Entwicklung unserer Kolonien handelt, tragen wir gern die Ver⸗ antwortung, noch viel mehr für diejenigen Aufwendungen, die im kulturellen Interesse und im Interesse der Arbeiterschaft für die Invaliden und Veteranen gemacht sind, und wenn heute die ver—⸗ bündeten Regierungen die Forderung aufstellten, unsere Rüstungen u Wasser und zu Lande stärker zu machen, so werden wir nach reif⸗ sicher Prüfung ihrer Vorschläge auch dafür eintreten. Einen Teil der Schuld tragen aber auch die verbündeten Regierungen, die, wenn sie mit den notwendigen Forderungen zum Schutz und zur Ehre unseres Vaterlandes vor uns treten, auf der anderen Seite die Pflicht haben, zu sagen, woher sie die zur Deckung nötigen Geldmittel nehmen wollen. Es kann nicht unsere Aufgabe und unsere Pflicht sein, uns den Kopf darüber zu zerbrechen, wie man das Defizit ausgleichen soll. Die Sozialdemokraten machen es sich in dieser Richtung sehr bequem.
ragt man sie, wo sollen die Deckungsmittel herkommen, so antworten e stets: Wir wollen die Reichseinkommensteuer, fort mit allen in⸗ direkten Steuern, die nur den armen Mann belasten. Ich habe mich einmal damit beschäftigt, zu ermitteln, wohin dieses sozialdemokratische Rezept führen würde, Es wären die rund 900 Millionen Mark Reichseinnahmen zu streichen, die Zuschußanleihen zu beseitigen, die wachsenden Ausgaben für Heer und Marine mit einigen weiteren hundert Millionen anderweitig zu beschaffen. Ein Einkommen von über 100 900 6 haben im ganzen preußischen Staate nur 2657 physische Personen, von diesen Millionären, die so sunmenschlich viel“ beziehen, haben 1812 ein Einkommen von 100 600 bis 200 000 , ein Einkommen von 1 Million und darüber haben im ganzen Staat 50 Männer. Wenn die Personen mit einem Einkommen von über 100 000 ½ die Hälfte ihres durchschnittlichen Einkommens hergeben — ich glaube, damit würde selbst Herr Bebel zufrieden sein — so wären das 337 Millionen. Das gesamte Einkommen in Preußen von denen, die über 30 0090 ½ις Einkommen verfügen, beträgt nach den neuesten Schätzungen 1275 000 000 ¶Æ Selbst wenn Sie diesen die Hälfte ibres Einkommens nähmen, so hätten Sie erst 637 Millionen, also noch nicht z der Ertraͤge aus den indirekten Steuern. Würden Sie von den gedachten Personen im ganzen Deutschen Reiche die Hälfte
als direkte Steuer erheben, so würden Sie mit 5900 Millionen noch nicht r — ᷣ . solche Widersprüche verwickeln könnte.
den vierten Teil der Reichseinnahmen erhalten, die heutzutage notwendig sind. Also mit einer progressiven direkten Reichseinkommensteuer kommen Sie, selbst wenn Sie sie noch so hoch wählen, nicht ans Ziel. Daneben geht die Möglichkeit, daß manche sich der Steuerpflicht ent- ziehen und mit ihrem Einkommen ins Ausland gehen würden. glaube, selbst wenn der Reichstag die direkte Einkommensteuer zehnmal beschließen sollte, so würden die verbündeten Regierungen vorläufig nicht dafür ju haben sein. Es heißt also, sich nach anderen Steuer⸗ quellen umsehen. Alle Vorschläge haben stets den Refrain; Schutz den schwächeren Schultern. Dafür stimme ich selbstverständlich auch, aber man darf dies nicht so auffassen, als ob nun den schwächeren Schultern alles abgenommen und den stärkeren Schultern aufgeladen werden sollte. Jede neue Steuer wird von allen Angehörigen des Deutschen Reichs gefordert. Ein Weg zu einer gerechten Ver— teilung auf die schwächeren und stärkeren Schultern ist schwer u finden. Der Weg der Besteuerung der leistungsfähigen Schultern durch eine Erböhung der Matrikularbeiträge vorzunehmen, 9 auch seine Schattenseiten. Meine Freunde steben auf dem
ismarckschen Standpunkt, daß man das Reich möglichst unabhängig von den Einzelstaaten machen, eine möglichst reinliche Scheidung jwischen dem Reich und den Einzelstaaten eintreten lassen und die Matrikularbeiträge womöglich ganz beseitigen solle. Matrikularbeiträge ungerecht sind, möchte ich sie wenigstens nicht noch verstärken. Das Projekt einer Wehrsteuer ist so alt wie der Reichstag selbst und ist von :e. Parteien vorgetragen worden. Nun soll man allerdings nicht Steuern einführen zu einem besonderen Zwecke, aber in diesem Falle heiligt der Zweck die Mittel, und ich glaube, Sie wären alle damit einverstanden, wenn wir eine Wehrsteuer annähmen, um den notleidenden Invalidenfonds aufzubessern, damit unsere alten Invaliden und Veteranen unterstützt werden. Hinsichtlich der Diätenfrage stimme ich Herrn Heim voll⸗ kommen zu. Der jetzige Zustand ist auf die Dauer unerträglich. Deswegen möchte ich im Namen meiner Partei die verbündeten Regierungen nochmals darum bitten, diese gerechte Forderung endlich zu erfüllen. Der Reichekanzler hat uns gestern davon Mitteilung gemacht, daß die Handelsverträge erst nach Neujahr vorgelegt werden sollen. Ich will, seiner Aufforderung entsprechend, auch jetzt nicht näher darauf eingehen. Nur dem Wunsch will ich Ausdruck geben,
daß die Interessen der deutschen Viehzüchter soweit wie möglich ge.
wahrt werden. Auch meine politischen Freunde würden nicht daran denken, einem Handelsvertrage zuzustimmen, in dem durch irgend welche Konzessionen der Schutz des deutschen Viehes gegen Seuchen gefahr nicht gewährleistet ist. Ich glaube, dies darf auch jetzt, wo die Vertragsverhandlungen noch nicht abgeschlossen sind, hier aus—⸗ gesprochen werden.
