pflichtet, demgegenüber Schritte zu tun? Dies ist die Frage, die für den Reichskanzler allein in Betracht kommt, in diesem Sinne hat er die Beantwortung der Interpellation übernommen, und in dieser Be⸗ schränkung werde ich mich auf die Interpellation auch nur äußern.
Meine Herren, ich muß, bevor ich auf die einzelnen Punkte ein⸗ gehe, den Inhalt des preußischen Gesetzes klar stellen; denn nach meiner Meinung hat der Herr Vertreter der Interpellation das nicht in einer Weise getan, die ich als richtig anerkennen kann. (Sehr richtig Eine gewisse Entschuldigung muß ich ihm dabei allerdings zubilligen; denn der Entwurf des preußi— schen Gesetzes ist schwer zu verstehen. (Große Heiterkeit.) Er ist richtig zu würdigen nur im Zusammenhange mit den Motiven und mit den Ausführungen, die in der eisten Lesung im preußischen Abgeordnetenhause gemacht worden sind. Hätte der Herr Vertreter der Inteipellation die Ausführungen im preußischen Abgeordneten⸗ hause und die Motive sorgfältig durchgelesen, dann, glaube ich, würde allerdings auch er über die Absichten der preußischen Regierung nicht zweifelhaft gewesen sein können.
Meine Herren, was der preußische Gesetzentwurf unter Strafe stellen will, ist folgendes: Er will Strafe eintreten lassen: erstens, wenn jemand einen Arbeiter, der bis dahin zu landwirtschaft— lichen Zwecken oder mit Gesindedienstverrichtungen beschäftigt war, und von dem er weiß, daß er aus seinen bisherigen Vertragsverhältnissen gesetzwidrig unter Kontraktbruch ausgeschieden ist, wiederum zu landwirtschaftlichen oder Gesindezwecken verwenden will. Es ist nicht die Absicht des Entwurfs, die Be⸗ schäftigung solcher Leute, die in der Landwirtschaft oder im Gesinde⸗ dienst kontrakibrüchig geworden sind, außerhalb des landwirtschaftlichen Betriebes und außerhalb des Gesindedienstes unter Strafe zu stellen. Das geht aus dem Wortlaut des Gesetzentwurfs nicht so klar hervor. (Hört! hört! und Zurufe links) — Meine Herren, ich bin, wie ich glaube, Ihnen gegenüber immer objektiv gewesen, ich beurteile aber auch ebenso unbefangen die Stellung und Erklärungen der Regierungen, insbesondere hier der preußischen Regierung. — Ich sage also: das geht nicht mit der Deutlichkeit aus dem Entwurfe hervor, wie ich es allerdings bei einem Strafgesetz für geboten halte, und es wird sich darum handeln, nach dieser Richtung hin den Gesetz⸗ entwurf anders zu redigieren. Ich glaube aber, daß die Herren, wenn sie gerecht sein wollen, auch wohl die Motipe und die Verhandlungen des Abgeordnetenhauses lesen können (sehr richtig! rechts) und nicht den Entwurf beurteilen lediglich nach dem formellen Wortlaut, sondern nach dem, was die preußische Regierung beabsichtigt hat. (Sehr richtig! rechts. Lachen links.)
Zweitens will der Entwurf unter Strafe stellen denjenigen, der in gewinnsüchtiger Absicht, also ohne daß dabei eine gewerbliche Betriebsweise in Betracht zu kommen braucht, die Vermittelung über⸗ nimmt, daß ein Arbeiter, der bis dahin zu landwirtschaftlichen oder zu Ge⸗ sindezwecken verwendet wurde, der, wie der Vermittler weiß, kontraktbrüchig ist, in einer anderen Stellung wiederum zu landwirtschaftlichen oder zu Gesindezwecken engagiert wird. Auch hier bleibt der Gewerbebetrieb, die Verwendung des Arbeiters zu Gewerbezwecken ganz aus dem Spiel. Aber es soll auch nicht bloß bestraft werden der Stellen⸗ vermittler, der ein solches Gewerbe betreibt, sondern auch derjenige Stellenvermittler, der nur gelegentlich, aber in gewinnsüchtiger Ab—⸗ sicht es tut. ;
Drittens, meine Herren, soll bestraft werden, wer zu Kontrakt⸗ bruch verleitet.
Die Frage, meine Herren, ist also die: wie steht der Herr Reichskanzler zu einem Gesetzentwurf, der von seiten eines Bundes—⸗ staats verfolgt wird, dieses Inhalts? Ich kann die Auffassung des Herrn Reichskanzlers in zwei Sätze zusammenfassen.
Erstens nach der gegenwärtigen Lage der Reichsgesetzgebung kann der Landesgesetzgebung nicht verwehrt werden, in den von mir be— zeichneten, in dem preußischen Gesetzentwurf näher entwickelten Be— ziehungen mit strafrechtlichen Bestimmungen vorzugehen.
Zweitens, der preußische Gesetzentwurf ist, insofern er diese Ab— sicht verfolgt, mit dem Reichsrechte durchaus vereinbar und kann dem Herrn Reichskanzler keine Veranlassung geben, eine Verletzung des Reichsrechts zu besorgen. Es ist aber die Grenze zwischen dem Reichs recht und zwischen dem Landesrecht, zwischen der Kompetenz der Reichs⸗ gesetzgebung und der Landesgesetzgebung in dem Entwurfe nicht an allen Stellen mit der Deutlichkeit gezogen, die gewünscht werden muß (hört! hört! bei den Soz), und nach dieser Richtung hin bedarf der Entwurf einer (Hört! hört! bei den Soz.) — Meine Herren, die Worte, die Sie soeben mit Ihrem Hört! hört! begleiten, wiederholen nur etwas, was durchaus bekannt ist, was bereits Gegen⸗ stand der Verhandlung im preußischen Abgeordnetenhaus gewesen ist, was von dem Herrn Redner aus der Mitte des Hauses hervorgehoben wurde, und was von der preußischen Regierung durch den Mund des preußischen Herrn Justizministers auch anerkannt wurde. Es ist also nichts Neues, es ist eine Kritik, die von seiten der preußischen Regierung als berechtigt anerkannt wird. Es gelingt ja auch uns manchmal der eine Gesetzentwurf weniger gut als der andere, man ist dann bereit, wenn man das ein— sieht, zu ändern, und ich sehe nicht ein, warum es bei Ihnen Ver— wunderung erregt, wenn ich das in einem Einzelfall hier konstatiere.
