1905 / 20 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 23 Jan 1905 18:00:01 GMT) scan diff

S. M. S. „Hansa“ mit dem Zweiten Admiral des Kreuzergeschwaders, Kontreadmiral Grafen von Molt ke gestern von Tsingtau nach Wusung in See gegangen.

Der heutigen Nummer d. Bl. liegt das Sachregister um „Deutschen Reichsanzeiger und Königlich er ü fer Staatsanzeiger“ für den Jahrgang

ei.

Wilhelmshaven, 22. Januar. Der Ablösungs⸗ transport für Kiautschou, Transportführer. Major Eredner, bestehend aus 13 Offizieren, 12 Deckoffizieren und Feldwebeln, 388 Unteroffizieren, 694 Mann und 2 Zivil⸗ beamten, hat heute, wie W. T. B.“ meldet, mit dem Dampfer gen, fun. die Ausreise angetreten. Der Kontreadmiral Gülich verabschiedete die Truppen mit einem Hurra auf Seine Majestät den Kaiser.

Münster, 21. Januar. Der Provinzigllandtag für die Provinz Westfalen, der seit dem 15. 8. M. hier tagt, ist nach Beendigung der heutigen Plenarsitzung durch den Königlichen Landtags⸗ lommiffar, Oberpräßdenfen der Provinz Westfalen, Staats minister Freiherrn von der Recke in herkömmlicher Weise mittels folgender Ansprache geschlossen worden: .

Hochgtehrte Herren! In kurzer Zelt haben Sie die Beratungs. gegenstände der nunmehr beendeten Tagung, denen zum Teil eine größere Tragweite für die weitere Entwickelung der Provinz bei⸗ zumessen ist, mit gewohnter Sachkenntnis und Arbestsfreudigkeit erledigt.

Wenngleich es noch nicht gelungen ist, die Frage der Hagelver⸗

cherung jur Entscheidung zu bringen, so ist doch durch die Verhand⸗ ungen in der Kommission die Angelegenheit derart weiter gefördert und geklärt worden, daß der nächste Landtag zu endgültiger Stellung⸗ nahme in der Lage sein wird. . . ; ;

Mit befonderer Genugtuung begrüße ich die Beschlüsse, die für Landesmeliorationen und namentlich auch für Wasserleitungen er⸗ höhte Beiträge zur Verfügung stellen.

Nicht minder erfreulich ist die beiüglich der Brechte getroffene Entscheidung, durch die für die planmäßige Ausführung dieses wichtigen Kulturwerks eine sichere Grundlage gewonnen worden ist.

In Anerkennung des 1, Bedürfnisses nach Raumbeschaffung für Ne vermehrte Zahl der Geisteskranken haben Sie die für diesen Zweck erforderlichen Mittel , . bewilligt.

Dle von ihnen beschlossene Aufbesserung der Bezüge der Assisteni⸗ ärzte fowie des Pflegepersonals und der Bureaugehilfen hei den Pro- vinzialheilanstalien und der Prohirzialpflegeanstalt in Eickelborn wird hoffentlich dazu beitragen, die Besetzung der betreffenden Stellen mit geeigneten Persönlichkeiten zu erleichtern.

Zur Förderung des Kleinbahnwesens haben Sie in dankenswerter Weise dem Proinzlalausschusse erweiterte Vollmachten erteilt.

Ihr Befchluß wegen Aufnahme einer Provinzialanleihe größeren Betrages zur Verstärkung der Betriebsmittel der Landesbank wird den zuständigen Herren Ministern zur Entscheidung vorgelegt werden.

Im Allerhöchsten Austrage Seiner Majestät des Kaisers und Königs erkläre ich den 46. Provinziallandtag der Provinz Westfalen für geschlossen. .

Nach dieser Ansprache ergriff der Vorsitzende des Provinzial · landtags, der Wirkliche Geheime Rat und Kammerherr Freiherr pon Landsberg-Velen das Wort und brachte zum Schlusse ein dreifaches Hoch auf Seine Majestät. den Kaiser und Köntg auß, in das die Mitglieder des Provinziallandtags mit Be⸗ geisterung einstimmten.

Oesterreich⸗ Ungarn.

Der Statthalter von Dalmatien rei err von Handel ist, dem ‚W. T. B.“ zufolge, an Stelle des zum Minister des Innern ernannten Grafen von Bylandt⸗Rheydt um Statthalter von Ober⸗Oesterreich ernannt werden. it der Leitung der Statthalterei von Dalmatien ist der Hofrat bei der Statthalterei Nardelli betraut worden. In Buda pest fand gestern eine Beratung ann der andelsvertragsverhandlungen mit Deutschland satt, an der der Ministerpräsident Graf Ti sza, der Handels—

minister von n n der Ackerbauminister Tallian

und die aus Berlin zurückgekehrten Fachreferenten teil— nahmen.

Der Minister a latere Graf Khuen-Hédervärmn sagte in Temes var in einer Programmrede: Man habe die Regierung beschuldigt, daß sie den Kön ig verbarrikadiert habe, 6 65 vor dem Thron eine gegenteilige Meinung nicht Gehör

nden könne. Es sei ihm nicht bekannt, daß sich irgend jemand bei bem König gemeldet und verfucht habe, eine Audienz zu erlangen. Es sei übrigens nicht Gebrauch, daß ein konstitutioneller Monarch von einer anderen Seite Ral einhole, solange sich ein ver⸗ fassungsmäßiges Ministerium im Amte befinde. Was von opposüioneller Seite jetzt gefordert werde, sei die Einrichtung einer Kamarilla, die dadurch nicht besser werde, wenn sie eine oppositionelle Kamarilla sei. Jedenfalls würde sie eine Ein⸗ mischung eines außerhalb der Verfassung stehenden Faktors in die Staatsgeschäͤfte bedeuten. Die Rede wurde mit großem Beifall aufgenommen. Graf Khuen⸗Héderväry hat keinen Gegenkandidaten. Nach einer liberalen Wähler versammlung in Turo⸗ ol ya im Wahlbezirk Losoncz griff die fanatische Menge . eigenen Pfarrer und den Ortsrichter an, worauf Gendarmerie herbeigerufen wurde. Diese wurde gleichfalls von der Menge angegriffen, so daß sie gezwungen war, von der . 86 zu machen. Dabei wurden vier Personen getötet und eine schwer verletzt.

Frankreich.

Wie „W. T. B.“ erfährt, erklaͤrte Rouvier dem Praͤsi= denten Loubet in ihrer vorgestrigen Unterredung, er halte, wenn er die Ministerpräsidentschaft annehmen solle, den Ein⸗ tritt bestimmter Persönlichkeiten, vor allem Sarriens, in das neue Kabinett fuͤr unerläßlich. Ferner solle Roupier verlangt haben, daß der Beschluß des Rates der Ehrenlegion auf Streichung des pensionierten Hauptmanns Bégnicourt, des Urhebers zahlreicher Auskunfiszettel, von der Regierung ratifiziert werde.

