1904 / 165 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 15 Jul 1904 18:00:01 GMT) scan diff

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Aichtamtliches

Deutsches Reich. Preus en. Berlin, 16. Juli.

Das Reichsversicherungs amt veröffentlicht anläßlich seines zwanzigjährigen Bestehens in der heute erscheinenden Nummer der von ihm herausgegebenen „Amtlichen Nach⸗ richten“ einen Rückblick auf seine bisherige Entwickelung, der folgenden Wortlaut hat:

Rückblick

auf die Entwickelung des Reichsversicherungsamts in der Zeit vom 14. Juli 1884 bis zum 14. Juli 1904.

Das durch das Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 ins Leben gerufene Reichsversicherungsamt hat am 14. Juli desselben Jahres seine Tätigkeit aufgenommen zu vergleichen Bekanntmachung des Reichskanzlers vom 14. Juli 1884, Central⸗ blatt für das Deutsche Reich Rr. 29 S. 198). Der seitdem ver⸗ flossene Zeitraum von 20 Jahren ist ausgefüllt mit einer reichen Fülle von Arbeiten, die das Ziel verfolgten, die, Arbeiter— versicherungsgesetze als neues und bedeutsames Glied in den Organismus des staatlichen und öffentlichen Lebens einzu— führen, sie mit anderen dem Wohle der arbeitenden Klassen dienenden Einrichtungen in wechselseitige Verbindung fi bringen, Hand in Hand mit den Landesbehörden die Zwecke des Ge— setzes zu foͤrdern und das Vertrauen der Versicherten auf den Bestand und die Ergiebigkeit des ihm gewährten Rechtsschutzes zu stärken. Dabei trat nur insosern eine Verschiebung ein, als in der ersten Zeit die organisatorische und normenbildende Tätigkeit des Reichsversicherungsamts mehr im Vordergrunde

stand, während im Laufe der Jahre neben der laufenden Verwaltung und einer intensiven Aufsichtsführung die

Aufgaben, die dem Amte in seiner Stellung als oberster Ge⸗ richtshof zugewiesen sind, mehr und mehr an Umfang und Bedeutung gewannen. Der Kreis der Tätigkeit des Reichs= versicherungsamts ist durch die weitere Ausgestaltung und Ausdehnung der Unfallversicherungsgesetze sowie durch das Inkrafttreten der Invalidenversicherung vielfach erweitert worden, was naturgemäß wiederholt eine starke Ver— mehrung der Mitgliederzahl bedingte. Im wesent— lichen unberührt ist dagegen die eigenartige Zusammen— setzung des Reichsversicherungsamts geblieben, für die nach der Absicht des Gesetzes lediglich die Rücksicht maßgebend war, die Behörde unabhängig und vertrauenswürdig zu gestalten. Die Besetzung mit nicht ständigen Mitgliedern und die Zuziehung von richterlichen Beamten zu bestimmten Entscheidungen hat auf die Arbeiten zweifellos eine günstige Einwirkung gehabt; sie sind dadurch nicht allein anregender gestaltet, sondern auch wesentlich gefördert worden. In den nichtständigen Mitgliedern fand das Reichsversicherungsamt die Kräfte, die in ver— ständnisvoller Weise die Vermittelung der hier vertretenen Anschauungen gegenüber den Versicherungsträgern und den Kreisen der Versicherten übernahmen Denn auf dem neuen Arbeitsgebiete, bei dem die Ergebnisse unsicher schienen, und die Erfolge mehr oder weniger in weiter Ferne lagen, mußte bei allen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung von vorn— herein besonderer Wert auf möglichste Uebereinstimmung aller beteiligten Kreise gelegt werden. Daß sie regel⸗ mäßig erzielt werden konnte, und daß auch sonst die Bestrebungen des Amtes vielfach günstige Aufnahme und tatkräftige Unterstützung erfahren haben, war in erster Linie der eifrigen Mitarbeit, dem Entgegenkommen und schließlich auch der sozialen Denkungsweise der dem Reichsversicherungs⸗ amt angehörenden nichtständigen Mitglieder zu verdanken. Der gleiche Dank gebührt auch den richterlichen Beamten, die mit dem Anwachsen der Spruchsachen in immer steigendem Maße zu den Arbeiten des Reichsversicherungsamts herangezogen werden mußten und an ihnen mit sachkundigem Geschick teil— genommen haben.

Das einmütige Zusammenwirken der im Reichs— versicherungsamt vereinigten, den verschiedenen Berufs- und Interessenkreisen angehörenden Kräfte bildete die Grundlage für die bisherigen Arbeiten des Amtes; das feste Vertrauen hierauf begründet auch für die Zukunft die zuversichtliche Hoffnung, daß die ihm anvertrauten sozialpolitischen Aufgaben stets eine verständnisvolle und gedeihliche Förderung zum Frommen des deutschen Volkes erfahren werden.

Als das Reichsversicherungsamt seine Tätigkeit aufnahm, gehörten ihm drei ständige Mitglieder, einschließlich des Vor⸗ sitzenden, und vier vom Bundesrat aus seiner Mitte gewählte nichtständige Mitglieder ) an; die Wahlen der Vertreter der Genossenschaftvorstände und der versicherten Arbeiter konnten erst in einem späteren Stadium der Organisation vollzogen werden; ebenso wurden auch die richterlichen Beamten erst später ernannt. **)

Wie das Reichsversicherungsamt sich gegenwärtig zu— sammensetzt, ergibt die nachfolgende Uebersicht:

Zusammensetzung des Reichsversicherungsamts nach dem Stande vom 15. Juli 19604.

(Zu vergleichen Amtliche Nachrichten des R. V.A. 1899 S. 563 ff.)

J. Präsident: Gaebel.

II. Vom Bundesrat gewählte nichtständige Mitglieder:

1) Ritter von Herrmann, Königlich bayerischer Staatsrat und Ministerialdirektor.

2) von Schicker, Königlich württembergischer Präsident.

35 Dr. Paulssen, Großherzoglich sächsischer Geheimer Legationsrat. . .

4) Braun, Großherzoglich badischer Geheimer Oberregierungs— rat und Landeskommissär. ; .

5) von Falkenhayn, Königlich preußischer Geheimer Ober⸗ regierungsrat und vortragender Rat im Ministerium des Innern.

