unseren Gemeinden in gemeinsamer redlicher Arbeit sich die Hand zu reichen vermögen. ; . . z
Ein Bruch zwischen Kirche und Gemeinschaft wäre für beide Teile verhängnisvoll, sofern er die Kirche wertvoller, geistlich ange⸗ regter Kräfte von lebendiger Frömmigkeit berauben, die Gemeinschaften aber durch den Verzicht auf den Zusammenhang mit der organisierten Kirche, in der sie ihre Wurzeln und ihre Heimat haben, auf den Weg einseitigen, erregten und verzehrenden Sektenbetriebs drängen würde.
Welche Stellung hat die Kirche und das geistliche Amt zur Gemeinschaftsbewegung unserer Tage einzunehmen?
(Leitsätze des Korreferats.)
1) Die Gemeinschaftsbewegung unserer Tage unterscheidet sich wesentlich von dem Gemeinschaftswesen früherer Zeiten, welches, aus dem Bedürfnisse der gläubigen Christen nach brüderlichem Zusammen⸗ schlusse zur Förderung des geistlichen Lebens hervorgewachsen, in den einzelnen Kirchengemeinden Vereinigungen zur Privaterbauung bildete, welche im ganzen dem Leben der Landeskirchen zum Segen zu dienen
eeignet war. 1
; 8 Durch methodistische Einflüsse angeregt, sucht die Gemeinschaftt⸗ bewegung der Gegenwart, mannigfaltige Bestrehungen und ver— schiedne, zum Teil noch unklare und unen wickelte Strömungen on sich fassend, die, welche mit Ernst Christen sein wollen, in organi— sierte Gemeinschaften zu sammeln und die einzelnen Kreise zu größeren Verbänden zusammenzuschließen, um nach innen zur Gemeinschaftspflege, nach außen zur Evangelisation der unbekehrten Volkskreise kraftvoll zu wirken. In dieser Organisation, enn auch innerbalb der Kirche sich bildend, waltet die Tendenz, sich gegen die Kirche abfuschließen, und durch eine Richtung in der modernen Bewegung, welche in dem Organiemus der Gemeinschaften, als einer Zusammenfassung derer, die dem Perrn angehören, die wahre Kirche fu die Erscheinung treten lassen will, wird die separatistische Neigung mancher Gemeinschaftskreise gestärkt. ; =
I) Diefe Srganisaison, welche über eine segengreiche Pflege der 5 der Gläubigen hinausgebende Zwecke verfolgt, be ordert in vielen Gemeinschaften,
die sich ihr angeschlossen haben, durch
den mit ihr gegebenen Abschluß nach außen Bien in der Säöneinschafis- bewegung zum Ausdrucke gebrachten, von der ö Lehre der Be⸗ kenntnisse abweichenden und für das christliche Leben ihrer Glieder ge⸗ fährlichen Sonderlehren über Bekehrung und Rechtfertigung, über die Wirksamkest des heiligen Geistes und die Erxeichbarkeit einer sittlichen Vollkommenheit, und ist geeignet, die zum Teil gesetzlichem und engen Anschauungen über das Leben des Christen, in der Wast in den Kreifen der Gemeinschaft zum Schaden derselben zu begünstigen.
4 Die Kirche, welche den von einer richtig geleiteten Gemein⸗ schaftspflege für das kirchliche und religiöse Leben des Volkes aus⸗ ge n ren Segen zu schützen weiß, muß gegen die sektiererischen, seelen⸗ gesährlichen Irrlehren in der Gemeinschaftsbewegung und, die separa⸗ kistische Bildung eines sich gegen die Kirche zusammenschließenden, die wahre Gemeinde der Gläubigen darstellen wollenden Organismus in derfelben mit geistlichen Mitteln ankämpfen, da diese Richtung das Leben und Gedeihen der Kirche zu schädigen, dem Volksleben die segensreiche Einwirkung der Kirche zu verkümmern und in der Aus⸗ wirkung ihrer Konseguenzen die Landeskirchen zu sprengen dienen muß. Dagegen wird die Kirche in richtiger Wertschätzung einer gesunden Ge⸗ melnschaftspflege stets bereit sein, der Arbeit der im Anschluß an die Kirche und. ihre. Organe sich haltenden Ge—⸗ meinschaften Raum innerhalb der Kirche zu gewähren, und wird ihre Stellung zu der organisierten Gemeinschaftsbewegung im allgemeinen davon bestimmt sein lassen, ihr zur Gewinnung und Erhaltung einer für beide Teile segensvollen Verbindung mit der Kirche zu verhelfen.
