an die Regierungspräsidenten gerichtet worden, dahin zu wirken, daß auch die Sparkassen sich der Vermittelung der Seehandlung bedienen möchten. Ein Zwang ist nach dieser Richtung hin nicht geübt worden. Ich werde mit dem Herrn Minister des Innern nach der Richtung hin, die der Herr Abg. Graf wünscht, in Verbindung treten — selbst⸗ verständlich sollte mit diesem Erlaß die Benutzung der preußischen Zentralgenossenschaftskasse in keiner Weise eingeschränkt werden —; ich hoffe, daß er dadurch zufriedengestellt werden wird.
Dann hat der Herr Abg. Richter sich wieder als grundsätzlichen Gegner der ganzen Vorlage bekannt; ich war ja von vornherein darauf gefaßt. Ich glaube, wir werden uns alle gefreut haben, Herrn Richter wieder einmal unter uns zu sehen, ein Vergnügen, dessen wir lange haben entbehren müssen. Ich vermutete ja, daß er hierher kommen würde, denn seine Abneigung gegen die Seehandlung ist — ich hätte beinahe gesagt, ebenso alt wie er; das würde aber zu viel gesagt sein — aber so alt, wie er Mitglied dieses Hauses ist. 1869 ist Herr Richter in dieses hohe Haus eingetreten, und bereits im Dezember 1869 hat er eine ganz ähnliche Rede gegen die Seehandlung gehalten wie heute. (Heiterkeit rechts.) Ich hoffe, daß Herr Richter noch 15 Jahre diesem hohen Hause an— gehören wird, dann können wir das ho jährige Jubiläum seiner Reden gegen die Seehandlung feiern. Ich freue mich darauf.
Dann hat Herr Richter eine Anzahl Einwendungen gegen das Institut der Seehandlung erhoben. Ich muß sagen, daß er die Gründe, die für die Vorlage angeführt sind, die sich aus unserer wirtschaftlichen Lage ergeben, überhaupt nicht gestreift, geschweige denn gewürdigt hat, und das hätte er doch tun müssen, wenn er die Vor⸗ lage nach allen Seiten richtig hätte würdigen wollen.
Herr Richter hat zunächst bemängelt, daß in der Begründung der vor einigen Jahren erfolgten Erhöhung des Kapitals der Reichsbank nicht Erwähnung geschehen ist. Meine Herren, mit vollem Recht ist das nicht geschehen; denn die Tätigkeit der Reichsbank ist eine vollkommen andere wie die der Preußischen Seehandlung. Die Reichsbank hat unseren ganzen Geldumlauf zu regulieren, sie hat aber nicht die spezifische Aufgabe, für die Interessen des preußischen Staats zu sorgen. Ganz ebenso liegen die Verhältnisse bei der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse; deren Aufgabe liegt ebenfalls auf anderen Gebieten. Ich glaube, diese hat auf dem ihr zugewiesenen Gebiete der Förderung des Handwerker ⸗ und des landwirtschaftlichen Personal⸗ kredits sich hohe Verdienste erworben; es würde aber ganz fehlerhaft sein, die Tätigkeit der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse auf die Aufgaben der Seehandlung zu übertragen oder umgekehrt.
Dann hat der Abg. Richter — das hatte ich auch als sicher an⸗ genommen — wieder den Einwand erhoben, daß durch die Tätigkeit der Seehandlung die Diskontpolitik der Reichsbank durchkreuzt werde. Meine Herren, es eiben sich Gesetz und Rechte wie eine ewige Krankheit fort; aber noch mehr erben sich gewisse Be⸗— hauptungen fort. Wie oft habe ich diese Behauptung schon in Blättern der Richtung des Herrn Abg. Richter ge⸗— lesen, aber noch nie habe ich den Versuch gefunden, diese Be⸗ hauptung mit Beweisen zu belegen. Ich glaube, daß sie unrichtig ist, denn sie geht von der Annahme eines Verhältnisses zwischen den preußischen und Reichsinstanzen aus, die unzutreffend ist. Selbstverständlich setzt sich der Präsident der Seehandlung, wenn es sich um größere finanzielle Maßnahmen handelt, mit dem Präsidenten der Reichsbank in Verbindung, und selbstverständlich kann die Tätig⸗ keit der Seehandlung nicht dahin gehen, die Diskontpolitik der Reichs- bank zu durchkreuzen, und auch der Herr Präsident der Reichsbank hat uns gegenüber diese immer wieder ausgesprochene Behauptung als un— zutreffend bezeichnet. (Hört, hört! rechts.)
Dann hat der Herr Abg. Richter gesagt, die Seehandlung sei neuerdings dazu übergegangen, die Gebühren herabzusetzen und dadurch den Privatbanken eine unerwünschte Konkurrenz zu machen. Wenn das richtig wäre — vom Standpunkt des Abg. Richter, der ja immer dem freien Spiel der Kräfte das Wort redet, ließe sich die ganze Operation nicht bemängeln. Aber tatsächlich ist es nicht richtig. Allerdings hat eine Ermäßigung einzelner Gebühren stattgefunden, aber immer noch sind die Gebühren für das Depositengeschäft, für das Konto⸗ kurrentgeschäft usw. höher als die der meisten Privatbanken. Daß sich die Seehandlung als Konkurrenz⸗ oder gar als Kampfinstitut gegen die anderen Banken aufspielt und hinstellt, das wünschen wir nicht, und deshalb ist die Seehandlung in ihren Sätzen immer noch höher als die Privatbanken es sind. Nur eins haben wir allerdings getan: wir haben die Gebühren für die Beschaffung preußischer Staatepapiere aufgehoben, und ich glaube, das ist ein durchaus legales und erlaubtes Geschäft; denn daß ein preußisches Staatsinstitut für die Beschaffung preußischer Staatspapiere keine Gebühren erhebt — ich glaube, dagegen ist wohl nichts einzuwenden.
