davor gewarnt, allzugroße Hoffnungen auf diese Ausdehnung des Be⸗ triebes des preußischen Instituts zu setzen.
Herr von Men delssohn; Auch ich kann Ihnen die Annahme des Gesetzentwurfs empfehlen. Den Motiven, die dem Gesetzentwurf beigefügt sind, kann ich allerdings nicht durchweg beistimmen. Die Begründung enthält zu viel; sie will zu viel beweisen und schwächt damit die Beweiskraft ab. Zur Verstärkung der Betriebsmittel die Kapitalserhöhung zu fordern, hätte genügt. Es wird aber zum Vergleich der Kapitalsbetrag. verschiedener Privataktien⸗ banken herangezogen. Deren Tätigkeit ist aber so absolut verschieden von der der Seehandlung, daß dieser Vergleich hinfällig ist. Sie haben die Bedürfnisse ihrer ö. zu befriedigen und sind dann mit dem großen internationalen Emissionsgeschäft befaßt; das erfordert sehr große Mittel und mannig⸗ fache Beziehungen zum Auslande. Daneben sind sie auf dem Gebiete ber Induftrie tätig, arbeiten an ihrer Kräftigung und Entwickelung; auch dazu gehören fehr große Kapitalien. Endlich kommt ein Objekt neueren Datums hinzu, die Kolonialunternehmungen. Zu meiner Verwunderung fiel erst kürzlich von der Tribüne des Reichstags die Bemerkung, daß die deutsche Bankwelt mit Ausnahme von zwei Instituten' sich auf diesem Gebiete nicht betätigt habe. Das Gegenteil sst richtig; alle diese Institute sind je nach ihren Mitteln daran beteiligt. Die engagierten Summen belaufen sich auf 170 Millionen Mark. Diese Unternehmungen haben bisher beim Publikum noch nie Anklang ge⸗ funden. Warum beteiligt sich nicht das vermögende Publikum, vor allem die Herren, die theoretisch so starle Kolonialschwärmer sind? Sie würden darin mehr wirken können als die Banken. Eine Firma kann doch nicht auf die Dauer in der ganzen Welt kolonisieren, Dampfer und Eisenbahnen bauen 2e. Was der Referent über die Frage der Befriedigung des Kreditbedürfnisses des Staates und über die Beunruhigung des Marktes durch die plötzliche Zurückziehung der Gelder gefagt hat, unterschreibe ich vollständig; es ist da sehr er⸗ wünscht, die Seehandlung durch Vermehrung ihres eigenen Kapitals in die Lage zu versetzen, die angelegten Gelder mehr als bisher im Markte zu belassen und so zur Abschwächung der Spannung in kritischeren Zeiten beßutragen. Dann hat man davon ge⸗ sprochen, daß der Verwahrlosung des Kurseß ein Ende ge⸗— macht werden soll. Man betont in dieser Richtung den Staaits⸗ fredst, ein Verfahren, das mir bisher nur in finanziell schwachen Ländern entgegengetreten ist. Was ist denn überhaupt geschehen, daß man von einer solchen Verwahrlosung des Kurses reden kann? Die Schwankungen sind verhältnismäßig geringfügig. Aber ein Mangel ist, daß unsere Staatspapiere keineswegs viel im Verkehr sind, daß die Nachfrage nach ihnen viel geringer ist als z. B. in England, Dort ist es Sitte, Konsols zu kaufen, das ist das ganze Geheimnis; von großem Vorteil ist dabei nicht die Rede. Bei uns nehmen die
Gelder einen anderen Weg; bei uns ist man mit der Verzinsung in
den Sparkassen sehr zufrieden. Ich hätte nichts dagegen, wenn die Sparkasfen angewiesen würden, mehr Konsols zu kaufen; aber nicht im Staatsinteresse, nicht zur Beförderung des Zinses der Konsols, fondern weil nach meiner Meinung die Sparkassen verschiedene Kategorien, nicht nur Hypolheken, sondern auch Wechsel und Wertpapiere kaufen sollen. Dem Finanzminister kann ich also nicht verargen, wenn er die Oberbürgermeister Becker und Struckmann neulich mit den Worten des Sarastro anredete — ein Absingen ist in diesem hohen Hause ja nicht erlaubt — „Zur Liebe (nämlich der Konsols) kann ich dich nicht zwingen, doch schenke ich dir die Freiheit nicht. Die Spannung zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Kurse ist in den letzten zehn Jahren nur einmal, nämlich 1898, in England niedriger gewesen als bei uns, nämlich 4 gegen 4,55; dagegen war die Spannung 1896 bei uns 3,10, in England 84, i899 (Jahr des Transvaalkrieges) bei uns 7, in England 134. Im letzten Mai hat bei uns diese Span⸗ nung O60, in England 1 betragen. Durchschnittlich sind also in England die Spannungen außerordentlich viel beträchtlicher als bei uns; wenn trotzdem dort Konsols nicht unbeliebt sind, so sehe ich nicht ein, warum sich bei uns die Seehandlung auf das Gebiet wagen soll, den Kurs zu halten. Man soll zunächst dafür sorgen, daß man die Papiere nicht dauernd höher stellt, als der Markt sie be⸗
wertet. Die Papiere, die uns 33 0 geben, befriedigen das Publikum
nicht, und dle Hilfe, die England in dieser Beziehung leistete, hat jetzt aufgehört; um so schwieriger ist es daher, diese Papiere zu behandeln. Ich habe nichts dagegen, daß die Seehandlung hier und da einmal interveniert, um den Kurs zu halten, wenn sie sich durchaus auf dieses Gebiet begeben will. Zur Ausdehnung des Depositenverkehrs braucht die Seehandlung keine Kapitalserhöhung. Im andern Hause ist auf die wichtige Rolle der Seehandlung im Kriegsfalle hingewiesen worden. Im Kriege aber steht die Seehand⸗ lung schlechter da als jede Privatbank bezüglich ihrer Bewegungs— freiheit; soll sie künftig also noch aktiver sein als jetzt, dann sind doch ihre Kapitalien auch mehr oder weniger engagiert, und im Mo— mente eines Kriegßausbruches wird sie dann auch nicht so frei sein, wie es erforderlich wäre, um solche erweiterte Aufgaben zu über⸗ nehmen. Die Befürchtung erhöhter Konkurrenz für die Privatbanken und Privatfirmen braucht man nicht zu hegen, nicht von der jetzigen Leitung und nicht von einer zukünftigen, ebenso wenig die Befürchtung, daß der Reichsbank stärkere Konkurrenz gemacht werden wird. Die Wünsche im anderen Hause, den Geschäftekreis der Seehandlung be— stimmt zu begrenzen, kann ich nicht teilen; von einer solchen Ein— schnürung in spanische Stiefel muß ich abraten. Die Ueberwachung der Seehandlung durch einen Beirat wie bei der Reichsbank und die Abtrennung der gewerblichen Betriebe kann ich ebenfalls nicht empfehlen. ;