6) Dr. Hoffmann, Königlich preußischer Geheimer Ober⸗ garen rat und vortragender Rat im Ministerium für Handel und

ewerbe.

III. Direktoren:

1) Il ir f, Geheimer Oberregierungsrat, Direktor der Ab- teilung für Unfallversicherung ständiger Vertreter des Präsidenten. 2 Dr. Sarrazin, Direktor der Abteilung für Invaliden

versicherung.

) Anmerkung 1: Die Namen sind in den „Amtlichen Nachrichten“ von 1885 Seite 4 und 5h. mitgeteilt.

*) Anmerkung 2: Die Ergebnisse der ersten Wahlen, die Namen

1V. Senatsvorsitzende:

1) Besserer, Geheimer Regierungsrat.

2 Graef, Geheimer Regierungsrat.

3 Dr Kries, Geheimer Regierungsrat.

4) Isenbart, Geheimer Regierungsrat.

5 Witowztki, Geheimer Regierungsrat,

6) Dr. Zacher, Geheimer Regierungsrat.

7 Stolzmann, Geheimer Regierungsrat.

8) Greiff, Geheimer Regierungsrat.

9) Dr. Gerstel, Geheimer Regierungsrat. 10 Friedensburg, Geheimer Regierungsrat. 11) Bb erm, Geheimer Regierungsrat.

12 Sasse, Geheimer Regierungsrat. 13 Bielefeldt, Geheimer Regierungsrat. . 14 Hartmann, Geheimer Regierungsrat und Königlich preußischer Professor. ; . 15) Fleischauer (Walter), Geheimer Regierungsrat. 169 Dr. Ludewig, Geheimer Regierungsrat. 17 Kanzow, Geheimer Regierungsrat. 18 Dr. Flügge, Geheimer Regierungsrat. 19 Handow, Geheimer Regierungsrat. 20 Dr. Bassenge, Geheimer Regierungsrat. 21 Radtke, Geheimer Regierungsrat. 22 Steinwand, Geheimer Regierungsrat. V. Sonstige ständige Mitglieder: I) Platz, Regierungsrat. 3 Schultz, Regierungsrat. ö 35 Dr. Laß, Regierungsrat und Königlich preußischer Professor.

4) Dr. Klein, Regierungsrat.

5) Sie fart, Regierungsrat.

6) Hippenstiel, Regierungsrat.

7 Dr. Marquardt, Regierungsrat.

s) Hülsmann, Regierungsrat.

93) Dr. Weym ann, Regierungsrat.

10 Fleischauer (Ernst), Regierungsrat.

11) Schae ffer, Regierungsrat.

12) Dr. Heyroth, Regierungẽrat.

13 Lüerssen, Regierungsrat.

14 Dr. Spiegel thal, Regierungsrat.

15) von Uckro, Regierungsrat.

16) Follmann, Regierungsrat.

177 Dr. Wiesner, Regierungsrat.

18) Dr. Rieß, Regierungsrat.

19 Vosberg, Regierungsrat.

20) Freiherr Hon Herman, Regierungsrat.

21) Knorr, Regierungsrat.

22) Dr. Stoecker, Regierungsrat. 23) Dr. Lehmann, Regierungsrat. 24) von Witzleben, Regierungsrat. 25) Dr. Mentzel, Regierungsrat. 26 3 Regierungsrat. 27) Dr. Lippmann, Regierungsrat. 28) Dr. Moll, Regierungsrat. 29) Einecker, Regierungsrat. 30) Abry, Regierungsrat. VI. Hilfsarbeiter.

l) Dr. von Becker, Großherzoglich hessischer Gerichtsassessor. 2 Dr. Rabeling, Königlich preußischer Gerichtsassessor.

3) Dr. von Scha ck, Königlich preußischer Gerichtsassessor. c Branchart, Königlich preußischer Gerichtsassessor.

5 Dr. Dambitsch, Königlich preußischer Gerichtsassessor. 6) Freiherr von Hornstein Binningen, Großherzoglich badischer Referendar. . .

7 von Zur Westen, Königlich preußischer Gerichtsassessor.

8) Fritz, Königlich bayerischer Bezirksamtsassessor.

9 26 e, Kön glich preußischer Amtsrichter.

1090 Müldler, Königlich preußischer Gerichtsassessor.

1II Dr. Poensgen, Königlich preußischer Gerichtsassessor.

19 Dr. Raehmel, Königlich preußischer Gerichtsassessor.

Vor den Königlichen technischen Prüfungsämtern in Berlin, Hannoner und Aachen haben in der Zeit vom 1. April 19653 bis dahin 1904 im ganzen die Vor- bezw. die erste Hauptprüfung für den Staatsdienst im Bau⸗— fache abgelegt:

a. die Vorprüfung: in Berlin 240, in Hannover 93 und in Aachen 14, zu⸗ sammen 347 Kandidaten (im Vorjahre 692), b. die erste Hauptprüfung: in Berlin 374, in Hannover 98 und in Aachen 26, zusammen 498 Kandidaten (im Vorjahre 374). Von den 347 Kandidaten zu a sind 93 für das Hochbau— fach, 147 für das Ingenieurbaufach und 10 für das Maschinenbaufach geprüft worden und haben 245, also 70,6 Proz. (im Vorjahre von 692 Kandidaten 478 oder 69.1 Proz) die Prüfung bestanden, darunter 1 „mit Aus⸗ zeichnung“ und 2 mit „gut“. Von den in die erste Hauptprüfung eingetretenen 498 Kandidaten sind 171 für das Hochbaufach, 197 für das Ingenieurbaufach und 130 für das Maschinenbaufach geprüft worden und haben 381, also 765 Proz. (im Vorjahre von 374 Kandidaten 290 oder 77,5 Proz.), die Prüfung bestanden, darunter 7 „mit Auszeichnung“ und 25 mit „gut“. Bei dem Königlichen technischen Prüfungsamt in Berlin haben sich außerdem 17 Kandidaten der Vorprüfung und 54 Kandidaten der ersten Hauptprüfung im Schiffbau⸗ und Maschinenbaufach der Kaiserlichen Marine unterzogen (im Vorjahre 17 bezw. 30 Kandidaten). Hiervon haben bestanden: die Vorprüfung 15 Kandidaten, also 88,2 Proz, wie im Vorjahre, die erste Hauptprüfung 29 Kandidaten, also 85,3 Proz. (im Vorjahre von 30 Kan⸗ didaten 29 oder 96,7 Proz.), darunter 1 „mit Auszeichnung“ und 4 mit „gut“.

