1905 / 12 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 14 Jan 1905 18:00:01 GMT) scan diff

erkannt. Eg gab einmal einen . chen König, der schrieb: Indem vor der Justi alle Leutz . seyen, es mag seyn ein Prin; oder ein Bauer, so ist der Prinz vor der Justij dem Bauer gleich und muß pure nach der Gerechtigkeit verfahren werden, ohne Anfehen der Person. (Zwischenruf links: Das war einmal!) Diefer Jwischenruf das wär einmal!“ spricht Bände. Die Erklärung deg Freiherrn von Mirbach, daß er sich vor Ge⸗ richt vertreten lassen wolle, hätte einem anderen eine Anklage wegen Achtungsverletzung des Gerichts jzugejogen. Wenn Leute, die? hinter Serrn Stoecker stehen, uns Uber Gerichtsurteile e , dann muß man nach dem Rechten sehen, um jenen den

gitationsstoff zu entzieben. In mancher Beziehung kann ich Herrn Kursch zustimmen. Ueber die konfessionelle Frage wird später zu sprechen sein. Wir achten die religiösen Gefühle und Ueberieugungen; ber der Gotteslästerungsparagraph ist in seinem zweiten Teil allmählich ju einer ernsten Gefahr für die Aufrechterhaltung des kon⸗ fessionellen Friedens geworden, und die Erbitterung darüber sieigt von Tag zu Tag. Man beklagt sich mit Recht über Imparität, und es war die höchste Zeit, einen Antrag zu stellen, der auf eine Reform des Sz 166 abzielt. Die Staatganwaͤlte wenden diesen Paragraphen auf alle Beleidigungen von Päpsten an, e n. sie noch so lange tot sein, sogar in dem Falle des Papstes Alexander VI. Borgia. Himmel wolle uns davor behüten, 6 ein gewisser konfessioneller Geist in die Anwaltsstuben und Gerichtssäle verpflanzt wird. Durch diesen a n. werden sehr viele Richter in Gewissenskonflikte gebracht. Bei den gespannten konfeffionellen Segensaͤtzen des Südens sst es notwendiger als je, die konfessionellen Gegensctze aus den Gerichtssälen zu bringen. (Abg. Erzberger ruft; S impffreiheit) Nein, es ist keine Schimpffreihelt zu befürchten. Wir aben in frei⸗ innigen Kreisen den innigsten Wunsch, daß die konfessionellen Gegen⸗ a . in die Gerichts sachen ö werden. In diesem Sinne haben wir unseren Antrag gestellt.

Staatssekretär des Reichsjustizamts Dr. Nieberding:

Der Herr Abg. Müller (Meiningen) hat an mich die Frage ge⸗ richtet, wie es mit dem Gesetzentwurf über den Versicherungs vertrag stehe. Der Gesetzentwurf über den Versicherungsvertrag liegt gegen wärtig jur Beratung und Beschlußfassung im Bundesrat. Der Bundesrat wird voraussichtlich noch einige Zeit brauchen, bevor er das umfangreiche Gesetzeswerk zur Erledigung bringen kann. Das hat bei der jetzigen Geschäftslage des Reichstages auch nicht viel zu sagen, denn wenn die Herren sich vergegenwärtigen, was am Etat und an wichtigen Gesetzec vorlagen in der nächsten Zeit ibrer noch wartet, so werden Sie selbst zugeben, daß es nichts schadet, wenn dieser neue Gesetzentwurf noch etwas auf sich warten läßt. (Sebr richtig! rechts.) Im übrigen verstebt es sich von selbst, daß das Reichsjustizamt, das diesen Gesetzentwurf mit besonderer Genugtuung ausgearbeitet hat, alles tun wird, um seine Erledigung im Bundesrat herbeizuführen.

Der Herr Abgeordnete hat dann gefragt, wie es mit der An— regung stehe, die sich auf die Einführung abgekürzter Geburtéurkunden richtet, die für gewisse Fälle es ermöglichen, die eheliche oder außereheliche Geburt des Kindes zu verschleiern. Ich habe bereits früher gesagt, daß das Bedürfnis zur An⸗ wendung solcher verkürzten Geburtsurkunden außerhalb des Gebiets der Militär- und Marineverwaltung und des Arbeiterinvaliditãts⸗ wesens, wo diese Urkunden länger schon benutzt werden, in mancher Beziehung von seiten der Regierung anerkannt wird. Inzwischen haben sich die Bundesregierungen über entsprechende Einrichtungen verständigt, und es sind die Anordnungen in den Einzelstaaten ent⸗ weder bereits ergangen, oder sie werden in Kürze ergehen, nach welchen in allen Fällen, in denen es sich um die Ausstellung von Geburts- zeugnissen zu kirchlichen und Unterrichtsjwecken handelt, ein ab⸗ gekürztes Formular zur Anwendung kommt, und daß die Aussichts⸗ behörden außerdem angewiesen werden, auch in anderen Fällen, die dazu geeignet erscheinen, die Standesämter zur Anwendung verkürjter Geburtsurkunden ju ermächtigen. Damit, glaube ich, ist dem Bedürfnis, das auf diesem Gebiete hervorgetreten ist, genügt.

Meine Herren, ich komme dann ju den Fällen, die der Herr Abgeordnete bebandelt hat, und zu den allgemeinen Betrachtungen, die er daran geknüpft bat. Er hat mir den Vorwurf gemacht, daß ich seit den 7 Jahren, seitdem er hier im Reichstag Erklärungen von mir gehört hat, stets mich darauf berufen hätte, der vorgebrachte Fall sei mit nicht bekannt. Das ist nicht immer, aber oft geschehen. Ich bin meinerseits gewohnt, Rechtsfälle nur zu behandeln in einer solchen Körperschaft wie der Reichstag, wenn ich die Fälle nicht nur kenne, sondern gründlich durchgearbeitet habe, und ich muß, wenn der Herr Abgeordnete mir gegenüber nach dieser Richtung bin einen Vorwurf macht (Widerspruch links), meinerseits doch ibm gegenüber den Vor⸗ wurf erheben, daß er mit am meisten dazu beigetragen hat, unvorbereitete, nicht klar erledigte Fälle bier im Hause oder in den Blättern zur allgemeinen Kenntnis zu bringen und damit die öffentliche Meinung zu alarmieren (sehr richtig! rechts), statt vorher der Regierung Ge⸗ legenheit zu geben, sich über den Fall zu orientieren und auch ihre Meinung zu sagen.