Es verlautet, daß Rouvpier bei der Kabinettsbildung eine sehr weitgehende Zusammenfassung der Par⸗ teien durchführen werde, die sich von dem Pro gressisten Poincars, dessen Mitwirkung Rouvier wünsche, über die dazwischenliegenden , ,, . bis zu den sozialisti—⸗ schen Radikalen erstrecken werde. Delcasss werde sein Portefeuille behalten. Rouvier hatte am Sonnabend eine Besprechung mit Sarrien, der es aus Gesundheitsrücksichten ablehnte, in das neue Kabinett einzutreten, aber Rouvier seine persoͤnliche Unterstützung und die seiner Gruppe zusagte, Am Nachmittag hatte Roubier eine Besprechung mit Delcassé und sprach dann bei Brisson vor.

Bei der gestern in Ajaccio e, n, . Wahl zur Deputiertenkammer wurde der Republikaner Forcioli gewählt. Sein Gegenkandidat war ein Sozialist.

Nu sland.

Der Senator Linder ist, wie „W. T. B.“ meldet, zum Staatssekretär für Finnland ernannt worden.

Nach einer Meldung der „St. Petersburger Telegraphen⸗ Agentur“ haben die neugewählten Stadtverordneten von Mos kau vorgestern dem Stadthaupt Fürsten Golizyn eine Adresse bern . in der sie ihre vollständige Uebereinstimmung mit den von der vorigen Duma gefaßten Resolutionen erklären.

Ein Schreiben, das der Führer der Arbeiter, Priester Gappon am Sonnabend an den Kaiser gerichtet hat, lautet:

Herrscher, glaube nicht, daß Dir die Minister die volle Wahrheit über die Lage gesagt haben. Das ganze Volk vertraut Dir und beschloß. am Sonntagnachmittag 2 Uhr vor dem Winterpalais zu erscheinen, um Dir seine Not darzulegen. Wenn Du, wankelmütig, nicht vor dem Volke erscheinst, dann zerreißt Du das moralische Band zwischen Dir und dem Volt. Das Vertrauen zu Dir wird schwinden, da unschuldiges Blut zwischen Dir und dem Volke fließen wird. Erscheine morgen vor Deinem Volke, empfange unfere Ergebenheitzadresfe mutigen Geistes! Ich, der Ver— treter der Arbeiter, und meine tapferen Arbeitsgenossen garantieren die Unverletzlichkeit Deiner Person.

In St. Petersburg ist es gestern zu Zusammen⸗ stößen zwischen dem Militär und den Arbeitern ge— kommen, über deren Verlauf folgende Depeschen des, W. T. B.“ vorliegen:

St. Petersburg, 22. Januar. In Erwartung von Arbeiter⸗ u nruhen werden die Fabriken von Militär bewacht. Bei dem Narwaer Tor, das zu den Putilowwerken führt, ist gleichfalls Milttär aufgestellt. Seit dem frühen Morgen werden die Truppen verstärkt und Poltzeimannschaften zugezogen. Auf der Rewawerft und auf der Schlüsselburger ,, ist je eine Kompagnie Soldaten aufgestellt. Gegen 10 Uhr Vor⸗ mittags zogen von der Werft etwa 15 009 Arbeiter zur Stadt, wurden aber eine Stunde später von zwei Kosakensotnien, die die Chaussee in fünf Reihen sperrten, aufgehalten. Die Kosaken, gaben drei blinde Salven auf die Menge ab, worauf ein Teil der Arbeiter auf das Newaeis floh; die übrigen blieben stehen. Der Kommandeur der Kosaken verlangte Vexstärkung und befahl, mit scharfen Patronen zu laden. Nach einigen blinden Schüssen machten die Kosaken von ihren Ragaiken Gebrauch. Die Dampfbahn hat ihren Betrieb ein⸗ gestellt. Um 38 Üühr Morgens rückten drei Kosakensotnien zum Winter. palais aus, bei 3 der zehnten Stunde jogen dortbin auch berittene Truppen. Auf manchen Straßen der Residenz halten sich Kavallerie und Infanterieabteilungen in Stärke von 100 bis 150 Mann auf. Artillerie sieht man nicht. ö

St. Petersburg, 22. Januar, 12 Uhr Mittags. Im Wassili⸗Ostrow⸗ Stadtteil findet eine Ansammlung von Ar⸗ beitern statt. Polizei ist nicht zu sehen, wohl aber sieht man Ulanen⸗ patrouillen. ei der Nikolaibrücke ist Infanterie aufgestellt, um die Arbeiter nicht durchzulassen. In zwei, Straßen des ge⸗ nannten Stadtteils ist der Verkehr ganz eingestellt. Bei den Akademien der Künste und der Wissenschaften sind an Truppen. maffen zusammengezogen, sowohl Kavallerie wie Kosaken. Auf der Wyborger. Seite ist der Tramwayverkehr eingestellt. In den in der Nähe der Brücken liegenden Straßen versammeln sich die Arbeiter, die zu zweien und dreien durchgelassen werden. Auf den Brücken stehen Uanen. Die Arbeiter der genannten Stadtteile ver⸗ halten sich ruhig. Die Garde zu Pferde hält sich bereit, nach dem Waffili.⸗Sstrow⸗Stadttell augzurücken. Nach der Rede eines Arbeitert, der seine Kameraden aufforderte, in voller Ordnung zum Platz vor dem Winterpalais zu jiehen, begaben sich mehrere tausend Arbeiter nach der Nikolaibrũcke. ; .

St. Petersburg, 22. Januar, 1211 hr Mit tags. Arbeiter aus dem ,,, die nach der Nikolai⸗ brücke zogen, wurden bei 32 von Ulanen und a n empfangen. Die Mibeiler forderten die Soldaten auf, nicht zu schießen. Einige Soldaten ließen darauf die Gewehre . Sodann drängten die Ulanen und Kofaker: die Menge mit blanker Waffe murück, wobei einige Ver⸗ wundungen vorkamen.