Herr Dr. Wachler: Die Motive sagen, daß die Kapitals⸗ erhöhung auch erfolgen müsse, um dem Institut eine gleichberechtigte Stellung neben den Großbanken zu sichern, die ihre Kapitalien gleich⸗ falls stark erhöht hätten, und um auf die Haltung des Kurses der Staatspapiere einzuwirken. Beide Gründe scheinen mir, insbesondere nach den Ausführungen des Vorredners, nicht zutreffend zu sein und somit ein Bedürfnis der Kapitalserhöhung eigentlich nicht zu recht— fertigen. Die Seehandlung hat schon durch sich selbst, ohne Rücksicht auf ihr Kapital, als Staatsinstitut eine ganz hervorragende Stellung. Noch niemals hat man der Seehandlung ihre führende Stellung bei allen Geschäften, an denen sie sich beteiligt hat, bestritten; daß die See⸗ handlung also minderwertig wäre, wenn sie ihr Kapital nicht erhöhte, ist nicht erwiesen. Der Kredit, die Machtstellung der Privatbanken beruht lediglich auf ihrem Kapital und ihren Reservefonds, aber für ein Staatsinstitut wie die Seehandlung sind diese gleichgültig. Seit 1869 hat sich der Staatsvoranschlag allerdings von 4 auf fast 3, die Staatsschuld von 1 auf 7 Milliarden Mark erhöht; aber diese Umstände sprechen durchaus nicht für die Echöhung des Grundkapitals. 1902 hat die Seehandlung über 1 Milliarde Mark Lombard geben können; das kann keine andere Bank. Der Minister meinte, eine Bank mit 34 Millionen Mark käme garnicht mehr in Betracht; dabei über⸗ sieht er ganz die Ausnahmeposition, welche die Seehandlung als Staatsinftitut vor den Privatbanken eben schon vorweg hat. Was die Hebung des Kurses der Staatspapiere betrifft, so steht tatsächlich der Kurs unserer heimischen Anleihen niedriger als der der französischen Rente; aber das ist keine unnatürliche Erscheinung. Frankreich und England sind wesentlich reicher als Deutschland, beide Länder hatten eine jahrhundertelange Fundierung, als Preußen und Deutschland immer noch keine wirtschaftlich bedeutende Rolle spielten. In England und Feankreich basierte alles auf dem Staatsschuldbuch, das wir erst ganz neuerdings eingeführt und dessen Benutzung wir so verteuert haben, daß man sich wundern muß, daß z der ge⸗ samten Staatsschulden eingetragen sind. Der Patriotismus von Preußen -Deutschland ist auch ein wenig anders geartet als der der Engländer und Franzosen; er ist in Geldsachen nicht übermäßig groß, haben doch sogar deutsche Fürsten und Magnaten aus Vorsicht einen Teil ihrer Gelder im Ausland angelegt, weil sie bei politischen Komplikationen sicherer zu gehen glauben. Bei uns ist die Staatsschuld, die Schuld der Städte, der Provinzen in den letzten Jahrzehnten ganz mächtig, unverhältnismäßig mehr als in den anderen Ländern gestiegen. Die Kursdifferenz spricht sich nicht nur in den Staatsanleihen, sondern in dem Gesamtbesitz aus; Eng— land und Frankreich haben in der Regel einen billigeren Diskontosatz
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als Deutschland. Alles in allem wird sich von einem Eingreifen der Seehandlung elne Einwirkung auf die Kurse nicht erwarten lassen; denn die Erscheinungen, auf die man diese Maßregel anwenden will, gehen aus ganz anderen Ursachen hervor. Die deutschen Konsols nd für Publikum und die Börse nichts als eine Ware, bei er es auf
ngebot und Nachfrage und auf die Beliebtheit ankommt. Es ist doch auch eigentümlich, in derselben Zeit, wo der Kurs gehoben werden soll, 6tz Millionen Mark Staatspapiere neu auszugeben, wenn es auch zunächst in der Form von Schgtzanweisungen geschieht, Der 30scige Typ unserer Staatganleihen ist in. Deutschland nicht beliebt; die Masse der Sparer kann mit 3 Gl nicht zurecht kommen; der größte Teil weiß ja nicht einmal, daß er beim Kurse von 99 tatsächllch 35 bis zz ( erhält. Jeder, der je im Pfandbrief⸗ geschäft gestanden hat, weiß, daß mit 3 o/oigen Papieren nichts zu machen ist; sie sind nicht an den Mann zu bringen, während, die 400igen sehr stark begehrt sind. Auch die Konvertierung der 40 /0igen Konsols, die für die, Verstaatlichung der Eisenbahnen ausgegeben wurden, kommt hier in Betracht; der Schmerz darüber hat gesessen und wirkt noch heute nach. Kurz, das Publikum hat keine besondere Vorliebe für unsere Staatsanleihen. Die Meinung, daß das Ein⸗ greifen der Seehandlung Abhilfe schafft, kann ich nicht für richtig 9 Das harmonische Zusammenwirken aller Geldmächte zum Zwecke der Hebung des Kurses der Staatspapiere wird auch nicht ge— fördert, wenn man den Charakter der Seehandlung als einer preußischen Staatsbank noch mehr betont, wie dies jetzt zum Ausdruck kommen soll. Ich fürchte, die Konkurrenz dieses Instituts gegen die Privatbanken, namentlich gegen die mittleren und Provinzbanken, wird zur Tatsache werden. Ich bin prinzipieller Gegner der Staatsbetriebe, die wir schon jetzt in zu großem Umfange haben. Wir haben erst vor wenigen Tagen gesehen, daß das Herrenhaus im Punkte des Eisenbahnwesens analogen Bedenken durch seine Beschlußsassung Ausdruck gab. Aus allen diesen Gründen halte ich die Erhöhung des Grundkapitals nicht für notwendig. Weniger die geforderte Summe ist es, als die Per⸗ spektive, die man mit dieser Erhöhung für die Zukunft eröffnet hat, die mich stutzig gemacht hat. Ich werde gegen die Erhöhung stimmen.