Der Herr Abgeordnete hat nun zwar erklärt, das sei nicht immer möglich, denn es gingen ihm noch im letzten Moment Haufen solcher Beschwerden zu. Das will ich zugeben; aber daß es zuweilen möglich ist, und daß es wichtige Falle gibt, in denen es möglich ist, das beweisen die beiden Fälle, die der Herr Abgeordnete hier selbst zur Sprache gebracht hat, die ihm schon seit dem Sommer bekannt sind. Ich würde ihm sehr dankbar gewesen sein, wenn er in beiden Fällen Gelegenheit genommen hätte, mir Mitteilung davon ju machen; ich würde ihm dann in beiden Fällen vollständig Rede gestanden haben, während ich es jetzt nur in dem einen Falle kann. (Zuruf links) Ja, Herr Abgeordneter, es ist vielleicht ein Versehen des Burcaus, wenn der eine Fall nicht zu meiner Kenntnis gelangte; Sie können doch nicht verlangen, daß ich alle Nummern der Zeitungen nachlese. Es kann mir selbst auch mal passieren, daß eine Sache von mir unbeachtet bleibt. Wenn Sie aber Ihr Entgegenkommen noch etwas weiter treiben wollten, se kõnnten Sie ja die Gute haben, mir unter Kreuz⸗ band die betreffende Nummer der Zeitung zu senden. (Sehr richtig! rechts) Daz ist dech nicht viel, aber es ist nicht gescheben; ich halte mich daher für ertschuldigt, wenn ich nur den einen Fall hier behandeln kann. Ich bin auch der Meinung, wenn der Herr Abgeordnete eine persõnliche Bemerkung über sein Verfahren mir gestatten will, daß es durchaus nicht nötig wäre, alsbald, wenn er Beschwerden uber Rechts⸗ verletzungen bekommt, in die Zeitungeposaune zu stoßen. Mir scheint es vollständig zu genügen, wenn er uns erst Mitteilung macht und sich erst nachher ausspricht. Ich würde dann gern Gelegenheit nehmen, ihn über den Fall zu orientieren. Er würde dann vielleicht zu der Meinung gelangen, daß er später richtiger zu urteilen in der Lage ist, als wenn er gleich den Weg in die Deffent⸗ lichkeit wählt. So geht es, meine Herren, daß in vielen Fällen tadelnde Mitteilungen von Männern in autoritativer Stellung auf

Grund einseitiger Angaben in die Presse gelangen, daß die öffentliche Meinung dadurch beunrubigt wird und daß sich nachher herausstellt: die Herren sind getäuscht worden, die Sache liegt gar nicht so, wie es anfangs von ihnen angenommen war. Dann wird der einzelne Fall von dem Publikum rasch vergessen und die Verteidigung der Be⸗ hörden kommt zu spät, um noch beachtet zu werden; aber der all⸗ gemeine Eindruck, daß die Behörden unrichtig gebandelt haben, ein Eindruck, der falsch ist, bleibt im Publikum, (sehr richtig! rechts), bestimmt sein Urteil, und das ist sehr beklagenswert.

Ich sage: über den einen Fall hat mich der Herr Abgeordnete dadurch unterrichtet, daß er in die Frankfurter Zeitung! glaube ich, war es eine Mitteilung hineingebracht hat, die sehr alarmierend lautete und sich bereits in einer Weise über den Fall aussprach, die ich für voreilig halten mußte, und ich glaube, der Herr Abgeordnete wird aus meiner Darstellung des Sachverhalts die Ueberzeugung gewinnen, daß es besser gewesen ware, zunächst nicht zu urteilen. Jeder Leser, der nicht weiter juristisch gebildet ist und keine Er⸗ fahrungen auf diesem Gebiete hat, wird nach dem Artikel, den der Herr Abg. Dr. Müller Meiningen im Herbst veröffentlichte, annehmen, daß ein sehr großes Versehen auf seiten der richterlichen Behörden vorgekommen sei, und ich muß hier ich werde auch die Daten dafür anfũhren konstatieren, daß ein solches Versehen in keiner Weise vorgekommen ist.

Meine Herren, der Herr Abgeordnete hat selbst den Namen des Betreffenden genannt, ich darf ihn also auch nennen, obwohl es dem Herrn vielleicht nicht erwünscht sein mag. Der Fall betrifft einen gewissen Freundel, einen Former, einen Mann, von dem der Herr Abgeordnete sagt, es sei ihm nichts Nachteiliges über seine Per⸗ sönlichkeit trotz seiner Bemühungen bekannt geworden. Ich bedaure, in diesem Punkte durch seine Ausführungen genötigt zu sein, etwas darüber zu sagen. Der Mann ist in den 80 er Jahren wegen Meineids zu vier Jahren Zuchthaus und zu fünfjãhrigem Ehrverlust verurteilt worden, und außerdem ist der Polizei bekannt, daß er seine Frau vielfach im Stiche läßt, daß die arme Frau im wesentlichen durch eigene Arbeit ihr Brot verdienen muß und, soweit es nicht ausreicht, auf die Unterstützung ihrer, nicht seiner Angehörigen an⸗ gewiesen ist. Das kann natürlich die rechtliche Beurteilung dieses Falles nicht beeinflussen, ich bin aber genötigt, diese Seite der Sache hier hervorzuheben, weil der Herr Abgeordnete seinen Schützling als Unschuldsengel hinzustellen versuchte. (Hört! hört! rechts) (Zurufe links.)

Also, meine Herren, die Sache liegt folgendermaßen. Die Ver⸗ gangenheit dieses Mannes ist nicht ganz klar, er hat sich vielfach, viel⸗ leicht um Arbeit zu suchen ich will ihm keinen Vorwurf daraus machen, ich muß es aber anführen an verschiedenen Orten herum⸗ bewegt. Er tauchte anfangs vorigen Jahres, im Januar, in Eisenach in einem thüringischen Ort, es kommt ja nicht genau darauf an, wo, auf und war beschãftigungslos. Er wurde dann von einem guten Freunde darauf aufmerksam gemacht, daß in Remscheid Be⸗ schäftigung für ihn sei. Zwei Monate, nachdem bekannt geworden war, daß er keine Beschäftigung habe, ist er dann nach Remscheid gekommen. Er hat seine Reise nicht so eingerichtet, daß er gleich zu der Fabrik, die ihm genannt wurde, gegangen wäre und gesehen hätte, ob er Arbeit finden könnte, sondern er ist auf die Polizei gegangen und hat sich als mittellos und obdachlos gemeldet; infolgedessen wurde er polizeilich untergebracht.