Dann ist der Abg. Richter noch mit etwas schwererem Geschütz vorgerückt. Er hat gesagt: wie soll der Präsident der Seehandlung von seinem Sessel imstande sein, die Geschäfte der Börse zu über⸗ wachen und dort die richtigen Maßnahmen zu treffen? Ja, meine Herren, vom Schreibtisch aus werden die Geschäfte der Seehandlung nicht geleitet; die Seehandlung hat ihre Beamten täglich an der Börse, in lebendigem Verkehr mit ihr, und die Geschäfte werden nicht bureaukratisch, sondern im lebendigen Verkehr geleitet, sonst würde die Seehandlung allerdings ihre Aufgabe sehr schlecht auffassen. Der Herr Abgeordnete hat gefragt: wer gibt die Gewähr für eine geeignete Persönlichkeit an der geeigneten Stelle? Gewiß, meine Herren, eine Gewähr nach dieser Richtung hin kann niemand geben, und wenn das ein Einwand gegen eine sachliche Maßnahme wäre, dann hätten wir niemals dazu übergehen können, die Eisenbahnen zu verstaatlichen; denn diese ganze Verwaltung hängt in hohem Maße davon ab, daß die geeigneten Persönlichkeiten an der Spitze stehen. Also diesen Ein⸗ wand kann man gegen eine richtige Maßnahme nicht anwenden.
Der Abg. Richter sagte dann, die Seehandlung habe nicht günstig operiert, denn sie habe bei den Effekten in einer Anzahl von Jahren große Verluste erzielt. Man muß aber doch bei dieser Betrachtung den gesammten Gewinn und Verlust gegenüber stellen. Die See handlung hat ja allerdings wie jedes andere Bankinstitut einzelne Verluste erlitten, in Summa hat sie aber ganz günstig abgeschnitten; sie hat, Gewinn und Verlust gegeneinander aufgerechnet, einen jähr⸗ lichen Gewinn von über 475 000 M an Effekten erzielt, also mehr als 1 0½ des Kapitals der Seehandlung. Das ist doch ein durchaus günstiges Ergebnis.
Dann ist der Herr Abg. Richter auf sein Hauptbedenken gekommen, indem er der Anschauung Ausdruck gegeben hat, die ganze Seehandlung stelle einen verfassungswidrigen Zustand dar, der Finanzminister sei in
der Lage, die Beamten allein anzustellen und überhaupt in einer Weise über sie zu verfügen, wie das dem Recht des hohen Hauses nicht ent spräche. Ich glaube, das sind unbegründete Befürchtungen. Wir legen Ihnen jedes Jahr einen Geschäftsbericht der Seehandlung vor, auß dem Sie ersehen können, was für Geschäfte die Seehandlung gemacht hat. Der Finanzminister ist Ihnen verantwortlich für die Geschäfte der Seehandlung und hat Ihnen nach dieser Richtung Rede und Antwort zu stehen. Der Herr Abg. Richter hat irgend welche Tat⸗ sachen nicht anführen können, daß die Seehandlung oder gar der Finanzminister Geschäfte gemacht hat, die irgendwie einen Eingriff in das Ausgabebewilligungsrecht des Hauses darstellen. Der Herr Abg.
Richter meinte, die Seehandlung könne dem Finanzminister große
Mittel zur Verfügung stellen und auf diese Weise die Zuständig⸗ keit dieses hohen Hauses einschränken. Es kam naturgemäß, wie ich es erwartet hatte, die Bezugnahme auf das Jahr 1832. Es war damals der Aufstand in Polen, und es herrschte der Krieg zwischen Belgien und Holland. Diese Bewegung drohte nach Preußen über zugreifen, und der Staat mußte mit der Möglichkeit eines Krieges rechnen. Geld war nicht da, und da hat die Seehandlung eine Prämienanleihe von 12 Millionen Talern herausgebracht und davon dem preußischen Staat 8 Millionen vorgeschossen. Inzwischen ist die Verfassung eingetreten, und nach der Verfassung darf der Staat nur Anleihen mit Genehmigung des Landtages machen. Selbstverständlich sind wir an diese Verfassung gebunden, und kein Finanzminister wird einen Verfassungsbruch begehen, indem er eine Anleihe durch Ver⸗ mittlung der Seehandlung lanziert, ohne die Genehmigung dieses Hauses eingeholt zu haben. Also auch nach dieser Richtung braucht man sich Besorgnissen nicht hinzugeben, und zwar um so weniger, als uns, wie ich nochmals betonen muß, nicht nachgewiesen werden kann, daß irgendwie in dem Geschäft der Seehandlung etwas vorgekommen ist, was den verfassungsrechtlichen und den budgetrechtlichen Bestim—⸗ mungen nicht entspricht.
Wie ich schon im Eingang sagte, ist der Herr Abg. Richter auf die Gründe, die nach Auffassung der Staatsregierung für die Vor⸗ lage sprechen, gar nicht eingegangen, und diese Gründe halte ich doch für überaus schwerwiegend. Meine Herren, die Tätigkeit der See⸗ handlung hat einen wechselnden Charakter gehabt. Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts hat sie in außerordentlichem Maße dazu beigetragen, unsere noch junge gewerbliche und industrielle Entwickelung zu fördern, und sie ist geradezu ein Pionier der aufstrebenden preußi⸗ schen gewerblichen Entwickelung gewesen. Als dann die Betriebe er— starkten und das Privatkapital zunahm, ist diese Tätigkeit der See—⸗ handlung zurückgetreten, und sie hat sich der Pflege des eigentlichen Bankfaches in höherem Maße gewidmet und den großen Aufgaben, die in immer steigendem Maße die staatliche Verwaltung an sie stellte, zu entsprechen gesucht. Meine Herren, ich brauche hier im einzelnen nicht auszuführen, wie enorm seit Mitte des vorigen Jahrhunderts die Aufgaben des Staates auch auf finanziellem Gebiet gestiegen sind, wie die Zunahme der Steuerkraft, die Ausdehnung der staatlichen Tätigkeit auf alle möglichen gewerblichen Betriebe, namentlich die Umwandlung der Privatbahnen in Staatsbahnbetriebe auch die Aufgaben des Staates auf finanziellem Gebiet ganz kolossal erweitert hat. Gestatten Sie, einige Zahlen zu wiederholen, die Sie auch in der Begründung finden. Im Jahre 1869 — damals wurde das Kapital der Seehandlung ermäßigt — betrug der Etat des preußischen Staats in Einnahme und Ausgabe ungefähr 500 Millionen, und im Jahre 1904 ist er auf rund 2 Milliarden 800 Millionen gestiegen, sodaß sich seit dem Jahre 1869 der Gesamtbedarf des preußischen Staats nahezu versechsfacht hat. Sie können sich denken, was bei einer solchen Steigerung der Tätigkeit des Staats auch an erhöhten Aufgaben der Seehandlung zugewachsen ist. Dazu kommt — und darauf hat der Herr Abg. Richter hingewiesen — die außerordentliche Ausdehnung des Markts für neue Anleihen. Im Jahre 1869 hatten wir eine Staatsschuld von rund 1 Milliarde 200 Millionen, und im Jahre 1904 war diese Staatsschuld auf rund 7 Milliarden ange⸗ wachsen. In 21 Jahren, seit der Emanation des Schuldbuchs — darauf wies Herr von Mendelssohn im Herrenhause hin — sind im Reich und in Preußen Neuemissionen von 7 Milliarden bewirkt worden; in diesen 21 Jahren ist die preußische Staats—⸗ schuld von rund 2 Milliarden 700 Millionen auf 7 Milliarden gewachsen und die des Reiches von Ro Millionen auf 3000 Millionen, also zusammen über ?7 Milliarden. Ich bemerke aber, meine Herren, daß unsere Anleihen fast alle gedeckt sind durch werbendes Kapital, namentlich durch die Eisenbahnen, während dies bei den Reichs anleihen nicht der Fall ist, wie ich doch hier hervorzuheben nicht unterlassen will.
