Preuszischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 128. Sitzung vom 30. Januar 1905, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs Telegraphischem Bureau.)
Auf der Tagesordnung steht zunächst die Beratung des
Antrags der Abgg. Stötzel (Zentr) und Genossen:
die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, s o fort eine Kommission, unter Zuziebung von mindestens? Mit gliedern des Abgeordneten hauses, zur Untersuchung der Arbeite rverhältnisse im Kohlenbergbau einzusetzen
und auf Grund der Ergebnisse einen. Gesetzentwurf zur Be⸗ seitigung der festgestellten Mißstände schleunigst ein
zubringen.“ In Verbindung damit soll der Antrag der Abggzg.
Bachmann (ul.) und Genossen beraten werden: „die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, nach Abschluß der
vom Herrn Minister für Handel und Gewerbe bei dem Oberberg amt Dortmund angeordneten Untersuchung eine aus Staats— beamten und Sachverständigen zu bildende Kommission zur Untersuchung der Arbeiterverhältnisse im ge— samten preußischen Kohlenbergbau einzusetzen.“
Minister für Handel und Gewerbe Möller:
Meine Herren! Nachdem der Antrag, der heute als erster Punkt zur Tagesordnung steht, eingebracht war, ist die Staatsregierung in der Lage gewesen, zu erklären, daß sie im Begriff steht, eine neue Novelle zum Berggesetz auszuarbeiten, die wesentliche Punkte der Be⸗ schwerden der Bergleute gesetzlich regeln will, nachdem sich heraus— gestellt hat, daß im Verhandlungswege nichts zu erreichen war. Es sind diese Punkte sämtlich nicht neu, sondern alt, im wesentlichen bereits im Jahre 1889 erörtert.
Ich kann die Erklärung hinzufügen, daß wir aufs äußerste be—2 strebt sein werden, diese Vorlage schleunigst vorzulegen, und daß ich ermächtigt bin, zu erklären, daß dies einstimmiger Beschluß des Staatsministeriums ist. (Hört, hört! im Zentrum und links.) Ich bitte jedoch, mich nicht über das Maß der notwendigen Vorsicht hinauszudrängen, den Gesetzentwurf schleuniger festjustellen, als bis eine gründliche Erwägung über alle Einzelfragen stattgefunden hat. (Sehr richtig Ich hoffe aber, die bestimmte Zusage Ihnen machen zu können, daß wenige Wochen genügen werden, um den Gesetzentwurf zur Vorlage ju bringen. Danach dürfte es sich vielleicht erübrigen, heute in die Verhandlung über die beiden Anträge einzutreten. Ich halte varlamentarische Er—⸗ örterungen über die hier und im Reichstage hinaus stattzefundenen nicht für nützlich, und ich möchte Sie bitten, tunlichst einer Zurück— ziehung der Anträge zustimmen zu wollen. Ich darf weiter berichten daß der Herr Oberberghauptmann in Dortmund am Sonnabend wiederholt mit den sieben Vertretern der Arbeiter verhandelt hat, daß das Resultat dieser Verhandlungen gewesen ist, das sechs Kom ⸗ missionen eingesetzt werden, die mit großer Beschleunigung die vor⸗ gebrachten Beschwerden untersuchen sollen, daß diese Kommissionen entgegen der ursprünglich beabsichtigten Form nicht nur Unter—
suchungen durch die Revierbeamten vornehmen werden, sondern daß für jeden Untersuchungsplatz wirkliche Kommissionen aus Mitgliedern des Oberbergamts und Mitgliedern der inneren Verwaltung ge⸗
bildet werden, damit von vornherein die AUntersuchungen
jeden Verdacht der Einseitigkeit unmöglich machen. Ich habe die Hoffnung, daß bei diesen Untersuchungen eine Klarstellung über die große Mehrzahl der Beschwerden eintreten wird und damit im wesentlichen auch bereits erreicht wird, was die beiden Parteien mit ihren Anträgen haben erreichen wollen. Ich habe die entfernte Hoffnung gehabt, daß die Bekanntgabe der ernstlichen Ab— sicht der Regierung, dasjenige, was überhaupt im Verhandlungswege erreichbar gewesen wäre, durch Gesetz zu regeln, dazu ausgereicht haben würde, die Arbeiter zur Ruhe und Rückkebr zur Arbeit zu bringen. Ich babe mit Bedauern erfahren müssen, daß das nicht der Fall ist (hört, bört !), und ich kann hieran nur die Erklärung knüpfen, daß ich nicht hoffen will, daß die Arbeiterfübrer und die aufgeregten Arbeiter- massen auf die Dauer in gleicher Weise feblerbhaft verfahren werden, wie es von der anderen Seite geschah, indem sie, — trotzdem sie wissen, daß die Hauptbeschwerden gehoben werden —, dennoch den Streik zum allgemeinen und zu ihrem eigenen Nachteil fortführen. Abg. Stötz el (Sentr.): Nach dieser Erklärung der Regierung ist der Hauptzweck unseres Antrags erreicht, und wird die Ruhe af erlich bald in den Kohlenbergbaubezirk zurückkehren. Es wird gllerdings bauptsächlich auf den Inhalt des Gesetzentwurfs ankommen. Wir ziehen jetzt unsern Antrag zurück und behalten uns unsere weitere Stellungnal e vor. .
Abg. Dr. Friedberg (nl): Unser Antrag beziebt sich auf den gesamten Koblenbergbau und ist insofern all gemeiner Natur und seine Bedeutung daher eine dauernde. Nach den Erklärungen der Staats regierung bin ich zwar nicht in der Lage, unsern Antrag zurück= zuziehen, aber ich bitte, ihn von der heutigen Tagesotdnung abzusetz en.
. Das Haus gibt mit großer Mehrheit diesem Antrage Folge. Damit ist der erste Punkt der Tagesordnung erledigt.
Das Haus setzt sodann die zweite Lesung des Staats⸗ haushaltsetats für das Rechnungsjahr 1995 bei dem Spezialetat für die Ju stizverwaltung fort. Die Budget⸗ kommission, deren Berichterstatter der Abg. Dr. am Zehnhoff Gentr.) ist, empfiehlt, die Einnahmen wie dis ordentlichen und außerordentlichen Ausgaben unverändert zu bewilligen.
Unter den Einnahmen sind die Kosten (einschließlich der Strafvollstreckungskosten und der Gebühren für Kataster⸗ auszüge und Fortschreibungen) und Geldstrafen auf S4 5560 000 MS, 3 150 000 s6 mehr als im Vorjahre, ver— anschlagt.
Die Einnahmen werden ohne Debatte genehmigt.
. Zu den ordentlichen Ausgaben und zwar zum ersten Titel derselben: Gehalt des Justizministers 36 000 “ bemerkt
Ahg. Pallaske (kons.): Die Kommissionsberatung hat sich äber diesen Etat sehr kurz gestaltet, und wir werden unserseits nicht dazu beitragen, die Erörterung unnütz zu derlãngern. Daß Etatsũber⸗ schreitungen vorgekommen sind, bedauern au wir; aber solche sind auch in anderen Ressorts nicht selten, und wir müssen uns auf den Wunsch beschränken, daß die Schätzungen der Wirklichkeit möglichst nahekommen mögen, Die vorgeschlagene Vermehrung des Richterpersonals begraßen wir mit Freude, aber für völlig ausreichend kann auch meine Fraktion sie nicht halten. Die Richter sind vielfach überbürdet; wenn sie in ihrer Amtstätigkest bis in den späten Nachmittag Tag für Tag in Anspruch genommen sind und dann noch die Urteile auf⸗ setzen und wissenschaftlich begründen müssen, so kann man bloß von einer Ueberburdung reden. Diesem Nißstande kann nicht durch Vermehrung der Hilfsrichter, sondern nur durch Vermehrung der etatsmäßigen Stellen ge⸗
der Tribüne der Berichterstatter im Zusammenhang bei der großen Unruhe des Hauses nicht mehr verflandlich 3 Schluß ern er namens der Fraktion seine große Genugtuung darüber aus, daß es ge⸗ lungen sei, fur den Posten des Vorsitzenden der Prüfungskommission . zu finden, welche von allen Juristen hoch verehrt . Abg. Dr. von Campe (nl): Meine politischen Freunde sind mit mir der Meinung, daß die große Zahl der Sondergerichte 36. zurückzuführen ist, da die ordentlichen Gerichte nach dem Urteil des Publikums, was Schnelligkeit der Rechtsprechung betrifft, ihren Auf⸗ gaben nicht gerecht geworden sind. Anderseits wird dadurch das Ver⸗ trauen zu den Gerichten und das Ansehen der Gerichte nicht gefördert. Zu Vorsitzenden der Sondergerichte hat man schließlich andere Personen, Notfall ordentliche Richter genommen, Herren, die mit den
g en . eschãften nicht vertraut waren, und auch das hat nicht das Vertrauen zu diesen Gerichten verstärkt. Ein weiterer ag ch der Mangel an Fühlung mit dem Volke und seinen Verhältnissen auf seiten der Richter. Wir haben zu viele Bureaujuristen, die alle die Ver⸗ hältnisse mehr nach der Schablone beurteilen. Es würde sich doch sehr empfehlen, auch für die Juristen Ausbildungskurse in national⸗ oökonomischen, sozialpolitischen usw. Materien einzuführen und dafür einen Fonds ausjuwerfen. Es hat sich bei uns die Meinung aus— gebildet, daß die Justiz das Stiefkind der Verwaltung sei. Dem Wunsche, daß für Dienstwobnungen für die Amtsrichter auf dem Lande mehr als bisher getan werde, um dem Amtsrichter das längere Ver⸗ weilen auf dem Lande nahezulegen, wie ihn der Vorredner so warm vertreten bat, kann ich mich nur durchweg anschließen. So anerkennenswert die vorgeschlagene Vermehrung der Richterstellen ist, so ist doch auch damit noch lange nicht der gerichtsverfassungs mäßige Zustand erreicht; dauernde Abhilfe der gegenwärtigen Misere ist damit noch nicht gegeben. Die Zahl der nichtetatsmäßigen Richter ist noch immer erschreckend groß, so kommen in Düsseldorf auf 12 etats—⸗ mäßige Richter 11 nichtetatsmäßige. Auf die Dauer wird sich die Regierung dem Wunsche des Hauses und, der Richter, das Dienst . altere zulagesystem ein ju übren, nicht verschließen können. Die öffent lichen Gerichtsgebäude sind im Aeußern und im Innern wenig revräsentabel, insbesondere im Innern sind sie in der Regel eng, kahl und unwürdig, sowohl für die Richter wie für das Publikum. In dieser Beziehung müßte] Abhilfe geschaffen werden. Die Unterbeamten möchte ich der besonderen Fürsorge der Justizverwaltung empfehlen. Abg. Viereck (freikons. ): Ich schließe mich zunächst der Anerkennung an, welche der Abg. Pallaske der Berufung des neuen Präsidenten der Prüfungẽkommission ausgesprochen hat. Auch dem Wunsche kann ich mich anschließen. daß Fachkurse für die Ausbildung der Assessoren in nationalökonomischen usw. 5 eingerichtet werden. Wenn der Minister dafür im nächsten Jahre Mittel von uns fordern würde, so würde er sicherlich die Zustimmung des Hauses finden. Die Tangsam⸗ keit der Prozesse ist im wesentlichen eine Folge davon, daß die Juristen keine Fühlung mit dem praktischen Leben haben, namentlich nicht auf kaufmännischem und landwirtschaftlichem Gebiet. Die Verminderung des Schreibwerks, die Entlastung der Richter von mechan ischen Arbeiten sind schon früher vom Hause gefordert worden. Den Gerichtsschreibern sind manche Arbeiten übertragen worden, die von Kanzlisten und Kanzleigehilfen besorgt werden können. Es ist erfreulich, daß Maßnahmen ergriffen werden, um die Richter und Gerichtsschreiber zu entlasten. Die etatsmäßigen Richterstellen werden erfreulicherweise vermehrt, aber die Vermehrung bleibt noch immer binter dem wirklichen 2 zurück. Deshalb begrüße ich es mit Freuden, daß damit fortge ahren werden soll unter Zustimmung des Finanzministers. Ebenso unterstütze ich Tie Absicht der Justiver⸗ waltung, für die Amtsrichter an fleinen Orten Dienstwohnungen zu errichten. Wir müssen alles tun, um die Richter auf dem Lande für lange Zeit festzubalten, damit sie mit den Interessen ihrer Gerichts⸗ eingesessenen verwachsen. Ein Mangel ist der geringe Zudrang zu den staatganwaltlichen Stellen, der allerdings aus der Sache erklaͤrlich ist. Es sollte deshalb möglichst ein Wechsel in den Staatsanwastz, und Richterstellen stattfinden. Ich hoffe, daß die Regierung dem Wunsche des Abg. Faltin nachkommt in bezug auf die Gleichstellung der Ge⸗ richtssekretäre mit den Regierungssekretären. In dem Pensionswesen für die Gerichtspollzieher müssen Ungleichbelten vermieden werden. Es ist nicht richtig, daß die durchschnittliche Gebübreneinnahme der letzen drei Jahre ju Grunde gelegt wird, da gerade in der letzten Zeit, die Gerichtsvoll lieber schon scwächer in ihrer AÄmte tätigkeit geworden sind. Für die Kanzleigehilfen finde ich im Ctat leider noch keine Besser⸗ stellung, Ihre Pension ist zu gering, für ihre Relikten ist nicht ge⸗ sorgt; sie finden auch feinen Ausgleich in den teureren Orten durch einen Wobnungegeldzuschuß. Die Justizverwaltung hat darüber Er= bebungen angestellt; ich wünsche, daß sie möglichst beschleunigt werden und daß die Regierung dabei den sozialpetitischen Gesichtpunkt vor- anstellt Den Kanzleigehilfen, welche 10 Jahre im Dienst sind, müßte eine feste Remuneration, je nach der Teuerung in den verschiedenen Orten, gewährt werden. In der Gefãngnisderwaltung wünschte auch ich eine Beseitigung des Dualismus, weil eine Einigung zwischen den beiden Ressorts jonst nicht zu erreichen ist. Sine besondere Kom. mission sollte sich mit, dieser Frage beschäftigen. Schließlich wünsche ich, daß der Minister die Grundbuchämter anweist, von allen Eintragungen bei Grundstücken den Gemeinden Mitteilung zu machen behufs der Regelung der Steuerfragen, und daß den Rechtsanwälten in Armensachen ein Ersatz ihrer Auslagen durch die Staatskasse ge⸗ ueber . alan ö. Abg. Peltasohn (fr. Vzg.): Die Vermehrung der Richter stellen ist ein erfreuliches Zeichen, aber ausreichend . noch tg. da noch beinahe 400 Hilferichterstellen übrig bleiben. Wie die Re⸗ gierung bereits den Cölner Gerichtsbezirk teilt, so empfeble ich auch die Teilung noch anderer größerer Gerichtsbezirke, wie 1. B. in Breslau. Das juristische Studium sollte auf 7 Semester verlängert werden. In der Kemmission von 1902 war die Ansicht geteilt, ob man das 7. Semester obligatorisch machen soll. Vielleicht läßt sich ein Ausweg darin finden, daß wie in Sachsen denen, die 7 Semester studigren, ein Teil des prakiischen Vorbereitungadienstes als Referendar erlassen wird. In Sachsen ist den Referendaren bereils gestattet, Jahr sich bei Handelskammern, Geweibekammern und gewerb⸗ lichen Unternehmungen zu informieren. Vielleicht können auch vor geschrittene Referendare zu den staatswissenschaftlichen Kursen zu⸗ gelassen werden. In der Presse sind Fälle angeführt worden, in denen der Justiminister in die Judikatur eingegriffen hat. Der Straf⸗ vollzug muß neu geregelt werden; wir müssen eine größere Garantie erhalten, daß die ver sönliche Freiheit nicht unnötigerweise durch Ver⸗ baftungen beschränkt wird. Es gibt doch noch andere Mittel als die Verhaftung bei Nichterscheinen eines Angeklagten. Die Verhaftung sollte namentlich da unterbleiben, wo die erwartete Straje in keinem Ver⸗ bältnis steht zur Lange der Untersuchungs haft. Bei der Untersuchungs haft darf die Entziehung der Freiheit nicht mehr angewendet werden, als der Zweck der Untersuchungshaft es erfordert. Im Berliner Tageblatt‘ sind am 23. Januar verschiedene Fälle unnötiger Unter- suchungshaft aufgefübrt worden; ich wei nicht, ob die Fälle authentisch sind, aber der Minister sollte Veranlassung nehmen, solche Fälle zu prũfen und entsprechende Aenderungen eintreten zu lassen. Abg. Cassel (fr. Volksp. ): Die Absplitterung der Sonder⸗ gerichte von der ordentlichen Gerichtsbarkeit kann man in ge⸗ wissem Sinne bedauern, aber für die besoaderen Verhältnisse der Gewerbearbeiter und der Kaufmannsgebilsen hat daz erdent. liche Gerichtsoerfahren nicht die erforderliche Beschleunigung bringen können. Aus dem praktischen Leben beraus sind die Forderungen nach diesen Sondergerichten gestellt worden. Bei einer entsprechenden Ausbildung unserer Richter wird es hoffenlich zu einer weiteren Absplitterung von. Sondergerichten nicht kommen. Im vorigen Jahre habe ich verschiedene Vorfälle besprochen, welche das Ansehen der Gerichte schädigen konnten. Der Minister hat sich aber damals in korrekter Weise über solche Fehler einzelner Funktionäre ausgesprochen. Auch die Ansprachen von Schwurgerichts vorsitzenden an die Geschworenen hat der Minister verurteilt. Ich hoffe, daß es ibm gelingen wird, die Wiederkehr solcher Fälle zu verhindern, da die Angriffe auf bestebende Institutionen wie das Schwurgericht
teuert werden. Die weiteren Ausführungen des Redners werden auf
für die Reform des Strafprozesses sollte endlich zu einem Abschluß ihrer Arbeiten kommen. In bezug auf die Frage der Zulage für Richter, ihrer Gleichstellung mit den Verwaltungs. beamten wie die Lage der Gerichtsschreibersekretãre müssen wir uns weiteres vorbehalten, wenn der nächste Ctat keine Aende⸗ rung ing, Den Ausfuhrungen des Abg. Viereck über die Kanjlei⸗ beamten astimme ich zu. In der Kommission ist erfreulicherweise eine bedeutsame Anregung gemacht in bezug auf den Straf. volljug und einheitliche Gefängnisverwaltung. Erst durch ein Straf— vollzugsgesetz wird die Verbüßung von Strafen durch die jugend. lichen Verhrecher so geregelt werden können, daß diese nicht in Be⸗ rührung mit den alten Verbrechern kommen und so zu einer Gefahr werden. Die ganze Gefängnisperwaltung müßte unter die Justiz« verwaltung kommen. Der Minister hat uns mitgeteilt, daß im Ressort des Innern eine andere Meinung herrscht, aber in einer so wichtigen Frage müßte eine Entscheidung des Staats— ministeriums herbeigeführt werden. Wir würden uns an den Beratungen der angeregten Kommission; welche sich mit diesen erg, beschäftigen soll, gern beteiligen. In der Hebung des Richter⸗ landes durch Ausbildung, Regelung der Bezüge 2c. kann ich mich den Vorrednern durchaus anschließen. Infolge des Mangels an Richtern läßt die Ausbildung der Referendare, wie sich in den Prüfungen zeigt, zu wünschen übrig. Erfreulich ist auch mir, daß durch die Schaffung von Dienstwohnungen die Richter jahrelang in ibren Bezirken festge⸗ halten werden können. Ich stimme auch der dankenswerten An— regung des 6 Pallaske zu, daß die Bibliotheken des Gerichts auf dem Lande besser ausgestattet werden, namentlich mit den neueren Erscheinungen. Herr Pallaske hat recht, es darf den Nichtern nicht überlassen werden, sich die teuren Werke selbst anzuschaffen. Die Statistik, nach der die Richterstellen im Verhältnis zur Bevölkerung jetzt viel stärker vermehrt werden, ist nicht durchschlagend, denn früher fand fast gar keine Vermehrung der Richterstellen statt. Hilfsrichter dũrften ,. nur als Ersatz für erkrankte Richter oder für eine vorũ ergehende Häufung der Geschäfte herangezogen werden. Für das Landgericht 1 in Berlin sollen 10 neue ich elf ge⸗ chaffen werden, aber der Geschäftsplan für 1905 sieht in den 32 Kammern schon 17 Assessoren als Hilfsrichter vor. Das ist kein richtiges Verhältnis. Mit dem, Geiste des Gerichts verfassungẽgesetzes steht auch das Verfahren nicht im Einklang, daß manchen Kammern nicht ein Landgerichtsdirektor vorsitzt, sondern nur ein Mitglied der Kammer. Wenn jahraus jahrein Landgerichtsräte als Vor— siende fungieren, so kann das nur aus Sparsamkeits., rucksichten erklärt werden, weil die erforderlichen Landgerichts direktoren⸗ stellen nicht vorbanden sind. Besonders auffällig tritt die Spar— samkeit bei den Strafkammern hervor. Ich will dem Justizminister keinen Vorwurf daraus machen, denn die Schwierigkeiten, die ihm in der Vermehrung der Richterstellen erwachsen, sind ja bekannt. Die Assessoren werden unter die einzelnen Kammern hin und hergeschickt, sodaß man von dem Wandergewerbeschein der Assessoren spricht. Ich hoffe, daß eg dem Minister gelingen wird, alle diese Uebelstände zu — 1 Eine 59 tin 6 keine . Justiz sein, der Staat muß im eigenen Interesse afür sorgen, daß durch ordnungsmäßi, angestellte Richter Recht gesprochen wird. Im übrigen n, . mich fast allem, was die Vorredner ausgeführt haben, an.
Abg. Reinhard (Zentr.): Ich schließe mich fast allen Aus— führungen der Vorredner an und will Sie nicht durch Wiederholungen ermüden, sondern nameng meiner Partei erklären, daß wir in allen diesen Fragen dieselbe Stellung einnehmen wie die Vorredner. Namentlich haben mich die Ausführungen des Abg. Pallaske sehr svmpathisch berührt. Auch wir haben die Vermehrung der Richterstellen in diesem Etat mit großer Freude begrüßt, aber wir können sie durchaus noch nicht als abgeschlossen an⸗ sehen. Am Oberlandesgericht Celle sind z. noch weitere Ratsstellen erforderlich. Im Ministerium geht man zu schematisch mit der Vermehrung vor. Die Zahl der Geschäfte allein ist kein richtiger Maßstab, die Verhältnisse sind in den Landesteilen verschieden. In manchen Gegenden ist der Amtsrichter überhaupt der Vertrauens⸗ mann der Bevölkerung in allen Fragen, z. B. auch in den Fragen der Jnvaliditãtsversicherung. Der Bibliothekfonds reicht für die Amts- gerichte, namentlich fär diejenigen, welche nur mit wenigen Richtern besetzt sind, nicht aus. Es gibt Amtsgerichte, wo nicht einmal die Entscheidungen des Reichsgerichts und Kammergerichts vorhanden sind. Der Einzelrichter muß sich sogar alle Bücher selbst beschaffen, die ihm eigentlich von Amts wegen zustehen müßten. Gerade der Einzel⸗ richter müßte über eine ansebnliche Bibliothek verfügen, weil er sich mit Kollegen nicht über juristische Fragen unterbalten kann. Auch unter den Richtern hat ein Spezialistentum sich herausgebildet, es ift ein Unterschied zu machen jwischen Amtsrichtern, die sich fär das platte Land, und solchen, Tie sich für die Städte (ignen. ü halb müssen diese durch ihre Dienstwohnung auf dem Lande festge— halten werden. Es kommen Fälle vor, wo Rid le zum Zölibat ver teilt sind, weil sie keine Wohnung für ihre Familien finden tönnen. In Celle herrscht Beunruhigung über ein Gerücht, daß das dortige Dberlandesgericht nach Hannover verlegt werden soll. Ich bitte den Minister, durch eine Ecklärung diese Beunruhigung zu zerstreuen. Unser Höfegeseß in Hannover steht nicht im Einklang mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Dieses hat eine besondere Regelung der bäuerlichen Rechte nicht vorgenommen. Ich frage den. Minister, b ein Gesetzentwurf in Vorbereitung ist, welcher das bäuerliche Recht wieder in angemessene Formen bringt. Schließlich nimmt sich der Redner der Verhältnisse der Gerichtsdiener an. Abg. Dr, Mizerski (Pole) beklagt sich über die Rechtsyrechung in den polnischen Landesteilen und weist auf die jüngsten Reichstage⸗ verbandlungen darüber hin. Die Richter würden zu Werkzeugen volitischer Leidenschaft gemacht und knebelten die polnische Presse. Eine Zeitung in Oberschlesien sei wegen Aufforderung zum Ungehor—⸗ sam gegen die Gesetze angeklagt werden wegen eines Artikels, in welchem gesagt worden sei, daß es die Pflicht einer volnischen Mutter sei, ihre Kinder in polnischer Sprache zu erziehen. Die Zugehörigkeit zu einem Hetzverein, wie der Hakatistenverein, müsse natürlich verwirrend auf das Urteil eines Richters wirken.
es⸗
Justizminister Dr. Schönstedt:
Meine Herren! Der Herr Abg. Mizerski hat heute die alten polnischen Klagen vorgebracht, (Zuruf bei den Polen: neue!) und Sie werden mir jugeben, daß sein Vortrag in keiner Weise den Reij der Neuheit hatte. Wir haben diese Sachen dutzende Male gehört, und wenn er sich bemüßigt fühlte, zurückjugehen auf die Jahre 189334 und alte Dinge aufzuwärmen, die vor 10 Jahren erörtert sind, scheint das dafür zu sprechen, das zu erheblichen Beschwerden in der Gegenwart sogar für ihn kein Grund vorliegt. Er hat sich berufen auf eine Rede des Abg. Kulerski im Reichstage, der von seiten des Bundesratt⸗ tischs nicht erwidert sei, und die die schwersten Anklagen gegen die Gerichte enthalten habe. Wenn darauf niemand erwiderte, wird das seine Aufklärung wohl in dem Umstand finden, daß die Beschwerden in der Kulerskischen Rede fast jeder tatsächlichen Substantiierung entbehrten; sie wird auch ihre Aufklärung darin finden, daß man glaubt, daß Angriffe und Klagen von dieser Seite einer Widerlegung kaum bedürfen. Kulersli ist bekanntlich Herausgeber der. Gazeta Grudziadzka“, die in Grauden erscheint, des schlimwmisten aller volnischen Hetzblätter (hört! kött! recht?) bekanntermaßen, (Abg. von Czarlinski: Warum kommen Sie nicht nach dem Reichztage, um ju antworten?) der durch die Aut⸗ fälle, durch die maßlosen Angriffe, die sich in seiner Zeitung Jahr aus Jahr ein finden, sich und seinen Redakteuren eine ganze Reihe der schwersten Strafen zugezogen hat. Er kann ja allerdings insoweit aus Erfahrung rechen, als die Gerichte nicht immer glimpflich mit
die Justizpflege nur schädigen können. Die Reichskommission
ihm umgegangen sind. (Zuruf bei den Polen: Na also) Aber, meine
herren, ich glaube, er hat dazu allen Grund gegeben, und daß die sichter nicht vollkommen o0bjektiv und unpartelisch vorgegangen sein, bfr wird der Herr Abg. Dr. Mizersti uns den Beweis wohl sculdig bleiben. Was er heute von neuen Dingen vor eührt hat, ist in der Tat zu unbedeutend, als daß darauf moch irgend etwas zu erwidern wäre. Er bat erwähnt, daß ine Frau auf Grund des § 110 des Strafgesetzbuchs verurteilt purde, weil sie aufgefordert habe — Guruf bei den Polen.) oder eine Zeitung vielmehr, weil sie eine Aufforderung enthalten hebe, daß in den Familien entgegen den Anordnungen der Schul⸗ schörde doch nur polnisch und nicht deutsch gesprochen werden solle. Dieser Fall ist mir gänzlich unbekannt, liegt aber nach den eigenen Anführungen des Herrn Dr. Mijereki beim Reichsgericht, und schon halb bin ich nicht in der Lage, darauf einzugehen.
Er hat dann den Fall erzählt, der den Rechtsanwalt Seida hetroffen haben soll, gegen den auf Grund von Beschwerden ein ehren⸗ gerichtliches Verfahren seitens des Oberstaatsanwalts in Antrag zebracht, aber vom Vorstand der Anwaltskammer zurückgewiesen porden sei. Der Rechtsanwalt Seida ist der bekannte Vertreter der yolnischen Interessen in Oberschlesien, der nicht am wenigsten deju beiträgt, daß die Bevölkerung in Unruhe versetzt wird hört! hört! rechts — Widerspruch und Zuruf bei den polen: Ein Jahr ist der Mann dah und nicht zur Rube somnt. Der Fall ist mir persönlich gleichfalls unbekannt. Benn der Antrag auf Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens nicht die Zustimmung des Vorstandes der Anwaltskammer gefunden hat, nun, meine Herren, dann hat der Herr ja überhaupt gar keinen Grund mehr, sich zu beschweren. Ich weise mit aller Entschiedenheit die Angriffe gegen die Unparteilichkeit und Gerechtigkeit der deutschen Richter in Posen zurück, zu deren Organ sich der Herr Abg. Dr. Mijerski gemacht hat. (Sehr richtig! rechts) Und wenn er meint, sich darauf berufen zu können, daß seiner Zeit im Reichstage der Abg. Lenzmann gesagt hat, so etwas käme in Westsalen nicht dor, in Westfalen ständen die Richter auf einem andern Standpunkt, in, meine Herren, ich glaube, dem Herrn ist schon damals darauf er⸗ vidert, daß er die Verhältnisse in Westfalen wobl kenne, aber nicht die in Posen, und daß ihm für einen derartigen Vergleich auf Kosten der Posenschen Richter die notwendige Unterlage vollständig fehle. Diesem Vorwurf ist auch schon damals hier im Hause seitens des Herrn Abg. Peltasohn mit aller verdienten Entschiedenheit entgegen⸗ getreten worden, und ich glaube, es ist in der Tat nicht geboten, hier noch weiter zur Ehre der deutschen Richter in Posen darauf ein⸗ zugehen.
Nun, Herren Fraktionsredner übergehen.
meine Herren, darf ich zu den Ausführungen der übrigen Sie bekunden eine erfreuliche Ein⸗ stimmigkeit nach der Richtung hin, daß sich daraus ergibt, daß in allen Teilen dieses Hauses für die Hebung der Justiz das größte Interesse besteht, und daß man überall bestrebt ist, da, wo es noch fehlt, zur Förderung des äußeren und inneren Ansebens der Justiz beizutragen. Die meisten Herren haben sich mit dieser Frage be— schäftigt, die ich deshalb glaube, zum Gegenstande einer kurzen Er⸗ widerung machen zu dürfen.
Es ist im Eingang darauf hingewiesen worden, daß eine Schädigung des Ansebens der Gerichte durch die Schaffung der vielen Sondergerichte im Lande herbeigeführt werde, und es ist versucht worden, dem Grunde nachzugehen, weshalb der Ruf nach Sonder⸗ gerichten doch noch so vielfach laut werde und weitere Kreise erfasse. Es ist darauf hingewiesen worden, daß dieser Ruf zum Teil wohl auf den Umstand zurückzuführen sei, daß allerdings die Richter nicht überall mit dem praktischen Leben genügend vertraut seien, daß sie sich in sich abschlössen und nicht genügend um andere Dinge kümmerten, und es ist in dieser Richtung hier wieder vor— geschlagen, daß die Vorbildung und die Vorbereitung der Juristen eine andere werden möge, daß mehr darauf hingewirkt werden möge, daß die Herren mit allen Verhältnissen des praktischen Lebens ver— traut würden. Es ist dann auf die Fortbildungskurse und auf An⸗ ordnungen hingewiesen worden, die in anderen Staaten in bezug auf die Vorbereitungszeit der Referendare getroffen worden seien, und diese sind zur Nachahmung empfohlen worden. In Verbindung damit ist man auch auf die Frage zurückgekommen, ob etwa die Wieder⸗ vorlegung eines Gesetzes über die Vorbildung zum höheren Justiz— dienst in Auesicht stehe.
Was diese Anregung angeht, so ist es ja gewiß nicht vollkommen in Abrede zu stellen, daß ein Teil unserer richterlichen Beamten manchen Verhältnissen etwas fremd gegenübersteht, und daß ez wünschenswert wäre, wenn solche Richter noch mehr ins praktische Leben hineinblickten und nicht nur theoretisch vom grünen Tische aus ihre Anschauungen sich zu bilden suchten. (Sehr richtig! links) Ich bin immer bemüht gewesen, darauf hinzuwirken, daß auch schon den Referendaren in der Vorbereitungsjeit nach dieser Richtung hin die nötige Anleitung gegeben würde, und es war das ja mit der Zweck der Vorlage, die ich vor einigen Jahren hier eingebracht habe, die aber die Zustimmung dieses hohen Hauses nicht gefunden hat. Auf diesem Wege der Gesetzgebung wiederum vorzugehen, liegt augenblicklich nicht in meiner Absicht und auch nicht in der Absicht der Königlichen Staatsregierung. Ich habe aber ver⸗ sucht, zum Teil wenigstens auf dem Wege der Verwaltung dasjenige zu erreichen, was damals auf dem Wege der Gesetzgebung angestrebt wurde. Ich habe im Laufe des vorigen Jahres zu dem Regulativ über die Vorbereitung zum höheren Justizdienst einige Aenderungen, die an und für sich nicht sehr bedeutend autsehen, aber doch einige Bedeutung haben, ins Leben treten lassen, von denen mir schon in einzelnen Berichten versichert worden ist, daß sie nicht ohne Wirkung seien. Ich habe spenell angeordnet, daß bei jeder einzelnen Prüfung das Gebiet des öffentlichen Rechts und der Grundlagen der National⸗ ökonomie zum Gegenstand der Prüfung gemacht werden sollen, und daß in der Feststellung der Prüfungtsergebnisse für jeden Kandidaten genau vermerkt werden soll, was er auf diesen Gebieten geleistet hat. Diese Anordnung ist nach meiner Meinung entschieden geeignet, das Interesse der Studierenden und der Referendare für das Gebiet des öffentlichen Rechts anzuregen. Hierzu trägt auch weiter ler, daß daz früher den Rechtekandidaten eingeräumte Wahlrecht, die Materie zu bestimmen, aus der ihnen eine Arbeit gegeben werden soll, aufgehoben ist, sodaß dadurch den Prüfungskommissionen die Möglich⸗ keit gegeben ist, nun auch Aufgaben aus dem Gebiete des öffentlichen Rechtz zu stellen, die früher kaum vorgekommen sind.
Meine Herren, die Beteiligung an den Fortbildungskursen wird
jeder Weise gefördert. Allerdings fehlt mir ein Fonds, wie er in den Gtat des Finanzministeriums eingestellt ist, um den Beamten der Justizverwaltung Zuschüsse zur Teilnabme an diesen Kursen zu ge— währen. Es wird aber, wie ich erfahren habe, in dieser Richtung auch in der Verwaltung von diesen Fonds nur in vereinzelten Fällen Gebrauch gemacht. Dagegen fördere ich durch Beurlaubungen, durch Uebernahme der Stellvertretungskosten mit gutem Erfolge die Be— teiligung der Juristen an den Fortbildungskursen. Wenn aber heute ange⸗ regt worden ist, daß auch den Reserendaren die Teilnahme an diesen Fort ⸗ bildungskursen auf ihren Vorbereitungsdienst angerechnet werden möge, so würde das, meine Herren, im Verwaltungswege gar nicht zulässig sein; das Gesetz über die juristischen Prüfungen schreibt ausdrücklich eine vierjährige Tätigkeit im praktischen Dienst vor; davon kann ich also nicht abgehen. Es würde das eine Aenderung des Gesetzes be—⸗ dingen, und dazu ist, glaube ich, vorläufig die Sache nicht angetan. — Was die Beschäftigung der Referendare in praktischen Geschäfts⸗ zweigen bei Banken, Landwirtschaftskammern usw. angeht, so liegt da die Sache ebenso. Das würde in Preußen auch nur im Wege des Gesetzes eingeführt werden können. Ich bin außerdem aber, meine Herren, im Zweifel, ob es in der Tat richtig ist, schon die Referendare mit diesen Nebenstudien zu befassen, ob es nicht viel vorteilhafter ist, das denjenigen vorzubehalten, die schon das Assessoreramen hinter sich haben und deshalb doch mit viel reiferem Urteil, mit viel größerem Verständnis an diese Dinge heran. treten. Den Assessoren bewillige ich bereitwilligst jeden von ihnen nachgesuchten Urlaub, sobald irgendwie nachgewiesen werden kann, daß er in nützlicher Weise von ihnen verwendet wird. Es wird in weit gehendster Weise den Herren, wenn sie nur den Nachweis liefern, daß die Zeit gut verwendet ist, der Urlaub auf ihr Dienstalter angerechnet. Es ist sodann wiederum die Rede gewesen von der Ueberbürdung der Gerichte und der Notwendigkeit ihrer Entlastung, einmal durch eine noch stärkere Vermehrung des Richterpersonals, andererseits durch die möglichst weitgehende Abnahme mechanischer Arbeiten. Was die Vermehrung des Personals angeht, so habe ich mit Befriedigung kon— statieren können, daß die Forderungen des diesjährigen Etats sich all⸗ gemeiner Anerkennung in dem Sinne erfreuen, daß in erheblichem Maße dem Bedarf nach einer Vermehrung des Beamtenpersonals dadurch Rechnung getragen worden ist. Es ist aber unmöglich, den Forderungen in dem Umfange gleich Folge zu leisten, wie sie hier von verschiedenen Seiten des Hauses geltend gemacht worden sind. Es kann doch immer nur dann mit Vermehrung der Stellen vor gegangen werden, wenn feststeht, daß das Bedürfnis ein dauerndes ist. Ich bin vollkommen der Ansicht, daß für jedes dauernde Bedürfnis auch die Arbeitskräfte gewährt werden müssen in Gestalt von etats⸗ mäßigen Beamten; aber es ist immer eine gewisse Zeit notwendig, ehe man die Frage nach dem Vorhandensein eines solchen Bedürfnisses zuverlässig bejahen kann. Es kommt weiter in Betracht, daß, wie Ihnen allen bekannt, auf dem Gebiete der Reichsgesetzgebung Anregungen gegeben sind, die möglicherweise zu organi⸗ satorischen Aenderungen in der Beschäftigung der einzelnen Gerichte führen. Eine Erweiterung der amtegerichtlichen Zuständig⸗ keit auf dem Gebiete des Strafrechts würde ja notwendigerweise eine Entlastung der Landgerichte auf demselben Gebiete zur Folge haben. Diese Frage kommt ja voraussichtlich in nicht ferner Zeit zur Ent⸗ scheidung, und deshalb mußte bei der Schaffung neuer Stellen mit den Möglichkeiten gerechnet werden, die sich aus solchen Organisations ; änderungen ergeben. Die Frage der Entlastung der Richter von mechanischen Arbeiten ist im Fluß. Ich habe schon in der Kom mission erklären können, daß die Oberlandesgerichtspräsidenten und die Oberstaatsanwälte von mir aufgefordert sind, sich zu der Frage zu äußern, und ihrerseits praktische Vorschäge zu machen. Dabei habe ich ihnen gewisse Fingerzeige ge⸗ geben, auf welchen Gebieten solche Entlastungen einzutreten hätten. Die Frist für die Einreichung der Vorschläge läuft im nächsten Monat ab; erst dann läßt sich der Angelegenheit weiterer Fortgang geben. Wenn heute darauf hingewiesen ist, daß man in Hamburg nach dieser Richtung sehr weit gegangen sei, und wenn der Aufsatz eines Herrn Engel, der übrigens nicht mit dem verstorbenen Statistiker Engel zu verwechseln, sondern ein Hamburger Amtsrichter ist, an⸗ geführt worden ist, daß in Hamburg auf Grund dieser Entlastung der Amtsrichter von mechanischen Arbeiten 17 Amtsrichter das leisteten, was hier in Preußen 28 oder 29 Amtsrichter leisten würden, so ist es mir doch einigermaßen zweifelhaft, ob diese Rechnung ganz richtig ist. Jedenfalls habe ich die Ueberzeugung, daß, wenn wir uns voll⸗ ständig auf den Hamburger Boden stellten, in diesen Dingen — ich habe mich mit dem Hamburger Senat in Verbindung gesetzt, um ju erfahren, wie die Sache dort im einzelnen geordnet ist — dem Ham⸗ burger Beispiel folgten und nunmehr bei uns zu einer entsprechenden Verminderung der Richter im Verhältnis von 28 zu 17 schreiten wollten, wir lebhaften Widerspruch hervorrufen würden. Die Zahl der Vorsitzenden und ihr Verhältnis zu der Zahl der Kammern hat ja gleichfalls den Gegenstand der heutigen Erörterung gebildet. Es ist tatsächlich richtig, daß nicht für jede Kammer ein besonderer Vorsitzender vorhanden ist. Ich kann aber nicht zugeben, daß dem Geiste oder der Absicht des Gerichtsverfassungsgesetzes nur ein Zustand entsprechen würde, bei dem für jede Kammer ein beson⸗ derer Vorsitzender in der Person eines Direktors, für jeden Senat in der Person eines Senatspräsidenten, gegeben wäre. Es kommt ganz darauf an, in welchem Umfange die einzelnen Kammern und Senate beschäftigt sind. In dieser Beziehung bestehen ganz verschiedene Ver- hältnisse. Es gibt bei manchen Gerichten aus besonderen Gründen viel mehr Kammern, als man anderswo für notwendig hält; und es ist daher sehr wohl möglich und geschieht in vielen Fällen, daß ein Direktor Vorsitzender mehrerer Kammern ist. Wenn erwähnt worden ist, daß bei den Berliner Straf— kammern der vorsitzende Direktor von den drei Sitzungen der Woche nur zwei leite und in der dritten Sitzung regelmäßig das älteste Mitglied den Vossitz habe, so sind diese Angaben richtig, und ich gebe zu, daß dieser Zustand kein korrekter ist, und daß auf die eine oder andere Weise nach Abhilfe wird gesucht werden müssen. Der Zustand hat sich zwar sehr lange eingelebt und bisher zu Beschwerden keinerlei besonderen Anlaß gegeben; aber ich erkenne an, daß die Herren, die ihn anfechten, daju ein Recht haben. Ob indessen gleich in allen Fällen die sich arithmetisch aus diesem Exempel ergebende Vermehrung der Direktorenstellen notwendig sein wird, ist eine andere Frage. Es wäre zunächst eingehend zu unter—
ist, daß die Direktoren nur in zwei Sitzungen den Vorsitz führen und von der dritten sich entlasten, oder ob vielleicht den Herren eine etwas größere Arbeitslast zugemutet werden könnte. Es ergibt sich aus unserer Gesamtstatistik in Preußen, daß im Durchschnitt auf jeden Direktor bei den Landgerichten mindestens 23 Sitzungen wöchentlich kommen; es würde sich also danach doch vielleicht eine gewisse Herab⸗ minderung der Ansprüche ergeben, die von seiten des Herrn Abg. Cassel erhoben worden sind.
Meine Herren, zu der Förderung der Fortbildung unserer Richter gehört auch die Frage der Bibliotheken. Es ist von verschiedenen Seiten der Anspruch erhoben worden, daß nach dieser Richtung bin mehr geschehen müsse, namentlich für die kleinen Amtsgerichte. In diesem Punkte möchte ich daran erinnern, daß im vorigen Jahre eine Vermehrung des Bibliothekfonds für die Land⸗ und Amtsgerichte stattgefunden hat in Höhe von 30 100 „, eine Vermehrung, die da— mals als eine recht ansehnliche anerkannt worden ist. Der Bibliothekfonds für die sämtlichen Land— und Amtsgerichte hat sich hierdurch auf 225 000 ½ erhöht. Die Verteilung dieses Fonds auf die einzelnen Gerichte liegt nun nicht in den Händen der Zentralinstani, sondern in den Händen der Provinzialbehörden, und es mag sein, daß dabei ungleichmäßig und nicht immer richtig vorgegangen ist. Ich gebe insbesondere dem Herrn Abg. Reinhard vollständig recht, wenn er den Satz aufgestellt hat, daß die ganz kleinen Amtsgerichte einer guten Bibliothek mehr bedürfen als die größeren Amts— gerichte, bei denen ein Ausgleich stattfindet durch den wechselseitigen Verkehr der Richter miteinander, und daß bei den kleinen Amts⸗ gerichten am wenigsten gespart werden sollte. Wenn es richtig sein sollte — was ich nicht weiß —, daß einem Amtsgericht aus dem Bibliothekfonds nur 70 „ bewilligt worden sind, so würde ich das allerdings für unzureichend halten. Ich bin aber der Ansicht, daß durch eine richtige Disposition und Verteilung dem sehr wohl abge— holfen werden kann; der Fonds reicht, wenigstens nach unseren über⸗ schläglichen Schätzungen, dazu, auch dem kleinsten Amtsgericht schon einen erheblich höheren Fonds zur Verfügung zu stellen.
Meine Herren, von dem ersten Herrn Redner ist der Zunahme der Freisprechungen gedacht worden, die sich aus der Statistik der letzten Jahrzehnte ergeben habe. Auch hier ist die Tatsache als richtig zuzugeben: die Freisprechungen haben im Laufe der letzten Lustren fortgesetzt in Deutschland zugenommen, in Preußen jedoch in höherem Maße als in den anderen Staaten. Den Grund für diese nicht er— freuliche Erscheinung anzugeben, ist nicht ganz leicht. Insoweit etwa daraus der Schluß gezogen werden möchte, daß die Staatẽ⸗ anwalischaft zu leichtfertig mit Erhebung von Anklagen vorgehe, würde ich nicht in der Lage sein, ohne weiteres einen solchen Vorwurf als begründet anzuerkennen. Ich bin aber sehr gern bereit, der Frage weiter nachzugehen, und namentlich da, wo die Verhältnisse in den verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken sich verschieden gestaltet haben, den Versuch zu machen, durch Berichte der zuständigen Behörden der Sache auf den Grund zu kommen.
Unsere Statistiker haben es bisher auch nicht dahin gebracht, den richtigen Grund für diese Erscheinung zu ermitteln; teil weise hängt sie zusammen mit den Veränderungen in der Gesetzgebung, da eine Reihe neuer schwieriger Gesetze ins Leben getreten ist, deren Tragweite nicht gleich mit Sicherheit zu überblicken war und für die sich erst eine feste Praxis bilden muß. Gewiß ist aber der Zustand nicht erfreulich, und ich bedaure es immer, wenn Anklagen ohne die nötige Ueberlegung und sorgfältige Prüfung des Sachverhalts erhoben werden, und deshalb nachher mit Freisprechung enden, während sie bei besserer Prüfung von pornherein hätten vermieden werden können. Von anderer Seite ist darauf hingewiesen, daß noch immer die Beschwerden über ungerechtfertigte Verhaftungen nicht verstummten, daß auch auf diesem Gebiete von der Justizverwaltung nicht alles ge— schehen sei, was hätte geschehen können. Meine Herren, soweit ich persönlich dabei beteiligt bin, muß ich diesen Vorwurf zurückweisen. Ich bin in der Lage, Ihnen einige Sätze aus einer Verfügung mitzuteilen, die ich im Dezember 1902 erlassen habe, zu einer Zeit, wo derartige Beschwerden mehrfach laut geworden waren. Ich habe in dieser Verfügung, die sich an die Provinzialbehörden richtet, gesagt:
Ich richte an die Beamten der Staatsanwaltschaft die dringende Aufforderung, vor der Stellung von Haftanträgen in jedem Falle sorgfältig zu erwägen, ob die Untersuchungshaft oder die vorläufige Festnahme durch das Vorhandensein der in den S§ 112, 113, 125 der Strafprozeßoronung aufgestellten Voraussetzungen begründet und geboten ist, und bei der Entschließung über diese Frage sich die große Tragweite eines Eingriffs in die persönliche Freiheit regel⸗ mäßig zu vergegenwärtigen. Geschieht dies in allen Fällen, so ist zu hoffen, daß begründete Beschwerden über ungerechtfertigte Ver⸗ haftungen durch die Justizbehörden nur noch vereinzelt vorkommen werden. Den Aussichtsinstanzen mache ich es zur ernsten Pflicht, die Beobachtung der vorstehenden Grundsätze unausgesetzt zu über— wachen und gegen Ueberschreitungen mit nachdrücklichem Einst, gegebenen Falls auf dit ziplinarischem Wege einzuschreiten.
(Bravo!)
Es läßt diese Verfügung an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig; wenn sie noch nicht überall den von mir gehofften und erwünschten Erfolg haben sollte, würde ich das bedauern. Aber Klagen nach dieser Richtung sind zu meiner Kenntniß nur in verschwindendem Maße ge— kommen. Das Gesetz über die Entschädigung solcher Personen, die unschuldig eine Untersuchungshaft erlitten haben, gibt der Staatè⸗ anwaltschaft wie den Gerichten erneuten Anlaß, in jedem einzelnen Falle ganz besonders zu prüfen, ob zu einer Verhaftung geschritten werden darf und muß, und wo Fälle zu meiner Kenntnis gekommen sind, aus denen ich habe entnehmen können, daß nicht mit der gebotenen Vorsicht vorgeganzen ist, habe ich aus meiner Auffassung kein Hehl gemacht. Ich hoffe, daß dieses Gesetz dazu beitragen wird, alle beteiligten Behörden zu einer noch größeren Vorsicht zu bestimmen, als sie vielleicht hier und da bisher geherrscht hat.
Ich komme nun ich mich glaube ziemlich kurz fassen zu können. gewesen von der Ausnutzung der unbesoldeten Assessoren, die zur Erleichterung der Richter herangezogen würden, statt daß man den Richtern Hilfsrichter beiordne. So liegt nun tatsächlich die Sache nicht. Bei der Frage nach der dauernden Zuordnung von Hilferichtern wird ganz unabhängig davon, ob dem Gericht unbesoldete Assessoren beigeordnet sind oder nicht, lediglich der Geschäftsumfang zu Grunde gelegt. Es ist das um so notwendiger, als der Bestand
auf eine Reihe von Einzelfragen, über die Es ist die Rede
von mir, wie ich schon bei früherer Gelegenheit geäußert habe, in
suchen, ob es durch den Geschäftsumfang auch tatsächlich geboten
der unbesoldeten Assessoren jeden Augenblick wechselt und auf ihn