Dieser Umstand gab nun der Polizeibeborde Veranlassung, auf Grund eines ihr vorliegenden gerichtlichen Haftbefehls ihn zu verhaften. Weshalb? Da muß ich nun ein Intermeno erwähnen, das in seiner Art eigenartig ist und Gott sei Dank selten vorkommt, das aber nicht gestattet, den Behörden einen Vorwurf ju machen, und dieses Intermeno ist folgendes. Zwei Jahre vorher, Ende 1890, wurde in Stettin ein Mann, der sich Klein nannte, verhaftet und wegen Betruges zu einem Jahre Gefängnis verurteilt. Er hatte eine Reihe kleiner Handwerksmeister in verschiedenen Orten mittels An⸗ bieten von wertlosem Arbeitsmaterial betrogen. Dieser angebliche Klein bekam also ein Jabr Gefängnis. Während er seine Strafe absaß, wurden über sein Vorleben Ermittelungen angestellt. Er behauptete, er heiße Klein und sei aus Rovigno in Istrien. Natürlich nahmen die Ermittelungen eine lange Zeit in Anspruch, es stellte sich aber schließlich heraus, daß man in Rovigno in Istrien von diesem Klein nichts wußte. Es war also ein Schwindel, den er den Behörden vorgemacht hatte. Als er nun seine Gefangnisstrafe verbüßt hatte, wurde er nochmals deshalb zur Verantwortung gezogen. Man verhaftete ihn nicht, er versprach, seine Legitimationgpapiere beizubringen und sich dadurch genügend bekannt zu geben. Er verschwand aber und ist bis heute spurlos ver⸗ schwunden. Inzwischen kam aber jur Kenntnis der Behörden, daß ahnliche Schwindeleien, wie dieser angebliche Klein sie in der Gegend pon Stettin verübt hatte, in ganz gleicher Weise auch verübt worden waren in Ost⸗ und in Mitteldeutschland. Die Polizeibehörden kamen dadurch, wie ich glaube, doch mit Recht auf den Gedanken, daß es sich hier um eine Persönlichkeit handele, die allerhand strafbare Dinge verübt habe, die Grund habe, ihre Person den Behörden zu entüiehen. Es wurde infolgedessen, wie das üblich ist, hier im Polizeiprãsidium eine Photographie des Mannes ausgehängt. Nun, meine Herren, kommt eines schönen Tages zur Polijei ein Mann, der früher mit dem Freundel zufammen gearbeitet hatte, und teilt der Polijei mit: das ist ja die Photographie von meinem frũheren Arbeitg⸗ genossen Freundel, mit dem ich zusammen arbeitete, ich erkenne ihn danach wieder. Amtlich war man vorsichtig, man ging auf diese Mitteilung hin nicht ohne weiteres vor, sondern schrieb an die Bebörde des Heimateorts und ließ die Photographie dort Bekannten des Freundel mitteilen. Die sagten: gewiß, das ist der Freundel, wir kennen ihn ja. Man blieb noch immer vorsichtig, wendete sich auch an das Zuchthaus, in dem der Freundel 4 Jahre gesessen hatte, und in dem Zuchthause wurde der Beamte vernommen, der in dieser Zeit den Freundel iu beaufsichtigen hatte. Dieser Aufseher rekognosierte gleichfalls Freundel. Daraufhin wurde nicht nur von dem einen Gericht in Stettin, sondern auch von den anderen Gerichten Haftbeschluß gefaßt, ein Steckbrief gegen den Freundel alias Klein erlassen, und ich möchte den wissen, der es nach solchen Vorgängen den Behörden verargen wollte, daß sie gegen den

Mann so vorgegangen sind.

Dieser Steckbrief lag nun in Remscheid vor, als der Freundel dort eintraf. Was konnte die Polizei anders tun, als dem gerichtlichen Haftbeschluß Folge leisten? Sie verhaftete den Mann. Nun batte ja der Freundel es sehr leicht gehabt von der Haft sich zu befreien, er

hätte bloß zu sagen brauchen: ich bin nicht der Mann, sondern ich h während der Zeit, wo die Taten, deren ich beschuldigt werde, gekommen sind, dort und dort in Deutschland gewesen. Er hat m war wohl geleugnet, daß er der Mann sei; aber er h nicht gesagt, wo er sich zu der Zeit, wo die Betrũgereien do gekommen sind, aufgehalten hat. (Widerspruch und Zun links) Nein, das genügt nicht für diesen Zweck. Wer man sich gegen den Verdacht einer strafbaren Handlung unter so wandten Umständen decken will, so muß man sich ausweisen, wo m gewesen ist. Erst eine Reihe von Tagen später besinnt Freundel s darauf, zu sagen: ich bin in den fraglichen Zeiten da und da gewest Das Gericht stellt die Wahrheit dieser Behauptungen fest, und ergibt sich, daß die Aussage zutreffend ist. Es ergibt sich daraus weitere Folge, daß der Mann unschuldig verhaftet worden j Sofort, nachdem im telegraphischen Wege die Gerich die Haftbeschluß gefaßt hatten, davon Kenntnis bekam sind die Haftbefehle zurückgenommen worden, sind al Behörden telegraphisch von der Zurücknahme in Kenntnis gesen Nur ein Gericht, das Gericht in Danzig, hat, weil es besonde Ermittelungen angestellt hatte, geglaubt, einige Tage zögern zu müsse um zunächst das Ergebnis der Ermittelungen zu erfahren, hat dan aber auch denselben Schritt getan.