Der Oberrechnungskammerdirektor, Wirkliche Geheime Oberregierungsrat von Nostitz ist nach Schierke abgereist.

Der hanseatische Gesandte Dr. Klügm ann hat Berlin mit Urlaub gien Während der Dauer seiner Abwesen— heit führt die Königlich bayerische Gesandtschaft die Geschäfte der Hanseatischen Gesandtschaft.

Laut Meldung des „W. T. B.“ sind S. M. J. „Hohen⸗ zollern“, S. M. S. „Hamburg“ und S. M. Tpobt. „Sleipner“ am 13. Juli von Bergen nach Aalesund in See gegangen.

8 M. S. „Tiger“ ist am 12. Juli in Swatau ein⸗ getroffen, am 13. Juli von dort abgegangen und am 14. Juli in Amoy eingetroffen.

der gewählten nichtständigen Mitglieder und der, richterlichen Beisitzer sind in den Amtlichen Nachrichten von 1886 Seite 121 ff. veröffentlicht.

Großbritannien und Irland.

Gestern wurde in London eine zahlreich besuchle Ver⸗

wiedergebildeten Parteirats der abgehalten. Chamberlain, der bei seinem Erscheinen mit großem Beifall begrüßt worden war, wurde, wie „W. T. B.“ meldet, zum Präsidenten det Parteirats, der Minister des Aus— wärtigen Marquis of Lansdowne und der Erste Lord der Admiralität Earl of Selborne wurden zu Vizepräsidenten

sammlung des liberalen Unionisten

gewählt. 1700 bis 1800 Delegierte aus verschiedenen Landes—⸗ .

teilen wohnten der Versammlung bei. Chamberlain hielt eine Rede, in der er an die Entstehung und an die Geschichte der unionistischen Partei erinnerte, deren Ziel die Aufrechterhaltung der Union des Vereinigten Königreichs unter der Oberhoheit des Reichsparlaments sei. Die Versammlung nahm darauf mit Ein⸗ stimmigkeit eine Resolution an zu Gunsten einer vollständigen Reform des Fiskalsystems Englands. Die Resolution billigt ferner das Verlangen des Premierministers Balfour nach größeren Machtbefugnissen zur Bekämpfung feindlicher Tarife sowie des Systems, Waren auf den englischen Markt zu schleudern, und drückt schließlich das Ein— verständnis mit den Vorschlägen aus, zwischen dem Mutter— lande und den Kolonien Vorzugstarife zu vereinbaren.

Auch bei einer Abends von dem Parteirate der liberalen Unionisten veranstalteten großen Versfammlung in der Albert Hall war Chamberlain der Hauptredner. Er forderte die Regierung auf, die Unionisten durch eine Reform des Steuerwesens zum Siege zu leiten in der Frage der Union des Reiches; er betonte dann die Notwendig— keit, die großen Ungerechtigkeiten des jetzigen Wahlsystems zu beseitigen, um die parlamentarische Macht der irischen Nationalisten zu brechen. Die Versammlung nahm eine Resolution an, in der die Fiskalpolitik der Regierung gebilligt wird. Der Garl of Lansdowne erklärte, diese Resolution werde dem Premierminister neue Kraft verleihen für die Führung seines Amtes. Lyttelton erklärte, er stimme darin mit Chamberlain überein, daß es für das gegenwärtige Parla— ment nicht angemessen sei, die Fiskalfrage zu verhandeln, sondern daß an das Volk appelliert werden müsse.

Das Oberhaus nahm die dritte Lesung des Gesetzentwurfs an, nach dem ausländische Silberwaren mit einem deutlichen Kennzeichen versehen sein müssen.

Im Unterhause erklärte gestern, wie W. T. B.“ meldet, bei Beantwortung einer Anfrage der Premierminifter Balfour, die Re— gierung sei von der Angelegenheit des Dampfers -Allanton“ durch den Eigner des Dampfers und andere interessierte Parteien benachrichtigt worden. Der englische Botschafter in St. Petersburg habe die russische Regierung um Angabe der Gründe ersucht, auf die hin das Schiff von dem Prisengericht in Wladi— wostok beschlagnahmt sei. Die russische Regierung habe eine Antwort versprochen. Am 7. Juli fei dem Botschafter die Mit— teilung zugegangen, daß in einem weiteren Telegramm nach Wladi— wostok um nähere Aufklärungen gebeten worden sei. Ein Monat Frist sei gestattet, um gegen das Urteil des Prisengerichts bei dem Admiralitätsrat in Petersburg Berufung einzulegen. Der Botschafter habe um Mitteilung des Tages der Verhandlung gebeten und die russische Regierung ersucht, dafür Sorge zu tragen, daß

die Behandlung des Falles keine Verzögerung erleide. Walter Foster (liberal) fragte im weiteren Verlaufe der

Verhandlung an, ob das Auswaͤrtige Amt über die dem deutschen Sanatorium ⸗Syndikat auf Madeira gemachten Zugeständnisse Mitteilung erhalten habe, und ob die Regierung im Hinblick auf die Tatsache, daß der Ruf Madeiras als Yee gel lonn hauptsãchlich durch britisches Kapital und durch britische Tatkraft begründet worden sei, Schritte zu tun gedenke, um für die britischen Interessen Gleichheit der Bebandlung zu erlangen. Der Unter— staatssekretär des Aeußern Earl Perey erwiderte, die An— gelegenheit werde von der Regierung sorgfältig erwogen. Dar britische Gesandte in Lissabon habe entsprechende Anweisungen er— halten. Auf eine weitere Anfrage erklärte der Unterstaatssekretär, die Regierung besitze keine amtliche Nachricht über die Durchfahrt eines russischen Kreuzers, der die Handelsflagge geführt hätte, durch den Bosporus. Hingegen habe die Regierung Kenntnit davon, daß zwei britische Dampfer im Roten Meere an, gehalten worden seien; die Angelegenheit werde untersucht.

