1904 / 292 p. 8 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 12 Dec 1904 18:00:01 GMT) scan diff

nee men möchte, das doch imm:t eine mildere Brurteilung der An⸗ geklagten rechtfertigen könnte.

Unter die sem Gesichtspunkte hat sie diese Herren eingehend ver nommen und ihnen Gelegenheit zu den weitgebendsten Ausführungen gegeben, die sich teilweise an den Inhalt der inkriminierten Schriften angeschlossen baben.

Ich will damit weiter nicht rechten, nur das eine möchte ich doch betonen, daß das Bild, das sich aus diesen Vernehmungen ergibt, als ein ganz ungefärbtes, ungettũbtes, unanfechi bares wohl kaum angesehen werden kann. Meine Herren, denken Sie sich den umgekebrten Fall: es würde einmal in Frankreich ein ähnlicher Prozeß verbandelt, in dem es sich um Angriffe gegen das Deutsche Reich oder den Deutschen Kaiser bandelte, und da würden als Sachverständige über unsere Zustände die Herren Bebel, Singer und Stadthagen vernommen (Bewegung); die würden mit dem ganzen Fanatismus ihrer Ueberzeugung ein Bild entwerfen von den Zuständen in Deutschland, vor dem auch die Welt erschrecken würde. (Sehr richtig) Aber es würde kein Spiegelbild, sondern es würde ein Zerrbild sein, und Kundige würden nicht daran glauben. (Sehr richtig! rechts.)

Der Herr Buchholz ist in einer Volksversammlung, die nach Erlaß des Urteils hier von sozialdemokratischer Seite inszeniert war, als Assistent des Rechtsanwalts Liebknecht auf⸗ getreten, der da den Mord des Ministers Plehwe in seiner Weise verherrlicht hat. Der Herr Buchholz hat da auch eine Rede gehalten und, wie mir eben noch jur rechten Zeit einfällt, aber schon der Herr Interpellant erwähnt hat, hat der Rechtsanwalt Liebknecht dort eine Aeußerung getan, die Sensation gemacht hat. Er sagt in seinem Vortrag über den Königsberger Prozeß:

Am vikantesten war es wohl, daß sich in den Gerichtsakten die schriftliche Bemerkung des Staatsanwalts befand: „Bei dem großen Interesse, das der Herr Justizminister an dem Prozesse nimmt, bitte ich Sie, recht zuverlässige Beamte mit der Unter⸗ suchung zu betrauen.“ Zuverlässige Beamte! das klingt odiös, und damit ist auch das Verfahren kritisiert, wonach man einen jungen Assessor mit dem wichtigen Amt eines Referenten betraut usw.

Diese Darlegungen waren offenbar geeignet und, wie ich auch gar nicht zweifele, dazu bestimmt, die Auffassung hervorzurufen, daß in dieser Verfügung der Staatsanwaltschaft eine Beeinflussung des Gerichts oder des Gerichts vorsitzenden zu finden sei bezüglich der Besetzung des Gerichts, bezüglich der Auswahl der Beamten, die in der Sache tätig werden sollten.

Nun, meine Herren, wie verhält sich die Sache in der Tat? Am 8. November v. J. hat der Erste Staatsanwalt in Königsberg eine Requisition an den Polizeipräsidenten in Stettin gerichtet mit dem Ersuchen, bei dem schon erwähnten Redakteur Quessel in Stettin eingehende Nachsuchungen, eine Durchsuchung seiner Person und seiner Wohnung, vorzunehmen, nach etwaigen Briefen und nach anarchistischen Schriften ufw., und da fügt er wie ich gleich hinzufügen will, be— dauerlicher und überflüssigerweise am Schluß hinzu:

Bei der großen Wichtigkeit der Sache und dem hohen Interesse, welches der Justizminister an der Aufklärung des Sachver hal is nimmt, bitte ich, die Recherchen durch besonders zuverlässige Beamte vornehmen zu lassen. Also die Sache bezog sich lediglich auf polizeiliche Recherchen, und das Interesse an der Sache, welches mir nachgesagt wurde, war nicht etwa das Interesse an dem Ausgange des Prozesses, sondern nur an der Aufklärung der Tatsache, ob im Besitze des Herin Quessel sich Schriften finden möchten, die zur Aufklärung des Schriftenschmuggels und seiner Organisation dienen könnten. Meine Herren, das war, wie ich nicht anstebe zu sagen, eine grobe Fälschung der Wahrheit, während der mir in bezug auf die Zitate, die ich am 22. Februar Ihnen vorgelesen habe, gemachte Vorwurf der Fälschung selbstverständlich jeder Be⸗ rechtigung entbehrt. Die sozialdemokratische Partei hausiert immer noch mit diesem Vorwurf in ihrer Presse und in ihren Schriften, daß ich mich hier der Fälschung schuldig gemacht habe. Ueber diese Frage wenn ich das einfügen darf hat der Herr Dr. Rost sich zu erklären Gelegenheit gehabt, und zwar sowohl im Laufe der münd— lichen Verhandlung, als schon schriftlich im Vorverfahren. Die Be— hauptung der Fälschung war in einem Artikel eines Leipziger sozialdemo⸗ kratischen Blattes ich glaube, es war die Volkszeitung gestützt auf eine Gegenüberstellung dessen, was ich gesagt hätte, dessen, was ich nicht gesagt hätte, und dessen, was ich, wenn ich richtig zitiert hätte, hätte sagen müssen. Nun bat Herr Dr. Rost, von dem alle die Uebersetzungen herrühren, die allein meinem Vortrage als Grundlage gedient haben, erklärt, daß ein baltlosetrer Vorwurf ihm noch nicht vor— gekommen sei, und daß der Vorwurf der Fälschung seine Sritze zurückwende gegen die Angreifer; daß dieser Artikel in der „Leipziger Volkszeitung“ selbst eine grobe Fälschung darstelle, indem er mir Worte in den Mund legt, die ich gar nicht gesagt habe, indem er Erklärungen wegläßt, die ich abgegeben habe, und indem er den angeblich authentischen Wortlaut der zitierten Stellen teils ganz falsch wieder⸗ giebt oder endlich Erklärungen beanstandet oder als nicht existierend ableugnet, während sie in Wirklichkeit nur ihm nicht bekannt waren. Das ist also die Fälschungsgeschichte.

Meine Herren, alle diese Dinge baben in der Verhandlung in der Oeffentlichkeit natürlich eine große Rolle gespielt. Aber ich glaube doch behaupten zu können, daß die Erregung der Sozial⸗ demokraten im wesentlichen auf den Umstand zurückzuführen ist, daß sie gerade durch die Verhandlungen in Königsberg und durch das Urteil festgenagelt worden sind in ihren Beziehungen zu den russischen ich will mal sagen: Sozialdemokraten oder sozialdemokratischen Revolutionären. In dem Urteil ist in der eingebendsten Weise dar— gelegt worden, wie der ganze Vertrieb dieser Schriften durch die Hände der Sozialdemokraten geht, wie eigentlich nur Sozial demokraten dabei beteiligt sind, wie insbesondere auch die Buch⸗ handlung des ‚Vorwärts“ als eine derjenigen Stellen angesehen werden muß, die als Generaldevot für diese Schriften dienen, von denen aus die Unterverteilung geschiebt. Das ist natürlich den Herten Sozialdemokraten im höchsten Grade unbequem, und ich glaube, daß sie auch deshalb den großen Lärm angestellt haben, um davon die öffentliche Aufmerksamkeit abzulenken. (Sehr richtig! rechts.)

Aber, meine Herren, ich habe den Eindruck gehabt, daß das Siegesgeheul so möchte ich es nennen der sozialdemokratischen Presse über den angeblich in Königsberg errungenen Eifolg und über die blamable, noch nie dagewesene Niederlage der preußischen Re— gierung und speziell der Justizbehörden doch auf einen Teil der bärgerlichen Presse scheinbar eine etwas hypnotisierende Wirkung aus⸗

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geübt bat. Denn ich habe eine rubige, sacliche Beurteilung der An, gelegenheit in den meisten Organen der Presse, die mir zugãnglich geworden sind, vermißt; ich habe ins besondere vermißt, sowohl in den Tagesblättern wie auch in den Fachzeitungen, eine selbständige sachliche Prüfung der Gegenseitigkeitsfrage. Man hat einfach gesagt: die Gegenseitigkeit ist von der Strafkammer in Königsberg verneint, also existiert sie nicht, also hat sich die Justiz mit Schmach bedeckt. Ja, meine Herren, ich habe Ihnen gewisse Andeutungen gegeben, daß man bei einer näheren Prüfung doch wohl zu einem andern Resultat hätte kommen können.