Meine Herren, was die Einzelheiten betrifft, so habe ich keine Veranlassung, heute darauf einzugehen; ich glaube auch nicht, daß es im Sinne des Hauses läge, wenn ich das täte. Es steht fest, daß der Entwurf in seinen Einzelheiten Abänderungen erfahren wird; wir wissen, daß er in der ersten Form, in der er uns vorliegt, nicht Gesetz werden wird, wir wissen aber nicht, in welcher Form er aus der weiteren Beratung hervorgehen wird, und solange wir das nicht wissen, kann der Herr Reichskanzler den Einzelheiten gegenüber nicht Stellung nehmen. Es versteht sich aber für ihn von selbst, daß er den weiteren Verlauf dieser legislatorischen Arbeit verfolgen wird, und er wird als preußischer Ministerpräsident genugsam Gelegenheit haben, auch in den Einzelheiten die Stellung des Reichs zu wahren.
Etwas mehr, meine Herren, muß ich nach den sehr ausführlichen Ausführungen des Herrn Vertreters der Interpellation zu der allge— meinen Frage sagen über die Berechtigung der Landesgesetzgebung, überhaupt auf diesem Gebiet mit strafrechtlichen Bestimmungen vor⸗ zugehen. In dieser Beziehung kann ich zunächst nicht umhin, meiner Verwunderung darüber Ausdruck zu geben, daß in der Interpellation nur · Anstoß genommen wird an dem gesetzgeberischen Versuche, der jetzt in Preußen unternommen wird, während zahlreiche Gesetze gleichen Inhalts oder wenigstens ähnliche Gesetze, die durchaus auf derselben
Rechtsgrundlage beruhen, die mit dieser Rechtsgrundlage stehen und fallen, weder in der Interpellation selbst noch von dem Vertreter der Interpellation berührt worden sind. An einer Stelle seiner Rede hat der Herr Abgeordnete zwar auf andere Gesetze Bezug genommen, aber seine Ausführungen gingen im wesentlichen darauf hinaus, den preußischen Richtern den Vorwurf der Unzuverlässigkeit zu machen. Darauf gehe ich, wie gesagt, nicht weiter ein, ich überlasse das dem Urteil des. hohen Hauses. Aber, meine Herren, die Frage ist wohl an die Herren Interpellanten berechtigt: weshalb richtet sich denn die Interpellation nur gegen einen Entwurf, der jetzt in Preußen vorliegt, von dem man noch nicht einmal weiß, ob und wie er Gesetz werden wird (Zurufe von den Sojialdemokraten), während eine ganze Reihe von Landes— gesetzen teils seit längerer und teils seit kürzerer Zeit besteht, die durchaus auf demselben Rechtsboden beruhen und die gleichfalls an⸗ gegriffen werden müßten von den Herren Interpellanten, wenn sie konsequent in ihrem Vorgehen wären. (Sehr richtig! rechts, lebhafte Zurufe von den Sozialdemokraten, Glocke des Präsidenten.)
Wenn man die gegenwärtige Interpellation liest — und in dieser Hinsicht möchte ich nun doch auch den Herren Interpellanten ebenso einen Vorwuif machen, wie er in meiner Kritik des Entwurfs liegt —, so leidet sie in diesem Punkte mindestens an einer Unklarheit. Denn wer über den Rechtszustand in Deutschland nicht näher unterrichtet ist, kommt notwendig zu der Annahme, als sei dieser preußische Ent— wurf ein erster Versuch, auf diesem Gebiete neben der Reichsgesetz⸗ gebung mit gesetzgeberischen Maßregeln vorzugehen (Widerspruch bei den Sozialdemokraten), ein erstes Attentat — um im Sinne der Herren Interpellanten zu reden gegenüber dem Reichsrecht. Dieser Eindruck muß bei jedem hervorgerufen werden, der nicht genau unterrichtet ist über die Lage unseres Rechts im Reich und in den Einzelstaaten, und wenn diese Meinung hervorgerufen wird, dann wirkt sie natürlich in weiten, auf dem Gebiete des Rechts zu einem Urteil nicht berufene Kreise beunruhigend und verwirrend. Und daß diese Wirkung durch die Art der Fassung der Interpellation ein—⸗ treten kann, bedauere ich lebhaft. Wie liegen denn, meine Herren, die Dinge in Deutschland? Sowohl auf dem Gebiete des Gesinde— rechtz wie des landwirtschaftlichen Arbeiterrechts haben wir in den Bundesstaaten eine Reihe bon Bestimmungen, die gerade so haltbar sind, wie der preußische Gesetzentwurf halibar ist, und vom Stand⸗ punkt des Reichsrechts gerade so beurteilt werden müssen, wie diese. Wir haben Vorschriften über das Gesinderecht, die in dieselbe Kerbe einschlagen wie der preußische Entwurf, in einzelnen Teilen Preußens, in Bayern, in Sachsen, in Hessen, in Mecklenburg, in andern, kleineren Staaten; wir haben Bestimmungen auf dem Gebiete des landwirt— schaftlichen Arbeiterrechts ähnlicher Art bereits in Preußen, in Bayern, in Mecklenburg, in Braunschweig, Anhalt und in noch kleineren Staaten. Nicht genau so sind die Bestimmungen, wie mir zugerufen wird, wie die vorliegenden — das gebe ich zu, das habe ich auch nicht be—⸗ hauptet —, sondern ich habe gesagt: sie beruhen auf demselben Rechts—⸗ boden; nur wenn die preußischen Bestimmungen zulässig sind gegen über dem Reichsrecht, sind diese auch zulässig, und sind die preußischen nicht vereinbar mit dem Reichsrecht, so können auch die bestehenden bundesstaatlichen Gesetze mit dem Reichsrecht vereinbart werden. Wer also auf diesem Gebiete in einer Weise vorgehen will, daß er konse⸗ quent und erschöpfend die Befugnisse der Reichsgewalt gegenüber der Landesgewalt klarstellt, der verhindert, daß im Volke Irrungen und Mißverständnisse über die Rechtslage entstehen, der muß in eine solche Interpellation aufnehmen sämtliche Bestimmungen, die hier aus dem Recht der verschiedenen deutschen Staaten einschlagen. Das ist in dieser Inteipellation nicht geschehen, meine Herren. Ich verstehe freilich wohl, weshalb das nicht geschehen ist: dann hätten die Herren Interpellanten doch mit der Tatsache nicht zurückhalten können, daß eine große Anzahl nicht anfechtbarer Judikate der höchsten Gerichtshöfe vorliegen, die einwand⸗ frei feststellen, daß die Gesetzgebung der einzelnen Bundesstaaten auf diesem Gebiet mit Rücksicht auf das Reichsrecht nicht beanstandet werden kann. Was nach dieser Richtung in den einzelnen Staaten für das jetzt schon bestehende Recht gilt, das werden Sie auch zugestehen müssen für dat jenige Recht, das jetzt in Preußen eingeführt werden soll.