Bei der Besprechung des Etats des Kriegsministeriums setzte der Kriegsminister Arnold Forster die Plaͤne der Regierung für die Heeresorganisation auseinander und wies auf die ver— wickelte Natur des Problems hin. Er erklärte: das gegenwärtig vor— handene Heer entspreche nicht den eigenartigen Bedürfnissen des Reiches. England unterhalte in Friedenszeiten eine Armee, von der ein großer Teil zum Kriege nicht geeignet sei und die eine der kostspieligsten Maschinen fei, die man jemals erfunden habe. Es sei notwendig, diesem Uebel— stande abzuhelfen. Man müsse zunächst eine Organisation schaffen, die die englischen Streitkräfte reorganisieren könne, und des— halb habe die Regierung es für notwendig gehalten, mit der Reorganisation des Kriegsministeriums zu beginnen. Der Redner besprach sodann die Schaffung des Verteidigungkz— ausschussed und die Vergrößerung des Intelligenzdepartements. Im weiteren Verlauf seiner Rede erklärte der Kriegsminister das dreijährige Dienstsystem für unzweckmäßig; es müßten Schritte getan werden, um diesem System ein Ende zu machen. Auch sei es not wendig, für eine Beschäftigung der Soldaten nach Schluß ihrer Dienstzeit Sorge zu tragen. Der Minister wies sodann auf den unbefriedigenden Zustand der Miliz hin und gab dem Wunsche Ausdruck, die Heeres ausgaben herabzusetzen. England habe gegenwärtig eine Streitmacht von 100000 Mann, ausschließlich der Kolonialtruppen und der Truppen der indischen Fürsten. Der Minister fragte, ob das Haus glaube, daß diese ungeheuren Streitkräfte für eine Inselmacht notwendig seien; er glaube es nicht. Sodann ging der Kriegsminister auf die für die Heerezergänzung gemachten Vorschläge über, erklärte sich gegen das e, m n fte! und wies darauf hin, daß duich seine Annahme eine weltere Ausgabe bon 25 00 go0 Pfd. Sterl. jährlich herbeigeführt werde. England unterhalte 57 Batalllone in Indien und 37 in den übrigen Kolonien. Hoffentlich werde eine Zeit kommen, wo man einen Teil der Truppen aus den Kolonien werde zurückziehen können. Die Regierung sei der Ansicht, daß eine so große Armee für die Landesverteidigung nicht erforderlich sei, und schlage daher vor, das Heer um die 14 Linien— bataillone zu verkleinern, die in den letzten vier Jahren geschaffen worden seien. Der Kriegzminister machte weiter den Vorschlaf, auch fünf Garnisonregimenter aufzulösen. Die Armee solle in zwei Teile geteilt werden; eine gewisse Anzahl Bataillone werde in England behalten werden; diese würden auf eine Stärke von 500 Mann ver, ringert werden, von denen 100 Mann für den allgemeinen Dlenst und 400 fuͤr den kur jen Dienst bestimmt sein würden. Diese würden zwei Jahre bei der Fahne dienen und sechs Jahre der Reserve angehören. Auch solle ein Reserveoffizierstand geschaffen und das drei= jährige Dienstsyftem abgeschafft werten; dagegen sollten Ergänzung. depofg errichtet werden, die Ersatzdetachements für die Kolonien liefern sollen. Die Dienstzest für den allgemeinen Dienst“ solle 6 Monate im Depot und 8 Jahre 6 Monate bei der Fahne be tragen. Die Zahl der Kavallerieregimenter zu ändern, R nicht vorgesehen; das sogenannte Linkedbattalionspstem solle ab⸗ geschafft werden. Was die englische Miliz anbetreffe, so glaube er, daß es daz Beste sei, dem Kriegkminister Carte blanche zu geben 70 Bataillone der besten Miliz zu nehmen und, wo es wünschenswert sei, immer zwei Bataillone zu einem zu verschmelzen und. sie mit den lerritorialen Bataillonen der Linie zu verbinden. Kein Minister könn aber eine solche Aenderung, wie angedeutet, durchführen, wenn er n

den guten Willen des Parlaments und der Nation hinter sich habe. Die Freiwilligen sollen auf 200 900 Mann herabgemindert werden, aber umfassendere Unterstützung als bisher von der Regierung erhalten und zu einer Streitmacht von wirklicher Schlagfertigkeit gemacht werden. Der Minister schloß mit dem Ausdruck der Hoffnung, daß seine Vorschläge zur Annahme gelangen und eine Verminderung der Heeregausgaben herbeiführen werden.

Campbell Bannerman (lib) drückte seine Befriedigung darüber aus, daß der Kriegsminister den Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht den Garaus gemacht habe. Auch das von der Regierung geplante Verfahren bezüglich der Freiwilligen halte er für richtig. Hingegen hätte der Minister besser getan, das System der Linkedbattalions bei⸗ zubehalten, denn dadurch würde ein großer Geldbetrag erspart und die Mannschaftszahl bedeutend verringert werden. Im Laufe der Debatte erklärte der Kriegsminister noch, er sei überzeugt, daß die Garnison in Südafrika bald wesentlich herabgemindert werden könne. Er habe vor-

eschlagen, daß die Reserven in den für den allgemeinen Dienst“ be— ier nen Regimentern aus 23 900 Mann und in den für den kurzen Dienst“ hestimmten aus 87 900 Mann bestehen sollen. Die Ab— schaffung des Systems der ‚Linkedbattalions“ und die Einführung bes Systems der Ergänzungsdepots geschehe zu dem Zwecke, um

4 sicherzustellen, daß eine viel größere Mannschaftszahl bei der Fahne

im Auslande gehalten werden könne als im Mutterlande. Nach weiterer Debatte wurde die Sitzung geschlossen.

Frankreich.

Gestern vormittag fand bei prachtvollem, warmem Wetter die Parade in Longschamps statt. Der Präsident Loubet holte, wie „W. T. B.“ meldet, den z. 3. in Paris weilenden Bey von Tunis im Elysée ab und begab sich mit ihm und dem Gefolge von dort nach Longchamps, wo die Zuschauertribünen

von einer zahlreichen Menge dicht besetzt waren. Bei ihrer Ankunft

nin Longchamps wurden sie vom Kriegsminister, General André, dem Generalstab und den fremden Militärattachés empfangen.