Wie gesagt, ich bedauere, daß diese Stellungnabme der bürgerlichen Presse den Triumph der sozialdemokratischen Partei, den sie aus dem Verlauf der Angelegenheit für sich herleitet, einigermaßen erleichtert hat. Aber, meine Herren, das wird die Justizbehörden nicht ab— halten, auch in Zukunft ihre Pflicht ju tun. Und wenn der Abg. Bebel in seiner letzten Rede im Reichstage sich zu der Aeußerung verstiegen bat, daß in jedem anderen Staat nach dem Schluß dieses Prozesses der Justizminister mit Schmach und Schande aus dem Amt gejagt sein würde, meine Herren, mich läßt der Ausfall natürlich sehr kalt, so glaube ich, es hat ihm dabei sein sozialdemokratischer Zukunftsstaat vorgeschwebt, in dem zweifellos nicht nur ich aus dem Amt, sondern auch die sämtlichen anwesenden Herren aus diesem Saal verjagt werden würden. (Heiterkeit; sehr richtig! rechts) Ich würde das Schicksal mit Ihnen teilen und würde es mir zur Ehre rechnen, dann auch hinausgeworfen zu werden. Aber, meine Herren, vorläufig sind wir noch nicht so weit! (Bravo! rechts.)

Minister des Innern Freiherr von Ham merstein:

Meine Herren, der dritte Absatz der Interpellation lautet: Gedenkt die Königliche Staatsregierung auf dem Gebiete der Fremdenpolizei sowie hinsichtlich der Ausweisungen und Aus—⸗ lieferungen von Ausländern auf Reformen hinzuwirken, insbesondere eine Abänderung des Preußisch⸗Russischen Abkommens vom 13. Ja— nuar 1885 herbeizuführen?

Dieser Teil der Interpellation bängt mit dem andern Teil und mit dem Königsberger Prozeß nur sehr lose zusammen, und auch der Herr Interpellant hat zu meinem Bedauern die Begründung dieses Teils etwas sehr kurz gefaßt und eigeatlich nur sehr kurze Streiflichter ge— worfen, sodaß ich nun in der schmerilichen Lage bin, Ihre Geduld vielleicht noch mehr in Anspruch zu nehmen, als es mir selbst lieb ist.

Wenn ich eine Gesamtantwort vorweg nehmen darf, so würde es die sein, daß ich stets bemübt bin, in der Handhabung der Fremden polizei jede unnötige Härte zu vermeiden, dagegen an dem auf der Staatshoheit beruhenden Recht und der Pflicht des Staats, im eigenen Interesse bei dem Zuzug eine Beaufsichtigung und gegebenen Falls eine Ausweisung von Fremden vorzunehmen, auch künftig festhalten werde. Es entspricht den friedlichen und freundlichen Beziehungen der modernen Kulturstaaten zu einander, daß Angehörige des einen Staats in dem andern Staat eine weitgehende Duldung erfahren, und namentlich der preußische Staat bat allezeit Fremden ein weites und sicheres Aspl gegeben. Aber, meine Herren, diese Duldung hat ihre Grenzen einmal in dem persönlichen Verhalten der sich im preußischen Staat aufhaltenden Ausländer und dann im höheren politischen Interesse des eigenen Staats. Die Duldung ist die Regel; danach wird auch heute verfahren. Das Recht des Staats bleibt dabei unberührt, in allen Fällen, in denen der Fremde Anstoß erregt, oder in denen höhere politische Interessen obwalten, die Duldung auf⸗ zuheben und dabei zu verfahren, wie es ihm beliebt.