Seitdem war der Mann frei. Wenn der Herr Abgeordnete sa⸗ seitdem sei der Mann noch verschiedentlich verfolgt und vernomma worden, so ist meines Wissens nur eins richtig: er ist einmal einem besonderen Punkt noch vor dem Gericht vernommen worde Es ist aber nicht richtig und der Herr Abgeordnete ist hier fal unterrichtet worden —, wenn gesagt wird, daß er verschiedentlich ve nommen worden sei. Er hat allerdings verschiedene Zuschickun von den Gerichtsbehörden bekommen, aber diese Briefe haben nich anderes enthalten als die Mitteilung, daß der gegen ihn erlassen Haftbefehl aufgehoben sei. Wenn der Mann den Inhalt dieser richtlichen Mitteilungen anders aufgefaßt hat, oder wenn er etw auch an den Stellen, mit denen der Herr Abgeordnete in Verbindu stand, falsche Mitteilungen darüber gemacht hat, so kann den 8 hörden doch kein Vorwurf gemacht werden. Wie liegt also die Sach meine Herren? Auf Grund eines Irrtums in der Identität der Persen eines, wie ich glaube nach meinen Mitteilungen sagen zu dũrfen, g ungewöhnlichen Irrtums, haben die Behörden in entschuldbarer We angenommen, daß Freundel sich strafbar gemacht habe und der strafung sich entziehen wolle. Auf Grund der Haltung des Va hafteten, indem er sich nicht gleich dazu bereit fand, zu sagen, won sich zu fraglicher Zeit aufhielt, hat der Mann länger gesessen, als an sich nötig gewesen wäre. Für diese Tatsache kann kein Richt verantwortlich gemacht werden, auch keine Polizeibebörde. D Gerichte haben so gehandelt, wie sie nach Maßgabe der Strafproꝛ⸗ ordnung auf Grund der Mitteilungen bandeln mußten, die ibn vorlagen, und es ist also nichts, was in diesem Falle auf sein der Gerichte oder Polizeibehörden ju entschuldigen oder weiter; rechtfertigen wäre. Der Mann nahm nun eine Entschädigung in A spruch für die Einsperrung; obwobl er eine Reibe von Tagen geseß hat vermöge seiner eigenen Schuld, weil er nicht angab, wo er st aufgehalten habe, hat der preußische Herr Minister doch kein Bedenl⸗ getragen, ihm für die ganze Dauer der Haft eine Entschãdigung gewähren, und zwar wurde diese Entschädigung für jeden Tag bemesse nach dem höchsten Lohnsatz, der in der Fabrik, an die der Mann si

wenden wollte, für Leute seines Handwerks bezahlt wird. (Sn

hört! rechts) Also er hat für diese Zeit alles bekommuü was er im andern Falle hätte verdienen können, und als der Man sich dann noch einmal an den Minister wendete und darauf hinwie daß er nicht gleich nachher habe unterkommen können, ist ihm noc mals eine Entschädigung, wie der Herr Abgeordnete das auch richt hervorgehoben hat, von 120 M bejahlt worden. Das ist eine Cn schädigung für eine Zeit von mehr als drei Wochen, während welch Zeit der Mann keine Arbeit gefunden haben will. Auf noch länge Zeit, selbst wenn der Mann dann noch arbeitslos war, ihm de Unterhalt zu gewähren, lag kein Anlaß vor. Nach dem Sinn? Gesetzes über die Entschädigung unschuldig Verhafteter kann man? Behörden unter diesen Umständen gewiß nicht bezichtigen.

Meine Herren, wenn Sie sich diesen Fall vorhalten, so wen Sie mir jugeben müssen, daß gesetzmäßig in allen Stadien die Sache gehandelt ist, und der Herr Abg. Müller (Meiningen) mir vielleicht auch zugeben wollen, daß es richtiger gewesen wäre, von vornherein die öffentliche Meinung aufjuregen und Beschuldigunz auszusprechen. (Sehr richtig! rechts.) .

Der Herr Abgeordnete hat nun den Vorschlag gemacht, möchten doch ein Verzeichnis sämtlicher Fälle, in der grundlose Bezichtigungen der Behörden vorkommen, aufstellen 41 dann veröffentlichen. Er glaubt, daß sehr viele Zeitungen gin Zeitungen bereit sein würden, dies abzudrucken. Einmal ist a die gefährliche Wickung solcher Mitteilungen nicht in dem Publik⸗ der großen Zeitungen zu suchen, sondern sie liegt in den Mitteilurs der kleinen Blätter, der Blätter, die in die große Masse komma und diese Mitteilungen das bat der Herr Abgeordnete selbst erkannt können unmöglich alle berichtigt werden, und geschäbe so würden die kleinen Blätter die ihnen nicht genehmen Berichtigur auch nicht aufnehmen. Das Beste wäre, wenn in solchen Fällen,

eine Bedeutung haben, die Herten Abgeordneten ssie hier

Hause zur Sprache bringen wollen, da hat die Verhandlung Resonan und eine Richtigstellung kann in keinem Blatt unterschlagen werde Wir werden immer gern bereit sein, zu antworten. Aber die Hen Abgeordneten sollten sich in solchen Fällen, in denen es sich um wicht Angelegenheiten handelt, auch regelmäßig Zeit nehmen, sich vor unparteiisch zu orientieren, und uns Gelegenheit geben, uns unsen seits genau zu orientieren. Wir werden ihnen dann, wenn sie i Beschwerden vorbringen, nie die Antwort schuldig bleiben. (Bravo! rech

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

zum 12.

Zweite Beilage

Deutschen Reichsanzeiget und Königlich Preußischen

Berlin, Sonnabend, den 14. Januar

Staatsanzeiger. 1905.

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Abg. Kulerski (Pole) bemängelt, daß die Gerichtssäle in den poknischen Landesteilen, zum Tum nelplatz der Leidenschaft und des Hasses gegen die Polen gemacht würden, Gewisse Leute spielten in den polnischen Landesteilen die Rolle von agents escatsurs. Befenders bedenklich sei das Vorgehen Ter Slaats⸗ anwälte gegen die Polnischen Angeklagten, namentlich gegen polnische Redakteure. Ein Staatsanwalt habe gesagt, es sei unglaublich, daß Geistliche über die polnischen Aufständischen, also über Räuber und Mörder, den Segen Gettes herabgeflebt hätten. Das sei, bemerkt Redner, eine unerhörte Beleidigung und Verungl impfung des polnischen Nationalgefühls. Ein solches Verfahren zeuge nicht von edler Ge⸗ innung. Aber beute frage man ja nicht nach edler Gesinnung, man . auf jede Weise Karriere zu machen. Gegen das geknechtete