Sie fuhren die Front der Truppen entlang und begaben sich

aauf die Präsidententribüne, worauf der Vorbeimarsch der

Truppen erfolgte; nach seiner Beendigung und nach der

. Schlußattaque auf die Tribünen begrüßte der General

André den Präsidenten und den Bey, auf die andauernd Hoch— rufe ausgebracht wurden. Alsdann kehrten der Präsident und der Bey wieder nach Paris zurück.

Wie „W. T. B.“ aus Paris berichtet, heißt es, der Staats—⸗ sekretär Merry de Val habe den Bischof von Laval unter Androhung schwerer Maßregeln aufgefordert, bis zum 20. Juli seine Entlassung zu geben, die Regierung habe aber in formeller

ö Weise auf Grund des Konkordats dem Bischof verboten, seine

Diözese zu verlassen. Die Maßnahmen des Vatikans gegen den Bischof sind dem Vernehmen nach durch ein Gesuch veranlaßt worden, das von 52 Deputierten, General⸗ und Munizipal— räten des Departements Mayenne unterzeichnet ist und dar— über Beschwerde führt, daß der Bischof den nichtsäkularisierten Jesuiten geistliche Befugnisse verweigert. Der Erzbischof von Rouen bezeichnet die Blättermeldung über vom Vatikan ihm angedrohte Maßregeln für unrichtig.

Ruszland. Der Kaiser und der Großfürst-Thronfolger trafen nach

ʒener Meldung des W. T. B.“ aus St. Petersburg vor—

gesten in Slatoust ein, wo der Kaiser über die Truppen

eine Parade abnahm und sie mit Heiligenbildern segnete, und reisten dann über Ufa nach Samara weiter.

Dort er⸗ folgte die Ankunft gestern vormittag. Der Kaiser wurde von den Spitzen der Behörden sowie von der Bevölkerung begeistert empfangen, segnete auch dort nach der Parade die

Truppen in seinem und der Kaiserin Namen und besuchte den

Dom, worauf Seine Majestät mit dem Großfürsten-Thron—

folger die Reise fortsetzte.

Spanien.

. Die Tagung der Kammern ist gestern geschlossen

vorden.

Niederlande. Die Erste Kammer hat mit 27 gegen 22 Stimmen den Gesetz⸗ entwurf abgelehnt, nach dem den Graduierten der konfessionellen Privatuniversitäten dieselben Rechte hinsichtlich der Verwendung im

sentlichen Dienste zugestanden werden sollen wie den Graduierten

der öffentlichen Universitäten.

. Türkei.

. Nach einer Meldung des „Wiener K. K. Telegr-⸗Korresp.⸗

Bureaus“ sind die Truppen der Garnison Skutari be⸗

ruhigt. Das Bataillon, das revoltiert hatte, wurde in Skutari zurückbehalten, während die übrigen Soldaten nach Mlet ge— sandt wurden. Die verhafteten Offiziere wurden in Freiheit

ö rh, die Soldaten, die statt vier Jahre acht Jahre gedient

aben, verabschiedet und ein Drittel des Soldes ausgezahlt.

Schweden und Norwegen. Seine Majestät der Deutsche Kaiser ist gestern achmittag an Bord der „Hohenzollern“ in Aalesund ein⸗ getroffen und von den Bewohnern der reichgeschmückten Stadt herzlich empfangen worden. Der Amtmann von Aalesund be— rüßte den Kaiser mit einer Ansprache, in der er nochmals en Dank für die bei der großen Feuersbrunst von dem Kaiser jewährte Hilfe aussprach. Der Kaiser drückte seine Freude ber die fleißige Arbeit beim Wiederaufbau der Stadt aus, esichtigte dann die von dem Brand vornehmlich be—⸗ roffenen Stadtteile und erlaubte, daß eine der neuen Straßen saiser Wilhelm⸗Straße benannt werde. Heute vormittag hat Heine Majestät bei prächtigem Wetter die Weiterreise von alesund angetreten. Amerika.

Nach einer Meldung der „Agence Havas“ bestimmt das

wischen Brasilien und Peru abgeschlossene vor— äufige Uebereinkommen, daß Peru das strittige erritorium räumt und daß dieses Territorium für neutral rklärt wird bis zur endguͤltigen Regelung der Frage auf reundschaftlichem oder schiedsgerichtlichem Wege.

As ien.

Vom Kriegsschauplatz in der Mandschurei berichtet der eneralleutnant Sacharow dem russischen Generalstab in inem Telegramm vom 13. d. M., wie „W. T. B.“ aus St. Petersburg meldet, folgendes: Am 12. Jull traten im Süden von viaujang keine Ver— derungen ein. Japanische Streifwachen zeigten sich im Westen von r. Eisenbahn, en sich aber, als sie rufe Streifwachen sahen, . rück, Eine Kofakenstreifwaché, die zur Rekognoszierung auf dein von Haitschou nach Inlau führenden Küstenwege gusgefandt wurde, stesste fest. Bin den Salngruben von Tawalga bis Lanytsitschan und weiter nordwärts Bjapanische Streifwachen befinden, die etwa eine Eskadron stark sind. Bei nytsitschan stehen Wachtposten des Gegners eine Werst nördlich von der Linie Makuntsuisy = schlansatun bis zur Küäfte. Tsinsal, Sangoimi d . werden von einer aus den drel Waffengattungen be⸗ henden A ng, besetzt 56 An der Mündung des Nantahe ö eine Streifwache zwei Dampfer, die nach Aussagen von Chinesen oviant ausladen.

Am 13. Juli gingen aner auf der Linie Siu jan Taschitschao . i 6 ann, 9 Uhr Morgens eröffnete eine feindliche Batterie, die den Paß bei Mugaju besetzt hielt, 15 Werst südöstlich von Tantschi das Feuer. Um die Mittagszeit rückten die Japaner nach Weitzaju vor. Um 1 Uhr Mittags nahm eine japanische Kompagnle Kaschigoau ein. Gleichzeitig eröffnete der Feind, südöstlich von Taunzai ein Gewehrfeuer auf. eine russische Feldwache. Russtsche Streifwachen stellten fest, daß in dieser Richtung zwei japanische Infanterieregimenter, zwei Batterien und zwei bis drei Eskadronen' tätig sind. Ein Regiment steht mit einer Hatterie bei Huantunlin. Vorpostenabteilungen desselben befinden sich bei Taunzai. Daß andere Regiment und eine Batterie halten das Gebiet von Kaschigou bis Weitzaju besetzt, Abteilungen seiner Vorhut stehen in Mamugai. Drei Kosaken. die am frühen Morgen des 12. Juli über den Paß nach Mugaju hin vordrangen, bemerkten Geschützschanzen, eine Gebirgsbatterie und elf Kompagnien Infanterie, sowie Kapallerieabteilungen. Nach Osten von Tantschi ausgesandte Streifwachen stießen auf zwei feindliche Kompagnien, ein Kofak wurde verwundet. Bel Kaodiatun, zwölf Werst südlich von Tantschi, sahen Streifwachen ebenfalls zwei japanische Kompagnien. Bei Zaotziatun hatte eine japanische Kompagnie ein Scharmützel mit einer Freiwilligenabteilung und einer Sotnie. Die Japaner gruppieren sich 8 Werst südlich von Tantschi. Durch eine in der Nacht auf den 12. Juli von einer russischen Abteilung ausgeführte verstärkte Rekognoszierung in der Richtung auf den Dalinpaß wurde festgestellt, daß der Gegner die Stellung bei Siaguschan stark besetzt hat und daß eine recht bedeutende Abteilung bei Suntodsi zusammengezogen worden ist. Eine Aufklärungsabteilung verlor im Süden von Siaoguschan bei einem Scharmützel mit einer japanischen Kompagnie einen Schützen; drei Mann wurden verwundet. Eine in der Umgebung von Singou ausgeführte Rekognoszierung hat bestätigt, daß eine ziemlich bedeutende feindliche Abteilung von Siahotan nach Mugaju vorrückt. Nach den übereinstimmen⸗ den Aussagen fast aller Abteilungen tragen die Japaner bei Re— kognokzierungen chinesische Kleidung oder . chinesische Strohhüte auf. Im Osten von Liaujang herrscht Ruhe. Eine japanische Vorpostenabteilung hat das Dorf Tantai, 30 Werst südlich von Thawuan (50 Werst südöstlich von Liaujang), besetzt. Am Morgen des 13. Juli fand bei Lidiapudsa, etwa fünf Werst von Thawuan, zwischen einer russischen Feldwache und einer japanischen Aufklärungsabteilung ein Scharmützel statt. Die Russen hatten keine Verluste. Die Japaner ver- loren, an Toten und Verwundeten etwa 10 Mann, darunter einen Offizier, und ein Mann wurde gefangen genommen. Die Schützen bemächtigten sich der Waffen und der Munition der Japaner. Die im Norden von Saimatsi befindlichen Abteilungen des Gegners zogen sich von Siatschan und Siuosyra zurück und besetzten am 12. Juli den Fenschuilin- und Sigoulinpaß, beide etwa 20 Werst nord— östlich und nördlich von Saimatsi.

Nach einer Meldung der „Russischen Telegraphe nagentur“ aus Haitscheng, die vom 13. Juli datiert ist, soll die Ab⸗ teilung des Generals Mischtschenko ein glänzendes Gefecht südlich von dieser Stadt bei den Schwarzen Bergen bestanden haben. (In den veröffentlichten amtlichen Berichten ist davon nichts mitgeteilt worden;, Die Japaner befestigten die Stellungen, die sie 8 Werst von Taschitschigo innehaben. Die Hitze sei auf 55 Grad Celsius gestiegen. Truppen sei durch die Nachricht, daß der Angriff auf Port Arthur zurückgeschlagen worden sei, außerordentlich gehoben.

Ueber den Sturm der Japaner auf Port Arthur, der am 109. und 11. Juli stattgefunden haben soll, liegen in St. Petersburg, wie „W. T. B.“ erfährt, noch keine Einzel⸗

mögen die Ausfuhr dahin nicht wesentlich zu beeinträchtigen. Vor allem sind es die sogenannten Spülwaren“, wie Becken, Ausgußschalen, dann Teller, Boden- und Wandfliese, die als Stapelartikel in Dresden hergestellt werden. Zu hoher kunstgewerblicher, ja künstlerischer Vollendung ist hier die Herstellung von BVafen, Figuren und besonders der flach und erhaben gehaltenen Wandverkleidungen ent⸗ wickelt worden, wie wir ihnen heuse in vornehmen Vestibüls, Speise⸗ sälen und Baderäumen begegnen und wie sie sie aus Schönheits⸗ und Reinlichkeitsrücksichten zumal in eleganten Fleisch⸗, Milch⸗ und Friseur⸗ läden einzubürgern anfangen. Die Erkenntnis der Bazillen läßt uns gerade für solche Räume ein Material hochschätzen, das die peinlichste Sauberkeit durch häufiges Abwaschen erlaubt, ohne dabei Einbuße an Schönheit zu erleiden.

Qualifizierte Leistungen vermag aber ein Unternehmer nur mit qualifizierten Arbeitern hervorzubringen. Qualifizierte Kräfte wollen jedoch herangebildet, gehalten und auch menschlich richtig gewürdigt sein. Ganz abgesehen von den wissenschaftlich und künstlerisch ge—⸗ schulten Beamten, die Dr. Wilkens mit sicherem Blick heranzuziehen wußte, verstand er es auch meisterlich, das Vertrauen der schlichten Arbeiter zu erwerben. Denn alle die Wohlfahrtseinrichtungen der Firma sind zumeist auf Dr. Wilkens' eigene Initiative zurückzuführen.

Lange bevor das Reich die Arbeiterversicherung festlegte, hatte er die verschiedenartigsten Wohlfahrtskassen organisiert, die zum Teil erheblich mehr leisteten, als die Zwangzversicherung vorschreibt, und die auch heute noch als Zuschußkassen ihren Zweck erfüllen. Die ursprüngliche Fabrikkrankenkasse ist, um sich dem Krankenversicherungsgesetz anzupassen, in die Betriebs krankenkasse und die Unterstätezungskafse für andauernd Kranke zerlegt. Diese letztere übernimmt nach Aufhören der Unter stützungspflicht, d. h. ein Jahr rach eingetretener Erwerbsunfähigkeit, diese Verpflichtungen und kann je nachdem die Unterstützungen bis zum Lebensende ausdehnen. Gegenwärtig werden etwa 25 invalid gewordene Arbeiter völlig aus ihren Mitteln unterhalten. Ein jeder erhält eine Tagespension von 2 (6 Eine andere freiwillige Kasse ist die Witwen- und Waisenkasse der Arbeiter. Sie zahlt den Hinterbliebenen der Mitglieder, wenn solche 5 Jahre lang der Kasse angehörten, eine Unterstützung bis zur Höhe von 14 M monatlich. Dieser Wohltat werden gegenwärtig etwa 80 Witwen teilhaftig. Eigenartig ist die Einrichtung der in den 890 er Jahren gegründeten Fabriksparkasse. Sie hat neben den persönlichen Sparern noch Spargruppen“. In den einzelnen Fabrikabteilungen haben die Leute Vertrauensmänner gewählt, denen sie ihre Ersparnisse zur Abgabe an die Sparkasse einhändigen. Von solchen Sparern erfährt die Fabrikleitung nicht, wie hoch die Einlagen der einzelnen sind, was einem aus früheren Biten stammenden Vorurteil noch Rechnung trägt. Als persönliche Sparer beteiligen sich 365, die Gesamteinlagen dieser Arbeiter belaufen sich auf etwa 65 000 M6 Für Erholungsbedürftige und für die An— . von Reservisten wird für die Zeit ihrer militärischen Dienst⸗

eistung aus Betriebsmitteln gesorgt. Die von Boch⸗ und Galhau⸗

Stiftung hilft außerdem in besonderen Notlagen.

Um die Arbeiter vor unzeitigem Genuß starker Getränke zu be— wahren, ist eine Suppen und Kaffeeküche im Betrieb ein⸗ gerichtet, in der Kaffee, Milch, Suppe und kalte Speisen zum Selbstkostenpreis abgegeben werden. Den Feuerarbeitern (Heizern und Brennern) werden alkoholfreie erfrischende Ge⸗ tränke unentgeltlich verabreicht. Der Genuß von Branntwein und von schweren Bieren ist in der Fabrik nicht gestattet.

Der Geist der Zur Förderung der Hautpflege sind Fabrikbäder angelegt.

Brausebäder stehen allen Leuten kostenlos zur Verfügung. Wannen⸗ bäder werden den Feuerarbeitern auch unentgeltlich verabfolgt, während die übrigen für das Wannenbad 10 3 zu entrichten haben. Die Ein⸗ richtung eines Konsumvereins hat sich als entbehrlich erwiesen, hingegen beziehen die Arbeiter ihr Feuerungsmate rial sehr wohlfeil durch die Fabrik. Die Arbeiterwohnungsfrage hat die Leitung der

heiten vor; nur weiß die „Nowoje Wremja“ aus Liaujang zu berichten, daß der Sturm glänzend zurückgeschlagen worden sei. Der General Fock habe die Japaner bis Nonalin ver—

folgt. Ihre Verluste seien enorm. Die Russen hätten gegen

1000 Mann verloren.

Aus Tschifu wird dem „Reuterschen Bureau“ gemeldet, daß der britische Dampfer „Hsiping“, der Schanghai am 8. d. M. verlassen habe, gestern zehn Meilen nördlich von Tschifu von den Japanern mit Beschlag belegt worden sei, weil er Kontrebande geladen habe.

An das Volk von Tibet hat, wie dem genannten Bureau aus Gyangtse gemeldet wird, der britische Oberst Younghusband eine Kundgebung gerichtet, in der er als den Zweck der britischen Expedition den Vormarsch auf Lha ssa bezeichnet, um Genugtuung für die schmähliche Behandlung der Vertreter des Königs seitens der tibetanischen Behörden zu fordern. Ferner droht YJounghusband in dieser Kundgebung dem Volke an, daß strenge Bestrafung jedem Angriffe auf die vorrückende englische Truppenmacht folgen werde.

Afrika.

Nach einer Meldung des „Reuterschen Bureaus“ habe der Vertreter des Sultans Mohammed⸗el-Toves die in Tanger und in Tetuan gefangen gehaltenen Leute vom Agherastamme freigelassen. Die Gefahr der Entführung von Europaͤern sei jetzt nur noch sehr gering. Im Zollamt in Tanger seien französische Beamte tätig. Die Stimmung der Marokkaner sei gegen sie sehr erbittert, doch sei alles ruhig.

Statistik und Volkswirtschaft.

Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen in der Steingutfabrik von Villerov u. Boch zu Dresden.

In diesen Tagen begeht Dr. Karl Wilkens, der Direktor der im In und Ausland bekannten Dresdner Steingutfabrik von Villeroy u. Boch, seinen 70. Gehurgtag. Er erblickte, wie die Sozial⸗Korrespondenz“ mitteilt, am 17. Juli 1834 das Licht der Welt in Wächtersbach, einem nassauischen Städtchen am Abhang des Vogelsberg. Seit alters ist da die Töpferei zu Hause. Der Fürst zu Vsenburg hatte eine Steingutfabrik hier angelegt, die auch gegenwärtig noch in 6 und sozialer Hinsicht einen hohen Ruf ge— nießt. Diese Fabrik leitete lange Jahre Dr. Wilkens Vater. In dem jugendlichen Alter von 15 Jahren bezog Wilkens die Universität Dießen, wo er unter Jastus Liebig Chemie studierte. Schon 1853 erlangte er die Doktorwürde; er setzte seine Studien fort und trat dann in ein großes Bankhaus ein, um sich kaufmännisch aus— zubilden. Nachdem er auch technische und kunstgewerbliche Kenntnisse und Erfahrungen gesammelt hatte, kehrte er nach seinem Heimatsort zurück, wo er zuerst mit seinem Vater gemeinsam, von 1860 an selbständig die Steingutfabrik leitete. Im Herbst 1574 übernahm er dann die Direktion der 1855 gegründeten Dresdner Zweigniederlassung der Firma Villeroy u. Boch in Mettlach. Damals beschäftigte diese Filial. fabrik kaum 400 Leute. Unter dem seitherigen genialen Leiter hat sich die Arbeiterzahl auf etwa 1530 erhöht (986 männliche, 50 weibliche Personen) und hat sich technisch, künstlerisch und durch ihre Wohlfahrts. einrichtungen auch sozial mit an die Spitze der deutschen Keramik gh lt as Kunst und Wissenschaft aus der welchen Masse des

ong zu formen vermögen, tritt hier in Erscheinung. Die zweck— mäßigsten Verfahren des Mahlens, des Brenneng, die Feinheiten der Modellierung, die Pracht jarter und üppiger Farbengebung, die der Zeit und dem Wetter ju trotzen vermag, wurden hier unier den . Dr. Wilkens in die Wege geleitet. Seinem geschäftgmännischen Geschick gelang es, in Anpaffung an die Bedüärfnisse und den Geschmack der fremden Länder dem deutschen Steingut den Weltmarkt zu er⸗ schließen. Selbst die hohen Schutzj olle Rußlands und Amerikas ver—