St. Petersburg, 22. Januar, 12 Uhr 40 Min Nach m. Die Äibeikermenge, die aus dem Alexandergarten bei der Admiralität auf den Winterpalaisplatz ziehen wollte, wurde von den Truppen auf⸗ gehalten. Hinter dem Moskauer Schlagbaum nahmen die Arbeiter bon den Krontgniederlagen Besitz. Auf dem Palaisplatz erschien der Priester Gappon in Begleitung von zwei Geistlichen,

St. Petersburg, 32. Januar, 12 Uhr 45 Minuten Nach- mit tags. Von der Litejny jb rücke zog die Arbeitermenge nach der Sampsonbrücke, um sich mit den dort bereits angesammelten Arbestern zu vereinigen. In der Nähe des dritten russischen Arbeiter⸗ klubs wurde die Aufforderung verlesen, um 2 Uhr Nachmittags vor dem Winterpalais zu sein. Ver Vorschlag, Ruhe zu halten, wurde mit Hurra aufgenommen. Hierauf passierten die Arbeiter die Sampfonbräcke in der Richtung der Troizkibrücke, um auf den Pele gl zu gelangen. Die Truppen hinderten die Menge nicht. Auf der St. Petersburger Seite wurden 40900 Arbeiter durch Ulanen in zwe Parteien getellt. Bie Mehrrahl der Arbeiter zog weiter; der abgeschniltene kleinere Teil wuchs rasch an und 1j dem ersten Teil ruhig nach. Als sie die Trolzkibrücke erreichten, stießen sie dort auf Infanterie und Ulanen. Die Musik spielte zum Vorrücken. Die Menge hlieb unentschieden stehen. Die Reiter warfen sich mit blanker , ö. auf die etwa So00 Köpfe zählende Menge und trieben sie zurück. . ei kamen mehrere Verwundungen vor Alsdann stürzten die Zurück r, ,. in die umliegenden Straßen, verfolgt von der Kavallerie. stunmehr drängte die Menge nach der Troizkibrücke, wo sie die Kavallerie mit blanker Waffe empfing.

St. Petersburg, 25. Januar. 2 Uhr 30 Min. Nachm. Eine Menge Arbeiter, die sich im Alexandergarten angesammelt hatten, verfuchten das Gitter ju übersteigen, um nach dem Palaisplatz zu gelangen, wurden aber von den Truppen daran verhindert. Hinter dem Pioskauer Schlagbaum nahmen die Arbeiter von einer Kerosin. niederlage Besitz. = In dem Wa sili · Ostrow;. Stadtteil gab es auch Tobe. Dort versammelten sich etwa 10090 Arbeiter, nachdem sie von der Brůcke zurückgedrängt waren. Bei dem Arbeiterklub wurden aus den Fenster der umliegenden Gebäude eine große Anzahl Proklamationen geworfen. Gin Arbeiter richtete von einem Fenster eine Ansprache an bie Kameraden, in der er auf die Gewaltfätigkeit der Truppen und auf die Hastung des Kaisers gegen das Volk binwieg. Die Menge nahm die Rede sympathisch auf. Ein Arbeiter schrie: Nieder mit der Selbstherrschaft! Als auf der Schlüsselburger Chaussee der serfte blinde Schuß fiel, begann die Menge energisch vor⸗ zudrängen. Die Kosaken bieben anfangs mit den Nagaiken und der flachen Klinge ein, was mehrere Verwundungen zur Folge hatte. Hierauf fanken die vorn stehenden Arbeiter auf die Knie und flehten die Kofaken an, sie zum Kaiser zu lassen. Sie riefen; Wir gehen nicht gegen den Kaiser, wir wollen ihm selbst die volle Wahrheit sagen. Seid mnadih laßt unz zum Kaiser!“ Ihr Flehen blieb jedoch ohne Wirkung. Alsdann drängte die Menge aufs neue vor, worauf noch drei Salven abgegeben wurden. ie Menge wich zurück; ein großer Teil zog sich jenseits der Newa zurück; der klein ere blieb auf der Stelle und wurde von einer berittenen Patrouille zerstreut. Gegen dreißig Personen wurden verletzt. Die Stimmung der Arbeiter ist ruhig, wenn auch gedrückt Um 1 Uhr 39 inuten nahm der Andrang der Arbeiter zum Winterpalais zu. Das Militär jog die Säbel blank und hielt mit Mühe den Andrang aus. Es wurden Verstärkungen verlangt.

St. Petersburg, 22. Januar, 2 Ubr 35 Min; Nachm. Auf dem Suworowptatß bel der Lroizkibrücke gaben die Truppen drei Salven auf die von der St. Petersburger Seite kommenden Arbeifer ab und verwundeten fünf von ihnen, die in Mietsdroschken e, . wurben. Um 7 Ühr Nachmittags gaben die Truppen vor

em Winterpalais jwei Salven ab, eine in der Richtung jum Winterpalalg, die andere zum Newtkiprospekt.

St. Petersburg, 22. Januar, 3 Uhr 30 Min Nachm. In der Nähe des Winterpalais auf dem Senatsplatze hlelten Arbeiter Jutomobile der St. Petersburger Agentur an, holten die Insassen heraus und jerbrachen die Wagen. Die wütende Menge rief beim Vorüberfahren von Offijleren: Ergreift sie! Gegen 21 Uhr wurde der Platz von der Menge gesdubert. Die Truppen verfolgten die Aufrührer, die sich nun in den angrenzenden Straßen zerstreuten. Die Verwundeten und Toten, unter denen sich auch Frauen und Rinder befanden, wurden Über den Newski Prospekt transportiert.

St. Petersburg, 22. Januar, 3 Uhr 45 Minuten Nach- mittagt. Eine große Anzahl Arbeiter, die vom Wassiljewskij⸗ Ssftrow⸗Stadtteile über die Nikolgusbrücke jum Win ter Palais vordringen wollten, wurde zurückgedrängt, wobei vier Per⸗ fonen verwundet, ein Kosak getötet und ein Offizler verletzt wurden. Die Menge beschloß, bewaffneten Widerstand zu leisten und stellte in der dierten Anie im Wassil jewskij ⸗Ostrow. Stabt⸗ teile Drahthindernisse her. Ein Teil der Aufrührer zog fort, um sich zu bewaffnen. Vorübergehenden Offizieren wurden die Degen weg

enommen. Vor der Menge, die von den Putilow⸗Werken her kam,

* mit dem Kreuze in der Hand der Priester Gappon, neben ihm

ein Bauer mit dem durchschossenen Bilde des Kaisers. Gappon selbst

9 verwundet. Unter den Getöteten befinden sich der Gehilfe des tadtteilaufsehers und ein Revieraufseher.

St. Petersburg, 22. Januar, 4 Uhr Nachmittagg. Die Truppen halten den Platz am Winterpalais besetzt. In Wassil⸗ sewst ij Ostrow · Stadt teil zerstören die Aufrũher die Telegraphen ., und bauen Barrikaden. Sie bewaffnen sich mit Säbeln und

erkzeugen.