5) Zur Aufrechterhaltung der Verbindung der Gemeinschasten mit der Kirche ist es erforderlich, daß von seiten der Bewegung der Gegenwart die Gemeinschaftspflege als eine den Zwecken der Kirche dienende und die Aufgaben, des geistlichen Amtes unterstützende Sache betrieben wird und die Ordnungen der Kirche von den Ge⸗ meinschaften respektiert werden, sodaß nicht die Versammlungen derselben durch die Wertschätzung, die ihnen entgegengebracht wird, wie durch die Zeit, zu welcher sie veranstaltet werden, die Stelle der Gemeindegottesdienste einnehmen, und daß nicht für die Gemeinschaft, unter Ausschluß der Gemeinde im ganzen, besondere Abendmahlsfeiern veranstaltet werden. Auch dürfen nicht Evangelisten oder Reiseprediger der Gemeinschaft eine Predigttätigkeit oder eine Seelforgerarbeit außerhalb des Gemeinschaftskrelses entfalten ohne Vorwissen und Billigung der örtlichen kirchlichen Organe.
6) Um den Aufgaben der Gegenwart, insbesondere auch der Ge⸗ meinschaftsbewegung gegenüber, gerecht zu werden, muß die Kirche ihrersertß durch ihr Regiment. und ihr Lehramt einen immer tiefer greifenden Einfluß auf das christliche Volk auszuüben fuchen durch vermehrte und vertiefte Predigt des lauteren Wortes Gottes und fleißige Darbietung der heiligen Sakramente, und dabei durch besondere Einrichtungen des gottesdienstlichen und außer⸗ gottesdienstlichen Lebens, wie z. B. Betstunden, Bibelsprechstunden, Gemeinde, und Familienabende, das hervortretende Verlangen nach eindringender Erkenntnis der Heilswahrheit, nach wirksamer Förderung in der i n und nach inniger Gemeinschaft der Christen untereinander zu befriedigen streben, auch sich der Pflege der Erweckten und Gläubigen in besonderem Maße annehmen.
I) Das geistliche Amt, durch welches die Kirche zum wesentlichen Teile die ihr infolge der Gemeinschaftsbewegung obliegende Tätigkeit ausübt, darf sich nicht von vornherein ablehnend zu dem Gemein⸗ schaftswesen verhalten und sich in Gegensatz zu demselben stellen, aber auch der feparatistischen Richtung in der Gemeinschaftsbewegung nicht durch Mitwirkung an der sich gegen die Kirche abschließenden Organisation Förderung gewähren. In einer Gemeinde, in welcher eine Gemein schaft noch nicht besteht, hat in der Regel der Geisiliche bei dem Bedenklichen und Gefährlichen, welches sich zur Zeit in der Gemeinschasts⸗ bewegung findet, der Bildung einer neuen Gemeinschaft keine Hand reichung
zu tun, zumal die erforderliche Pflege des inneren Lebens einer Gemeinde
von dem geistlichen Amte auch auf andere Weise ausreichend dar⸗ geboten werden kann. Zu den in den einzelnen Gemeinden bestehenden Gemeinschaften muß sich der Geistliche freundlich und entgegen kommend zu stellen suchen, um, wenn auch nicht in jedem Falle die Leitung der Gemeinschaft, doch die Fühlung mit derselben zu ge— winnen und zu behalten. Dazu lst dienlich, daß der Geistliche — im steten Bewußtsein, daß se ine Amtstätigkeit der ganzen Gemeinde gehört — sich der Gemeinschaftsglieder mit Eifer seelsorgerisch annimmt, auch, wenn tunlich, sich von Zeit zu Zeit an den Ver⸗ fammlungen der Gemeinschaft beteiligt, um dieselben in Verbindung mit der Kirche zu erhalten und für das Gemeindeleben fruchtbar zu machen. Zweckmãßig kann es auch im Einzelfalle sein, zu e n Zwecke geelgnete Mitglieder der Gemeinschaft zu tätiger Mitarbeit an den Aufgaben der Kirchengemeinde — eventuell in den Ver— tretungen derselben — heranzuziehen.