Nun frage ich: ist eine Seehandlung mit einem Kapital von 34 Millionen imstande, derartigen großen Aufgaben zu genügen, und ist sie imstande, ihren Platz innerhalb der großen und wohl renommierten deutschen Banken noch einzunehmen? Meine Herren, seit dem Jahre 1869 haben sich die Verhältnisse nach dieser Richtung hin denn doch vollständig verschoben. Sie finden einige Daten darüber in der Begründung angegeben, die so wichtig sind, daß ich Sie bitte, sie ganz kurz hier vortragen zu können.
Meine Herren, in dem Jahre 1869 hatte die Seehandlung ein Kapital von 40 Millionen. Sie stand damals an der Spitze sämt⸗ licher Bankinstitute. Und hinter ihr kam die Bank für Handel und Industrie mit 253 Millionen, die Disecontogesellschaft mit 30 Millionen, der A. Schaaffhausensche Bankverein mit 153 Millionen. Das Kapital der Seehandlung stieg bis 1872 auf 47 Millionen, und auch die anderen Banken, die ich eben genannt habe, erhöhten in erster Linie ihr Kapital. Dann aber wurde das Kapital der Seehandlung nicht erhöht, sondern ermäßigt. Im Jahre 1882 wurde es ermäßigt auf 34 Millionen Mark, sodaß also die Seehandlung 13 Millionen Mark Kapital weniger zur Verfügung hatte als früher; und auf diesem Betrag von rund 34 Millionen ist die Seehandlung auch heute noch stehen geblieben.
Nun sehen Sie sich, bitte, dagegen die Entwickelung einiger anderer Großbanken an. Im Jahre 1872 hatte die Deutsche Bank ein Grundkapital von 45 Millionen, gegenwärtig von 180 Millionen nach der letzten Erhöhung; die Discontogesellschaft von 60 Millionen, gegenwärtig von 170 Millionen; die Dresdner Bank von 10 Mil⸗ lionen, gegenwärtig von 160 Millionen, und der A. Schaaffhausensche Bankverein hatte 48 Millionen und ist jetzt auf 125 Millionen ge—⸗ stiegen. Allein die Gruppe Dresdner Bank und A. Schaaff hausenscher Bankverein verfügen zusammen über ein Kapital von 285 Millionen. Nun frage ich Sie, meine Herren, wie diesen Mächten gegenüber eine See⸗ handlung mit 34 Millionen irgendwie noch in Betracht kommen kann. Und
im wirtschaftlichen Leben gilt nur derjenige, der aufrecht steht, nur
der wird beachtet; wenn also die Seehandlung die Position einnehmen
soll in unserem wirtschaftlichen Leben, auf die wir Wert legen müůssen, dann, meine ich, muß man dazu übergehen, ihr Kapital auch zu er.
höhen.
Ich betone nochmals, daß ich großen Wert lege auf die Erhaltung ;
des bisherigen guten Verhältnisses zwischen der Seehandlung und den anderen Banken. Aber gerade um die gebührende Achtung auch bei den anderen Banken zu genießen, um zu bewirken, daß sie auf uns
bören, um in reger Fühlung und auf gutem Fuße mit ihnen zu .
bleiben, ist es notwendig, auch die wirtschaftliche Kraft der Seehand⸗ lung durch Erhöhung ihres Kapitals zu stärken.
Meine Herren, diese ganze Verschmelzung der Banken, wie sie in den letzten Zeiten vorgekommen ist, ist nach meiner Ansicht eine durchaus nicht erwünschte. Ich bin der Ansicht und habe dem offen Ausdruck gegeben, daß ein Zusammengehen unserer grundlegenden industriellen Unternehmungen, so wie die Verhältnisse sich einmal im Auslande, namentlich jenseits des Ozeans, entwickelt haben, notwendig ist, um eine angemessene Preisgestaltung dem Auslande gegenüber zu bewirken, um das Verschleudern nach dem Auslande zu verhüten und durch eine Arbeitsteilung im Innern auf eine an—Q— gemessene, nicht zu hohe Preishaltung hinzuwirken. Das ist aller dings immer die Aufgabe, meine Herren, daß sich die großen Ver— bände ihrer Pflicht, die Preise in mäßigen Grenzen im Inlande zu halten, voll bewußt sind, und wenn sie gegen diese Pflicht handeln sollten, so würden sie sich selber die Axt an den Baum ihrer eigenen Existenz legen. Aber, meine Herren, von diesen Gründen, die für einen Zusammenschluß der industriellen Unter⸗ nehmungen sprechen, treffen wenige oder keine für die Fusion der Banken zu. Hier im Gegenteil glaube ich, daß eine allzu große Fusionierung der Banken eine Menge politisch wirtschaftlich und kommerziell sehr wertvoller Elemente ausschaltet, und daß vielfach der kleine lokale Markt durch kleine Banken besser bedient sein kann als durch größere, und deshalb würde ich mich sehr freuen, wenn diese bisher immer fortschreitende Fusionierung zum Stillstand käme Aber gleichviel; schon die jetzige Zusammenschmelzung, die jetzige Erhöhung des Kapitals der großen Banken, die ich mir erlaubt habe, Ihnen vorzutragen, beweist, daß es notwendig ist, das Kapital der See— handlung zu erhöhen, um sie einigermaßen ihnen gleichwertig zu machen. Das Wort: sint ut sant aut non sint, — trifft hier nicht zu; hier muß man umgekehrt sagen: die Seehandlung wird nur sein, wenn sie auf ein anderes Niveau gestellt wird als bisher.