Nun, meine Herren, hat der Herr Vorredner bei der näheren Begründung der Interpellation zunächst mit recht allgemeinen Aus— führungen gegen den preußischen Entwurf gekämpft. Er hat aus dem Geiste der Reichsverfassung und aus den Prinzipien und dem Geiste des Freizügigkeitsgesetzes herleiten wollen, daß der Entwurf der preußischen Regierung unvereinbar mit diesem Geiste sei. Meine Herren, ich erkläre von vornherein, daß ich mich auf solche Deduktionen nicht einlasse. Ich verlange konkrete Behauptungen, die sich auf bestimmte Gesetzesvorschriften stützen, und bin bereit, sie zu widerlegen. Aber wenn Sie anfangen, mit dem Geiste eines Gesetzes zu operieren, dann ist es genau so wie bei dem Dichter; gewöhnlich ist es der eigene Geist, den man im Auge hat. Ich werde auf solche Ausführungen nicht eingehen. Was das Freizügigkeitsgesetz betrifft, so weiß ich überdies wirklich nicht, wie nach dieser Richtung hin auch bei der weitherzigsten Auslegung seines Geistes dieser in Verbindung gebracht werden kann mit der gegenwärtigen preußischen Vorlage. In dieser Beziehung habe ich den Herrn Vorredner absolut nicht zu verstehen vermocht. (Sehr richtig! rechts.)
Dann, meine Herren, hat sich der Herr Vorredner berufen auf eine Denkschrift aus einem preußischen Ressort, die namentlich die Kontraktbruchsregelung auf dem Gebiete des Landesrechts als un— vereinbar bezeichnet mit dem Reichsrecht, und auf die Aeußerungen zweier preußischer Minister, des früheren Finanzministers von Miquel und des früheren Landwirtschaftsministers Freiherrn von Hammerstein, die beide diese Fragen in das Reichsrecht verwiesen hätten. Meine Herren, in dieser Beziehung wird es den geehrten Herrn Vorredner vielleicht interessieren, daß der Standpunkt, den die Herren von Miquel und von Hammerstein in gelegentlichen Aeußerungen — wie es scheint, im Hause der Abgeordneten; ich erinnere mich der Stellen im Augenblick nicht — also in parlamentarischen Beratungen eingenommen haben, von ihnen nicht erwähnt und vertreten worden ist in den Verhandlungen im Schoße der preußischen Regierung über diese Frage. Die preußische Regierung hat, wie ich glaube, Anlaß zu der Annahme, daß die Auffassung der genannten preußischen Minister nach ihrer Haltung in den Beratungen im Schoße der Regierung durchaus harmoniert mit der Stellung der preußischen Regierung, die gegen— wärtig den Gesetzentwurf eingebracht hat. Ich möchte das nur er— wähnen. Auf gelegentliche abgerissene Aeußerungen, meine Herren, im Parlament kann man ja nicht entscheidendes Gewicht legen, und die Herren sind auch nur geneigt, dann Gewicht darauf zu legen, wenn
es ihnen paßt; sonst gehen sie darüber sehr leicht hinweg. (Zurufe bei den Sozialdemokraten, — Das, meine Herren, als Vorrede.
Ich komme nun zu den einzelnen Gesetzen, die der Herr Ver— treter der Interpellation hier als verletzt bezeichnet hat. Da ist dag erste die Gewerbeordnung. Meine Herren, ich will kein Gewicht darauf legen, daß das preußische Gesetz formal, wie das auch ja der preußische Herr Justizminister — nach meiner Meinung juristisch durchaus mit Recht — im Abgeordnetenhause hervorgehoben hat, einen Eingriff in die Gewerbeordnung nicht enthält; denn die Ver— mittelung von Stellen kann auch nicht gewerbsmäßig be. trieben werden, und et soll hier die gewerbsmäßige und die nicht. gewerbsmäßige Vermittelung derartiger Geschäfte gleichzeitig getroffen werden unter der Voraussetzung, daß derjenige, der sich diesem Ge— schäfte hingibt, sich dafür einen Vorteil ausbedingt. Was sich aber derjenige, der kein Gewerbe betreibt, an allgemeinen Gesetzez— verpflichtungen gefallen lassen muß, meine Herren, das muß sich der Gewerbetreibende auch gefallen lassen, soweit die Gewerbeordnung nicht etwas anderes vorsieht. Das ist ein altes Axiom, das ich hier nicht zu beweisen brauche. Aber ich will mal auf den Gedankengang der Interpellanten oder vielmehr des Herrn Vertreters der Inter, pellation — ich weiß ja nicht, wie weit die anderen Herren mit ihm darin einverstanden sind — eingehen, ich will mal sagen: es handelt sich hier um eine Frage des gewerblichen Rechts, und da fragt es sich denn: Welche Bestimmungen der Gewerbeordnung sind durch diese Regelung, die in Preußen beabsichtigt wird, verletzt worden?
Da hat der Herr Vorredner zunächst den 51 der Gewerbe— ordnung angeführt und hat behauptet, wie das ja auch in der Presse vielfach geschehen ist, daß dieser Paragraph den Betrieb der Gewerbe in ganzem Umfange freigebe, und daß die Landesgesetzgebung, über— haupt das Landesrecht außerstande sei, Einschränkungen vorzunehmen bezüglich des Betriebes, soweit nicht die Gewerbeordnung das aus- drücklich gestatte.