Finanzminister Freiherr von Rheinbaben:
Die beiden Herren Vorredner haben wesentlich dieselben Be⸗ denken hervorgehoben, der erste Redner mehr in Moll, der zweite in Dur. Der zweite kam auch zu einer Ablehnung der Vorlage, während Herr von Mendelssohn sich dafür ausgesprochen hat. Er hat wesentliche Bedenken nur gegen die Motive geäußert, die der Vorlage beigegeben sind; es kommt mir aber mehr auf die Tatsache an, daß er der Vorlage zustimmt, als daß er die Motive kritisiert. Denn wenn ich ein Mädchen heiraten will, kommt es mir darauf an, daß das Mädchen ja sagt, die Motive sind mir ganz gleichgültig. (Große Heiterkeit.) So nehme ich mit Dank davon Akt, daß Herr von Mendelssohn meiner Werbung gegenüber nicht nein gesagt hat.
Herr von Mendelssohn und Herr Wachler haben im wesentlichen bemängelt zunächst die Parallele der Seehandlung mit den Privat⸗ banken, sie haben aber beide nicht hervorgehoben, in welch außer—⸗ ordentlichem Maße sich das Verhältnis des Kapitals der handlung verschlechtert hat, verglichen mit den Kapitalien der anderen großen Banken. Erst ein genauer Rückblick nach dieser Richtung hin gibt Aufschluß darüber, wie bedeutend einst die Stellung der Seehandlung war und wie außerordentlich sie hinter den anderen Banken zurück— geblieben ist. Gestatten Sie mir, hierüber einige Daten vorzutragen.
Im Jahre 1869 marschiert die Seehandlung mit einem Grund⸗ kapital von 40 Millionen an der Spitze der gesamten Bankinstitute Berlins und Preußens, dann kam die Bank für Handel und Industrie mit 253 Millionen; die Deutsche Bank existierte noch nicht, die Dieconto-⸗Gesellschaft hatte ein Grundkapital von 30 Millionen, der Schaafhausen'sche Bankverein 15 Millionen. Die Seehandlung marschierte weitaus an der Spitze mit 40 Millionen. Ihr Kapital wurde dann im Jahre 1872 auf 47 Millionen erhöht und ist dann bekanntlich 1882 auf 34 Millionen reduziert worden, eine Summe, auf der die Seehandlung heute noch steht. Dabei ist zu berücksichtigen, daß diese 34 Millionen nicht entfernt liquides Kapital darstellen, sondern, daß nahezu die Hälfte in den Bromberger Mühlen und anderen industriellen Anlagen, in langfristigen Darlehnen, namentlich für Meliorationszwecke, und anderweiten Investitionen fest angelegt ist, sodaß diese Mittel für das tägliche Geschäft nicht zur Verfügung stehen. Nun wollen die Herren dagegen vergleichen die Entwickelung der anderen großen Banken. Die Deutsche Bank hatte im Jahre 1872 ein Grundkapital von 45 000 000, gegenwärtig von 180 000 000 4 die Disconto⸗Gesellschaft hatte 1872 ein Kapital von 60 000 000, heute von 170 000 000 ; die Dresdener Bank hatte 10000 000, gegen⸗ wärtig 160 000 000 ƽ ; der Schaaffhausen'sche Bankverein, der 1872 ein Grundkapital von 48 000 000 Æ hatte, weist jetzt ein solches von 125 000 000 M auf. Die beiden koalierten Gruppen, Dresdener Bank und Schaaffhausen'scher Bankoerein haben allein heute ein Kapital von 285 000 000 ½ , wobei von den sehr bedeutenden Reserven dieser beiden großen Institute garnicht die Rede ist! Ich brauche nur diese Zahlen einander gegenüber zu stellen: 285 000 000 16 bei dieser einen Gruppe und 34 000 000 M bei der Seehandlung, um den Herren darzulegen, in welcher Weise die Seehandlung wirtschaft— lich zurückgeblieben ist gegenüber den anderen großen Instituten.
Nun hat Herr von Mendelssohn, und ich glaube auch Herr Wachler, mit vollem Recht darauf hingewiesen, daß diese Bankinstitute zum Teil Aufgaben hätten, die die Seehandlung nicht hat, daß sie in erheblichem Maße am Cmissionsgeschäft sich beteiligten, daß sie mit industriellen Unternehmungen vielfach verknüpft seien, und daß sie sich auch auf koloniale Tätigkeit gelegt haben — übrigens meines Erachtens noch nicht in dem Maße, wie es erwünscht wäre. Meine Herren, wenn ich auch anerkenne, daß diese Banken zum Teil Geschäfte haben, die der See⸗ handlung nicht obliegen, so muß ich doch dabei stehen bleiben, daß die Seehandlung auch für ihre eigentlichen regelmäßigen Geschäfte, für den eigentlichen Großbankbetrieb, nicht die Mittel hat, die sie braucht, um ihre Aufgabe in der Tat erfolgreich lösen zu können. Herr Wachler sagt, bisher habe man der Seehandlung immer die Bedeutung eingeräumt, die ihr gebühre. Ja, wem verdankt sie das? dem Umstande, daß sie sich von allen Geschäften auf das sorgsamste ferngehalten hat, die irgendwie als spekulative angesehen werden können, daß sie auf das sorgsamste darauf bedacht gewesen ist, ihren guten Ruf in dieser Beziehung zu wahren. Das wird sie selbstver— ständlich in Zukunft auch tun; aber von der Moralität allein kann man nicht leben, am allerwenigsten im wirtschaftlichen Leben, im wirtschaftlichen Leben entscheidet allein die Machtfrage (sehr richtig), und nur ein Bankinstitut, das eine Macht darstellt, wird im wirt— schaftlichen Leben so geachtet werden, wie das für die Seehangdlung notwendig ist.