8; Schließt sich dagegen eine Gemeinschaft durch ihre Verbindung mit einem der Kirche feindselig gegenüberstehenden, separatistisch ge⸗ richteten Organismus gegen die Kirche ab, oder siellt sich in bewußten Gegenfatz zu derselben, so muß der Geistliche solche Gemeinschaft allerdings fich selbst überlassen. Um aber die Möglichkeit eines Wieder anschlusses derselben an die Kirche nicht zu beeinträchtigen, hat er tunlschst nicht ein aggressives Verfahren gegen diese Gemeinschaft ein⸗ zuschlagen, fondern allzeit bereit zu sein, die Dand zu einer heilsamen Verbindung derselben mit der Kirche zu bieten und abzuwarten, ob sich nicht Mittel und Wege hierzu finden.
9) Wie im allgemeinen, so liegt dem geistlichen Amt in Rücksicht auf die Gemeinschaftsbewegung und die Erhaltung der Gemeinschaften bei der Kirche in der Gegenwart besonders ob, in der Predigt und Seel sorge die speziellen Bedürfnisse der erweckten und geförderten Christen in der Gemeinde mit treuer Hingebung zu befriedigen, und überhaupt allen Gliedern der Gemeinde das Wort der Wahrheit als Brot und Licht auf dem Lebenswege reichlich darbietend und im eigenen Wandel sich von allem weltförmigen Wesen fernhaltend, mit allen Kräften dahin zu streben, die Gemeinde durch Pflege ihres geistlichen Lebens in der Heiligung zu einem heiligen Tempel Gottes zu erbauen.
Der Vizepräsident des Provinzialschulkollegiums und des Medizinalkollegiums der Provinz Brandenburg, Geheimer Ober⸗ regierungsrat Lu anus ist im Alter von 69 Jahren gestorben. In Neu⸗Brandsleben, Provinz Sachsen, geboren, trat er im 6. 1859 als Auskultator beim Kreisgericht zu Hirschberg in den Staatsdienst. Nachdem er bei verschiedenen Gerichten und Verwaltungsbehörden beschäftigt gewesen, erfolgte 1875 seine Ernennung zum Regierungsrat bei der Landdrostei in Hannover. 1857 wurde er an die Regierung in Oppeln versetzt und 1889 zum Oberregierungsrat und Leiter der Abteilung für Kirchen- und Schulwesen in Arnsberg be⸗ fördert. In gleicher Eigenschaft war er sodann bei ben Regierungen in Potsdam und später in Erfurt tätig. Von hier aus wurde er im Jahre 1893 zum Vize⸗ präsidenten des Provinziaischulkollegiums und Medizinal— kollegiums der Provinz Brandenburg berufen. In allen diesen Aemtern hat der Verstorbene mit unermüdlicher Hingebung und aufopfernder Treue seine Pflichten auf das gewissenhafteste erfüllt. Allen Fragen, die das Gebiet der Erziehung und Jugendbildung berühren, brachte er das lebhafteste Interesse entgegen und ließ ihnen die wirksamste Förderung zuteil werden. Wegen seines schlichten Wesens und seiner wohl⸗ wollenden Gesinnung erfreute er sich in weitesten Kreisen großer Beliebtheit ünd warmer Verehrung. Sein Andenken wird unvergessen bleiben.
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dpggaefsͤhrt. 3
. . .
Sonntag etwas
B.“ sind S. M. Torpedo⸗
t Meldung des W. T. 36 ung 8. Juni in Schanghai ein—
boote „S 50“ und „Taku“ am
n. j i getroffe „Vaterland“ ist am 10. Juni
S. M. Flußkanonenboot ö . in Hankau . und verläßt heute wieder diesen Hafen.
Der Abissungstransport für die Schiffe des Kreuzergeschwaders ist mit dem . „Main“ am 11. Juni in Hongkong n hn und hat an demselben Tage die Reise nach Schanghai fortgesetzt, ;
Die abgelöste Besatzung von S. M. S. „Bussard ist mit dem Dampfer „Stuttgart“ am 9. Juni in Neapel angekommen und hat am folgenben Tage die Reise nach Genua
forigesetzt.