Meine Herren, ich muß diese Auslegung des 5 1 der Gewerbe— ordnung als eine vollständig irrige bezeichnen. Der §1 der Gewerbe— ordnung hat nur den Zweck — und darin hat die Praxis von jeher übereingestimmt, und die Rechtsprechung in Preußen, in Bayern, in allen Staaten, bis in die oberste Judikatur hinein hat den Standpunkt immer festgehalten — der 5§5 1 hindert nicht, daß Betriebsregelungen vorgenommen werden darch das Recht der einzelnen Staaten, die in die gewerbliche Tätig. keit unmittelbar eingreifen, diese Tätigkeit beschränken. Der § 1 hindert, daß jemand von der Zulassung zum Gewerbe⸗ betrieb durch Landesrecht ausgeschlossen wird; es hat im wesentlichen eine historische Bedeutung. Das, meine Herren, ist für jeden ohne weiteres klar, der sich zu erinnern vermag, in welche Rechtszustände die Gewerbeordnung eingriff, als sie erlassen wurde, und welche Barrieren und Hindernisse damals beseitigt werden mußten, um die Freiheit des Gewerbebetriebs im Sinn der Gewerbeordnung her— zustellen. Damals war die Zulassung zum Gewerbebetrieb von den verschiedensten Voraussetzungen, vom Alter, vom Glaubenk— bekenntnis, von der Landesangehörigkeit, von der Gemeinde— angehörigkeit, von der Verbindung mit einer Innung, von der Voraussetzung einer bestimmten Befähigung, von dem Besitz einer gewissen Zuverlässigkeit und von anderen schönen Dingen, abhängig, sodaß der einzelne zum Betriebe eines Gewerbes erst gelangen konnte, wenn er nach dieser Richtung hin die Anforde— rungen der in den einzelnen Staaten geltenden Gesetzgebung erfüllte. Diese Hindernisse zu beseitigen und ihre Wiederkehr für die Zukunft zu verhindern war die Aufgabe des §5 1 der Gewerbeordnung und ist auch jetzt noch seine Aufgabe. Aber es ist voll— ständig irrig, es verkennt die historische Entstehung und Bedeutung des 5 1 der Gewerbeordnung durchaus, wenn be— hauptet wird, es werde durch den F 1 der Gewerbeordnung ver— hindert, Einschränkungen in der Betriebsführung einzelner Ge— werbe vorzunehmen durch landesherrliche Vorschriften. Außerdem, meine Herren, kommt ja derjenige, der eine solche Auffassung ver— treten wollte, in einen handgreiflichen Widerspruch mit dem täglichen Leben. Zahllose Bestimmungen auf dem Gebiete des Gewerberechts innerhalb der einzelnen Staaten — nicht auf Grund des Reiche rechts — bestehen ja, die tatsächlich in den Betrieb der Gewerbe eingreifen, und wir müßten, wenn wir die alle in dem Reichsrecht zusammenfassen wollten, ein vollständiges corpus juris anlegen, welches eine Uebersicht über das örtlich und allgemein Gültige gewinnen läßt.
Also, meine Herren, wenn behauptet wird, der § 1 hindere die Landesgesetzgebung, in den Betrieb der Gewerbe einzugreifen, und des⸗ halb sei der preußische Gesetzentwurf unzulässig, so ist diese Be—⸗ hauptung eine irrige und der Schluß, der daraus gezogen wird, ein fehlsamer. Keine der hohen Regierungen des Reiches wird, glaube ich, geneigt sein, sich einer solchen Auffassung anzuschließen.
Dann, meine Herren, hat der Herr Vorredner behauptet, in Ver⸗ bindung mit dem § 1, daß der Gesetzentwurf in Widerspruch stehe mit dem § 41 der Gewerbeordnung. Ja, das ist mir vollständig un— verständlich. Der § 41 der Gewerbeordnung bestimmt, daß ein ge— werblicher Unternehmer beliebig viel Leute in seinen Betrieb auf— nehmen kann, seien es Gesellen, seien es Lehrlinge oder andere Arbeiter, und daß deren Zahl und Qualität von seiten des Staats und der Landesgesetzgebung nicht zu regeln ist. Nun handelt es sich ja hier in unserem Fall gar nicht um einen gewerblichen Arbeiter; es handelt sich ja hier um landwirtschaftliche Arbeiter und um solche Leute, die im Gesindedienstverhältnis stehen. Die Annahme von Leuten zu gewerblichen Zwecken wird ja durch den Ent— wurf gar nicht berührt. Ich verstehe nicht, wie der Herr Vorredner den § 41 hier inbezugnehmen kann, wenn es sich darum handelt, die Annahme von landwirtschaftlichen Arbeitern und Dienstboten gewissen landesrechtlichen Beschränkungen zu unterwerfen.
Drittens, meine Herren, hat sich der Herr Vorredner dann auf den § 38 der Gewerbeordnung berufen. Ja, diese Vorschrift spricht in einer so klaren Weise, wie es klarer kaum geschehen kann, aus, daß das Landesrecht befugt ist, Beschränkungen in der Art des Gewerbebetriebs eintreten zu lassen; — und zwar die Landesgesetzgebung in jeder Beziehung, die Landeszentralver— waltung in gewissen Beziehungen, die genau definiert sind. Meine Herren, daß schon bisher solche Beschränkungen vielfach ein⸗ geführt wurden, und in welchem Umfange das schon geschehen ist, das möchte ich Ihnen darlegen an zwei Beispielen aus der Praxis des preußischen Handelsministeriums. Zwei eingehende Verordnungen
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des Handelsministerz aus dem Januar und Juli 1902 regeln die eine den gewerblichen Betrieb der Stellenvermittelung, die andere den Betrieb des Trödelgewerbes in vielfachen Einzel heiten bezüglich der verschiedenen Geschäftsoperationen. Meine Herren, wenn Sie diese Verordnungen lesen, so finden Sie bereits dieselben oder doch ganz ähnliche Einschränkungen des Gewerbetriebs, wie sie jetzt in dem preußischen Gesetzentwurfe auf⸗ gestellt worden sind. Ich habe niemals gehört, daß die Rechts beständigkeit dieser Bestimmungen vor den Gerichten angefochten worden wäre; ich habe auch nicht gehört, daß sich im preußischen Ab⸗ geordnetenhause oder hier im Reichstag irgend eine Stimme gegen ihre gesetzliche Berechtigung erhoben hätte. Wenn aber jene im Ver— waltungswege erlassenen Bestimmungen einwandsfrei sind, dann sind die Bestimmungen, die jetzt in dem preußischen Entwurfe über den Betrieb des Stellenvermittelungsgeschäfts enthalten sind, die eine ge⸗ setzliche Regelung bezielen, mindestens in gleichem Umfange einwandsfrei.
Meine Herren, ich schließe daraus, erstens: es ist zulässig auch nach dem 5 38 der Gewerbeordnung, ja, gerade vermöge dieser Vor— schrift, landesgesetzliche Beschränkungen in dem Betriebe des gewerb— lichen Vermittelungsgeschäfts einzuführen; und zweitens: der preußische Gesetzentwurf hält sich, indem er das tut, in den Grenzen der Freiheit, die ihm die Gewerbeordnung beläßt.