Dann ist der Herr Abg. Richter auch auf die Frage der Erhöhung der Kurse eingegangen; er sagte nach dieser Richtung hin, daß unsere Kurse niedriger stehen als die anderer Staaten, rühre zum Teil von dem größeren Reichtum der anderen Länder her. Ich gebe ihm darin vollkommen recht; die Engländer und Franzosen sind gewohnt, sich mit einem geringeren Zinsfuß zu begnügen als wir. Er wies ferner darauf hin, daß durch die wieder holte Ausbringung von Reichs⸗, Staats⸗ und Kommunalanleihen der Kursstand gedrückt werde. Meine Herren, aber dagegen wird gerade meiner Ansicht nach im Reiche durch eine Einrichtung, die der Herr Abg. Richter für vortrefflich hält, am meisten gesündigt, nämlich da— durch, daß die Anleihen im Reichshaushaltsetat jedesmal aufgenommen werden müssen. Infolgedessen wird der Markt jedes Jahr im Reiche beunruhigt, während man sich in Preußen den Moment, der der günstigste für die Plazierung der Anleihe ist, aussuchen kann. Das Reich hat nur eine bestimmte Rate der Anleihe zur Verfügung, muß jedesmal an den Geldmarkt herantreten, gleichviel, ob er für die Auf⸗ nahme günstig ist oder nicht. Gerade die Entwickelung der letzten Reichs⸗ anleihe von 1903 ist wesentlich dadurch ungünstig beeinflußt worden, daß erst nach Abschluß des Etatsjahres die Anleihe herausgebracht werden konnte, in einem Momente, wo unsere ganze wirtschaftliche Entwicklung nach unten ging, wo der Diskontsatz wesentlich angezogen hatte und das Publikum abgeneigt war, seine Gelder in Staatsanleihen an— zulegen, vielmehr geneigt, sie mehr in industriellen Werten zu in— vestieren. Diese beiden Momente spielen mit, das gebe ich zu; aber dabei muß ich stehen bleiben, daß vielleicht der Hauptgrund oder doch ein wesentlicher Grund der ist, daß wir überhaupt die Pflege unseres Anleihemarktes gänzlich unterlassen haben. (Sehr richtig! Wir haben die Anleihen ausgebracht und sie einfach ihrem Schicksal überlassen, und Wind und Wetter haben dann den Stand der Kurse soweit herab— getrieben, wie das eben vielfach der Fall gewesen ist. (Sehr richtig Ich frage: ist das ein richtiger Zustand, daß die Reichsanleihe bei⸗ spielzweise um 160½ gefallen ist, daß die Reichsanleihe, die 1896 noch mit 100,30 notierte, im Jahre 1900 auf 84,90 gefallen war? Ist das ein richtiger Zustand für den kleinen Kapitalisten, für die Witwe, für den kleinen Mann, der seine paar Groschen in Anleihen des Reichs und Preußens angelegt hat? und ist das ein richtiger Zustand für den preußischen Staat, der doch darauf gefaßt sein muß, in ernsten Zeiten wieder mit erheblichen Ansprüchen an den Geldmarkt heranzutreten?
Meine Herren, es wird dem Herrn Abg. Richter ja auch bekannt sein, daß der Chef des Hauses Leo, Delbrück u. Co. kürzlich eine sehr interessante Zusammenstellung über die ganzen Anleiheverhältnisse in Preußen und den außerdeutschen Ländern veröffentlicht hat. Herr Delbrück kommt in dieser seiner sehr lehrreichen Denkschrift zu den⸗ selben Resultaten, die ich mir hier früher zu entwickeln erlaubte. Er weist darauf hin, daß der Kurs unserer Staatspapiere hauptsächlich deshalb so ungünstig ist, weil es an regelmäßigen konstanten Ab— nehmern fehle, wie sie in anderen Ländern in Sparkassen, großen Versicherungsgesellschaften usw. vorhanden sind. Meine Herren, diese Zusammenstellung, namentlich der englischen Verhältnisse mit den unsrigen, wirft auf unsere Verhältnisse ein sehr ungünstiges Licht. Wir sehen daraus, in wieviel höherem Maße man im Aus— lande seitens industrieller Werke, Banken, Versicherungègesell⸗ schaften die Verpflichtung fühlt, auch für die Allgemeinheit einzutreten und den Kurs der betreffenden Papiere des einzelnen Staates zu heben.
Nach dieser Zusammenstellung beträgt die gesamte Staatsschuld Englands 166 Milliarden; davon waren fest angelegt in Sparkassen 45 Milliarden; die Banken hatten ein eigenes Vermögen in englischer Staatsschuld angelegt von 3 Milliarden, die industriellen Gesellschaften auch von 3 Milliarden und Versicherungsgesellschaften von etwa einer Viertelmilliarde. Danach waren 104 Milliarden von 164 Milliarden in festen Händen, der Markt war damit also nicht belastet, und nur etwa 5e Milliarden mußten im Publikum untergebracht werden.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
P
zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich
132.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Nun sehen Sie sich die Verhältnisse in Deutschland an! Wir haben eine Gesamtschuld des Reichs und der Bundesstaaten annähernd in der⸗ selben Höhe wie England, nämlich etwa 15 Milliarden. Davon haben die Sparkassen insgesamt nur etwa 1 Milliarde im ganzen deutschen Reich untergebracht. Ich will auf diese Fragen nicht zurückgreifen; wir haben sie kürzlich eingehend erörtert. Ich habe nachgewiesen, daß unsere Sparkassen bei einem Gesamtvermögen von über 6 Milliarden nur etwa 600 Millionen in Reichs- und Staatspapieren angelegt haben, also etwa 1000, und daß bei einem jährlichen Zuwachs der Spar— kasseneinlagen von 330 Millionen nur 55 Millionen in Konsols an— gelegt wurden.
Ebenso, meine Herren, ist das Verhältnis der Anlagen der Banken sehr interessant. Delbrück weist darauf hin, daß die englischen Banken nicht weniger als 3 Milliarden in englischen Titres angelegt haben, und daß die 12 großen Berliner Banken, sage und schreibe, nur 30 bis 40 Millionen in Konsols und Reichsanleihe angelegt haben. (Hört, hört! rechts) Sie können sich denken, was für einen wohttätigen, befestigenden Einfluß auf den Kurs der englischen Papiere eine so kolossale Aufnahme wie von 3 Milliarden in festen Händen hat.
Sehr interessant ist auch die Zusammenstellung hinsichtlich der
industriellen Gesellschaften, namentlich der Lebensversicherungsgesell⸗
schaften. Delbrück weist darauf hin, daß 30 unserer größten Lebens— versicherungsgesellschaften bei rund 21 Milliarde Prämienreserve etwa 29 Millionen in Reichs⸗ und Staatsanleihen angelegt haben.
Das sind doch Daten meine Herren, die auf das ernsteste zu denken geben, und die vollkommen klar machen, warum bei uns der Markt einer steten Beunruhigung unterworfen ist. In England von 166 Milliarden 104 Milliarden fest angelegt und nur 5 Milliarden, wenn ich so sagen darf, flottant, d. h. im Besitze der einzelnen Kapitalisten! Bei uns von 15 Milliarden, wenn man sehr hoch rechnet, ? Milliarden fest angelegt, und 13 Milliarden bedürfen des Placements im freien Markt. Daß dann naturgemäß, weil es an regelmäßiger Nachfrage fehlt, der Kurs sehr starken Schwankungen unterworfen ist, kann keinem Zweifel unterliegen. Ich will heute auf die Frage, ob man Sparkassen und andere ähnliche Unternehmungen zur Anlegung ihrer Bestände in Konsols anhalten soll, nicht näher eingehen; wir werden uns künftig näher darüber unterhalten. Aber das ist doch unzweifelhaft, daß wir, weil so viel flottantes Material am Markte ist, ein Institut haben müssen, das den weichenden Kurs stützen kann, und deswegen muß das Kapital der Seehandlung erhöht werden.
Gewiß wird kein Finanzminister glauben können, daß eine See— handlung, wenn sie auch noch so gut dotiert ist, unter allen Umständen den Kurs der Reichs⸗ und Staatspapiere halten kann. Da sprechen wirischaftliche Erwägungen mit, die ganze Haltung des Marktes, die Neigung des Publikums, Gelder in Staats. oder Industriepapieren anzulegen oder nicht. Aber ein kräftiges, lebensfähiges staatliches Institut kann den willkürlichen Angriffen auf den Stand unserer Staatspapiere entgegentreten und die schwere Schädigung des Kurses beseitigen, die aus ganz geringfügigen Umständen resultiert. Wenn ein paar Hunderttausend Mark an Konsols auf den Markt geworfen werden, sinkt sofort der Kurs unserer Papiere, der besten Papiere auf der Erde. Ich halte es für einen ungesunden Zustand, daß so kleine Bewegungen den Kurs unserer Papiere slürzen können, und wir müssen ein Institut schaffen, das wenigstens in diesen Grenzen den Stand unserer Papiere halten kann.
Meine Herren, ich will Sie nicht mit längeren Ausführungen aufhalten; ich glaube auch, soweit ich es im Augenblick übersehen kann, das Wesentliche gesagt zu haben. Ich betone nochmals: ich halte es für eine Aufgabe des Staats, für eine Pflicht, gegen seine Untertanen, sie vor Verlusten an den eigenen Staatspapieren zu schützen, d. h. soweit das überhaupt im Machtbereich des Staates liegt. Ich halte es für eine Pflicht des Staates gegen sich selber, den Kurs seiner Papiere zu heben, und sich leistungsfähig zu halten für den Fall, den Gott verhüten wolle, daß mal wieder ernste Zeiten über unser Vater⸗ land hereinbrechen. Ich halte es deshalb für notwendig, das Kapital der Seehandlung zu erhöhen, nicht als Konkurrenzmaßregel gegen die anderen Institute, sondern als eine Maßregel, die dazu dient, die Seehandlung ebenso leistungsfähig, ebenso kräftig zu machen wie diese und sie dadurch in den Stand zu setzen, den immer steigenden Auf⸗ gaben gerecht zu werden, die die Entwicklung der ganzen Verhãltnisse an sie stellt. (Bravo! rechts.)
Abg, Freiherr von Zedlitz und Neukirch (freikons.): Der Abg Richter hat gegen den Gesetzentwurf staatgrechtliche Bedenken erhoben. Aber es liegt nicht das Mindeste vor, das die Seehandlung veranlassen könnte, Anleihen ohne die Bewilligung dieses Hauses aufzunehmen und dem Finanzminister Mittel zur Verfügung zu stellen, die er sich sonst nur im Wege der Anleihe verschaffen könnte. Die Bromberger Mühlen und die Landeshuter Spinnerei kommen gegenüber dem Hauptgeschäft der Seehandlung kaum in Betracht. Es wird behauptet, die Entwickelung zum Groß— bankbetrieb sei durch das Borsengefetz gefördert werden. In Wirklichkeit war dessen Erlaß nur eine Gegenmaßregel gegen die Konkurrenz des Auslandes auch auf dem Geld— markte. a. der wirtschaftlichen Notwendigkeit der Großbanken sind aber doch ern tliche Gefahren zu befürchten, wenn auch die Schilde⸗ rung, welche die Gesellschaft Soergel u. Parristus von der Lage der Mittelbanken gegeben hat, zu düster ist. Der Fall der Leipziger Bank hat s. 3. die schwerslen Nachteile für das wirtschaftliche Leben gehabt. Denken Sie sich, wie r die Nachteile sein würden, wenn nun eine große Bank init 300 Millionen Mark zusammenbräche! Wir müssen n gtwendig dafür sorgen, daß für den Fall einer solchen Bank— und industriellen Krisis ein Institut besteht, das zum Nutzen unseres ganzen Kapitalwesens helfend eingreifen kann. Das kann nur die Seehandlung sein, wenn sie kapitalkräftig genug gemacht wird. Es ist deshalb die Erhöhung des Kapitals auf mindesten 109 Millionen Mark notwendig, um die erforderliche Rüstung zu ge⸗ währen, wenn auf dem Bankeninarkt einmal eine schwere Krisis ein- tritt, Es ist eine verkehrte Auffassung, daß die Banken ihr apital
erhöhten, um eine größere Sicherheit zu schaffen; sie woll i Betriebsmittel vermehren. Der Hauptgrund des R,, ö.