polnische Volt glaube man sich eben alles erlauben zu dürfen. Wenn

Polen die Aussage in deutscher Sprache verweigerten, so täten sie das, weil sie in der Tat des Deusschen nicht vollkommen mächtig seien, und weil sie von der Heiligkeit des Eides eine hohe Meinung hätten. Man gewinne immer mehr den Eindruck, daß die preußischen Gerichte zu politischen Zwecken mißbraucht würden. Tie polnische Presse werde von den Preußischen Gerichten viel schlechter behandelt als in Rußland. iz. Dr. Spahn Gentr.) widerspricht dem Antrag Müller⸗ Meiniagen wegen Abänderung des §z 166 Abs. 2 des Strafgesetzbuchk. Der Antrag wolle zwar die Beschimpfungen der Kirche strafbar lassen, aber die kirchlichen Einrichtungen schutzlos machen. Er selbst stehe auf einem abfolut abweichenden Standpunkt. Der Richter habe sich zu fragen, was eine Einrichtung, ein Gebrauch der Kirche sei. Dabei könne es allerdings vorkommen, daß ein Richter in nicht genügender Kenntnis der religiösen Einrichtungen nicht wisse, was eine solche Einrichtung sei. Aber es müffe berbindert werden, daß eine Konfession angegriffen rrerde. Der 5 166 schüge die Angehörigen aller Konfessionen in ibrem religiösen Bewußtsein. Wenn der Fall angezogen werde, daß Staatsanwälte wegen Beleidigung von Päpsten angeklagt hätten, so sei es eben ein Angriff auf das Papsttum, wenn ein Papst an⸗ egriffen werde. Gerade in Deutschland, wo ez verschledene Kon⸗ er en gebe, müsse dieser Paragraph aufrecht erhalten werden, damit jeder das Bewußtsein habe, daß er die andere Konfession achten müsse. ; ö 3

Abg. Kopsch (fr. Volksp): Es hat langer Kämpfe bedurft, ehe die Reglerung sich dazu entschloß, der Frage der Entschädigung für unschuldig erlittene Unterfuchungshaft näher zu treten. Sie hat sich mit einer Abschlagszahlung begnügt. Die Hoffnung nun, daz das Gesetz wenigstens in einheitlicher Weise durchgeführt weiden würde, hat sich nicht erfüllt. In einem Falle wurde ein notorischer Sittlichkeitsverbreer, der lediglich wegen seines Geisteszustandes freigesprochen werden mußte, für die Haft ent- sckädigt. Das Entgegengesetzte reignete sich in dem bekannten Falle des Fräuleins Kümmel in Kotibus, die einstimmig freigesprächen ist.. Das. Gericht billigte ihr keine Entschädigung zu, weil nicht erwiesen sei, daß ein begründeter Verdacht gegen die Angeklagte vorgelegen hätte. Es Libt also jetzt außer Freigesprochenen und Verurteilten auch verdächtig Freigesprochene. Das Wieder⸗ aufnafmeberfahren ist beutzutage wobl geeignet, dem unschuldig An⸗ geklagten die idealen Güter der Ehre und Freiheit wiederzugeben, aber nicht den materiellen Verlust. Das versteht das Volk nicht. Eine solche Entschädigung vermag ja der Staat nicht zu geben. Wer vermag zu entschädigen für den Kummer und die Sorgen und den Veriust des guten Rameng ? Der Staat muß den unschuldig Ber. urteilten wenisstens materiell so stellen, wie er stand als die Anklage erhoben wurde. Wenn diese Zustände weiter bestehen, dann haben diejenigen recht, die den alten Zustand vor Erlaß dieses Gesetzes dem jetzigen vorziehen, .

Abg. von Gerlach (r. Vgg): Ich bekam vor einigen Tagen eine Vorladung als Angeschuldigter. SDiese Vorladung war gesetz⸗ widrig, denn meine Eigenschaft als Abgeordneter war nicht berück. sichtigt. Aber ich lasse das dabingestellt. Ich weiß nicht, um welche Bagtelle es sich handelt. Ich babe mich dadurch nicht irritieren lassen. Aber andere haben zartere Nerben Es müßte in der Vor—⸗ ladung doch angegeben werden, um welches Delitt es sich denn eigentlich handelt. Sonst kommt man unvorbereitet hin und hat kein Beweis⸗ material bel fich. Nach der Haltung der Justizverwaltung ist freilich auf ein Entgegenkommen kaum zu rechnen. Der Abg. Lenzmann sagte, er sei nicht der Ansicht, daß wir eine Klassenjustiz hätten. Sehr weite Rreise des Volkez bis in die äußerste Rechte werden dieser Ansicht nicht zustimmen. Ein früherer Reichstagsabgeordneter, Professor der Rechte Delbrück, schrieb in den „‚Preußischen Jabibüchern“, der Ruf „Klassenjustim⸗ der Sozialdemokraten verdiene Beachtung. Wir haben leine Aueficht, die Sozialdemokratie auszurgtten, ehe dieser Raf sich nicht als unberechtigt herausstellt. Der Redakteur des Deutschen Adels⸗ blatt 8, Freiberr von Grotthus, führte eine ahnliche Sprache. Er fordert zur Bekämpfung der Sozialdeiokiatie, daß mit der Klassenjustiz ein E de gemacht werde. Auch Professor Laband hat sich dafür aus⸗ gesprochen, daß es so nicht weitergehen dürfe. Auch die Schwur gerichte, so relativ gut sie vor den anderen Gerichten sind, sind doch in gewissem Sinne nur Klassengerichte, nicht Volksgerichte. Die Zusammensetzung der Geschworenen in einem. Projeß gegen einen sändltben Ärbeiter in Eüstrow war derartig, daß man sagen konnte, nicht ein einziger der Geschworenen würde nach seiner volirischen und wirtsckaftlichen Stellung Milde und Verständnis gegenüber dem An⸗ geklogten walten lassen. In Bevern ist ein Erlaß ergangen, in dem gefagt wird, es stehe nich im Einklange mit dem Gesetz, wenn zum Um eines Schöffen oder Geschworenen solche nicht berufen werden, die der Arbeiterschaft oder einer bestimmten Partei angebörten. Tieser Erlaß mwäre nicht ergangen, wenn er in Bavern nicht not⸗ wendig gewesen wäre. Unsere Regierung bätte aber alle Veranlassung, die em Beispiel zu folgen. Wenn man sagt, die Arbeiter hätten kein Geld zu solchen Ehrenämtern, so glaube ich, die Arbeiterorganisation würde das nötige Geld ihren Mitgliedern sehr gern zur Verfügung stellen. Zu bedauern ist, daß der Staate sekretär auf den typischen Fall Kozlamgkli in Posen nicht eingegangen ist. Tie Justizwverwaltung weiß von diesem Falle nicht einmal. Hoffentlich siekt sich der Sieatssckretär diesen Fall nachträglich an. Dem Gesinde gegenüber gilt nach der jetzigen e, e nicht Recht, sondern Polij iwilllür. Soll denn diefer schutzloseste Teil der Bevölkerung auf alle Zeit der Gesin deordnung preisgegeben sein? Noch ein Wort über Oldenburg. Tie Zustände der oltenburgischen Justiz sind von Herrn Burlage 8 als so rosig dargestellt worden, als wenn das aldenbungische