Wenn nun die Herren Antragsteller eine Reform unseres Fremden rechts wünschen, so möchte ich zunächst feststellen, was für einen Inbalt denn eigentlich unsere fremdenpolizeilichen Vorschriften haben. Der besteht nach meiner Auffassung sachlich in dem Recht der Regierung auf die Abweisung Zuziehender, in dem Recht auf Beaufsichtigung der im Lande sich Aufhaltenden und in dem Recht der Wiederausweisung solcher, deren Ausweisung für nötig erachtet wird. Dieses Recht ist Ausfluß der Staatshoheit, der Souveränität, welche jedem einzelnen Staat an sich inne wohnt. Dieses Recht kann beschränkt werden durch völkerrechtliche Verträge und auch durch eigene, den Staat bindende Gesetze. Wir haben nur wenige Ver— träge, welche dies Verhältnis zwischen Preußen und andern Staaten berühren und näher regeln, wir haben aber auch eine Anzahl von Gesetzen, welche das preußische Recht einschränken, und zwar Reichs gesetze. Artikel 4 der Reichsverfassung überträgt dem Reiche auch die Befugnis der Gesetzgebung über die Fremdenpolizei. Das Reich hat von der Befugnis, diesen Gegenstand in den Bereich seiner Gesetz⸗ gebung zu ziehen, auch mehrfach Gebrauch gemacht. Zunächst den—⸗ jenigen Landes ausländern gegenüber, welche Reichsangehörige sind, den Angehörigen der anderen deuischen Staaten, durch Schaffung des Reichs« indigenats und der Freizügigkeit; dann aber auch anderen Reichsdeutschen und Nichtreichsdeutschen im Sinne Preußens Ausländern gegen— über durch das Gesetz über das Paßwesen und die Aufhebung der Paßpflicht, deren Zulässigkeit nur in besonderen Ausnahmefällen vor⸗ behalten ist; einzelne Bestimmungen in einigen anderen Gesetzen kommen daneben noch in betracht. Diese Gesetze sind natürlich für Preußen maßgebend. Soweit aber solche Reichsgesetze nicht bestehen, soweit das Reich von der Befugnis, diese ganze Angelegenheit seiner— seits zu regeln, keinen Gebrauch gemacht hat, ist der preußische Staat in der Handhabung der Fremdenpolizei vollständig souverän.

Meine Herren, in Preußen bestebt jetzt folgender Zustand: Eine Paßpflicht besteht lediglich für die aus Rußland kommenden Reisenden; es besteht ferner ein unbedingtes Abweisungsrecht an den Grenzen, ein Recht der eingehenden Beaufsichtigung im Inlande und endlich ein Ausweisungsrecht.

Wenn nun auch im allgemeinen Preußen zu allen Zeiten fremden Untertanen Schutz und Unterkommen gern gewährt hat, so findet doch diese Duldung immer eine Grenze in dem eigenen preußischen Staatsinteresse.

Was nun speziell die Ausweisungen und Auslieferungen betrifft, deren die Interpellation gedenkt, und die ja ein Teil dieses Fremden⸗ rechtes sind, so werden beide Begriffe häufig, meiner Ansicht nach, nicht genug von einander geschieden. Die Auslieferung flüchtiger Verbrecher ist ein Akt der internationalen Rechtehilfe, eine völkerrechtliche Pflicht, welche im Interesse des anderen Staats von dem eigenen Staat zu erfüllen und meist auch durch Verträze geregelt ist. Die Ausweisung dagegen ist ein Ausfluß des eigenen Rechts eines jeden Staats und erfolgt nur im eigenen Interesse und nach eigenem Belieben.

Meine Herren, unser Auslieferungsverkebr mit Rußland regelt sich nun zur Zeit nach dem von dem Herrn Interpellanten angezogenen

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Vertrage vom 1311. Januar 1885. Dieser Vertrag unterscheidet sich von anderen neueren Verträgen dadurch, daß die Auslieferungẽ⸗ pflicht, die übernommen ist, geringeren Umfang hat als in den meisten anderen Verträgen.

Wie der Herr Interpellant schon ganz richtig ausgeführt hat, besteht die Ausweisungspflicht nur in drei Fällen. Einmal wegen Angriffe gegen das Staatsoberhaupt, zweitens bei Mord und Mord⸗ versuch und drittens wegen strafbarer Herstellung und strafbaren Be⸗ sitzes von Dynamit und ähnlicher Sprengstoffe. Für alle anderen Faͤlle ist es in das Belieben des Staats gestellt, den Mann, der sich strafbarer Handlungen schuldig gemacht hat, auszuliefern oder nicht.

Meine Herten, in dem Vertrage mit Oesterreich, in den Ver⸗ trägen mit England, Frankreich, Italien usw. ist die Grenze sehr viel weiter gezogen, da besteht eine Pflicht für uns, nicht nur die⸗ jenigen auszuliefern, welche sich der Verbrechen und Vergehen schuldig gemacht haben, die vorhin genannt sind, sondern z. B. auch alle, die sich des Raubes, des Kinderraubes, der Entführung, der Brand⸗ stiftung, des Diebstabls und einer ganzen Reihe von anderen Straf⸗ taten schuldig gemacht haben, während heute die Auslieferung in das Belieben des preußischen Staats Rußland gegenüber gestellt ist.