Sach sen.
Seine Majestät der König verbrachte die Nacht zum besser; wenn auch Atmungsbeschwerden wieder hat Alerhöchstderselbe nach ihrer Milderung doch mehrere Stunden im Lehnstuhl ruhig geschlafen. Die reichlichere Nahrungsaufnahme hat zur Hebung der Kräfte
Für den Een, war ein Aufenthalt im Freien in
lussicht genommen.
eintraten, so
Württemberg.
lach dem „Staatsanzeiger für Württemherg“ hat Seine Majestaͤt der König an den Kultusminister Dr. von Weiz⸗ säcker ein Handschreiben gerichtet, worin Allerhöchstderselbe sein lebhaftes Bedauern darüber ausdrückt, daß der mit der Schul⸗ gesetznovelle unternommene Versuch, eine Ausgleichung der Gegensätze auf dem Gebiete des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche zur Schule herbeizuführen, vorläufig ins Stocken ge⸗ raten sei; gleichzeitig spricht Seine Majestät dem Minister seinen Dank für dessen vielfache Bemühungen in dieser An⸗ gelegenheit, sowie sein volles Vertrauen aus.
Baden.
Die Budgetkommission der Zweiten Kammer stimmte, wie „W. T. B. aus Karlsruhe meldet, der von der Regierung vorgeschlagenen Steuererhöhung um 20 Prozent zu. Dafür stimmten das Zentrum und die Nationalliberalen, da⸗ gegen die Freisinnigen, Demokraten und Sozialdemokraten.
Sach sen⸗Altenburg.
Seine Hoheit der Herzog hat sich am Sonnabend von Karlsbad nach Hummelshain begeben.
Deutsche Kolonien.
In Deutsch-Südwestafrika hat, wie W. T. B.“ meldet, die Nordabteilung Zülow am 29. Mai Otawi erreicht und klärt auf Otje nga auf. Coblenz ist von Volk— mann wegen Wassermangels und Krankheit aufgegeben. Der Omuramba⸗ua⸗Matako wird durch Spione beobachtet. Häuptling Nechale soll den Posten Namutoni zerstört und den Hereros viel Munition verkauft haben. Die 9. Kompagnie, 4 unberitten in Okahandja, soll den Verpflegungsnachschub
ecken.
Oesterreich⸗Ungarn.
In Gmunden fand am Sonnabend mittag in der evan— elischen Kirche die Leichenfeier für die Prinzessin arie von Hannover in Gegenwart der Herzoglich Cumberlandschen Familienmitglieder und der fürstlichen Gäste statt. Sodann erfolgte die feierliche Ueberführung der Leiche
nach dem Mausoleum im Schloßpark.
Der Abg. Graf Albert Apponyi, der Führer der ehemaligen Nationalpartei, legte gestern, wie „W. T. B.“ aus Budapest meldet, in Jasz-Bereny vor seinen Wählern einen Rechenschaftsbericht ab, in dem er, entgegen den ver⸗ breiteten Gerüchten, über seinen Rücktritt vom politischen Leben erklärte, daß er darnach trachten werde, das Programm der ehemaligen Nationalpartei durchzuführen. Das Programm halte an der Gemeinsamkeit mit Oesterreich und dem Dualismus fest, enthalte jedoch eine besonders ausgeprägte Erweiterung des nationalen Ge⸗ dankens durch Betonung der gesonderten staatsrechtlichen Stellung des Königs von Ungarn sewie ngtionale Forderungen auf militärischem und wirtschaftlichem Gebiete. Als neuen Programmpunkt stellte Graf Apponyi die Trennung der Zoll⸗ gemeinschaft mit Oesterreich auf. Nach seiner Rede wurde die Gründung einer neuen Nationalpartei verkündet.
Spanien.