ustimalais die lor , verdiente: „Herberge der Gerechtigkeit. Ändere Leute sind anderer Meinung. Herr Burlage hat die Berichte der Berliner Blätter über den Prozeß angegriffen; aber die Blätter in Oldenburg selbst haben garz die gleichen Berichte gebracht. Daß marches feul ist im Staate Oldenburg, bat die gesttige Rede des Vertreters dieses Staates im Bundes rat geieigt. Der Residenzbote⸗ mag ein schmutziges Instrument sein, aber er hat einen guten Dienst getan, indem er den oldenburgischen Sumpf aufgerührt hat. Es sst so piel nachgewiesen, kaß in Zukunft ganz gewiß be— deutend weniger als bisber in loenburg gejeut werden wird. Wenn Herr Builage dann, von, dem Schmutz des Simplichssmus sprach, den der Residenzbote' verbreite, so möchte ch demgeg nüber die Meinung verireten, daß wir als Deuische uns frenen därfen, ein solches Organ zu, kesitzen. Ich halte den „Simpl icissimus⸗ für das beste satirische Blatt der Welt. (Rufe:

‚Kladderadatsch !) Der Kladdergdatsch ist ein gutes Blatt, aber im Vergleich mit dem Simplicissimus ist er doch nur ein stumpfes Messer gegenüber einem schneidigen Florett. Ich identifiziere mich keineswegs mit seinem ganzen Inhalt, aber er steht geistig und künst⸗ lerijch fo hoch, daß man ihn nicht. einfach zu der Schmutzliteratur werfen darf.“ Salirische Blätter müssen immer eine gewisse Freiheit haben. Sie sind der Zeitfpiegel und bewahren noch in die spiteren Jahr⸗ hundert? hinein ihrs kulturzeschichtliche Bedeutung (Zwischenruf: Und die Sittlichkeit? Auch sitilich steht der Simplicissimus‘ sebr boch, weil er die Fäͤulniserscheinungen der Zeit bloßlegt und Kritik daran übt. Deshalb muß mans auch manchmal etwas in den Kauf nehmen, was weniger gefällt. Durch den Simplicissimus' wird noch keine Seele, kein Charatter verdorben worden sein wie durch die Schmuß— presse. Ich habe mich auch an manchem geärgert; aber deswegen werde sch das Unternehmen nicht verdammen, weil es dann und wann eine Ausschreitung begebt. Daß die Festungshaft ein fideles Gefängnis ist, dafür kann guch Graf Pückler als Zeuge angeführt werden. Als er in Weichselmünde brummte, fand in Danzig die Einweibun des Denkmals Kaiser Wilhelms ffatt. An dieser nahm Graf Pückler teil, begab sich auf die offizielle Tribüne, gesellse fich vater nach dem Sinweihunge akt zu deim offiziellen FDiner und saß im Frack mitten unter den Spitzen der Behörden. Dann legte er' sich in (inem ersten Hotel Danzigs ur Nachtruhe nisder und erschien erst am nächsten Morgen wieder in Weichselmünde. Das hat ein mmitgefangener Redakteur öffentlich bezeugt. Sollte das Reichs⸗ justizamt sich nicht aus dieser Veranlassung darüber orientieren, ob hier ein Strafvollzug oder nicht vielmehr die Farce eines solchen vorliegt? Ich bin mir karüber nicht klar, oh Graf Pückler ein vollendeter Demagoge oder ein vollendeter Narr ist. Ich habe ihn einmal gehört und möchte ihn für das letztere halten.

Darauf wird Vertagung beschlossen.

Ss folgen personliche Bemerkungen der Abgg. Lenzmann

und Werner. Nächste Sitzung Sonnabend 1 Uhr

Schluß 6 Uhr. mab end Interpellation Auer, betreffend den Bergarbeiterstreik; Etat).

mr, 2 der Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamt s‘ vom 11. Januar 1905 hat folgenden Inhalt: Gesundheitsstand und Gang der Volkskrankheiten. Sterbefälle im Nobember 1954. Zeltweilige Maßregeln gegen Pest. Sterb⸗ lichkeiteverhältnisse in deutschen Orten mit 15 009 und mehr Ein⸗ wohnern, 1963. Gesetzgebung usw. (Baden) Tuberkulose der Menschen. (Mecklenburg Schwerin) Bandwurm-⸗ und Trichinen⸗ merkblatt. (Frankreich) Tierseuchen. (Belgien) Wurmkrankheit in der Provin? Lüttich. Tierseuchen im Deutschen Reich, 31. De⸗ zember 1904. Rinderpest in Aegypten. Vermischtes. (Ver⸗ einigte Staaten von Amerika, Maine.) Geburten und Sterbefälle, 1907. Monatstabelle über die Sterbefälle in deutschen Orten mit 15 660 und mehr Einwohnern, Novemher 1804. . Desgleichen in größeren Städten des Auslandes. Wochentahelle über die Sterbe⸗ fälle in deutschen Orten mit 40 90 und mehr Einwobnern. Des gleichen in größeren Städten des Auslandeg. Erkrankungen in Krankenhäusern deutscher Großstädte. Desgleichen in deutschen Stadt⸗ und Landbezirken. Witterung. Beilage: Gerichtliche Entscheidungen, betreffend den Verkehr mit Nahrungsmitteln (Wurst).

Statistik und Volkswirtschaft.

Die Arbeiterverhältnisse auf den staatlichen Berg— werken, Hütten und Salinen im Etatsjahre 1903. Der Minister für Handel und Gewerbe hat dem Hause der Ab—

geordneten 70 Quariseiten umfassende Nachrichten von dem Betriebe

der unter der preußischen Berg, Hütten⸗ und Salinenverwaltung stehenden Staatswerke während des Etate jahres 1903. unterbreitet, bie auch Aufschluß über die Verhältnisse, der Arbeiter

auf den Staatswerken geben. Im Berichts jahre 19034

haben sich die Arbeiterverhaͤlmisse auf, den Bergwerken, Hütten

und Salinen des Staates gegen das Vorjahr nicht . geandert; sie gewährten im ganzen ein erfreuliches Bild, da infolge der zwar langsam, aber stetig forischreitenden Neubelebung des wirtschaftlichen

Lebens mit der erböhien Aussicht auf Arbeitsgelegenheit auch die Lage

der Arbeiter sich besserte. Arbeiterentlassungen von nennenswertem

Umfange kamen nicht vor. .