Nun, meine Herren, ist der Herr Vorredner eingegangen auf die Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs; er hat uns des weiteren auseinandergesetzt, daß der Arbeitsvertrag im Bürgerlichen Gesetz⸗ buch durchaus erschöpfend geregelt sei und daß in diese Bestimmungen von seiten einer Landesgesetzgebung weder ergänzend noch ändernd eingegriffen werden könne. Voll ständig richtig, soweit es sich handelt um das Zivilrecht! Durchaus unrichtig, soweit es sich handelt um das Strafrecht! Meine Herren, das Bürgerliche Gesetzbuch steht auf dem Standpunkte, daß es nichts anderes regeln will als die zivilrechtliche Seite der Rechtsgeschäfte, daß es ihm durchaus fern liegt, die Befugnis der einzelnen Staaten, strafrechtliche Bestimmungen zu erlassen, die eine Rückwirkung auf einzelne Rechtsgeschäfte üben können, irgendwie zu alterieren. Wenn der Herr Vorredner hervorgehoben hat, daß schon bei der Debatte am 11. Juni 1900 hier im Hause Ansichten laut geworden seien, die das Gegenteil vertreten, so muß ich das als richtig zugeben; ich habe aber schon da⸗ mals der Auffassung widersprochen, und ich muß heute an meinem Widerspruch festhalten.
Meine Herren, das Bürgerliche Gesetzbuch selbst ergibt klar, daß es ihm fernliegt, in die strafrechtliche Seite der Materie einzugreifen. Wenn Sie nur den § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ansehen, so finden Sie dort, daß diese Bestimmung Verbotsgesetze, die doch auch strafrechtlicher Natur und landesrechtlichen Ursprungs sein können, als möglich voraussetzt; und lesen Sie die Motive zu dieser Be⸗ stimmung, so wird für Sie diese Auffassung bekiäftigt werden. Nirgends ergibt sich, daß der Arbeitsvertrag von der Anwendung dieses Rechtsgrundsatzes ausgeschlossen sei. Sie werden darüber nicht zweifelhaft sein können, daß der Absicht des Gesetzgebers die Meinung völlig fern gelegen hat, als ob irgendwelche Reste von Befugnissen zum Erlaß strafrechtlicher Bestimmungen Reste, die das Strafgesetzbuch erhalten hat, im Bürgerlichen Gesetz⸗ buch hätten beseitigt werden sollen.
Und, meine Herren, auf diesem Standpunkt stehen nicht nur wir in der Regierung, auf diesem Standpunkt stehen auch die hervor— ragendsten Interpreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Herr Planck, gewiß der berufenste Mann, das Bürgerliche Gesetzbuch in seiner Trag⸗ weite auszulegen, hat in seinem in aller Welt verbreiteten hoch⸗ angesehenen Kommentar ausdrücklich konstatiert, daß dem Bürger⸗ lichen Gesetzbuch durchaus fern gelegen habe, nach der strafrechtlichen Seite das Landesrecht zu beschränken. Herr Dernburg, der hervor— ragendste Vertreter des preußischen Zivilrechts, hat in seinem Werke über das Bürgerliche Gesetzbuch den gleichen Standpunkt eingenommen. Aber auch das Reichsgericht hat sowohl in den Zivil, wie in den Strafsenaten diesen Standpunkt mit unzweideutiger Klarheit vertreten, indem es konstatiert, bezüglich ge⸗ wisser Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die auf dem Ver⸗ tragsgebiete liegen, daß diese Vorschriften nur das bärgerliche Recht berühren und mit dem Strafrecht nichts zu tun haben.
Würden wir überhaupt in Kommissionsverhandlungen einzutreten in der Lage sein, so würde ich gern bereit sein, den Herren dies näher darzulegen; dem hohen Hause, glaube ich, genügt es, wenn ich konstatiere, daß der Sinn des Bürgerlichen Gesetzbuchs, daß die Fassung seiner Bestimmungen, daß die Interpretation des Gesetzbuchs durch die hervorragendsten Rechtelehrer, und daß die Auslegung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in den Zivil⸗ und in den Strafsenaten des Reichsgerichts auf dem Standpunkt stehen, daß eine Einschränkung der strafrechtlichen Befugnisse der einzelnen Bundesstaaten gegenüber dem Bürgerlichen Gesetzbuch nach der hier fraglichen Seite nicht eingetreten ist. Ist das aber richtig, meine Herren, so ergibt sich daraus die Folge, daß man sich auf das Bürgerliche Gesetzbuch in bezug auf die Rechts— zulässigkeit der preußischen Bestimmungen nicht berufen kann.
Meine Herren, ich komme zu dem letzten Punkt, den der Herr Vorredner berührt hat: das sind die Bestimmungen des Strafgesetz⸗ buchs. Ich muß allerdings gestehen, daß mir seine Ausführungen über diesen Punkt nicht ganz klar geworden sind. Er berief sich im wesentlichen, soviel ich ihn verstanden habe, auf den 5 240 des Straf⸗ gesetzbuchs. Was in aller Welt der § 240 mit dieser Materie zu tun hat, das verstehe ich nicht. Bevor ich darauf eingehe, würde ich mir doch eine nähere Erläuterung von dem Herrn Vorredner erbitten müssen. Ein anderes steht aber fest, wenn bisher die Rechtsgültigkeit solcher Bestimmungen, wie sie jetzt in Preußen erlassen werden sollen, angefochten worden ist, so ist das immer von der Erwägung aus geschehen — und auch nur diese Erwägung allein kann überhaupt in Frage kommen —, daß hiermit eingegriffen werde in Materien, die das Strafgesetzbuch selbft erschöpfend geregelt hat und daß der 52 des Einführungegesetzes zum Strafgesetzbuche den Landesgesetzgebungen verbiete, Materien zu berühren, die im Reichsrecht erschöpfend geregelt sind. Es fragt sich also: gibt es im Strafgesetzbuch irgend einen Abschnitt, der gegen die Stellung der preußischen Regierung in das Feld geführt werden kann? Da hat man sich bisher immer nur berufen auf den Abschnitt 7 und auf den Abschnitt 25; jener über ‚Vergehen gegen die öffentliche Ordnung“, dieser über ‚ Vergehen aus Eigennutz.