Ich möchte also behaupten, daß dieser russische Vertrag von 1885 nicht ein den modernen Anschauungen zuwiderlaufender, sondern ein erst recht diesen modernen Anschauungen entsprechender ist; er hat mildere Bestimmungen als die anderen Verträge.

Nun bat der Vertrag den Zusatz, daß, wenn eine Auslieferung gejordert wird, sie deshalb nicht abgelehnt werden darf, weil das Verbrechen in einer politischen Absicht begangen ist. Wenn also das Verbrechen einen politischen Charakter angenommen hat, dann soll dieser Umstand allein keinen Grund zur Ablebnung geben. Die praktische Handhabung dieses Vertrages hat in den langen Jahren seit seinem Besteben ju keinen Bedenken und Schwierigkeiten Anlaß gegeben, und insbesondere auch nicht die Be⸗ stimmung wegen Auslieferung politischer Verbrecher. Tatsächlich sind bisher niemals mir wenigstens ist kein Fall bekannt; ich kann be⸗ zeugen, daß während meiner Amtszeit kein Fall vorgekommen ist Auslieferungsanträge in bezug auf politische Flüchtlinge gestellt, noch ist jemals solchen Anträgen stattgegeben worden. Dasselbe gilt auch fũr russische Deserteure und Refraktäre. Es war früher rechtens, daß gerade Deserteure in allererster Linie der Auslieferung unterlagen. Die ersten Verträge, welche moderne Staaten im 18. Jahrhundert über die Auslieferung schlossen, betrafen fast ausschließlich Deserteure. Das hat sich erfreulicherweise im Laufe der Zeit geändert, und zu der Zeit, als hier im boben Hause 1860 die Verhandlungen stattfanden, die der Herr Vorredner erwäbnt hat, bestand ein derartiges Kartell⸗ verhältnis preußischerseits noch mit Rußland. Seitdem ist dieser Kartellvertrag aber abgelaufen wenn ich nicht irre, im Jahre 18689 oder 1870 und nicht wieder erneuert worden. Seitdem ist kein Deserteur jemals nach Rußland ausgeliefert, und wenn ein derartiger Fahnenflüchtiger außerdem noch ein anderes gemeines Vergehen oder Verbrechen sich hat zuschulden kommen lassen, so wird die Aus- lieferung stets nach dem Grundsatze der Spezialität von der Zu— sicherung abhängig gemacht, daß er wegen militärischer Vergehen nicht zur Verantwortung gezogen wird. So schwebt gegenwärtig ein Ver fahren wegen Auslieferung eines russischen Deserteurs Schachow, der nach Entwendung von 8000 Rubeln flüchtig geworden und hier auf- gegriffen ist. Auch in diesem Falle wird die Auslieferung von obiger Zusicherung abhängig gemacht.

Meine Herren, dieser Vertrag von 1885, der ja seinerzeit dem Reichstage vorgelegt wurde und ein Vertrag zwischen Deutschland und Rußland werden sollte, ist im Reichs⸗ tage nicht zur Verhandlung gelangt und nur als Vertrag zwischen Preußen und Rußland abgeschlossen worden, dem dann aber ein meines Wissens gleichlautender Vertrag zwischen Bavern und Ruß land gefolgt ist. Der Vertrag bedurfte der Zustimmung des preu—⸗ ßischen Landtags nicht, weil er keine Lasten mit sich bringt, wegen deren allein nach Art. 48 der Verfassung die Verträge der Zustimmung des Landtags unterliegen.