Es waren im Jahreskdurchschnitt insgesamt S0 097 (im Etats. jahre 1902 77 064) Arbeiter beschäftigt, also 3033 mehr als im Vor— jahre (während die Zunahme von 1801 zu 1902 nur 2189 betragen ha tte). Auf die einzelnen Betriebszweige kamen:

19063 1902 74 378 Arbeiter 71 456 Arbeiter

= 892 . 3777

Bergbau Gewinnung von Steinen und Erden Hüͤttenbetrieb. Salinenbetrieb Badeanstalten Bohrverwaltung. .

zusammen ... S0 07 Arbeuer

838 121

T d. Wöbestet Der Gesundheitszustand der Belegschaften war zufrieden⸗

stellend. Die Wurmkrankbeit (nkylostomiasis) blieb wie im Vor. jahre auf die neuerworbenen Stem kohlen bergwerke des Ruhrreviers

beschränkt. Die erste Duichmusterurg der gesamten unterirdischen Be. le schaft der Möllerschächte des Steinkob . Ver. Gladbeck wurde zu Ende geführt. Hierbei wurden von Hö8 Mann 27, d. h. 4,2 v. H. als wurmkrank befunden. Bei einer auf Grund der Bergpolizei⸗ verordnung vom 13. Juli 1903, betreffend Maßregeln gegen die Wurm krankheit der Bergleute, vorgenommenen zweiten Untersuchung von 20 v. H ter Belegschaft befanden sich unter 158 Mann 9, d 5.7 v. B. Wurmkrante. Von den seit Inkrafitreten der genannten Polizeiverordnung vom 1 August 1903 guf den Möllerschächten neu an gelegten 247 Mann wurden bei den sechs wöchentlichen Nachunter⸗ suchungen 3 Mann als wurmkronk befunden. Auf den Rheinbaben⸗ schähten wurde bei der Nachuntersuchung von 259 neu angelegten Bergleuten in nur 2 Fällen Wurmkrankheit ermittelt. Auch auf dem Steinkohlendergwerk Waltrep, gelangte die erste Turchmusterung der g.samten unterirdischen Pelegschast. jum Abschluß. Unier den 3 zuletzt Untersuchten befanden sich nech 7 Wurmkranke. Im ganzen wurden 46 Mann untersucht und hier · don 8 d. s. j74 D. H. alg wunmkrank befunden. Bei der im Juli 1964 vorgenommenen jwesten Durchmusterung der gesamten unter irdisch fen,, Belegschaft wurden von 130 Mann nur b, also 3, 8 M0 wurmkrank befunden. Die Kranken unterzogen sich einer Ab= treibur gekur. Bei den Nachuntersuchungen der seit der jweiten Durch⸗ mustrrung neu angelegten Bergleute ergab sich kein Fall von Wurm⸗ krankheit. Auf dem leinkohlenbergwerk Bergmannsglück ist bei den Nachuntersuchungen der unterirdischen Belegschaft kein Fall von Wurm krankheit bekannt geworden, ?

Die Zabl der tödlichen Verunglückungen ging gegen das Vorjahr zurück. Es kamen durch Betrirbsunsälle 128 (151) Arbeiter oder auf 109 Mann Ler durchschnittlichen Belegschaft 1,66 (1,665) ju Tode. Die Unfallüiffer ging hiernach war gegen das Vorjahr

zurück, war jedoch gegen die früheren Jahre immer noch hoch; sie wurde außerordentlich ungünstig beeinflußt durch zwei Unfälle, die je eine gröhere Anzahl von Opfern erforderten. Auf der Königin Luife Grube in Oberschlesien wurden bei einer Kohlenstauberplosion am 2. Arril 1903 23 Bergleute getötet, während auf dem Steinkohlenbergwerk von der Heydt bei Saarbrücken vier verbotswidrig das Seil zum Einfahren benutzende Arbeiter infolge Seilbruchs tödlich verunglũckien.

Für die Versicherung der Arbeiter auf Grund des Unfall⸗ und Invalidenversicherungsgesetzes sowie an Beiträgen zu den ver⸗ schledenen Knappschaftskassen waren von den Staate werken insgesamt 7995 922 (7 577 689) 1 aufzubringen. . .

Die Ansiedlung der Arbeiter in der Nähe der staatlichen Werke wurde, wie in Len Vorjahren, in der bisher bewährten Weise verfolgt. Es wurden bei der Zentralverwaltung zu Zabrze 800 6. Hausbauprämien und 2100 M6 unverzinsliche Hausbaudarlehen, beim Saljwert zu Bleicherode 9060 (3600) ½ Hausbauprämien und 6375 (6616) M Hausbaudarlehen, bei dem Steinkohlenbergwerk zu Ibben⸗ büren 3600 M Hausbauprämien und 6070 4 Hausbaudarlehen, im Saarbeztrk 120 (82) Hauebauprämien im Gesamibetrage von 10 115 ( 3 455) S und 195 000 (123 099) 466 Hausbau r arlehen verausgabt. Die Gesamtfumme der im Saarhezirkseit dem Jahre 1865 gewährten unverzins⸗ lichen Hausbaudarlehen belief sich am Jahresschlusse auf 5 892 335 60 und die Zahl der seit 1842 prämiierten Bergmannshäuser auf 646d;

Aus dem der Stgatsregierung durch das Gesetz vom 4. Mai 1993, betreffend die Verbesserung der Wohnungsverhält⸗ nisse von Arbeitern, die in Staatsbetrieben beschäftigt sind, und von gering besol deten Staatsbeamten, zur Verfügung gestellten Mitteln wurden im Bereiche der. Berg,, Hätten⸗ und Salinen⸗ derwaltung während des Berichtsjahres überwiesen: der Zentral⸗ verwaltung zu Zabrze 575 300 M jum Bau von 24 Vier 3 Sechs, und 6 Zwölffamilienbhäusern, dem Hüttenamte zu Gleiwitz 46900 A6 zum Bau von 2 Achtfamilienhäusern, der Saline zu Schönebeck 15 000 . zum Bau eines Zweifamilienhauses (für Beamte), der Berginspektion zu Grund 22 690 t zum Bau eines Achtfamilien⸗ bauses, der Bergwerksdirektion zu Dortmund 674 400 M zum Bau von 35 Bier- und 16 Zweifamilienbäusern, der Bergwerksdirektion zu Saarbrücken 418 600 66 zum Bau. ven 30 Zweifamilien häusern (davon 7 für Beamte) und 3 Vierfamilien häusern (davon 2 für Beamte); ferner wurde an Arbeiter der Saarbrücker Staatswerke ein Betrag von 200 000 46 an verzinslichen und zu tilgenden Bau⸗ darlehen gezahlt. Insgesamt sind bisber auf Grund der Gesetze, betreffend die Verbesserung der Wehnungererhältnisse von Arbeitern, die in Staatsbetrieben beschäftigt sind, und von gering besolzeten Staatsbeamten, der Berg-, Hütten, und Salinen verwaltung, zur Ver- fügung gestellt worden

an Baukosten 4 905100 , R Baudarlehen. 1188 600 . zusammen . 6 0893 700 ** Von den sonst igen Wohlfahrtseinrichtungen seien noch die folgenden erwähnt.