St. . 22 Januar, 4 Uhr 50 Minuten Nach⸗ mittags. Um 31 Uhr Nachmittags jerstreute das Militär auf dem Newki / Prospelt in der Nähe der Admiralität die dichtgedrängte Menge durch drei Salven, wodurch 30 Personen getötet und viele ver⸗ wundet wurden. Höchst erbittert war die Menge im Zentrum der Stadt gegen die Offiziere. Man riß ihnen die , . ab, schlug sie und rief: Mörder!! Wenn Berwundete vorübergetragen wurden, entblößten die Leute ihr Haupt und schreien Hurra!“

St. Petersburg,. 22. Januar, S Uhr 10 Minuten Nach⸗ mittags. Bel dem Eintreten der Dunkelheit nahm die Volke menge im Zentrum der Stadt ab. Kavallerie und Infanterie biwakle ren auf dem Platz am Winterpalais. Starke berittene Ab⸗= teilungen patrouillieren die Straßen ab. Im Wassili; Sstrow⸗Stadtteil gaben gegen 4 Uhr die Truppen auf die verbarrikadierte Strecke drei Salven ab. Trotz der entstan denen Verwirrung ging die Menge aber nicht auzeinander. An anderen Punkten wurden keine großen Ansammlungen bemerkt.

St. Petersburg, X. Januar, Uhr 30 Minuten Abends. Auf dem Rewski-Prospekt hat sich eine große Volksmenge ver⸗ sammelt. Das Volk verfucht, die Straße mit Bänken und Gittern für die Kavallerie zu sperren.

St. Petersburg, 23. Januar, 11 Uhr Morgens. In dem Stadsteil Waffili⸗Sstrow wurde bis nach Mitternacht geschossen.

St. Petersburg, 23. Januar. Der Regierungsbote⸗ meldet: Die Jahl der Getöteten bis gestern abend 8 Uhr beträgt 76, bie der Verwundeten 233. Unter den ersteren befindet si ein Revieraufseher, unter den letzteren der Gehilfe eines Stadtteil/ aufsehers, ein Schutzmann und ein Gendarm. Für heute sind die gleichen Schutzmaßnahmen wie gestern getroffen worden,

St. Pe fersburg, 23. Januar. Dle Nacht verlief verhältnls⸗= mäßig ruhlg. Da gestern abend der Polizei in einigen Stadtteilen bekannt wurde, daß die Arbeiter beschlossen hätten, gruppenweise ju zwanzig Mann die Häuser zu überfallen, ordnete der Stadthauptmann an, ö. die Hausknechte und die Polizei die Nacht über auf ihren Posten verbleiben sollten. Heute früh durchziehen Arbeiter gruppenweise die Stadt. Die Arbeiterbewegung erstreckt sich Lan fer auf die entlegenen Biertel. Auf den Straßen sieht man Militärpatrouillen. In vielen Täden im Zentrum, in Wassili Ostrow und im Petersburger Stadt⸗ teil sind die Spiegelscheiben zertrümmert. Der Priester Gappon ist, wie sth herauögestellt hat ,

m ich wird zu den Vo rg ngen des gestrigen Tage gemeldet:

Zu Anfang des Jahres 1904 wurden auf n, . einiger Fabri · arbeiler St. Petersburgs die Statuten der Petersburger Gesells der Fabrilarbeiter bestätigt. Die Gesellschaft bezweckte, zur Be⸗ , . der . und religiösen Interessen belzutragen und die rbeiter bon verbrecherischer Piiopaganda fernzuhalten. Jum Vorsitzenden wählten die Arbeiter den Geistlichen des Deportat lonsgefaͤngnisses Georgi Gappon. Nach und nach begann die Gesellschaft, die Beiiehungen der Arbeiter zu den Arbeitgebern zu beraten und im Dezember 1909 veranlaßte sie die Arbeiter zur Cinmischung in die Frage der Ent laffung von 4 Arbeitern der Putilow⸗Werke, von denen einige, wie er⸗ wiesen ist, nicht einmal entlassen worden d, sondern freiwillig die Arbeit aufgegeben haben. Trotzdem slellten die Arbeiter am 15. Januar die Arbeit ein, aufgereizt durch Gappon und Mitglieder der Gesellschaft. Dabei forderten sie die Abänderung der AÄrbeitsordnung und Ent⸗ saffung bon Arbeitern. Die. Beruhigungsversuche der Fabrikinspektion waren fruchtlos. Alle Arbeiter mehrerer großer Fabriken traten dem Außftande bel, der sich schnell ausdehnte und fast auf alle Fabriken übergriff. Die schriftlich, meist von Gappon formulierten Forderungen wurden unter die Arbeiter verteilt. Die Arbeitgeber bielten eine Be⸗ ratung ab und kamen zu dem Ergebnis, daß die Befriedigung einiger Ansprüche ein vollständiges Sinken der Industrie zur Folge haben müsse, andere Forderungen müßten geprüft und teilwelse auch er⸗ füllt werden. Dabei wurde dle Bereitwilligkeit ausgesprochen, mit den Arbeitern zu verhandeln, was aber bei der Organisation der Ausständigen unmöglich war. Verhandlungen waren nur mit Ar. beitern einzelner Fabriken möglich. Damit waren die Arbeiter aber nicht einverstanden. Da der Aussfand ohne Störung der Ruhe verlief, wurden keinerlei Repressiymaßnah men, ergriffen und keine Ver⸗ haftungen vorgenommen. Doch der Agitation der Arbeitergesellschaft schloß . bald die Agitation revolutionärer Kreise an. Am 21. d. M. trat die Gesellschaft, geführt von Gappon, offen mit ibren revolutionären Bestrebungen hervor. An diesem Tage faßte Gappon eine Petition der Arbeiter an den Kaiser ab, die außer den For— derungen für die Arbeiter freche Forderungen politischen Charakters ent⸗ hielt. Unter den Arbeitern wurde die schriftliche Aufforderung von der Not⸗ wendigkeit verbreitet, sich am 22. d. M. auf dem Palaisplatz zu versammeln, um durch Gappon dem Kaiser das Blttgesuch zu unierbreiten. Den Arbeitern wurden die Forderungen politischen Charakters und der Zweck der Versammlung auf dem err dn e e dn, t. Dle fanatischen Reden, die Gappon, seine eistliche Würde vergessend, an die Arbeiter richtete ir die verbrecherische Agitation erregten die Arbeiter dermaßen, daß sie am 22. in großen Massen nach dem Zentrum der Residenz zogen. n einigen Punkten kam es zwischen ihnen und den Truppen infolge der Weigerung, den polizeilichen Anordnungen Folge ju leisten oder infolge direkter Angriffe auf das Militär zu blutigen Zusammenstößen. Das Militär mußte feuern. Dies ge⸗ schah auf der Schluͤsselburger Chaussee, bei dem Narewschen Triumph tor, auf dem Trolzkiplatz und in der vierten Linie im Wassili. Dstrow⸗ Stadtteile, im AÄlexandergarten, auf der Ecke der Newsky und der Straße Gogols, bei der Polizeihrücke und bei der Kasankathedrale. Auf der vierten Linie errichtete die Menge dus Draht und Brettern drei Barrikaden und hißte auf einer davon eine rote ahne. Aus den Fenstern der benachbarten Ca wurde das Militär mit Steinen beworfen und beschossen. Die Menge nahm den Schutzleuten den Säbel fort, bewaffnete sich damit, plünderte die Waffenfabrik von Schaff und nahin gegen hundert Klingen fort, die ihr aber zum gehen Teil wieder von der Polijei abgenommen wurden. Die Menge jerstörte die Telephonleltung und stürzte die Telegraphen—⸗ langen um. Auf das Amtsgebäude des zweiten Stadtteils wurde ein ngriff gemacht, ein Lokal wurde zerstört; auf der Petersburger Selte wurden Abends fünf Buden geplündert.