Fabrik schon lange beschäftigt. 1872 erstellte sie 10 Wohnhäuser, in denen 56 Familien untergebracht sind. Für den niedrigen Mietpreis

von 156 „S haben sie hübsche Wohnung mit kleinem Gärtchen und noch ein Stück Feld von etwa 220 m, außerdem Gelegenheit zur Geflügel- oder Kaninchenhaltung. Vor einigen Jahren hat die Firma noch durch Zuwendung eines Kapitals an den Bau⸗ und Sparverein in einem der Genossenschaftshäuser ein Verfügungsrecht über 10 Ar—⸗ beiterwohnungen erhalten.

Die hohe Wertung guten Einvernehmens zwischen der Leitung und den Arbeitern und die Förderung ihrer persönlichen Tüchtigkeit geht aus einer Reihe anderer Veranstaltungen hervor. In früheren Jahren waren der Pflege persönlicher Beziehungen zwischen dem Leiter, den Beamten und Arbeitern die Familienabende gewidmet. Jetzt liegt diese Aufgabe mehr dem Arbeiteraus schuß ob. Diesem gehört der aus 7 Arbeitern bestehende Vorstand der Betriebskrankenkasse an. Je 20 Arbeiter wählen einen Wahlmann und diese Wahlmänner dann den Ausschuß. Zu dessen Obliegenheiten gehört unter anderem auch die Normierung der Unterstützungen aus der von Boch-Stiftung.

Zur Pflege des Turnens der Arbeiter und Arbeiterinnen zahlt die Fabrik deren Jahresbeitrag bis zum 18. Lebensjahre an den Turn verein und unterhält einen Turn⸗ und Tummeloylatz im Fabrikgelände. Der Gesangesfreude dient der von Dr. Wilkens ins Leben ge⸗ rufene Arbeitergesangverein „Keramik“.

In der Dreherei, Formerei und Malerei werden Lehrlinge systematisch ausgebildet. Fleißige Fortbildungsschüler erhalten Prämien, die Schule selbst erhält einen Zuschuß zur Lehrmittelbeschaffung. Die jungen Arbeiterinnen werden in den Nadelarbeiten und im Schneidern von drel dazu angestellten Lehrerinnen unterrichtet. Bei der Verheiratung erhalten die Arbeiter und Arbeiterinnen meist ein nach den Dienstjahren bemessenes Geschenk. Für die Kinder der Arbeiter wird hauptsächlich während der Sommerferien gesorgt. Es werden jährlich 20— 30 Kinder auf Kosten der Firma durch den gemein⸗ nützigen Verein in die Ferienkolonien geschickt. Dann werden mit Kindern im Alter von 10—14 Jahren unter Leitung eines Turn- lehrers und einer Turnlehrerin während der Ferien Wanderungen unternommen, auch kleine Tagesausflüge nach der Sächsischen Schweiz, Meißen ꝛc. Ferner erhalten die Konfirmanden eine Unterstützung.

Nicht aus kühler Berechnung der Nützlichkeit hat 6h dieses menschlich schöne Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer entwickelt, sondern es ist die Frucht tief empfundenen Wohlwollens und aufrichtigster Hochschätzung tüchtiger Arbeit. Wie dies die Leute zu würdigen wissen, geht daraus hervor, daß ein großer Teil der Arbeiterschaft schon laͤnger als 15 Jahre im Betrieb angestellt ist. Im Laufe der Zeit sind 358 Jubiläen 25jähriger treuer Dienste begangen worden. Eine recht große Anzahl der Arbeiter erfreut sich des Besitzes der vom Staat für 30jährige Dienstzeit verliehenen Medaille; drei Arbeiter sind länger als 50 Jahre im Dienst der Firma. Nie hat ein Streik das Arbeitsverhältnis auch nur vorübergehend getrübt. Auch in litergrischer Hinsicht hat sich Dr. Wilkens durch Veröffent⸗ lichung des Werkes .Die Töpferei“, das 1869 bei Voigt: Weimar⸗ Leipzig erschien, sowie von Aufsätzen in Fachzeitschriften betätigt. Als deutschgesinnter Mann hat er sich durch Verdeutschung vieler fremd—⸗ sprachiger Ausdrücke in seinem Berufszweig verdient gemacht. Er fühlte sich als Leiter einer Steingut⸗“, nicht als „Direktor einer Majolika oder Fayencefabrik“.

Zur Arbeiterbewegung.

Wie die Zeitungen aus Frank furta. M. melden, beschloß der dortige Verband baugewerblicher Unternehmer die Aussperrung aller organisierten Arbeiter von Montag ab. Auch den nicht- organisierten Arbeitern soll zum 23. Juli gekündigt werden, falls die Differenzen bis dahin nicht beglichen sein sollten. In Wiesbaden steht für Montag die Aussperrung von etwa 400 Maurern bevor, während die Zimmermeister sich dort nicht an der Maßregelung he⸗ teiligten. In Darmstadt wurde von den baugewerklichen Arbeit- gebern gleichfalls für Montag die Aussperrung heschlossen.

In Boryslaw (Galizien) verlief der gestrige Tag und die Nacht ruhig. Die 1 haben sich bereit erklart, mit Arbeiter vertretern, die aus der Arbeiterschaft gewählt werden sollen, neuer⸗ dings wegen eines Ausgleichs zu verhandeln. Eine gestern abend ab-

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