Zweite Beilage
Berlin, Montag, den 13. Juni
Verstärkung des Kapitalg der Seehandlung ist die Befürchtung, daß sie den privaten Bankinstituten eine unangenehme Konkurrenz macht. Von einer Konkurreng könnte doch höchstens beim Depot, und Depositengeschäft die Rede sein, aber in, dieser Beziehung füllt die Seehandlung nur eine Lüdke aus, die bei unseren Privalbanken be⸗ steht. Es fehlt uns eine Zentralstelle dafür, eine staatliche Depositen⸗· bank, und es besteht seit langem der Wunsch, daß neben der Reichs bank eine Reichsdepositenbank geschaffen wird, die dem Publikum volle Sicherheit bietet. Für den Kurtzstand unserer Staatspapiere muß allerdings etwas geschehen; es sind die Papiere, denen eigent⸗ lich am wenigsten Sorgfalt zugewendet wird, nachdem sie einmal emittiert sind. In dieser Hinsicht wird man sich allerdings von der Seehandlung keine goldenen Berge versprechen können. Der Präsident der Seehandlung muß zwar mit Rücksicht auf die Tages⸗ pekulgtion, aber mit aller Vorsicht operieren, das ist eine dornen— volle Aufgabe für den Präsidenten. Viel mehr verspreche ich mir bon der Tätigkeit der Seehandlung, die darauf gerichtet ist, die anderen Bankinstitute für die Aufnahme von Anleihen zu interessieren. Herr Richter sagt, dazu gehöre keine Erhöhung des Kapitals, sondern die Intelligenz des Kopfes. Das hat schon ein halbes Dutzend mal in der Freisinnigen Ztg.“ gestanden. Bei der Auswahl der Leiter der Seehandlung müssen allerdings immer die geeigneten Personen gefunden werden, aber das ist geschehen; viele Privatbanken haben Räte aus der Verwaltung der Seehandlung in ihre, Institute berufen. Die Bedenken des Abg. Richter nach der per⸗ sönlichen Seite hin treffen also nicht zu. Wir follten un igt nicht darauf einlassen, eine Einschnürung der Seehandlung in Gesetzeß— paragraphen vorzunehmen. Ein solches Institut kann sich nur bei einer gewissen Bewegungefreiheit günstig entwickeln. Man wird nur dafür sorgen müssen, daß der Leiter der Seehandlung selbst eine gewiffe Verant⸗ wortlichkeit hat und nicht vom Finanzminister dirigiert werden kann. Heute ist der Fingnzminister nur deshalb so allmächtig, weil das Ab= geordnetenhaus sich selbst in eine falsche Stellung zu ihm bringt, wenn es immer auf neue Ausgaben drängt, so daß es fast scheint, als sei nicht das Haus, sondern der Minister der Bewilligende. Herr Richter möge gerade seine näheren Freunde nach dieser Richkung hin beeinfluffen und vor der Tür seiner eigenen Partei kehren. Wir sollen in der Budgetkommission die Notwendigkeit dieser Vorlage prüfen, aber nicht eine Menge anderer Fragen damit verknüpfen, damit noch vor der Vertagung die Erhöhung des Kapitals der Seehandlung eintreten kann, am besten sogar bis auf 150 Millionen Mark.
Abg. Dr. Friedberg (ul.): Es sind an sich sehr wichtige Fragen, die aber nicht in diefen Rahmen hineingehören, in die Debatte gezogen worden. Vom Standpunkt der Verfaffung aus ist allerdings das Institut der Seehandlung eigentlich nicht zulässig. Ez ist nicht zutreffend, daß das Geldbewilligungsrecht des Lantags durch sie nicht beeinträchtigt werde; die konftitutionellen Bedenken haben aber heute keine so große Bedeutung mehr, weil nicht an— zunehmen ist, daß die Regierung die konstitutionellen Vorschriften verletzen und die Seehandlung mißbrauchen würde, um sich Gelder zu verschaffen, die ihr vom Landtag nicht bewilligt werden. Wenn es sich darum handelte, jetzt ein solches Institut zu gründen, so würde die Vorlage vom ganzen Hause abgelehnt werden; aber wir stehen vor einer historischen Entwickelung. Die Seehandlung hat sich als Bindeglied zwischen der Finanzverwaltung und, den Privat⸗ banken wohl bewährt. Daß der Staat für die Geschäfte der See— handlung die Garantie übernimmt, ist nicht ausschlaggebend; ich bin sogar in Zweifel, ob der Staat der Sechandlung PVorschüsse geben dürfte; die Seehandlung muß vielmehr eine selbständige juristische Persönlichkeit bleiben. Gegenüber den gestiegenen Anforderungen scheint uns das Kapital der Seehandlung nicht mehr ausreichend zu sein, und mit der Erhöhung könnten manche Erfolge erzielt werden; aber man darf die Wirkung der Vorlage auch nicht überschätzen. Es fragt sich, ob die Erhöhung um 65 Millionen genügt, um Angriffe auf den Kursstand unserer Staatspaplere abzuwehren. Wenn eine Krisis im Bankwesen eintritt, wird sie verheerender sein als je, und dann wird die Seehandlung auch mit diesem Kapital nicht auzreichen, um die Krisis zu überwinden. Ein solches Institut, wie es Herrn von Zedlitz vorschwebt, können wir uns nicht schaffen. Da sich das Instituk nun einmal historisch entwickelt hat, werden wir der Vorlage zustimmen trotz einiger Bedenken, die wir in der Kommission erörtern werden.