Meine Herren, ich kann auch hier nur konstatieren — ich will
mich auf weitere Rechtsdeduktlonen hier im Hause nicht einlassen — daß die Rechtsprechung darüber vollständig klar und zweifellos ist, daß diese Abschnitte des Strafgesetzbuchs nicht als solche angesehen werden können, die die einzelnen darin behandelten Gegenstände so behandelt haben, daß man von einer erschöpfenden Regelung einer strafrechtlichen Materie sprechen dürfte. Wenn ich aber von einer entgegengesetzten Deduktion absehe, die, wie gesagt, auch nach der Auffassung der höchsten Ge— richtshöfe eine fehlsame ist, so sehe ich nicht ein, wie man behaupten will, daß der Entwurf, der in Preußen legislatorisch verfolgt wird, mit dem Strafgesetzbuch in Widerspruch trete. Unsere Auffassung, meine Herren, geht dahin, daß er nicht damit in Widerspruch steht.
Wenn ich hiernach meine Ausführungen zusammenfasse, meine Herren, wenn ich auf dem Wege meiner Darlegungen dahin gekommen bin, daß die Bestimmungen des angefochtenen Gesetzentwurfs weder das Strafgesetzbuch berühren, noch mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch in Widerspruch stehen, daß sie die Einschränkungen der Gewerbeordnung ganz beiseite liegen lassen, daß ein Widerspruch mit dem Frei— zügigkeitsgesetz überhaupt nicht erkennbar gemacht werden kann, dann, meine Herren, wage ich den Schluß darausß zu ziehen, daß die Bestimmungen des preußischen Gesetzentwurfs auch nicht im Widerspruch stehen mit den Bestimmungen der Reichsverfassung. Denn ich finde nichts in der Verfassung, das diesem Entwurf widerspräche, sofern der Entwurf nur im Einklang steht mit den Bestimmungen des übrigen Reichsrechts. Steht aber der Entwurf im Einklang mit dem Reichsrecht und der Reichs— verfassung, dann fehlt dem Reichskanzler jede Veranlassung, gegen⸗ über einer Bundetregierung vorzugehen, die die Absicht hat, ein Gesetz nach dieser Richtung zu erlassen. Oder nein, nicht die Veranlassung fehlt ihm, ich muß mich schärfer aussprechen, es fehlt ihm jede Legiti⸗ mation. Es fehlt dem Reichekanzler die verfassungsmäßige Ermãch⸗ tigung, der preußischen Regierung gegenüber irgend etwas zu tun, wenn er nicht davon ausgehen kann, daß eine Velletzung der Reichs— gesetze vorliegt, und die preußische Regierung würde allerdingtz in der Lage sein, ein Ansuchen des Reichskaazlers, ihre Gesetzgebungs⸗ arbeiten zu hemmen, zurückzuweisen als mit der Verfassung nicht im Einklang stehend. Auch die Reichsverfassung, meine Herren, ist nicht nur dazu da, die Rechte des Reichs zu schützen, sondern sie soll auch die Rechte der einzelnen Bundesstaaten schützen. Nun, meine Herren, liegt aber die Sache so, dann kann ich auf die Frage, die in der Interpellation gestellt ist: was der Herr Reichskanzler zu tun gedenke, um gegenüber dem preußischen Gesetzentwurf die Rechte des Reichs zu wahren, nur antworien: die Rechte des Reichs sind durch den Entwurf der preußischen Regierung nicht bedroht und der Herr Reichs- kanzler wird unter diesen Umständen zur Wahrung der Rechte des Reichs überhaupt nichts tun. (Bravo! rechts.)
Auf Antrag des Abg. Singer (Soz.) tritt das Haus in eine Besprechung der Interpellation ein.
Abg. von Kröcher (d. kons.: Zweifellos hat der Reichstag das formelle Recht zu einer Interpellation dieser Art. Aber wenn eine Partei außerhalb dieses Hauses urbi et orbi verkündet hat, daß sie die bestehende Gesellschaftsordnung und damit auch das Deutsche Reich vernichten wolle, so sind Vertreter dieser Partei nicht berufen, Gesetze dieses selben Deutschen Reichs gegen vermeintliche Anfeinder zu verteidigen. Ich habe keinen Auftrag zu dieser Erklärung, bin aber der Meinung, daß sämtliche Parteigenossen im Lande ihr zu⸗ stimmen werden.
Abg. Dr. Müller-⸗Meiningen (fr. Volksp): Wie kann Herr von Kröcher eine solche Scheidung in eine formelle und eine sachliche Seite vornehmen wollen? Formell gibt ja auch er das Recht des Reichstags zu. Eine schärfere Kritik an der Gesetz gebung eines Einzel⸗ staats und bezüglich einer gewissen Fahrlässigkeit kann ich mir nicht denken, als wie sie hier von dem Staatssekretär geübt worden ist. Am 11. Juni 1900 hat er genau dieselbe Rede gehalten wie heute. Damals handelte es sich um Anhalt und Reuß. Damals meinte Herr Spahn. Preußen mache so etwas nicht mit. Wo aber irgendwie ein Rückschritt in Deutschland ist, da ist Preußen stets voran. (Abg. Gamp: Kennen Sie denn Preußen überhaupt? Vizepräsident Dr. Graf zu Stolberg Dernigerode bittet, den Redner nicht zu unterbrechen.) Mit der widerlichen preußischen Preßhetze, die gegen uns als Partikularisten geführt worden ist, werde ich ein andermal abrechnen. Wir würden nicht so rückständig sein, wenn Preußen nicht so rückständig wäre. Es ist höchst charakteristisch, wie ein Keil den anderen treibt. Herr von Wurmb hat ja erklärt, Sachsen—⸗ Weimar warte nur auf Preußen, um dann nachzufolgen mit einem gleichen Gesetz. Das wird geschehen, sobald Preußen mit seinem Entwurf fertig ist. Der Justizminister Schönstedt hat selbst zugeben müssen, daß es sich um ein Gesetz gegen den Arbeitnehmer handelt. Das muß immer wieder in den Vordergrund gerückt werden. Erst wenn das Gericht gesprochen hat, kann der Arbeitgeber einen der— artigen Arbeiter annehmen. Es handelt sich in der Tat um ein gefährliches und einseitiges Ausnahmegesetz zu Gunsten der länd— lichen Arbeitgeber. Gerade die Zentrumepresse ist aufs schärfste gegen diesen Versuch vorgegangen. Zweifellos haben wir es hier mit einem Verstoß gegen die Reichsgesetzgtebung zu tun. Wenn die „Münchener Allgemeine Zeitung“, die sich in Regierungsfreundlich⸗ keit überboten hat, die Rechtsbasis dieses Entwurfs anzweifelt, so gibt daöß zu denken. Der Staatesekretär kann nicht leugnen, daß der Entwurf gegen die Gewerbeordnung verstößt, welche die Stellen. und Gesindevermittlung erschöpfend regelt, auch die kriminale Bestrafung. Der Staatssekretär sagte sehr richtig, daß der Entwurf sehr schwer zu verstehen ist; man muß erst die Motive lesen, um zu wissen, was der Gesetzgeber will. Wir können uns aber nicht an die Motive, sondern nur an den Wortlaut des Gesetzes halten Eine solche Gesetzesmacherei muß aufs schärfste bekämpft werden. Die Grenze zwischen Reichsrecht und Landesrecht ist, sagte der Staatssekretär, nicht ganz klar im Entwurf gezogen. Ein wert. volles Zugeständnis. Auch wir verurteilen den Kontrakibruch als unmoralisch; aber etwas anderes ist es, ob er kriminell zu bestrafen ist. Der Abg. Spahn hat sich seinerzeit enischieden dagegen erklärt. Steht er heute noch auf diesem Standpunkt, so ist jener Entwurf geradezu eine Herausforderung des Deutschen Reichstags. Bei der Bestrafung des Kontraktbruchs handelt es sich um einen Eingriff in das Strafgesetzbuch, das über den Bruch von Treu und Glauben das Nötige ordnet. Man muß also sagen, daß eine mehrfache Verletzung der Reichszuständigkeit durch den Entwurf vorliegt. Der gefährlichste Partikularismus, der überhaupt besteht, wird von jenen geübt, die an der Kompetenz des Reichs und Reichstags herumknuspern. Unter⸗ stützt werden sie leider durch die Judikatur des Reichsgerichts. Es werden der Reichsgesetzgebung so viele Materien entzogen, daß fast nichts übrig bleibt. Der ÄAugiasstall der Polizeistrafbestimmungen muß endlich einmal geräumt werden. Es wäre ein verdienstliches Werk, wenn das Zentrum eine Kommission niedersetzte, um zu prüfen, welche dieser Bestimmungen gegen die Reichsgesetz, verstoßen. Das wäre verdienstlicher, als Ihre Tätigkeit hinsichtlich der Kaufmannsgerichte. Der Minister von Miguel war ein ausgezeichneter Jurist; er ist eine bessere Autorität als andere Leute, und auch er hat die Kompetenz der Einzelstaaten in dieser Frage bestritten. Der Entwurf verfolgt lediglich die Tendenz, den ländlichen Arbeiter an die Scholle zu fesseln, die Tee ü gte zu beschränken. Der Kürassierstiefelpoet, Herr von Oldenburg, hät ja oft erklärt, die Politik auf seinen Gütern mache er selbst, und er entlasse jeden, der eine andere mache. Die Landflucht muß durch ganz andere Mittel bekämpft werden als durch eine kriminelle Bestrafung des Kontraktbruches. Sorgen Sie dafür,
daß die ländlichen Arbeiter endlich die Koalitionsfreihelt bekommen dann werden die seffen wieder Arbeiter haben. Unsere Depise muß sein: Koalitionsfreiheit, und nicht: gegen die Koalittonsfreiheit.
Abg. Herold (Zentr.): Wenn Herr Stadthagen sich die Mühe gegeben hätte, meine Ausführungen im preußischen Ahgeordneten hause durchzulesen, so hätte er keine Veranlassung gehabt, Vorwürfe gegen die Zentrumsfraktion zu erheben. Ich habe ausdrücklich gesagt, daß die Bestimmungen über die Gesinde ordnung einer Revision unter— zogen werden müssen, daß die Verhältnisse der Arbeiter auf dem Lande besser und günstiger gestaltet werden müssen, daß die Ver⸗ hältnisse der Arbeitgeber auf dem Lande verhältnismäßig schlechter seien als andere, daß durch diesen Entwurf die ländlichen Arbeiter in ihrem Rechte nicht beeinträchtigt werden sollen, daß nur der Arbeitgeber bestraft werden soll, der einen kontraktbrüchigen Arbeiter für sich in Dienst nehme, und wer als Vermittler ihn zum Verlassen des Dienstes verleitet im eigenen pekunsären Interesse. In diefem Schutz für Treu und Glauben und Redlichkeit sollte man das Zentrum unterstützen. Gin solches Gesetz schädigt, den Arbeiter nicht; das Gesetz richtet sich tatsächlich gegen die Arbeitgeber. Gegen Nummer 5 des Entwurfeß, der von der Verleitung zum Kontraktbruch handelt, hahen wir uns im Abgeordnetenhaus erklärt. ;
Abg. Dove (fr. Vgg); Widersprüche zwischen Reichsrecht und Landesrecht sind gar nicht so selten. Schon in den 1876er Jahren sind solche Konflikte hervorgetreten, so darüber, ob Sachsen die Grenzen in der Regelung des Strafrechts überschritten habe. Umsomehr müssen wir uns hüten, daß weitere Konflikte entstehen, und wir dürfen nicht erst warten, bis das preußische Gesetz fertig ist. Der Wortlaut des Gesetzes stimmt nicht vollständig mit den Motiven überein. Trotzdem bestand die Gefahr, daß das Gesttz im Ab⸗ zeordnetenhause ohne Kommissionsberatung angenommen würde. Dem preußischen Justizminister ist allerdings wohl vor seinem eigenen Gesetz⸗ entwurf bange geworden, denn er hat selbst eine Kom missio as beratung gewünscht. Der Entwurf richtet sich nicht allein gegen den Ver' mittler und Verleiter. er wirkt auch auf die Arbeiter zurück. Unsere gie erkennen doch an, daß wichtige Gründe zum Verlassen des Dienstes führen können. Insofern besteht ein flagranter Widerspruch zwischen dem Sinn der Reichsverfassung und dem preußischen Gesetz= entwurf. Indem wir dem deutschen Reichsinteresse dienen, dienen wir auch dem Interesse der deutschen Landwirtschaft
Abg. Dr. Lucas (n.): Qb die Regelung dieser Materie durch die Landesgesetzgebung wünschenswert ist, lasse ich dahingestellt. Dies gilt namentlich von der Lotteriegesetzßgebung. Im vorliegenden Falle handelt es sich nur darum, ob Preußen im Hinblick auf die Reichtgesetz⸗ 9. befugt ist, diese Sache seiner Gesetzgebung zu unterwerfen. Die Interpellation ist verfrüht. Solange wir nicht wissen, ob das Gesetz überhaupt zu stande kommt, können wir nicht wissen, ob die einzelnen Bestimmungen der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen wi⸗er— sprechen. Daß das Reich diese Materie regeln könnte, wenn es wollte, ist iweifellos, aber bis heute ist es nicht geschehen. An sich ist nichts dagegen einzuwenden, daß die preußische Gesetzgebung sich mit der Rege⸗ lung dieser Angeletzenheit befaßt; wie welt dies im einzelnen richtig ist, können wir jetzt nicht entscheiden. Herr Stadthagen berief sich auf Bassermann und sagte, dieser habe erklärt, die Frage der Bestrafung der kontraktbrüchigen Arbeiter gehöre zur Reichsgesetzgebung. Diese Angabe ist irrig Die Sozialdemokraten haben es ja selbst unter lassen, die Reichsmaschine für ihre Zwecke in Bewegung zu setzen. Eine akademische Untersuchung hätte keinen Zweck.