Wie ist es denn überhaupt möglich gewesen, bei diesem geringen Kapital den Betrieb der Seehandlung aufrecht zu erhalten? Doch
See⸗
nur dadurch, daß der Finanzminister in der Lage gewesen ist, momentan disponible Bestände der Staatskasse der Seehandlung zu⸗ zuweisen und sie durch die Seehandlung nutzbar zu machen. Aber das ist eine Verstärkung der Mittel der Seehandlung von einigermaßen zweifelhaftem Wert. Denn wenn der Finanzminister diese großen Mittel, die er der Seehandlung zugeführt hatte, brauchte, mußten sie immer in relativ kurzer Frist wieder zurückgezahlt werden, namentlich am Quartalsschluß, wo die großen Zahlungen für Gehälter und Pensionen zu leisten sind, und der Präsident der Seehandlung kommt immer in eine miß⸗ liche Lage, wenn er diese erheblichen Mittel in kurzer Zeit zurückgeben muß. Es ist von Herrn Wachler schon ganz mit Recht hervorgehoben, welche Konsequenzen das auch auf die allgemeine Lage des Geldmarktes ausübt, wenn diese Gelder in so kurzer Frist dem Geld⸗ markt wieder entzogen werden.
Und dann möchte ich noch betonen, daß diese verhältnismäßig geringe Dotierung zu ertragen gewesen wäre, wenn die ganze Finanz⸗ gebahrung des preußischen Staates sich ungefähr auf dem Niveau gehalten hätte, auf dem damals das Kapital der Seehandlung im Jahre 1882 auf 34 000 000 fixiert war. Nun wollen die Herren sich aber einmal vergegenwärtigen, in wie enormem Maße die Auf⸗ gaben des preußischen Staates und insbesondere die der Finanzver— waltung seit dem Jahre 1882 gewachsen sind. Ich brauche nur darauf hinzuweisen, wie auf allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens ein Eingreifen des Staates in steigendem Maße erfolgt ist, wie wir namentlich in dieser Periode zur Verstaatlichung der Eisen— bahnen übergegangen sind, und wie enorm die finanziellen Aufgaben des Staates gewachsen sind. In der Begründung der Vorlage finden die Herren angegeben, daß im Jahre 1869 der preußische Etat mit 500 Millionen abschloß, und daß im Jahre 1894 ein Etat von 2 Milliarden 800 Millionen vorgelegt ist, also der Etat hat sich in dieser Zeit nahezu versechsfacht. Herr von Mendelssohn hat selbst früher darauf hingewiesen, daß seit 21 Jahren, seit der Anlegung des Staafsschuldbuchs, neue Emissionen in Höhe von 7 Milliarden sich abgewickelt haben. Bekanntlich haben wir namentlich durch die Ver staatlichung der Eisenbahnen unsere Staatsschuld vergrößert, und auch das Reich hat seine Schuld vergrößert. Während wir damals in Preußen eine Schuld von 2700 000 000 M hatten, haben wir jetzt eine Schuld von sieben Milliarden, und das Reich, das damals eine Schuld von dreihundert Millionen hatte, hat jetzt eine Schuld von dreitausend Millionen, also von drei Milliarden. Nun glaube ich, meine Herren, liegt doch die Beantwortung der Frage sehr nahe, ob ein Institut, das im Jahre 1882 bei unendlich viel geringeren Aufgaben des Staates und unendlich viel geringeren Emissionen mit 34 Millionen leben konnte, jetzt damit noch leben kann bei den außerordentlich gestiegenen Aufgaben des Staates und gegenüber den neuen Emissionen. Meine Herren, ich glaube nach ein⸗ gehender Prüfung der Verhältnisse die Frage entschieden verneinen zu müssen.
Dazu kommt, meine Herren, die zweite Aufgabe, von der die Herren gesprochen haben: die Frage der Haltung des Kurses. Ich muß auch hier wieder betonen — in den Ausführungen des Herrn Wachler ist das nicht genügend berücksichtigt —, daß niemand von uns daran gedacht hat, durch Eihöhung des Kapitals der Seehandlung um 65 Millionen unter allen Umständen die Kurse der Papiere des preußischen Staates auf bestimmter Höhe zu halten. Sie könnten das Kapital verdoppeln und verdreifachen, so würde das auch nicht möglich sein. Die Frage des Kurses ist eine rein wirt⸗ schaftliche Frage, sie hängt von Angebot und Nachfrage ab, ob unsere wirtschaftliche Entwickelung nach oben oder nach unten geht; und Herr von Mendelssohn hat früher mit Recht darauf hingewiesen, wie beispielsweise die ungünstige Entwickelung der letzten Reichs⸗ anleihe wesentlich bedingt worden ist durch die wirtschaftlichen Verhältnisse. Bekanntlich besteht im Reich die Einrichtung, daß nicht bloß die ordentlichen, sondern auch die außerordentlichen Ausgaben auf den Etat genommen werden, die durch Anleihen bestritten werden. Während der preußische Finanzminister in der glücklichen Lage ist, mit einer Anleihe herauszukommen, wenn er den Moment dafür für richtig hält, ist das Reich in der Lage, nur über einen solchen Betrag zu verfügen, wie er durch den Etat festgesetzt ist. Genau so war es bei der letzten Reichsanleihe. Die Reichsverwaltung mußte warten, bis der Etat bewilligt war. Inzwischen hatte sich die wirtschaftliche Lage gebessert, das Publikum ging zum Kauf industrieller Werte über und zog sich von den minderverzinklichen Reichs⸗ und Staatspapieren zurück. Infolgedessen kam die Reichsanleihe zu einer Zeit auf den Markt, wo der Diskont satz sich wesentlich erhöht hatte und geringe Neigung zur Anlage in preußischen und Reichstitres vorhanden war. Also diese wirtschaftlichen Momente allein durch Erhöhung des Kapitals der Seehandlung selbständig zu regulieren, und wenn ich so sagen soll, zwingen zu wollen, ist niemals von uns ausgesprochen ode prätendiert worden. Andererseits muß ich dabei bleiben, daß die Er⸗ höhung des Kapitals der Seehandlung dazu beitragen wird, will⸗ kürlichen Angriffen auf die Entwickelung des Kurses unserer Reichs⸗ und Staatspapiere zu begegnen, der Gefahr ein Ende zu machen, daß wenige Hunderttausende Mark, die auf den Markt geworfen werden, den Kurs der Konsols werfen.