Italien. Der Ministerpräsident Giolitti ist, nach einer Meldung bes „W. T. B.“, an Influenza leicht erkranki.

Spanien.

Namens tages hat der König, wie W. T. B.“ meldet, eine Amnestie erlassen, die sich auch auf bie Deputierten erstreckt, die gerichtlich verfolgt werden.

Anläßlich seines Na

Aus Konstantinopel berichtet das Wiener „Telegr.⸗ Korresp.⸗ Bureau“, die Lage in Yemen verschlechtere ] täglich. Außer dem Hauptorte Sang sei auch die Garnison Muhele von den Aufständischen bedroht. Die ein⸗ etroffenen Verstärkungen verweigerten den Abmarsch, wie es eiße wegen Soldrückstandes. eblich drei Bataillone, hätten erklärt, daß sie zur Be⸗ ämpfung der Aufständischen zu schwach und ungenügend ausgerüstet seien. Die Dazwischenkunft der höheren Befehls⸗ ber sei erfolglos geblieben. Nach Angabe von türk scher eite habe keine Meuterei stattgefunden, sondern nur eine Kund⸗ ebung; die Ruhe sei jedoch wiederhergestellt. Der nächste inister rat werde die Lage in Jemen beraten. Die Absendung der verlangten Verstärkungen vön 24 Bataillonen scheine bis jetzt noch nicht beschlossen zu sein. chen Ultimatum bezüglich Grenzregulierung des H Jemen werde von englischer Seite für falsch erklärt.

Serbien.

Am Sonnabend fand in Belgrad, wie W. T. B.“ be⸗ richtet, ein Ministerrat statt, an dem sämtliche Minister, mit Ausnahme des erkrankten Finanzministers, teilnahmen.

Schweden und Norwegen.

Am 20. d. M. ist, wie „W. T. B.“ aus Christiania er⸗ fährt, ist in Washington ein Schiedsgerichts abkommen jwischen Schweden-Norwegen und den Vereinigten Staaten unterzeichnet worden.

Amerika.

Dem „Reuterschen Bureau“ wird aus Washington emeldet, der Präsident Castro habe die Verhandlungen mit em amerikanischen Gesandten Bowen über die Regelung der orderungen abgebrochen, ebenso die Verhand⸗

amerikanischen ertretern europäischer Mächte über ähnliche An⸗

lungen mit den

hlung festsetzen, unrechtmäßi ie Rechtsgültigkeit und den Be rungen enischeiden und die Zollverwaltung übernehmen. Die Beamten der letzteren bleiben aber den Gesetzen von San Domingo unterworfen. Die Vereinigten Staaten werden ferner für notwendige Ausgaben 45 Regierung von San Domingo uͤberweisen und die Beamten der Zoll⸗ und Steuerverwaltung sowie die Zinsen der äußeren und inneren Schuld bezahlen. Der ganze Ueberschuß soll bis m Jahresende in der Staatskasse verbleiben und von der egierung von San Domingo zur Bezahlung der Schulden verwandt werden.

esandt habe.

ich

Einzelne Truppenteile, an⸗

Das Gerücht von einem

der Streitfrage der

interlandes von Aden und

Die Regierung von San Domingo und der Ge— sandte der Vereinigten Staaten haben ein Protokoll unterzeichnet, in dem die Vereinigten Staaten die Unversehrt⸗ es Gebietes von San Domingo garantieren und die Verantwortung übernehmen, die innere und äußere Schuld der Sie werden die Bedingungen der Be⸗ e Ansprüche zurückweisen, über trag der schwebenden Forde⸗

roz. der Zolleinnahmen der

Wie die „St. Petersburger Telegr⸗Agentur/ meldet, fand

am Sonnabend bei Huanschan ein

19. d. M. beschossen die Japaner den n ,,, das

Dorf Jalungsan, den Putilowhügel und

Schahopao und ÜUdatong. Die . Artillerie richtete

euer gegen die sfüdlich von Nanganza stehenden japanischen Truppen.

orpostengefecht statt. Am

ie Dörfer

Aus Tanger meldet das „Reutersche Bureau“, der maurische Minister des Aeußern habe an die fremden Vertreter ein Zirkular des Inhalts . daß der Sultan ein Armeekorps zur Wiederherste und Bestrafung der Räubereien in den Tangerdistrikt ab⸗ Die fremden Vertreter werden gleichzeitig er⸗ ihre Schützlinge aufzufordern, bis zur Wiederherstellung uhe ihr Eigentum aus diesem Distrikt zu entfernen.

ung der Ordnung

Reichstags und de sich in der Ersten un

In der heutigen (125.) Sitzung des Reichstags, welcher der Staaissekretär des Innern, Staatsminister Dr. raf Posadowsky⸗Wehner und der preußische Minister für Handel und Gewerbe Möller beiwohnten, wurde die Besprechung der Interpellation Auer über den Kohlenarbeiteraüsstand im Ruhrrevier fortgesetzt. Der Umstand, daß wir heute schon den dritten Tag über die Interpellation sprechen, beweist wohl enügend die Wichtigkeit der Sache. Die bisherigen Nachrichten, ie wir aut dem Streikgebiet und neuerdings aus St. Peters burg erhalten haben, zeigen, daß die Arbeiterbewegung nicht mißachtet Das Fiat justitis, perest mundus! fann hier eltend gemacht werden; das Syndikat hat eg mit seinen ver⸗ enau genommen und Macht vor Recht Langendreer stand nicht allein im ampf, als dieser auf Zeche Bruchstraße begann; hinter Herrn Stinnes and dag Kohlensyndikat mit allen seinen Machtmitteln, und da—2 er ist es für die Dinge mit verantwortlich. Noch ist nicht be⸗ kannt geworden, daß Herr Stinnes aus dem Kohlensyndikat ausge⸗ stoßen oder wenigsteng rektifizert worden wäre; im Gegenteil hat die Syndikatspresse sein Vorgehen gebilligt. Der Rechtsbruch in Langendreer bat die Arbeiter aufgerüttelt und führte ihnen das ganze ihnen fast zur Gewohnheit gewordene Unrecht, das an ihnen begangen wurde,

en, er war der letzte Tropfen, der das Haß zum Ueber⸗

rachte. Ste wollen sich nicht mehr wie das lie ĩ nickt länger mißhandeln und um ihren Lohn betrügen das Schauspiel, das die Einigkeit letzten Knappschaftswahl diefe Verbände aufg heftigste bekämpft; erst der Rechts schweißt. Jede Organisation, i Selbstmord begangen. ehe mit einem großen Teil ich habe öfters die Opfer

Abg. Brejski (Pole):

werden darf.

traglichen Pflichten auch nicht hen ann Herr .

bandeln, si lassen. Ue der Arbeiterverbande

ngendreer hat sie zusammenge ern bliebe, hätte ebiet, ich st

sehen; unvergeß

die dieser Entwickelung nach dem Ru

arbeiter in der Grubenun fälle

an b eng sj uhl“ zum Kirchho Bergarbeiters gegenüber

Parlamentarische Nachrichten.

Die Schlußberichte über die vorgestrigen Sitzungen des auses der Abgeordneten befinden weiten Beilage.

be Vieh be

wird mir der Anblick

dem Riesenunfall auf gebracht wurden. Die Arbeit

der sonstigen Arbeiter

ist ungefahr so elnzuschätzen wie der Dienft des Soldaten im Kriege gegenüker demjenigen des Soldaten im Frieden; er ist keinen Augen⸗ blick seines Lebens sicher. Das Sündenregister gewisser Unter⸗ nehmer ift von den Abgg. Hue und Stötzel nicht erschöpft worden, namentlich was das Schimpf. Lexikon betrifft. In den Gruben werden die Bergarbeiter geprügelt; das ist unter Eid vor Gericht augesagt worden. Die sogenannten Dig ; iplinarftrafen werden ungerecht und will⸗ kürlich verhängt. Die Günsitlinge, die bevorzugten Arbeiter, werden überhaupt nicht bestraft, ihnen wird kein Wagen genullt, umsomehr und umfolieber nullt man die Wagen der Mißliebigen, namentlich der in der Arbeiterorganisation stehenden. Von der Ausübung des Beschwerderechts hat der Arbeiter den Schaden; er wird chika⸗ niert und an feinem Verdienst gufs, ärgste gekürit, Herr Beumer hält daz Nullen für eine unentbehrliche Dieziylinarstrafe; aber wie steht es dem gegenüber mit denjenigen Zechen, die das Nullen nicht brauchen? Die Kürzung des Arbeitsverdienstes ist um so weniger gerechtfertigt, als der Lohn ohnehin schon sehr knapp ist.

Bei Schluß des Blattes spricht der Redner weiter.

Das Haus der Abgeordneten verhandelte in der heutigen (123. Sitzung, welcher der Minister für Landwirt⸗ schaft 2ꝛc. 1 on Podbiels ki und der Minister für Handel und Gewerbe Mölker beiwohnten, zunächst über den Gesetz⸗ entwurf, betreffend die Beteiligung des Staats an der Bergwerksgesellschaft Hibernia zu Herne, in dritter Lesung.

Zur Eröffnung der Generaldiskussion erhält das Wort

Abg. Schmieding (ul.): Die Vorlage wird mit großer Mehr⸗

heit angenommen werden, aber niemand hat Gefallen an ihr. An die Regserung ist wiederbolt die Frage gerichtet worden, ob sie an weitere Verstaatlichungen denke; sie hat diese Frage verneint. Um volle Klarheit ju schaffen, will ich noch einmal diese Frage stellen. Da von weiterer Verflaatlichung keine Rede sein soll, ist als Hauptgrund für die Annahme der Vorlage die Betei⸗ ligung des Staats an dem Kohlensyndikat angegeben worden. Es ist von dem Abg. Deser schon mit Recht darauf hingewiesen worden, daß der Staat bereits igt sowohl als Produzent wie als Konfument Ginfluß auf das Syndllat üben kann. Das Haus würde damit einverstanden sein, wenn der Staat mit seinem jetzigen westfälischen Besitz in das Syndikat eintreten wollte. Auffallend war nur die von der Haltung seiner Parte abweichende Stellungnahme des Herrn Oeser, der fich klipp und klar für die Verstaatlichung des Bergbaues aussprach. Herr Oeser denkt vielleicht nicht daran, 5 vor 40 Jahren das, was er anstrebt, zu Recht bestand. Vor dem Erlaß des Berggesetzes von 1865 standen noch sämtliche Bergwerke unter staatlicher Ver- waltung; die Bergbehörden setzten nicht bloß den Betriebs⸗ plan fest, sondern sie normierten auch die Kohlenpreise und bestimmten die Ausbeute, mit welcher jede einzelne 85 beteiligt werden durfte. Die Machtbefugnisse des Staats waren also in dieser umfassenden Weise in dem rheinisch west⸗ fälischen Bezirk damals vorhanden. Der Riese schlief. und wer schläft, sündigt nicht; erst mit dem Augenblick, in dem dem schlafenden Riesen diese Fesselung abgenommen wurde, hat die rheinisch⸗westfälische In- dustrie sich zu der heutigen * n Blüte entwickeln können. Das Koblensyndikat hat eine weise Preispolitik getrieben und es verstanden, die Preife auf einer mäßigen Höhe zu halten, während die fiekalischen Kohlenpreise an der Saar die höchsten in ganz Deutschland sind. Seine Probe hat das Kohlensyndikat in dem Jahre 1909, dem Jahre der sog. Kohlennot, glaͤnzend bestanden. Diese Preispolitik hat sich heute auch keinezzwegs geändert. Zum Beispiel haben die Preise des Syndikats nicht ganz 104 M betragen, während die staatlichen Preise an der Saar 14 66 waren. Ich verweise auf die Ausführungen des Handelskammersyndikus Tille in Saarbrücken. Welche .. wenn man glaubt, mit der Beteiligung des Staats an der Hibernia“ diese Preispolitik aufhalten zu können! Dann hat Herr Oeser recht, dann müßte man mindestens die größere Hälfte oder den ganjen Bergbau rerstaatlichen. Hier wird der Anfang zur Verstaatlichung gemackt; wir sagen aber: principiis obsta und lehnen die Vorlage ab. Bei den Streiks ist es besser, wenn der Staat nicht selbst Bergwerke besitzt. Dann kann er zwischen den Arbeitern und Arbeit. gebern vermitteln; wie der Streik an der Saar gezeigt hat, fällt diese vermittelnde Rolle des Staats fort, wenn er selbst der Arbeitgeber, also r ge ist. Man hat gesagt, daß es aus politischen Gründen an. gebracht sei, die Kohlengewinnung überhaupt in den Staatsbetrieb über⸗ . und sie der Privatwirtschaft zu entziehen. In die wirt— chaftlichen Dinge soll man aber die Politik überhaupt nicht hinein bringen. Der Reichskanzler hat im Reichstage sehr zutreffend be⸗ merkt, daß die Verhältnisse im Ruhrgebiet deshalb so schwierig liegen, weil die Arbeiterorganisationen nicht wirtschaftlichen, sondern politischen Erwägungen ihren Ursprung verdanken.

Hierauf nimmt der Minister für 4, und Gewerbe Möller das Wort. An der weiteren Debatte beteiligen sich bis zum Schluß des Blattes außer dem Minister noch die Abgg. Br u st (H;entr) und Hir sch⸗Essen (nl).

Statistik und Volkswirtschaft.

Die Durchschnittspreise der wichtigsten Lebens- und Futtermittel in ,, Kalenderjahren 1904 un

Das Königliche Statistische Bureau gibt in der Stat. Korr.“ eine tabellarische Uebeisicht der Durchschnittspreise der wichtigsten Lebens und Futtermittel in den 24 wichtigsten preußischen Marktorten und dem ganzen Staat im Kalenderjahr 1904 und im Erntejahr 190314, verglichen mit denen des Kalenderjahres 1905, bezw. des Erntejahreg 1992/ñ3. Danach waren im Kalenderjahre 1904 die Durchschnittepreise für 106090 Eg im preußischen Staat folgende: Weizen 168 (im Jahre 1903 154 M,. Roggen 133 (132) 66, Gerste 138 (137) A, Hafer 134 4 (wie im Jahre 1903), gelbe Erbsen zum Kochen 233 (239) M, weiße Speisebohnen 296 2 M060. Linen F (62 , Gftarkoffein Sö,3 (oz, 2) 0, Hichtstroh 10,3 (40.5) , Heu 63,7 (663,9) „66, Rindfleisch im Groß handel 1128 . S; die Durchschnittspreise für 1 kg im Kleinhandel: Rindfleisc von der Keule 1,43 (142) 466, vom Bauche 121 6 (wie im Jahre 1903), Schweinefleisch 1,32 (1139) 44, Kalbfleisch 1,44 1,43) 4, Hammelfleisch 141 sl, 40) , inländischer geräucherter Speck 151 (1,65) , Eßhbulter 2, 36 (2, 0) 4, inländisches Schweineschmalz 155 (167) Æ6, Weizen mehl zur Spelsebereitung 30 (wie 1903), Roggenmehl 25 3 är die Durchschnittspreise für 1 Schock Eier betrugen 3,91

Die Preise für Weizen zeigen gegen das Vorjahr auf allen Märkten jum Teil recht erhebliche 6 öhungen. 2 betragen in Görlitz 25, in Bretlau und Halle a. S. 20, in Gleiwiß 19, in e, , a. OD. und Kiel 18, in Danzig und ö. 16, in Berlin 15, in Bromberg und Posen 14, in agde⸗ kurg. Danabrück und Kaff 13. ig Stettin. Sfralfund und Hannover 12, in Köslin il, in Paderborn und Aachen 19, in Hanau 9, in Koblenz 5 und in Königsberg i. Pr. 4 S Die Preise der übrigen Hauptgetreidearten haben sich nicht nennenswert verändert. Von den Fi ffen fei len erfuhren gelbe Kocherbsen in den melsten Marktorten Preisermäßigungen, während weiße Speise⸗ bohnen und 9 fast durchweg teurer geworden sind. Die er . 6 Eßkartoffeln zeigen in Königsberg i. Pr. Danzig, Köslin,

romberg, Pofen, Gleiwitz, Breslau, Görlitz, Frankfurt a. O., Stettin, Stralsund, Berlin. Magdeburg und Halle a. S. größere Sie erungen, die zwischen den Grenzwerten von 23.5 M (Frankfurt a. O) und 78 M (Königsberg i. Pr.) liegen, während in den übrigen west⸗ lichen Marktorten seils nur geringe Erhöhungen, teils sogar

e,, nn, m zu verzelchnen sind. Die Preise für Richt stroh aben sich nur wenig verändert, während die Heupreise überall Steigerungen erfuhren, die in Gleiwitz mit 31,ñ5, in Görlitz mit I5,7, in Breslau mit 15,8 und in Frankfurt a. O. mit 1566 * aZm erheblichften, dagegen in Handu mit 0,7? M am geringsten sind. Die Preise der einzeinen Flelfchforten mit Ausnghme des Schweine fleisches weisen im allgemeinen nur geringe Veränderungen gegen 905 auf. Die Schweinefleischpreise sind an fast allen Märkten ge⸗ fallen, in noch größerem Maße die Preise für , . in⸗ ländischen Speck und inländisches Schweineschmal;. ie Eßbutter behauptete im Berichtsjahre einen ungewöhnlich hohen Preis, auch die Eier waren teurer als in den Vorjahren. Die Preise für Weizʒen⸗ mebl zeigen gleichfalls an einer größeren Zahl von Märkten geringe Aufbesferungen, die jedoch trotz der Steigerung im Preise des Weizens selbst den Buichschnitt aus den 235 Maiktorten nicht zu erhöhen ver mochten. Die Roggenmehlpreise haben sich fast gar nicht verändert. Es sei noch hervorgehoben, daß es sich bei diesen Vachrichten um Durchschnittspreise aller Markttage und gehandelten Sorten für die 24, bezw. 23 wichtigsten Orte handelt, während. die in der Zeit- schrift des Königlichen Statistischen Bureaus“ alljährlich veröffent= lichten Mittelpreise die arithmetischen Mittel aus den höchsten und niedrigsten Monatspreisen der betreffenden Waren für die 165 über- baupt in die preußische Preisstatistik einbezogenen Orte darstellen.

Der Beirat für Arbeiterstatistik trat am 9. Januar im Kaiserlichen Statistischen Amte zu einer Sitzung zusammen, die an den vier folgenden Tagen fortgesetzt wurde und unter dem Vorsittz des ö des Kaiferlichen Stattstischen Amts Dr. van der Borght satifand. An den ersten vier Tagen beschäftigte sich der Beirat mit der Vernehmung von b5 Auskunftspersonen aus dem Fuhr werks gewerbe und zwar 28 Arbeitgebern und 27 Arbeitnehmern, von denen I9 durch Organisationen dieses Gewerbes Innungen, Vereinen, Ver= bänden als Auskunftepersonen in Vorschlag gebracht, während 16 Personen durch Ortsbehörden benannt worden waren. Drei Auskunftspersonen waren nicht erschienen. Von den vernommenen Perfonen waren 29 aus Preußen, 5 aus Bayern, 4 aus Sachsen, 3 aus Württemberg, die übrigen verteilten sich auf die anderen Bundesstaaten. Bie Auswaht war derart getroffen worden, daß möglichst viele Zweige des Gewerbes (also Droschken⸗, Post⸗ halterei⸗, Kutschen,, Smnibus⸗, Hotelwagen,, Speditions, Möbel transport,, Gütertrangportbetriebe usw) Berücksichtigung fanden, daß ferner diefe Betriebe durch die gleiche Anzahl von Arbeitgebern und Arbeitnehmern vertreten waren und daß Vertreter von Groß, Mittel. und Kleinbetrieben zu Worte kamen. Die Befragung richtete sich auf die Dauer der Arbeits zeit und der Pausen, auf die Sonntags arbeit und die arbeitsfreien Tage, auf den Gesundheitszustand der beschäftigten Arbeiter, auf die Lohnverhältnisse, Strafen usw. und ergab einen Einblick in die mannigfachen, je nach der Betriebsart und 5 . Lage der Geschaͤfte verschiedenen Verhältnisse dieses

ewerbes.

An die Vernehmungen schloß sich am 13. Januar eine Plenar—- sitzung des Beirats, in der die Fortsetzung der Erhebungen über die Arbeniszeit im Fleischergewerbe und in Kontoren beraten wurde. Bezüglich der Fleischereierhebung beschloß der Beirat, von den Organi⸗ sationen der Arbeitgeber und AÄrbeitnehmer schriftliche Gutachten auf Grund eines Fragebogens darüber einzuziehen, inwieweit eine Regelung der Arbeitszest im Fleischergewerbe erforderlich und durchführbar er- scheine. Gleichreitig sollen Innungs, und andere Krankenkassen, zu denen ausschlieflich oder überwiegend Fleischer gehören, ersucht werden, über die im Laufe des Jahres 1904 eingetretenen Krankheitsfälle an der Hand eines Fragebogens Auskunft zu erteilen.

Der Beratung über die Fortsetzung der Erheburg, betreffend die Arbeitszeit in Konto ren, lag eine von der Abteilung für Arbeiter statistik hearbeltete Zusammenstellung zugrunze (Erhebungen Nr. 3), in der die Gutachten von Handelskammern und kaufmännischen Vereinen und Verbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer des Handelsgewerbes über die zur Zeit in Kontoren üblichen Arbeitszeiten und die Vorschläge für die ,, behandelt werden. Der Referent, Geheimer Rat Dr. . gab eine ausführliche Uebersicht über die Ergebnisse der schriftlichen Umfrage und beantragte zum Schluß, nunmehr eine mündliche Vernehmung von Auskunftépersonen aus dem Stande der Prinzipale, Gehilfen und Hilfsarbeiter vorzunehmen und an eine An⸗ ahl von Vereinignngen mit dem Ersuchen heranzutreten, Auskunfts—⸗ personen für diese Vernehmungen in Vorschlag ju bringen. Der Beirat beschloß dementsprechend.

Die diesjährige Konferenz der Zentralstelle für Arbeiter⸗ Wohlfahrtseinrichtungen wird am 5. und 6. Juni in Hagen i. W. stattfinden. Auf der Tagesordnung stehen folgende Themata: Montag, den 5. Juni: Die Belehrung der Arbeiter über die Giftgefahren in gewerblichen Betrieben. Die einleitenden Referate werden von den Professoren Dr. 2. Lewin (Berlin) und Dr. K. B. Lehmann (Würiburg) erstattet werden. Als Grundlage für die Diskussion wird alsdann die Frage unter folgenden Gesichtspunkten behandelt werden. Wag kann zur Lösung dieser Frage tun 2. der Arbeitgeber (Professor Lepsius, Griesheim), KL. der Arbeiter (Dr. Heinrich Rößler, Frankfurt a. M.), C. der Fabrik⸗, bezw. Kassenarzt (Dr. Blum, Frankfurt a. M.), 4. der Ge⸗ werbeaufsichts hegmte (Regierungs. und ewerberat Oppermann, Arns⸗ berg). e. die Medizinalbehörde (Regierungs⸗ und Geheimer Medizinalrat Dr. Roth, Potsdam), s. die Landesversicherungsanstalt (Geheimer Re⸗ gierungsrat Dr. Liebrecht, Vorsitzender der Landesversicherungs anstalt Hannover), g. die Schulbehörde (Schulrat Dr. Kerschen⸗ steiner, München), h. die Presse (Professor Dr. E. Frande, Berlin) Dienstag, den 6. Juni; Die Gestaltung des Arbeiterwohn⸗ hauses. JI. Zur Einführung: a. Das Haus in seiner erzieherischen Bedeutung (Referent: Karl Ernst Osthaus, Hagen), b. Entwickelung und heutiger Stand des Arbeiterwohnhausbaues (Referent: Regie⸗ rungs. und Gewerbeschulrat Dr. Ing. Muthesius, Berlin). II. Das wirtschaftliche . Die Notwendigkeit verschiedener Wohn haustvpen Referent Dr. M. Brandts, Direkter der Rheinischen 5 Düsseldorf). III. Die Gestaltung: a. Dag

auernhaus in seiner vorbildlichen Bedeutung für den Arbeiter- wohnhausbau, mit Lichtbildern (Referent: Professor Schultze⸗ Naumburg, Saaleck bei Kösen), b. Grundriß und Außen- bau, Innenausbau und Einrichtung (Referent; Architekt R. Riemerschmid, München Pasing);. C. Arbeiterkolonien (Referent: Geheimer Regierungsrat, Professor Dr.Ing. Henrici, Aachen), d. Gärten (Referent: Direktor, Professor Dr. Lichtwark, Hamburg). Mit der Konferenz wird eine Auststellung in den Räumen des Folkwang ⸗Museums verbunden sein, in der architektonisch mustergültige Arbeiterwohnhäuser und Beispiele guter, einfacher Häuser aus allen Teilen Deutschlands in Photographien und Zeichnungen dargestellt sein werden.

Zur Arbeiterbewegung.

Zum Ausstand in St. Petersburg (s. a. u. Rußland“) teilt W. T. B.“ mit, daß am Sonnabend in den Räumen der Druckerei Suwarins eine Versammlung der Dru ckerei⸗ besitzer und gleichzeitig eine der Arbeiter statifand. Die ersteren beschlossen, am folgenden Tage die Forderungen der Arbeiter entgegen⸗ junehmen. Die Vertreter der Arbeiter ibrerseits formullerten die Forderungen, betreffend die Lohnerhöhung, und beschlossen sie den Druckereibesitzern vorzulegen, falls sie vom Arhelterklud genehmigt werden, und die Arbeit wiederaufzunehmen, wenn die Forde rungen angenommen werden und der Arbesterkluh sich damit ein. verstanden erklärt. Sollte der Arbelterklub seine Zustimmung nicht eben, so soll, auch wenn die Forderungen angenommen werden der usstand ortgesetzt werden. Die Zeitungsverleger und Redakteure amen überein, solidarisch zu handeln und keine Zeitungts nummer erscheinen zu lassen, solange nicht alle Zeitungen erscheinen können. erner

wurde beschlosfsen, an den Minister des Innern ein Gesuch um Auf.