Abg. Broemel (frs. Vag): Im Laufe der Debatte sind die Aufgaben der Seehandlung immer weiter gesteigert worden, Herr von Zedlitz will sogar eine Zentraldepositenbank daraus machen. Alle diese Zukunftsbilder werden sich in der Praxis als eitle Illusionen erweisen. Die Gründe des Abg. Richter können doch nicht so leicht abgewiesen werden, wie der Minister es getan hat. Zwar brauchen wir nicht zu befürchten, daß die Regierung den Mittellandkanal, wenn das Haus ihn ablehnt, mit Hilfe der Seehandlung bauen wird Aber solche konstitutionellen Bedenken können doch wirksam werden in Zeiten, in denen sich die Regierung mit der Volks— vertretung in Konflikt befindet. Jedes Papier muß Wind und Wetter auf dem internationalen Markt durch seine Solidität überstehen können; die Tätigkeit der Seehandlung zur Sicherung des Kursstandes unserer Staatspapiere wird nur eine sehr begrenzte sein können. Sie wird Kursstürze nicht verhindern können. Herr von Mendelssohn hat dies als sachkundiger Mann im Herrenhause ausgeführt. Es ist be— merkenswert, daß der Finanzminister auf die nachteiligen Wirkungen des Börsengesetzes und des Börsensteuergesetzes nicht eingegangen sst. Die Börse wird einfach als quantité négligeable behandelt. Wer einen stabilen Kurs der Staatspapiere wünscht, muß zuerst dafür sorgen, daß eine leistungsfähige Börse besteht. Deshalb ollte der Minister auf, eine Reform des Börsengefetzes hinwirken. Die Erhöhung des Kapitals der Seehandlung ist nur ein kleines Mittel, und diese Erhöhung wird für den gewollten Zweck nicht ein⸗ mal ausreichen. Der Minister wirft dem Abg. Richter seine alte Gegnerschaft gegen die Seehandlung vor. Alte Liebe rostet nicht, und alte Abneigung soll auch nicht roften. Die Rede Richters von 1869 bereitete wirksam die damalige Herabsetzung des Kapitals der See⸗ handlung vor; ich könnte zufrieden sein, wenn seine heutige Rede die⸗ selbe Wirkung hatte. Man sollte lieber erst die Seehandlung auf eine mit der Verfassung übereinstimmende Basis stellen.
Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:
Nur wenige Worte. Ich will mich nicht auf die ganze Sache einlassen, möchte aber gegen zwei Bemerkungen des Herrn Abg. Broemel meinerseits polemisieren.
Der Abg. Broemel sagt, ich hätte die Börse als eine quantits négligeable behandelt, und er vermißte, daß ich mich über das Börsengesetz und Börsensteuergesetz ausgelassen habe. Ih habe weder in der Vorlage noch in meinen heutigen Ausführungen von der Börse gesprochen und muß dagegen Einspruch erheben, daß ich sie als quantité négligeable behandelt habe. Wenn ich mich über das Börsengesetz und das Börsensteuergesetz nicht ausgelassen habe, so ist der Grund sehr nahe liegend; ich tat es nicht, weil hier nicht der Ort ist, diese Fragen zu erörtern; diese Fragen gehören in den Reichstag, nicht hierher.
Dann hat der Herr Abg. Broemel gesagt, ich hätte der Seehandlung eine unmögliche Aufgabe zugemutet, indem ich
Preußischen Staatsanzeiger.
1904.
ausgesprochen hätte, sie solle die Kurse stabilisieren. Ich habe im Herrenhause wie hier ausdrücklich erklärt, daß es unmöglich die Aufgabe der Seehandlung sein könne, maßgebend auf die Kurse einzuwirken, daß die Kurse von allgemeinen volkswirtschaftlichen Er⸗ wägungen und allgemein volkswirtschaftlichen Situationen abhängen, daß aber, soweit die Seehandlung eine Einwirkung hier üben könne, sie wohl in der Lage sei, willkürlichen Eingriffen in die Entwickelung unserer Kurse entgegenzutreten. Die letztere Behauptung muß ich aufrecht erhalten.