Abg. Bebel (Soz): Der Reichskanzler hat gestern Bezug genommen auf einen Artikel der „Leipziger Volkszeitung“. Wir be⸗ dauetn lebhaft, daß dieser Artikel veröffentlicht worden ist und wir verantworten nach keiner Richtung hin den Inhalt dieses Artikels; aber wenn auf Grund dieses Artikels der Reichskanzler, wie geschehen, auf uns losschlug, so müssen wir feststellen, daß Ihre Presse (nach rechts und zum Zentrum) ganz ebenso auf unsere Partei losschlägt. Heute bringt der, Vorwärts“ eine Probe davon; die Koblenzer Volks⸗ zeitung“, ein Zentrumsblatt, dessen Redakteur unser Kollege Dr. Mareour ist, fordert in dürren Worten auf, die Verbreiter des sozialdemokratischen Kalenders in jener Gegend mit kräftiger ungebrannter Holzasche' zu regalieren. Was das Schimpflexikon anbetrifft, so ist in der soge—⸗ nannten Ordnungspresse bei den Zolltarifverhandlungen ein solcher
Hagel von Beschimpfungen losgelassen worden, der nicht mehr über⸗
boten werden konnte. Der Kanzler hat sich dann auch über die Vor⸗ gänge in unserer Partei, über Revisionisten und Radikale ausgelassen. Was bezweckt der Kanzler damit? Er hätte als Staatsmann alle Ursache gehabt, seinen Angriff gegen diese Elemente in unserer Partei mit aller Schonung zu richten; tatsächlich aber hat er sie durch die Form seiner Angriffe beleidigt und radikalen Elementen Vorschub ge— leistet Der Reichskanzler hat weiter behauptet, Kautskv habe selbst das An⸗= jweifeln der sozialdemokratischen Dogmen für unerlaubt erklart habe ihm zugerufen: Zitieren Sie! Sinne nach so, den Wortlaut habe er nicht zur Stelle.
Gerade weil die
Ich und er erwiderte, es sei dem Der Reichs ⸗
Ich
lanzler hat sich geirrt, Kautsky hat derartiges nicht gesagt; der mi von Hammerstein als den Freund Stoeckers zu sprechen, wobei ihm
Reichskanzler hat also ins Blaue hinein behauptet; er findet den Beifall des Hauses. Was ist denn auf dem Dresdener Parteitag gegen die Meinungsfreiheit so Fürchterliches ge⸗ schehen? Man hat erklärt, daß in politischen Blättern, die jur Sozialdemokratie feindlich stehen und sie Harteigenosse nicht schreiben soll. Ein Berliner „Tägliche Rundschau“, hat gemeint, eine solche Auffassung sei doch bei bürgerlichen Zeitungeschriftstellern selbstverständlich. würde sich irgend eine Partei etwas derartiges von ihren Partei⸗ schriftstellern gefallen lassen? Es sind Verleumdungen allerschlimmster Art, wenn behauptet wird, daß in der Sozialdemokratie die Rede⸗ oder die Gedankenfreibeit irgend wie beschränkt wird. In der Sozial⸗ demokratie gibt es keinen Philipp II, auch keinen Cromwell; der Führer, der sich das herausnehmen wollte, sollte sein blaues Wunder erleben. Sie haben keine Ahnung, wie abhängig wir Führer von unserer Partei sind; wir werden alle Jahre neu gewäblt. Aber jeder d . wählt diejenigen, die er an die Spitze stellt, beinahe mit instimmigkeit, ein Beweis, daß die tiefgehenden Differenzen, die Sie uns nachsagen, in unserer Partei nicht vorhanden sind. Wir sind nicht mal so selbständig daß wir den Redakteur des. Vor⸗ wärt“ anstellen können, da müssen wir erst die Preßkommission fragen; und soll ein Funktionär 100 oder 200 Æ„ . Zulage bekommen, so müssen erst die Vertrauensleute gefragt werden. Der Kanzler sprach vom sozialdemokratischen Dogma und
beschimpfen, ein bürgerliches Blatt, die
materialistischen Geschichtẽ auffassung, die
Der Name Marx wird noch mit goldenen Lettern in der Geschichte stehen, wenn der Name Bülow als Reichskanzler längst vergessen ist. Der err Reichskanzler hat sich dann über die Witzblätter tadelnd ausgelassen, weil sie Ruß land nicht schonten. Wenn das in diesem Sinne von so hoher Stelle aus geschieht, so ist es geeignet, die Meinungsfreiheit unserer Presse einschränken. Hätte er dieselbe Beklemmung empfunden, wenn die Witzblätter sich gegen die Japaner gewandt hätten? Dann wäre wahrscheinlich die Lektüre dieser Blätter eine a ,. An⸗ regung seiner Verdauung. Den Geheimvertrag mit Rußland hat der Kanzler als nicht bestehend bezeichnet. Damit wird er recht be—⸗ halten; denn derartige Dinge bringt man nicht zu Papier. Warum hat man denn sich nur auf diesen Punkt allein beschränkt, wo dem „Vorwärts“ eine nebensächliche Verwechselung passiert ist; warum hat man auf meine zahlreichen Anfragen bezüglich unserer Neutralität e, Rußland nicht geantwortet? Ich habe eine ganze Reihe derartiger Dinge ausgesprochen, ich habe ge— fragt, ob es wahr sei, daß auf deutschen Werften Unterseeboote für Rußland gebaut werden, ob Dampfer an Rußland verkauft wurden usw. Auf alles das hat der Kanzler nicht geantwortet und sich statt dessen mit dem, Vorwärts“ beschäftigt. Er if der letzte, der sich mokant über andere aussprechen kann. Wer ist es denn, der statt eines Peter von Amiens von einem Peter von Arbues sprach? Wer wird von der deutschen Presse so oft verspottet, weil er den Büchmann so wenig auswendig kann? Ich begreife, daß Herr Paasche sich beklagte. Wenn er aber bedauerte, daß die Parteien so wenig Ant⸗ wort vom Reichskanzler bekommen, dann kann er ja bei uns eintreten und einer Antwort sicher sein. Er müßte aber erst ein Examen ablegen. Außerdem waren die Fragen der anderen Parteien derartig, daß sie ich eigentlich von selbst be⸗ antworten. An Ihren (rechts) Reden ist den Regierungen gar nichts ge—⸗ legen, das wissen wir ganz genau. Auf unsere Reden aber hort die Menge draußen. Der Reichskanzler warf uns vor, wir wollten Deutschland gegen Rußland verhetzen, Deutschland in Feindschaft mit Rußland verwickeln. Ich hätte nicht für möglich gehalten, daß er sich in Was haben wir für ein Interesse. Deutschland in einen Krieg mit Rußland zu verhetzen? Zeigen Sie mir doch eine Stelle einer Rede, wo ich so etwas gesagt haben soll. Wir müßten ja das Meiste bei einem Kriege verlieren, der für Rußland günstig verlaufen würde. Wir verlangen doch die Volkswehr nicht zum Spaß sondern damit der letzte Mann die Möglichkeit habe, für die Freiheit seines Vaterlandes einzutreten. Ich selbst würde trotz meines Alters für die Unabhängigkeit des Landes die Flinte ergreifen, wie ich in früheren Jahren mich bereit erklärt habe. Das war mein voller Ernst wie der meiner Freunde. Der Reichskanzler liest den Vorwärts“ ganz genau, er muß wissen, was darin steht; er hat dem „Vorwärts“ aber etwas unterstellt, was dieser nicht gesagt hat. Der Reichskanzler will in bezug auf den Königsberger Projeß nicht als Jurist, sondern als Politiker gesprochen haben. Gerade in politischer Beziehung ist dieser Prozeß eine der traurigsten Erscheinungen, die Deutschland in diesem und im vorigen Jahrhundert gesehen hat. Man hat die Strafanträge der russischen Regierung extrahiert. Die russischen Beamten haben gewisser⸗ maßen die erforderlichen Uebersetzungen gefälscht und durch falsche Vorspiegelungen den Schein erweckt, daß der Prozeß in der Tat geführt werden mußte. Als nun der Prozeß kam, stellte sich heraus, daß für ihn die Grundlage fehlte, daß die Gegenseitigkeit ar nicht existierte. Das Strafverfahren mußte nach dieser
ichtung eingestellt werden. Dieser Ausgang war eine Blamage für den Reichskanzler und den vpreußischen Justizminister. Die Urteile der deutschen Presse über diesen Prozeß scheint der Reichs—⸗ kanzler nicht zu kennen. Auch die . hat sich der Sache be⸗ mächtigt und ein vernichtendes Urteil über den Prozeß gefällt. Der Kanzler sieht ein hochverräterisches Vorgehen darin, daß Schriften nach Rußland vertrieben werden, die bei uns in Deutschland straffrei verbreitet werden. Auch in bejug auf unsere Haltung für den Fall eines unglücklichen Krieges hat sich der Kanzler in unlösbare Wider⸗ sprüche verwickelt. Redner wendet sich dann gegen die Aus⸗ führungen des Abg. Stockmann und führt dabei aus: Als Kampfpartei halten wir es für unsere Pflicht, unsere Ge— nossen, die im Kampfe stehen, auch materiell zu unterstützen. Wir klären diejenigen auf, die noch im dunkeln leben. Sie wollen sie in diesem Dunkel erhalten. In diesem Sinne erregen wir aller⸗ dings Unzufriedenheit. Gewiß bezahlen wir Diäten. Unsere Fraktion ist in fünf Klassen geteilt. Die eine hat genug und bekommt nichts, die jweite Klasse bekommt 3, die dritte 6— 7, die letzte 12 M Die Diäten ziehen aber bei uns keinen Menschen in den Reichstag. Ich muß mich ganz energisch dagegen erklären, daß immer wieder von Sinekuren in unserer Partei gesprochen wird. Die Parteileitung wacht mit der größten Sorgfalt darüber, daß die Gelder richtig ver⸗ wendet werden. Herr Stockmann hat Herrn von Mirbach verteidigt. Ich habe nur die Art des Sammelns für Prunkkirchen, die von be— stimmten Stellen bevorzugt werden, verurteilt und die Eintragung der Spender in ein goldenes Buch, um spätere Entschädigungen, Orden zu erzielen. Das habe ich als Heuchelei bezeichnet. Es ist unmöglich, daß Herr von Mirbach nicht gewußt hat, wo die 350 000 6 geblieben sind. Bei jedem Sozialdemokraten hätte man gesagt: das ist ein offenbarer Meineid. .
Präsident Graf von Ballestrem:; Sie dürfen nicht einem hoch—2 gestellten, auch nicht einem niedriggestellten Mann, wenn er vom Gerichtshof als glaubwürdig erachtet wurde, den Vorwurf des Meineids machen; ich rufe Sie deswegen zur Ordnung. ;
Abg. Bebel (fortfahrend): In einer Kreistagssitzung wurde eine Unterstüßzung für zwölf arme Leute wegen Mangels an Mitteln ab— gelehnt, dagegen die Beteiligung an dem Hochjeitsgeschenk für den Kronprinjen beschlossen. Das illustriert die ganze Heuchelei der christlichen Gesellschaft. Auf die groben Späße des Abg. von Liebermann einzugehen, halte ich unter meiner Wurde. Redner wendet sich dann gegen die Ausführungen des Abg. Dr. Spahn bezüglich des Verhaltens des Herrn Göhre. Herr Göhre habe kleinmütig sein Mandat niedergelegt. Das sei eine Schädigung der Partei gewesen. Dann habe er später nach dem Tode Rosenows obne Befragen der Partei wieder kandidiert. Das habe der ganze Parteivorstand verurteilt. Redner polemisiert weiter gegen den Abg. Stoecker, kommt dabei auf den früheren Abg.
der Begründer der kein Dogma mehr zuläßt.
Schettler' jugerufen wird, meint, daß der Stoeckersche Ton ganz wie Dresden klinge, und daß der zweite Luther Luther J. wenig nachstehe, der der größte Schimpfmeister Deutschlands ge— wesen sei. Was das sogenannte Wahlkompromiß in Bavern betreffe, so bedauerten beide Parteien, das Zentrum und die Sozialdemokraten,
daß die Verhältnisse in Bayern so liegen, daß ein solcher Kuhhandel
Und
sprach von Marx.
Jede Religion, jede Kirche ist notwendig intolerant, jede verflucht
Daß der Reichskanzler jemals eine
die Anhänger der anderen. ; unmöglich; hätte er
Schrift von Marr gelesen hat, ist
auch
nur die kleine Schrift ‚Das kommunistische Manifest' gelesen, so
hätte er seine gestrigen Aeußerungen nicht tun können.
Marx ist
notwendig gewesen wäre. Herr Blumenthal hätte lieber auf seine Freunde hinwirken sollen, daß das schlechte Wahlgesetz geändert werde. Wir wissen beide, fährt Redner fort, daß der letzte Kampf zwischen uns beiden (auf das Zentrum deutend) dem Zentrum und uns, ausgefochten werden muß. Es ist einfach die kopflose Art, wie heute der Liberalismus in Bayern regiert, die ihm diese Nieder—⸗ lage zugezogen hat. Wir würden viel lieber mit ihm als mit jenen gehen. Daz Verhalten Jaurée' verurteilen wir gerade so wie sein Duell. Aber das sind nationale Verhältnisse, die von den unseren grundverschieden sind. Wir sind nicht schutzzöllnerisch gewesen und
find heute nicht freihändlerisch, wir beurteilen von Fall zu Fall, ob
und in welcher Höhe ein Schutzzoll notwendig ist oder nicht, wie ja flüber Kayser und heute Schippel Anschauungen in dieser Beziebung vertreten, die nicht diejenigen der Mehrheit unserer Partei kind Bezüglich der Oktrois sucht Redner dem Abg. Heim nachzuweisen, daß die bayerische Gesetzgebung die Gemeinden anhalte, die Oktrols da ohne weiteres abzuschaffen, wo es notwendig sei. In München, wo das Zentrum in der Gemeinde die Mehrheit babe, seien alle Anträge der Sozialdemokraten auf Beseitigung der Oktrois von dem Zentrum und den Liberalen abgelehnt worden. Schließlich bekämpft Redner die Vermehrung der Heeresstärke. Präsident Graf von Ballestrem: Ich werde darauf aufmerksam
ret daß der Abg. Bebel den Abg. von Liebermann alz eichstagsclown bezeichnet hat. Ich habe das überhört. Ein solcher Ausdruck, einem Reichstagsabgeordneten gegenüber, ist gänzlich unzu. hij und der Ordnung des Hauses widersprechend; ich rufe den Abg. Bebel deswegen zur Ordnung.
Abg. Graf zu Reventlow (Wirtsch. Vgg); Alles, was wir bören, mehr, was wir nicht hören, muß uns schließen lassen, daß die wirtschaftlichen Verhandlungen sich nicht in einer uns günstigen Richtung bewegen. (Redner zitiert in diesem Sinne einen Artikel der Zukunft‘) Ich bitte die mir wirtschaftlich naheste henden Kollegen, sich mit dem äußersten Mißtrauen zu wappnen.
Abg. Osel (Gentr.) spricht sein Befremden darüber aus, warum der Reichskanzler auf die Frage, wie unser handelspolitisches Ver— hältnis zur nordamerikanischen Union demnächst sich gestalten werde, keine Antwort gegeben habe. Der 1900 mit der Union abgeschlossene neue Handelevertrag sei dem Reichstage niemals zur Genehmigung vorgelegt worden. Auch in dieser Frage sollte dem Reichstage gegen— über offen und ehrlich vorgegangen werden. Redner wendet sich dann nach einigen Ausführungen gegen die modernen Witzblätter, gegen die Aus- führungen des Abg. Schrader über Schiffahrtsabgaben und Hand— werkerschutz. Die internationale Kartellierung der Großindustrie und des Großkapitals lasse die Schutzzölle als die einzige Schranke gegen die Fortschwemmung des deutschen Handwerks und kleinen Gewerbeg erscheinen. Der Staat hätte die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, im Interesse des Staates nur seine Pflicht auszuüben und die Kartelle zu brechen; das wäre erst wirkliche Mittelstandspolitik.
Abg. Gröber (Sentr.): Herr Bebel hat heute den Artikel der Leipziger Volkszeitung“ von den Rockschößen seiner Partei ab— geschüttelt, dann aber auf einen Artikel der Koblenzer Volkszeitung“ hingewiesen. Wir würden diesen Artikel zu mißbilligen haben, wenn er den angedeuteten Inhalt hat. Unser Kollege Marcour ist aber nicht Redakteur, sondern Verleger. Er hat bis jetzt die betreffende Nummer nicht erlangen können; die Verant— wortung kann er in keiner Weise übernehmen. Uebrigens ist in den Zolltarifwverhandlungen das Schimpflexikon auch von Ihrer Seite ganz erheblich bereichert worden; es hat da namentlich in den Zwischenrufen nur so gehagelt von: Gauner! Zuhälter! usw. usn. Was Herr Bebel über das Verhältnis zu seiner Partei sagte, war so kindlich, so harmlos. Ach, Herr Bebel, wie dauern Sie uns! Der stärkste Mann glaubt nicht daran. Von wem stammt denn das Wort: „Wer nicht pariert, der fliegt“? Und wer hat denn Bebel als Diktator, als Lord-Protektor Cromwell bezeichnet? Es war Herr von Vollmar auf dem Parteitage in Dresden, und er schloß: Das mußte einmal gesagt werden! Und dem folgte der Zwischenruf: Es war die höchste Zeit! Herr Bernstein ist aus der Redaktion des „Vorwärts“ herausgegangen worden — er wollte ein eigenes Blatt gründen, er hat es gegründet, und das hat man kaput gemacht. Interessant war auch, daß Sie so hübsche Klassenunterschiede bei Ihren Diäten machen. Jeder Arbeiter ist doch nach Ihrer Theorie des gleichen Lohnes wert. Daß Herr Bebel etwas aufgeregt war über die Rede des Kanzlers, ist erklärlich: die Schüsse haben gesessen. Die außerordentlich hohen militärischen Strafen müssen aus Anlaß des Dessauer Falles wieder einmal, und zwar generell, von ung in eine gründliche Diskussion beim Militäretat genommen werden. Die reichsgesetzlich Regelung des Wasserrechts, wie dies der Abg. Storz verlangt hat, ist untunlich; die Verhältnisse sind in den einzelnen Reichsteilen zu verschieden. Es ist prinzipwidrig, das Laienelement nur bei Strafsachen hinzuzuziehen, nicht bei Zivilsachen; dieser * ug ist ein Einfluß juristischen Hochmuts. Der Laien— richter steht dem praktischen Leben viel näher, er kennt die Ausdrucksweiss des Volks viel besser als der Berufsrichter. Eine überrasche Entscheidung wird durch die Teilnahme der Laien— richter verhindert. Docendo discimus gilt auch für die Berufs— richter. Auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsprechung wird durch die Teilnahme der Schöffenrichter verstärkt. Die Er— richtung der Gewerbe und Kaufmannsgerichte zeigt, daß man mit den bloßen Berufsrichtern nicht zufrieden war. Warum soll nun das Laienelement bei den Amtsgerichten, den Zivilkammern, nicht am Platze sein? Ich verstehe die Haltung des Abg. Storz nicht, und ich hoffe, daß er sich schließlich eines Besseren belehren läßt.
Abg. Blumenthal: Herr Heim hat Zweifel gehegt, ob ich qualifiziert wäre, als Advokat in Streitigkeiten zwischen Protestanten und Katholiken aufzutreten, und unter Erwähnung des Schächtverbotes auf meine vermutliche Abstam mung hingedeutet. Ich würde mich solcher Abstammung nicht schämen, aber ich bin protestantisch getauft, und seine Vermutung trifft nicht zu. Was ich über religiöse Fragen hier im Reichstag gesprochen habe, war nur ein Widerspruch gegen das, was vom Zentrum geltend gemacht war. Der „Grauli“ hat sich in der Mosel ertränkt, und dann soll er noch von einem Volksredner totgeredet worden sein! Wenn Herr Heim weiter erklärt hat, ich sei ein schlechter Advokat und ein schlechter Richter, so freue ich mich, daß er nicht Richter ist, und ich deshalb wohl niemals Gelegenheit haben werde, vor ihm ju plädieren, sonst würde ich ibn unter Berufung auf seine heutigen Be⸗ merkungen mit Erfolg als befangen ablehnen. Wegen des Ausgangs eines etwaigen neuen Wahlkampfs kann ich Herrn Heim beruhigen. Ich habe mit Genugtuung gelesen, daß meine Wabl diesmal für gültig erklärt ist. Interessant ist es, daß diejenige Partei, welche immer die erste ist, wenn es heißt: Zusammenschluß aller bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie, da, wo es ihr Vorteil erheischt, it eher Genugtuung einen Kuhhandel mit der Sozialdemokratie abschließt.
Abg. Dr. Heim repliziert auf die Rede des Abg. Blumenthal mit Zitaten aus einem Bericht über eine Berliner Versammlung, in der Herr Blumenthal sich einige sehr wenig feine Urteile über das Zentrum und das Oberhaupt der katholischen Kirche erlaubt habe. Aber man könne doch von Herrn Blumenthal wenigstens lernen, . . zu reden habe, nämlich mit Armen, Augen, Händen, Mund und Füßen.
Abg. Liebermann von Sonnenberg (wirtsch. Vgg.): Ich habe mich unter den Schutz des Präsidenten gegen die Angriffe des Abg. Bebel gestellt, weil ich es nicht für wünschenswert halte, mit n . Invektiven zu antworten und französische Zustände eintreten zu lassen.
Präsident Graf von Balle strem: Dieser Fall ist durch mich erledigt, und ich bitte, nicht darauf zurückzukommen.
Abg. Liebermann von Sonnenberg (fortfahrend): Ich habe auch Herrn Bebel nicht provoziert; bätte ich ihn persönlich beleidigt, so hätte ihn der Präsident beschützt, (Der Präsident ersucht den Redner nochmals, auf eine erledigte Sache nicht zurück— zukommen.) Daß Herr Bebel infolge meiner Belehrung in mili— tärischen Dingen empfindlich ist, begreife ich. Das Bild aber, das ich brauchte, konnte ihn, wenn er eine Spur von Humor hätte, persönlich nicht beleidigen. Herr Bebel hat eben keinen Humor. Im übrigen . 4 von ihm und seinesgleichen beschimpft zu werden immer eine Ehre.
Abg. Stor z (. Volksp.) hält gegenüber dem Abg. Gröber an seinen früheren Darlegungen über die Notwendigkeit eines deutschen Wasser. rechts und über den Wert der weiteren Zuziehung des Laienelements in der Rechsprechung fest. icht . Dr. Pichler (Zentr.), der noch zum Wort gemeldet ist, ver⸗ zichtet.
Damit schließt die Generaldiskussion. Gemäß einem von Mitgliedern aller Parteien unterstützten Antrage werden eine Reihe von Kapiteln des Ordinariums sowie das gesamte Extraordinarium des Etats und die übrigen in der General— uf fes behandelten Vorlagen der Budgetkommission über⸗ wiesen.
Schluß 5/4 Uhr. Nächste Sitzung Montag 1 Uhr. (Fort⸗ setzung der Beratung der zurückgestellten Elatsrefolutionen, Bergrecht, Invalidenversicherung.)
Zweite Beilage
zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger
M 292.
Preusßischer Landtag.
Haus der Abgeordneten. 1I5. Sitzung vom 10. Dezember 1904, 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Ueber den Beginn der Sitzung ist in der vorgestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.
In der Begründung der Interpellation der freisinnigen Parteien und des dänischen Abg. Hanssen, betreffend den Geheimbunds⸗ und Hochverratsprozeß in Königs⸗ berg i. Pr., fährt ; . 3
der Abg. Gyßling (fr. Volksp) fort: Es ist bedauerlich, daß von einer Stadt wie Königsberg, von der so viele geistige An— regung ausgegangen ist, diese Broschüre kommt. Ich danke dem Reichskanzler für seine Worte, die er gestern über unseren Partei- genossen Richter gesprochen hat. Die Bekämpfung der Sozial demokratie ist noch . nicht genug in die Allgemeinbeit ge— drungen. Wenn uns aber die Sozialdemekratie mit Schmutz bewitft, kehren wir uns nicht daran, unsere Stellung ist fest, und die Stellung der Sozialdemokratie schließt jetzt sogar jedes menschliche Empfinden aus. Aher wir müssen alle Fragen der Volksbewegung zur Sprache bringen. Ein englisches Sprichwort sagt man muß auch dem Teufel recht geben, wenn er recht hat. Wir muͤssen auf die Mängel binweisen, um Abhilfe zu bringen. Wir müssen auch den Schein vermeiden, als ob die Sozialdemokratie allein die Schäden beseitigen will. Ueber den Königsberger Prozeß sind auch in sehr gemäßigten Zeitungen und bei ruhig urteilenden Leuten herbe Urteile zu finden. Ich komme nun zur Inter— pellation selbst. In Zusammenhang mit diesem Prozeß ist der Ver⸗ wurf erhoben, daß unfere Regierung sich in den Bienst der russischen gestellt habe. Man hat gemeint, daß die Einwirkung des Justiz⸗ ministers auf diesen Prozeß ein Beleg für diese Ansicht ist. Ich bitte den Justizminister sich darüber zu äußern, ob und in welcher Weise er auf die Einleitung des Strafverfahrens, auf die Erforschung des Sachverhalts eingewirkt hat. Was ich hier sage, beruht nicht auf Zeitungs nachrichten, sondern auf dem Urteil, der Anklage—⸗ schrist und auf einem Teil der Auszüge aus den Akten. Als der Staatsanwalt das Polizeipräsidium in Stettin mit der An— stellung von Ecmittelungen betraute, schrieb er: „Bei der großen Wichtigkeit der Sache und dem hohen Interesse, welches der Herr Justizminister an der Aufklärung des Sachverhalts nimmt, bitte ich, die Recherchen durch besonders zuverlässige Beamte vorzunehmen“. In Königeberg ist das bestimmte Gerücht verbreitet gewesen, daß die Staaisanwaltschaft in Königsberg nach Schluß der Voruntersuchung die Anklage nicht erheben und beantragen wollte, die Angeklagten außer Verfolgung zu setzen. Erst auf Anweisung des Justizministers soll die Anklage erhoben sein; ich bitte auch, darüber um Auskunft. Es besteht in juristischen und außerjuristischen Kreisen der Verdacht, daß den Angeklagten bei der Vernehmung die Druckschriften, um die es sich handelte, nicht vorgelegt worden sind; nicht einmal der Titel der Druckschriften ist ihnen angegeben worden. Das widerspricht dem § 136 des Strafgesetzbuchs, der den Beschuldigten die Gelegenheit geben will, zur Henn nz der gegen sie vorliegenden Verdachts⸗ momente das Material zur Widerlegung einzusehen. Wie sollen sich da die Angeklagten sachgemäß verteidigen? Auch dem Ver— teidiger sind nach der Verhaftung seiner Klienten nicht einmal die Akten, auch nicht die. Druckschriften vorgelegt; das letzte wäre nach dem Gesetz g, ,. zulãssig gewesen. Selbst der Vorsitzende des Gerichts soll erstaunt gewesen sein, als er hörte, daß diese Mängel vorgekommen seien. Die Anklageschrift umfaßt 222 Seiten; sie wurde den Angeklagten vorgelegt zu einer Erkläcung mit einer Frist von fünf Tagen. Ein wichtiger Punkt ist die Uebersetzung der Schrizten. und das Gericht, die über die Beschwerde wegen der Ver⸗ haftung zu urteilen hatten, gründeten sich lediglich auf die Uebersetzung der Schriften durch den russischen Generalkonsul, erst später sind Uebersetzungen von russischen in Königsberg wohnenden Staatsangehörigen gemacht worden. Die Hauptverhandlung hat
zweifellos ergeben, daß 5. inkriminierte Stellen sich gar nicht in der
befanden, daß es sich mehr um eine Inhalts⸗ angabe handelte. Auf. Grund dieser falschen Uebersetzung sind die Verhaftungen erfolgt. Das Urteil führt maßen zur Gntschuldigung des Generalkonsuls an, das Polizei⸗ präsidium habe ihm nur 19 Stunden zur Durchsicht gewährt. Diese F anwaltschaft. bestimmte Uebersetzungen handelte.
Biꝛoschũre
Der Konsul erweckte den Schein, als ob es sich um
Konsuls?
Man konnte sich doch an die russischen Translateure in objektiver übersetzt hätten. Aber das Schaden
wenden. ĩ Königsberg wenden, die l mag noch angehen, denn ein geklagten nicht erwachsen. . Uebersetzungen der russischen Gesetze. Die neulich im Reichstage geäußerte Ansicht, daß die Kritik dieses Prozesses sich auf dem Gebiete der verschiedenen n n. Auffassung bewege, ist mindestens zur Hälfte falsch. Unse ;
daß Staatsanwaltschaft und Gericht die gesetzlichen Bestimmungen falsch ausgelegt haben, die . . garnicht hierher, sondern daß daz Material zur Prüfung der Sache nicht herbeigeschafft war. Die Vorschriften des
des russischen Generalkonsuls,
Strafgesetzbuchs in der 2. Abteilung von Seiner i Majestät eigener Kanzlei. Die Bescheinigung des Konsuls enthält drei Stellen, die unter
Inhalt der gesetzlichen Bestimmungen, und die
falsch sind.
Auch die Ueberfetzungen der S5 245 und 246, die sich auf die Be⸗ aber gerade an. Für diese beiden Paragraphen ist die Gegenseitigkeit * , Die Staatsanwaltschaft sagte, daß es auf diesen Paragraphen nicht ankomme, die Gegenseitigkeit sei berbürgt dadurch, daß in dem Strafantrag die Erklärung enthalten sei, daß vier hat aber anders aber 64. rn, begangen diese Druckschriften
Die Anklage⸗
leidigungen bejiehen, waren falsch Auf den Wortlaut kommt es
in S 260 nicht verbürgt.
Gegenseitigkeit in solchen Fällen herrschen solle. Die Staatsanwalt⸗ schaft hielt dies für genügend. Das Gericht entschieden. Die Verbürgung, der Gegenseitigkeit muß vorliegen zur Zeit, wo die strafbare worden ist, um die Strafbarkeit begründen zu können.
schrift stutzte sich auf die falschen Uebersetzungen. Man hat dem
Justizministerium auch schwere Vorwürfe gemächt; entweder sind ihm dieselben Verseben passiert wie der Staatsanwaltschaft, oder wenn es wußte, daß es Versehen waren, hätte es sofort an die Staatsanwalt-⸗ schaft schrelben müssen, daß das Verfahren auf falschen Urbersetzungen be.
ruhe. Die Verteidigung in der deutschen Juristenzeitung ist lahm, die An—⸗
Lage w : leidigung ist ja auch vom Gericht falle a,, ö ,,,, . ĩ 6 i . . gerichtete Frage, für wen denn eigentlich diese Schristen bestimmt
seien, wurde beantwortet: Na, für die Heilsarmee natürlich nicht!
Königsberg, sondern gegen das System: es ist nicht das geuügende
Richlerperfonal vorhanden. Die Zusammensetzung des Gerichts
Die Staats anwaltschaft
nun gewisser⸗
eststellung entschuldigt weder den Konsul noch die Staats.
ö ö ee begnügten sich auch Staats an d Gericht mit dieser Bescheinigung des russischen ; ; , . ; , 2 . 26 wohlgetan, in . h. es sich in. gleich zurückgehen auf die Feststellungen des Königeberger Urteils. Im Vergehen gegen Rußland handelte, sich an den russischen Konsul zu
revolutionärer Bestrebungen, einschließlich der Bestrebungen der rein
: ist. dadurch den An. Viel schlimmer aber ist die Sache mit den Die neulich vom Reichslanzler
er Angriff richtet sich nicht dahin, bekannt,
juristischen Deduktionen gehören . Auslande ) xussischen Gesetzes sind nun lediglich wieder geprüft auf Grund der Bescheinigung k während es eine deutsche amtliche Uebersetzung gibt in Gestalt einer deutschen Uebersetzung des russischen aiserlich russischen
Berlin, Montag, den 12. Dezember
in Königsberg ist allerdings nach dem Gerichtzverfassungsgesetz erfolgt, aber der Vorsitzende war bis vor kurzem Staats. anwalt, der Referent war ein Assessor. Allerdings soll die
Staatsanwaltschaft das pro und contra piüfen, i richterliche Objektivität kann nicht bei der Staatsanwaltschaft
vorhanden sein, und man kann sie kaum von einem Richter verlangen, der noch eben Staatsanwalt gewesen ist. Es ist erforderlich, daß die
Bolk denken, wenn der Referent in solchem Prozesse ein Assessor ist?
Wie konnten derartige Uebersetzungen, die wichtige Sätze verschwiegen, Und wie verfuhren die russischen
dem Gericht vorgelegt werden. ᷣ His e i . ö. Antrag des Gerichts, den Zeugen Skubik in Liebau kommissarisch vernehmen zu lassen, kam die Antwort, daß diese Vernehmung am —
War es nötig, überhaupt diesen Prozeß anzustrengen; hätte unser Staat gelitten, wenn die Prozesse nicht stattge funden hätten? Was endlich die letzte Frage der Jaterpellation betrifft, so hat das ganze
Verhalten der ruffischen Behörden, abgesehen von der Frage, ob Ruß⸗ land überbaupt eine Gegenseitigkeit verbürgen kann, gezeigt, daß es an
der Zeit ift, das preußisch-russische Abkommen über die Fremdenpolizei zu
revidieren. Die Sozialdemokratie bemüht sich, den russischen Brüdern
zu helfen. Bei aller Sympathie mit denjenigen, die in friedlicher Weise Reformen in Rußland erstreben, verhorreszieren wir jede Einmischun in die innere Politik eines Nachbarstaats. In der Fremdenpolizei war nicht alles, wie es sein sollte. Große Erregung hat der Fall aus Charlottenburg hervorgerufen, wo ein Brief an einen russischen Studenten von einem Postbeamten erbrochen und dann wieder ge— schlofsen und bestellt worden ist. Ich weise ferner auf die Behandlung
deutscher Geschäftsreisender in Rußland hin. Es wäre erwünscht, wenn
in dem russischen Handelsvertrag neue Bestimmungen darüber ent
halten wären.
die Anarchisten nach dem Heimatsstaat ausgewiesen werden. wählen will. Außeracht gelassen werden darf dabei die Frage nicht, ob ein Ausländer nur seiner Armut wegen ausgewiesen werten soll. Es muß ein neuer Vertrag über die Auslieferung mit Rußland ge— schlossen werden nach den Grundsätzen, wie sie für Verträge mit anderen Staaten gelten. Es darf keine Auslieferung wegen gering⸗
fügiger politischer Vergehen stattfinden. Lediglich die anarchistische
Bewegung ist es gewesen, die den jetzigen Vertrag herbeigeführt hat,
es kann aber jeder politische Verbrecher nach Rußland ausgeliefert werden. Das Gerichtsurteil hat einen Stillstand in der revolutionären und terroristischen Bewegung in Rußland seit der Ermordung Alexanders III. festgestellt, danach ist gerade jetzt, auch aus den russischen Verhältnissen selbst heraus die Zeit, an eine Revision des Abkommens mit Rußland heranzutreten. Wir stehen in der Zeit der internationalen Schiedsverträge, deshalb ist es Zeit, auch dieses russische Abkommen zu kündigen. Ich bitte den Minister, eine offene, erschöpfende Auskunft zu geben. t e Zweck erreicht, unserem Staatswesen zu dienen, dessen Fundamente wir aufrecht erhalten wollen.
Justizminister Dr. Schönstedt:
Meine Herren! Ich kann auf die Schlußworte des Herrn Ab— geordneten erklären, daß ich bereit bin, mit voller Offenheit, mit voller Wahrheit all die Auskünfte zu erteilen, die der Herr Abgeordnete ge⸗
wünscht hat. Ob die Erklärungen, die ich Ihnen geben werde, schließlich
den Charakter eines Schuldbekenntnisses haben werden, das mögen Sie am Schlusse der Verhandlungen selbst beurteilen. Meinen Ge— schäftsbereich berühren die beiden ersten Nummern der Interpellation, auf die ich mich daher zu beschränken haben werde. Die Grundlage der Erklärungen, die ich Ihnen geben will, bilden einmal das Urteil des Königsberger Gerichts, zweitens die Abschrift der Anklageschrift und drittens die Berichte, die mir von der Staatsanwaltschaft in Königsberg im Laufe des Prozesses fortlaufend erstattet worden sind. Die Gerichtsakten kenne ich nicht, ich habe sie nie gesehen; sie ruhen beim Reichsgericht, und ich habe es nicht für angängig gehalten, sie aus Anlaß dieser Interpellation heranzuziehen, schon aus dem Grunde nicht, weil ich den endlichen Abschluß dieser Sache nicht irgendwie verzögern möchte.
Nun muß ich in Beantwortung der ersten Frage, die in ihrem
ersten Satze dahin lautet:
Haben die Angaben des russischen Generalkonsuls in Königs.
berg über den Inhalt von Druckschriften bestimmenden Einfluß auf
die Einleitung des Strafverfahrens gehabt? Beginne dieses Urteils wird vorgetragen, daß die Verbreitung sozialdemokratischen Richtung, durch die Presse, in Versammlungen und Vereinen in Rußland verboten und unter Strafe gestellt sei. Infolgedessen könnten die Bestrebungen im wesentlichen nur durch Preßerzeugnisse verbreitet werden, die im Auslande hergestellt und heimlich über die Grenze nach Rußland gebracht würden. Es sei nun insbesondere der Zentralstelle für die politische Polizei
bekannt, daß solche Schriften massenhaft im hergestellt wurden, insbesondere in der Schweiz, in Genf, in London, Paris und New Pork, daß diese Schriften massenhaft auf dem Wege über Deutschland über die russische Grenze hinübergeschmuggelt wurden. Diese Tatsache sei den Polizeibehörden, wie gesagt, seit Jahren bekannt, nicht aber, wie dieser Schriftenvertrieb
in Berlin
eind der verschleden a , n im einzelnen organisiert gewesen sei, auf welchen Wegen, mit welchen ii Mitteln die Sachen nach Deutschland und aus Deutschland wieder
Die Aufklärung in dieser Beziehung habe Der Prozeß hat seinen Aus— gang genommen davon, daß bei dem späteren Angeklagten Nowagrotzki in kurzer Zeit nacheinander, im September und Oktober v. J., vier große Sendungen russischer Druckschriften aus Zürich anlangten von verschiedenen Absendern — wenigstens waren vier ver— schiedene Personen als solche bezeichnet. Vorschriftsmäßig wurden zunächst auf dem Poststeueramt unter- sucht, d. h. die Pakete wurden geöffnet, und zwar im Beisein des Nowagrotzki und eines Steuerbeamten. Es ergab sich daraus, daß das eirca 2000 Schriften waren, die, wie ich glaube, in 39 verschiedene Sorten zerfielen. Der Steuerbeamte sah sich veranlaßt, von jeder dieser Druckschriften ein Exemplar an sich zu nehmen, um sie auf ihren Inhalt untersuchen zu lassen. Eine von ihm an den Nowagrotzki
herausgebracht wurden.