Meine Herren, es ist auf die englischen Verhältnisse sowohl von Herrn von Mendelssohn wie von Heirn Wachler eingegangen; ich glaube, bei der Parallele unserer Staatspapiere mit den fremden Papieren wäre es gut gewesen, nicht bloß die englischen, sondern auch die französischen Verhältnisse zum Vergleich zu ziehen, und ich muß Herrn von Mendelssohn gegenüber dabei bleiben, daß unsere Staatspapiere außerordentlich starken Kursschwankungen, und zwar ganz überwiegend nach unten, ausgesetzt gewesen sind, stärkeren als in England und Frankreich. Meine Herren, im Jahre 1896 stand die 30, Reichsanleihe auf 99,22 durchschnittlich, sie fiel bis zum Jahre 1900 auf 86,74, also in der kurzen Periode von 1696 —1900 um nahezu 130 j, ohne daß wir durch Kriege oder schwere wirtschaftliche Krisen bedroht gewesen wären. Wenn Sie dagegen die französische Rente ansehen, so stand sie im Jahre 1896 auf 102,16 0, dagegen im Jahre 1900 auf 100,16 0½ν, also nur eine geringe Ab— bröckelung; der Kurs pendelt immer um denselben Pol nur um ein Geringes herum nach unten oder oben. Bei den englischen Konsols hat allerdings eine erhebliche Abbröckelung von 110,89 auf 99, 63 stattgefunden. Aber, meine Herren, da war der Transvaalkrieg; wenn da der englische Titre nachgibt bei einer so schweren Krise, wie sie über England hereingebrochen ist, so ist das begreiflich, aber nicht
begreiflich ist es, wenn unsere preußischen Titres ohne irgendwelche wirtschaftliche Krisis einen solchen Rückgang erfahren haben.
Meine Herren, die französische Rente hat sich in dem ganzen Jahrzehnt 1893 bis 1902 gegen den Durchschnittskurs (101,13) nur 2,89 0, nach unten (1893 Durchschnittskurs 97,22), 2, 20 60 nach oben (Durchschnittskurs 1897 103,33) bewegt. Dagegen betrugen die Schwankungen bei den deutschen Reichsanleihen in jener Periode 6, 45 0/9 nach unten, 6,50 oo nach oben (10 jähriger Durchschnittskurs 92,72, Darchschnittskurs 1893 86,27, 1896 9h, 23)
Herr von Mendelssohn erwähnte auch einer sehr interessanten Broschüre, welche der Chef des Hauses Leo, Delbrück K Co.,, Herr Ludwig Delbrück veröffentlicht hat, über diese ganzen Verhältnisse in Preußen, Deutschland und im Auslande. Ich kann nur das Studium der Broschüre Ihnen allen empfehlen, und ich muß dabei bleiben, daß das Bild, das dieselbe entrollt, sehr zu Gunsten Englands und Frank— reichs und sehr zu unseren Ungunsten spricht. Ganz evident ist dort nachgewiesen, wie in England und Frankreich mehr das Gefühl der Ver⸗ pflichtung besteht, etwas für den Staatskredit zu tun, mehr Staatstitres in die Reservefonds aufzunehmen. Delbrück weist nach, daß z. B. die großen englischen Banken nicht weniger als 3 Milliarden in englischen Staatspapieren angelegt haben, die 12 großen Berliner Banken nur 30—– 40 Millionen, 30 unserer größten Lebensversicherungen mit 2 Millionen Prämienreserven nur etwa 29 Millionen an Reichs— und Staatsanleihen angelegt haben, und dazu kommt noch in Eng land und Frankreich, daß dort in viel höherem Maße wie bei uns die Sparkassen ihre Bestände in Staats⸗ papieren anlegen müssen kurz, es ist in England und Frankreich ein fester großer Markt für Staatsanleihen vorhanden, wie er nicht entfernt bei uns besteht, und daraus resultieren bei uns die großen Schwankungen. England hat eine Staatsschuld von 166 Milliarden. Davon sind fest angelegt bei den Sparkassen 45 Milliarden. Die Banken hatten ein eigenes Vermögen von 3 Milliarden darin angelegt, die industriellen Gesellschaften auch von 3 Milliarden und etwa eine Viertelmilliarde die Versicherungs— gesellschaften, sodaß 104 Milliarden von diesen 161 Milliarden englischer Staatsschuld in festen Händen waren, den Markt nicht be— lasteten und den Kurs nicht schädigen konnten, wie das viele flottante Material bei uns. Dagegen haben wir in Deutschland eine Gesamt⸗ schuld des Reichs und der Bundesstaaten von etwa 15 Milliarden. Davon sind insgesamt bei den Sparkassen im ganzen Deutschen Reich nur etwa eine Milliarde untergebracht, während, wir gesagt, in England 45 Milliarden auf die Sparkassen kommen. Unsere Banken werden im ganzen von Reichs, und Staatspapieren etwa 100 Millionen haben, wenn man erwägt, daß auf die großen Berliner Banken etwa 30 bis 40 Millionen Mark entfallen. Dagegen haben, wie schon erwähnt, die englischen Banken gegen 3 Milliarden in englischen Titres an— gelegt. Dann kommen noch einzelne Versicherungsgesellschaften und ähnliche Institute hinzu, alles in allem vielleicht mit 2 Milliarden. Wenn also von den 15 Milliarden Mark bei uns nur 2 Milliarden in den Händen von Banken, industriellen Unternehmungen, Sparkassen und dergleichen sich befinden, sodaß also von den 15 Milliarden 13 Milliarden vom Privatpublikum beziehentlich vom Auslande auf— genommen werden müssen — hingegen nur 55 Milliarden in Eng— land —, so liegt auf der Hand, was das auf den Kurs der Papiere ausmacht.
Ich will auf diese Frage, die schließlich dahin ausläuft, ob wir in höherem Maße als bisher die Sparkassen, Versicherungsgesell— schaften und dergleichen anhalten sollen, ihre Ueberschüsse in Konsols anzulegen, heute nicht näher eingehen. Das würde uns auch, glaube ich, etwas vom Ziele abführen. Aber, meine Herren, dabei muß ich bleiben, daß neben dieser Frage der Gewinnung eines regelmäßigen und steten Abnehmers für unsere Papiere es notwendig bleibt, auch ein staat— liches Institut zu schaffen, das willkürlichen Angriffen auf unsere Kurse entgegenzutreten in der Lage ist. Ich darf nochmals daran erinnern — ich glaube es auch im Abgeordnetenhause getan zu haben aß nach Ausbruch des russisch-japanischen Krieges unsere Staatspapiere in ganz unbegründeter Weise fielen, obgleich sich jedermann sagen mußte, daß wir gerade dasjenige Land sind, das am wenigsten in Mitleiden— schaft gezogen werden würde (Zuruf: Das kann man nicht wissenh, daß wir erlebt haben, daß schon einige wenige Hunderttausend Mark, ie auf den Markt geworfen waren, in schwerster Weise den Kurs unserer Staatspapiere geschädigt haben. Da frage ich denn: ist ein solcher Zustand, die Tatsache, daß seit 1896 unsere Staatspapiere um nahezu 15 0½ gefallen sind, erträglich im Interesse des kleinen Mannes und im Staatsinteresse? Ich gebe vollkommen zu und stimme darin Herrn Wachler bei, daß sich die Staatspapiere nicht derjenigen Beliebtheit erfreuen, die notwendig ist. Herr Wachler sagte: wir haben nicht die Kurse, die der Herr Finanzminister wünscht. Ich wünsche diese Kurse nicht für mich, aber für unsere Steuerzahler, und für die muß ich sie dringend wünschen. (Sehr richtig) Ob die Konvertierung der Staatspapiere eine richtige Maßregel war, darüber will ich jetzt nicht sprechen; diese Sache gehört der Vergangenheit an, und die Konvertierung der Staatspaplere war nicht der erste Schritt, sondern nur der zweite oder dritte. Die Landschaften und Kommunen sind mit Konvertie⸗ rungen vorangegangen, und der Staat ist nachgefolgt. Aber daß bei der Unbeliebtheit der Papiere die enormen Kursschwankungen eine sehr wesentliche Rolle spielen, kann nicht bestritten werden. Wie viel kleine Kapitalisten haben ihr Geld an den Konsols ver— loren, wenn sie um 15, seit 1896 gefallen sind, und dieser Verlust
ist es, der den kleinen Mann abhält, wieder Konsols zu kaufen, was wir dringend wünschen müssen. Ich meine, daß es die Pflicht eines großen Staates wie Preußen ist, soweit er es überhaupt vermag, dafür zu sorgen, daß die Beamtenwitwe, der kleine Mann usw., der seine paar Groschen dem preußischen Staat anvertraut, nicht finanziellen Schaden erleidet wie jetzt. (Sehr richtig Dazu kommt, daß, wie ich glaube, wir das dem Staats— kredit selbst schuldig sind. Wir leben gottlob in friedlichen Zeiten und denken nicht daran, daß auch ernste Tage kommen können. Ich frage aber: wie soll das enorme Kreditbedürfnis des Reiches und Preußens befriedigt werden im Ernstfalle, wenn wir uns jetzt im Frieden der Pflege des Anleihemarktes gänzlich entschlagen? (Sehr richtigh Wir haben bisher nichts getan, als unsere Emissionen auf den Markt gebracht und sie im übrigen im Markte hilfles ihrem Schicksal über lassen. Ein Staat, der vorsorgen will, ist schuldig, sich um seine Papiere im Frieden zu kümmern, damit er nachher den Markt hat, wenn ernste Tage kommen.
Der Hauptgrund des Bedenken des Herrn Wachler lag in dem,
was er zuletzt sagte. Er sagt, er sei finanzieller Gegner der Staats betriebe. Meine Herren, ein etwas mutiges Wort gegenüber den 195 Milliarden, die wir in jedem Jahre aus der Staatseisenbahn ein⸗ nehmen. Ich glaube, es werden nicht viel Herren in diesem hohen Hause sich finden, die das Urteil des Herrn Dr. Wachler unterschreiben gegenüber der glänzenden Entwickelung unserer Staatseisenbahnen. Ich möchte doch einmal die seligen Privatbahnen herauf— beschworen sehen (Zuruf: Um Gottes willen nicht) und sehen, was die Herren tun würden, wenn die Tarifkriege, die Zeiten des Kampfes aller gegen alle wiederkehrten. Die Staatsbahnen sind nächst der Einigung des deutschen Vaterlands der größte Erfolg, den wir über— haupt erzielt haben. (Sehr richtig h
Auf den Punkt der Staatsbetriebe im allgemeinen näher einzu— gehen, will ich mir versagen, muß aber hinsichtlich der uns hier be— schäftigenden Frage betonen, daß, wenn man früher die Seehandlung für notwendig gehalten hat, man sie auch jetzt so ausstatten muß, daß sie ihren enorm gestiegenen Aufgaben gerecht werden kann. (Sehr richtig) Eine Seehandlung mit 34 Millionen ohne die Macht, ohne achtunggebietende Stellung in der ganzen Bank- und Börsenwelt, verdient nicht aufrecht erhalten zu werden. Entweder man schafft sie ab, oder man erhält sie wirklich am Leben, und um das letztere bitte ich. (Bravo!)
Präsident des Reichsbankdirektoriums Dr. Koch; Die Seehand— lung hat länger als ein Jahrhundert lang dem Staat nützliche Dienste geleistet. Man braucht nicht nach neuen Aufgaben für fie zu suchen, schon ihr jetziger Geschäftskreis erfordert größere Mittel. Der Finanz⸗ minister hat mit Recht auf die große Expanston der hiesigen großen Banken hingewiesen. Das gesamte wirtschaftliche Leben hat sich in einer Weise aus— gedehnt, daß es auch bei der See handlung sich geltend gemacht hat. Wenn auch hinter der Seehandlung der preußische Staat mit seiner Garantie steht, so ist doch unleugbar, daß ein größeres Kapital ihr eine größere Beweglichkeit der gesamten Geschäftsführung, die Möglichkeit größerer Umsätze und eine Erhöhung ihrer moralischen Stellung gegenüber den andern großen Banken gewährt. Auf die Einwirkung der See handlung auf die Kurse der Reichs- und Staatsanleihen will ich nicht näher eingehen. Es ist schwer, zwischen Konjunkturen und will— kürlichen Bewegungen zu unterscheiden, man kann sich da leicht ver— greifen. Gerade die Reichs- und Staatspapiere sind ohne allen Schutz bei uns. Die Seehandlung könnte diese Papiere länger halten, sie brauchte sie nicht so schnell auf den Markt zu werfen. Viel bedenklicher ist eine andere Aufgabe, die man ihr zu⸗ weisen möchte, daß sie auch in wirtschaftlichen Krisen eingreifen und notleidende Firmen stützen soll. Dazu würde das Kapital der See— handlung nicht ausreichen, auch wenn man es noch weiter erhöhte. So wenig die Reichsbank sich die Aufgabe gesetzt hat, wirtschaftliche Existenzen zu stützen, so wenig darf es eine Staatsbank. Zu einer Er— höhung des Kapitals der Seehandlung für Zwecke einer Depositen— bank haben wir keine Veranlassung. Ferner soll die Seehandlung in Kriegsfällen dazu dienen, die Reichsbank zu entlasten. Darauf lege ich nicht großen Wert. Im Kriegsfalle werden so kolossale Anforderungen an den Verkehr und das Reich gestellt, daß nur große Notenbanken mit ihrem elastischen Notenvorrat von Nutzen sein können. Eine Erhöhung des Kapitals der Seehandlung ist um so notwendiger, als die Hälfte ihrer jetzigen 34 Millionen illiquid ist. Ich muß auch
entgegentreten, daß die Seehandlung die Diskonto⸗
dem Vorwurf politik der Reichsbank durchkreuzt. Es besteht ein rationelles, gutes Verhältnis zwischen beiden Instituten. Ich bitte, dem Entwurf zuzustimmen.
„Herr von Buch: Auch von unserer Seite wird den Aus— führungen des Finanzministers in vollem Umfange zugestimmt. Ich hoffe, daß es der Regierung gelingt, mit Hilfe der vermehrten Mittel der Seehandlung den unberechtigten Schwankungen der Staatspapiere entgegenzutreten. Daß es der Seehandlung gelingen wird, den Papieren jenen Kurs zu sichern, der ihnen vermöge ihrer Sicherheit zukommt, hoffe ich freilich nicht. Ich halte den Zustand für unnatürlich, daß die französischen und Lie englischen Papiere einen höheren Kurs haben. Herr Wachler will, daß das Publikum mehr dazu erzogen werde, sein Vermögen in Staatspapieren anzulegen. Wer soll denn diese Erziehung übernehmen, wenn nicht die See— handlung? Die hohen Provisionen für den Vertrieb von Hypotheken pfandbriefen halte ich für einen Schaden, für einen Verstoß gegen Treu und Glauben. Solche Mittel kann der Staat nicht anwenden, und er ist deshalb bei der Erziehung des Publikums von vornherein im Nachteil. Im Interesse der Steuerzahler sollte die Regierung diese unberechtigte Konkurrenz der Privatunternehmer beseitigen und den Konsols die Stellung einräumen, die sie verdienen. Bas muß geschehen.
. Herr Frentzel; Nach meiner Meinung ist es ein großes Ver⸗ dienst der Aktienbanken, ihre Kapitalien und ihren Kredit angewandt zu haben, um Industrie, Handel und Verkehrsgewerbe zu stützen. Wir sind alle überzeugt von der außerordentlichen Qualltät unserer deutschen, speziell der preußischen Staatsbeamten, aber nach einer Richtung wird der deutsche Staatsbeamte niemals erzogen, nämlich nach der Richtung des Erwerbs. Erwerbs⸗ sinn bedeutet schon, etwas wetten und wagen, und das soll er im allgemeinen nicht. Darum fehlt eigent⸗ lich den deutschen Staatsverwaltungen das Material, das im stande ist, mit Eiwerbsanstalten zu konkurrieren. Die akademischen Stände in. Deutschland taxieren den Erwerbssinn etwas minderwertig, wie es mir scheint; es dürfte diesen Erwerbsständen nicht zu verargen sein, wenn sie gegen dieses Urteil Front machen und ihre Bemühungen, durch die die Großartigkeit des deutschen Lebens so gesteigert worden ist, mehr berücksichtigt wissen wollen. Ein sicheres Mittel, den Kurs zu steigern, ist, weniger neue Anleihen aus— zugeben, außerdem die viel zu hohe Umsatzsteuer für Konsols gänzlich fallen zu lassen.
Herr Dr. Wachler berichtigt, daß er keineswegs ein Gegner der Staatsbahnen sei, sondern nur ein Gegner der Konkurrenz der Staats⸗ verwaltung auf Gebieten, die der Privattätigkeit vorbehalten bleiben sollten.
Herr von Buch betont, daß die Bestände der Berufsgenossen⸗ schaften auch in deutschen Privathvpothekenbankpfandbriefen angelegt werden dürfen, welche die Reichsbank in Klasse 1 beleiht. Leider habe der Bundesrat so viel Wert auf das Zustandekommen des Gesetzes gelegt, daß er sich eine solche Einschiebung in das revidierte ÜUnfaͤll— versicherungsgesetz gefallen ließ.
Mit einer kurzen Erwiderung des schließt die Debatte.
Der Gesetzentwurf wird einstimmig angenommen.
Schluß 5 Uhr. Nächste Sitzung: Freitag, 1 Uhr. (Be⸗ schlußfassung über die geschäftliche Behandlung eingegangener Vorlagen; Petitionen; kleinere Vorlagen; Antrag voͤn Man⸗ teuffel, betreffend das Militärgesangbuch.) .
Herrn Frentzel
Haus der Abgeordneten. 91. Sitzung vom 30. Juni 1904, 10 Uhr.
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berschtet ö 9 n.
Das Haus verhandelt in dritter Lesung über den Ge— setzentwurf, betreffend die Gründung neuer Ansiede⸗ lungen in den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien, Sachsen
und Westfalen.
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Dazu liegen folgende Anträge des Abg. Dr. von Dziembowski⸗Pom lan (Pole) vor:
Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen:
Lin 5 13a folgenden neuen Absatz aufzunehmen:
Die Ansiedelungsgenehmigung ist jedoch nicht erforderlich, wenn innerhalb einer im Zusammenhange gebauten Ortschaft ein Wohn⸗ haus zum Zwecke oder infolge der Teilung eines Grundstücks zwischen gesetzlichen Erben oder zum Zwecke der Ueberlassung eines Grundstücksteils seitens des Eigentümers an seine Abkömmlinge errichtet werden soll.“
2) folgenden neuen Artikel V aufzunehmen:
„»Das Gesetz findet keine Anwendung auf diejenigen Landgüter, welche nachweislich vor dem 11. Februar 1904 zum Zwecke der Aufteilung erworben worden sind.“
Ferner liegt noch der Antrag der Abgg. Dr. Szuman (Pole) und Genossen vor, ;
in der Ueberschrift hinter den Worten „betreffend die Gründung neuer Ansiedelungen' die Worte einzufügen: „beziehentlich die Er—⸗ schwerung und Hinderung von Ansiedelungen preußischer Staats bürger polnischer Nationalität“.
. Nach dem Abg. Dr. Mizerski (Pole), der die General⸗ diskussion eröffnet hat, nimmt das Wort der
Minister des Innern Freiherr von Hammerstein:
Meine Herren! Die Auseinandersetzungen des Herrn Vorredners sind mir zu meinem Bedauern durchweg unverständlich geblieben. Ich habe nur verschiedentlich meinen Namen darin gehört und kann mir denken, in welcher Weise ich behandelt worden bin. Man hat mir auch gesagt, daß der Herr Vorredner angenommen habe, daß er mich nunmehr gänzlich zermalmt habe. Ich kann ihm die tröstliche Ver— sicherung geben, daß ich mich noch recht wohl befinde. Dann soll er gesagt haben, daß ich darauf ausgehe, die Polen zu vernichten. (Widerspruch bei den Polen. Wenn das richtig ist, so muß ich das auf das entschiedenste bestreiten. Das, was die Königliche Staats regierung will, ist, die Polen zu preußischen Staatsbürgern zu er⸗ ziehen (lebhafte Zurufe bei den Polen), und an der Erreichung dieses Ziels fehlt leider noch sehr viel. (Sehr richtig! rechts) Auch die Erscheinungen der allerletzten Tage weisen wieder auf das schlagendste nach, wie notwendig es ist, strenge Mittel in der Hand zu haben, um Herr im Lande zu bleiben. Ich meine die Art und Weise, wie die polnischen Herren Abgeordneten die Opposition gegen dieses Gesetz, die ich an und für sich von ihrem Standpunkt aus für be— rechtigt halte, geführt haben, insbesondere auch das Hinaustragen der spezifisc und allein preußisch deutschen Angelegenheiten über die preußisch-deutschen Grenzen hinaus. Noch vor wenigen Tagen hat in Galizien eine große Versammlung unter aktiver Teilnahme eines preußischen Abgeordneten stattgefunden (hört! hört! rechts), in welcher gegen dieses Gesetz protestiert ist. Was geht die Galizier unser Gesetz an? Es ist in dem Bericht über die Versammlung ausdrücklich hervorgehoben, daß sie unter großem Zulauf aus Oesterreichisch⸗ und Russisch-⸗Polen stattgefunden hat. Was haben die österreichischen und russischen Polen mit unseren Gesetzen zu tun? (Sehr richtig! rechts.) Ich gehe noch weiter. Es hat im Anfang unserer Tagung einer der Herren Abgeordneten eine große Polenrede gehalten und hat sich dann Adressen aus allen polnischen Landesteilen schicken lassen; er hat sich namentlich gerühmt, von dem Lemberger Landesausschuß eine mit 500 Unterschriften bedeckte Adresse erhalten zu haben. Was mischen sich die Lemberger und die Galizier in unsere Angelegenheiten ein? (Bewegung.) Ebenso wie wir uns in russische und österreichische Ver= hältnisse nicht einmischen, können wir auch verlangen, daß man sich auch dort in unsere Verhältnisse nicht einmischt. Ich kann nur wiederholen: gerade diese Tatsachen beweisen, wie sehr viele preußische Polen nach dem Auslande sich richten und wie notwendig das gegen⸗ wärtige Gesetz ist, und wenn dasselbe dahin führt, unsere deutsche Herrschaft im Osten fortdauernd zu erhalten und zu stärken, so ist es ein gutes Gesetz. (Wiederholter lebhafter Beifall rechts; Zischen bei den Polen.)
Auf die ebenfalls schon im Auszug wiedergegebenen Aus⸗ führungen des Abg. Dr. Bachem (Zentr.) erwidert der
Justizminister Dr. Schönstedt: .
Meine Herren! Der Herr Abg. Dr. Bachem hat seine beredten Ausführungen begonnen mit einer Kritik des Verhaltens der Minister— bank, zu der ich ihm die Legitimation absprechen muß. Wir nehmen uns nicht heraus, meine Herren, das Verhalten der Mitglieder dieses hohen Hauses in einem einzigen Fall unserer Beurteilung zu unter— ziehen; wir müssen dasselbe Recht auch für uns in Anspruch nehmen. (Große Unruhe und Zurufe im Zentrum: Roeren!) Wenn es uns faktisch unmöglich war, den Ausführungen des Herren Abg. von Mizerski zu folgen, so war das nicht unsere Schuld (Heiterkeit und Lachen), und ich glaube nicht, daß die Verpflichtung der Vertreter der Königlichen Staatsregierung soweit geht, daß sie, wenn einer von den Herren hier einen Vortrag hält, dem das ganze Haus seine Auf⸗— merksamkeit versagt (Widerspruch bei den Polen), ihrerseits nun zu außerordentlichen Maßregeln greifen sollen, um den Herrn dennoch verstehen zu können. Das geht über das, was wir als unsere Pflicht und Schuldigkeit im Hause erkennen, hinaus.
Im übrigen, meine Herren, bedauere ich, aus der Rede des Herrn Abg. Bachem entnommen zu haben, daß der warme Appell des Herrn Ministers des Innern an die Haltung der Mitglieder des Zentrums dieses hohen Hauses einen Erfolg nicht gehabt hat und nicht haben wird. (Heiterkeit bei den Nationalliberalen.)
Ich gehe selbstverständlich bei der gegenwärtigen Geschäftelage nicht noch einmal darauf ein, eingehend die Ausführungen des Herrn Abg. Dr. Bachem zu widerlegen, soweit sie die Verfassungsmäßigkeit des vorliegenden Gesetzentwurfs betrafen. — Der Heir Abg. von Dziembowski hat, wie ich aus dem stenographischen Bericht ersehe — auch das habe ich damals nicht verstehen können — die Behauptung aufgestellt, es habe sich bezüglich dieser Verfassungsmäßigkeit ein Umschwung in den Auffassungen und in der Stellungnahme sowohl der Königlichen Staatsregierung wie auch dieses hohen Hauses vollzogen infolge der Kommissionsberatung, und in der Kommission habe vollkommene Einigkeit geherrscht über die Bedeutung des Artikels 4 der Verfassung dahin, daß er die absolute Anerkennung des Grundsatzes der Rechts gleichheit im preußischen Staate unter den einzelnen Bürgerklassen be⸗ deute. Meine Herren, es ist mir nicht möglich gewesen, aus dem Kom⸗ missionsbericht mich von der Richtigkeit dieser Auffassung und Darlegung des Herrn von Dziembowski zu überzeugen. Ich meine, daß niemand dortden entgegengesetzten Standpunkt aufgegeben hat, der hier in diesem Hause vertreten wurde, und insbesondere ist das auch nicht geschehen seitens der Königlichen Staatsregierung. Ich muß dabei bleiben, daß die Aus⸗ legung, die der Artikel 4 der Verfassung seitens der Königlichen Staatsregierung gefunden hat, nicht widerlegt worden ist von seiten