Nun habe ich schon erwähnt, daß dieser Vertrag an und für sich der modernen Kultur nicht widerspricht, und ich habe weiter erwähnt, daß er auch zu irgend welchen Beschwerden und Bedenken in der praktischen Handhabung bis jetzt keinen Anlaß gegeben hat. Ich glaube deshalb, daß ich meinerseits eine besondere Hinwirkung auf eine Abänderung zur Zeit nicht in Aussicht stellen kann. Ich möchte aber ausdrücklich erklären, daß in neuerer Zeit auf dem Gebiete des internationalen Rechts die Anschauungen über den gemeinsamen Schutz der persönlichen Individualität in allen Staaten lebhaft erörtert werden, daß sie der kritischen Beleuchtung durch zu— ständige Fachgelehrte unterliegen, daß sie auf Kongressen verhandelt werden und gelegentlich auch in diplomatischen Verhandlungen zum Austrag kommen. Und wie auf allen Gebieten, so wird auch auf diesem Gebiet niemals ein starres Festhalten an den Normen statt—⸗ finden, die den Anschauungen ihrer Zeit entsprechend festgestellt sind, sondern mit der wandelnden Zeit werden sich auch hier die An— schauungen ändern, und dem Bedürfnis entsprechend wird auch auf diesem Gebiete die vreußische Regierung weitere Aenderungen herbei⸗ zuführen suchen, wenn sie sich eben als notwendig erwiesen haben. Bis jetzt ist das nach meiner Auffassung noch nicht der Fall.

Der Herr Vorredner hat dann auf die Ausweisungen Bezug ge⸗ nommen, wie auch die Interpellation selbst, und da möchte ich be⸗ merken, daß die Ausweisungen nach Rußland durch ein besonderes Abkommen vom Jahre 1894 geregelt sind. Dieses Abkommen stellt nicht eine Erschwerung des Verfahrens dar, sondern eine Erleichterung. Es ist verabredet worden, daß dann, wenn die Staatsangehörigkeit ohne Zweifel feststeht, nicht der diplomatische Weg einzuschlagen sei, sondern ein direkter Verkehr jwischen den Grenzbehörden stattfinden könne. Von diesem Uebernahmeverkehr wird in zahlreichen Fällen Gebrauch gemacht. Der Vertrag ist aber, wie ich ausdrücklich hervor⸗ hebe, nicht ein Geheimvertrag, wie neuere Zeitungsnachrichtan anzu⸗ nehmen scheinen. Ein solcher Geheimvertrag besteht hierüber nicht, ebensowenig wie neuerdings anläßlich des japanisch russischen Krieges, wie gestern der Reichskanzler im Reichstage erklärt hat, ein derartiger Geheimvertrag abgeschlossen ist. Dieser Vertrag von 1894 ist in den amtlichen Blättern, gerade wie andere Verttäge, publiziert und vollständig bekannt. Die in diesem Vertrage vorgeschriebenen Formen der Uebergabe gebieten sich bei der großen Zabl der im Osten über unsere Grenze kommenden Russen, meisten⸗ teils polnische und polnischjüdische Russen.

(Schluß in der Dritten Beilage.)

Dritte Beilage

2

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger

. 292.

(Schluß aus der Zweiten Beilage.)

Wie groß die Zahl ist, möge daraus hervorgehen, daß allein die

Auswanderer, die durch Deutschland durchwandern, im vorigen Jahre

der russischen Grenze die Zabl von 50 007 überschritten haben.

iese Uebergabe erfolgt in der Regel, wenn unmittelbar aus Rußland

Bettler, Landstreicher, Gesindel aller Art, wie es sich gerade an der

Grenze herumtreibt, auf preußisches Gebiet übertritt. Sie erfolgt

nicht, wenn irgendwelche besondere Verhältnisse es verbieten. Ich habe

3. B. die Vorschriften über die Verhinderung der Niederlassung pol

nischer Elemente aus Rußland in unseren polnischen Landesteilen im

ich voraussah, daß dieser Zuzug aus Anlaß des

d ürde, aufs neue in Erinnerung gebracht, dabei

und Refraktäre nicht

wenn sie sich f

willig über ein Oesterreich oder welche sie wollen entfernen.

Das Verfahren der Ausweisung unter Androhung maßregeln, um jemand, den man im Lande nicht mehr dulden will, zum Verlassen des Landes zu zwingen, den letzten IJ w diel⸗ fach angewandt worden, und ich halte das für einen For itt gegen den früheren Usus, daß in allen ein Tranepor z an die Grenze erfolgt.

Ich möchte hier ausdrücklich betonen, minisier schon erwähnte, daß bei der Frage nur preuß maßgebend sind, allerdings auch freundschaftliche Gesinn unsere Nachbarn, aber daß dabei keine Liebedier f staat, sondern nur die Liebe zur faktor ist. Wir müsser

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Grenze ? eigenen preußischen Lebensinteress err Interpellant gedacht; er ha Ich wollte, er e des geltenden Verf machten Andeutungen zwingen mich, einzugehen, weshalb nun eigentlich gegen Auswanderer i z besonderen Vorsichtsmaßregln bei uns gegangen wi deine Herren, diese Erwägungen sind armenrechtlicher Natur, und sie sind viel älter und stammen ganz anderen Anlasse, als vielleicht der Herr Vorredner genommen hat. 68 3**

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ischen Ländern begonnen. en Gouvernements Rußlands die Cholera; sie auch zu uns übergetreter ine groß hindurch wollten. angenommen, sie kgewiesen, und zr ie Einwanderung dieser Man wo sie nicht ganz ohne Zweck nach mer inbe um sie nachher wieder auf ihre Kos— ück zubefördern und wieder an der deutsch preußischen Grenze ausz Nun kamen di verbreiteten sich im Ich glaube, 5 sie i eigetragen haben, daß fand. Da un e kamen auch von seiten unserer Be en an der ze. Die Leute derteilten sich in den Kreisen Bentheim und Umgegend, es entstanden da Gefahren und es wurde die Armenverwaltung auf hr unangenehme Weise in Mitleidenschaft gezogen. Gleichzeitig sselbe auch hier in Berlin geschehen, und die erste Beschwerde z e ging von dem Berliner Magistrat aus. (Hört, rechts.) Der Berliner M hatte im August 1893 sich an die Regierung gewandt und ges

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sanitare

Wir gestatten uns, die Aufmerksamkeit Eurer Exzellenz auf den in letzter Zeit bemerkbaren neuen Uebertritt russischer Aus— wanderer über die diesseitige Grenze hinzulenken. Derselbe erregt unser Bedenken vorzugsweise im Hinblick auf die sanitären Ge⸗ fahren, mit denen der Zuzug derartiger Personen uns und die All— gemeinheit bedroht, da dieselben größtenteils aus Gegenden kommen, in denen die Cholera herrscht, und bei ihrem schlechten Ernährungs— zustande und ihrem ausgeprägten Hang zur Unreinlichkeit für jede Seuche besonders empfänglich scheinen. Die Entfernung solcher Personen von hier im Wege der offiziellen diplo⸗ matischen Verhandlung ist erfahrungsgemäß mit erheblichen Schwierigkeiten ünd zeitraubendem Schriftwechsel verbunden, während die privaten Bemühungen des hiesigen Schutzkomitees in den unz ulänglichen Mitteln ihre Grenzen finden. Es erscheint uns daher in jeder Hinsicht wünschenswert, daß diese Personen, soweit dieselben sich nicht im Besitze ausreichender Geldmittel be—⸗ finden, schon vor dem Betreten der Grenzen unseres Staatsgebietes oder doch unmittelbar danach in ihre Heimat zurückgewiesen werden, was sich dann auch sehr diel leichter durchführen ließe, da dieselben dann noch bereitwilliger dazu sein werden und ihre Mittel dann noch nicht in dem Maße erschöpft sind, als nach erfolgter Weiterreise hierher.

Eure Exzellenz bitten wir, diese Angelegenheit sorfältigst in

Erwägung zu ziehen und die zur Fernhaltung des Zuzugs russischer

Berlin, Montag, den 12

Dezember

wollen. Diesem Wunsche der Stadt Berlin, dem gewiß ein Es kam hinzu, daß der Auswandererstrom, auch der ieser Schwierigkeiten, geriet, und daß sowobl die Hamburger als esse daran ihre Häfen zu befördern. Es ist dann mi ei S sgesellschaften verabredet worden, daß alle russi Auswanderer wegen der Seuchengefahr an der Grenze sogenannte Kontrollstation aufgenommen, in dieser r, . bre Weiterreise nur dann gestattet wird, dann ö J

weiter als Bedingung gestellt worden itenden Bedingungen weg —, daß di

e iufzukommen haben, daß der Räcktransvort

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Angestellten der Schiffahrtegesellschaften od den Polizeibeamten einen kleinen Verstoß gemacht bei 50 (00 Personen im Jahr und bei einer

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weiter die Anordnung getroffen, daß irgend eine Beschwerde erfolgen sollte ssare sein —, der vorgesetz zu machen entscheidet. Es ist dann endli wenn es sich darum handelt, betrachten ist oder nicht, lieber eine die Kontrollstation zu bringen, als in ersonen, welche wie A aussehen, aber

Auswanderer * * 1 a der Kontrollstatie .

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nitäre, prophrlaktische Maßnahmen aus Rußland kommenden der F eigentlichen Kontrollst iche Untersuchung nur Registrierstationen haben neuerdings im Königreich ichtet ist, und daß Ver bandlun

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20 —snFe sHrwekor 55 211 darüber chweben, daß

übe ühr deutsc eisenden in Rußland zu teil werde, und darüber, daß sie russischen Vorschriften über den Aufenthalt der Fremden in Rußland in manchen Dingen gar zu scharf sind. uf kann ich nur erwidern, daß es nicht Aufgabe der preußischen Gesetzg ist, in die autonome Gesetzgebung ands einzugreifen; ebenso wie wir uns eine Einmischung

Rußlands in unsere Angelegenheiten ve müßten, hat Rußland ausschließlich das Recht, seine Fremdenpolizei nach seinen Bedürfnissen und Anschauungen zu regeln. So weit aber deutsche Reichangebörige etwas schlechter gestellt sein sollten als die Angehörigen anderer aaten, und so weit unsere deutschen Reichsangehörigen in Rußland unberechtigter Weise unrichtig behandelt sein sollten, glaube ich, dürfen Sie alle vertrauensvoll darauf rechnen, daß es an einer wirksamen Vertretung der deutschen Interessen seitens des Auswärtigen Amts Ich muß

1nd Ne Und Ver⸗

oder seitens unserer Vertreter in Rußland nicht fehlen wird. mir versagen, darauf, ob in dieser Beziehung vielleicht in dem neuen russischen Handelsvertrag, neue Bestimmungen enthalten sind, bier ein⸗ zugehen, da der Handelsvertrag zur Zeit nech nicht veröffentlicht ist. Es ist von dem Herrn Interpellanten dann noch mit einigen Worten darauf hingewiesen worden, daß die polizeiliche Verwahrung, die polizeiliche Haft, welche häufig mit einer Ausweisung verbunden sei, doch eine große Härte in sich schließe. Er meinte, wenn ich ihn richtig verstanden habe, daß diese polizeiliche Verwahrung auch mit unsern Gesetzesvorschriften nicht vollständig im Einklang stehe. Das letztere muß ich bestreiten. Es ist richtig, daß jeder Deutsche, der von der Polizei festgenommen wird, unverzüglich dem Richter zu— geführt werden soll. Ein Recht darauf für einen Ausländer, sofern er nicht etwa strafrechtlich verfolgt wird, besteht nicht, und wenn ich es tatsächlich bedauere, daß eine polizeiliche Verwahrung gerade in bezug auf diese Ausweisungsfälle manchmal nötig ist und manchmal länger dauert, als mir liebt ist, so kann ich andererseits nur sagen,

Auswanderer erforderlichen Maßnahmen hochgeneigtest treffen zu . berechtigter

Anlaß zu Grunde lag, ist damals die Staatsregierung nachgekommen.

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sie in Amerika oder England nicht angenomme russische Grenze gesichert ist, damit sie uns nicht r Hamburg ausgesetzt werden und dann der preußische

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Geduld zu sehr in Anspruch nehmen würde. nach den eingebenden Darlegungen die Ueberzeugung gewonnen haben, daß die preußische Polizei auch in diesen Dingen ihre Pflicht, und nichts als ihre Pflicht getan hat, niemandem zu Liebe, aber auch niemandem zu Leide, lediglich im berechtigten eigenen vreußischen Staatsinteresse! (Lebhaftes Bravo! rechta)

Auf Antrag des Abg. Fischbeck (fr. Volksp.) erfolgt die Be— sprechung der Interpellation.

Abg. Viereck (freikons.): Da das Urteil noch nicht rechtskräfti

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geworden ist, müssen wir mit der nötigen Zurũckhaltung an diese Frage herantreten. Die unrichtigen Uebersetzungen des xussischen Der rralksn sulate sind für das Gericht nicht maßgebend ge— wesen, sondern es ist der zuverlässige Sachverständige Rost hinzugezogen worden. Dem Minister kann man in dieser Hinsicht keinen Vorwurf machen. Die Unrichtigkeit der ebersetzungen ist erst im Laufe des Gerichtsverfahrens ent- deckt worden. Sind die Beschuldigungen gegen die Angeklagten