(Heiterkeit) Der Steuerbeamte übergab diese Schriften der Polizei-
2. August statifinden könne.
Was die Ausweisung betrifft, so müssen allerdings . 2
ü . ö. nicht gewesen, sondern mehr Inhaltsangaben. Jedem anderen Ausgewiesenen muß aber freistehen, welche Grenze er 6 ⸗
Dann hat die Interpellation ihren
12904.
behörde. Ich möchte hier gleich bemerken, daß der Vorsteher der Steuerbehörde in Königeberg zugleich polizeiliche Funktionen hat; er
, . ist auch Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft, die Steuerbehörde als
vollkommen zuständig, eine Untersuchung, wie sie es hier getan hat, anzustellen. Also der Steuerbeamte übergab diese Druckschriften der
x t Polizeibehörde und, wie sie schon aus dem Vortrage und der Ver— Strafkammern mit ständigen Richtern besetzt sind; was soll aber das z; fie sch ö
lesung des Herrn Interpellanten gehört haben, übergab die Polizei⸗
behörde die Schriften — wie sie sagte, in Ermangelung eines geeigneten
Uebersetzers — dem russischen Generalkonsulat. Ob diese Maßregel
richtig war, lasse ich dahingestellt sein; ich bin allerdiugs auch der
Ansicht, daß es besser gewesen wäre, einen anderen Uebersetzer zu
suchen, und ich bin auch überzeugt, daß sich ein solcher hätte finden
lassen. Es ist nun aber einmal geschehen. Nun hat der russiche
Generalkonsul bei seiner eidlichen Vernehmung — und das mird auch
festgestellt in dem Urteil — erklärt, er habe da eine Unmasse von
Schriften bekommen — es werden etwa 40 Schriften gewesen sein —,
es seien ihm aber nur 15 Stunde Zeit gelassen, von dem Inhalt Kenntnis
zu nehmen. Da habe er natürlich an eine eigentliche Uebersetzung nicht herangehen können. Er habe nur eine durch ihren Titel ihm auffällig erscheinende Schrift sich etwas näher angesehen. Das ist nun die Schrift, die den Titel trägt in deutscher Uebersetzung: „Wieder geburt des Revolutionismus in Rußland“. Diese Schrift hat er durchgeblättert, und da sind ihm eine Reihe von sehr bedenklichen
Stellen anfgefallen; die hat er nun, wie die Behörde angenommen hat,
übersetzt; später hat er erklärt, eigentliche Uebersetzungen seien es
Ich habe die Ueber
setzung hier vor mir liegen, ich kann sie Ihnen kurz mitteilen. Es
heißt hier: Die Wiedergeburt des Revolutionismus in Rußland“ enthält nach Bescheinigung des russischen Konsuls folgende Stellen,
auf Seite 37:
Die Vereinigung der Sozialisten⸗ Revolutionäre in ein zentrale— Komitee soll die Revolution unter den Russen propagieren, durch Terrorismus den Umsturz herbeiführen und das Todesurteil über jene Leute verfügen, welche es verurteilt.
auf Seite 73:
Die Revolution soll den Bauern das ganze Land in Besiz geben, welches von den Besitzern und dem Staate wegzunehmen ist;
auf Seite 82:
«— Nichtz soll den Thron des Kaisers Nikolaus II. erretten von dem Schicksal, das Alexander II. ereilte; es soll eine blutige Ge— waltigkeit ausgeübt werden, und nichts soll ihn vor der Wut des Volkes retten;
auf Seite 99: Das Programm der Partei; daraus wird der 8 7
wiedergegeben: „Organisation des spystematischen Terrors als bestes
Exzitationsmittel zur Erzielung der revolutionären Erfolge“; auf
Seite 101,103 endlich:
Die Hinrichtung des Kaisers Nikolaus II. ist die natürliche unerschütterliche Folge der Revolution, und es ist vorzuziehen, daß Nikolaus II. nicht von der Kugel sterben soll, sondern auf Schaffotte auf dem Kasanplatz.
So lautete also das, was die Königsberger Behörden für eine Ueber—
setzung gehalten haben. Die Polizeibehörde konfiszierte nun zunächst
diese eine Schrift und überreichte sie der Staatsanwaltschaft mit der angeblichen Uebersetzung und auch zugleich mit einer Erklärung bezüglich der Verbürgung der Gegenseitigkeit wegen der in dieser
Schrift etwa zu findenden, gegen Rußland gerichteten strafbaren Hand—
lungen, auf die ich später zurückkommen werde.
dem
Die Staatsanwaltschaft hatte keinerlei Zweifel an der Richtigken der Uebersetzung. Sie glaubte darin finden zu müssen eine Aus⸗ forderung zur Ermordung des Kaisers und zum gewaltsamen Umsturz der russischen Reichsverfassung. Sie beantragte deshalb die Beschlag—
nahme der Schrift durch das Königliche Amtsgericht, und ihrem An— trage wurde anstandslos stattgegeben. Nowagrotzkti hatte als den— jenigen, durch dessen Vermittelung ihm diese russischen Sendungen zugegangen seien, einen früheren Uhrmacher, jetzigen Redakteur Wessel in Stettin bezeichnet, der dort ein sozialdemokratisches Blatt heraus— gibt und mit einer Russin verheiratet ist. Unmittelbar nach diesen Er— mittelungen bekam die Staat? anwaltschaft von der Polizeibehörde in Meme die weitere Mitteilung, daß auch dort, und zwar bei zwei Personen — der eine heißt Klein, der andere Treptau, auch spätere Angeklagte — große Mengen russischer Schriften gefunden seien. Klein hatte dir Uebersendung zurückgeführt auf einen Herrn Braun in Königsberg, der dort eine leitende Stellung in der sozialdemokratischen Partei ein— nimmt; Treptau hatte jede Auskunft über den Ursprung verweigeri. Klein hatte außerdem gesagt: eine Sendung käme wohl von einen gewissen Skubik oder Skubikis in der Schweiz, den er einmal früher kennen gelernt habe.
Meine Herren, darauf stützte zunächst die Staatsanwaltschaft di— Annahme, daß es sich hier um eine weit verzweigte, spystematijch eingerichtete Organisation handle, die es als ihre Aufgabe erkenn«, solche revolutionären Schriften auf geheimen Wegen über die russisch. Grenze zu bringen, wo sie dann selbstverständlich der dortigen — sozialdemokratischen oder revolutionären — Propaganda dienen sollen. Mit Rüdcsicht auf die Tatsachen, daß ein solcher Schriftenvertrieb in großem Umfange schon seit Jahren stattgefunden hatte, hielt sie sich zu der Annahme berechtigt, daß es sich hier um eine Verbindung handle, deren Existenz und Zwecke der Königlichen Staatsregierung geheim ge— halten werden sollen, die also unter den 5 128 des Strafgesetzbuchs falle, und schritt auf Grund dieses 8 128 des Strafgesetzbuchs zu⸗ nächst ein.
Unter diesem Gesichtspunkt wurde am 9. November ein Haft⸗ beschluß gegen Nowagrotzki und den Königsberger Braun erlassen, an demselben Tage auch gegen die Memeler Herren Treptau und Klein und auch noch gegen einen von dem Klein weiter als beteiligt bezeichneten Kugel, der auch in die Anklage hineingezogen ist und später, wie Sie gehört haben, erklärt hat, er sei Sozialdemokrat gewesen, die Sache sei ihm aber unbequem geworden, jetzt sei er es nicht mehr.
Ich will noch bemerken, daß der Staatsanwaltschaft seitens der