Im Senat erklärte, dem, W. T. B.“ zufolge, der Minister des Auswärtigen Sam Pedro auf eine Anfrage, daß zwischen Frankreich und Spanien bezüglich Marokkos kein Uebereinkomm en bestehe; es seien nur Verhandlungen eingeleitet worden. k
Der Ministerrat beschloß, daß in Ceuta und Melilla argbische Schulen errichtet, sowie daß für die moham⸗ medanischen und jüdischen Marokkaner E sesstndfl⸗ Schulen gegründet werden sollen.
Das Gericht in Barcelona verurteilte den Bedienten Artal, der am 12. April d. J. auf den Ministerpräsi⸗ denten Maura einen Mordanschlag verübt hat, zu 7 Jahren 4 Monaten Gefängnis.
Türkei. des Wiener „K. K. Telegr⸗Korresp. Bureaus“ seien zur erhinderung von Eisenbahn— attentaten verschiedene Maßnahmen getroffen worden. Jeder Bahnzug werde von zehn Soldaten begleitet. Alle Sendungen sollen vor der Aufgabe, womöglich außerhalb des Bahnhofs, untersucht werden.
Die Pforte bereitet, demselben Bureau zufolge, eine Mit⸗ teilung an ihre diplomatischen Missionen über ein neues Stempelgesetz vor, das am 14. Juli in Konstantinopel und am 14. August in den Provinzen in Kraft treten soll.
Serbien.
In Belgrad fand am Sonnabendvormittag das von den Schwestern der Königin Draga in der Markuskirche auf dem alten Friedhöfe veranstaltete, von 11 Geistlichen zelebrierte Requiem für den König Alexander, die Königin Draga sowie deren Brüder Nikola und Nikodem Lunjevlisch statt. Die Kirche war, nach Meldung des „W. T. B.“, dicht gefüllt, vorwiegend von Frauen niederen Standes; keine einzige politische Persönlichkeit wohnte dem Gottesdienste bei. ,
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Amerika.
Aus Washington wird der Londoner Morning Post“ berichtet, Rußland habe in nichtformeller Weise Protest da⸗ . erhoben, daß die Vereinigten Staaten von Amerika eine larke Flotte nach den türkischen Gewässern entsenden, um die Zahlung der seit langem von den amerikanischen Missionen Jeforderten 50 000 Pfund Sterling sicherzustellen.
Das Schlachtschiff der Vereinigten Staaten, Missour i⸗ ist, einer Meldung des „W. T. B.“ aus New York zufolge, gestern nach Gibraltar in See gegangen.
Infolge der Herabsetzung der Fahrpreise für die Zwischen⸗ deckfahrt über den Atlantischen Ozean hat die Einwanderung nach den Vereinigten Stagten von Amerika dergestalt zugenommen, daß, wie dem „Reuterschen Bureau“ aus New Hork berichtet wird, die Arbeit der Einwanderungsbehörden sich nahezu verdoppelt haben soll. Durch die niedrigen Fahr⸗ preise seien Einwandererelemente herbeigezogen, die den Behörden als unerwünscht gelten. Infolgedessen sei nahezu die 55 der in den letzten Tagen aus Europg eingetroffenen Zwischendeckreisenden angehalten worden; es würden erst nähere Erhebungen über ihre Verhältnisse angestellt. Wahrscheinlich würden viele von ihnen nach den Einschiffungshäfen zurück— geschickt werden.
Aus Buenos Aires meldet die „Agence Havas“, daß die Wahlkollegien, die gestern in der Hauptstadt Argentiniens und in den Provinzen versammelt waren, Manuel Quintano zum räsidenten und Joss . Alcorta zum Vizepräsidenten wählten. Die Wahlen sind in vollster Ruhe verlaufen. Die Uebergabe der Amtsgeschäfte erfolgt am 12. Oktober.
Eine in Lima abgehaltene Bürgerversammlung pro— klamierte, wie dieselbe Agentur aus Santiago (Chile) vom gestrigen Tage berichtet, Joss Pardo als lech n chen kandidaten. Pardo erklärte sich bereit, das Amt zu übernehmen.
Asien.
Einer Meldung des „Reuterschen Bureaus“ aus Tschifu vom 11. Juni zufolge berichten Briefe, die dort von fremden Geschäftsleuten in Port Arthur eingegangen sind: die russi⸗ schen Behörden seien ersucht worden, dem norwegischen Dampfer „Sentis“ zu gestatten, die fremden Nichtkombattanten aus . Arthur wegzuführen. Es werde erwartet, daß die Behörden diese Erlaubnis geben werden. Das Gesuch wird in Tschifu als ein Zeichen dafür angesehen, daß die Ein⸗ fahrt in den Hafen von Port Arthur zum Teil noch offen ist, da die „Sentis“ ein großes Schiff ist.
In St. Petersburg verlautet, wie dem „W. T. B.“ von dort in der vergangenen Nacht gemeldet worden ist, gerücht⸗ weise, daß vor Port Arthur eine große Seeschlacht statt⸗ gefunden habe. Zwei russische und vier japanische große Schiffe sollen untergegangen sein. Jedoch liegt bis jetzt noch keine amtliche Bestätigung vor.
Der vor Port Arthur kommandierende japanische General Oku hat nach Tokio berichtet, daß die Zahl der in der Um⸗ gebung von Nanschan von den Japanern aufgefundenen russischen Gefallenen sich auf 10 Offiziere und 664 Mann beläuft und daß diese von der japanischen Militärverwaltung sorgsam und mit militärischen Ehren beerdigt worden sind; außerdem wurden in der Nachbarschaft der Lagerplätze noch ungefähr 30 Gefallene von japanischen Truppen beerdigt.
Aus Söul wird dem Reuterschen Bureau“ gemeldet,
daß russische Truppen, die von Kopsan kamen, eine kleine, in der Nähe von Kopsan gelegene Stadt besetzten. Sämtliche Kosaken zogen sich nördlich von Hamheung zurück; ein Teil befindet sich noch in Songjin. Einer Meldung der „Times“ aus Tokio zufolge beläuft sich die Zahl der in japanischen Hospitälern befindlichen russischen Gefangenen einschließlich von 19 Offizieren auf 546. Hiervon sind 386, darunter 10 Offiziere, ver⸗ wundet.
Ferner berichtet das Blatt aus Tokio, daß die Subskription auf die zweite innere Anleihe am ersten Tage allein in den Städten Tokio, Osaka und JYokohama 86 Millionen Yen betragen habe. Der Kaiser habe wieder 20 Millionen Yen gezeichnet.
Das schwedisch⸗norwegische Ministerium der auswärtigen Angelegenhelten hat, wie „W. T. B.“ aus Christiania er⸗ fährt, ielegraphisch durch die Gesandtschaft in Tokio gegen die Beschlagnahme des norwegischen Dampfers „Aggi“ protestiert und der Reederei vorbehalten, Schaden⸗ ersatz für die Beschlagnahme und deren Folgen zu verlangen. Der Dampfer war von Cardiff nach Nagasaki mit einer Ladung Kohlen gekommen, die für Japan bestimmt war und in Kobe gelöscht werden sollte, wohin das Schiff an eine japanische Reederei verkauft worden war.
Aus Tschumbi meldet „Daily Mail“ vom gestrigen Tage, daß nach dort eingegangenen ausführlichen Berichten eine Anzahl geschulter und gut bewaffneter Burjaten aus * Mongolei und aus Sibirien den Tibetanern Beistand eiste.
Afrika.
Aus Tanger ist der „Times“ gestern die Meldung von einem über ganz Marokko verbreiteten, gut organisierten Komplott zur Absetzung des Sultans zugegangen. Dieses habe nichts mit dem letzten Aufstande gemeinsam, sondern habe seinen Ursprung in den gebildeten und , Klassen und werde von vielen hervorragenden Persönlichkeiten unterstützt. Der Aufstand sei vereinbart worden, bevor das englisch-französische Abkommen bekannt war; er sei durch das Abkommen jedoch verstärkt worden, da der Sultan jetzt beschuldigt werde, das Land an n . zu verkaufen. Der Sultan, dem das Bestehen der Verschwörung bekannt sei, werde vielleicht gezwungen werden, Fez zu ver⸗ lassen, und in diesem Falle wahrscheinlich nach Tanger gehen. Der Londoner Schriftsteller A. J. Dawson hat von dem in Marokko von Briganten gefangen enommenen Amerikaner Perdicaris einen Brief vom 4. d. M. aus dem Lager der Banditen erhalten, in dem Perdicaris erklärt, der Zweck seiner Gefangennahme sei, die Freilassung von Mit⸗ gliedern des Stammes Raisulis sicherzustellen, die verräterischer⸗ weise von dem Gouverneur von Tanger gefangen genommen und eingekerkert worden seien.
Parlamentarische Nachrichten.
Die Schlußberichte über die vorgestrigen Sitzungen des Reichstags und des Hauses der ö, be⸗ finden sich in der Ersten und Zweiten Beilage.
— Das Haus der Abgeordneten nahm in der heutigen G61.) Sitzung, welcher der Minister für Land⸗ wirtschaft ꝛc. von Podbielski, der Minister des Innern
reihertr von Hammerstein und der Minister für
andel und Gewerbe Möller beiwohnten, zunächst in dritter
eratung den Gesetzent wurf, betreffend die Aus⸗ , einiger Bestimmungen des allgemeinen Berggesetzes vom 24. Juni 1865 auf die Arbeiten zur Aufsuchung von Stein- und Kalisalz und von Sol⸗ quellen in der Provinz Hannover, und den Gesetz⸗ entwurf, betreffend die Erweiterung des Hafens in Ruhrort, ohne Debatte an und ging dann zur zweiten Be⸗ ratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Ver⸗ tretung des Stagtsfiskus auf den Kreistagen und bei den Wahlen für den Provinziallandtag in der Provinz Posen, über, mit der die Beratung des An⸗ trages der Abgg. Ernst und Kindler auf Vorlegung eines Gesetzentwurfs, betreffend die Vertretung der Städte und Landgemeinden der Provinz Posen auf den Kreistagen, ver⸗ bunden wurde.
Nach der Vorlage (5 1) soll das Recht, die Kreis⸗ standschaft auszuüben, dem Staate für die ihm gehörenden ländlichen Güter zustehen, soweit diese den für Rittergüter nach der Verordnung von 1830 vorgeschriebenen Erforder⸗ nissen in bezug auf Größe und Kulturzustand ent⸗ sprechen. Der Staat soll berechtigt sein, für jedes Gut dieser Art je 1 Stimme zu fuhr fn die Gesamt⸗ zahl aller staatlichen Stimmen darf 1M der im Kreistag und die . der im Wahlbezirk für die Provinzial⸗ landtagswahl überhaupt bestehenden Stimmenberechtigungen nicht übersteigen. Bei der Ausübung der Kreisstandschaft und des Wahlrechts zum Provinziallandtag soll der Staat durch Beamte, Domänenpächter oder angesehene Rittergutsbesitzer vertreten werden.
. Kommission hat den S1 dahin geändert, daß die Zahl der staatlichen Stimmen in einem weh 18 der Gesamt⸗ . der Kreistagsmitglieder, in einem Wahlbezirk für den
rovinziallandtag 1 / . der Wahlberechtigten im Stande der
Ritterschaft nicht übersteigen darf und daß der Staat sich bei Ausübung der Kreisstandschaft und bei den Wahlen zum Provinziallandtag durch Domänenpächter, Oberförster oder angesehene Rittergutsbesitzer vertreten lassen kann.
Die Kommission hat ferner einen S 12 neu hinzugefügt, nach dem die Kreisordnung für die Provinz Posen von 1828 in Ansehung der Vertretung von Stadt- und Landgemeinden, wie folgt, geändert werden soll. Jede Stadt entsendet eine Deputation; bei über 4000 Einwohnern soll auf je 4009 Einwohner eine Deputation entsendet werden, wobei Bruchteile von mehr als 1 für voll zählen. Die Zahl der Deputierten der Landgemeinden kann durch König⸗ liche Verordnung in einzelnen oder allen Kreisen bis auf sechs erhöht werden. Steht gegenwärtig einzelnen Stadt- oder Landgemeinden eine größere Zahl von Deputierten zu, so soll es dabei sein Bewenden haben.
Nach dem Antrag Ernst-Kindler soll die Regierung aufgefordert werden, möglichst bald einen Gesetzentwurf vor⸗ zulegen, durch welchen den Stadt- und Landgemeinden der Provinz Posen eine ihrer Steuerleistung und Einwohnerzahl entsprechende Vertretung auf den Kreistagen eingeräumt wird.
Die Kommission beantragt, diesen Antrag durch die Beschlüsse zu der Vorlage für erledigt zu erklären.
Von dem Abg, von Staudy (kons) und sämtlichen nicht polnischen Abgeordneten der Provinz Posen liegt ein zum größeren Teil redaktioneller Antrag vor, der nur in dem Punkte der Vertretung des Staates auf den Kreis⸗ tagen und bei den Provinziallandtagswahlen die von der Kommission vorgeschlagene fakultative Vertretung wieder be⸗ seitigen will und die obligatorische Vertretung nach der Vor⸗ lage akzeptiert.
In der Diskussion tritt
Abg. von Wentzel (kons.) für den Antrag von Staudy ein.
Abg. von Czarlinski (Pole) erklärt sich gegen das ganze Gesetz.
Abg. Ern st (frs. Vgg.) befürwortet kurz den Antrag von Staud.
Mlnister des Innern Freiherr von Ham merstein: Ich habe mich gefragt, ob das Plenum mit dem Beschluß der Kommission sich einverstanden erklären kann oder ob versucht werden soll, einen Mittelweg einzuschlagen. Ich bin aber von dieser Absicht zurück= getreten; denn G6 ist mir von hoher. Bedeutung daß dieser Gesetz entwurf im § 1 sowohl wie im § 2 von der Kommisslon, die aus Mltgliedern aller Parteien dieses Haules zusammengesetzt war, einstimmig angenommen worden ist. Die Re⸗ gierung legt Wert darauf, in ihrem Kampfe, den sie in Posen im Interesse des Deutschtums zu führen hat, nicht nur einzelne Parteien, sondern das gesamte Haus hinter sich zu haben; deswegen erklärt sie sich mit diesem einstimmig gefaßten Beschluß einverstanden.
Abg. Dr. Heisig (Sentr.) Nach den angestellten Berechnungen über die Zusammensetzung der Kreistage sowohl wie des Provinzial landtags, wie sie den neuen Vorschriften entsprechen wird, wird das. jenige, was an einer Stelle zu Ungunsten der Polen in der bisherigen Zusammensetzung verschoben wird, an anderen Stellen wieder ausgeglichen. Sind diese Zahlen zutreffend, so hätte man doch wirklich auch den einen Schritt weiter gehen können, die Kreisordnung von 1872 für Posen einzuführen. Man strebt doch ein friedliches Verhältnis zur polnischen Bevölkerung an. Die Ausdehnung des Geltungsgebiets der Kreisordnung von 1872 auf die Pro- vin; Posen ist ein berechtigtes Verlangen, dem auch an sich sogar die Staatgregierung gar nicht grundsätzlich entgegen ist. 1gö2 hat sich die Gemeindekommission entschieden für die Einführung der Kreisordnung von 1872 in Posen ausgesprochen. Immerhin müssen wir z. Zt. für die Anträge von Staudy 8
Abg. von Czarlinski: Der Vorredner sprach von Frieden. Der Minister hat aber vorhin selbst wieder von einem Kampfgesetz gesprochen. Er scheint, was uns betrifft, an daz Sprichwort gedacht zu haben: Nur die allergrößten Kälber wählen ihre Metzger selber.
Abg Gyßling (fr. Volksp); Wir müßten das Gesetz, wenn es ein Kampfgesetz wäre, ablehnen, sehen es aber als ein solches nicht an. Wenn wir für das Achtel bez. Drittel stimmen, so billigen wir damit noch nicht die Polenpolitik der Regierung.
Abg. Dr. Brandt (nl) tritt für die Anträge von Staudy ein.
Der Gesetzentwurf wird darauf in der Fassung nach den Anträgen von Staudy angenommen. Das Gesetz soll am J. Ok⸗ tober 1904 in Kraft treten.
Letzter Gegenstand der Tagesordnung ist der Bericht der 26. Kommission über den Entwurf eines Wildschon⸗ gesetzes. Referent ist der Abg. Kau te (Zentr..
(Schluß des Blattes.)
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