Abg. Gamp (Rp.); Die Art, wie Herr Stadthagen gegen uns auftritt, läßt mich kühl. Er hat mich vielleicht nur wider besseres Wissen angegriffen; ich habe die ländlichen Arbeiter keineswegs schlechter stellen wollen als andere. Wie ich aber im Wahlkampf von Sozial- demokraten angegriffen worden hin, verstieß gegen die guten Sitten. Ich soll meinen Arbeitern gesagt haben: „für Euch verfluchte Hunde sind die Wohnungen gut genug.“ Wer mich kennt, muß das als Lüge erkennen. Ich habe den Sozialdemokraten freie Fahrt angeboten, um sich selbst zu überzeugen, wie ich meine Arbeiter behandle. Solche gemeinen Detzereien lassen mich kalt. Kennt Herr Müller etwa die laͤndlichen Verhältnisse? Er sagte, auf allen Gebieten der Rückständigkeit sei Preußen voran. Wie kann er dieses Urteil aufrecht erhalten? Tie Einrichtungen Preußens auf dem Verkehrsgebiete sind geradezu muster⸗ gültig dem ganzen Auslande gegenüber. as sind ,, die man sich als Preuße nicht gefallen lassen kann, wenn ein Nicht— preuße solche Behauptungen aufstellt, der keine Ahnung von den Verhältnissen hat. Herr Müller ist natürlich der große Mann. Welche Hochachtung soll man vor dem Reichsgericht haben, wenn ein Richter, wie Herr Müller (der Präfident bittet, auf die Stellung eines . außerhalb des Hauses nicht einzugehen) in der Weise den höchsten Gerichtshof angreift? Die Ueberwachung der Reicht gesetz⸗ gebung steht dem Kaiser und seinen Organen zu. Man fragt nicht in einer Frage, die der Reichskanzler bereits entschieden hat. Er hat dieses Gesetz nicht beanstandet, sondern zu erkennen gegeben, daß es mit der Reichsverfassung und den Reichsgesetzen in Uebereinstimmung steht. Der Staatssekretär hätte sich also seine Beantwortung noch etwas ein⸗ facher machen können. Ob das Gesetz dem Bürgerlichen Gesetzbuch entspricht, kann nicht der einzelne, sondern höchstens das Reichsgericht entscheiden. Heir Müller kann aber sicher sein, daß auch im Ab⸗ geordnetenhause tüchtige Leute sitzen, die dafür sorgen, daß eine Ver— letzung der Reichsgesetze nicht stattfindet. Vielleicht sitzen dort Leute, die gerade so viel wissen, wie Sie, Herr Mäller. Slse können also ganz ruhig sein. Eine kriminelle Ahndung des Kontraktbruchs wollen wir nicht und werden ihr niemals zustimmen. Wir hätten uns also die ganze Sache schenken und uns heute lieber in Gottes freier Natur ergehen können.
Abg. Brejski (Pole): Wir sind der Ansicht, daß das preußische Gesetz gegen die Reichsgesetzgebung verstößt. Die polnische Fraktion wird deshalb gegen das Gesetz in der vorliegenden Form eine ab— lehnende Stellung einnehmen. Wir bekämpfen den Entwurf auch aus sachlichen Gründen, weil er Arbeiter und Arbeitgeber nicht gleich- mãßij trifft.
Abg. Klose (Zentr.) wendet sich gegen die Ausführungen des Abg. Stadthagen hinsichtlich seiner, des Redners, Stellungnahme im Abgeordnetenhause. Er für seine Person verspreche sich von dem Gesetz nicht viel; denn man würde davon doch nur in den selteasten Fällen Gebrauch machen können.
Abg. Haase (Soz): Der Staatssekretär hat bewiesen, wie schlecht die Sache ist, die er vertreten muß. Nie habe ich eine so 1 und, spitzfindige Verteidigung bei einem Juristen gefunden.
elcher Widerspruch, wenn er erst sagt, daß das preußische Gesetz mit dem Reichsrecht im Einklang stehe, und dann, daß die Grenze zwischen Reichs⸗ und Landesrecht und zwischen Reichstag und Landiag in dem Gesetz nicht mit der Deutlichkeit gezogen sei, wie sie hatte gezogen werden müssen! Wenn die Minister etwas anderes machen wollten, so haben sie ibre Unfähigkeit zur Gesetzgebung bewiesen. Sie haben unter dem Druck der Agrarier gestanden. Der Staatssekretär hat tatsächlich den ganzen Entwurf preisgegeben. Herr Herold sprach sichtlich unter dem Einfluß seiner eee. Aber auch wenn das Gesetz nur den Arbeitgeber treffen soll, der im eigenen Interesse einen Arbeiter zum Verlassen des Dienstes verleitet, ist das Gesetz bedenklich genug. Es kommt oft genug vor, daß ein Arbeiter trotz ärztlichen Attestes, daß er krank sei, wegen Kontraktbruchs bestraft wird, weil er die Arbeit niedergelegt hat; denn so hat ein Gericht entschieden, er hätte ja leichtere Arbeit verrichten können. Ein Arbeiter wurde einmal wegen Kontraktbruchs bestraft, weil er den Gruß, den ihm sein Herr entbot, nicht erwiderte. Meist klagen die Arbeiter gar nicht, weil sie kein Geld haben und befürchten, doch nicht Recht zu bekommen. Wenn ein Beamter sich gegen die Gesetze vergeht, wird von den Ge⸗ richten gesagt, ihm stehe der gute Glaube zur Seite. Wir brauchen nicht ein Kontraktbruchgesetz wie das preußische, sondern ein Gesetz gegen die Knechtung und Bedrückung der Arbeiter.
Damit schließt die Besprechung, und nach persönlichen Bemerkungen der Abgg. Stadthagen, Dr. Müller⸗Sagan (fr. Volksp.), von Oldenburg (8d. kons.) und Dr. Müller⸗ Meiningen wird dieser Gegenstand verlassen.
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