Abg. Dr. Arendt (freikons.): Die Ausführungen der Abgg. Richter und Broemel bestärken uns darin, daß die Vorlage das Richtige trifft. Die Illusionen sind gerade auf seiten' des Herrn Broemel, der Zweck und Ziel der Verlage verkennt. Er sieht ein besseres Mittel in der Aenderung des Börsengesetzes. Ich fürchte, dann würden wir den Teufel mit dem Beelzehub. austreiben. Wenn wir eine im Sinne des Abg. Broemel leistungsfähige Börse schaffen, fo schaffen wir feine leistungsfähige Volks wirtschaft, und diese ist doch die erste Voraug— setzung für die Kraft und Stärke der Börse und für die Ge— staltung der vaterländischen Finanzen. Herr Broemel erwartet bon der Vorlage keine Verminderung der Kursschwankungen, aber Herr Richter führte die Kursschwankungen auf das Verdrängen der Kulisse durch das Börsengesetz zurück; nun, die Seehandlung j mit ihrem vermehrten Kapital ganz 666 wie die Kulisse wirken, d. h. in das tägliche Geschäft eingreifen. Man muß bis 1832 zurückgehen, um einen Mißhrauch der Seehandlung nachweisen zu können. Das ist der beste Beweis dafür, daß die e,, der Freisinnigen unbegründet sind. Und wie haben sich feit 1837 unfere Ver— hältnisse geändert! Heute ist ein Mißbrauch nur bei einem BVerfassungsbruch möglich, und unter einem Verfassungsbruch ist eben alles möglich. Herr Broemel hat bei seiner Neigung für das Wasser darauf hingewiesen, daß der Mittellandkanal mit ilfe der Seehandlung gebaut werden könne. (Abg. Broemel?! Dag Gegenteil) Ja, Sie haben das allerdings nicht gesagt, aber es kann Heißsporne geben, welche dem Mittellandkanal zuliebe vielleicht die Verfassung in Frage stellen, möchten. Die Großbanken haben ihr Kapital nicht erhöht, um Sicherheitsfonds zu haben, fondern um ihre Unternehmungskraft auszudebnen, und deshalb sind sie eher weniger sicher als vorher. Den großen Bewegungen des Geldmarktes ent- gegenzuwirken, ist gar nicht Zweck dieser Vorlage; aber es fragt sich, ob nicht die kleinen künstlichen Schwankungen hintangehalten werden können, wenn z. B. die kleinen Banken einmal den Staat ihre Macht fuͤhlen lassen wollen. Es kommt für die Seehandlung ja nicht darauf an, das ganze Angebot an Staatspapieren aufzunehmen, sondern nur die Differenz zwischen Angebot und Nachfrage, und das wird dazu beitragen, die Kursschwankungen zu vermeiden. Finanzielle Bedenken gegen die Vorlage find von keiner Seite geltend gemacht worden. Es kann nicht verkannt werden, daß Kosten dem Staate durch die Erhöhung des Kapitals überhaupt nicht erwachsen. Die Verjinsung des vermehrten Kapitals wird eingebracht werden, ; während der Staat durch die Deckung feiner Staatspapiere einen Vorteil hat. Auch ich trete dem Wunsche bei, daß die Seehandlung 6 errichten möge. Von einer Konkurrenz zwischen der See
andlung und der Reichsbank kann doch nicht gesprochen werden, da die Tätigkeit der Reichsbank auf, einem anderen Gebiete liegt. Auch die Seehandlung und die Preußische Zentralgenossenschaftskasse sollen sich nicht Konkurrenz machen; das Endziel wird fein müssen, beide Institute zu verbinden und einer gemeinsamen Oberleitung zu unterffellen. Die Hauptursgche für den niederen Fursstand unferer Staats papiere bilden die Verhältnisse des internationalen Geldmarktes, nicht Ürfachen des inländischen Marktes. Anscheinend sind die Folgen des Burenkrieges jetzt in England überwunden, und das wird auch auf Deutschland zurückwirken. Abg. Richter fagte, die Seehandlung habe wiederholt an ihrem Effektenkonto BVerluste gehabt; gibt es bei uns eine einzige Bank, bei der in jenen Jahren nicht dasselbe der Fall gewesen wäre? Darum sind Banken und Publikum den Staatspapieren entfremdet. Nebenwerke, wie die Seehandlung sie hat, besttzen auch fast alle Privatbanken, ohne in ihrer Leitung geschädigt zu werden. Wenn die Seehandlung durch die Ausbreitung des Depositengeschäfts mit den Privatbanken in Konkurrenz tritt, so kann das doch dem Publikum nur zu gute kommen. Es ist auffallend, daß eine Partei, die sonst die Interessen des Volkes und der Konsumenken vertritt, hier beim Gegensatz zwischen Kapital und Börse einerseits und Konsumenten anderseits nicht für die Konsumenten eintritt. Die konstttuttonellen Bedenken sind mehr theoretischer als praktischer Art. Auch die Art, wie Abg. Richter gegen die Vorlage sprach, wich in der Schärfe wesentlich von seinen früheren Reden, z. B. von der gegen die Bildung der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse, ab. Darin hat er allerdings recht, daß wir uns jetzt in der entgegengesetzten Richtung bewegen wie 1869. Die wirtschaftliche Entwickelung hat ung über den manchesterlichen Standpunkt hinaus zu der Erkenntnis geführt, daß wir die Eingriffe des Staats in die wirtschaftliche Sphäre nicht entbehren können, n, n . hoffe ich, daß wir zu einer Annahme der Vorlage kommen werden.
Darauf wird der Gesetzentwurf der Budgetkommission überwiesen.
Es folgt dann noch die einmalige Beratung der Be⸗ richte über Reisen zum Studium der in an deren Bundesstaaten und im Auslande getroffenen Maß⸗ nahmen zur Förderung des Kleingewerbes.
Den Bericht über die Reise in Oesterreich Ungarn hat der Geheime Qberregierungsrat Simon, den Bericht über die Reise in England der Geheime Oberregierungsrat Dönhoff und den Bericht über die Reise in Württemberg, Baden, Elsaß⸗Lothringen und der Schweiz der Geheime Regierungsrat Dr. von Seefeld erstattet. Die verstärkte Kommission für Handel und Gewerbe beantragt, die Berichte durch Kenntnis—⸗ nahme für erledigt zu erklären.
Berichterstatter Abg. Jacobskött er (kons.) bemerkt, in England werde das Fachschulwesen weniger vom Staate als von Vereinen, Privatpersonen und mit Hilfe von Stiftungen gepflegt und könne in mancher Beziehung als Vorbild dienen. Auch Oesterreich stehe in bezug auf den gewerblichen Unterricht weit über Preußen, wenn man die Höhe der staatlichen Aufwendungen im Verhältnis zur Einwohner zahl vergleiche. Mit den Lehrwerkstätten habe man in Oesterrei nicht erreicht, was man erreichen wollte, aber in den Meisterkursen se man uns voraus; es würden zu den Kursen dort nur solche Meister zugelassen, die nicht nur selbst etwas lernen wollten, sondern zugleich auch noch andere etwas lehren könnten. Außerdem fehle uns auch eine Zentralstelle, wie man sie in Oesterreich habe. .
Berichterstatter Abg. Rosenow (fr Volksp.) hebt die Tätigkeit und Organisation der Gewerbevereine in Helen ervor. In Württem⸗ berg sei auch der bw, , ge. in die en,, auf⸗ genommen, die konfesslonell getrennt seien. Der Fortbildungsunter richt in Hessen, Württemberg und Baden finde bei Tage statt; in Baden würden den Lehrlingen sogar zwei . dazu frei⸗ gegeben. In der Schweiz würden die Schulen vom Bunde unter stützt. In Baden sei der ,,, fast a obligatorisch. Mit dem geme 6. Unterricht von Knaben und seien gute Erfolge erzielt. In der Schweiz richte sich der Unter⸗