Dle im Bereiche der Bergwerksdirektion zu Saarbrücken beste benden Werksschulen, die von Bergleuten im Alter von 14 bis 15 Jabren besucht werden, wurden von 70 auf 73 vermehrt. Die durchschnittliche Schülerzahl stieg von 2643 auf 3318. Die vorhandenen In dustriesch ulen, in denen Handarbeits«, zum Teil auch Koch⸗ und Haushaltungsunterricht an heran- wachsende Bergmanngtöchter erteilt wird, erfreuten sich eines gleich starken Besuchs wie im Vorjahre. In den Kleinkinderbewahr⸗ anstalteèn fanden 2680 (2648) Kinder Aufnahme. Durch das Auf⸗ treten von Kinderkrankbeiten in größerem Umfange wurde der Besuch indessen auch im Berichts jahre zeigweise ungünstig beeinflußt. In den Arbeiterbibliotheken wurde der Lesestoff fortdauernd ver- mehrt. Die Ausgaben hierfür beliefen sich auf 2713 4 Die vorhandenen 9 Konsumvereine und Einkaufsgenossen⸗ schaften erfreuten sich einer steigenden Entwickelung. Die Zahl ibrer Mitglieder stieg von 10432 auf 11154. Für den Bau von

Arbeite rbadeanstalten mit Brausevorrichtungen wurden wiederum

bedeutende Beträge verausgabt. An sonstigen freiwilligen Leistungen zu Gunsten der Ärbeiter ist zu erwähnen die Gewährung von Kohlen ju dem ermäßigten Preise von 3 für die Tonne, die einen Ginnahmeausfall von 693 154 (6b 285) A bedingte.

Von den oberschlesischen Staatswerken gewährte das Steinkohlenbergwerk Königin Lujse 2068 Arbeitern Vor⸗ schüsse von insgesamt 58 965 M zur Beschaffung von Kartoffeln. Der auf dem Dstfelde errichtete Backofen wurde von 1231 Arbeiter familien benutzt,. Der in Zaborze B erst im Berichisjahre ge⸗ gegründete Konsumverein eifreute sich trotz der wenig günstigen Lage seiner Verkaufsstellen einer zunehmenden Be⸗ liecbiheit unter den Arbeitern. Die in Dorotheen⸗ dorf und Zaborze errichteten Kleinkinderbewahranstalten wurden von 140 und 112 Kindern besucht. Das Steinkohlen⸗ bergwerk König vermehrte seine Arbeiterwobnungen von 1687 im Vorjabr auf 207. Am 1. Oktober 19893 wurde gine Haus haltungsschule fär die der Velksschule entwachsenen Töchter aktiver und früherer Arbeiter eröffnet. Der erste Halbjahr⸗ kurfus war mit 33 Schülerinnen voll besetzt. Zur ersten Bil te bei Unglücksfällen wurden 25 Aufseher von dem Ober- schlesischen Knappschaftes verein im Samariterdienst ausgebildet. Zur Unterhaltung der Belegschaft veranstaltete die Werke herwaltung durch das Personal des Oberschlesischen Volkstheaters 3 Theater⸗ abende. er Zuschauerraum war jedesmal bis auf den letzten Platz gefüllt. Als Ausweis diente ein zum Preise von 5 3 ausgegebenes gestempeltes Programm.

Von dem Königlichen Oberbergamt in Breslau wurden auf Vorschlag der beteiligten Staagtswerke aus Staate mitteln ins—⸗ gesamt 132 unterstũtzungs bedürftige Berginvaliden und Witwen mit 1516 M, aus Milteln der Werksarkeiter ⸗Unterstützungskassen der Staatswerke insgesamt 1406 Personen (aktive Arbeiter, Berginvdaliden, Witwen und Watsen) mit 15 199 „, aus Werksfonds und der Güttlerstiftung 538 Arbeiter mit 1200 M unterstützt.

An die Aibeiter des oberharzer Blei, und Silberbergwerks⸗ haushalts wurden 1907 (im Vorjahre 1853) t Brotkorn zu er—⸗ mäßigten Preisen abgegeben. Zur Deckung des Minderpreises leisteten rie Werkzkaffen einen Beitrag Von 102 965 (64 427) 6 und die Kasse des Tlaugthaler Hauptknappschafts vereins einen selchen von 6024 . „, Auf den einzelnen Arbeiter berechnet sich daraus eine

uwendung von 27,51 (17,06) 46 im Jahre oder gag (65 69) A für den Arbeitstag. Bei den g für die Arbeiter der fiskalischen Werke bestebenden Konsumvereinen berechnete sich im ganzen der Umsatz im Jahre 1903 auf 1731363 (1 722 309) 6, der Reingewinn auf 261 3657 (247 9815 4, wovon 254 372 (266132) M als Dividende an die 7913 Mitglieder gezahlt wurden.

Der auf dem fiekalischen Steinkoblenbergwerk am Deister bestehende Spar und Vorschußvere in hatte 123 Mit- glieder, deren eingelegtes Kapital von 55h 847 M sich mit 3,9 9/

derzinste.

Vie beim Steinkohlenbergbau in Oberschlesien, Nieder schlesien, in dem Oberbergamtsbezirk Dortmund und auf den Saar⸗ bräcker Staatẽgruben in den letzten Jabren gezahlten Arbeits, föhne darunter sind hier die reinen Löhne, d. h. solche nach Abzug aller Nebenkosten (Kosten für Geleuchte, Ge zähe, Knappschafts⸗ bestraͤge usw.) verstanden waren folgende: